Dann lass ich es hier auch gleich mal weitergehen. Ich hab außerdem den Titel des Kapitels nochmal geändert:
Der Morgen kroch langsam, viel langsamer als es der Stamm aus seiner alten Heimat gewohnt war, über die Hänge der Berge, in die kargen Wiesen der Tundra und irgendwo uuuuärkstejemand. Der langgezogene Ton, wie bei einem satten Rülpsen, hallte durch das verschlammte Goblindorf mit dem überfallenen Gasthaus in der Mitte und hämmerte im Vorüberwehen laut gegen die Ohren der schlafenden grünen Kerle. Er riss auch nicht ab, als die ersten bereits ins Freie taumelten und sich nach der Quelle des Lärms umsahen. Bald liefen überall suchende Goblins umher. Sie spähten in Baumwipfel, schauten auf Hüttendächer, durchkämmten Büsche und Sträucher.
„Hier rüber! Ich hab das Scheißvieh!“, krähte es plötzlich in der Nähe des Dorfeingangs, wo der Erdwall eine breite Lücke und tiefe Pfützen zu beiden Seiten des Weges aufwies.
Zwei Pfeile schossen wild drauf los und blieben im Erdwall stecken. Dafür verendete das Uärksen endlich mit einem wurgsenden Laut und man sah eine kugelbäuchige Gestalt auf langen Hinterbeinen in die morgendliche Tundra davon hoppeln.
„Kack die Wand an, das Vieh is abgehauen!“, meldete jemand.
Ein vulgäres Durcheinander von Flüchen wurde laut, das nun auch die Schwächlinge in ihren Hütten abseits vom Dorf weckte. Der Lärm drängelte sich hartnäckig zu Sjik in seine Schlafkuhle, bevor er ihm eine schallende Ohrfeige verpasste. Überrumpelt öffnete der kleine grüne Schwächling die Äuglein zu Geplärre und Gekreische.
Alles war wie immer in der ollen Bretterbude, die früher einmal ein Stall für Vieh gewesen sein mochte, wo heute jedoch nurmehr ungefähr ein halbes Dutzend Schwächlinge schlief. In Kuhlen voll modrigem Laub, Moos und Gras gekuschelt, mit Spinnen im Gebälk und Käfer in der naturbelassenen Bettausstattung zur Gesellschaft.
„Sjik!“, krähte über ihm die kratzige Stimme der Knüppelomma. „Steh auf!“
Das Gesicht der alten Puuhuuk hing bedrohlich tief, während ihr unliebsamster Schützling aus seiner Schlafkuhle herauskroch. Noch ehe er überhaupt ganz auf zwei Beinen stand, hatte ihn auch schon eine faltige Klaue gepackt und mit nach draußen gezerrt, wo sich Sjik zusammen mit einer schmollenden Jetz in der anderen Klaue wiederfand. Die Sonne stieß ihre Strahlen genau in die müden Augen des eben erwachten Schwächlings. Doch Knüppelomma Puuhuuk ließ ihm keine Zeit, um mehr als vier große Schemen vor sich zu erkennen, bevor sie ihn auch schon nach vorn schubste. Fast wäre Sjik gestolpert. Neben dran legte Jetz sich sauber aufs Maul und stieß dabei ein empörtes Quäken aus. Trotz des rüden Erwachens giggelte Sjik leise, da beugte sich ein Schatten über ihn.
„Eh …?!“, machte der kleine Schwächling und glotzte verdutzt in das kantige Gesicht eines anderen Goblins.
Das Gesicht war aber auch hässlich. Ein Auge fixierte groß und etwas beängstigend den kleinen Wicht vor sich, derweil das andere zur Seite schielte und irgendwie zu klein aussah. Sjik wimmerte furchtsam und fürchtete bereits Dresche. Der andere schaffte es, gleichzeitig die gekerbte Nase zu rümpfen, dass man eine hervorragenden Einsicht in die haarigen Nasenlöcher erhielt und zugleich belustigt zu grinsen. Ein fauliger Schneidezahn fesselte Sjiks Blick dabei ganz besonders, sodass er dem Kerl anstatt verängstigt in die Augen, pardon in das Auge, nun geradewegs in den ungepflegten Schlund starrte.
„Katzenkotze! Der is ja fast schon zu groß, um Quakedei zu jagen. Was gibt’s du denen denn zu fressen, Puuhuuk?“ Sjik verfolgte, wie der von Karies zerfressene Schneidezahn des hässlichen Kerls beim Sprechen hinter die Lippen und wieder hervor hopste.
Er bemerkte nicht einmal, dass er gar keine Ahnung hatte, was ein Quakedei überhaupt war, oder dass die Knüppelomma ihn doch eigentlich zum Schlammschippen verdonnert hatte. In dem kleinen Schwächlingshirn stiegen ganz andere Fragen auf: Was musste man essen, um dermaßen verfaulte Zähne zu bekommen? Und hatte der Kerl da auf der Stirn Haarausfall oder eine Brandwunde?
„Die kriegen die Reste, so wie schon immer“, erklärte die Knüppelomma mürrisch, bevor sie mit Blick auf ihre beiden Schützlinge hinzufügte: „Aber passt auf, der da issn fauler Sack un die da quatscht zu viel!“
Gerne hätte Sjik der Knüppelomma dafür einmal kräftig gegen das Schienbein getreten, doch da packte ihn eine starke Klaue bei der Schulter und zog ihn mit sich. Erst jetzt realisierte der kleine Schwächling, dass man mit ihm wohl irgendetwas vorhatte und verwirrt blickte er zwischen den vier Goblins umher.
Hässlich ging vorweg, sodass Sjik sich nicht wieder in der Betrachtung seines miserablen Gebisses verlieren konnte. Stattdessen musterte der Schwächling eine ulkige Gerätschaft, die der Kerl an einem Gurt auf dem Rücken trug. Sie sah aus, als hätte jemand mehrere geschnitzte Stöcke in einen Sack gesteckt und irgendwer hatte außerdem schlecht das vereinfachte Abbild eines tanzenden Goblins darauf gestickt. Bei jedem von Hässlichs Schritten hüpfte die Apparatur auf und ab, dass man ganz dusselig von werden konnte. Sjik blinzelte zweimal.
Die Klaue, die ihn nach wie vor bei der Schulter gepackt hielt gehörte zu einem mageren Arm und der magere Arm hing an einem schmächtigen Goblin. Oder zumindest hätte Sjik ihn wohl als schmächtig bezeichnet, wenn er selbst nicht noch so ein mickriges Bürschchen gewesen wäre. Griesgrämig schaute er von dort oben in die Welt, eine spitze Fellmütze auf dem verfilzten Haupt und ein wenig Schnodder an der Nase. Sjik fand ihn lustig.
Die anderen beiden, von denen eine die noch immer schmollende Jetz vor sich her schubste, fand er dagegen eher ein wenig … gefährlich. Ihre Waffen waren geschwungene Kurzbögen und in Hüftköchern wackelten die dazugehörigen Pfeile bei jedem Schritt. Die Westen aus Fell und Leder bewiesen zum einen, dass Nähen nicht eben zu ihren Stärken gehörte und zum anderen, dass sie mit ihren Bögen dafür offensichtlich ganz wunderbar umzugehen wussten. Hinzu kamen Knochen behangene Ringe in Ohren, Brauen und die eine trug gar eine halbmondförmige Kralle in ihrer Nase. Sjik war von diesem Anblick einerseits fasziniert, andererseits juckte ihm sein eigenes langes Näschen bei der Vorstellung, etwas dort hindurch zu rammen.
Hässlich führte sie den Weg zum Dorf hinab, bog dann allerdings vor dem Erdwall nach links ab und stapfte stattdessen querfeldein in die Tundra hinein. Sjik quittierte diesen Richtungswechsel mit einem kläglichen Geräusch, als einer der langen Halme irgendwie den Weg in seinen Mund fand.
Die Tundra war so nass wie immer und unter Sjiks bloßen Füßen watschten die Moose und Flechten. Zum ersten Mal in seinem Leben entfernte sich der kaum ein Jahr alte Schwächling außerhalb der Sichtweite des Dorfes. Voll Neugierde blickte er von links nach rechts. Jeder Busch, jeder Stein und sogar eine vom Wind gebeugte Baumgruppe in der Ferne wurden regelrecht aufgesogen.
Viel mehr gab es allerdings auch nicht zu sehen. Sjik fand die Tundra langweilig und wollte wieder Heim in seine Schlafkuhle.
Plötzlich blieb Hässlich stehen.
„Hier is es“, verkündete er, setzte sich auf einen Stein und begann seine ulkige Apparatur auszupacken.
Verdutzt sah Sjik sich um. „Hier“ wirkte auf den kleinen Schwächlings ziemlich unspezifisch. Was unterschied hier denn von da drüben? Doch die beiden Jägerinnen legten bereits ihre Pfeile auf die Sehnen und Griesgram döste hintendran auf seinem Speer. Sjik wusste nicht einmal, was er sich erhofft hatte. Doch nun war er enttäuscht und puhlte mit dem großen Zeh mürrisch Löcher in die Erde.
Ein triumphierendes „Hähä!“ von Hässlich ließ ihn wieder aufblicken. Der Goblin stand breitbeinig auf seinem Stein. Die Gerätschaft, deren Nutzen sich für Sjik immer noch nicht erschloss, hatte sich Hässlich fast schon lapidar unter den linken Arm geklemmt, während seine Klauen ein durchlöchertes Stück Holz umgriffen, das unten aus dem Sack hervor döngelte. Ein anderes Holzstück, das oben im Sack stak, nahm er hingegen gar in den Mund und blies drei Mal kräftig Luft hinein, bis sich der Stoff aufblähte.
Für den nichtsahnenden Schwächling sah der Goblin damit in seiner Pose irgendwie ein wenig hirnrissig aus. Zumal er dabei eine derart angestrengte Miene zog, wie sie mancher nach schweren Frühstück beim Abwiegeln der morgendlichen Geschäfte ziehen würde.
Von den anderen drei schien jedoch keiner das Treiben von Hässlich in Frage zu stellen und Jetz hockte auf dem Boden und spielte mit einem Regenwurm. Die beiden Jägerinnen hatten sich mittlerweile in geduckter Haltung um etwas herum positioniert, das im Gras nur ein paar Schritte von ihnen entfernt lag. Lauernd starrten sie auf was auch immer und hatten die Sehnen ihrer Bögen schon halb gespannt.
Ganz hippelig vor Aufregung wollte sich Sjik etwas näher heranschleichen und setzte gerade mit aller Vorsicht sein bloßes Füsschen auf, als ein Lärm über ihn hinwegfegte, wie ihn seine Ohren noch nie vernommen hatten. Vor Schreck machte er gleichzeitig einen Satz, einen Schritt nach hinten und versuchte auch noch, sich zur Quelle des Lärms umzudrehen. Als Ergebnis rutschte er auf Jetzs Regenwurm aus und legte sich rückwärts in eine weiche Decke aus nassen Flechten und Moos.
Die schwächliche Goblin stieß ein entsetztes Quäken aus. Halb aus Schreck über den plötzlichen Lärm und zur anderen Hälfte, weil ihr Spielzeug nun als gelbe Matsche zwischen Sjiks Zehen klebte. Der glotzte jedoch bloß starr geradeaus, als hätte ihn der Sturz ein paar Hirnzellen zu viel gekostet.
Doch dem war nicht so. Der kleine dumme Schwächling hatte auch zuvor nichts außer Blödsinn im Kopf gehabt. Der eigentliche Grund, warum er mit heraushängender Zunge und langer Hakennase wie ein zurückgebliebener Welpe auf dem Rücken lag, war Hässlich und das auch noch wortwörtlich.
Breitbeinig, als stelle er sich kühn einem ganzen Heer entgegen, stand der Goblin auf seinem Stein und die roten Haare wehten geradezu heroisch im steifen Tundrawind. Dass die Augen dabei in zwei verschiedene Richtungen schauten, gab der ganzen Szene bloß einen kleinen Knacks. Sjiks Glotzen galt ohnehin nicht dem unansehnlichen Gesicht, sondern der ulkigen Apparatur und was Hässlichs Finger damit anstellten. Was so erst einmal nicht ganz kindgerecht klingt, glich eigentlich eher einem unschuldigen Tanz, mit dem Unterschied, dass Hässlich die Fingerkuppen anstelle seiner Füße springen ließ. Mal verharrten sie für einen Augenblick und ein langgezogener Ton grub sich in Sjiks ungeschützte Ohren, dann flitzten Hässlichs flinke Griffel auch schon weiter.
Die Melodie, die sich dem Schwächling dabei tief in sein Hirn eindudelte, gab ihm ein unsäglich träges Gefühl und vor seinem geistigen Auge torkelte eine sturzbetrunkene Puuhuuk Ringelreihen. Wie sein Gehirn auf die Idee kam, wusste es selbst nicht. Aber es passte so wunderbar, dass Sjik bloß weiterhin dalag, als fesselten ihn die Flechten am Boden, oder als hätte man ihm die falschen Pilze in die Suppe geschnippelt. So oder so, Jetz Faust sah er erst kommen, als sie bereits auf seiner Nase gelandet war.
Hatte sie der Zweck dieses Ausflugs schon zuvor nicht groß gekümmert, vergaßen die beiden nun völlig wo und warum sie hier waren und kabbelten sich stattdessen wie zwei Ferkel um die letzte freie Zitze. Inklusive des schrillen Gequietsches.
So entging ihnen völlig, dass sich unter dem Flecken Gras, den die Jägerinnen nach wie vor lauernd fixierten, etwas regte. Die Halme zuckten, als sich unter ihnen das Etwas ans Tageslicht wühlte. Einen Augenblick verharrte es und lauschte auf die besoffene Melodie, die Hässlich seinem mit Stöcken gespickten Sack entlockte. Da fuhr plötzlich ein zorniges Kreischen dazwischen, das sich sogar ganz wunderbar in die Melodie einfügte, bis es absank und in ein weinerliches Geplärre überging. Ein kleiner bemooster Stein flog durch die Luft, verfehlte den hämisch grinsenden Sjik, dem die Reste des Regenwurms noch zwischen den Zähnen hingen und landete unweit des Grasflecks. Was auch immer Hässlich da mit seinem Spiel hatte hervorlocken wollen, verzog sich schlagartig wieder, als der Stein raschelnd zwischen den Halmen niederging.
„Leckt mich doch kreuzweise!“, stieß Hässlich oben auf seinem Stein aus. Sein Spiel endete abrupt mit dem Geräusch einer sterbenden Ente, als die Luft unkontrolliert aus dem Sack entwich. „Snilkek! Hol das Seil, wir müssen doch angeln.“
„Äh?“, machte der kleine Sjik und kratzte sich unter der Achsel.
Wusste Hässlich, dass man zum Angeln Wasser benötigte? Probeweise tapste der Schwächling einmal mit dem bloßen Fuß herum. Der Boden war so nass und klamm wie immer, nur zum Angeln reichte es deshalb trotzdem nicht. Für Griesgram hatte dieses Argument allerdings wohl keine Gültigkeit. Der packte wie ihm geheißen ein Seil aus und scheuchte Sjik und Jetz dann zu Hässlich und den beiden Jägerinnen, die sich bereits um die Stelle im Gras versammelt hatten.
„Da“, meinte er und hielt Hässlich sein Seil hin.
„Net für mich, du Idiot!“, erklärte der genervt und schlug die Hand des anderen beiseite. „Für was haben wir denn die da mitgenommen, hä?“
Die da bekamen davon jedoch gar nichts mit. Sjik und Jetz legten eine Aufmerksamkeitsspanne wie ein dümmlich durch den Wald springendes Kitz an den Tag. Gerade kauerten sie neugierig um den Flecken Gras herum und starrten hinein. Der Flecken Gras war nämlich gar kein Gras, sondern ein Loch, das beinahe senkrecht in die Erde führte. Für einen ausgewachsenen Goblin stellte es keine Gefahr dar. Doch für einen Schwächling reichte der Platz wohl gerade so aus, um hinein fallen zu können. Eine recht verdächtige Erkenntnis, oder sie wäre es gewesen, wenn Sjik nicht auch genauso jung und naiv wie das Rehkitz gewesen wäre. So bohrte er bloß in der Nase, als man Jetz bereits das Seil um die Beine band.
„Hä- Häschen?“, fragte die kleine Schwächeline und deutete auf das Loch.
„Nene, aber wenn du schön artig bist, dann bekommste was zum Knabbern. Magste Häschenohren?“, entgegnete Hässlich und Jetz nickte gierig.
Welcher Schwächling hätte bei knusprig kross gebratenen Häschenohren auch nein sagen können? Also ließen die beiden Jägerinnen die kleine Jetz am Seil kopfüber in das Loch hinab und noch immer schwante Sjik keinerlei Übel. Er saß da und hatte begonnen, die Regenwurmpampe wieder zwischen seinen Zehen hervor zu puhlen.
„Häääschen ...“, hörte man ein fröhliches Stimmchen leise aus dem Loch rufen, während es immer tiefer hinab ging. „Hääääsch-ÄÄÄÄÄH!“