Huhu, Loits und Loitessen!
Meine Hauptgeschichte pausiert im Moment und ich fürchte, dass ich sie vielleicht ganz neu aufsetzen sollte. Während ich mit meiner Praxisphase beschäftigt bin habe ich dafür leider nicht die Zeit, darum pausiert das Projekt jetzt erstmal. Stattdessen versuche ich mich im Moment an Kurzgeschichten, weil ich das Schreiben ja immer noch liebe und nicht einrosten will, aber auch um mich etwas auszuprobieren.
Die ersten beiden Geschichten im Thread werden alte Kurzgeschichten von mir sein, die schon lange hier im Forum sind. Außerdem kommen Wettbewerbsgeschichten dazu und was auch immer mal anfallen sollte, während ich an meinem Handwerk arbeite. Was ich halte so in Schriftform verbreche.
Viel Spaß beim Lesen!
Übersicht
Edit: Threads wurden zusammengefügt, darum musste ich den Startpost nun über die älteste Geschichte verlegen, damit alles Sinn ergibt.
Edit2: Nun kollidieren hier am Anfang zwei Threads, deren Posts nach Datum sortiert sind, wodurch man nicht unbedingt weiß, welcher Post sich auf welche Geschichte bezieht. Im obigen Spoiler sind Links zu den Geschichten zu finden, für eine bessere Orientierung
Die Sage vom Schreiber
Böse und Gut. Schatten und Licht. Schwarz und Weiß. Unfug.
Dämonen und Engel. Sie sehen beide auf die Menschen herab, denn sie schweben beide in anderen Sphären und sie nehmen beide Einfluss auf die Menschenwelt, angeblich. Selbst ihr Handeln ist sich ähnlich, führen sie doch nur himmlische oder teuflische Befehle aus. In ihrer Welt gibt es keine Farben. Weder Dämonen noch Engel haben ein Herz, sie richten, verführen und manipulieren. Sie lassen die Schachfiguren andere schlagen oder opfern sie, angeblich zu einem höheren Zweck. Doch wenn selbst der Teufel ein Werk Gottes ist, dann stehen Dämonen wie Engel letzten Endes auf der gleichen Seite. Es gibt kein Schwarz oder Weiß, es gibt nur Grau.
Sind sie Werkzeuge? Nur konstruiert um zu funktionieren? Wahrscheinlich.
Doch was, wenn das Werkzeug einen Makel hat? Einen Konstruktionsfehler? Könnte es dem vorgesehenen Druck standhalten oder würde es zerbrechen?
…
Es war ein Schreiber bei Nacht am Kaminfeuer. Nun war es bereits Stunden nach der Mitternacht, doch noch schlief die Sonne, der Schreiber nicht. Seine Feder schwebte über dem Pergament, aber die Tinte an ihrem Kiel war bereits getrocknet. Er starrte durch das Pergament hindurch und rieb sich die trockenen Augen. Sie hatten einen Fluss geweint, jetzt lag das Flussbett in ihnen trocken. Doch im Hause war es wieder still, endlich konnte er seine Gedanken hören. Alles müsste in bester Ordnung sein, warum also wollten die Worte nicht fließen?
Schon als Kind las er für sein Leben gern Bücher. Romane, Gedichtbände, Novellen. Wenn er Worte las, versank er darin. Eine Welle erfasste ihn und trug ihn in fremde Welten davon. Sätze bildeten Rahmen und zeichneten Umrisse, Metaphern erfüllten sie mit Farben und Leben. Ja, dem geschriebenen Wort wollte er sein Leben widmen.
Als Junge begann er kurze Gedichte zu schreiben und wurde dafür belächelt, denn sie waren dilettantisch und klischeehaft. Sein Vater machte sich Sorgen, dass aus seinem Sohn kein anständiger Mann würde. Zwar schlug er ihn regelmäßig, aber es änderte Nichts. Sein Sohn hatte ein Dichterherz.
Die Zeit ließ ihn wachsen und so widmete er sich als junger Erwachsener den Geschichten und später sogar den Romanen. In jeder Hinsicht war eine Reifung zu spüren. Die Konturen wurden klarer, konkreter und die Farben leuchtender, echter.
An der Hochschule, an der er studieren sollte, sprach sich sein Talent schnell herum. Beflügelt von dem schmeichelhaften Getuschel wagte er sich an neue Themen und Textformen und konnte bald auch mit ihnen geradezu spielend umgehen. Es dauerte nicht lange, da konnte er von seinen Werken leben und gab das Studium auf. Er zog in ein eigenes Haus und nahm seine Muse mit, ihr Name war Mathilda. Was immer er schrieb, schrieb er für sie. Was immer er für sie schrieb, wurde erfolgreich.
Die ersten sechs Jahre ihrer Ehe verliefen viel zu schnell, aber glücklich. Doch ihre Familie war noch nicht vollständig, etwas Entscheidendes fehlte ihnen. Nur sollte es sie nicht fröhlich stimmen, sondern das klare Wasser ihres Lebens trüben.
Seit Jahren schon wünschten sie sich ein Kind und schwanger war Mathilda viele Male gewesen. Beim ersten Mal war sie so glücklich gewesen, dass der Schock sie umso stärker lähmte. Das Kind war tot, bevor es auf die Welt kam. Das zweite Mal war sie natürlich froh über den Kugelbauch, doch die erste Schwangerschaft lag wie ein dünner, düsterer Schleier über ihr. Er sollte noch dunkler werden, als sie die zweite Totgeburt zur Welt brachte. Sie wagten einen dritten Versuch, aber Mathilda hatte bereits eine Vorahnung. Es sollte ihnen nicht vergönnt sein. Beim Vierten Mal wollte sie nicht mehr, auf Zureden Albrechts, des Schreibers, aber, versuchten sie es erneut. Das Ergebnis war so offensichtlich wie zermürbend.
Die fünfte Schwangerschaft war nicht beabsichtigt und sie beide glaubten nicht mehr an Wunder. Nicht nach all dem. Und doch schenkte man ihnen ein Kind. Ein starkes, wunderschönes Mädchen, so nannte Mathilda es.
Durch die Schwangerschaften seiner Frau hatte Albrecht jedoch kaum noch Zeit zum Schreiben gefunden oder war nicht mit dem Herzen bei der Sache. Er hatte zwar viel Geld zurückgelegt, aber diese Reserve ging nun langsam zur Neige. Um seine Familie ernähren zu können, beschloss er, intensiver an seinen Werken zu arbeiten als jemals zuvor. Es sollte ein Beschluss bleiben, denn wenn er sich mit seiner Feder an das Pergament setzte, hörte er das Schreien seines Kindes. Er konnte sich nicht konzentrieren, seine Hand zitterte, die kleine Stimme pochte in seinem Kopf.
Konnte Mathilda das Balg nicht beruhigen? Er brauchte Ruhe, nur etwas Ruhe… Aber der Schreihals hörte nicht auf zu brüllen…
Seit das Kind auf der Welt war verhielt sich Albrecht zunehmend anders. Zuerst zog er sich immer öfter für Stunden in sein Zimmer zurück und wollte niemanden sehen. Doch die Schreie seiner Tochter waren noch immer laut und deutlich durch die schwere Eichenzimmertür zu hören. Später warf er seine Frau aus dem Schlafzimmer, sie schlief nun mit dem Kind auf dem Sofa. Natürlich brachte auch das nichts. Dafür machte er sie verantwortlich, da sie das Kind nicht beruhigen konnte und damit sein Schaffen störte. Dass seine Schläge das nicht ändern konnten, verdrängte er.
Unter größten Anstrengungen beendete er sein Buch in wenigen weiteren Monaten und brachte es zu einem Verleger in eine Nachbarstadt. Frau und Kind nahm er mit sich, wie gewöhnlich fuhren sie in einer eigenen Kutsche. Sie ahnten ja nicht, was Albrecht mit ihnen vorhatte.
Der Wald wurde immer dichter und dichter und man konnte kaum tiefer als einige Meter durch die Bäume blicken. Da blieb die Kutsche stehen.
Auf Nachfragen von Mathilda beruhigte der Schreiber sie und meinte, dass das sicher einen Grund haben musste. Das Kind war in ihren Armen eingeschlafen.
Schritte waren zu hören und der Kutscher riss die Tür zu Seite. Blitzschnell beugte er sich hinein und Griff nach dem Kind. Mathilda schrie hysterisch auf. Sie würde niemals auf die Idee kommen, dass Albrecht den Kutscher für die Entführung angeheuert hatte. Doch während sie beide um das Kind rangen, machten sich Zweifel in Albrecht breit und brachten seine Abneigung gegen dieses nutzlose, schreiende Bündel zu Fall. Es hatte ihm alles genommen, was er wirklich liebte. Und das war seine Gabe zu schreiben. Sie machte ihn aus, ohne sie hatte er keine Bedeutung, war er ein Nichts. Doch das konnte er Mathilda nicht antun. Er stieß den Kutscher zur Seite, ergriff das Schwert, das dieser an der Seite trug. Verwirrt hielt der Kutscher inne. Stellte sich sein Auftraggeber gerade gegen ihn? Das Zögern wurde ihm zum Verhängnis, Albrecht schlug in seiner Verzweiflung auf ihn ein.
Mathilda musste mitansehen, wie ihr Mann zum Mörder wurde, sie zitterte am ganzen Leib. Sie verwandelte sich in ein lautes Heulen. Das Kind erwachte und fing sofort an zu schreien. Dieses schreckliche Schreien, dieses infernale Geplärre! Es pochte in seinem Schädel.
Sie atmete auf und verfluchte den Kutscher für sein schmutziges Vorhaben mit dem Kind. Er war ein böser Wolf gewesen. Doch Albrecht schwieg. Seine Hand schloss sich fester um den Schwertgriff.
Als die Kutsche am Abend den Wald verließ, transportierte sie nur den Schreiber. Kein Mensch hatte ihn bei der schrecklichen Tat gesehen, aber er ahnte nicht, dass er beobachtet wurde.
Nun saß er am Kaminfeuer, gewillt sein Meisterwerk zu verfassen. Es war wieder ruhig, niemand störte ihn mehr. Die grobe Handlung hatte er schon im Sinn, sie musste nur noch zu Pergament gebracht werden. Doch die Worte flossen nicht. Sie kamen nicht aus ihm heraus. Es war noch immer wie vorher, mit dem Balg. Heiße Tränen tropften auf das Pergament. Er hatte seine Gabe verloren und seinen Glauben an sich selbst.
Langsam schleppte er sich durch den Raum zur Kommode. Auf ihr lag das Schwert, auf dessen Klinge sich die Kerzenflamme spiegelte. Entschlossen umfasste er seinen Griff. Drei Menschen hatte er damit getötet. Es wäre nur recht, wenn er auch durch diese Klinge sterben würde. Zögernd stellte er den Kerzenhalter auf der Kommode ab und richtete die Schwertspitze gegen sich selbst, bereit zuzustechen. Wenn zu leben Bedeutungslosigkeit bedeuten würde, wollte er lieber sterben.
Doch eine Stimme erklang in seinem Kopf und durchdrang die Dunkelheit seiner Gedanken. Es war eine Frauenstimme, sie kam von hinter ihm, engelsgleich und doch düster. Sie wusste, was ihm zu schaffen machte. Sie wusste von der Angst, nur ein Tropfen im Ozean zu sein. Seine Worte konnten einmal in Stein gemeißelt werden, aber was war jetzt noch davon übrig? Nicht einmal mehr der Abglanz seiner Größe. Sie schwor, dass sie helfen könne.
Zögerlich wandte er sich zu ihr um. Sie war jung und schön, hatte aber einen fast kindlichen Charakter. Über ihr lag ein diffus leuchtender Schleier.
Er fragte, wer sie sei.
Lächelnd antwortete sie. Ihr Name sei Amelie und dass sie hier sei um ihn zu retten.
Albrecht fragte, ob sie ein Engel sei, doch sie schwieg. Verwirrt setzte er nach. War sie ein Dämon?
Da lächelte sie nur herzerwärmend und legte ihre Arme um seinen Körper.
Sie würde ihm seine Größe zurückgeben und forderte dafür nur eine einzige Gegenleistung. Albrecht war wie erstarrt. Was wollte sie? Seine Seele? Ein Menschenleben? Ein kalter Schauder durchzog ihn, als sich ihre Lippen seinem Ohr näherten.
Liebe mich.
Müde fiel der Schreiber in seinem Stuhl zurück. In der Nacht, in der Amelie zu ihm kam, hatte er nicht geschlafen, er hatte sofort mit dem Schreiben begonnen. Zwei weitere Nächte war er wach gewesen und hatte nicht zu schreiben aufgehört. Amelie hatte ihm regelmäßig Wasser und Wein gebracht, auf feste Nahrung hatte er in der Zeit völlig verzichtet. Aber das war alles unwichtig, denn er war im Begriff gewesen sein bisher größtes Werk überhaupt zu verfassen. Er schrieb und schrieb und mit jeder Zeile ließ er sein altes Leben ein Stück weiter hinter sich. Jedes Wort war mit seiner Vergangenheit gefüllt und je mehr Worte auf das Pergament flossen, desto mehr verließ davon seinen Körper. Als er die Feder endlich beiseitelegte, hatte er alles zurück gelassen. Mit einem Grinsen im Gesicht und dem Kopf auf der Schreibtischplatte, schlief er ein. Er war sich sicher, jetzt würde er erst wirklich glänzen können.
Er ruhte zwei Tage lang, bis er wieder erwachte. Amelie hatte das Manuskript bereits zum Verlag gebracht. Es wurde zum Druck in Auftrag gegeben und nach wenigen Wochen wurden die ersten Kritiken veröffentlicht. Man spekulierte, dass der Schreiber während seiner künstlerischen Pause mehrere Werke geschrieben hatte und jetzt nach und nach veröffentlichte. Nur so war zu erklären, dass er ein paar Monate zuvor bereits ein Buch der Öffentlichkeit präsentiert hatte. Doch im Gegensatz zu seiner ersten Veröffentlichung seit Jahren, die ohne Frage weit unter dem Niveau des Schreibers lag, war seine Zweite ein voller Erfolg. Einige feierten es als Veröffentlichung des Jahrhunderts und prophezeiten dem Schreiber künstlerische Unsterblichkeit.
Beflügelt vom Erfolg rief er Amelie zu sich. Er wies sie an Koffer zu packen und die Pferde bereit zu halten. Sie würden eine Reise machen, zu den großen Orten dieser Welt. Denn wenn er sich weiter übertrumpfen wollte, dann benötigte er Inspiration. Wissenschaft, Kunst, Geschichte, Philosophie, alles solle sein werden. Denn er war dazu bestimmt Gott über das Wort zu sein, davon war er überzeugt. Und Amelie nickte verträumt. Sie würde auf eine Reise mit ihm gehen, ihr Traum würde wahr werden.
So zogen sie aus, in fremde Länder und ohne die Aussicht in absehbarer Zeit zurückzukehren. Für gewöhnlich besichtigten sie eine Stadt und wenn der Schreiber in ihrer Atmosphäre einen besonderen Geist einfing, dann blieben sie für einige Wochen. Länger dauerte es für ihn nicht ein neues Buch zu schreiben, denn die Worte quollen einfach hervor. Sie kamen nicht aus dem Inneren, aus seinem Herzen oder seinem Kopf, sie kamen von weit weg, aus dem Kosmos. Er war nur der, der die Idee festhielt, die Geschichten aber lagen in der Luft und der Erde. Er konnte sie atmen.
Doch obwohl alles so vielversprechend aussah, war Amelie nicht glücklich. Wenn der Schreiber in ihrer Wohnung war, dann schloss er sich in seinem Zimmer ein. Er schrieb und schrieb und ließ sie nicht zu ihm. Sie hatte Verständnis dafür, hatte sie es ihm doch ermöglicht wieder schöpferisch tätig zu sein. Er schrieb aber nicht jeden Tag, hin und wieder ging er in die Stadt, um sich wieder inspirieren zu lassen, zumeist von Büchern, Gebäuden und den Geschichten, die dahinter steckten. Sie wollte mit ihm gehen, doch er bat sie jedes Mal seine Texte noch einmal durchzusehen. Er würde bald zurück sein. Amelie konnte nicht anders, sie hätte alles getan um seine Anerkennung zu erhalten. Zu ihrer Verzweiflung kehrte er nie vor Mitternacht zurück.
Eines Tages hatte sie genug. Sie verstand die menschliche Natur kaum und mit dem Gefühlsrausch der Liebe konnte sie nicht umgehen. Sie wollte, dass auf dem Acker ihres Herzens Freude und Dankbarkeit sprossen, doch letztendlich erntete sie nur Frust. Jetzt war Schluss damit, sie würde sich nehmen was sie wirklich wollte, denn sie wollte es sofort.
Als sich der Schreiber wieder einmal für den Abend verabschiedete, tat Amelie zunächst wie immer. Er trug ihr auf, die neuen Schriften durchzulesen und ihm dann später ihre Meinung dazu abzugeben. Es war reiner Perfektionismus und er wollte höher springen als jemals zuvor. Alles musste genauestens durchdacht sein, wenn er das Manuskript in ein paar Tagen zum Verleger bringen wollte. Jede Kante, jede Unreinheit und jeder Felsen, der den Lesefluss hinderte, war beabsichtigt. Nickend setzte sie sich an den Schreibtisch und überflog die ersten Stücke Pergament. Mit einem Grinsen wandte er sich von ihr ab und ging. So naiv. Die Tür fiel ins Schloss.
Einen Moment hielt sie inne, die Ohren gespitzt. Ein Schritt, zwei, drei… Erst als ihre dämonischen Ohren sie nicht mehr vernehmen konnten, erhob sie sich vom Tisch und folgte ihm.
Amelie war nicht wie die anderen, das hatte sie schon immer gewusst. Seit ihrer Erschaffung hatte sie auf die Menschen herabgesehen und sich gewundert. Was war das, was da passierte? Eine Umarmung, ein Kuss? Ein Kind und eine Mutter? Was es war wusste sie, aber was war ihre Bedeutung? Sie stellte Fragen, die anderen lachten sie aus. Tränen flossen, sie war allein. Allein in der Masse und der Unsterblichkeit. Man setzte sie gleich mit dem Menschendreck, zertreten zog sie sich zurück und wollte sterben.
Lange lag sie da, kraftlos und träge, und sah auf die Welt hinab. Auf den Menschendreck. Auf die Mütter und Kinder. Auf die Jungen und Mädchen. Was sollte das? Warum, warum das alles? Sie verstand nicht. Da war ein junger Mann, der las einem Mädchen vor. Von einem Stück Pergament. Sie verstand den Sinn der Worte nicht, sie waren unklar und ungewöhnlich, doch etwas regte sich in ihr. Sie schufen Bilder und Klänge, ihr Herz begann zu rasen. Das war es! Genau das! Aber was war es? Diese Worte hatten eine Kraft, eine Energie… so rein, unschuldig und warm. Klein und doch groß genug, dass es sie einnehmen konnte. Das war es, was ihr fehlte. Wer war nur dieser junge Schreiber?
Als der Schreiber durch die Straßen der Stadt ging ahnte er nicht, dass Amelie nicht am Schreibtisch saß, sondern längst zu seinem Schatten geworden war. Leise, auf Füßen aus Luft, schwebte sie unbemerkt über den Dächern und beobachtete ihn. Es dauerte nicht lang, da blieb er stehen und grüßte jemanden. Es war eine Frau, die beträchtlich jünger als der Schreiber zu sein schein. Amelie nickte. Um den Geist der Umgebung einzufangen sollte man auch mit den Menschen der Stadt sprechen. Das hatte er einmal gesagt.
Sie gingen ein Stück spazieren und sprachen über belanglose Dinge, bis sie sich entschieden ein Wirtshaus zu betreten. Stundenlang sprachen und lachten sie miteinander, Amelie schwebte neidisch vor dem Fenster. Niemand konnte sie sehen.
Später, lange nachdem die Sonne untergegangen war, erhoben sie sich wieder vom Tisch und gingen eine Treppe hinauf. Was sollte das? Amelie verstand nicht. Verwirrt stahl sie sich in das Lokal und glitt ihnen hinterher. Niemand hatte sie bemerkt.
Die beiden betraten ein Zimmer und schlossen die Tür hinter sich. Fluchend schob Amelie sich an die Tür. Zuerst war sie irritiert, doch schnell begriff sie, was sie dort hörte. Gelähmt sank sie zu Boden, zuckend, schluchzend, zertreten blieb sie dort liegen. Vater, warum? Wieso? Warum hast du mich erschaffen? Erneut drohte das Feuer in ihr, der Wille, zu erlöschen. War sie etwa nur ein Versuch, eine Laune? Eine Flut von Fragen vergiftete ihren Verstand. War das alles vielleicht ein großer Fehler gewesen? Zerbrochen kroch sie zurück, die Last zog sie an Ketten hinter sich her.
Als der Schreiber seine Wohnung wieder betrat, brannten noch alle Lichter. Irritiert sah er sich um. War Amelie noch wach? Eilig verwischte er das Lippenrot an seinem Hals, doch sie war nicht zu sehen. Erleichtert betrat er sein Arbeitszimmer und entdeckte Amelie, die zusammengesunken an seinem Schreibtisch, mit dem Gesicht auf der Tischplatte. In ihrer Suche nach Zerstreuung, hatte sie das neue Manuskript des Schreibers gelesen.
Vater war es, der dem Schreiber die Worte und Bilder schickte, die er festhalten sollte und so war es auch dieses Mal gewesen. Aber warum ließ er ihn so etwas schreiben?
Scheinbar besorgt trat der Schreiber an sie heran, doch Amelie konnte seine Lügen hören, nein, sie konnte sie sehen und fühlen. Seelenlos erklärte sie, dass sie gehen werde und dass sie ihn zurücklassen würde, als wäre sie nie da gewesen. Da erstarrte der Schreiber zu Stein. Sie wollte gehen? Mit der Gabe?
Entsetzt sprach er drauflos. Dass sie ein Loch in ihm zurücklassen würde. Dass er nicht mehr er selbst sein könne. Dass es sein Leben beenden würde. Amelie verhalf es nur zu einem müden Lächeln. Müde vom Leben. Ihre Entscheidung stand fest.
Verzweifelt nahm er sie in den Arm, schloss sie ein. Sie durfte nicht gehen! Als sie die Umarmung erwiderte, lachten seine Gedanken dreckig. Er hatte nicht gedacht, dass er es wirklich würde tun müssen, doch es funktionierte. Sie war so naiv wie ein Kind. Sanft beugte er sich vor und flüsterte in ihr Ohr. Sie liebte ihn doch, richtig?
Bedrückt schlang sie sich enger um ihn. Richtig.
Das klebrige Grinsen überzog sein ganzes Gesicht. Kaum merklich wich alles himmlisch Teuflische aus Amelie, bis sie wie ein einfaches Mädchen zu sein schien. Wieder flüsterte er.
Und wenn du mich liebst…, setzte er leise an.
Ihre Augen weiteten sich, sie sah das Unheil über ihnen schweben.
…dann stirb heut Nacht!
Sein Messer drang in ihre Seite und riss ihren Körper auf. Kraftlos und enttäuscht ließ sie es zu, ja, sie hieß das Ende willkommen. Der Mensch in ihr starb. Zufrieden ließ er sie los und nahm Abstand. Seinem Schaffen durfte nichts im Wege stehen, da konnte er auf niemanden Rücksicht nehmen, auch nicht auf sie. Doch das war jetzt vorbei.
Müde wandte er sich vom Amelie ab und seinem Manuskript zu. Die letzten Kapitel hatte er in dem intensivsten Rausch geschrieben, den er je gehabt hatte. Doch konnte er sich nicht mehr an den Ausgang der Geschichte erinnern. Merkwürdig. Verwundert überflog er die letzten Seiten. Mit jedem Absatz sammelte sich mehr Schweiß auf seiner Stirn. Was war denn das? Hatte er das geschrieben? Unmöglich. Für den Roman hatte er zwar sein eigenes Leben als Vorlage benutzt, aber es sollte mehr eine Parodie auf sich selbst sein. Selbstironie. Und nicht das. Langsam ließ er den Stoß Pergament auf den Tisch sinken. Von hinter sich hörte der Schreiber dumpfe Schritte. Dann tränkte sich das Manuskript im seinem Blut.
Nur der Titel war später noch zu erkennen gewesen. Dort prangte „Die Sage vom Schreiber“.
…
Und die Farbe Grau gilt nicht nur für Dämonen und Engel, sondern ebenso für die Menschen. Sie handeln weder gut noch böse, sondern nur in ihrem ganz eigenen Sinne. Doch betrachten wir den Schreiber und Amelie: Wer von beiden war dann wirklich der Dämon?
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Diese Geschichte ist schon ein paar Monate alt, trotzdem fallen mir immer wieder Stellen auf, die ich überarbeiten möchte. Meist sind es nur Kleinigkeiten oder Flüchtigkeitsfehler.
Eure Meinung?
Hier im Dateianhang: Das inoffizielle Cover, gezeichnet von jemandem, dem die Geschichte offensichtlich gefallen hat. :3 Dass es Amelie darstellen soll, passt mir auch gut mit meiner Intention in den Kram. Der Charakter, um den es mir in erster Linie ging, war nicht der Schreiber.