Beiträge von Kiddel Fee im Thema „Elemental“

    Etiam ,an der Vorstellung sind bisher einige gescheitert. Aber ich möchte es wirklich so lassen,weil es vieles der späteren Handlung dominiert.

    Auf einem Schlachtfeld, eventuell zu Pferd, würde es sicher lustig sein. Aber ich sah ihn meistens auf einem Aussichtspunkt, wo er das Schlachtfeld überblicken und dann mittels Headset etc Befehl geben kann,anstatt mit Stimmbruchstimme rumzuschreien:alien:

    Jepp, ich find`s besser! :)

    Cool, dass du dir die Anmerkungen zu Herzen genommen hast. Ich hoffe, es hat dich nicht allzu viel Überwindung gekostet, das abzuändern. Gefällt es dir denn selbst? :hmm:

    Ja, das ist deutlich realistischer, aber trotzdem noch schön genug. Passt schon^^und ich hatte schon gedacht, dass die Orginalversion viel Gegenwind erzeugen würde, weshalb ich diese Version schon fertig hatte - aber dann einfach VERGESSEN habe zu posten:patsch::patsch::patsch::patsch:

    Ihr Lieben Rainbow , LadyK ! Post 380, das ENDE , habe ich noch einmal geändert und mir eure Kritik zu Herzen genommen. Schaut doch bitte noch einmal drüber und sagt mir, obs so bleiben kann oder ob der Kitsch dann aus allen Ecken läuft.

    LG Fee

    Lady - echter Spoiler für alle, die den letzten Abschnitt noch nicht gelesen haben

    Huhu, @Lady! Danke für deine Gratulationen!

    Der Epilog macht mich fertig. Von Anfang an war mir klar, dass ich Ivy nicht vollends sterben lassen wollte und bin auch während ihrer Beerdigung elegant um einen Sarg oder eine Leiche herummanövriert, weil ich sie am Ende unbedingt wieder alle zusammen haben wollte.

    Tariq ist mir deswegen doppelt und dreifach aufs Dach gestiegen und hat mir gedroht, dass einige das nicht so toll finden. Und ehrlich gesagt sehe ich es jetzt auch ein. Es wäre einfacher, wenn es damit endet, dass Astra Nate ihre Schwangerschaft offenbart.

    Ich warte mal noch, was Rainbow meint, und werde es dann wahrscheinlich ändern. Bin mittweile selber nicht mehr zufireden damit.

    Was das Tempo angeht, hast du recht. Es könnte durchaus ausgeschmückt werden, aber da würde viel wissenschaftlicher Kram vonnöten sein, von dem ich schlicht keine Ahnung habe. Ich wollte bis zuletzt offen lassen, was nun aus ihnen allen wird - hab dabei festgestellt, dass sich Atesch und Nate z.b. nie aktiv kennengelernt haben, auch Thyras und Nate haben im Haupteil kein "richtiges" Gespräch gehabt. Aber das Manuskript ist jetzt schon über 500 Seiten dick:pupillen:und es muss ja auch noch mal komplett überarbeitet werden:panik:

    Danke für dein Feedback! Es ehrt mich, dass du bis zum Ende drangeblieben bist!

    Rainbow

    Rainbow, ich habe deinen Kommi übersehen! SHAME! Tut mir wahnsinnig leid, sorry. Ich hoffe, dass dieser letzte Part zufriedenstellend für dich ist!

    Werte Damen, werte Herren, willkommen im letzten Abschnitt dieser Geschichte. An dieser Stelle ein fettes DANKE an euch alle! Ohne eure Motivation und euren Erwartungsdruck, eure Begeisterung und euer Nachfragen wäre auch diese Story irgendwann eine Dateileiche geworden. Aber ihr habt dran geglaubt - dieses Werk ist ebenso eures wie meines!

    Ring frei für die letzte Runde! Viel Spaß!

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    Die gewaltigen Türen schwangen majestätisch langsam auf und gaben den Blick auf eine unzählbare Menge Menschen frei, die sich in der neuen Kuppel versammelt hatte. Trommeln begannen zu dröhnen, Trompeten schmetterten hell und triumphierend und durch die riesig hohen Fenster am Kopfende der Halle fiel gleißendes Tageslicht herein, welches den Schmutz und Kummer der Vergangenheit fortzuspülen schien.
    Obwohl es Nate davor graute, sich in diese Menschenmenge hineinzubegeben und sich von allen anstarren zu lassen, konnte auch er sich der Erhabenheit des Augenblickes nicht verschließen. Noch einmal blickte er kritisch an sich hinab, aber die neue tiefschwarze Kleidung war noch immer makellos und faltenfrei.
    Astra neben ihm schimmerte im Halbdunkel des Vorraumes, sie trug atemberaubend weißes Weiß, ein Kleid aus einem Stoff, der flüssiges Licht geworden zu sein schien, mit bodenlangen hauchdünnen Ärmeln und bloßen Schultern. Ihre Haare hatte sie geflochten und aufgesteckt und sie war so überirdisch schön, dass Nate bei ihrem Anblick weiche Knie bekam.
    Vor den beiden standen Victoria und Rett, sie gekleidet in silbergraue Leichtigkeit, als würde sie jeden Moment von einem Lufthauch getragen davonfliegen und er in tiefbraun mit grünen Rankenmuster, beide ruhig und doch wundervoll zusammen zu sehen. Vics Hand ruhte in Retts Ellenbeuge.
    Ganz vorn setzten sich gerade Atesch und Su in Bewegung, schritten Seite an Seite an strahlenden Gesichtern vorbei und wirkten dabei so elegant und edel wie ein Königspaar. Sus Kleid, in allen Arten von Blau, war nahezu gewagt mit dem tiefausgeschnittenen Rückenteil. Vielleicht hatte Atesch, in schwarz und rot, leuchtend wie ein Stück glühende Kohle, deshalb so schützend die Hand auf ihre Taille gelegt.
    Die sechs Elementalen schritten den langen Gang hinab, flankiert von Hunderten begeisterter und hoffnungsvoller Menschen. Am Kopfende der Halle war ein Podest aufgebaut, auf dem sieben Stühle standen, mit Goldtuch bedeckt, welches mit dem neuen Stadtwappen bestickt war.
    Der neue Rat war sorgfältig ausgewählt worden. Nicht nur Intelligenz sollte die Geschicke der neuen Welt lenken. So hatte man Kirschner und Thyras in den Rat berufen, auch Ratsherrin Sea. Doch die anderen vier waren von denen ausgewählt worden, welche die sieben Jahre des Aufbaus gemeinsam bestritten hatten und über die zukünftige Heimat der Menschen am besten Bescheid wussten, Techniker, Handwerker, Wissenschaftler.
    Nate hatte sich geweigert, seine Wahl anzunehmen. Es gab andere, die in seinen Augen weitaus besser geeignet waren als er.
    Einer nach dem anderen schritt nun nach vorn, festlich gewandet und von einem einzelnen Trompetenstoß begleitet. Thyras erschien als Letzter und wie er den Gang entlang kam, weise, erhaben, da schimmerten einige Augen feucht vor Glück und Hoffnung auf die kommende Zeit.
    Schließlich standen alle vor ihren Plätzen und blickten mit ernster Miene auf die versammelte Menge hinab.
    Atesch trat nach vorn und nahm ihnen den feierlichen Eid ab, die neue Siedlung weise und gerecht zu verwalten, niemals aus eigenen Interessen heraus zu handeln und bei allen Entscheidungen stets das Wohl der ihnen anvertrauten Menschen im Sinn zu haben. Dann neigte er respektvoll den Kopf und donnernder Applaus brach los.
    Als der formelle Akt vorüber war, begann das ausgelassene Feiern. Schon vorher waren Speisen zubereitet worden, die jetzt aufgetragen wurden. Die Tafeln an den Wänden der Halle bogen sich vor Köstlichkeiten, es gab Obst und Gemüse auf großen Tabletts, Platten voller Fleisch, Brotkörbe bis zum Rand gefüllt, Desserts, Suppen, Käse … Perlende Weine ergossen sich in Gläser, Wasser, verschiedene Säfte und sogar Bier flossen in Strömen. Musik und Lachen und Leben herrschten sowohl in der Kuppel als auch draußen auf den Straßen, wohin sich die Menschen zerstreuten, um ihre neue Stadt zu bestaunen.
    Nate lehnte an der Wand und betrachtete das Treiben. Er wollte sich nicht unter die Menschen zu mischen. Ihm war ein wenig … wehmütig zumute.
    Ein leises Rascheln verriet ihm, dass Astra an seine Seite gekommen war.
    Kurz lächelte sie ihn an, dann schaute auch sie auf die wogende Menschenmenge. “Wir haben unser Ziel erreicht. Es ist fast zu schön, um wahr zu sein.”
    Er nickte, obwohl sie ihn nicht ansah. “Was nun? Leben wir glücklich bis ans Ende unserer Tage? Ein ruhiges Leben ohne böse Überraschungen?”
    “Wer weiß?” Leicht zuckte sie mit den Schultern, was ihr Kleid wieder zum Schillern brachte. Wieder lächelte sie, ein wenig verschmitzt. “Vielleicht gibt es bald eine Überraschung. Dieses Mal eine angenehme.” Langsam hob sie ihre Rechte und legte sie schützend auf ihren noch flachen Bauch. “Wie fändest du das?”
    Er brauchte einen Moment um zu begreifen. Dann durchflutete ihn helle Freude. “Du … ist das wahr?!”
    Strahlend nickte sie und er hob sie hoch und wirbelte sie übermütig herum, bevor ihm der Gedanke kam, dass ihr das möglicherweise nicht guttun konnte. Reumütig küsste er sie auf die Stirn. “ Astra! Ein wundervolles Geschenk!”
    Jetzt blinzelte sie eine Träne weg. “Freust du dich wirklich, ja? Ich hatte schon Sorge, dass du …” Verlegen sah sie zur Seite. “Also dass du keine Kinder willst wegen -”
    “Astra.” Er wartete, bis sie es wieder wagte, ihm in die Augen zu blicken. “Ich freue mich. Wirklich.” Sanft zog er sie an sich. “Ein Kind! Unser Kind.” Jetzt zitterte seine Stimme. “Es wird wahrscheinlich Laser abfeuern, noch bevor es richtig laufen kann.”
    “Das macht nichts”, entgegnete sie mit einem schiefen Grinsen. “Wir werden es alles lehren, was wir wissen. Und dann - “
    Sie löste sich behutsam aus seiner Umarmung und schaute aus den riesigen Glasfensten hinaus auf die feiernde Stadt.
    “Dann wird ihm diese ganze neue Welt offenstehen.”


    ENDE

    Der vorletzte Part!:panik:


    So blieb er sitzen, bis die Sonne unterging und wie ein glutheißer Tropfen flüssigen Metalls im Sand der Ödnis versank.
    Dann kam Astra.
    Sie sagte nichts, ließ sich einfach neben ihm nieder und schlang den gesunden Arm um die angezogenen Knie. Der Wind spielte mit dem weißen Haar, das Nate an der Wange kitzelte, so nahe saß sie bei ihm.
    Eine Weile schwiegen sie, doch dann wurde der Drang zu reden in Nate übermächtig.
    “Ich kann es nicht, Astra. Kirschner und Thyras verlangen Unmögliches von mir.”
    Sie sah ihn nicht an, sondern starrte wie er auf den von orangegoldenem Licht umstrahlten Stein.
    “Du hast es schon oft getan, Nate. Du bist ein Anführer.”
    “Ich will es nicht mehr. Schau dir an, was bei meinem letzten Versuch, zu führen, herausgekommen ist!” Er merkte, wie ihn erneut die Trauer zu überwältigen drohte. “Kay und Ivy haben mit dem Leben bezahlt. Ich bin der denkbar ungeeignetste Mann dafür.”
    “Dieses Mal wird es anders sein. Du wärst ein Erster unter Gleichen und nicht Befehlshaber von Truppen. Keine Gegner, deren Taktik du begreifen musst, kein Abwiegen auf Leben und Tod. Wovor hast du Angst?”
    Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie ihn fragend anblickte.
    Zögernd wandte er den Kopf und schaute zurück. Die letzten Strahlen der Abendsonne verliehen ihrem Gesicht ein fast unirdisches Leuchten.
    “Wir wissen doch beide, dass du zusagen wirst. Nicht für dich.” Mit einer sanften Geste wies sie auf die letzte Ruhestätte. “Für Ivy. Für alle, deren Zukunft noch so offen ist wie ihre es war. Für Kay, die es nicht mehr erleben kann, aber es wunderschön gefunden hätte. Denkst du nicht?”

    Die Manifestation war wesentlich leichter gewesen als erwartet. Er hatte mit Schmerzen gerechnet, mit gesundheitlichen Einschränkungen, Gedächtnislücken oder einer Persönlichkeitsveränderung - Dinge, die man riskierte, wenn man das Erbgut manipulierte. Doch die einzige wesentliche Veränderung war - neben seinen neuen Fähigkeiten - die Farbe seiner Augen gewesen, von braun zu schwarz.
    Vic und Rett sah man von außen auf den ersten Blick gar nicht an, dass sie nun Elementale waren. Auch sie erwachten gesund, wenn auch ein wenig verwirrt, nach ihrem Hyperschlaf.
    Thyras hatte die Manifestation sehr genau überwacht. Sie waren in der Veste geblieben, da niemand in den Hort zurückkehren wollte, und bekamen dort von Kommandant Kirschner Platz, Trainingsmöglichkeiten und alles, was sonst noch nötig war.
    Bereits sechs Monate nach der Verwandlung erfolgte ihr Aufbruch zu ihrem neuen Heimatplaneten, mit der Aufgabe, diesen bewohnbar zu machen.
    Fast sieben Jahre hatte es gedauert, fast sieben Jahre, die alle sechs Elementalen an ihre Grenzen gebracht hatten. Erst in diesem Zeitraum wurde Nate klar, wieviel Macht und Stärke sie wirklich besaßen. Es war fantastisch, dass die Kraft in ihnen auf jeden Befehl gehorchte, dass ihre Möglichkeiten beinahe unbegrenzt waren und es einzig und allein von ihrer eigenen Vorstellungskraft abhing, was sie leisten konnten. Sie formten die Oberfläche, die Meere, den Boden. Rett kontrollierte das Wetter, Astra die Sonneneinstrahlung und beide beeinflussten damit Vegetation und Leben. Atesch bezwang die tobende Energie im Erdinneren, Su zog das Wasser aus der frisch geschaffenen Athmosphäre und bildete Ozeane. Es war anstrengend, über alle Maßen anstrengend, doch das Ergebnis konnte sich sehen lassen.
    Er, Nate, war verantwortlich für die Koordination dieser Expedition. Dabei beriet er sich immer mit Su, Atesch und Astra. Die drei Elementalen aus dem Hort als ausgebildete Naturwissenschaftler wussten sehr genau, was möglich war und was nicht. Notfalls hielten sie Rücksprache mit Thyras, der noch auf der Erde geblieben war, bis die Lebensbedingungen ihrer neuen Heimat stabil waren.
    Und nun war es endlich soweit. Schon während der letzten Monate waren immer wieder Leute angekommen und hatten sich in der neu entstandenen Siedlung eingerichtet. Morgen würden die letzten Menschen hier auftauchen. Die alte Erde war jetzt quasi leer.
    Langsam streiften Nates Finger über das Gras. Er hatte lange nicht gewusst, wie sehr er den Geruch und die satte Farbe frischer Grashalme eigentlich vermisst hatte. Es gefiel ihm hier. Friedlich und größtenteils unberührt, wenn auch sehr viel kleiner als die Erde. Natürlich bedeutete das nicht automatisch das Paradies. Auch für ihre neue Heimat mussten Regeln geschaffen, neues Wissen erarbeitet, Ernährung, Wirtschaft, Bildung ermöglicht werden … sie waren noch nicht am Ende ihrer gewaltigen Aufgabe …

    Rainbow , sorry, ich habe vergessen, deinen Kommi zu liken - kommt davon, wenn man zwischendurch mal schnell per Handy ins Forum linst und um einen herum Kinder nach Aufmerksamkeit verlangen...tschuldigung!

    So, da sind wir! Epilog!

    Und ich bin sehr seeehr gespannt, ob es euch gefällt ....:panik:



    Epilog

    Sieben Jahre später

    Sie stand auf einer Klippe und hatte ihm den Rücken zugewandt. Frisches grünes Gras umspielte ihre bloßen Füße. Ein warmer Wind, erfüllt von sanften Düften, strich durch das silberweiße Haar, das offen wie ein Vorhang bis zu ihren Hüften fiel. Obwohl sie nur ein dünnes weißes Gewand trug und ihre Arme unbedeckt waren, schien sie nicht zu frieren. Ganz entspannt blickte sie nach vorn, von ihm weg.
    Vor ihr erstreckte sich, soweit man schauen konnte, ein Tal. In diesem blühten Bäume, wuchsen tausende Blumen. Wasserfälle stürzten die Hänge herab und bildeten einen Fluss, der immer größer wurde und schließlich am Horizont in ein Meer mündete. Die ganze Szenerie überspannte ein nachtblauer Himmel, nur über dem Ozean, wo die Sonne gerade unterging, herrschte noch Licht. Der feurige Ball sank immer weiter und brachte das Wasser in der Ferne zum Glühen.
    Über ihnen, am Himmel, erschienen gleichzeitig tausende Sterne. Sie waren riesig, klar und ihr Licht strahlte in verschiedensten Farben. Immer wieder blitzten Kometen auf. Bunte Nebel wallten und sogar die Planeten, groß und schwer, waren mühelos zu erkennen …
    Er legte die Arme um ihre Taille und sein Kinn auf ihre Schulter. “Ich habe mich immer noch nicht an diesen fantastischen Anblick gewöhnt.”
    Ihr Körper bebte, als sie leise lachte. “Meinst du mich oder die Sterne?”
    “Beides, glaube ich.”
    Wieder lachte sie. Ihr Haar umspielte sie beide. “Der letzte ruhige Abend hier.”
    “Das stimmt wohl.”
    Morgen, so war es geplant, würden die letzten Vertreter der Menschheit hier eintreffen. Nach sieben Jahren langer Vorbereitung, sieben Jahren voller Pionierarbeit, Verzicht und Anstrengungen, aber auch voller Wunder. Morgen würde das Werk vollendet und die letzten ihrer Rasse auf diesem neuen Planeten ankommen.
    Die Elementalen hatten ihr möglichstes getan, um den neuen Heimatplaneten der Menschheit so lebensfreundlich wie möglich zu gestalten. Später waren Spezialisten nachgekommen, Wohnsiedlungen und Versorgungsnetzwerke errichtet worden, Wege und Straßen angelegt … es hatte funktioniert, so unglaublich es klang. Und nun war alles vorbereitet.
    “Was ist, Nate?” Fast hatte er die leise Frage nicht gehört, so versunken war er in seine Gedanken.
    “Ich … ach, ich weiß auch nicht. Manchmal habe ich so etwas für Ivy gewünscht, weißt du? Eine Welt, wo sie barfuß durch frisches Gras laufen und einen Ozean rauschen hören kann. Wo Sonne auf ihr Gesicht fällt und der Wind durch ihre Haare pustet. Ich hätte ihr so gerne mehr gegeben als drei Jahre voller Verzicht und Entbehrungen.”
    Ihre Hand strich sacht über die seinen. Er wusste, sie würde darauf nichts antworten. So standen sie einfach einträchtig schweigend da und betrachteten den Sonnenuntergang, staunten über das flammende Farbenspiel.
    “Man rechnet immer damit, dass es doch zischen müsste, wenn die Sonne das Wasser berührt …” , murmelte Astra leise. Schließlich zog sie die Schultern hoch. “Ich friere. Gehen wir heim?”
    “Geh nur vor”, entgegnete Nate. “Ich komme gleich nach.”
    Er sah ihr nach, als sie den schmalen Pfad über das Gras hinweg zurück zur Siedlung ging. Dann ließ er sich selbst in die Wiese fallen und sein Blick wanderte zum Ozean hinaus, während er die letzten sieben Jahre Revue passieren ließ. Es kam ihm vor, als sei es erst gestern gewesen…

    Sein bewusstes Denken hatte erst wieder eingesetzt, als er vor Ivys Grab stand.
    Warmer Wind spielte in dürrem Gras, das wispernd über den schroffen Stein strich. “Ivy” stand da, in krakeligen Buchstaben, wie hineingeschnitten in den Fels - Astras Werk, vermutete er.
    Niemand hatte ihn hierher begleitet und dafür war er dankbar. Er brauchte Ruhe und Abstand, um zur Besinnung zu kommen.
    Die plötzliche Rückkehr in die Veste, Kirschner mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck, die Elementalen Su und Atesch - all das war an ihm vorbeigerauscht. Er vermochte sich nicht zu konzentrieren und sein jahrzehntelanges Funktionieren ließ ihm im Stich.
    Als dann der Mann eingetreten war, der Ivys Sterben miterlebt hatte und sich nicht nur als Astras Mentor, sondern auch als der leibliche Großvater der Kleinen vorstellte, hatte sich der Raum um Nate herum langsam zu drehen begonnen.
    Thyras’ Rede wurde von dem immer stärkeren Brausen in seinen Ohren verdrängt, die Worte tasteten nach seinem Denken, doch sein Körper stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Als ihm bewusst geworden war, dass ihn nach einer Frage von Thyras alle anstarrten, war er aufgesprungen.
    “Das Grab…”, hatte er gestammelt. “Ich … muss es sehen.”
    Rett war mit ihm gegangen, schweigend. Reden schien unnötig, sie hatten sich immer problemlos verstanden. Ein fester Griff an die Unterarme des anderen war alles gewesen, was sie sich an Wiedersehensfreude erlaubt hatten, doch es hatte gereicht. Und Rett musste auch gespürt haben, dass Nate allein sein wollte, jedenfalls hatte sich der Freund schnell wieder zurückgezogen.
    Und nun stand Nate da und sah auf den Stein herab. Die letzten Worte von Thyras geisterten durch seinen Verstand.
    “Was soll ich tun?”, murmelte er tonlos.
    Eine Windbö ließ die Gräser zappeln, doch eine Antwort bekam er nicht.

    Lady

    LadyK Du bist immer so optimistisch^^ nachher hängt er kopfüber auf der anderen Seite, weil sich die Buxe verfangen hat:rofl:

    So, dann wollen wir das Kapitel beenden - und das Werk auch . Nur noch drei Posts!

    Gerade, als er das Bein über den schartigen Rand schwingen wollte, gipfelte das Rauschen in einem schrillen Klingeln und es schien, als würde jemand aus weiter Ferne seinen Namen rufen. Erschrocken ließ er los, rutschte am Zaun hinab, zerriss Jacke und Hose und Haut an hervorstehenden Drahtteilen und landete auf dem nassen und klammen Dach. Panisch kam er wieder auf die Füße und starrte in die Nacht, die über die Spitzen der anderen Häuser langsam herangekrochen kam. Wer hatte gerufen? Eine Frau, es war eine Frau gewesen, es musste Astra gewesen sein - aber Astra war weit weg …
    Seine Hände brannten und bluteten, doch er achtete nicht darauf. Die Nässe, das Klopfen seiner Wunden, die Kälte - all dies kümmerte ihn nicht mehr. Es wog nichts gegen den Schmerz in seinem Inneren.
    Er zog die Kapuze über den Kopf und die Knie nahe an den Körper und ergab sich ihm.

    Als er erwachte, zeigte sich am Horizont zögernd die erste Morgendämmerung. Sanft wurde der wolkenlose Himmel heller. Der Regen, der die ganze Nacht weitergeströmt war, hatte sich endlich verzogen und es versprach, ein klarer, sonniger Tag zu werden.
    Für Nate hatte es keine Bedeutung mehr. Die ganze Nacht war er einfach sitzengeblieben, halb im Schlaf, halb wach, niedergedrückt von seinen Erinnerungen und vom Regen durchweicht. Seine Arme und Beine schienen steif gefroren und taub vor Kälte.
    Kraftlos lehnte er den Kopf gegen den Zaun hinter sich und betrachtete, wie die Sonne, obwohl noch nicht aufgegangen, den Himmel erleuchtete. Sein knurrender Magen, sein erschöpfter Körper, das Fieber, das wiedergekommen war, weil er ihm nichts mehr entgegensetzen konnte - all das war schon weit weg. Er würde einfach hier sitzen bleiben, bis sein Geist sich losreißen und zu Ivy und Kay gehen konnte.
    Warm streichelte das Morgenlicht sein Gesicht, während sich der gelbe Feuerball langsam emporschob und die Welt um sich herum erstrahlen ließ.
    Blinzelnd sah Nate dabei zu, wie die noch nass glänzenden Dächer aufblitzten, wie der Himmel im Orange erglühte. Der Slum weit unter ihm erwachte zum Leben. Vielleicht würden Menschen hier herauf kommen, gelockt vom sonnigen Versprechen eines neuen Tages, um einen Moment innezuhalten und auszubrechen aus dem Leben in Matsch und Elend. Ihn würde es nicht kümmern.
    Die Sonne kletterte höher und hüllte ihn in Wärme und Licht. Er schloss die Augen und fühlte sich mit einem Mal ganz leicht. Schwebte er? Saß er immer noch auf dem Dach? So genau konnte er es nicht mehr sagen. Ein sanftes Vibrieren schien in der Luft zu liegen, Brummen füllte seine Ohren, nicht bedrohlich, im Gegenteil, seltsam vertraut. War das der Tod? Würde es am Ende so einfach sein?
    Eingetaucht in Sonnenlicht einfach … gehen?
    Das Brummen um ihn wurde immer lauter, aber er vermochte es nicht recht einzuordnen. Doch es beunruhigte ihn nicht. Mochte es ruhig brummen.
    Er fühlte sich so leicht …
    Ein Schatten fiel auf ihn, fing die liebkosenden Sonnenstrahlen für einen Moment ab. Dann berührten Hände seine Wangen, legten sich sanft und warm darauf. “Nate.”
    Irritiert sah er auf, während sein Herz erschrocken stolperte. Als er die Augen aufriss, blendete ihn das Licht des neuen Tages. Nur schemenhaft erkannte er den Hubschrauber im Hintergrund und die junge Frau, die vor ihm kniete. “Astra …”
    Ihr Lächeln war tief. “Ich hatte gehofft, dass du hier bist.”

    Danke, Rainbow ! es freut mich, wenn der Leser ebenso mitfiebert und mitleidet wie ich - ich denke, ich kenne die Figuren halt, habe sie ständig um mich rum, male sie mir aus - aber kann ich ihr handeln auch vermitteln? Kommt es rüber? Ist es drüber? ...

    Verstehst du, worauf ich hinaus will:)?

    Lady


    LadyK , dankeschön! Ich freue mich immer, wenn jemand dranbleibt! Das kleine Fehlerchen muss ich noch verbessern.

    Ist echt noch nicht absehbar, worauf das hinausläuft? Ich hab den Eindruck, es schreit regelrecht:hmm:

    Allein

    Als die Essensausgabe beendet war, stießen die Sicherheitsbeamten Nate aus der Scheune, wo er nach seiner Ankunft mit dem Zug in einem lichtlosen Loch verwahrt worden war. Mit dumpfer Gleichgültigkeit schlossen sich die großen Stahltore hinter ihm.
    Der große Platz leerte sich schnell. Diejenigen, die etwas hatten ergattern können, beeilten sich, ihre Beute unauffällig und schnell in Sicherheit zu bringen. Alle anderen zogen ausgewaschene Kapuzen oder andere unförmige Kopfbedeckungen über die speckigen Haare, um sich vor dem Wetter zu schützen.
    Es regnete. Wasserschleier begrenzten das Sichtfeld zu allen Seiten und das sanfte Rauschen schluckte alle anderen Geräusche. Die Umgebung ertrank in den düsteren Farben schlammgrün, rostbraun und dunkelgrau und spiegelte seine Stimmung exakt wieder.
    Wasser rann aus seinen Haaren den Nacken hinab bis unter die Jacke, die er immer noch trug. Dieselbe Kleidung, in denen er die Downs verlassen hatte … vor Ewigkeiten, als er noch ein Heim, eine Familie, eine Aufgabe gehabt hatte.
    Jetzt war er einer aus der namenlosen Masse, ein Teil des menschlichen Treibgutes der Downs. Er besaß keinen Ort, der ein Zuhause sein konnte. Keiner wartete auf ihn. Die Welt, die er gekannt und einigermaßen beherrscht und trotzdem vor zwei Wochen verlassen hatte, existierte nicht mehr.
    Mechanisch lief er los, aber er achtete nicht auf den Weg. Wozu auch, es gab kein Ziel, das er ansteuern konnte. Wasser drang in seine abgewetzten Stiefel, weil er, stumpfsinnig dahinschlurfend, keiner Pfütze auswich.
    Für einen Moment dachte er daran, wie Kay wohl schimpfen würde, wenn er so nach Hause käme. Wenn er in ihre vertraute Wohnung treten und die schlammigen Stiefel im Flur abstreifen würde, den Duft vom Abendessen schnuppernd. Wenn er seine Schätze abliefern, mit Rett reden und Ivy über den Kopf streichen würde …
    Der Schmerz bohrte sich in seine Brust wie eine große Klinge. Sie alle waren fort. Für immer unerreichbar. Überwältigender Kummer drückte auf seine Kehle und raubte ihm den Atem. Die Trauer rauschte gleich einer meterhohen Woge über ihn hinweg und zwang ihn in den kalten Matsch, in den die Straße sich inzwischen verwandelt hatte. Ohnmächtig hieb er mit der Faust in den Dreck, Schlamm spritzte bis in sein Gesicht und das Regenwasser mischte sich auf dem Weg nach unten mit seinen Tränen.
    Niemand kam, um ihm aufzuhelfen. Alle hatten längst die Flucht vor dem Wetter ergriffen. Doch auch bei strahlendem Sonnenschein wäre er allein geblieben. Hier in den Downs war sich jeder selbst der Nächste und keiner würde einem Wildfremden Hilfe anbieten. Keiner …
    Er hatte es getan … er hatte Astra gefunden … Astra … Ivy ...
    Irgendwann fand er die Kraft, zumindest wieder auf die Füße zu kommen. Sein Magen knurrte, doch in den Downs würde er nie wieder Essen anrühren. Niemals. Blitzartig zuckte ein Bild vor seinem inneren Auge auf, Kay, blass und leblos auf der Trage und der Mediziner, der mit ausdrucksloser Miene von der Aufwertung geredet hatte …
    Gelbe Galle drang in seinen Mund und er spie sie in den Unrat vor sich. Keuchend verharrte er erneut im Morast, bis sich die Nässe um ihn herum durch alle Lagen seiner Kleidung verteilt hatte. Sämtliche Farben der Downs waren mittlerweile verschwunden und die Welt bestand nur noch aus Grau.
    Irgendwann erhob er sich torkelnd und seine Füße schritten von allein vorwärts. Da sie von ihrem Besitzer keinen Befehl erhielten, wählten sie einen vertrauten Weg, den sie so oft gegangen waren. Den Weg nach Hause . . .
    Ohne die Richtung bewusst vorgegeben zu haben, fand sich Nate schließlich in seiner alten Gasse wieder. Die Häuser drängten sich missmutig aneinander, aus den lose verbundenen Kabeln über seinem Kopf schlugen Funken und Pfützen voller gelbgrüner Flecken wuchsen auf dem schlammigen Boden zu Tümpeln heran. Er wich ihnen nicht mehr aus und seine Füße wurden schnell klamm und dann eisig.Trotzdem wanderte er immer weiter, ohne ein Ziel anzusteuern.
    Vor seiner alten Wohnungstür hielt er automatisch an und wie von selbst hob sich seine Rechte, klopften die Knöchel jenen altvertrauten Rhythmus, der den Schlüssel zum Heim seiner Familie bildete. Doch niemand öffnete auf dieses Klopfen, denn hier wohnte keiner mehr, der diesen Code nutzte. Die Tür blieb fest verschlossen. Er starrte auf den Rost, an dem die Wassertropfen herabrannen, im wilden Zickzackkurs auf dem Weg nach unten und dennoch keinem Ziel entgegen, ähnlich wie er selbst. Als er die Finger ausstreckte, war das Metall kalt unter seinen Fingerspitzen. Wieder stach der Schmerz in seiner Brust, als er daran dachte, wie sich diese Tür jeden Abend für ihn geöffnet hatte, wie er erwartet worden war …
    Mit einem Schluchzen stolperte er zurück. Es war nicht mehr sein Heim. Die Wohnung bot jetzt einem anderen Quartier, der keinen Fremden einlassen würde. Hier gab es keinen Platz für ihn. Mit brennenden Augen und einem Gefühl, als würde er innerlich ausgehöhlt, lief er weiter, weg von diesem Ort voller Sehnsucht, Erinnerungen und brennender Qual.
    Irgendwann wusste er nicht mehr, wo er sich befand oder wie lange er schon herumgewandert war. Seine Gedanken irrten ebenso ziellos umher. Schließlich trat er aus einer Gasse und landete auf einer Freifläche, die von den hohen Wohnblocks umgeben war. Er erkannte sie wieder. Dies war der Ort, den er aufgesucht hatte, um Victoria zu finden. Damals hatte die Sonne genau auf die Werkstatt gestrahlt.
    Doch der kleine gedrungene Bau war verschwunden. An seiner Stelle fand sich nur noch ein Haufen komplett geschwärzter Reste. Verkohlte Trümmer, bedeckt vom grauen Schlamm der Asche, knackten in der Nässe. Die Werkstatt war abgebrannt und was von ihr übrig war, offensichtlich mehrfach durchsucht und verteilt worden. Auch hier bot sich kein Unterschlupf für ihn.
    Langsam machte er kehrt, trottete durch den strömenden Regen zurück zu seinem alten Zuhause. Als er wieder vor der Tür stand, ließen die eisige Niederschläge nach. Noch einmal klopfte er, doch natürlich geschah nichts.
    Schlurfend wandte er sich nach links und fand nach ein paar Metern den Eingang in das Treppenhaus, welches hinauf auf die Dächer der Downs führte. Wie automatisch stapfte er nach oben, die Rechte umklammerte das rissige Geländer, bis die Haut brannte.
    Oben angekommen starrte er eine Weile auf den rostigen Maschendrahtzaun. Hier hatte ihm Astra zum ersten Mal ihre Fähigkeiten gezeigt. Sein Blick glitt über den Boden, als könne er die schmale Lichtspur noch immer erkennen, wenn er nur ganz genau hinsah …
    Schließlich hob er den Kopf und blickte auf die Kulisse der Slums. Die Wolken waren aufgerissen und erlaubten der Abendsonne, letzte Strahlen rot schimmerndes Lichtes auf die nass glänzenden Dächer zu werfen. Die schmutzige Stadt glitzerte nahezu und als er den Kopf hob, sah er über sich am Nachthimmel die Sterne aufleuchten, weit entfernt und kalt, doch wie ein Gruß, ein freundliches Blinken eines vergangenen Freundes.
    Er sah hinauf in die Sterne und dachte an Kay, die schon gegangen war, an Ivy - würde Kay auf sie aufpassen? Waren sie wieder zusammen?-, an Rett und Victoria. Und an Astra, an ihr Haar von derselben Farbe wie das Licht der Sterne, an ihre wunderbare Gabe … Astra …
    Mit einem Mal wurde der Schmerz in ihm so übermächtig, dass es ihm schier den Atem raubte. Kirschners Befehl hatte ihm jede Möglichkeit genommen, sich von ihr zu verabschieden, sie noch ein letztes Mal zu sehen. Und der Kommandant hatte recht behalten, dies war die schlimmste Strafe, noch schlimmer als der Tod. Fast fühlte es sich an wie Artax’ Attacke, nur dass er dieses Mal wirklich allein war, dass niemand an seiner Seite auftauchte, nicht mal eine zerfetzte Illusion. Sie hatten ihn in die Einsamkeit verbannt und er hatte nichts mehr, woran er sich klammern konnte.
    Die Präsenz des Abgrunds hinter dem Zaun schien an ihm zu ziehen, beschwörend zu flüstern. Nicht so wie vor so langer Zeit, als er noch spielend über die Häuserschluchten gesprungen war, um in Form zu bleiben. Jetzt stand er an dem rostigen Maschendraht, dessen nasses Metall sich schmerzhaft in sein Gesicht presste, als er hinunter in die Tiefe sah. Wie einfach war es, diesen Zaun zu überwinden …
    In seinen Ohren rauschte es, als er den Fuß in auf den wackeligen Zaunspfeiler setzte und sich nach oben zog.

    Er kletterte.

    “Hier bist du.”
    Astra wandte nicht einmal den Kopf, als Thyras heraus auf den Wehrgang trat. Stur sah sie hinaus auf die Ebene, wo Ivys Grab lag. Den ganzen Tag schon hatte sie hier auf der Mauer gesessen und gestarrt.
    In ihr tobten die widersprüchlisten Gefühle. Trauer, Wut, Verzweiflung, Scham … keines konnte sie richtig benennen, aber die ganze Last ihrer Empfindungen drückte sie nieder. Sie konnte und wollte sich zu nichts aufraffen. Und mit niemandem reden.
    Heute morgen hatten sie Ivy begraben. Rett, dessen Miene zu Stein erstarrt war, hatte trotz seiner Verletzungen begonnen, außerhalb der Veste ein Grab auszuheben. Atesch war ihm schweigend zur Hilfe gekommen, während Su mit ihrer Gabe den anhaltenden Regen zu einer Kuppel formte und so davon abhielt, in die Grube zu fallen.
    Astra hatte hilflos daneben stehen müssen, die verletzte Schulter hatte jeden Einsatz unmöglich gemacht.
    Thyras war gekommen, als das Grab fertig war. Er hatte eine in seinen Mantel eingeschlagene Last getragen, vermutlich, weil es in der gesamten Veste keinen Sarg gab. Kirschner und zwei Dutzend Soldaten waren ebenfalls angetreten und hatten der kleinen Toten die letzte Ehre erwiesen. Schließlich hatte Atesch noch einen großen Stein an das Kopfende des Erdhügels gestellt, auf den von Astra mit ihrer Fähigkeit Ivy geschrieben worden war …
    Ihr Mentor lehnte sich neben sie an die Wand und betrachtete sie mitfühlend. “Es ist nicht deine Schuld.”
    Dieser Satz stach durch ihr dumpfes Brüten wie eine spitze Nadel. “Nicht?!”, fuhr sie auf und glitt von ihrem Platz herunter. “Es ist komplett meine Schuld, Thyras! Wenn ich nicht in die Downs gegangen wäre, hätten wir heute kein Kind begraben müssen! Wenn ich Artax’ Absichten erkannt hätte, bevor er uns verriet, wäre Ivy noch am Leben! Und Kay ebenfalls. Rett hätte gesunde Hände. Und Nate -” Sie wirbelte herum, damit er ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. Ihre linke Hand, zu Faust geballt, zitterte.
    Sie alle waren weg. Außer Rett, der sich von den Verletzungen erholen musste, die Artax ihm zugefügt hatte, waren alle weg. Und dieser Umstand schien ihr die Luft zum Atmen zu rauben.
    “Ich wäre so gerne ein Teil dieser Familie gewesen, Thyras.” Die Worte drängten aus ihr heraus und ihre Augen begannen zu brennen. “Ich hätte das Leben in den Downs mit Freuden in Kauf genommen. Diese … Liebe zueinander. Das wollte ich auch.” Zögernd drehte sie sich um. “Und jetzt? Wie soll es jetzt weitergehen?”
    Thyras schwieg. Wahrscheinlich ahnte er, dass sie gar keine Antwort erwartete, einfach weil es keine gab. Nicht für sie.
    “Alle anderen - sie werden irgendwie weiter machen. Su und Atesch bleiben hier bei den Streitkräften. Und Victoria und Rett werden sicher im Hangar eingesetzt werden können. Aber ich …” Hilflos zuckte sie mit den Schultern. “Für mich gibt es keinen Platz mehr. Ich kann nicht hierbleiben, wo Ivy gestorben ist. Ich kann auch nicht in den Hort zurückkehren, weil ich all das, wofür der Hort steht, verachte. Vielleicht hat mich der Rat mittlerweile auch verbannt, das weiß ich nicht. Was nun?”
    Seufzend rutschte sie wieder auf die Mauer. “Solange es dein Projekt gab, hatten wir etwas, worauf wir hingearbeitet haben. Einen Sinn. Ein Ziel. Jetzt ist selbst das gekippt.” Nachdenklich strich sie mit der gesunden Hand über das grobe Mauerwerk. “Vielleicht ist das auch besser so. Eine Menschheit ohne Mitgefühl, nur mit kühlem Verstand regiert - warum sollte diese überleben? Wofür noch Menschen auf dieser Erde? Weshalb muss unser Bestehen unbedingt gesichert werden? Wenn es nichts mehr gibt, wofür es sich zu leben lohnt?”
    Jetzt sah sie Thyras direkt an. Sie wollte wissen, ob er sich diese Fragen nicht auch gestellt hatte. Doch das Gesicht ihres Mentors gab keinerlei Emotionen preis. Er hörte ihr zu, aber seine Gedanken behielt er vorerst für sich.
    Wieder wanderte ihr Blick zu Ivys Grab hinaus. “Die Weisen des Horts … sie lassen zu, dass ein kleines Mädchen getötet wird. Und niemand spricht darüber. War der Rat bestürzt? Hat er Rett sein Beileid ausgesprochen? Waren die Mitglieder bei der Beisetzung? Nein. Es berührt sie nicht, weil es den Hort nicht betroffen hat. Und für diese Menschen willst du eine Zukunft?” Sie bemerkte selbst, wie ihre Stimme mit jedem Satz lauter wurde. Der Zorn loderte in ihr wie eine Flamme. “Alles dürfen sie uns nehmen und niemand wird sie dafür zur Rechenschaft ziehen! Ihretwegen sind die Zwillinge gestorben. Sie haben Artax losgeschickt und uns gejagt wie Vieh. Ivy und Rett wurden von ihnen sie misshandelt, Nate wollten sie hinrichten. Und jetzt liegt unser Leben in Trümmern und sie kehren zurück, als wäre nichts gewesen!”
    Es hielt sie nicht auf der Mauer, sie sprang herunter und schleuderte Thyras die Not ihres Herzens entgegen. Er konnte nichts dafür, das wusste sie, doch all die Emotionen der letzten Tage brachen sich ihre Bahn. Mit aller Kraft schlug sie auf die Mauer ein. Putz bröckelte und der Schmerz schoss durch ihre Knöchel, aber er half nicht, das Chaos in ihr in den Griff zu bekommen. “Wie konntest du das zulassen?”
    Trauer huschte über sein Gesicht und zu spät erkannte sie, dass sie ihn getroffen hatte. Dieses Mädchen war seine Enkelin gewesen, er selbst hatte sie hinausgetragen, er als letzter lebender Verwandter. Auch ihm hatte der Rat nichts zu sagen gehabt. Auch er war nur ein Opfer.
    Und auch er hatte jetzt keinen Platz mehr, wo er hin gehörte.
    “Thyras, es tut mir leid, ich -” Entsetzt wandte sie sich ab. “Es tut mir leid.”
    Noch immer sagte er nichts, doch sie spürte seine Hände an ihren Schultern.
    Er zog sie an sich, etwas unbeholfen zwar, doch das Mitgefühl und die Zuneigung darin umgaben sie wie ein warmer Mantel. Auch seine Hände bebten, aber für einen winzigen Augenblick konnten sie einander trösten.
    Schließlich trat Astra einen Schritt zurück und wischte sich über die Augen. Erst als sie wieder aufsah, bemerkte sie Thyras’ ernste Miene.
    “Ich habe einen Plan für Nate. Doch die Zeit drängt. Wirst du mir helfen?”

    “Wie darf ich das verstehen, er ist fort?” Die Stimme der Ratsherrin klang, als würde eine scharfe Klinge auf einen Stein treffen. Ihre Miene ähnelte einem Raubvogel, ihr Mund war ein blasser schmaler Strich und der Zorn hatte tiefe Furchen in ihre Stirn gegraben.
    Kommandant Kirschner, der diese Sitzung leitete, lächelte ein feines Lächeln. Seine Aussage eben hatte dem jüngsten Ratsmitglied die Gesichtszüge entgleiten lassen und nun schien sich der Befehlshaber der Veste an dieser Situation regelrecht zu weiden.
    Thyras, der dem Rat gegenübersaß, schwieg bestürzt. Einerseits war er erleichtert, denn einen nicht anwesenden Gefangenen konnte man nicht hinrichten. Andererseits war der junge Mann die letzte Verbindung zu Ivy gewesen …
    Seine Kehle wurde eng, er griff nach der Tischplatte und hielt sich daran fest, bis die Woge des Schmerzes abebbte. Erst dann gestattete er sich, wieder aufzusehen.
    Kirschner war vor die große Feuerstelle getreten und der Schatten, den er warf, zuckte wild vom Spiel der Flammen. Er blickte mit auf den Rücken verschränkten Händen die versammelten Menschen an.
    Der Rat - zur seiner Rechten - starrte mit empörter Miene zurück. Thyras schwieg und auch die beiden Elementalen an der Wand sagten nichts. Die Spannung im Raum war fast mit Händen greifbar. Thyras wartete und stellte erstaunt fest, dass er nervös war, obwohl er sich nicht erklären konnte , wieso.
    “Ehrwürdige Ratsherrin, verzeiht, aber was genau versteht Ihr nicht? Ich meinte, mich deutlich ausgedrückt zu haben.” Kirschner blinzelte in gespielter Verwunderung.
    Sea hingegen sah aus, als hätte sie Essig getrunken. “Kommandant Kirschner! Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr einem verurteilten Verbrecher zur Flucht verholfen habt?”
    “Bei allem gebührenden Respekt, werte Sea!” Jetzt klang Kirschner doch etwas schärfer und er setzte sich einfach über die frommen Titel der Hortbewohner hinweg. “Ist Euch klar, wessen Ihr mich bezichtigt? Glaubt Ihr, ich setze meinen Ruf als Kommandat der Truppen aufs Spiel, indem ich einen Mörder frei durch meine Tore spazieren lasse? Meint Ihr, dass jemand, der in meinen eigenen Hallen einen Menschen umgebracht hat, einfach so entkommen kann? Ich bin empört, ehrwürdige Ratsherrin!”
    Man konnte ihm die Empörung beinahe abkaufen, dachte Thyras still bei sich. Tatsächlich schien der Kommandant aufs Höchste entrüstet. Mit bebenden Nasenflügeln und schnaubend marschierte dieser vor dem Rat auf und ab, als gälte es, so weit wie möglich Abstand von diesen ungeheuerlichen Unterstellungen zu nehmen.
    Dabei war Sea der Wahrheit näher, als sie glaubte.
    Noch am gestrigen Abend hatte der Kommandant Thyras zu sich gebeten und dann genau wissen wollen, was es mit Nate, Artax und Astra auf sich hatte. Grimmig war er genau wie jetzt auf und ab gegangen und hatte Thyras’ Bericht gelauscht.
    Thyras selber war von den Ereignissen des Tages ebenso überrumpelt gewesen wie Kirschner. Den Anblick Astras in den Trümmern des Lazarettflügels würde er sicher nicht so schnell vergessen. Doch das Bild, was sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt hatte, war der junge Mann mit dem leblosen kleinen Mädchen in den Armen …
    Erstickt und immer wieder nach Worten suchend hatte er Kirschner mitgeteilt, was ihm wichtig erschien. Der Kommandant war schweigend stehengeblieben.
    “Kendall ist mir kein Unbekannter. Ich war mit seinem Vater befreundet. Schon allein deswegen könnte ich ihn nicht zum Tode verurteilen, egal wie sehr der Rat tobt. Da müssen wir uns wohl etwas anderes einfallen lassen.”
    Thyras hoffte von ganzem Herzen, dass Kirschner ein Geistesblitz gekommen war.
    “Dann werden wir es etwas anders formulieren.” Die Stimme des Ratsherren Faghi grollte und riss den weisen Mann aus seinen Gedanken. “Was habt Ihr mit ihm angestellt? Ich weise Euch darauf hin, Kommandant, dass auch Ihr Euch an geltendes Recht zu halten habt. Einem zum Tode Verurteilten zur Flucht zu verhelfen, kommt dem Hochverrat gleich.”
    Der Kopf des Militärs fuhr nach oben und mit einem Mal erschien er größer als eben. “Erzählt mir nichts von Hochverrat, Ratsherr! Ihr selbst habt diesen Jungen verurteilt, einmal nach dem Krieg und einmal vor ein paar Tagen!”
    “Zügelt eure Zunge, Kirschner!” Ratsherrin Sea hatte sich erhoben, ihre Augen waren schmal. “Der Rat hat jedes Recht dazu, Verbrecher gemäß den Gesetzen des Hortes zu verurteilen. Und Kriegsverbrechen -”, sie spie dieses Wort beinahe aus, “gehören zu den abscheulichsten und widerlichsten Taten, welche die schlimmsten Strafen verdienen!” Fast schien es, als wolle sie auf den Kommandanten losgehen.
    Der musterte sie lange. Kalt. Dann blickte er kurz zu Thyras herüber, bevor er sich vor den Ratsmitglieders aufbaute.
    “Zwei Mitglieder des Rates waren ebenfalls Teil des Tribunals, welches die damaligen Verlierer abgeurteilt hat.” Sein Blick ruhte auf Faghi und Logias, die mit versteinerten Mienen dasaßen. “Wegen Kriegsverbrechen … wegen Dingen, die wir alle in diesem Krieg getan haben, um zu überleben. Sie und ich ebenfalls. Unser einziger Vorteil war, dass wir auf der Gewinnerseite standen und uns niemand zur Rechenschaft gezogen hat. Aber vergessen sollten wir es nie, nicht wahr, ehrwürdiger Ratsherr Logias? Ihr habt damals die Urteile unterzeichnet. Gegen ein Kind die Todesstrafe verhängt. Nun hat dieses Kind überlebt, Ihr wascht Eure Hände in Unschuld und schickt es ein zweites Mal aufs Schaffot. Und wieder führt Ihr es nicht zu Ende! Meint Ihr nicht, dass dieser junge Mann inzwischen genug gelitten hat?”
    Die Angesprochenen bewiesen wenigstens den Anstand, beschämt zu schweigen. Doch Ratsherrin Sea sah das anders. “Unsere Meinung ist unerheblich, Kommandant”, zischte sie. “Die Taten sprechen für sich. Und sei seine Kriegsschuld auch abgegolten, so hat Kendall einen Mord begangen!”
    “Ich danke Euch, dass Ihr uns diesen Umstand wieder ins Gedächtnis gerufen habt”, entgegnete der Kommandant kalt. “Deshalb werde ich auch Euch an etwas erinnern. Dieser Mord fand in meiner Veste statt - die Verturteilung und Vollstreckung der Strafe obliegt allein mir.”
    Seas Mund war inzwischen so verkniffen, dass man ihn kaum noch zu erkennen vermochte. “Und welche Strafe spricht die Veste aus für einen Mord an einem Elementalen?” Es klang beinahe, als hätte Nate mit Artax keinen eiskalten Mann fürs Grobe, sondern einen geliebten Sohn getötet, dachte Thyras.
    Er wartete angespannt. Falls Kirschner eine Strafe wählen würde, die dem Rat als zu schwach erschien, würde ein langer Prozess folgen und dieser würde dem jungen Nate ohne Zweifel die letzte Kraft rauben. Astras Freund war bereits jetzt schon in schlechter Verfassung, das aggressive Fieber hatte seine Spuren hinterlassen und die Geschehnisse der vergangenen Woche …
    Obwohl er bis jetzt noch nicht mit Nate gesprochen hatte, war Thyras tief beeindruckt von dessen Persönlichkeit und Charakterstärke. Su und Atesch, die ihn über die Hintergründe ihrer Operation im Hort aufgeklärt hatten, schien es ebenso zu gehen. Dieser junge Mann hatte mehrfach bewiesen, dass er in extremen Situationen perfekt koordinieren und und handeln konnte. Er besaß Ressourcen, die selbst im Hort immer knapper wurden - Führungsqualität, innere Stärke und beispiellose Selbstdisziplin. Eine wertvolle Persönlichkeit, die Thyras nicht nur Ivys wegen unbedingt näher kennenlernen wollte. Mit ihm konnte man Pläne machen und tatsächlich war da schon ein Plan herangereift ... Was natürlich nur funktionierte, wenn Kirschner ihn nicht auf das Schafott stellte.
    “Die Veste hat schon entschieden.” Kirschner blickte den Rat mit unbewegter Miene an. “Jordan Nathanael Kendall wurde wegen Totschlags aus der Veste verbannt. Er ist bereits unterwegs in die Downs.”

    Und Thyras’ Plan zerplatzte wie eine Seifenblase.

    Ihre Augenlider schienen schwer wie Blei und sie brauchte alle Kraft, um die Augen zu öffnen. Als sie blinzelte, vertrieb mildes Licht die sanften Schleier ihres Schlafes. Langsam schälte sich die Zimmerdecke aus dem Nebel, der sie zu umgeben schien.
    Etwas lag in der Luft, sie konnte es jedoch nicht benennen. Eine dunkle Vorahnung drückte auf ihre Brust. Als sie tief durchatmen wollte, schoss der Schmerz durch die linke Schulter und ließ sie aufkeuchen.
    “Ganz ruhig”, murmelte Su neben ihr. “Beweg dich nicht. Du bist ziemlich schlimm verwundet.”
    Benommen drehte Astra den Kopf und blickte ihre Kameradin an. Deren Gesicht war ernst, der Mund lediglich ein schmaler Strich und die sonst so leuchtenden blauen Augen schienen erloschen.
    Mit einem Mal prasselten die Erlebnisse wieder auf sie ein. Der Kampf mit Artax … und Nates Kampf, den sie nur aus der Ferne gespürt hatte … Nate! Erschrocken richtete sie sich halb auf, was ihre Verletzung wieder mit wütenden Stichen quittierte. “Su! Wo sind Nate und Ivy?”
    “Astra, leg dich hin. Du musst dich ausruhen.” Sus Stimme war eindringlich und sanft, aber bestimmt brachte die Elementale des Wassers Astra wieder in eine liegende Position.
    Schwer atmend ließ sie sich in das Kissen zurücksinken. Ihr Herz klopfte panisch und Angst schien ihre Glieder zu lähmen. Mit geballten Fäusten schloss sie die Augen wieder und versuchte, ruhig zu atmen.
    Suchend glitt ihr Gespür durch die Korridore, verharrte in jeder Ebene und lauschte, ob nicht eine Nuance, ein winziger Funken zu finden war … zwei Personen hier in der Veste waren Lichtträger, sie mussten doch deutlich zu sehen sein! Drängend streckte sie ihr Suchfeld weiter aus, tastete in alle Richtungen, und je intensiver ihre Anstrengungen wurden, desto mehr wuchs auch das Entsetzen.
    Ivy … Nate …!
    Verstört riss Astra die Augen auf. “Wo sind sie, Su?”
    “Astra …” Der Kummer ließ Su älter wirken. Er grub sich tief in das schöne Gesicht der Freundin.
    Kälte überfiel Astra, packte ihr Herz und ließ dieses stolpern. Der Kampf fiel ihr wieder ein, der Kampf, den sie aus weiter Ferne miterlebt hatte - was war geschehen?
    Ihre Kraft, sie hatte mit ihrem Licht eingegriffen. Doch als dieses mit der Finsternis ihres Gegners kollidiert war, hatte sich ihr Geist verdunkelt und sie war in die Bewusstlosigkeit gefallen…
    “Su!” Selbst ihre Stimme klang nun kraftlos. “Bitte, sag es mir.”
    Die schlanken braunen Finger der Freundin legten sich über ihre und drückten sie.
    “Artax hat Ivy getötet, Astra.”
    Die leisen Worte fegten mit einem Mal alles Denken fort. Gähnende Leere war alles, was in ihr zurückblieb, während sie dalag und Su anstarrte. Dann ergoss sich eine Flut von Bildern in ihren Geist, blitzten rasend schnell auf und verblassten wieder, rissen sie mit sich wie ein Strudel … das Mädchen auf Retts Schoß. Im Hort, zerstochen von Nadeln. An Nate gekuschelt, ihm Wärme spendend und ihm den Weg zurück weisend … Ivy …
    Ein jammernder Laut entrang sich ihrer Kehle, ihre Augen brannten und ihre Kehle schien so eng, dass Atmen unmöglich war. Schluchzend krallte sie die freie Rechte in die dünne Decke, während die Tränen warm und rasch an ihren Wangen herab rannen.
    Artax hatte Ivy getötet.
    Deshalb konnte Astra sie nicht mehr sehen. Ivys Licht war erloschen. Nicht mehr da …
    Am liebsten hätte sie sich zusammen gekrümmt und geschrieen, doch ihre Wunde erlaubte es nicht. So blieb sie bebend vor Trauer liegen, ließ den Schmerz über sich hinweg ziehen und seine Krallen in ihr Herz schlagen. Nur von Ferne spürte sie, wie sie sich an Sus Hand klammerte, wie die Freundin ihr Halt gab und nichts sagte, sondern schweigend mit ihr litt.
    Die Zeit geriet aus den Fugen, flog davon.
    Schließlich blieb sie leergeweint und kraftlos zurück. Wieder sah sie zur Zimmerdecke hinauf. “Was noch?”, flüsterte sie.
    Su atmete ein paar Mal tief durch. Es war, als wollte sie nicht sprechen. Wieder strichen die dunklen Finger über Astras Hand.
    “Artax … ist auch nicht mehr am Leben. Nate hat ihn umgebracht, wegen der Kleinen. Er - muss ihren Tod wohl mit angesehen haben. Und dann …”
    Astra zog ihre Hand weg und drehte sich zur Seite. Sie wollte nichts mehr hören, sie war sich sicher, nicht mehr ertragen zu können. Nate - er hatte Ivys Tod miterlebt? Hatte Artax sie etwa direkt vor seinen Augen getötet? Warum? Die Kleine hatte niemals einer Seele etwas zuleide getan. Immer nur war sie Mittel zum Zweck gewesen, ein Köder für Nate, ein Schwachpunkt. Welchen Genuss musste es Artax bereitet haben, Ivys Leben zu nehmen, ohne das Nate etwas zu entgegnen gehabt hatte … und dann hatte Nate Artax …
    Der Schmerz in ihrer Seele verdrängte alles andere. Sus Stimme, die aus weiter Ferne zu ihr sprach, erreichte sie nicht.
    Alle tot - Kay, Ivy … Nate? Er hatte einen Mann ermordet. Hier in der Veste. Sie konnte sein Licht nicht mehr finden. War er hingerichtet worden?
    “Wo ist Nate?” Langsam wandte sie sich wieder um. Ihre Stimme klang heiser. “Wo ist er, Su? Was haben sie mit ihm gemacht? Ist er …?”
    “Nein.” Die Freundin schüttelte bekümmert den Kopf. “Der Rat besteht sicher auf eine Hinrichtung. Aber für deinen Freund ist das Leben die schlimmere Strafe. Kirschner hat ihn heute morgen allein in die Downs verbannt. Er ist für immer fort.”

    Danke euch allen, die ihr so treu lest und Nate so tapfer zur Seite steht! Ihr seid klasse! Sind auch bald fertig!


    “Als ich dich das letzte Mal persönlich getroffen habe, bist du noch auf meinen Knien geritten.”
    Wie ein Blitz schlugen die Worte in Nates Bewusstsein und verdrängten für einen Moment die entsetzliche Dauerschleife der letzten Stunden aus seinem Denken. Bis jetzt war es ihm egal gewesen, wer ihn hier in seiner Zelle aufgesucht hatte. Er wollte niemanden sehen und mit niemandem sprechen. Die Zeit hier schien still zu stehen.
    Anfangs hatte er noch getobt, hatte seine Kopf gegen die Wand geschlagen, bis sie ihn am Bett fixiert hatten. Seine Hände waren gefesselt, immerhin hatte er nur mit ihnen einen Menschen getötet. Selbst zu den Mahlzeiten blieben die Handschellen dran, doch die Mahlzeiten kümmerten ihn nicht mehr. Nichts kümmerte ihn mehr.
    Doch jetzt war ein Gast erschienen.
    Trotz seiner innerlichen Aufregung tat er seinem Besucher nicht den Gefallen, Interesse zu zeigen oder zumindest den Kopf zu heben. Er blieb an der Wand sitzen und starrte auf seine zerschlissenen Schuhe. Es gab nichts zu sagen.
    Kommandant Kirschner seufzte kurz, dann lehnte er sich an die Wand. “Junge, was soll ich jetzt mit dir machen?” Er klang immer noch wie früher. Mitfühlend, mit einer leicht kratzenden Note in der Stimme.
    Mit einem Mal fühlte sich Nate zurückgeschleudert in einen Sommer vor fast fünfzehn Jahren, als dieser Mann gemeinsam mit seinem Vater im Garten gesessen und mit diesem über den drohenden Krieg gesprochen hatte. Doch er sagte nichts. Wozu auch. Selbst Kirschner würde Ivy nicht zurückholen können … sollte er doch einfach wieder verschwinden.
    Der Kommandant ahnte wohl, dass sein Gegenüber nicht auf einen Plausch aus war. Für einen Moment füllte das Schweigen die Zelle aus.
    “Hör mal, Junge, ich will dir helfen”, seufzte Kirschner schließlich. “Dein Vater war mein guter Freund, bis der Krieg uns zu Feinden gemacht hat.”
    Stille.
    Nate schloß die Augen. Als hätte es nur auf diesen Moment gewartet, stieg Ivys Bild vor ihm auf, die Sekunden ihres Todes, als ihr Leben erloschen war -
    Erneut ballten sich seine gefesselten Hände, seine Arme zuckten, als gelte es immer noch, das letzte bisschen Leben aus Artax herauszupressen.
    Kirschner musste es bemerkt haben.
    “Du hast einen Mann getötet, Kendall. Hier in der Veste. Darauf steht die Todesstrafe. Und der Rat sitzt mir im Nacken. Sie verlangen deine Herausgabe oder alternativ deine Hinrichtung aufgrund von Kriegsverbrechen. Was soll ich ihnen sagen, hm?”
    Betont langsam hob Nate den Kopf und sah den älteren Mann an. Was gab es hier noch zu überlegen? Warum machte der Alte nicht einfach seinen Job, damit Nate endlich einmal Ruhe hatte? Dieses ständige Verhandeln und Debattieren war zermürbend. Erst im Hort, jetzt hier. War es sein Schicksal, die Strafe bis in alle Ewigkeit im Nacken zu spüren, ungewiss, wann sie über ihn hereinbrechen würde? Musste er für den Rest seines Lebens darauf warten, dass irgendwer endlich das Zeug dazu hatte, ihn rechtmäßig zu exekutieren? Seine Fingernägel gruben sich in die Handballen, die Kunststofffessel knarzte warnend. Er starrte den Kommandanten verächtlich an.
    Dieser hob das Kinn, straffte den Rücken und verschränkte die Arme. “Ich hätte große Lust, ihrer Aufforderung nachzukommen. Du und deine Leute haben hier einiges durcheinander gewirbelt und ich will meine Ordnung zurück.” Er schnaubte kurz. “Andererseits kann ich das Andenken an deinen Vater nicht besudeln, in dem ich seinen Sohn für Dinge hinrichte, die jeder von uns ebenfalls getan hat.”
    Nate weigerte sich, den Ball aufzufangen und zurückzuspielen. Er schwieg weiterhin und konzentrierte sich mit aller Kraft darauf, damit seine Gedanken nicht zu dem kleinen blonden Mädchen zurückkehrten.
    “Nein, ich werde dich nicht töten, Kendall. Ich verurteile dich zum Leben. Und wer weiß, vielleicht wird das die schlimmere Strafe sein.” Kirschner drehte sich um und stiefelte davon. Die Tür schloss sich hinter ihm und ließ Nate allein in der Verzweiflung zurück.

    wer Musik dazu möchte : bitte sehr


    Wie auf ein geheimes Kommando legte die Soldaten an. Doch Thyras hob beschwörend die Hand und passierte den Türrahmen.
    Nein!
    Stumm vor Entsetzen blickte er auf das Bild, das sich ihm bot.
    Artax lag am Boden, die Augen aufgerissen und leer. Blut war aus seinem Mund geflossen und seine Zunge hing halb zwischen den blauen Lippen hervor.
    Nate kniete auf dem Brustkorb des Elementalen und sah mit ausdrucksloser Miene auf diesen herab. An seinen Händen klebte ebenfalls Blut, es tropfte aus einer Wunde im Gesicht und auf seiner Brust prangte ein handtellergroßes Loch in seinem Shirt.
    “Nate.” Vorsichtig trat Thyras näher, doch dann erblickte er die beiden anderen Personen am Boden.
    Etwas schien ihn auf die Brust zu treffen, er taumelte und musste Halt an der Wand suchen. Ein dicker Kloß wuchs in seiner Kehle, drückte ihm die Luft ab und ließ seine Augen brennen. Die Kleine … und ihr väterlicher Freund ...

    Da kam wieder Leben in Nate, er sprang auf, tat drei Schritte und fiel mit einem erstickten Laut neben Ivy auf die Knie. “Ivy …”
    Der Schmerz fuhr über sein Gesicht wie ein Blitz, er stieß einen unmenschlichen, klagenden Laut aus. Seine großen Hände verharrten bebend nur Zentimeter von dem kleinen Kinderkörper entfernt. Dann beugte er sich langsam vor, schob mit unendlicher Behutsamkeit seine Finger unter ihre Arme und hob sie sanft hoch. Vorsichtig, als wolle er sie auf keinen Fall verletzen, drehte er sie ein wenig, zog sie auf seinen Schoß und hielt sie. “Hey, Kleines …”
    Der flachsblonde Kinderschopf fiel kraftlos nach hinten. Blaue leblose Augen starrten an die Decke. Aus dem linken Mundwinkel lief ein dünner Blutfaden.
    Zärtlich verlagerte er ihr Gewicht, sodass der kleine Kopf in seiner Ellenbeuge ruhte. “Ivy … ich bins, Nate. Du brauchst keine Angst vor dem Mann zu haben. Er tut dir nichts mehr.” Seine Finger strichen blonde, dünne Strähnen aus dem bleichen Gesicht, fuhren über ihre Wange. “Komm, meine Kleine. Ich bringe dich nach Hause - “
    Seine Stimme kippte und mit einem Mal wurde er von wilden Schluchzern geschüttelt. “Ich bringe dich heim. Rett wartet sicher schon auf uns … “
    Stumm kam Thyras an seine Seite.
    Doch der junge Mann nahm keine Notiz von ihm. Tränen tropften auf Ivys blutverschmierte Brust. Nates Worte waren kaum zu verstehen, seine Trauer erstickten sie beinahe. ”Wach auf, Ivy. Komm, wach auf. Komm schon!”
    Er brüllte jetzt, doch die Kleine konnte ihn nicht mehr hören.
    Verzweifelt presste er sie an sich, barg ihren Kopf an seiner Schulter und wiegte sie, als müsse er sie trösten. Dabei schrie er selber immer wieder gequält auf, weil er das, was über ihn gekommen war, nicht fassen konnte.
    Thyras spürte seinen Schmerz beinahe körperlich. Leise ließ er sich neben den beiden nieder und auch sein Herz krampfte sich zusammen, als er Ivys blasses Gesicht sah, starr, wie eine Maske. Auch ihm schossen die Tränen in die Augen.
    “Nate … “
    Der Angesprochene hob den Kopf und sah ihn verzweifelt an.
    “Warum? Wir hatten es doch schon geschafft. Sie war in Sicherheit. Wieso?” Wieder blickte er auf das Mädchen in seinen Armen hinab. “Wieso sie? Sie war - völlig unschuldig. Sie hat niemandem etwas getan.” Erneut brach seine Stimme. “Nur weil sie zu mir gehörte, weil sie mir etwas bedeutet hat …” Ein neuer Schrei drängte aus ihm heraus. “Ich hatte versprochen, sie zu beschützen!” Mit ohnmächtiger Wut hieb er auf den Boden. Dann strich er dem Mädchen erneut über die Wange. “Es tut mir so leid, Ivy. Ich habe versagt. Ich habe versagt.” Seine Stimme verabschiedete sich endgültig, seine Trauer übermannte ihn.
    Thyras blieb nichts übrig, als ihm stummen Beistand zu leisten, während er, Ivy an sich gedrückt, hemmungslos weinend aufgab.

    Die Soldaten hatten mit betretenen Mienen draußen gewartet, bis schließlich Kirschner höchstpersönlich auftauchte. Als er das Zimmer betrat, warf er Artax’ Leiche einen langen Blick zu, dann musterte er schweigend Nates Rücken. Der junge Mann hatte sich noch immer über das Kind gebeugt und hielt es fest. Thyras schüttelte auf Kirschners fragende Miene stumm den Kopf. Er konnte nichts sagen.
    Schließlich nickte Kirschner zwei Männern zu und ruckte mit dem Kinn zu Rett hinüber. Behutsam wurde dieser aufgehoben und aus dem Raum getragen, ohne dass er wieder zu sich kam.
    Dann sah der Militär wieder zu Nate und Thyras erkannte, dass die Trauer des jungen Mannes auch den Kommandanten nicht kalt ließ. Es war die Pflicht des Befehlshabers, Nate in Gewahrsam zu nehmen, bis ermittelt werden konnte, was hier passiert war. Doch keiner schien angesichts dieser Verzweiflung eine Verhaftung durchführen zu können.
    Thyras selbst kniete immer noch neben Nate und obwohl ihm selber furchtbar elend zumute war, legte er dem Jüngeren schließlich die Hand auf den bebenden Arm.
    “Gib sie mir, Nate.” Er war erstaunt, wie ruhig seine Stimme klang und wie er automatisch den Namen wählte, den nur die Familie und die Freunde benutzten. “Gib sie mir. Du kannst nichts tun. Ich kümmere mich um sie.”
    Erst wirkte es, als hätte Nate ihn gar nicht gehört. Keine Reaktion war erkennbar. Doch dann hob er so langsam den Kopf, als würde er aus einem Traum erwachen und schaute Thyras mit entsetztem Gesicht an. Gleichzeitig schien er Ivy noch fester an sich zu drücken.
    Thyras brauchte einen Moment, um zu begreifen. Nate hatte erst ein Familienmitglied sterben sehen. Und dieses war nur wenige Augenblicke später in den Tiefen des Horts verschwunden.
    “Ich verspreche dir, Ivy wird nicht in der Aufwertung landen, Nate.” Er sah direkt in die dunkelbraunen Augen. “Ich schwöre es!” Langsam streckte er die Hände aus.
    Nate blieb stumm. Dann sanken seine Schultern herab, sein Griff um das Kind lockerte sich.
    Behutsam hob Thyras den kleinen Körper aus Nates Armen, barg den Kopf an seiner Schulter und erhob sich. “Ich kümmere mich um sie”, wiederholte er eindringlich.
    Wortlos nickte Nate, den Blick auf den Boden gerichtet. Er machte keine Anstalten aufzustehen.
    Kirschner seufzte tief, als Thyras mit seiner kostbaren Last an ihm vorbeischritt und schloss mit schmerzvollem Gesicht die Augen. “Nehmt ihn fest!”, wies er seine Untergebenen tonlos an, bevor er sich umdrehte und beinahe fluchtartig das Zimmer verließ.

    Lady

    Dass Ivy das Ding durchzieht, war ja die geheime Hoffnung von Miri . und stell dir die EPICNESS vor : der Elementale der Dunkelheit, die Verkörperung der absoluten Finsternis, das personifizierte Allböse - besiegt von einer blinden 4-Jährigen, die zufällig ihre Kräfte entdeckt hat. Ich hätte es ihr gegönnt! :D

    Ich persönlich werde Artax vermissen. Ja, er war ein mieses Stück Dreck, aber es hat mir SOLCHEN Spaß gemacht, seine verquere und gestörte Persönlichkeit in Worte zu fassen:ugly:

    Rainbow

    Der "Spaß" hat mich zugegeben ein wenig irritiert. Aber wenn du meinst, dass es sich gut lesen lässt, bin ich zufrieden!

    Bei der Szene, in der Nate Artax angreift, habe ich lange überlegt, wie ich es schreiben soll, ohne Nate als gefühlskaltes Monster dastehen zu lassen. Deshalb hab ich ihn selbst zuschauen lassen - soll es ja geben, dass Menschen in einem Moment wie fremdgesteuert sind und "irgendwie neben sich" stehen:D

    Lady

    Irgendwie klingt es bei dir ein wenig frustriert, oder irre ich mich?

    wirklicher Spoiler


    Es war von Anfang an geplant, dass Nate diesen Kampf gewinnt (aber interessant, eure Wetten darauf zu verfolgen, wem die Ehre zuteil wird, Artax den Ar*** aufzureißen). Ich habe mich von meinem Mann beraten lassen, wie man jemanden effektiv mit bloßen Händen umbringen kann. Bei einem völlig zermatschten Kehlkopf stehen die Chancen auf Überleben eher schlecht, zumal er ja vorher schon einen Schlag ins Gesicht bekommen hat und deshalb schlicht an seinem eigenen Blut ersaufen wird. Wenig spektakulär, aber verdient hat ers!

    Nun bin ich mal gespannt, wer überlebt und wer nicht und wie es generell weiter geht

    du glaubst, ich schlachte alle ab oder? Naja, bei Rett isses noch offen, der liegt momentan halt rum. Astra ist verletzt, Kay schon tot - ich bin auf nem guten Weg:evil:

    Zu spät

    Die Welt kippte.
    Ivy fiel und Nate fiel mit ihr, es schien ihn aus seinem Körper herauszuschleudern.
    Fassungslos sah er zu, wie Artax hysterisch brüllend das kleine Kind zur Seite warf und in einem Moment absoluten Triumphes die Arme hob. Wie in Zeitlupe flog Ivy, sank aufs Retts Rücken und legte sich dort zur Ruhe, das helle Haar mischte sich mit den dunklen Locken.
    Irgendjemand neben ihm schrie laut und als er den Kopf wandte, sah er sich selbst auf den Knien und sein eigenes Gesicht hatte nichts Menschliches mehr. Der Kerl da war völlig außer sich, doch als er in sich hineinhorchte, fühlte er - gar nichts. Es war, als hätte sein Verstand abgeschaltet, weil er die Grausamkeit nicht länger erfassen konnte.
    Wieder füllte Lachen den Raum, bildete eine grausige Dissonanz mit dem Klagen seines Körpers. Artax lachte, während er Nate auf dem Boden sah, er feierte seinen Sieg und Häme und Irrsinn zerrissen seine Miene zu einer hässlichen Fratze.
    “Es ist einfach, einen Menschen zu töten. Du musst lediglich wissen, wo du ansetzen musst - und du musst es wirklich wollen.”
    Die Worte hatten sich in sein Gedächtnis gebrannt. Damals, als er seinem Vater gegenübergestanden hatte und entsetzt von sich selbst war, weil er das erste Mal einen Menschen umbringen sollte ...
    “Es ist einfach … zu töten …”
    Kreischend schraubte sich das misstönende Gelächter in seine Ohren und löschte jeden anderen Gedanken aus. Sein Körper erhob sich in einer einzigen fließenden Bewegung. Jahrelang antrainierte Bewegungsabläufe, die er nie zu nutzen gewagt hatte, wurden durch Artax’ Hohn aktiviert, im Nu war er auf den Beinen und sprang den Elementalen der Dunkelheit an.
    Artax schnappte erschrocken nach Luft, er hatte die Attacke nicht kommen sehen und landete hart auf dem Rücken.
    Mit einem Satz war Nate über ihm, presste den Gegner mit seinem eigenen Gewicht auf den Boden. Ein kräftiger Schlag auf das Handgelenk ließ dieses hörbar knacken und die Finger des Elementalen gaben das Messer frei -
    Reglos sah Nate zu, wie er selbst zum Schlag ausholte und die Faust mit aller Kraft in Artax’ Gesicht schmetterte. Es knirschte übelkeitserregend, dann spritzte Blut und der Getroffene stieß einen Laut aus, halb heulend, halb rasend vor Zorn. Die Hände, die eben noch die Finsternis koordiniert hatten, fuhren bebend zu dem verletzten Gesicht, betasteten die Wunde, als könnte die bloße Berührung Linderung verschaffen …
    “Du musst wissen, wo du ansetzen musst …”
    Der zweite Schlag traf Artax an der Schläfe, sein Kopf flog herum und Nate sah, wie sich der Blick aus den blauen Augen merkwürdig verschleierte. Hustend und Blut spuckend rang Artax nach Luft, blinzelte gegen den Schmerz in seinem Gesicht an und hätte sich wohl zusammengekrümmt, wäre der Körper des jungen Mannes nicht über ihm gewesen.
    “Du musst es wirklich wollen.”
    Nate sah die Verachtung in seinem eigenen Gesicht, für einen Moment verharrte sein Selbst und blickte auf Artax herab. Dann packte er das verletzte Handgelenk seines Gegners. Artax brüllte schmerzerfüllt und riss den Kopf hoch, als könnte er der Pein so entkommen.
    Jetzt, dachte Nate, und sein Körper holte aus und traf Artax mit dem Ellenbogen direkt auf den Kehlkopf.

    Thyras schlitterte beinahe um die Ecke des Gästetraktes und hastete weiter auf Ivys Zimmertür zu. Hinter ihm dröhnte der Laufschritt der Soldaten, die ihm folgten. Kirschner hatte sie zu seinem Schutz abbestellt, doch er hoffte inbrünstig, dass keine Schüsse fallen mussten. Es hatte schon genug Schmerz und Leid gegeben.
    Ganz kurz zuckte Astras Bild durch seine Gedanken. Er selbst hatte ihre klamme Hand ergriffen und leise ihren Namen gerufen, während sein Herz schmerzhaft gegen seinen Brustkorb geklopft hatte. Nicht auch noch sie … vier der Elementalen waren schon tot. Sollte sie noch folgen?
    Auf seine Berührung hin hatte sie ihn unter großer Anstrengung direkt in die Augen gesehen und “Nate ist fort” gemurmelt, bevor die Medikamente anschlugen und ihr gnädige Bewusstlosigkeit erlaubten.
    Doch diese drei Worte waren genug gewesen. Der junge Mann musste noch in der Veste sein, sonst hätte einer der Posten am Tor Meldung gemacht. Er würde nicht gehen, ohne sicher zu sein, dass die Kleine versorgt war - er musste noch einmal zu ihr …
    Thyras hatte Kirschner informiert und war dann, begleitet von Sergeant Benedict und einem halben Dutzend Soldaten, zum Gästetrakt geeilt, getrieben von Sorge und dem unbändigen Wunsch, Artax aufzuhalten.
    Doch als sie den Gang erreichten, spürte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Er konnte es nicht benennen, doch es lag eine Spannung in der Luft, die einem das Adrenalin durch den Körper schießen ließ.
    Die Tür zu Retts Unterkunft, in der auch Ivy schlief, war verschlossen. Zwar kannte niemand der Anwesenden den Code, doch Kirschner schien das bei der Wahl des Begleittrupps bedacht zu haben. Einer der Soldaten trat vor, zog ein kleines Kästchen aus der Hosentasche und hatte den Durchgang beim dritten Versuch geöffnet.
    Alle holten zischen Luft, als die Tür summend zur Seite glitt.
    Der Türrahmen war gefüllt mit reinem Schwarz. Blickdicht und alle Laute schluckend, bildete die Finsternis eine dunkle Wand.
    Zögernd streckte Thyras die Hand aus und seine Finger trafen auf Widerstand. Ein Hieb mit der Faust machte diesem Bollwerk nichts aus. Er wechselte einen kurzen Blick mit Sergeant Benedict, dann trat der Militär einen Schritt zurück, zog seine Waffe und feuerte auf die Schwelle. Die Kugel blieb in der Schwärze stecken.
    Sie kamen nicht hindurch.
    “Artax!”, rief Thyras, obwohl er nicht sicher gehen konnte, dass der Gerufene ihn auch hören könnte. Aber es war ihm unmöglich, hier zu stehen und zu warten, bis der Elementale der Finsternis irgendwann wieder herauskam. Und Ivy! Und der junge Nate …
    Er wusste nicht, was er tun sollte und so versuchte er, an Artax zu appellieren.
    “Komm raus. Lass mich mit dir reden. Ich kenne dich, seit du ein kleiner Junge warst.Und ich werde dir zuhören.”
    Für einen Moment herrschte Stille. Dann flackerte die Wand aus Schwarz und löste sich schließlich in kleine Rauchfetzen auf.

    Bumm!
    Ein dumpfer Schlag in der Ferne.
    Astra blinzelte mühsam. Bis eben war sie körperlos durch Schleier geschwebt, frei von Schmerz, Angst und Trauer, frei von allem, was ihre Sinne aufnehmen konnten. Doch dieses merkwürdige Geräusch hatte sie vernommen. Es klang wie ein Faustschlag, eine gedämpfte Explosion.
    Bumm!
    Da war es wieder.
    Gefühl schoss in ihre Glieder zurück und mit einem Mal spürte sie, dass sie einen Körper hatte, dass sie zwar noch immer schwebte, doch dieses Schweben in der warmen dunkelroten Sphäre steuern konnte.
    Etwas rief in ihr, drängte tief in ihrem Herzen danach, dass sie den Kopf drehte und in eine bestimmte Richtung sah. Zögernd blickte sie erst nach links, dann nach rechts.
    Weit in der Ferne, wie Sterne in einer anderen Galaxie, erblickte sie zwei schillernde Punkte, einen größeren, einen kleineren. Der Größere war etwas blasser, er flackerte unstet.
    Bumm!
    Dieses Mal dröhnte es wie ein Donnerschlag, der große Stern blinkte und für einen Moment sah es aus, als würde er erlöschen. Astra, schien er zu seufzen, es tut mir so leid.
    Angst kroch in ihr herauf, drängende Panik erfüllte ihren Körper mit Zittern. Der Stern durfte nicht verglimmen. Sein Licht musste bestehen bleiben. Licht …
    Sie atmete aus, streckte ihre bloßen Hände dem fernen Leuchten entgegen, sandte ihr Licht durch die Tiefen dieses unbekannten Raumes, dem sterbenden Stern entgegen.
    Geh nicht, dachte sie, bevor der Schmerz in ihren Körper zurückschoss. Geh nicht, ich komme zu dir.

    Ein mächtiges Brausen, untermalt von kreischenden Lauten. Wind kam auf und zerrte an seinen Haaren. Verstört riss Nate die Augen auf, die er in Erwartung der erneuten Finsternis um ihn fest zusammengepresst hatte.
    Nur Zentimeter von ihm entfernt hatte sich eine Lichtwand aufgebaut, hauchdünn, laut summend und undurchdringlich. Er konnte den Strahl aus Schwärze sehen, der auf diese leuchte Grenze traf und sich rasch in Rauch aufzulösen schien, bevor dieser brüllend von dem hellen Schein verschluckt wurde.
    Verblüfft sah er an sich herab und stellte erstaunt fest, dass das Licht aus seiner Brust strahlte. Immer wärmer wurde es in ihm, bis schließlich eine kleine, schimmernde Kugel aus ihm heraus glitt und sanft vor ihm auf und ab schwebte.
    “Astra”, flüsterte er tonlos.
    Die kleine Kugel beschrieb einen sanften Bogen, dann schossen zahlreiche silberne Fäden aus ihr heraus, durchdrangen die Wand aus Licht. Nate hörte einen wütenden Schrei, dann ein Zischen, als hätte jemand Wasser in ein Feuer gegossen.
    Langsam schrumpfte die Lichtwand und gab Nate einen ungehinderten Blick auf das Geschehen vor ihm.
    Die Silberfäden waren an der von Artax ausgesandten Dunkelheit entlanggekrochen und schlangen sich um dessen Handgelenk, formten ein immer dichter werdendes Netz, welches die Finsternis zurückhielt.
    “Das wird nicht gelingen.” Die Frauenstimme klang grimmig. “Ich erlaube dir nicht, diese beiden zu verletzen. Sie sind Träger des Lichtes und du hast keine Macht über sie.” Für einen Augenblick erschien auf der schwindenden Lichtwand ein vertrautes Gesicht, so nahe, dass Nate am liebsten die Hand ausgestreckt und es berührt hätte. Doch dann verschwand das Bild, die Silberfäden strahlten hell auf, bevor sie sich in Artax’ Hand bohrten und seinen ganzen Körper erleuchten ließen. Ein letztes Schimmern, dann erlosch das Licht.
    Wortlos starrten die beiden Männer auf die Stelle, an der Astras Ebenbild verschwunden war. Dann stieß Artax ein Grollen aus, dass Nate die Nackenhaare aufstellen ließ. Laut brüllend riss der Elementale die Faust nach vorn - doch nichts geschah. Er versuchte es erneut, doch die Schattententakel erschienen nicht.
    Langsam stand Nate auf, seinen Gegner nicht aus den Augen lassend. Was immer gerade geschehen war - Artax konnte seine Kraft nicht einsetzen. Ob dieser Zustand von Dauer sein mochte oder nicht, spielte keine Rolle, denn Nate würde diesen Moment nutzen. “Lass Ivy los!” Er legte all die Autorität seiner Militärkarriere in diese drei Worte, sah Artax direkt in die Augen.
    Ivy wimmerte.
    Und Artax brach in Gelächter aus. Es war kein amüsiertes Lachen, wie damals im Hort, es war purer Wahnsinn, der aus ihm herausquoll. Mit einem Ruck schleifte er das Mädchen ein paar Schritte in Richtung Tür, während die freie Hand hinter seinen Rücken wanderte und dort einen langen, schwarzen Dolch herauszog.
    “Erkennst du ihn wieder, Kendall?” Artax’ Stimme schnappte über, als er Nate die Klinge entgegenstreckte. “Einen davon habe ich in eurer Wohnung zurückgelassen, in den Handflächen deines treuen Freundes!” Mit einem Kopfnicken wies er auf Rett am Boden. “Vielleicht war ich zu gutmütig. Ich hätte ihn gleich töten sollen.”
    Die Dolchspitze wanderte an Ivys Kinn und das Kind erstarrte entsetzt.
    Nate ebenfalls. Er besaß keine Waffe. Nichts, was Artax beeindrucken konnte. Sie waren dessen Launen hilflos ausgeliefert. Gänsehaut kroch an ihm herauf und Angst schien sein Denken lähmen wollen. “Artax, lass sie”, brachte er heraus. “Ich … bitte dich. Sie hat nichts damit zu tun. Stell mit mir an, was du willst, aber lass Ivy gehen.” Es war ihm ernst. Er würde alles von Artax’ Hand erdulden, wenn Ivy dafür in Sicherheit sein konnte.
    Ohne die Kleine loszulassen, ging Artax neben ihr in die Hocke. “Hörst du das, Ivy? Nate möchte nicht, dass ich dir etwas tue. Soll ich ihm lieber wehtun? Was denkst du?” Jetzt strich die Klinge an dem bloßen Kinderarm entlang. Ivy stieß einen schmerzvollen Laut aus und Blut quoll aus dem Schnitt in der hellen Haut.
    Nate machte einen Satz nach vorn, prallte dann aber zurück, als Artax die Waffe wieder hob. “Eine Bewegung und ich schneide sie vor deinen Augen in handliche kleine Stücke, Kendall!”
    Bebend vor Zorn und Angst blieb Nate notgedrungen, wo er war. Ivy hatte den Kopf gehoben, ihr Blick ein einziges Flehen. Hilf mir, schrien ihre blinden Augen, doch er konnte nichts tun.
    Artax weidete sich offen an der Hilflosigkeit seiner Opfer. “Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich diesen Augenblick herbeigesehnt habe, mein Freund. Seit du mir im Hort durch die Finger geschlüpft bist, warte ich darauf.”
    Er leckte sich über die Lippen und glich in diesem Moment noch mehr als sonst einem Raubtier vor seiner Beute.
    Nates Gedanken rasten. Er musste auf Zeit spielen. Irgendwann würde Hilfe kommen, so lange galt es, durchzuhalten. “Wieso?”, flüsterte er. “Ich habe dir nichts getan. Wieso dieser Hass auf mich?”
    Artax ließ die Klinge in seiner Hand wirbeln, dann packte er sie wieder fester. “Du hast etwas genommen, das mir gehört, Kendall. Mir allein.” Er blickte Nate direkt an.
    Und dieser wusste sofort, worauf sein Gegner hinaus wollte. Die junge Frau mit den weißen Haaren, die ihren eigenen Preis bezahlt hatte …
    “Für diesen Frevel werde ich dich zerschmettern, Kendall. Ich werde alles vernichten, was dir lieb und teuer ist, bis nichts mehr übrig sein wird, an das dein Herz sich klammern kann! Und wenn deine Seele dann zerbrochen vor mir liegt und du mich um den Tod anflehst - dann werde ich noch tausend Möglichkeiten haben, dein Leben wieder und wieder zu verlängern, damit der Wahnsinn dich packt und du in die Verdammnis stürzt!”
    Ruckartig riss er Ivy nach oben.
    “Keiner deiner Lieben wird mir entkommen können!” Mit einem irren Lachen rammte er dem Mädchen die Klinge in die Brust.