Beiträge von Thorsten im Thema „Des Wanderers Nachtgedanken“

    Keine Ahnung, warum ich jetzt hier als die unbezahlte Pressesprecherin des Verlags oder der Nachkommen zitiert werde, weil ich zwei Artikel zusammengefasst habe

    Versteh' ich nicht - Du wirst ja hier nicht als Pressesprecherin zitiert sondern als Forumsmitglied. Falls Deine Posts nicht Deine Meinung sondern nur die eines Verlags wiedergeben steht es Dir frei das klar zu stellen und Dich von der dargestellten Position zu distanzieren (ich zumindest wuesste sowas gerne).

    Nach einer Nacht drueber schlafen...

    Es wurden einige racial slurs rausgenommen

    Ich hab' schon mit diesem Satz Probleme, weil er nahelegt dass Ende (oder eben auch Twain,...) hier ueberhaupt racial slur reingenommen hat - und man das dann jetzt raustun sollte.

    Das ist und war aber nie der Fall - um Jim Knopf irgend eine Form von Rassismus zu unterstellen muss man sich schon sehr verdrehen, die Intention der Geschichte ist ziemlich offensichtlich das Gegenteil. Genauso bei Huckleberry Finn - die Freundschaft zwischen Huck und Jim ist eine zutiefst menschlich beruehrende Beziehung. Genauso bei Onkel Toms Huette - die Geschichte kritisiert offensichtlich Sklaverei. In jedem Fall wird Jagd auf einzelne Woerter veranstaltet statt das Ganze zu sehen.

    Woerter bedeuten aber nicht an sich etwas - sie bedeuten nur in einem bestimmten Kontext was. Sie veraendern sich zum Beispiel im Lauf der Zeit - a great dole bei Malory ist eben kein hohes Arbeitslosengeld wie heute, sondern grosse Trauer. Sie veraendern sich je nach Subkultur - meine aelteste Tochter nennt ihre Freundin 'bro' - was ganz offensichtlich eine andere Verwendung als normalerweise ist. Ausserhalb von Bayern ist 'Hund' eine Beleidigung, in Bayern drueckt der Begriff Anerkennung fuer Schlauheit aus.

    Nicht umsonst geht in die juristische Definition der Beleidigung der ganze Kontext ein - wer hat in welcher Situation was gesagt und wie wurde es verstanden? Sie setzt Willen voraus vom anderen tatsaechlich beleidigend verstanden zu werden - und sie setzt voraus dass der andere die Worte auch wahrnimmt und versteht.

    Und der ganze Kontext von Jim Knopf legt eben absolut nicht nahe dass irgendwann der Wille bestand jemanden herabzusetzen - insofern ist die Vermutung dass da jemals racial slur drin war sehr gewagt.

    Sinnvollerweise nehmen wir es sonst eben nicht als relevante Beleidigung wahr wenn sich jemand von einem schwulen Paar gestoert fuehlt, wenn jemand keine Kreuze auf Kirchen mag, wenn jemand keine arabisch aussehenden Mitbuerger in seiner Strasse moechte - in jedem Fall ist es moeglich dass sich der andere gestoert fuehlt, in keinem Fall besteht eine Absicht - und damit muss, wer auch immer sich angefasst fuehlt, einfach klarkommen.

    Das blosse 'mir gefaellt das Wort XY nicht' reicht also einfach nicht um eine Herabsetzung zu konstruieren - das funktioniert nur wenn man die Absicht dazu nachweisen kann.

    Das ethische Konzept hinter der Suche von N-Wort, S-Wort und wie sie alle heissen ist brandgefaehrlich weil es nicht im Kant'schen Sinn verallgemeinert - die Leute die solche Aenderungen befuerworten wuerden keine Sekunde akzeptieren dass sie selbst unter solchen Regeln leben sollten - es gibt dazu keine Formulierung die zur allgemeinen Regel werden koennte.

    Kommt wahrscheinlich auf die Perspektive an, die entscheidet, ob/wann/inwiefern etwas angepasst werden soll/muss/kann.

    Eine Perspektive entscheidet nichts - ich kann selbst ohne weiteres mehrere Perspektiven einnehmen und verstehen - und mich dann fuer eine als Handlungsrelevant entscheiden.

    Ich persoenlich bin gegen jede Art von 'Geschichtsanpassung' - wir koennen nur aus der Geschichte lernen wenn wir uns bemuehen sie zu verstehen. Ein Buch ist ein Dokument seiner Zeit, und der Leser soll sich gefaelligst die Muehe machen sich in diese Zeit reinzudenken, dann wird er - vielleicht - ein besseres Gefuehl dafuer bekommen wie sich Perspektiven im Lauf der Zeit aendern.

    Ich habe einiges ueber Rassissmus aus Buechern um die 1920 gelernt - die sich einfach nur mit keltischer Kultur befassen, aber das mit Vergleichen von Schaedelformen der verschiedenen Rassen einleiten. Die schnoerkellose Beilaeufigkeit mit der das alles selbstverstaendlich ist, sie sagt schon einiges ueber das Denken in der Zeit aus.

    Ich finde, dass diese beiden Artikel das ganz gut erklären, warum Verlag und Nachlass sich dazu entschieden haben, das Buch anzupassen

    Nachdem vor einiger Zeit schon der 'Kaiser von China' im gleichen Buch der Anpassung weichen musste... wo genau hoert das auf mit dem Anpassen der Vergangenheit?

    Wo anders wird 'Onkel Toms Huette' aus Bibliotheken verbannt weil... nun ja, da kommen Sklaven vor. Huckleberry Finn landet auch auf dem Index - die ganze Intention der Freundschaft zwischen Huck und Jim spielt offenbar keine Rolle, magische Worte sind eben boese und muessen verbannt werden.

    Und wenn wir dann die ganze Vergangenheit angepasst haben und keiner mehr weiss dass die Welt frueher anders war - ist dann die gerechte Gesellschaft erreicht? Oder haben wir... eigentlich nur die Lehren aus der Vergangenheit verdraengt?