Beiträge von Jennagon im Thema „Experiment Erde“

    Emilia hätte einen Mord für eine Dose Bier begangen. Die ganze Zeit über hatte sie bereits nur fahles Wasser getrunken. Die Fahrerin aber nun nach einem Bier zu fragen, schluckte sie herunter, um nicht doch noch aus dem Jeep geschmissen zu werden. Vielleicht gab es in ihrem Dorf eine Spielunke, in dem sie zumindest kurz durchatmen und ihre Schmerzen mit Alkohol betäuben konnte.

    "Du hast ... in diesem Jeep nicht zufällig einen Mixer?", fragte Hyde und wandte sich dem hinteren Teil des Autos zu, der überwiegend mit Schrott gefüllt war.

    Cyrus verhielt sich still. Vermutlich wartete er einfach ab, was als nächstes geschehen würde. Keiner von ihnen wird damit gerechnet haben, auf den anderen zu treffen. Es war irgendwie ein komisches Bild. Ein Genexperiment, eine Kopfgeldjägerin und eine Schrottsammlerin ... Emilia kam ihre Zusammenkuft wie der Anfang eines schlechten Witzes vor.

    Skeptisch musternd wanderte der Blick der Fremden zu Hyde. "Nein."

    "Schade", wandte Emilia ein und legte die Tasche mit dem Schrott in den Fußraum. "Gibt es in deinem Dorf einen Händler? Jemanden, bei dem ich Waffen und Munition bekommen könnte?" Sie fühlte sich etwas zu schutzlos, sodass sie von ihrem Kodex abwich. Vielleicht konnte sie zumindest irgendwoher einen Revolver bekommen. Irgendetwas, womit sie sich eventuell gegen VEN-Agenten wehren konnte.

    "Das bin dann wohl ich. Und Munition kannst du bei meinen Brüdern kaufen", antwortete die Fremde.

    Das Universum wollte es Hyde wohl nicht einfach machen. Die Fremde wusste immerhin, dass Hyde nicht mehr besaß, als in dem Beutel vor ihr war. Das konnte nur ein ziemlich ärmlicher Tausch werden.

    "Und Pestizide bei einem Freund", fügte die Fahrerin hinzu und schaute auf.

    Emilia seufzte, schaute kurz zu Cyrus zurück und dann wieder vor sich auf den Wüstensand. "Das wird nicht nötig sein. Ich denke nicht, dass er so erschaffen wurde, dass er durch ein paar Chemiekalien umgebracht werden kann." Hyde ging vielmehr davon aus, dass Cyrus sogar einen nuklearen Angriff als einziger überleben würde. So, wie man es immer von Kakerlaken behauptet hatte. "Außerdem würde meine Schwester mir dann wochenlang damit in den Ohren liegen, dass wir ein menschliches Individuum getötet haben."

    Cyrus´ skeptischer Blick machte Hyde klar, dass er zumindestens in den Ansätzen verstand, was die beiden redeten - und dass es um ihn ging. Aber mehr als ein mürrisches Knurren kam nicht als Antwort.

    "Menschlich ...", nuschelte die Fremde.

    Dem konnte Hyde nur zustimmen. Hyde wusste nicht, was ihre Schwester in dem Ding sah, um es anscheinend wie einen ausgesetzen Hund zu behandeln. Aber Cyrus war nützlich. Immerhin schien er Jackel zu beschützen, und diesen Schutz hatte sie derzeit nötig.

    "Man nennt mich übrigens 'Hyde' ...", lenkte Emilia vom Thema ab und stellte sich zuerst vor.

    "Atharra ...", brummelte die Fahrerin.

    "Den Riesenmoskito haben wir Cyrus getauft."

    Danach verfiel die Gruppe ins Schweigen. Gefühlt Stunden vergingen, bis in der Ferne so etwas wie Häuser auftauchten. Zwischendurch spritze sich Hyde ihr Serum, um sicherzugehen, dass Jackel nicht aufwachte. Vermutlich hätte sie zuerst geschrien, wenn sie neben Atharra wach geworden wäre, da das letzte, woran sich ihre Schwester erinnerte, die Schrottbanditen waren.

    Hyde merkte, wie sie an ihrem linken Fuß über den Boden geschleift wurde. Raus aus der Sonne in den Schatten einer Ruine, die wohl mal ein Wolkenkratzer gewesen war. Bei einem Blick hinter sich entdeckte sie C, der sie wie ein nasses Handtuch hinter sich herzog. Es war erstaunlich, dass der sehnige ... das sehnige Etwas doch keinerlei Probleme besaß, einen Menschen hinter sich her zu ziehen.

    "Kannst du mir mal erklären, was passiert ist?" Bei einem Blick an sich hinunter bemerkte Hyde den halb geöffneten Reißverschluss ihres Overalls. "Moment mal ..." Sie riss sich los und rappelte sich auf. "Deine Steinzeitnummer kannst du alleine schieben!"

    "Was?", hakte C mit einem sichtlich verwirrten Gesichtsausdruck nach.

    "Du weißt, was ich meine. Hier wird nicht gefummelt, wenn ich bewusstlos bin. Du schon gar nicht. Egal, in welchem Zustand!"

    "Das war ich nicht!", entgegnete C, und Hyde hielt inne. Aus irgendeinem Grund glaubte sie ihm. Vermutlich deshalb, weil er zuvor keine Ahnung davon besaß, was er oder sie waren. Allerdings warf das Fragen auf.

    "Wer war das?", fragte Emilia und schaute sich um, aber niemand war zu sehen.

    "Müllsammler. So hast du sie genannt", antwortete C.

    "So hat Jackel sie genannt. Das sind Schrottis. Die Kakerlaken der Erde. Aber eines muss man ihnen lassen: Sie wissen, wie man überlebt. Ganz im Gegenteil zu meiner Schwester, die sich gerne im Selbstmitleid suhlt. Kein Wunder ist sie vermutluch ohnmächtig geworden ..." Hyde sagte das mehr zu sich selbst als zu C. "Hatten sie irgendetwas bei sich?" Emilia waren nicht die Taschen in C´s Hand entgangen.

    Er hielt ihr die beiden Rücksäcke hin. "Ich weiß nicht, was davon nützlich sein könnte."

    Umgehend sah Emilia in ihnen nach und entdeckte ein Messer, dass sie sich an ihren Gürtel klemmte. Ansonsten ein paar Ersatzteile für irgendwelche mechanische Geräte und eine Flasche Wasser. "Gott sei Dank ...", stieß Hyde aus und öffnete umgehend die 1-Liter-Flasche und trank die Hälfte. Die andere Hälfte hielt sie C hin. "Durstig?", fragte sie. Auch wenn sie nicht scharf drauf war, mit ihm aus einer Flasche zu trinken, er hatte die Taschen immerhin geistesgegenwärtig mitgenommen. Und irgendwie schien er ... nützlich zu sein.

    C nahm die Flasche an sich und sah sie an. Er schien nachzudenken.

    "Trinken. Wie ich das gemacht habe. Die Flasche an die Lippen und runter mit dem Zeug. Nicht, dass du hier in der Wüste noch zu einer Trockenpflaume wirst. Das würde mir Jackel ewig vorhalten und darauf kann ich verzichten."

    C setzte die Flasche an und kippte sich etwas in den Mund - oder wie man das bei ihm nennen wollte. Danach bewegte er seinen Kopf unkontrolliert in alle Richtungen, als wollte er versuchen, mit dem Wasser in seinem Mund Pinball zu spielen.

    "In Ordnung. So funktioniert das also bei dir nicht. Dann benutz deine komische Tentakelzunge ..." Hyde verzog etwas das Gesicht bei dem Gedanken daran, dass C seinen Rüssel wie einen Tankschlauch in die Flasche stecken würde.

    "Das geht nicht", erwiderte C.

    "Warum?", hakte Emilia gedehnt nach.

    "Weil meine Zunge nicht für Flaschen gemacht ist", erläuterte C weiter und streckte seine Zunge heraus, die tatsächlich etwas breit für Flaschen wirkte.

    Hyde ließ ihre Schultern hängen. "Brauchen wir wohl einen Hundenapf ... Oder wie ... funktioniert das?" Hyde ahnte, dass sie sich für diese Frage hassen würde.

    "Fällst du wieder um, wenn ich es dir sage?", wollte C wissen - und Hyde wurde sich immer sicherer, dass der Kerl einen richtigen Namen brauchte.

    "Nee", stieß sie aus. "Ich bin nicht Jackel. Die fällt bei allem um."

    C musterte sie. "Sie ist für Menschen gemacht", erklärte er dann. "Durch ihren Hals in ... sie hinein."

    Hyde kniff ihre Augen zusammen und starrte C an. "Das ist mal echt widerlich ... Du kannst also Menschen den Magen auspumpen?"

    "Ja ... nein. Nicht nur", druckste er unsicher herum.

    "Mir ist schon klar, dass du die Menschen aussaugst ... Jackel vermutlich jetzt auch, wenn ich das kaum getrocknete Blut in deinem Gesicht sehe, aber wäre es auch möglich, dich ... naja ... anders zu ernähren?"

    "Und wie?", wollte er wissen.

    "Mit normalem Fleisch. Kein Menschliches. Und Wasser statt Blut?"

    "Ich kann nichts Festes essen", erklärte er dann, und Hyde seufzte.

    "Also besorgen wir irgendwo einen Mixer und probieren das aus."

    Sie nahm C die Flasche wieder ab und schraubte sie zu. Danach verstaute sie jene wieder in einen der Rucksäcke und warf ihn sich über den Rücken. "Dann suchen wir mal nach einer Zivilisation und einem Mixer!" Hyde hatte wenig Interesse daran, sich als menschlichen Trinkbecher anzubieten, aber überall Menschen töten konnten sie nicht. Vor allem, wenn sie in einer Wohnsiedlung ankommen sollten, war es besser, einen alternativen Ernährungsplan für C gefunden zu haben.

    "Wenn du meinst", nuschelte C hinter Hyde und folgte ihr entlang der Gebäudeschatten.

    Nach einer Weile des Schweigens wandte sich Hyde C zu.

    "Wie wäre es mit Cyrus?", wollte sie wissen.

    "Cyrus? Als ... Name?", fragte C.

    "Jopp", erwiderte Hyde und lief unbeirrt weiter.

    C schwieg eine Weile. "Ich hatte noch nie einen Namen", erwiderte er und wirkte irgendwie ... beinahe glücklich damit, einen zu bekommen.

    "Naja, dann nehmen wir Cyrus! Der fängt auch mit C an und wir haben etwas, was wir alle schreien können. Wenn man C schreit, klingt das, als wäre einem jemand auf den Fuß gestiegen."

    Hinter Hyde ertönte ein komisches Röcheln oder ... ein Einsaugen der Luft. Als sie sich zu Cyrus herumdrehte, schien dieser so etwas Ähnliches zu machen wie lachen. Erstaunt zog Hyde ihre Brauen hoch. "Na ja, daran müssen wir aber noch arbeiten, sonst versucht dich noch jemand zu beatmen ... Und wie das ausgeht, können wir uns alle vorstellen."

    "Und wie machen wir das?"

    "Naja, falls jemand mal lacht, hör zu. Jeder lacht anders, das ist schwer zu ... erklären. Jede Stimme klingt anders, so ist es auch beim Lachen. Aber zumindest macht es dich etwas Menschlicher, wenn du lachen kannst."

    "Verstehe", antwortete Cyrus und sah sie an. "Und wann lachst du?"

    "Ich lache selten. Das ist mehr Jackels Baustelle. Die ist pausenlos am Kichern ... wie ein kleines Kind."

    "Aha", kam interessiert von Cyrus zurück.

    Plötzlich hörte Emilia etwas und hob ihre Hand. "Sei mal kurz leise ...", wandte sie ein und lauschte in die Ferne.

    Cyrus blieb stehen und legte seinen Kopf schief auf die Seite. Dabei kam ein leises Knurren über seine Lippen.

    "Das ist doch ein verficktes Auto ...", stieß Hyde aus und rannte augenblicklich los, auch wenn ihr verletzter Knöchel brannte als stünde er in Flammen. "Das ist ein Auto!"

    Hyde bog um die nächste Ecke und stand auf einer schmalen Seitenstraße zwischen den Häusern. In der Ferne konnte sie einen Jeep erkennen, der direkt auf sie zuhielt. "Bleib im Schatten, Cyrus!", befahl sie ihm und positionierte sich mitten auf der Straße.

    Cyrus hörte auf sie und wartete an der Ecke.

    Hyde lief auf das Auto zu. "Anhalten!", schrie sie und hob ihre Hände. Nicht nur, um den Jeep anzuhalten, sondern auch, um zu zeigen, dass sie unbewaffnet war.

    Der Motor des Jepps heulte bedrohlich auf, als wollte der Fahrer sagen, dass sie aus dem Weg gehen sollte. Aber Hyde dachte nicht daran. Das war ein Auto. Ein Auto im Nirgendwo. Und bevor sie jämmerlich verdurstete, konnte sie sich auf überfahren lassen - das ging ohnehin schneller.

    Der Wagen gab noch einmal Gas, und Hyde blieb stehen. Sie bewegte sich nicht zur Seite. Würde sie auch nicht. Und je näher der Jeep kam, desto besser war der Fahrer zu erkennen, der sich als Fahrerin herausstellte. "Halt an, Schlampe", nuschelte Hyde. "Halt schon an!" Ein Teil von ihr betete, dass der Jeep sie nicht überrollen würde. Noch einmal heulte der Motor auf und Hyde schloss ihre Augen. "Halt doch einfach an!" Quietschende Reifen kündigten den Stopp des Fahrzeuges an, und als Emilia ihre Augen wieder öffnete, stierte sie direkt in den Kühlergrill. "Geht doch", flüsterte sie und atmete erleichtert aus.

    Seit gefühlten Stunden humpelte Hyde bereits mit diesem ... Etwas durch die karge Landschaft und es wurde windig. Immer mehr Sand wurde aufgewirbelt und so langsam bekam Emilia das Gefühl, dass sie sich einen Unterschlupf suchen sollten.

    "Es wird hier gleich sehr ungemütlich werden!", meinte Hyde deswegen und schielte zu ihrem gefräßigen Begleiter hinüber.

    "Warum?", verlangte C zu wissen, und etwas erstaunt sah Emilia ihn an.

    "Na, weil hier gleich ein Sandsturm aufziehen wird ... und der scheuert immer so."

    C schaute in den Himmel. Anscheinend wusste er nicht, was sie machen sollten. Wie auch? Abgesehen von der Kirche, scheint er noch nicht viel von der menschlichen Welt mitbekommen zu haben.

    Hyde atmete tief durch und schaute sich um. "Wir sollten uns einen Unterschlupf für die nächsten Stunden suchen. So ein Sandsturm raubt einem die Luft zum Atmen."

    C zeigte skeptisch auf ein etwas entferntes Autowrack, und Hyde betrachtete das gute Teil. Es besaß zumindest noch alle Scheiben, obwohl die meisten gesprungen waren. Die Reifen fehlten und Emilia vermutete, vermutlich auch die gesamte Elektrik sowie Motor. Solche Fahrzeuge wurden meist bis auf das Gehäuse und ein paar Sitze ausgeschlachtet. Allerdings behagte nicht einmal ihr der Gedanke, mit C auf kleinsten Raum eingesperrt zu sein. So ein Auto bot wenig Raum für Gegenwehr, sollte dem Ding anfangen, der Magen zu knurren.

    "Ja, das käme hin", räumte sie ein, schaute aber musternd zwischen dem Unterschlupf und C hin und her.

    "Auf was warten wir dann?", verlangte C zu wissen, der sie fragend ansah.

    Emilia rieb sich über die Stirn und atmete tief aus. "In Ordnung, aber behalte deine Reißzähne da, wo sie hingehören. Ein lüsternder Blick Richtung meiner Schlagader und ich verpass dir solch einen Tritt, dass die nächsten Genexperimente noch etwas davon haben!"

    "Ich habe kein Interesse an deiner Schlagader", erwiderte C und ging vor zum Wagen. Emilia trottete wenig begeistert hinterher. Wo war sie da nur reingeraten? Es sollte ein einfacher Auftrag werden. Reingehen, Zielperson einfangen, rausgehen, abends an der Bar einen mit den Jungs kippen ... Die Jungs hatte sich C gekippt, und vermutlich stand Emilia ganz oben auf der Abschussliste der VEN. Aber das reichte ja noch nicht für den ultimativen schlechtesten Tag aller Zeiten. Nein, jetzt sollte sie sich noch mit diesem Vampir-Zombie-Monster in ein Auto drängen. Es klang furchtbar romantisch. "So geht es Jackel wohl bei ihren Dates ...", nuschelte Hyde vor sich hin und schaute dann kurzerhand ins Innere des Autos.

    "Was ist ein Date?", fragte C und schaute Emilia über ihre Schulter, um ebenfalls ins Auto zu sehen.

    "Psssss ...", antwortete Hyde und gab C mit einer wedelnden Handbewegung hoffentlich zu verstehen, dass das zu nah war.

    Verwirrt legte C seinen Kopf auf die Seite und trat einen Schritt zurück.

    "Ein Date ist ...", setzte Hyde an und zog mit einem Ruck die rostige Autotür auf, "wenn man sich mit einer anderen Person verabredet." Aber irgendwie ahnte Emilia, dass diese Erklärung wahrscheinlich nicht ausreichen würde. Sie stieg ins Auto, in dem selbst die Sitze geplündert worden waren und hockte sich nach hinten auf das blanke Metall.

    C folgte ihr und es wirkte, als hätte er seine Beute in dem Klapperkasten ausgemacht. Sein fragil wirkendes Erscheinungsbild kroch bedächtig in das Fahrzeug, und ließ Emilia noch etwas weiter zurück rutschen. Selbst der taffen Agentin ging bei diesem Anblick der Arsch auf Grundeis.

    "Wozu verabreden?", bohrte C weiter und blieb hockend vor ihr sitzen.

    "Wenn ein Mann eine Schnalle geil findet, dann ...", setzte sie an, wurde aber von C unterbrochen.

    "Eine was?"

    Hyde seufzte, dann anders. "Wenn ein Mann eine Frau geil findet, dann ..." Wieder wurde sie unterbrochen.

    "Was heißt 'geil'?"

    Hyde bekam Risse in den Augen. "Wenn ein Mahann eine Frahau ausreichend nett und ... gutaussehend findet, dann läd er sie zum Essen ein."

    "Um sie zu essen?", wollte C wissen, und Hyde sah ihn mit zuckendem Augenlid an.

    "Nein, du Freak!", schimpfte sie. "Um mit ihr gemeinsam zu essen ... in einem Restaurant. Einem Ort, an dem man etwas zu essen kaufen kann!"

    C nickte verstehend und schwieg einen Moment, in dem Emilia ihre Beine an sich zog und mit ihren Armen fest umklammerte. Er schien es verstande zu haben. Sie schaute kurz aus dem Fenster, aus dem sie erkannte, dass der Sandsturm sich alle Mühe gab, die Umgebung in einen milchig orangenen Brei zu verwandeln.

    "Was heißt 'kaufen'?", setzte C plötzlich die Frage nach, und ein wütender Schrei schwängerte die Umgebung um das Auto herum, der sich langsam im tosenden Wind verlor.

    C schaute verwirrt. "Hast du Schmerzen?", wollte er wissen, und Hyde befürchtete, dass er sie noch aus Mitleid aufaß, deshalb verneinte sie das, auch wenn es nicht ganz stimmte.

    "Pass mal auf, mein Freund, ich gebe dir jetzt mal einen Crashkurs darin, was Menschen sind und was sie so machen. Nur, damit wir in der Siedlung nicht gleich so dermaßen auffallen, dass man uns gleich verhaftet. Was bei deinem Geruch beinahe unmöglich ist, aber ... was solls."

    Kurzerhand versuchte sie C klarzusammen, was Menschen waren, aßen, tranken - vor allem sich nicht gegenseitig. Es sei denn, man war ein "Monster". Dass man die Sachen, die man haben wollte, bezahlen musste. Dass man Geld verdiente, in dem man arbeiten ging oder plünderte. Alles das, was ihr auf Anhieb einfiel.

    C hörte zu, versuchte sich anscheinend alles zu merken und starrte sie unentwegt an. "Und eine andere Regel sagt: Starre niemals dein Gegenüber an! Blinzle zumindest mal, du wirkst wie ein Serienkiller ... Der du auch bist, aber ... das muss man ja nicht auf Anhieb merken."

    C blinzelte überrascht.

    "So ist es besser!", meinte Hyde und sah wieder aus dem Fenster. Der Sturm würde anhalten und die Sonne ging bereits unter. Ihr Mage begann zu knurren und ihre Lippen waren bereits vollkommen ausgetrocknet. Sie ahnte, dass sie unbedingt die Siedlung erreichen mussten, wenn sie bei Kräften bleiben wollte. Ansonsten sah C es vielleicht noch als Akt des Mitleids an, sie zu essen. Nachdenklich schwieg die taffe Frau und wurde sich allmählich über die Tragweite der Geschehnisse bewusst. Jackel hatte Recht. Sie hatten beide alles verloren - mal wieder. Erst den gesunden Menschenverstand, jetzt ihre Identitäten. Schon oft hatte Hyde auch Jackel mit ihren Aufträgen an den Rand des Wahnsinns geführt, aber nie war es so schlimm gewesen. Nie standen sie auf der Abschussliste ihrer Arbeitgeber. Und für was das alles? Hyde schielte kurz zu C, der eher wahllos seine Umgebung musterte. Für ein Wesen, das den Charakter eines Neugeborenen besaß. Einem Neugeborenen, das Menschen aß. Was für eine kranke Scheiße lief bei VEN? Was sollte jemand wie er der Organisation bringen? Reinen Mord an anderen? Einen strategischen Vorteil? Waren die Menschen nicht mehr gut genug?

    "Es wird dunkel", merkte C an, und Hyde nickte.

    "Sag mir jetzt nicht, dass du Angst im Dunkeln hast", antwortete sie müde.

    "Ich jage im Dunkeln", konterte er und ja, das machte mehr Sinn.

    "Daraus wird heute Nacht nichts. Der Sturm wird das verhindern. Wir sollten bis morgen früh warten, bis wir irgendetwas tun."

    Nach Stunden des Schweigens schlief Hyde ein, obwohl sie mit aller Macht versucht hatte, das zu verhindern. Wer wollte schon in der Gegenwart eines Menschfressers einschlafen? Aber diesen Kampf verlor sie, bevor der Morgen graute.

    Jackel atmete tief durch, als sie merkte, wie sich Hyde in das Innere ihres Kopfes zurückzog. Nun war sie alleine ... mit einem Monster. Aber bevor sie erneut zu Weinen anfing, riss sie sich zusammen und atmete tief durch. Sie versuchte, in dem Ding vor ihr, eine andere Lebensform zu sehen, auf welche sie schon sehr oft getroffen war. Zwar versuchten jene, sie nicht zu fressen, aber auch das musste Emilia hinten anstellen, wenn sie nicht noch in Hydes Kampfanzug pinkeln wollte.
    Für die junge Frau fühlte es sich an, als liefe sie Gefahr, das falsche Kabel einer Bombe durchzuschneiden, wenn sie etwas Falsches sagte, aber sterben würde sie auch so, wenn sie dort liegenblieb.
    "Sie werden kommen und nachsehen, ob wir tot sind", merkte die Ärztin leise an. "Die VEN, meine ich. Sie überlassen nichts dem Zufall. Wir sollten ... verschwinden."
    "Wohin?", wollte das Wesen wissen und mustert sie ruhig.
    Das war eine gute Frage ... eine sehr gute Frage, über die Jackel erstmal nachdenken musste. Als Hyde ihr von der Mission erzählte, hatte jene erwähnt, wo der Auftrag stattgefunden hatte, daher ...
    "Wir müssen nach Norden. Irgendwo dort gibt es eine kleine Siedlung. Vielleicht können wir uns dort erstmal verstecken und finden jemanden, der uns hilft. Immerhin können wir nicht als wir selbst herumlaufen. Wir brauchen ... neue Klamotten und ... so etwas. Du brauchst vor allem erst einmal etwas, das die Bezeichnung von Kleidung überhaupt verdient. Wobei ich dankbar bin, dass du das Konzept dessen überhaupt verstanden hast, wenn du kein Mensch bist."
    Ein hysterisch, unsicheres Lachen folgte von Emilia und sie versuchte, sich aufzurichten. Das war mit all dem Geröll gar nicht so leicht, aber da sie nicht allzu verletzt schien, gelang es ihr.
    Das Ding schaute sie noch kurz an, während sie sich aufrichtete und begann dann, zu graben.
    "Und wie nennt man dich?", wollte sie wissen, damit sie es nicht immer "Monster" oder "Ding" in ihren Gedanken nennen musste. Innerlich beschloss sie aber zunächst, dass es sich bei ihm um einen Er handelte. Körperbau und Stimme sprachen dafür.
    "Ich weiß nicht", antwortete es und zerrte an einem Balken herum. "Sie nannten mich 'Hundertsiebenunddreißig'."
    "Eine Nummer. Naja, das spricht schon dafür, dass du kein eigenständiges Wesen bist, sondern vielmehr ein ... Erfindung."
    Jackel half etwas und nahm ein paar lose Brocken zur Hand, um sie an das andere Ende des winzigen Raumes zu legen, der ihnen geblieben war. Hundertsiebenunddreißig legte unterdessen den Balken achtlos zur Seite.
    "Und das heißt?", hakte er nach, ohne sie anzusehen - was ihr ganz recht war - und kümmerte sich weiter um einen Ausgang.
    "Naja ...", setzte Jackel unsicher an, weil sie nicht wusste, ob er hören wollte, was sie zu sagen hatte. "Das heißt, ein Teil von dir kann sehr wohl menschlich sein. Wahrscheinlich sogar über neunundneunzig Prozent. Der Rest ist etwas anderes und lässt dich so aussehen wie du aussiehst und sein wie du bist. Es bedeutet, dass dich Menschen hergestellt haben, einen Hybriden, dessen Zweck oder Verwendung mir nicht bekannt ist."
    Urplötzlich wandte sich Hundersiebenund-geht-das-nicht-kürzer ihr zu und starrte sie mit seinen gelben Schlangeniriden an.
    "Kannst du das herausfinden?", wollte er wissen, und Jackel hielt erschrocken inne.
    "Ich? Öhm ... Ja, das kann ich. Wenn ich die Geräte dazu hätte, könnte ich womöglich sogar deine DNA-Spender herausfinden, dein Alter und ... eigentlich alles. Nur von hier aus geht das natürlich nicht. Ich brauche ein Labor. U-Und ich müsste bis dahin am Leben bleiben."
    "Ich gehe nicht mehr in ein Labor!", meinte er dann und grub weiter.
    "Du musst ja auch nicht mitkommen", erwiderte Emilia nuschelnd. "Es reicht, wenn ich ein paar Zellen von dir isoliere. Dazu reicht Speichel, Blut oder ..." Sie musterte ihn noch einmal. "Sagen wir Speichel oder Blut!"
    Haare besaß er ja anscheinend keine.
    "In Ordnung", stimmte er schließlich zu, und Jackel hoffte, dass das ebenso bedeutete, sie vorerst am Leben zu lassen.
    Nach einiger Zeit schafften sie es, sich einen kleinen Tunnel zu graben, der sie nach draußen brachte.
    Die Bombe, die VEN auf sie losgelassen hatte, hatte in einem Radius von zwei Kilometern alles dem Erdboden gleichgemacht, sodass Emilia sich kurz am Nachthimmel orientieren musste, damit sie nicht noch in die falsche Richtung liefen.
    Dennoch mussten sie sich beeilen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann VEN dort nach ihren Leichen suchen würde - und keine fanden.
    Humpelnd und ungelenk folgte Emila dem Hybriden, der etwas schneller zu Fuß war, was er auch anmerkte.
    Die Ärztin konnte ohne Schmerzmittel aber keine Abhilfe schaffen, was ihre Gehbehinderung anging. Die Verstauchung würde sie noch eine ganze Weile verlangsamen.
    Die Wolkenkratzer in etwas Entfernung konnten aber eventuell gegen aufkommenden Durst und Schmerzen Abhilfe schaffen, wenn sie nicht vollständig geplündert worden waren. Humane Reisende und Sucher in der Zone nahmen oftmals nur mit, was sie brauchten und ließen Kleinigkeiten für andere zurück. Ein ungeschriebenes Gesetz unter den Bewohnern, was aber nicht alle Plünderer einhielten. Emilia musste auf etwas Glück hoffen.
    "Können wir dir nicht einen anderen Namen geben?", wollte Emilia irgendwas wissen. "Für eine passende Identität brauchen wir ohnehin einen und der andere ist eindeutig zu lang."
    "Mach doch", erwiderte er desinteressiert und musterte ihren Arm.
    "Ich?", hakte sie noch einmal nach. "Ich soll das machen? Du musst doch dann auf den Namen hören und dir muss er gefallen, also ..."
    Sie verschränkte automatisch ihre verletzte Hand auf den Rücken. Sie wollte sie nicht noch abgebissen bekommen.
    "Ich kenne keine Namen." Er hielt kurz inne und betrachtete nur ihren linken Arm. "Was sind das für Bilder?"
    Verwirrt darüber, dass ihn nicht die Verletzung, sondern die Tätowierungen interessierten, atmete sie erleichtert durch.
    "Achso, die", sprach sie lachend. "Das sind Tätowierungen. Hyde hat sie machen lassen und für die linke - ihre - Körperhälfte habe ich es ihr erlaubt. Das sind Muster oder Bilder, die eine tiefere Bedeutung für den Träger haben. Für Hyde ist das der einsame Wolf und so etwas. Sie vertraut keinem und arbeitet lieber alleine. Das lassen sich die Menschen freiwillig auf die Haut malen, für die Ewigkeit. Also, solange sie leben ... Hyde kennt vermutlich auch mehr Männernamen als ich."
    "Ich habe auch so eine ... Tätowierung."
    Emila sah den Hybrid an und dieser offenbarte ihr danach seine vollständige Produktnummer, was ihre Theorie noch einmal untermauerte.
    "Das ist nicht das gleiche", erklärte sie jedoch. "Deine war sicherlich nicht freiwillig. Sie beschreibt die Forschungsreihe. Du stammst aus der Reihe C und du bist das hundertsiebenunddreißigste Modell. Was mich mitunter noch mehr beunruhigt, sollte es mehr wie dich geben."
    "Gibt es nicht!", antwortete C und Emilia sah ihn an.
    "Da bist du dir sicher?", wollte sie wissen, denn anhand seiner Gefangenschaft konnte das mitunter unmöglich sein, dass er das explizit sagen konnte.
    "Sie sagten immer, ich wäre der einzige Erfolg. Der Rest war ... Nahrung."
    "O-kaaaay", antwortete Jackel gedehnt und mehr als verunsichert. "Seine eigene Art essen lassen, das ist ja kein bisschen abscheulich ... Kein Wunder halten sie dich geheim. Das Vorgehen deiner Erschaffer verstößt so ziemlich gegen alles, was die Ethikkommission jemals beschlossen hat."
    "Die was?"
    Jackel überlegte, wie sie das am besten erklären sollten.
    "Es gibt einen Rat aus Menschen, die noch über Firmen und Gemeinschaften wie VEN steht. Diese Menschen bestimmen, was richtig und was falsch ist. Menschen mit anderen Spezies mischen ist etwas, was diese Personen gar nicht gerne sehen. Wenn dieser Rat mitbekommt, was VEN getan hat, wird es dort einen kompletten Umsturz geben und die Verantwortlichen werden ihrer Ämter enthoben. VEN mag die Erde beschützen, aber sie sind nicht Alleinherrscher hier. Auch VEN muss überwacht werden. Und wie man sieht, genauer als man denkt."
    "Dann bin ich eine Gefahr für sie", erkannte C richtig.
    "Ja und ich auch, denn ich weiß von dir."

    Hyde lag auf einer Liege, um sie herum ein Trugbild einer Tropenlandschaft samt azurblauem Meer. Die passenden Geräusche zur Optik kamen aus unsichtbaren Lautsprechern und selbst der Wind wurde naturnah simuliert.
    Sie hatte Urlaub und genoss ihn, wobei sich allmählich die Langeweile in ihr breitmachte. Kein Cocktail - oder der darin enthaltene Alkohol - konnte die Leere füllen, die sie verspürte. Irgendwann waren alle Feste gefeiert, alle besteigbaren Typen bestiegen und ... Nach über sechs Wochen der Ruhe wurde Hyde stinklangweilig. Seufzend lag sie in der Liege und zählte bereits die Sekunden, da meldete sich ihr Kommunikator und sie leitete die Nachricht auf den Stecker in ihrem Ohr weiter.
    "Emilia Hyde wird umgehend im Besprechungsraum A3 verlangt. Wir bitten um Diskretion, danke für Ihr Verständnis."
    "Alpha und Omega sei dank", stöhnte Emilia und richtete sich auf. "Ich dachte schon, ich müsste mir ein Hobby suchen."
    Die junge Frau warf sich einen Bademantel über, schlüpfte in ihre Samtschuhe und stapfte so aus dem Erholungsbereich des Raumschiffes. Da sie ihr Glas noch nicht geleert hatte, beschloss sie, es einfach mitzunehmen.
    Binnen kürzester Zeit stand sie im Raum A3, umgeben von ihren Vorgesetzten, die sie verwirrt musterten, während Hyde den letzten Rest ihres Cocktails durch den geschlängelten Strohhalm sog. Das Geräusch hallte durch den Raum und sorgte dafür, dass die Blicke der Herren nur noch skurriler wurden.
    "Was?", hakte Hyde nach. "Es hieß 'umgehend'!"
    Captain Lorres, ein Mann Ende vierzig, räusperte sich und zog die Krawatte seiner Uniform gerade.
    "Naja, die Zeit, sich etwas anzuziehen, hätten wir Ihnen geben."
    "Ich habe doch etwas an!", entgegnete Hyde, zog den Gürtel ihres Bademantel etwas enger und suchte sich einen freien Platz.
    "Die VEN bittet uns, ihnen bei einem entflohenen Alien behilflich zu sein", fing Lorres umgehend an und fuhr sich durch sein dunkelbraunes Haar. "Dazu haben sie uns einen Kontaktmann geschickt, der uns alles erklärt."
    Kaum hatte Lorres dies fertig erzählt, stand bereits ein recht jung wirkender General auf und legte die passende Projektion in die Mitte des Tisches.
    "Guten Tag meine Damen und Herren. Mein Name ist Devin Cromwell und ich bin ihr Kontaktmann bei dieser Mission."
    "Was der wohl für eine Haarspülung benutzt ...", schweifte Hyde unterdessen gedanklich ab, während der blonde Herr dem Rest alles erklärte. "Sein Haar glänzt wie Seide. Der Wahnsinn ... Wie der wohl so jung General geworden ist? Lorres schuftet seit Jahrzehnten für die VEN und dümpelt auf diesem Idiotenfrachter herum. Dieser Cromwell hat sicherlich Beziehungen." Ein leises Kichern drang über ihre Lippen und wieder waren die Blicke auf Emilia gerichtet. Diesmal räusperte sie sich und bat per Handzeichen Cromwell, fortzufahren. "Sicherlich tiefgehende Beziehungen, dieses Ferkel ..."
    "Haben sie alles soweit verstanden?", wollte der General wissen.
    Emilia nickte, auch wenn sie keinen Meter zugehört hatte - wie üblich.
    "Beim Scheitern der Mission wird die VEN jede Art von Beteiligung von sich weisen", fügte der Blondschopf mit seinen undurchdringlichen braunen Augen hinzu und sah jeden der Einsatzkräfte der Truppe an, die Lorres trotz Urlaubszeit entbehrte. "Also sorgen sie bitte dafür, dass sie nicht scheitern."
    "Machen Sie sich mal keine Sorgen. Ein einzelnes Alien einfangen ... Wie schwer kann das schon werden?", sprach Hyde. "Sie werden ja nicht ohne Grund zu uns gekommen sein, wenn Sie der Meinung wären, diese Leute hier wären zu nichts zu gebrauchen."
    "Das stimmt wohl", bestätigte Cromwell, allerdings erst nach einem nachdenklichen Zögern. "Aber es liegt auch daran, dass wir vom inneren Bereich zur Zeit niemanden entbehren ... können!"
    "Wann soll es losgehen?", wollte Emilia wissen und wurde bereits zum dritten Mal seltsam angesehen.
    "Wie ich bereits sagte", wiederholte sich der General beinahe schon genervt, "in einer Stunde. Die Zeit drängt und wir dürfen nicht riskieren, dass sich das gesuchte Objekt fortbewegt."
    Da dieser Teil der Information anscheinend zu dem gehörte, was bereits vorgetragen worden war, aber Emilia verpennt hatte, war die Reaktion vermutlich verständlich.
    "Eine Stunde ...", meinte Hyde und sog Luft durch ihre zusammengebissenen Zähne, "das wird knapp."
    "Knapp?", fragte Cromwell und betrachtete sie strengen Blickes, während Lorres tief in seinem Sessel versank.
    "Also, zuerst einmal muss ich mich duschen, dann etwas Körperpflege betreiben. Ich will ja nicht stinken wie die Jungs, wenn man uns in ein winziges Raumschiff zwängt, um uns über dem Zielort abzuwerfen. Zudem ist mein Kampfanzug noch in der Rei-"
    "Sie werden über einem verdammten Ödland abgeworfen!", schrie der General los und unterbrach damit Hydes Ansprache.
    Allerdings zuckte diese nicht einmal zusammen. Diese Gegenargumente war sie bereits gewohnt.
    "Es ist der Mannschaft scheiß egal, nach was Sie riechen!", fuhr er fort. "Sie haben in einer Stunde im Hangar zu sein!"
    "Da hat wohl jemand seine besondere Woche", nuschelte Emilia ihren Kameraden zu, von denen einige versuchten, ihr Grinsen hinter einem Stück Papier zu verbergen.
    "Abtreten!", schrie Cromwell und zeigte strikt mit seinem manikürten Zeigefinger in Richtung Tür.

    "Wer glauben die, wer ich bin? Einer ihrer Soldaten?", begann Emilia Selbstgespräche, nachdem sie sich in ihren hautengen Kampfanzug gezwängt hatte. "Jackel, echt einmal, noch ein Eis abends mehr und wir erleben eine unschöne Überraschung, wenn ich mich bücke."
    Auch wenn Hyde wusste, dass ihre andere Hälfte sie nicht hören konnte, wollte Hyde diese Tatsache nicht unausgesprochen lassen. Ihr sensibleres Ich hatte anscheinend im Urlaub nichts Besseres zu tun, als sich Unmengen an Filme anzusehen und dabei Süßkram zu futtern, den sie dann wieder abtrainieren durfte. Eine verhältnismäßig geringe Strafe dafür, dass Hyde ganz andere Dinge tat, die Jackel ausbaden durfte.
    "In einer Stunde ...", äffte die junge Frau noch einmal den unsympathischen General nach, dessen Auftrag ihr zwar die Langeweile nahm, aber trotzdem nervte. Konzentriert kontrollierte Emilia ihren Gürtel und versicherte sich, alles dabei zu haben. Vor allem die Ampullen, von denen sie eine zur Hand nahm, auf dem der Buchstabe "H" stand. Das sollte sicherstellen, dass Jackel die Mission nicht behinderte und weiter in ihrem Inneren schlummerte. Rasch spritze sie sich das Mittel in den Hals und warf die leere Kartusche in den Müll. Einmal ließ sie ihren Nacken kreisen, um das unangenehme Gefühl zu vertreiben, dass die Injektion jedes Mal auslöste. Es war ein Kribbeln, als würde eine Horde Ameisen an ihrem Hals und im Nacken hinaufmarschieren.
    Dann musste sie los und würde mit den obligatorischen zehn Minuten Verspätung eintreffen. Aber da die Mechaniker noch am Raumschiff zu Gange waren, fiel es beinahe nicht auf.
    Cromwell verteilte unterdessen neue Kommunikationsgeräte und sammelte die anderen ein. Das kam Emilia irgendwie seltsam vor, aber hinterfragte dieses Vorgehen nicht weiter, als der General meinte, dass dies an der Sicherheitsstufe lag, die sie bearbeiteten. Er war nun ihr Kontakt, nicht Lorres. Wie sonst auch drückte sie sich den Stöpsel ins Ohr und bestieg dann das Raumschiff.
    Wie Hyde während des Flugs mitbekam, wurden sie über einem Flugzeugwrack abgeworfen. Landen wollte der Pilot nicht. Gut nur, dass Hyde nicht unter Höhenangst im Gegensatz zu Jackel litt, die sich schon auf einer Leiter in den Overall schiss. Dabei befand sie sich all die Zeit im All ... im luftleeren Raum, aber bei einer Leiter zog die Ärztin ihre Grenze.
    Hin und wieder dachte Hyde auch darüber nach, was für eine Art Alien der VEN wohl entflohen war. Die einfachen Besatzungen bekamen kaum etwas mit, was die Obrigkeiten beschlossen. Es sei denn, es handelte sich um direkte Befehle. Kämpfen, nicht kämpfen, retten, nicht retten. Sie waren Schachfiguren. Gut bezahlte Schachfiguren und zudem mussten sie nicht mit den Aussteigern in der Ödnis um das Überleben kämpfen. Also worüber sollte sie sich beschweren? Höchstens darüber, dass das Haar des Generals mehr glänzte als ihres.

    Die Warnleuchten blinkten und der überaus nicht nervtötende Ton erklang, der alle aufforderte, aus der Luke auszusteigen, die sich am hinteren Teil des Raumschiffes öffnete.
    Die übereifrigen Herren in ihren schwarzen Ganzkörperanzügen, sechs an der Zahl, stiegen vor Emilia aus. Sie hatten zuvor schon Wetten abgeschlossen, wer das Alien einfängt und bei der Rückkehr einen Abend lang nichts zu zahlen hatte. Hyde interessierte das nicht. Sie wollte ins Geschehen und heil wieder raus. Und da sie auf Schusswaffen immer verzichtete, war sie ohnehin nicht die Person, die voranging, sondern sie beobachtete zunächst alles aus sicherer Entfernung, um ihren Gegner zuerst einschätzen und dann ausschalten zu können. Hinzu kam, dass VEN das Alien lebend haben wollte - wenn es ging. Daher sollte es lediglich betäubt und nur in der Not erschossen werden.
    Emila stieg als letzte Turnbeutelvergesserin aus und sah schon nach kurzer Zeit dem Wrack des Flugzeugs. Weit und breit war nur Sand, Geröll und ein paar zerstörte Gebäude. Durch den Wind, der ungehalten über die Landschaft fegen konnte, sah es aus, als sei alles von einem rötlichen Nebel umhüllt. Insgesamt wirkte die Gegend überaus trostlos. In diesem Radius, den sie erblicken konnte, sollte sich das Alien aufhalten, das VEN zurück benötigte. Das sollte nicht allzu schwer werden, denn rundum gab es nicht viel, wo es sich verstecken konnte.
    Emilia sprang und öffnete zur gegebenen Zeit ihren Fallschirm, der sie sicher zum Boden gleiten ließ. Unten angekommen, löste sie den Schirm und sah dabei zu, wie Derek bereits die Landezone für das Shuttle kennzeichnete, wenn ihre Mission erfolgreich gewesen sein sollte. Hyde zog sich ihren Helm vom Kopf und musterte die Gegend. Es war ruhig. Nur der versprochene Wind pfiff über den ebenmäßigen Boden und das Klicken der Schusswaffen der Männer erklang, welche die Betäubungspfeile einlegten.
    "Wir sollten uns zuerst das Wrack ansehen!", gab Derek, der rund einsneunzig große Soldat von sich und zog auch seinen Helm ab, der sein von Narben durchzogenes Gesicht offenbarte.
    Wortlos nickte Emilia und folgte dem Rest zum ausgebrannten Gerippe, das förmlich im Sand zu stecken schien. Die Geräuschkulisse veränderte sich, als die schweren Stiefel das Metallgehäuse betraten und von Heranschleichen konnte nicht mehr die Rede sein.
    "Keine Überlebenden!", meldete ein anderer Soldat.
    "Wundert mich gar nicht", nuschelte Hyde und betrachtete die Fetzen, die überall um die Absturzstelle herumlagen.
    "Ist sich Cromwell sicher, dass sein Alien überhaupt noch lebt, wenn es in dem Frachter gewesen war?", stellte wieder ein anderer infrage.
    Es riecht nach Tod ...
    Hyde zuckte mit ihren Schultern und alle gingen in den Bereich, der einmal der Frachtraum gewesen war. Dort änderte sich das Bild und der Geruch rapide. Waren zuvor Cockpit und Sitzbereich lediglich vom Absturz zerrissen gewesen, so sah der Frachtraum aus, als hätte dort zusätzlich noch ein Kampf stattgefunden. Überall hing vertrocknetes Blut an den verbogenen Wänden und Brocken undefinierbarer Körperteile lagen herum. Einer der Soldaten musste eilig seinen Helm abnehmen und vergeudete das gute Mittagessen an den Boden außerhalb des Wracks.
    "Das kann auch durch den Absturz verursacht worden sein", gab Derek zu bedenken und sah sich um. "Wenn die Menschen durch die Gegend geschleudert wurden ..."
    "Das stimmt", gab ihm Emilia zunächst recht. "Aber wo sind dann die Leichen. Der Absturz hat sie sicherlich nicht atomisiert."
    "Aussteiger?", fragte ein anderer. "Vielleicht haben die alle beerdigt, bevor wir kamen."
    Derek schüttelte seinen Kopf. "Nein, die zerfleddern bloß die leblosen Körper und laufen weiter."
    "Scheint so, als habe unser gesuchter Freund den Absturz überlebt und er die Leichen weggeschafft", mutmaßte Hyde und verließ das Wrack. "Wir sollten uns in den Gebäuden umsehen. Allem voran ...", ihr Blick fiel auf die nahegelegene Kirche, "dort!"
    "Glaubst du etwa, unser Alienfreund ist gläubig geworden?", erklang es von Seiten desjenigen, der sich nochmal sein Essen hatte durch den Kopf gehen lassen.
    "Nein!", antwortete Emilia sachlich. "Aber dort drin ist es kalt und dunkel, während hier draußen bereits knapp vierzig Grad sind. Nicht einmal wir halten es lange ohne Wasser in diesen Anzügen aus. Zudem gibt es in den meisten Kirchen Brunnen zum Weihen von ... Zeugs. Das verspricht zumindest Wasser ..."
    Nach dem Anblick des Wracks, sah Hyde im Augenwinkel, wie einige der jüngeren Soldaten ihre Waffe mit scharfer Munition ausstatteten. Dies war zwar nicht das, was ihnen nahegelegt worden war, aber es beruhigte auch Emilia etwas, dass sie nicht nur mit Heija-Bubu-Kapseln schossen. Wer wusste schon, wie das Ding darauf reagieren würde.
    Vorsichtig brachten alle die Distanz vom Wrack zur Kirche hinter sich und Emilias Nackenhaare stellten sich auf.
    Wir werden bereits beobachtet!
    Die Soldaten erhoben ihre Waffen, entsicherten sie und passierten voran die Mauern der ehemaligen Glaubensstätte. Hyde hielt etwas Abstand. Sie wollte sich nicht noch einmal eine Kugel einfangen, nur weil jemand einen nervösen Finger besaß.
    Die Gruppe teilte sich auf.
    Derek lotste drei - mit ihm einbegriffen - links um die Kirche herum, der Rest sollte rechts herumgehen und zunächst den Außenbereich absichern. Danach würden sie erst das Gebäude betreten.
    Hyde betrachtete derweil die alten Grabsteine, die rechts neben der Kirche standen. Die Witterung hatte die Gravuren unleserlich gemacht und würden das Geheimnis, wer alles dort lag, nicht mehr preisgeben. Es war totenstill. Nur die Schritte auf dem sandigen Untergrund zeugten von der Anwesenheit der Truppe.
    "Bei uns ist alles ruhig!", erklang es durch Emilias Knopf im Ohr.
    "Bei uns auch!", antwortete einer der Soldaten, der vor Hyde lief. Aber kaum geantwortet, erklangen plötzlich Schüsse von der anderen Seite der Kirche und alle nahmen buchstäblich ihre Beine in die Hände und rannten um das Gebäude herum. Immer mehr Schüsse und Geschrei folgten. Emilia glaubte sogar die Worte "Abbrechen, abbrechen ..." zu hören, aber zwischen all dem Lärm hätte das auch "Erbrechen" gewesen sein können.
    Ihre Mannschaft kam am Ort des Geschehens an und was sie sahen, war nicht die Art von Alien, die sie irgendwie erwartet hätten.
    Eine humanoide Lebensform richtete sich vor ihnen auf, während die drei Soldaten blutend am Boden lagen.
    Ein spitzer Schrei entwich der Kopfgeldjägerin und mit weit aufgerissenen Augen sah sie das Wesen an.
    "Was bei allen Sternen ...", stotterte Emilia und sah, wie das Wesen seinen auseinandergeklafften Kiefer zu einem Gesicht zusammenfügte und eine überaus lange Zunge zurück in dem verschwand, was seinen Mund darstellen sollte.
    Das Ding sah aus wie eine Mischung ... Als hätten ein Nacktmull, ein Kolibri und ein Primat ein Kind des Grauen gezeugt. Zerfetzte Kleidung hing vom fahlen Körper der Gestalt, die sich in den Schatten der Kirche zurückzog.
    Wild begann auch ihr Trupp zu schießen, während Hyde zu den Männern lief, aber nichts weiter als deren Tod feststellen konnte. Ihre Gesichter waren geradezu zerfetzt worden, ebenso wie Teile ihrer Körper.
    "Das Vieh wollte sie fressen!", schrie einer der Männer und rannte in die Kirche, dicht gefolgt von seinen Kameraden.
    "Das Vieh hat gerade drei unserer Leute getötet und ihr rennt ihm in gleicher Anzahl nach?", schrie Hyde. "In ein Gebäude mit Deckungsmöglichkeiten? Seid ihr irre?"
    Kurz war Hyde überlegt, eine der daliegenden Waffen zu ergreifen, entschied sich aber dagegen. Sie war keine gute Schützin und wenn sie daneben schoss, dann machte sie das Ding womöglich nur noch aggressiver. Sie sah sich hektisch um und ihr Herz schlug ihr bis in den Kopf. Sie musste anders vorgehen.
    In etwas Entfernung entdeckte sie eine Bodenluke zum Keller der Kirche. Vermutlich ein alter Eingang für Vorräte. Rasch nahm sie ihren Schneidbrenner zur Hand und durchtrennte das rostige Schloss, um die beiden alten Holzklappen öffnen zu können. Der Gestank, der ihr dann entgegenschlug, war bestialisch.
    "Was ist das für ein Alien?", wimmerte sie mit dem Unterarm an ihrer Nase. "Den Geruch bekomme ich nie wieder aus meinen Haaren."
    Hyde aktivierte die Taschenlampe an ihrem Anzug, die den Boden vor ihr erhellte, so wie etwas die Umgebung. Es war kühl und düster in dem alten Gewölbe, von dem sie sich sicher war, dass er ein etwas neuerer Friedhof darstellte.
    Während sie den Hinterhalt vorzog, hörte sie etwas entfernt die anderen schießen und schreien. Als lautstarke Meldungen in ihr Ohr drangen, schaltete sie den Kommunikator aus.
    Diese trainierten Gorillas sind selbst Schuld. Rennen einfach einem Feind nach, den wir nicht kennen!
    Aber Emilia musste feststellen, dass es die Schreie nur dämpfte, sie nicht direkt im Ohr zu haben. Die Steindecke war wohl nicht dick genug, die Vorgänge über ihr im Keim zu ersticken.
    Aber sie musste sich auf sich selbst konzentrieren. Irgendwie musste sie die Mission zu Ende bringen. Und wenn nicht, zumindest zur gegeben Zeit den Rückzug antreten. Sie lief also weiter und bog um ein paar Ecken, wobei der Gestank immer intensiver wurde. Die junge Frau bereitet sich innerlich darauf vor, gleich auf ein paar Leichen zu treffen. Für den Anblick, der sich ihr dann bot, war aber nicht einmal sie unempfindlich genug. Sie dachte zumindest einmal kurz über Erbrechen nach. Halb verweste Leichen baumelten von einem alten Wasserrohr, das an der Decke entlang lief und es wirkte, als sei Hyde gerade tatsächlich in den Vorratskeller der Kreatur geraten.
    Es reichte ihr. Kurzerhand rief sie Cromwell an und schilderte ihm die Situation, von der sie sicherlich Bescheid wussten. Der General tat auch gar nicht so, als habe er die Schreie und Tatsachen nicht vernommen, die von der Truppe ausgetauscht worden waren.
    "Sie haben einen Befehl!", sagte er nur. "Ich sagte Ihnen, wenn Sie scheitern, wird VEN jedwede Beteiligung abstreiten."
    "Abstreiten ist das eine ...", entgegnete Hyde leise. "Aber uns abholen ..."
    "Ohne das Alien wird niemand abgeholt!", erwiderte Cromwell strickt, dem Hyde spontan akuten Haarausfall wünschte ... und noch mehr. "Scheitern Sie, scheitert die Mission und wir sind gezwungen, alle Beweise zu vernichten."
    "Soll das heißen ..."
    "Sie haben noch fünfzehn Minuten, nachdem nun die Lebenszeichen ihrer Kameraden erlischt sind, um das Objekt zu sichern. Danach werden wir einen Präventivschlag einleiten."
    "Einen was?", sprach Hyde ungewollt laut. "Wegen einem Alien? Ist das überhaupt ein Alien? Was ist das?"
    Keine Antwort erklang mehr aus dem Kommunikator und auch sonst herrschte erneut Totenstille. Keine Schüsse oder Schreie waren mehr zu hören. Das Einzige, was Emilia vernahm, waren urplötzlich Schleifgeräusche und Schritte.
    Panisch sah sie sich um und entdeckte einen alten hölzernen Kleiderschrank.
    Ich verstecke mich vor einem Monster in einem Schrank ... Der Tag wird immer mieser!
    So lautlos wie möglich stieg Hyde in den Schrank, schaltete ihre Taschenlampe aus und ließ die beiden Türen einen Spalt offen. Nach einer Weile entdeckte sie das Nicht-Alien. Es schleifte zwei Soldaten in sein ... Nest und hängte mit Hilfe alter Seile auch sie an das Rohr, welches schon bedrohlich knarrte.
    Ich bin bei einem verdammten Kannibalen gelandet! Jackel wird mich umbringen, wenn es das Ding nicht tut.
    Diese Erkenntnis sorgte dafür, dass Hyde sich nicht besser fühlte. So gar nicht. Auch als sie in der Enge ihren Kommunikator aus der Tasche zog, um die Zeit zu kontrollieren, wurde ihr Angst und Bange. Sie hatte noch zwölf Minuten Zeit, ehe VEN ihren wohlgeformten Arsch in die Luft sprengen würde.
    Was mache ich jetzt? Was mache ich jetzt?
    Hyde riskierte einen weiteren Blick und sah die Kreatur wieder den Raum verlassen. Mit so etwas hatte sie es noch nie zu tun gehabt. Mit Straftätern, mit entflohenen Kriegsgefangenen ja, aber ein Wesen, das andere Menschen fraß, war ihr vollkommen unbekannt. Vor allem eines, das sich blitzschnell zu bewegen wusste und für welches diese Umgebung ideal war, sich zu verstecken.
    Als Emilia in etwa sicher war, dass das Ding den Raum verlassen hatte, öffnete sie die Schranktüren und trat nach außen. Die junge Frau konnte nur mutmaßen, dass das Monster die restlichen Leckerbissen ebenfalls dort in den Keller schleifen würde, daher galt es, diesen schnell zu verlassen.
    So leise, aber schnell wie möglich, suchte sie in dem bestehenden Teil der Kirche nach der Treppe, die sie nach oben bringen würde. Sie musste sich ein Versteck suchen. Irgendetwas, das eine Explosion einigermaßen überstehen konnte. Aber als sie oben ankam, stellte sie lediglich fest, dass nur noch Segmente der alten Kirche standen. Von außen zunächst nicht umgehend ersichtlich, gab es beinahe kein Dach mehr, nur Bruchstücke des Gebälks mit Ziegeln und teils blanke Wände umrahmten das Innere, die wegen der teilweise erhaltenen Fenster den Eindruck erweckt hatten, es stand besser um das Gebäude. Hydes Kampfgeist kehrte dennoch zurück. Heute würde nicht der Tag werden, an dem sie den Löffel abgibt, nein. Sie hatte ein Toupet mit Cromwell zu rupfen. Dieser Kerl hatte sie in eine Todesfalle gelotst. Und er wusste darum!
    Hyde passierte den Altar, der gerade noch so erkennbar war und suchte etwas Deckung zwischen den herumliegenden Sitzbänken. Da trat das Alien auch wieder ins Innere. Es schien die Sonne zu meiden, denn es hatte sich die Kapuze seines zerfledderten Pullovers über den Kopf gelegt. Still schweigend tat Emilia einen Schritt nach dem anderen von dem Wesen weg, als sie plötzlich gegen einen Stein trat. Das Echo hallte zwischen den Wänden lauter wider, als es hätte nötig sein müssen.
    Nein!
    Vorsichtig lugte Emila um die Bank herum und sah, wie das Ding sich aufrichtete und sich umsah. Zunächst betrachtete es nur seine Umgebung, aber dann begann es sich, in leicht gebückter Haltung umzusehen.
    Hyde entschloss sich, den Rückzug anzutreten und schlich zur gegenüberliegenden Bank, um etwas Abstand zwischen sich und den Kannibalen zu schaffen. Aber es half alles nichts. Das Ding würde sie finden, also musste sie zunächst versuchen, die Situation zu beherrschen. Sie nahm einen tiefen Atemzug und stand auf.
    "S-Schönes Zuhause haben Sie da", sprach Emilia stockend und lenkte so die Aufmerksamkeit der Kreatur auf sich. "Es zieht etwas, aber ... das vertreibt schlechte ... Gerüche?"
    Das Wesen blieb stehen und betrachtete die junge Frau. Dabei klaffte immer mal wieder der Kiefer des Dings auf und zu, was ihn selbst unruhig wirken ließ. Als wusste es nicht, was es nun tun sollte.
    Emilia schluckte trocken.
    "I-Ich bin zwar keine Innenausstatterin, aber etwas Farbe würde den Wänden guttun. S-Steht das eigentlich unter Denkmalschutz? Nein?"
    Während die Kopfgeldjägerin redete, schritt sie vorsichtig Richtung Ausgang, kurz mit der Zeit im Auge, die ihren sicheren Tod bedeutete, wenn sie es nicht schaffte, einen Unterschlupf zu finden.
    "Was wollt ihr?", fragte die Kreatur mit kratziger Stimme, als sei es mal Kettenraucher gewesen.
    "Du-Du kannst reden? Das ist ja ... nicht noch unheimlicher, wow ... Also ... Wir, ich und die Kerle, die du getötet hast, wurden geschickt, um ein Alien einzufangen, aber ... das hat wohl nicht so gut funktioniert bisher."
    Immer noch schritt Emilia rücklings von dem Wesen weg, dabei versuchte sie, keine hektischen Bewegungen zu machen.
    Die Kreatur begann zu fauchen und öffnete noch ein Stück demonstrativ seinen Kiefer, während es plötzlich auf Emilia zuging.
    "Ich bin unbewaffnet!", erklärte Hyde und streckte ihre Arme leicht in die Luft, damit es sah, dass sie eigentlich keine Bedrohung darstellte. "Ich bin eine unbewaffnete Frau, die nicht vorhat, dich einzufangen!"
    Sichtlich überrascht legte das Ding seinen Kopf auf die Seite.
    "Sondern?", wollte es wissen, und Emilia erspähte links hinter sich die Treppe, die nach oben führte. Sie konnte nur beten, dass diese nicht mittendrin aufhörte, so wie alles in diesem Gebäude.
    Schnurstracks dreht sie sich um und rannte davon. Sie wusste nicht wohin, sie wusste nur, dass sie noch fünf Minuten besaß, bis ihr alles um die Ohren flog. So schnell sie konnte rannte sie die Treppe hinauf und hörte, dass das Wesen ihr folgte.
    "Hör auf, mir zu folgen!", schrie Emilia. "Ich will dir nicht wehtun müssen und ich hab dazu auch gar keine Zeit!"
    Zu ihrem Glück ging die Treppe weiter und führte so weit hoch, dass sie im Turm ankam, wo auch nur noch Bruchstücke vorhanden waren, aber zumindest stand dort das Dach noch. Eilig stieß Emilia die Tür auf und schlug sie gleich wieder hinter sich zu, um der Kreatur den Eintritt zu verwehren. Allerdings war es stärker als es aussah. Emilia konnte nur dabei zusehen, wie ihre Beine und Stiefel mit Leichtigkeit über den Boden geschoben wurden.
    "Ach, komm schon, das ist unfair!", krakeelte die Kopfgeldjägerin und ließ die Tür los, von der sich schnell rückwärts entfernte.
    Die Kreatur stieß die Tür ganz auf, richtete sich bedrohlich auf und knurrte sie weiterhin an. Dabei kam die junge Frau nicht umhin, das ganze Blut zu bemerken, das nicht nur an dessen Händen klebte, sondern auch sonst seinen halben Körper bedeckte.
    "Ich habe kein Interesse an dir!", erklärte Emilia. "Du bist mir scheiß egal! Ich würde nur gerne noch etwas leben. Lass mich einfach gehen!"
    "Und dann?", verlangte das Wesen zu wissen, während es sich Emilia näherte. "Kommen mehr?"
    "Mehr?", wiederholte Hyde und musste kurz lachen. "Nein. Es kommen nicht mehr, denn man hat meine Kameraden und mich hereingelegt. Das was kommt, ist das da!"
    Emilia zeigte auf die Rakete, die sich bereits im direkten Anflug befand und einen leicht sichtbaren Kondensstreifen am Himmel hinterließ.
    "Sie töten uns beide!"
    Ohne eine Antwort des Wesens abzuwarten, sprang Emilia durch einen breiten Riss in der Mauer des Turms auf einen winzigen Teil des noch stehenden Daches und schlitterte die Ziegel hinunter. Am Ende angekommen ergriff sie die rostige Regenrinne, die umgehend aus der Halterung gerissen wurde. Hyde schrie, was ihre Kehle hergab, und das war viel. Die Regenrinne brach vom Dach ab, machte eine 180°Wende und schleuderte Hyde durch ein großes Buntglasfenster der Kirche, wodurch sie in Begleitung von Lärm und fliegenden Glassplittern zu Boden stürzte. Zum Glück - eigentlich nicht - bremsten die herumliegenden Holzbänke ihren Fall. Stöhnend und vor Schmerzen windend, drehte sich Hyde auf den Rücken und versuchte, herauszufinden, ob sie stark verletzt war. Zwischen Geröll und Holzsplittern liegend, konnte sie das nicht sofort feststellen. Aber eigentlich besaß sie auch nicht die Zeit dazu. Die einzige Überlebenschance, die ihr noch blieb, war der Keller. Ziemlich ungelenk richtete sich Emilia auf und war sichtlich geschunden von ihrem Sturz. Blut lief an der Stirn hinunter, das rechte Bein tat ihr weh und auch ansonsten konnte sie jeden Knochen ihres Körpers spüren. Als sie sich an einer Bank festhielt, tropfte auch von ihrer rechten Hand genug Blut, um einen tiefen Schnitt zu markieren, den das Glas in ihre Handaußenseite gerissen hatte.
    "Die können mich nicht hinauswerfen und töten, ich kündige ...", nuschelte sie unter Schmerzen und versuchte, Richtung Kellertreppe zu humpeln.
    Unterdessen war die Kreatur wesentlich eleganter vom Dach gestiegen, indem es sich einfach an der Wand festhielt und diese kopfüber hinunter kletterte.
    "Na toll, Spiderman ist er auch", sprach Hyde mehr zu sich selbst als zum Wesen. "Hast du es immer noch nicht verstanden? Ich bin nicht dein Feind! Dieses fliegende Ding da draußen ist es aber."
    Unterdessen nahm Hyde ihren Kommunikator aus der Hosentasche und den Stöpsel aus dem Ohr. Falls sie es überleben sollte, wollte sie der VEN eine spätere Verfolgung nicht allzu leicht gestalten. Die Gerätschaften sollten zerstört werden.
    Das Ding lief dann an ihr vorbei, ergriff ihre linke Hand und zerrte sie mit in den Keller. Emilia konnte kaum schritthalten, da ihr Bein vermutlich verstaucht war, aber sie riss sich zusammen.
    "Wehe du frisst mich!", drohte sie in ihrer Verzweiflung. "Ich werde dir dann sowas von den Magen verderben, darauf kannst du dich verlassen!"
    Es vergingen nur wenige Sekunden, dann war der Aufprall der Rakete nicht nur zu hören, sondern auch zu spüren. Alles wackelte und versank in einer riesigen, heißen Staubwolke. Überall brachen hörbar Bauten ein, die zuvor noch gestanden hatten und auch der Keller gab leicht nach, indem Deckenteile hinunterkrachten. Gerade noch im Gewölbe angekommen, erfasste sie die Druckwelle von außen und knipste ihr zunächst die Lichter aus.