„Fuck“, presste Freddy beinahe ehrfurchtsvoll hervor. Jegliche Farbe schien aus seinem Gesicht zu weichen, als er den Kopf in den Nacken legte und wie gebannt auf das grausige Spektakel blickte.
Warum schien? "Jegliche Farbe wich ..."
„Willkommen in meiner Welt“, entgegnete ihm Micah während er ein zusätzliches Schwert aus der Halterung auf seinem Rücken zog und sich in Kampfstellung brachte. Wieviele Schwerter hat er denn? Wenn es zwei sind würde "sein" reichen.
„Denk dran. – Immer auf den Kopf zielen“, fügte er abgeklärt hinzu, als Freddy ihn bestürzt und mit halb offenem Mund von der Seite anstarrte. Er brauchte offensichtlich einige Sekunden, bis er begriff, dass er es dem Engel gleichtun sollte. Hektisch holte auch er ein zweites Schwert hervor und nickte Micah nervös zu.
Die Schatten krochen unaufhaltsam auf sie zu. Erst im Näherkommen erkannte man die langen schuppigen Körper an deren oberen Ende ein monströser speerförmiger Schnabel in einem knochigen Schädel steckte.
Hier war ich kurz irritiert, weil ich dachte die Monster wären an der Decke, das würde schlecht zu "krochen" passen.
So. Oben warst du bei Freddy und jetzt wechselst du zu Elias. Das hatte ich beim ersten Lesen verpasst. Da war ich wohl unaufmerksam. Ich wollte es aber trotzdem erwähnen.
Elias umfasste den Schaft seines Schwertes mit beiden Händen und richtete es über seinem Kopf aus, sodass die Spitze unmittelbar auf das Zentrum der Angreifer gerichtet war.
„Auf Drei lauft ihr was das Zeug hält“, rief er über die Schulter, ohne den Blick von den Dämonen zu nehmen, die sich langsam vorwärts schoben und lauernd auf ihn herabblickten.
„Was … was hat er denn vor?“, stammelte Freddy hinter ihm.
„Frag nicht – Tu einfach, was er sagt!“, antwortete Micah.
„Eins“, hallte in dem Moment auch schon Elias feste Stimme von den Wänden wider. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie Seraphina und Jesaja die Menschen in die Mitte nahmen.
„Zwei.“ Schweigen breitete sich aus, während Elias die gebannten Blicke der anderen auf sich spürte.
„Drei.“
Sie rannten los. Elias Stimme ging in dem Getöse der zuckenden Lichtblitze unter, die aus seiner Schwertspitze drangen und sich wie eine Art flammender Schild über die Tunneldecke legten. Die fauchende Meute keifte, schlug wild mit den Flügeln und stieß ächzend mit den Klauen gegen das undurchdringliche Energiefeld, das sie in Schach hielt.
Mit größter Mühe hielt Elias gegen die machtvollen Schwingungen an, die seinen Körper durchströmten, ihn regelrecht durchschüttelten. Der Versuch diese alles verschlingende zerstörerische Gewalt zu kontrollieren und sich nicht von ihr mitreißen zu lassen, kostete ihn seine ganze Kraft. Von dem starken Luftsog erfasst, zerrte der Wind an ihm, griff ihm in die Haare und ließ sie wild um seinen Kopf wehen.
Das ist mir zu wild. Ich dachte es wäre ein Schutzschild und jetzt ist es eine "alles verschlingende zerstörerische Gewalt". Woher kommt der Wind?
Das elektrische Flimmern des durchsichtigen Schutzschildes wurde von einem unbarmherzigen Brutzeln abgelöst, wenn eine der Kreaturen zum Angriff ansetzen wollte und mit der Barriere in Berührung kam.
Aus der Ferne hörte er Micah rufen.
Ein flüchtiger Blick zur Seite verschaffte auf ungnädige Weise Klarheit: Die Feuerdämonen...
Oh nein!
Das musste eine ganze Division sein. Sie mieden das Wasser.
Welches Wasser? Achso die sind ja noch in der Kanalisation.
Stattdessen hangelten sie sich äußerst geschickt an dem kleinen Mauervorsprung entlang, krabbelten wie Spinnen an der Decke und den Wänden direkt auf ihn zu.
Einen Fuß hinter den anderen setzend, das Schwert noch immer über den Kopf gestreckt, glitt Elias rückwärts, versuchte Abstand zwischen sich und die Schar blutrünstiger Gestalten zu bringen, die sich viel zu schnell näherten.
Verflucht! Wo war dieser vermaledeite Ausgang?
Ein Pfeil flog an ihm vorbei, traf eines der Geschöpfe zwischen die Augen. In seinem Todeskampf riss die Kreatur zwei weitere mit sich hinab. Schon folgte der nächste Pfeil. Seraphina!
Hinter sich vernahm er die verzweifelten Schreie der anderen. Es war sein Name, der unentwegt von den Wänden widerhallte und wie ein Echo durch den Tunnel getragen wurde. Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihm, dass seine Gefährten den Ausgang fast erreicht hatten. Sie waren in Sicherheit.
OK. Hier hab ich nicht verstanden, dass Elias in eine andere Richtung gegangen ist.
Plötzlich spürte er den Boden unter seinen Füßen vibrieren. Die Wände wölbten sich. Feiner Sand rieselte auf ihn herab. Gesteinsbrocken lösten sich aus der Decke und platschten um ihn herum ins Wasser. Das Kreischen nahm zu, vermischte sich mit den qualvollen Lauten krepierender Dämonen.
Fest umklammerte er das Schwert, legte den Kopf in den Nacken, nahm einen tiefen Atemzug. Dann schloss er die Augen. Die Worte flossen aus ihm heraus. Mächtig. Beschwörend. Kraftvoll.
Seine Arme zitterten unter der spannungsgeladenen Energie, die aus ihm herausströmte. Das Dröhnen schwoll an. Mit der Intensität einer explosionsartigen Druckwelle flogen mit einem Mal die zerfetzten Körperteile der Flugdämonen an ihm vorbei. Die schwelenden Überreste der stinkenden Kadaver begruben ihn unter sich. Zogen ihn hinab. Hielten ihn fest. Plötzlich war da eine Hand an seinem Arm. Zerrte ihn mühsam heraus aus dem Sumpf schmierigen Dämonensekrets.
Haltsuchend klammerte sich Elias an seinem Retter fest. Unter lautem Stöhnen ließ er sich aufhelfen. Das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte, traf ihn unvermittelt. Das hier war kein Engel an seiner Seite. Es war ein Mensch. Verblüfft blinzelte er ihm entgegen. Das war Silas!
„Komm schon. – Oder willst du hier Wurzeln schlagen?“, stieß dieser hervor und zog ihn mit aller Kraft hinter sich her. Es war Elias nicht möglich, den Mund zu schließen, geschweige denn, seinen entgeisterten Blick von dem jungen Mann zu nehmen, der ihm selbstlos zur Hilfe geeilt war.
Gemeinsam stolperten sie durch den blutgetränkten Kanal, schoben sich vorbei an abgetrennten Gliedmaßen, duckten sich unter niederkrachenden Betonstücken. Die gallertartige Masse, die von der Decke tropfte verfing sich in ihren Haaren, lief ihnen die Gesichter hinab. Hastig blickte Elias sich um, geriet ins Straucheln. Ihre Verfolger hatten ebenfalls Mühe. Der Reihe nach rutschten sie ab, fielen zischend in den Strom, hievten sich ungelenk vorwärts. Elias stutzte. Plötzlich ging das Wasser zurück, als hätte jemand den Stöpsel gezogen. Die Massen türmten sich hinter ihnen zu einer gewaltigen Wand auf. Dann setzte sie sich in Bewegung. Wie auf Kommando flutete die riesige Welle den Tunnel und riss alles mit sich, was sich ihr in den Weg stellte.
Wo kommt denn da das Wasser her?
Nur noch wenige Meter trennten sie von dem Ausgang. Da war Micah! Die Arme nach ihnen ausgestreckt, sprach er die letzten beschwörenden Worte, mit denen er die magische Flut entfesselt hatte. Ein Strahlen ging von ihm aus, erhellte die Umgebung. Die prachtvollen weißen Schwingen zu ihrer vollen Größe entfaltet.
Achso, Micah hat Wasser gemacht!
Seraphina und Jesaja standen abseits und beugten sich über etwas – oder jemanden?
Über wen beugen sie sich denn?
Elias` Schritte beschleunigten sich. Das ungute Gefühl einer düsteren Vorahnung breitete sich in ihm aus, als der Boden plötzlich und ohne Vorankündigung unter ihm nachgab – regelrecht auseinanderklaffte, als gebe er den Zugang zur Unterwelt frei. Ein tiefer Graben entzweite das Fundament, riss den Tunnel förmlich in Stücke. Silas, der gerade noch direkt neben ihm gewesen sein musste, war verschwunden. Hektisch drehte Elias sich um die eigene Achse, auf der Suche nach einem Lebenszeichen, doch der aufgewirbelte Staub nahm ihm die Sicht.
„Silas!“ Sein panisches Rufen blieb unbeantwortet. Die einstürzende Tunneldecke begrub jede Hoffnung, ihn wiederfinden zu können.
Nein. Das darf nicht sein!
„Silas!“
Jeder Gefahr zum Trotz kämpfte er sich durch die herabprasselnden Trümmer, schob Mauerreste zur Seite, wehrte Gesteinsbrocken ab, die auf ihn niederhagelten. Jemand umfasste seinen Oberarm, zerrte an ihm. Schwungvoll drehte Elias sich um, sah in die vor Entsetzen geweiteten Augen von Micah.
„Los, raus hier!“, schrie er ihm entgegen und zog ihn unsanft Richtung Ausgang.
„NEIN.“ Elias wehrte die Hand an seiner Schulter ab. „Ich gehe nicht ohne ihn!“ Er wollte bereits wieder kehrt machen, als Micah ihn erneut packte. „Das ist Wahnsinn, Eli. Wir müssen sofort hier raus. Du kannst ihn nicht mehr retten.“
„Ich lasse niemanden zurück!“, schleuderte Elias ihm entgegen Sein Gesicht verzog sich zu einer qualvoll verzerrten Maske. Mit einer Mischung aus Wut und Trotz erwiderte er Micahs besorgten Blick.
„Du kannst nichts mehr für ihn tun … Er ist tot!“. Beide Hände auf Elias Schultern gestützt, sah er ihm eindringlich in die Augen. „Kümmere dich um die Lebenden, Eli. – Freddy braucht dich. Er ist verletzt.“ Seine Worte hallten in Elias nach. Rissen ihn aus seiner Starre. „Susan und Nils kommen jeden Augenblick. Wir müssen die Menschen in Sicherheit bringen.“
Hmm. Wo sind denn Susan und Nils nochmal hin?
Wie in Trance ließ er es geschehen, dass Micah ihn vor sich herschob, dem Ausgang entgegen.
Das Gefühl versagt zu haben, legte sich wie eine Schlinge um seinen Hals, die sich langsam und unaufhaltsam zuzog.
Abendluft fuhr mit ihren klammen Fingern über Elias erhitzte Wangen, als sie endlich hinaus ins Freie traten. Wie betäubt ließ er den Blick Richtung Himmel wandern, auf welchem die ersten Sterne hervorblitzten, wie glitzernde Punkte, die der Dunkelheit trotzten. Sie hatten es geschafft.
Er nicht!
Ich habe ihn im Stich gelassen.
Er ist tot!... Tot!!!
Darum bemüht, die quälenden Stimmen aus seinem Inneren zu verbannen, presste Elias beide Hände gegen seine pochenden Schläfen und schloss die Augen.
In dem Moment gaben die Gesteinsmassen hinter ihnen nach und vergruben den Tunneleingang unter einer undurchdringlichen Wand aus niederprasselndem Schutt. Der umherfliegende Staub verbarg das gesamte Ausmaß der Zerstörung und förderte dennoch die unwiderrufliche Gewissheit zutage:
Es gab keinen Weg zurück.
Super gemacht!