Beiträge von McFee im Thema „Vrouwen dienest“

    Mundburt hört eine Rede des größten Königs aller Zeiten und noch einiges mehr.

    Während der GröKaZ° seine Rede abließ – die im Wesentlichen darin bestand, dass er unter Beifallsstürmen seine Ruhmestaten immer wieder lobte – hatte ich Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten. Hier sein getreues Konterfei:

    Sein Haar

    glich einer Schuhbürste,

    sein Kopf einem Destillierkolben,

    die Stirn einem Waschbrett,

    der Mund, der hurtig

    auf und zu ging, einer

    Ofenklappe,

    die Lippen zwei Schießbögen,

    die Zunge einer Raspel, das Gebiss, mit Eckzähne wie Fassbohrer, einem Fangeisen

    die Wangen einem paar Holzschuhen,die Nase

    einem Wurmfortsatz,die Augen zwei Abortlaternen,

    die Ohren zwei Laugenbrätseln, das Kinn einem Baldachin,

    sein Adamsapfel einer Stiefelspitze, der Hals einer Geldbörse,

    die Schultern einem Hammerwerk, die Brust, an der gar schön

    symmetrisch an die zweihundert-fünfundsechzig goldene Orden

    lustig baumelten, einem Kirchenschiff,

    die groben Hände, zu Fäusten geball

    undimmer wieder wild in die Höhe

    gestoßen, zwei Brotschiebern,

    die Hüften, in denen er sich in alberner

    Weise häufig wiegte, einem Dudelsack,

    seine Beine zwei Delphinen*, die Füße zwei Krummhörnern.


    Es zeigte sich, dass dieser Redner kein Demostenes** war. Obwohl der König klar und deutlich sprach und immer wieder Gesetzestreue, Recht und Ordnung sowie Vaterlandsliebe beschwor, fehlte seinen Worten die aufwühlende Kraft der Überzeugung. Außerdem verlor er häufig den Faden. Solch eine Rede, dachte ich, kann auch ein totes Mückenmännchen halten, das im Vorbeisirren etwas von Vaterlandsliebe gehört hat. Nichtsdestotrotz brach immer wieder tosender Beifall aus; es war mir ein Rätsel, woher diese Leute ihre Begeisterung nahmen.

    Jetzt sprach der Fantastische von seinen Todfeinden, irgendwelchen Nuschelkatern, die auf verschiedenen Inseln in fernen Meeren hausten, und denen er den Krieg erklärte. Er nannte sie Schurken, Spitzbuben, Räuber, Totschläger, Notzüchtiger, Kindsmörder, Satansbraten, den allerärgsten Abschaum der Gefängnishöhlen und noch einiges mehr, schwor mit wutverzerrtem Gesicht, wild mit Händen und Füßen gestikulierend, er werde nicht eher ruhen, als bis dass er diese Höllenbrut vom Erdboden vertilgt habe.

    „Ha, der hat den Teufel im Leib!“, rief ein bulliger Gorilla mit einer Visage wie eine Eiterbeule, „dieser König fürchtet sich vor nichts, und es ist ihm scheißegal, was der Rest der Welt von ihm denkt!“

    „Da bin aber anderer Meinung, lieber Herr Nachbar“, sagte ein blonder Maki, „ich denke eher –“

    „Was, du Rotznase, du hast eine Meinung, du denkst?“, fuhr ihn der Gorilla an, „hätt ich nicht gedacht! Na warte, Bursche, ich werd dir das Gehirn zerklopfen, dass du das Denken verlernst und deine Meinung auskotzt wie ein... äh... äh –“

    „Sie hausen in ihren Ländern schlimmer als die Kannibalen“, rief der König indes mit weit hallender Stimme, „fressen das Volk mit Haut und... äh –“ Einer der Umstehenden trat vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr – „– mit Haut und Haaren, jaja, und, da sie nie satt werden, überziehen sie andere Völker mit Krieg und rauben sie aus! Ich aber schwöre euch bei Gott, ich werde Recht und Ordnung wieder herstellen, denn ich bin der tapferste, mutigste... äh... wie? Ach ja – der fleißigste, ehrlichste, größte, kurz, der fantastischste König, den die Welt je gesehen hat!“

    Wieder donnerte begeisterter Beifall auf.

    „Pest und Cholera!“, rief Kopf, „dieser König da scheint mir ein ordentlicher Simpel zu sein! Der trieft ja geradezu vor Selbstlob! Wenn ich noch weiter dieses Geschwätz hören muss, wird mir noch schlecht!“

    „Sprecht leise“, flüsterte ich, „seht Ihr den Esel da, wie er seine Ohren dreht und wendet? Mit Sicherheit ein Spitzel. Und da! Die Gorillas der königlichen Garde!“

    „Pah!“

    Jetzt geschah etwas Überraschendes, ja geradezu Abartiges, Unkönigliches, Halsbrecherisches: Fantasticus I. schwang sich auf die Brüstung des Altans, machte einen Handstand auf einer Hand, wackelte mit dem Hinterteil, kam wieder auf die Füße, steckte Finger ins Maul und zog es breit, katapultierte sich auf den Säulengang über dem Vorbau, von da aus auf ein Gesims der Kuppel, wo er stehen blieb und brüllte: „Liebt ihr mich? Sagt, das ihr mich liebt!“

    „Wir lieben dich, großer König!“, schrie das Volk.

    „So ist es recht! Denn wer mich nicht liebt, ist mein Feind!“ Sprach´s, und verschwand mit höllischem Gelächter in einer Dachluke.

    Ich drehte mich beschämt um –

    __________

    ° Größter König aller Zeiten. * Hier: Altertümliche Waffen mit gekrümmten Rohren.** Berühmter Redner des Altertums.


    Mundburt erhält eine Nachricht von seinem Vater.

    – denn Kopf feuerte wie wild aus seinem Darmrohr, dabei hieb er sich immer wieder auf die Schenkel und rief: „Kich... Kich... welch ein, hahaha, Komödiant... keuch... der Kerl spielt ja besser als Attejus Capito*, und da hab ich, per dio, ist das komisch... haha, hoho, hihi... da hab ich Tränen gelacht!“

    Kopf war aus irgend einem Grund – möglicherweise durch den Auftritt des Königs – von seiner Starrheit geheilt, und auch Gerlind regte sich wieder, indem sie mit angewidertem Gesicht vom Magister abrückte.

    „Was hat Euer Freund?“, fragte der Aeditus verwirrt, „ist er krank?“

    „Oh nein, Meister, es ist nur so –“

    Ich versuchte dem Aeditus zu erklären, woran es lag, doch er glaubte mir nicht. „Wenn er das nochmal macht, lasse ich den Bann wieder aufleben!“, drohte er.

    Kopf hatte sich wieder beruhigt. „Entschuldigt“, sagte er, „aber es ging nicht anders. Dieser König ist einfach zu köstlich!“

    Da hatte ich die Idee, dass dieses Volk nicht dem König Fantasticus zujubelte, sondern dem königlichen Komödianten, wie seinerzeit die Einwohner Roms dem Kaiser Nero.

    „Das war also Euer König“, sagte Gerlind, „und ha!, nach dem, was ich gesehen habe, pfeif ich auf alle Könige der Welt. Wie geht´s nun weiter, o Hüter des Wassers? Wie kommen wir wieder zu unserem Schiff zurück? Ich bin noch nicht mit dem Abwasch fertig.“

    „Erstens“, sagte der Tempelknecht, „ist Fantasticus nicht mein König, Jungfer, denn mein König heißt Bacchus, und zweitens braucht Ihr nur wenige Schritte zu gehen, dann könnt Ihr fertig abwaschen.“

    Wie, was? Stand da unser Schiff? Tatsächlich, es war´s, man hörte deutlich Trabtos Wiehern und das Gezwitscher des Zeisigs. Nur Knalli war nirgends zu sehen.

    „Der Sauhund!“, polterte der Magister, „macht sich einfach aus dem Staub, ohne Bescheid zu geben. Na warte, Bruder, wenn ich dich zu fassen kriege!“

    „Wie habt Ihr das denn gemacht“, sagte Gerlind, indem sie den Aeditus ansah, als stünde sie vor dem achten Weltwunder.

    „Tja, meine Liebe, das ist mein Geheimnis, und es soll auch eines bleiben. Ihr plaudert ja auch nicht aus der Küche.“

    „Tatata! Wenn Ihr was wissen wollt, ich sag´s Euch gerne!"

    „So, nun gehabt Euch wohl und gute Reise.“

    Auf dem Schiff erwartete mich eine Überraschung: Die bekannte Kapsel. Liebto, mein treues Täubchen, war dagewesen, um mir eine Botschaft meines Vaters zu bringen. Unverzüglich bat ich den Magister, sie vorzulesen. Da stand:


    Mein vielgeliebter Sohn! Deine Nachricht, obwohl lückenhaft und wenig mitteilsam,

    hat mich sehr gefreut, denn mein Herz dürstet nach Erqickung. Wisse denn, dass

    deine Mutter, meine treue Gattin und Gespielin Eleonore von Wolkenstein, zu

    Johannis* im sechsunddreißigsten Jahr ihres Lebens an der Pest gestorben ist, der

    Herr sei ihrer armen Seele gnädig. Du kannst dir nicht vorstellen, wie unglücklich und

    einsam ich mich fühle; ich trage mich mit dem Gedanken, mich einem Kriegsheer

    anzuschließen, um Ablenkung zu finden. Bete für das Seelenheil deiner Mutter, durch

    du das Licht der Welt erblickt hast. –

    Gottes Frieden sei mit dir! Grüße auch die Leute, die dich begleiten.

    Dein dich liebender Vater und Freund.

    Gg. zu Burg Wolkenstein, den... im Jahre des Herrn...

    Ich schlug die Hände vors Gesicht. Meine Mutter, an der Pest gestorben! Und mein Vater, voller Verzweiflung!

    „Herr Magister!“ rief ich, „dreht die Segel in den Wind! Wir fahren zurück nach Burg Wolkenstein!“

    „Ohne mich!“

    „Wie, was, wieso? Kommt Ihr nicht mit?“

    „Nein, ich bleibe hier. Was soll ich in Schwaben, wo sich, wie man hört, die Füchse gute Nacht sagen. Hier finde ich alles, was mein Herz begehrt. Auf jeden Fall wünsch ich Euch viel Glück.“

    ______________

    * Berühmter Komiker im alten Rom.

      • Herr Schreiber, habt Ihr noch Dinte für eine Schlussballade?
      • Wenn es denn sein muss, Herr...
      • Gut, dann schreibt:

    Dank an die Leserschaft

    Ihr Lieben, ihr seid bess´re Wesen,

    denn ihr versteht nicht nur zu lesen –

    wobei die Stunden schnell enteilen,

    dieweil im Wald die Keiler keilen,

    im tiefen Sumpf die Frösche quaken

    und mancher Saufaus kotzt aufs Laken –

    sogar auch Ihr, mein feur´ger Kava-li-ere,

    sonst Prosa-Ritter nicht, doch hier, ha!, sehre:

    mit frischem Mut und frohem Geiste

    verstund Ihr doch das Allermeiste,

    sowie die Jungfer dort, die kleine Dirne

    mit feinen Kinkeln auf der Stirne,

    die schon beim stummen Frühgebete

    den Wunsch verspürt, das Mann sie heira-tete –

    so sag ich, was ihr einmal angefangen,

    das brachtet ihr zu End´ ganz ohne Bangen.

    Ihr alle seid doch hoch zu loben:

    mein Lob soll ewig euch umtoben!

    Ihr habt gehalten fest zur Stange,

    und war die Zeit auch manchmal lange!

    O selig sind doch die zu preisen,

    die sich am End´ als treu erweisen!

    ENDE


    Hier enden die Aufzeichnungen des Mundburt zu Wolkenstein, des Ritters vom Wind. Dem Herausgeber liegen allerdings noch einige lose Blätter vor, deren Inhalt ihm ziemlich zweifelhaft erscheint. Da ist von einem Volk die Rede, das von Geburt an nur ein Bein besitzt, sich fortbewegt wie die Kängurus und deshalb keine Wege und Straßen kennt; von Leuten ohne Mund, die sich durch die Nase ernähren, von einem Besessenen, der durch einen Messerstich in die Stirn geheilt wird und anderen Abnormitäten mehr. Der Herausgeber wird das Material prüfen und entscheiden, ob er dergleichen Ungeheuerlichkeiten einer seriösen Leserschaft zumuten will.

    J. Schreyvogel, ordentlicher Narr und außerordentlicher Prof. an der +++- Universität zu ***

    Hei, Tariq,

    vielen Dank für dein Feedback.

    Du schwelgst förmlich in der Beschreibung des Bacchus-Tempels,

    ja, das ist das richtige Wort! Ich schwelgte! Indem ich ihn beschrieb, den Tempel, wuchs er vor meinem inneren Auge zu immer gewaltigeren Dimensionen, die Worte flogen mir zu, ich konnte sie nicht halten wie andere Leute ihr Wasser nicht, ich entschuldige mich damit, dass das Ergebnis keine Verbal-Inkontinenz ist, sondern ein Sprachfest. Ich weiß, ich weiß, es ist vielleicht nicht unbedingt das, was Leser in diesem Forum suchen, aber doch, vielleicht behagt´s ja dem einen oder der anderen zumindest ansatzweise. Und ich gelobe Besserung, schon deshalb, weil die Geschichte bald aus ist.

    kommt für meinen Geschmack zu spät.

    Stimmt. Müsste umgestellt werden.

    dass ich leider angefangen habe, darüber weg zu fliegen auf der Suche

    Gut, gut, gut! Ich mach´s genauso! Ich lese auch nicht alles, überfliege vieles, denn Erzähler erzählen nun mal gerne, einfach aus Erzählfreude, manches Mal auch am Leser vorbei. Natürlich darf es nicht zu viel werden, das ins Blaue Fabulieren. Das Dumme ist nur: Man muss viel gelesen haben, um zu erkennen, wieviel man nicht gelesen haben muss...

    Es tut mir leid, dass ich heute nicht so viel Lob für dich habe.

    Ach Tariq, wenn du wüsstest, wie oft dein Lob meine Fantasie immer wieder beflügelt hat! Und dein Lob war nie halbherzig, sondern immer wohl begründet! Und doch... Glaube mir, ich schreibe nicht des Lobes wegen, sondern in der Hoffnung, dass etwas von meiner Freude am Fabulieren in Freude bei den Lesenden übergeht. Dass sie ein paar vergnügliche Minuten haben. In diesen schlechten Zeiten (und irgendwie sind die Zeiten meist schlecht).

    LG, McFee

    Der Magister macht eine furchtbare Entdeckung.

    Indem ich mich dem Schiff näherte, hörte ich: „Ich skisiere mich!“ – „Bild!“ – „Skis!“ – „Top!“ – „Drei Könige und der Skis macht die Kavallerie!“ – „Lege Skat!“ – „Dann her mit dem Laton!“ – „Melde Vole und ultimiere!“ – „Ha, Jungfer, das habt Ihr Euch so gedacht! Der Skis sticht nicht!“

    Es war nicht zu überhören, meine drei saßen beim Tarock.

    Als ich die Kombüse betrat, blickte mich Gerlind verzweifelt an. „Mundburt, dieses Spiel werde ich nie begreifen!“

    „Alles eine Sache der Übung, mein Täubchen“, säuselte ich. Zum Magister, der gerade einen Haufen Karten sortierte: „Lieber Herr, Ihr lagt wieder einmal richtig, allerdings nur fast. Es gibt hier tatsächlich einen Tempel, der einem Gott mit Horn geweiht ist, nur ist es nicht der Sonnengott Swantewit, denn der existiert ja nicht mehr, sondern der gehörnte Saufgott Bacchus.“ In die verdutzten Gesichter hinein erklärte ich: „Wie ich darauf kam, sage ich Euch später einmal. Jetzt zunächst das Wichtige: In diesem Tempel gibt es einen Diener, ein Greis von mindestens fünfhundert Jahren, der mir eine angenehme Reise zur Weißen Burg des Königs versprach. Allerdings knüpfte er das Angebot an eine Bedingung.“

    Ich schwieg.

    „Nun redet schon!“, riefen alle.

    „Na dann. Vorher, sagte mir dieser Affenmensch, müssten wir ein Trinkgelage absolvieren, denn in nüchternem Zustand sei der Anblick des Fantastischen nicht zu ertragen.“

    Die Reaktionen der drei konnten unterschiedlicher nicht sein. Gerlind lehnte sofort ab: „Was ist denn an einem Saufgelage angenehm?“ Kopf war hocherfreut, und Knalli –

    „Meine Lieben“, sagte er, „ich steige aus. Ein Saufgelage kommt für mich nicht mehr infrage, habe bei Ratzeputz zu viele erleiden müssen, sodass ich bei weiteren Veranstaltungen dieser Art um meine Gesundheit fürchten muss. Wollte sowieso auf dieser Insel Asyl beantragen. Habt Dank für Eure Gastfreundschaft, Ihr wart mir eine angenehme Gesellschaft, und ich werde immer mit den heitersten Gefühlen an Euch denken.“

    Nur mit Mühe ließ er sich dazu bewegen, noch so lange auf dem Schiff zu bleiben und die Tiere zu versorgen, bis wir wieder zurück wären.

    Noch mehr Überredungskunst erforderte allerdings Gerlind. Schließlich brach ich ihren Widerstand, indem ich ihr sagte, sie müsse ja nicht wirklich trinken, sondern nur so tun und den Wein in unbeobachteten Momenten in die Blumen schütten.

    Nachdem das erledigt war, setzte ich mich vor den Käfig; vielleicht hatte der Zeisig ja noch eine Nachricht für mich. Doch der hatte den Kopf unten einen Flügel gesteckt und schlief.

    Am anderen Morgen, nach reichlichem Frühstück, machten wir uns auf den Weg. Wieder stand der Kleine da und hielt die Hand auf, doch ich lehnte ab; schließlich war ich den Weg zweimal gegangen und bildete mir ein, ihn zu kennen. Doch schon nach hundert Schritten standen wir vor einer Mauer; ich wandte mich nach rechts – wieder eine Mauer – nach links, die Gasse war eng und endlos gewunden. Als wir ihr Ende erreichten, lag vor uns das Schiff. Aus einem Hauseingang sprang kichernd der Kleine hervor und hielt mir die Hand hin.

    „Du Satansbraten!“, rief ich, „welch ein Spiel wird hier gespielt, he?“ Es war nur zu deutlich: Der Aeditus, der Zeisig und dieser Lümmel steckten unter einer Decke. Doch der ließ nur sein kleines Lachen hören; ich gab ihm einen Pfennig und befahl ihm, als wir unser Ziel erreicht hatten, zum Rückweg ja rechtzeitig zur Stelle zu sein.

    Diesmal empfing uns nicht der Aeditus, sondern – Bacchus persönlich, gehörnt, weinlaubumrankt, mit feuerrotem Gesicht (allerdings, wie sich später herausstellte, nicht vom Wein, sondern vom Zorn), den Trinkbecher schwenkend, neben ihm zwei reizende Quellnymphen mit gefüllten Krügen, bereit, ihm nachzuschenken (allerdings, wie sich später herausstellte, Wasser statt Wein). Vor ihm saß wie ein kleines verschrumpeltes Äffchen sein Adlatus Silen.

    „Ich fahr freiwillig zur Hölle!“, polterte Kopf, auf Silen deutend, „wenn das nicht der Kleine von vorhin ist!“ Er war´s, denn wieder hielt er mir grinsend die Hand hin. Hätte es mir auch denken können, dass die Reise nicht kostenlos war. Doch noch ehe ich ihn nach dem Preis fragen konnte, trat eine Priesterin mit ihrem Gefolge herzu und führte uns in die Mitte des Tempels, wo sich eine sprudelnde Quelle befand.

    Ich kann es mir nicht versagen, diese Quelle zu beschreiben, denn ihre Umfassung war von so kostbarem Material und so herrlicher Arbeit, wie ihr es euch in euren kühnsten Träumen nicht vorstellen könnt.

    Nach außen hin besaß das Becken die Form eines Siebenecks, innen war es vollkommen rund. Auf jeder Ecke erhob sich eine geriefte Säule, insgesamt sieben, gemäß der Anzahl der Ecken. Die erste Säule bestand ganz aus himmlischem, azurnem Saphir; die zweite aus Hyazinth von der Farbe der Blume, in die das zornige Blut des Ajax verwandelt wurde; die dritte aus schmerzstillendem Diamant, leuchtend und blendend wie ein Blitzstrahl; die vierte aus männlichem Ballas*, amethistartig schillernd und ins Purpurviolette spielend; die fünfte aus durchsichtigem Mondstein, weiß und glänzend wie Honig; die sechste aus heiterem, in verschiedenen Lichtern und Farben spielendem Achat; die siebente endlich aus ägyptischem Serapis.

    Die Säulen trugen eine Kuppel aus phegitischem Stein**, so rein, durchsichtig und glatt, so ohne Adern, Trübungen, Wolken oder Flecken, dass wir in helle Bewunderung ausbrachen. An den Rändern der Kuppel, genau über den Säulen, waren die sieben Planeten dargestellt. Da war zunächst eine sehr kostbares Bildnis des Saturn, wie er die Sense in der Hand hält; ihm zu Füßen ein goldener Kranich. Über der zweiten Säule links stand Jupiter, einen emaillierten Adler auf der Brust; über der dritten, einen Löwen zu seinen Füßen, Mars; die fünfte zeigte Venus, ganz aus rotem Kupfer getrieben; über der sechsten Merkur in Gestalt eines Schwans; über der siebenten, aus obriziertem° Silber, erschien Luna, auf einer Sichel stehend.

    Auf der Spitze der Kuppel, gerade über der Quelle, sah man die Blüte einer Lilie aus hauchzartem gefärbten Glas, schimmernd wie ein Tautropfen in der Morgensonne. Aus ihrem Blütenkelch ragte, groß wie ein Straußenei, ein geschliffener Karfunkel hervor von solcher Vollkommenheit und solchem Glanz, dass wir, geblendet von seiner Kraft, kaum wagten, ihn anzublicken. Denn noch gewaltiger als das Feuer der Sonne und der Strahl des Blitzes kam er uns vor.

    Die Quelle selbst ergoss sich raunend und flüsternd in die Schalen zweier rosiger Perlmuscheln; indem wir sie betrachteten, stellten wir fest, dass die ausströmende Flüssigkeit klar und rein wie Wasser war.

    Als die Priesterin meinte, wir hätten uns satt gesehen, befahl sie ihren Frauen, uns Humpen, Becher und Trinkschalen aus Gold zu reichen, und forderte uns auf, von der Quelle zu trinken. Wir schöpften und tranken – da polterte der Magister los: „Potz Blitz, das ist ja Wasser! Soll ich etwa Wasser trinken? Wozu denn dieser ganze Glitzerkram?“ Dabei blickte er mich an, als hätte ich ihm zehn Brunnenteufel auf den Hals gehetzt.

    „Mäßigt Euch“, zischte ich, „der Aeditus hat Trink-, nicht Saufgelage gesagt. Zum Teufel, Ihr haltet das Maul und trinkt jetzt!“

    Als wir getrunken hatten, fragte uns die Priesterin, wie uns das Wasser geschmeckt habe. „Oh“, erwiderte ich, „das ist ein recht schönes, frisches Quellwasser, reiner noch und schmackhafter als das Wasser, das die Liebesgöttin Venus zum Bad benutzt, und von dessen Schönheit, Klarheit und Frische mitten im Sommer schon Alexander auf dem Weg nach Indien schwärmte. Aber, mein teure Tempelfee, wie kann es sein, dass Bacchus neuerdings Wasser ausschenkt? Ist er nicht von Alters her ein Liebhaber des Weines?“

    „Der Fantastische will es so“, war die barsche Antwort, „und vor dem Fantastischen verneigen sich sogar die Götter!“

    Indem ich diese Worte vernahm, überfiel mich eine große Müdigkeit; ich sah noch, wie Kopf und Gerlind in die Arme zweier Vestalinnen sanken, auch ich fühlte mich von hinten umfasst, dann spürte ich nichts mehr.

    ___________

    * Blassroter Rubin. ** Marienglas. ° Ganz reinem.

    Mundburt erfährt den Grund, warum es nur Papa- aber keine Mamageien gibt.

    Als ich erwachte, befand ich mich in einer Höhle, deren Wände ganz aus grünlich schimmernden Kristall bestand. Neben mir entdeckte ich Kopf und Gerlind, die bewegungslos aber mit wachen Augen auf den Aeditus starrten, der auf dem Bug des Nachen hockte. Auch sah ich drei silberne Delphine, die sich vor dem Schiff munter im Wasser tummelten.

    Der Aeditus klatschte in die Hände, die Delphine zogen die Seile straff, und ab ging die Fahrt hinaus auf einen breiten Fluss, dessen Ufer nur als schmale Striche zu erkennen waren, und auf dem Fahrzeuge aller Arten segelten.

    Eine Weile geschah nichts Bemerkenswertes, dann zog eine Schar großer lärmender Vögel über uns hinweg, von einer Art, wie sie ich noch nie gesehen hatte. Immer wieder wechselte ihr Gefieder die Farbe, und sie sangen und schrien, dass einem die Ohren rauschten. „Was sind das für Vögel?“, fragte ich.

    „Es sind Papageien“, antwortete der Tempeldiener, „auf der Suche nach Weibchen, aber sie finden keine. Aus Kummer darüber ziehen sie unstet im ganzen Land umher.“

    „Wie, sie finden keine? Wo sind denn die Weibchen?“

    „Die gibt es nicht, oder habt Ihr schon einmal von einem Mamagei gehört?“ .

    „Wenn ich ehrlich bin, nein. Aber, zum Henker, irgendwie müssen sie sich doch vermehren!“

    „Wie denn, wenn sie keine Eier legen? Es ist eine Eigentümlichkeit dieser Vögel, dass sie sich eierlos vermehren. Wie sie das anstellen, bleibt ihr Geheimnis. Das ist auch der Grund, warum es nur Papa- aber keine Mamageien gibt.“

    Ich blickte zu Kopf, denn der hatte ja immer eine passende Antwort parat. Doch der sah unbeteiligt ins Weite, ebenso Gerlind.

    „Was ist mit den beiden? Warum reagieren sie nicht?“

    „Bacchus hat sie gelähmt, zur Strafe, weil der Magister nicht trinken wollte und die Jungfer Wasser verschüttete. Keine Angst, mein Sohn, die Lähmung löst sich zu gegebener Zeit.“

    Allmählich wurde das Ufer flacher; der Wald trat zurück und machte ausgedehnten Grasfluren Platz. Auf einer Wiese stand eine Unzahl von Vogelkäfigen, aus denen aufgeregtes Zwitschern erklang. Dazwischen liefen Leute mit Fangnetzen herum.

    „In den Käfigen sind Zugvögel“, sagte der Aeditus. „Sie kommen aus anderen Weltgegenden zu uns her, teils aus einem sehr großen Land, das Ohnebrod heißt, teils aus einem andere, gegen Morgen gelegenen, das Garzefiel genannt wird. Aus diesen beiden Ländern fliegen sie uns jährlich scharenweise zu; dort verlassen sie Vater, Mutter und Verwandte, um zu uns zu kommen.“

    „Ein weit größerer Teil aber“, fuhr der Tempeldiener fort, „kommt aus Ohnebrod, das sehr groß ist und aus zweihundert Inseln besteht. Wenn die Bewohner dieses Landes in Not geraten, sei es durch Kriege, sei es durch Unwetter, und nichts zu essen haben, weil ehrbares Handwerk und ehrliche Kunst nicht möglich sind, oder wenn sie sich in ihrer Liebe getäuscht sehen, oder weil sie mit einer schweren Schuld beladen die Todesstrafe fürchten, so fliehen sie hierher. Hier finden sie ein gemächliches Leben und werden bald so feist wie Murmeltiere, während sie früher so mager waren wie Elstern.“

    „Kehren denn von diesen Zugvögeln niemals welche dahin zurück, woher sie gekommen sind?“

    „Doch, einige schon, aber die meisten bleiben hier, und viele versuchen den Käfigen zu entkommen, weil sie draußen Sicherheit, Freiheit und Straflosigkeit erhoffen. Doch der König hat angeordnet, sie wieder einzufangen und in die Käfige zurückzubringen.“

    Eine Weile glitten wir schweigend dahin. Ab und zu tauchte der glänzende Rücken eines der Delphine aus dem Wasser auf, und ich wunderte mich, welche Kraft und Ausdauer diese Geschöpfe Neptuns besaßen. Der Schiffsverkehr auf dem Fluss, der jetzt so breit war wie das Schwäbische Meer, wurde lebhafter. Anscheinend näherten wir uns einer bedeutenden Hafenstadt, denn in der Ferne tauchten mehrere himmelhohe Wohntürme auf. Die Schiffe waren schwer beladen mit Waren aller Art.

    „Ich denke gerade darüber nach“, sagte ich, „woher Ihr all diese guten, leckeren Bissen herbekommt, die ich auf dem Markt gesehen habe, und die Waren auf diesen Schiffen. Hier auf Eurer Insel sehe ich nur Kaufleute, Waffenfabrikanten, fahrendes Volk, Advokaten, von denen jeder sicherlich so viel frisst wie zehn Papageien, und viel müßiges Volk, aber niemand, scheint´s, pflügt und bebaut das Land. Sagt doch, Meister, wo liegt Euer Füllhorn, wo wohnen all die Landleute, die Euch ernähren?“

    „Sie sind über die gesamte übrige Welt verstreut.“

    Indem wir uns der Stadt näherten, tauchte über den Häusern eine weiße Kuppel auf, die von runden weißen Säulen getragen wurde, und die mir mächtiger noch erschien als die Kuppel des Petersdoms zu Rom. Wir fuhren in den Hafen ein, und bald standen wir am Fuße der Weißen Burg, vor der eine unüberschaubare Menge Volkes versammelt war.

    „Was wollen denn all diese Leute hier?“, fragte ich erstaunt.

    „Fantasticus I. hält eine Rede,“ antwortete der Aeditus.

    Eine Flügeltür über einem Altan öffnete sich, der König erschien, ein stattlicher Gorilla gesetzten Alters mit einer gelben Mütze auf dem Kopf, nebst seiner Gattin, einer zierlichen Pavianäffin mit feuerroten Arschwülsten, sowie weitere Affen und Papageien, die allesamt mit unbeweglichen Gesichtern über die Menge hinweg blickten.


    Forts. folgt

    Der Magister erklärt den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten König.

    „Würde zu gerne wissen“, grunzte Knalli, der geräuschvoll eine Auster schlürfte und mit einer halben Kanne Burgunder nachspülte, „was König Ratzeputz, hmm, zu diesem, äh, Königtum auf Zeit sagen würde. Ich bin mir, hmm, fast sicher, es würde ihm nicht schmecken.“

    „Aber Euch schmecken die Austern, wie man hört“, feixte Gerlind.

    „Wie? Hmm, nun ja, äh, da sag ich nicht nein.“ Die leere Austernschale knallte in den Eimer.

    „Und was meint Ihr“, fragte ich; „warum würde es ihm nicht schmecken?“

    „Hmm, nun ja, schlürf, ich denke – nun was denke ich? Nun ja, ich denke, äh, gleich, nur diese noch... so das hätten wir... Ich denke, diese Wa... Wa... äh... ach... rülps... diese Wah..., äh, na –“

    „Wahlmänner.“

    „Ah ja, genau die meine ich... diese Wahlmänner, puh, würden ihm nicht behagen, denn er ist es nicht gewohnt, sich von jemandem etwas sagen zu lassen, noch dazu von jemandem aus dem Volke, auf das er, äh, Pardon, scheißt, und das müsste er, bah, sonst würden sie ihn nicht wieder wählen. Seine, äh, Minister sind dazu da, ihm die Zeit zu verkürzen, indem er mit ihnen zecht und raue Späße treibt, bis sie umfallen. Ich kann ein Lied davon singen.“

    „Wahlmänner sind keine Minister“, sagte Kopf, der an einem Hühnerbein herumnagte, „sollte Fantasticus nicht auf seine Minister hören, dann ist er genau so ein Narr wie Patzeputz und versündigt sich an seinem Volk.“

    „Wo wir gerade bei dem Thema sind“, warf ich ein, „was ist eigentlich Demokratie?“

    Der Magister warf den Knochen in den Eimer, wischte sich den Mund und legte los. „Das Wesen der demokratischen Staatsbeherrschungsform besteht darin, dass die Staatsgewalt verfassungsmäßig der Gesamtheit der Staatsangehörigen zusteht. Das Königtum bedeutet die Fürstensouveränität, die Demokratie die Volkssouveränität. Wenn es dann zur Wahrheit wird, dass die Tugend für das politische Leben des Volks und seiner Vertreter als Maxime anerkannt wird – –“

    Wir blickten den Magister verblüfft an. „Woher habt Ihr das denn nun schon wieder“, sagte Gerlind.

    Kopf sah sie böse an.

    „Jungfer, unterbrecht mich gefälligst nicht! Die Tugend besteht darin, dass der vom Volk gewählte Repräsentant der Macht den Rat weiser Männer annimmt, um Entartungen zu vermeiden. Das beste Beispiel für einen entarteten Souverän ist dieser König Ratzeputz, der seine von Gott gegebene Gewalt für Narreteien und üble Possen missbraucht. Ähnliches, denke ich, gilt für König Fantasticus, wenn er den Rat weiser Männer verwirft und nur das Wohl seines Standes verfolgt. Ergo ist er ein Narr, auch wenn er, wie man hört, als Handelsherr nicht erfolglos ist.“

    „Ein reicher Narr ist allemal besser als ein armer Weiser“, murmelte Gerlind.

    „Aber er kann, wenn ich das richtig sehe“, warf Knalli zwischen zwei Austern ein, „wenn er ein zu böses Spiel treibt, abgesetzt werden, im Gegensatz zu Ratzeputz, den das Volk ertragen muss, bis er zur Hölle fährt.“

    „Deshalb“, erwiderte der Magister und griff nach der Salatschüssel, „halte ich die – hmpf – das demokratische Königtum dem Gottesgnadentum überlegen, denn nach diesem ist auch derjenige Fürst, der mordet, brennt, raubt, notzüchtigt, äh... von Gott eingesetzt und kein Teufel im Kleid eines Fürsten, sondern eine Gottesgeißel, die ertragen werden muss als Strafe für vergangene, gegenwärtige und zukünftige Sünden.“

    „Ihr seid ein Ketzer“, sagte ich.

    „Nein, ein Querkopf, und im Denken der Zeit voraus. Deshalb interessiert mich dieser Fantasticus, auch wenn er ein Narr sein sollte. Auch Narren reden manchmal wahr. Würde ihn brennend gern mal aus der Nähe sehen.“

    „Hätte auch nichts dagegen, mir diesen seltsamen Vogel mal anzuschauen“, sagte ich, „auch wenn ich meinem eigentlichen Ziel dann entfernter wäre als je zuvor. Nur wie kommen wir dahin, ohne von den wilden Xenophoben aufgespießt zu werden?“

    „Und einem wildfremden Fuhrmann würde ich mich erst recht nicht anvertrauen“, meinte Knalli. „Schätze mal, wir kämen lebend keine zehn Meilen weit.“

    Tja, das war ein Problem, auf das niemand eine Antwort wusste.

    Ich ging ins Hinterschiff und setzte mich vor den Käfig mit dem Zeisig, der unbeschwert vor sich hin zwitscherte:

    Wit – wit – wit – towi – wit – wit – wit – swante – swante – wit – wit – wit...

    Dabei hüpfte das Tierchen aufgeregt herum und sah mich erst mit dem einen, dann mit dem anderen Auge an. Und weiter ging es:

    Wit – wit – wit – swantowit – wit – wit – wit – swantowit – wit – wit – wit – swantowit...

    Swantowit? Das Wort kam so deutlich, als spräche aus dem Vogel ein geistvolles Wesen. Nun erinnerte ich mich an die Worte des Großmeisters, als er mir den Käfig übergab: Der Zeisig, hatte er gesagt, verfüge über geheime Kräfte, welche, das würde ich schon merken.

    Ich ging zurück in die Kombüse, wo Kopf und Knalli gerade beim Nachtisch saßen, Gerlind wusch ab.

    „Herr Magister“, sagte ich, „Ihr seid doch ein gelehrtes Haus. Sagt Euch der Name Swantowit etwas?“

    „Aber ja doch! Swantowit oder Swantewit ist ein vierköpfiger slawischer Sonnengott, nach den vier Weltgegenden blickend, seine Zeichen sind Bogen und Füllhorn, das beim Erntefest mit Met gefüllt wird. Aus dem Rest, der vom vorigen Jahr übrig bleibt, schließt man auf eine gute oder schlechte Ernte. Sein Tempel stand zu Arkona auf Rügen und war für seinen Reichtum berühmt. Anno 1168 wurde er von König Waldemar I. zerstört. “

    „Woher nehmt Ihr diese Weisheiten?“, fragte Gerlind, „wenn ich Euch so reden höre, könnte ich meinen, Ihr stammt von einem anderen Stern.“

    „Als ich noch den Kopf unter dem Arm trug, habe ich ihn mir, da er zum Essen unbrauchbar war, mit allen möglichen Wissenschaften vollgestopft, die jetzt wieder, durch die aufgenommene Nahrung verdrängt, heraus kommen.“

    „Ich gehe nochmal von Bord“, sagte ich, „bin gleich wieder zurück!“

    Mundburt besucht den Tempel des Gehörnten Gottes.

    Ich fragte einen Schiffsjunge, ein drolliges kleines Rhesusäffchen, ob er mich für einen halben Pfennig zu dem Haus mit dem Horn führen wolle.

    „Ihr meint den Tempel des gehörnten Gottes in der Oberstadt?“, piepste er und hielt die Hand auf. Ich gab ihm seinen Lohn, und wir gingen los.

    Ich hatte mich also nicht getäuscht. Der Zeisig – oder richtiger, das Orakel, das aus ihm sprach, hatte mir eine Botschaft zukommen lassen, und, obgleich Zeit und Ort nicht stimmten – für ein Orakel, wie ihr wisst, meine Lieben, nichts Ungewöhnliches – wäre ich ein ausgemachter Narr gewesen, nicht darauf zu hören.

    Der Kleine führte mich durch ein Gewirr von lärmenden Plätzen und übel riechenden Gassen; schließlich standen wir vor einer steilen Treppe. „Geht nur hinauf“, sagte er, „den Tempel könnt Ihr nicht verfehlen.“

    Über die letzte Stiege hinweg gelangte ich zu einem palastartigen Gebäude im dorischen Stil, neben dessen Eingang zwei steinerne Tempelwächter mit glühenden Piken und abweisenden Gesichtern standen. Zwei Füllhörner aus feinem Jaspis zierten das Tor; darüber spannte sich ein in allen Farben schillernder Regenbogen. Die beiden Torflügel waren aus korinthischem Erz gegossen, massiv, mit kleinen Vignetten versehen, auf denen Menschen und Tiere, eng ineinander verschlungen, dionysische Feste feierten. Ohne dass irgend ein Schloss, Riegel oder Band zu sehen gewesen wäre, waren die Türflügel nahtlos ineinander gefügt. Ich suchte nach einem Türklopfer oder Glockenzug, doch nichts dergleichen fand ich, nur einen Spruch auf einer Tafel:

    Bonus intra, melior exi*.

    Nachdem ich diesen Spruch gelesen hatte, öffnete sich das Tor, und eine Stimme rief:

    „Ist deine Seele rein,

    dann tritt ruhig ein,

    beschwert dein Herz ein falsches Wort,

    dann gehe wieder fort.“

    Holla! Natürlich war meine Seele rein, denn welcher Untat sollte mich jemand bezichtigen? Und ich konnte mich nicht entsinnen, jemals ein falsches Wort gesprochen zu haben. Also trat ich ein – und wurde sofort von der Pracht des Tempels gefangen. Fasziniert betrachtete ich die wundervolle Täfelung, die aus lauter kleinen Feldern mit polierten Edelsteinen zusammengesetzt war. So bestand das eine aus rot gebändertem Heliotrop, ein anderes aus Almandin mit schwarzem Glimmer, Steinmark und Dichroit, ein drittes aus Porphyr, mit feinen Goldpünktchen dicht besät, ein viertes aus schön geflecktem grünem Jaspis – und jedes Feld war in Gold gefasst.

    Vielleicht noch köstlicher war der Boden gestaltet. Er war aus kleinen bunten Steinen zusammengesetzt, sah aus, als ob Weinranken mit nachlässiger Hand dahin gestreut wären; gar wunderbar zeigte sich in dem halben Dämmerlicht die verschiedensten Tiere und Fabelwesen, die an Trauben herumkrochen, geschwänzte, gehörnte, geflügelte Wesen, halb Mensch, halb Tier. Dazwischen, in teilweise realistischer Darstellung, die fünfzehn Freuden des Ehestandes.

    Weiterhin stellten die Mosaike Bacchus** dar, wie er gegen die Arimaspier°° zu Felde zog. Er saß auf einem prächtigen Wagen, der von drei Joch schwarzer Panter gezogen wurde. Sein Antlitz war das eines Kindes und rosig wie das eines Cherubs°, sein Haupt, mit spitzen Hörnern versehen, umrankte ein üppiger Kranz von Weinlaub, an den Füßen trug er goldene Stiefel. Umgeben war er von einer Schar halbnackter Bauernbengel, die unaufhörlich und mir singenden Mündern tanzten und Hörner und Schwänze wie Ziegenböcke besaßen, sowie von einem Rudel trunkener Bacchantinnen, wilde, rasende wutentbrannte Weiber, die als Gürtel feuerspeiende Drachen und züngelnde Schlangen um den Leib geschlungen trugen.

    Weiterhin sah ich das Heer der Einäugigen, die endlich, aber zu spät bemerkten, dass Bacchus ihr Land verwüstete. Wo das Bild anfing sah ich Schlösser, Städte, Dörfer, Burgen in Flammen stehen, dazu viele rasende, wütende, sich unbändig gebärdende dunkle Gestalten, die lebende Kälber, Schafe und Lämmer zerrissen und das Fleisch verschlangen. Vornan standen Kriegselefanten, mit Türmen auf den Rücken, die mit unzähligem Kriegsvolk besetzt waren. Aber das ganze Heer war in Auflösung, denn die Elefanten, vom fürchterlichen Lärm der Bacchantinnen verwirrt und von panischem Schrecken ergriffen, wandten sich gegen die eigenen Truppen und stürmten über sie hinweg.

    Weiterhin war da Pan auf seinen krummen Beinen, der um die Elefanten herumsprang und die Krieger mit seiner Bauernflöte in heillosen Schrecken stürzte; ferner sah ich Silen, Bacchus´ verlässlichen Mitzecher und Vertrauten; er ritt auf einem Eselhengst und hieb ihm die Hacken in die Weichen, wobei er mit seinem Stab gute kräftige Fechthiebe austeilte; sah, wie der Esel mit weit aufgerissenem Maul und funkensprühenden Augen sein Ihh-Ahhh zum Angriff blies.

    So hatte Jupiters Sohn leichtes Spiel, dieses Volk zu verwirren und zu besiegen, das, geblendet durch dessen jugendliche und ständig betrunkene Erscheinung, es nicht für nötig gehalten hatten, sich ihm rechtzeitig entgegenzustellen. Bacchus stand auf dem Siegeswagen, der jetzt von einem Gespann erbeuteter Elefanten gezogen wurde, und trank aus einem großen Henkelkrug. Er war über und über mit attischen Lorbeer bedeckt und mit Efeu bekränzt; auch die Schwerter, Schilde, Pauken, Signalhörner waren damit umwunden; sogar Silens Esel hatte seinen Kranz.

    Neben dem Wagen gingen die gefangenen Könige, dreihundertfünfundsechzig an der Zahl, mit schweren goldenem Ketten beladen, von jungen Satyrn und Faunen verhöhnt und verlacht. Die Sieger schritten dahin mit göttlichem Gepränge, in unaussprechlicher Lust und Freude, unzählige Trophäen, Fahnen und Standarten schwenkend, die sie auf dem Schlachtfeld eingesammelt hatten. Zuletzt kamen die Tiere des Landes, Krokodile, Affen, Ibisse, Kolibris, Elefanten, Flusspferde und anderes landeseigentümliches Getier.

    Weiterhin sah ich einen kleinen, zitternden, gekrümmten, feuergesichtigen Greis, in ein gelbes Gewand gekleidet, halb Mensch, halb Affe, mit einem gewaltigen Bauch, großen, abstehenden Ohren, spitzer Nase und großen, glänzenden Augen. Es saß auf einem phrygischen Stier aus Gold, einen Stab in der Hand, mit dem er, sich darauf stützend, abstieg und auf mich zukam.

    „Willkommen, mein Sohn!“, rief er (was mir jetzt ziemlich albern vorkommt, denn der „Sohn“ war mindestens doppelt so groß wie der „Vater“), „ich habe dich schon erwartet! Ich bin der Aeditus# dieses Tempels und habe Weisung, deinen Wusch zu erfüllen.“

    Ich benötigte eine Weile, um in die Wirklichkeit zurück zu gelangen. „Von.. von welchem Wunsch sprecht Ihr, Vater?“, stotterte ich.

    Der Alte blitze mich böse an. „Stelle gefälligst keine Fragen, deren Antwort du weißt! Verstellung ist diesen heiligen Hallen unwürdig, und deiner auch.“

    Ich bat um Verzeihung, und der Aeditus erklärte, er könne eine Reise zur Weißen Burg ermöglichen, allerdings unter einer Bedingung, die mir, indem ich sie vernahm, sofort Bauchschmerzen bereitete. Doch Einwände waren nicht möglich, denn ehe ich mich´s versah, stand ich wieder draußen, und, ihr könnt es glauben oder nicht, die Gegend schien mir völlig verändert. Wo ich auch suchte und forschte, ich fand die Treppe nicht. Hilfesuchend drehte ich mich zum Tempel um, doch seine Mauern waren kalt und abweisend, die Wachen mit ihren flammenden Spießen glotzten mich blöde an, das Tor nahtlos verschlossen. Da hörte ich von oben ein kleines, kindliches Lachen; ich blickte hoch und gewahrte den Schiffsbengel, der auf einem Dach hockte und die Hand aufhielt: Der nächste halbe Pfennig war fällig. Ich muss zugeben, der Handel war nicht unehrlich, denn der Rückweg war ja noch nicht bezahlt.

    _________

    * Tritt gut ein, geh besser aus. ** Gott des Weines, der Trinker. ° Womit angezeigt werden soll, dass echte Zecher nicht altern. °° Sagenhaftes einäugiges Volk der Antike. # Tempeldiener.

    Forts. folgt

    Hallo Tariq,

    ich komme gerade aus einem entfernten (Bundes)Land zurück, deshalb antworte ich erst jetzt.

    Zunächst zu diesem verdammten Spruch. Ich las ihn in der Zeitung, fand ihn geistreich und wollte ihn einer ebenfalls geistreichen Leserschaft nicht vorenthalten. Das war es. Dabei ist er durchaus doppeldeutig, dieser Spruch. Unter gewissen Bedingungen klingt auch der Kopf eines Genies, also etwa deiner oder meiner, durchaus hohl, wie folgender kleine Versuch zeigt. Drücke eine schwingende Stimmgabel fest auf deine Schädeldecke, öffne den Mund - und du hörst einen verstärkten Ton. Der Schädel, aus welchem Grund auch immer, wirkt wie ein Resonanzkörper analog zum Corpus etwa einer Geige. Es muss also nicht unbedingt ein Buch sein... Und obwohl Geigen bekanntlich hohl sind, kann man aus ihnen die wunderbarsten Weisen hervorzaubern. Unter diesem Gesichtspunkt wäre ein hohler Kopf nicht allemal ein Makel...

    Zu den verdeckten Anspielungen... Mit dem Apfel wollte ich auf die Elektronikbesessenheit vieler Leute hinweisen, die ja gesundheitsmäßig nicht unproblematisch ist. Damit man die nächste, der Ober-Affe in der Weißen (!) Burg, besser erkennt, liefere ich dazu sein naturgetreues Konterfei.

    Ich würde es verstehen, wenn jemand von deinen Lesern sagen würde: Ich will so viel wie möglich so schnell wie möglich lesen.

    Wäre mir nicht unangenehm.

    Ansonsten - bitte nimm dir (und gib mir :P ) Zeit. Und jedem Abenteuer von Mundburt Gelegenheit, für sich zu wirken.

    Okay, okay! Nur, in der nächsten Zeit bin ich immer wieder wochenlang offline, und da denke ich, niemad ist gezwungen, alles auf einmal zu lesen.

    LG: McFee

    Mundburt und seine Leute spielen bei einer Musikantenbande mit.

    „Nunn“, sagte Gerlind, als ich den linken Fuß aufs Deck setzte, „lebt der Erhabene noch?“ Sie brach in heidnisches Gelächter aus. „Mann, was hast du denn da auf dem Kopf? Das sieht ja zum Schreien aus! Und was ist das da?“

    „Vielleicht erlaubst du, dass ich erst einmal vollständig an Bord komme.“

    Inzwischen standen auch Kopf und Knalli grinsend vor mir. Eine Windböe fuhr unter meinen Doktorhut und blies ihn aufs Meer hinaus.

    „Zerronnen wie gewonnen“, sinnierte ich, „aber die Würde bleibt.“

    „Welche Würde?“

    Ich setzte den Käfig mit dem Zeisig ab. „Kinder! Ich schlage vor, wir machen die Leinen los und stechen in See! Dann erzähl ich euch, was es zu erzählen gibt!“

    „Da hast du ja ganz schön vom Leder gezogen“, sagte Gerlind, als ich fertig war, „und gefährlich war´s obendrein.“

    „Ein Ritter, der die Gefahr fürchtet ist keiner, und ein Mann von echtem Schrot und Korn fürchtet nur Gott!“

    „Na klar, und vielleicht noch, dass der Himmel einstürzt.“

    „Das mit dem Orakel war nicht schlecht“, meinte der Magister, „hat Euch wahrscheinlich den Kopf gerettet. Wie kamt ihr darauf?“

    „Ich erinnerte mich an eine Erzählung meines Vaters, wo ein alter Grieche, dem ein Orakel den baldigen Tod voraussagte, alles Mögliche unternahm, es zu verhindern, der aber trotzdem am vorbestimmten Tag starb.“

    „Verachte nicht das Orakel im Übermut -

    ein böser Spruch, und du bist kaputt“,

    feixte Gerlind.

    „Das war sicherlich die Geschichte vom Tod des Äschylos“, sagte der Magister, „einer der seltsamsten Todesfälle, die es je gegeben hat.“

    „Nun erzählt schon“, drängte Gerlind, „Ihr gebt ja doch keine Ruhe!“

    „Diesem Äschylos hatte eine Wahrsagerin verkündet, er werde an einem bestimmten Tag durch einen Gegenstand, der vom Himmel fiel, erschlagen werden, weshalb er diesen Tag außerhalb der Stadt, fern von allen Türmen, Häusern, Bäumen, Bergen, Felsen und anderen erhabenen Gegenständen, von denen etwas fallen oder stürzen könnte, zubrachte und sich mitten auf eine Wiese setzte, fest überzeugt, dass er so unter dem gnädigen Himmelsgewölbe vollkommen sicher sei. Obwohl man sagt, die Lerchen fürchteten den Einsturz des Himmels, weil sie dann nicht mehr singen könnten, auch soll ein gewisser Phenaces sehr gefürchtet haben, der Mann im Mond könne auf ihn fallen und ihn erschlagen und alle bedauerte, die unter dem Mond wohnten, wie die Äthiopier und –“

    „Dieser Äschylos nun...“

    „Ähem... Dieser Äschylos nun wurde ungeachtet aller Vorsicht von einer herabstürzenden Schildkröte erschlagen, die den Fängen eines hoch in der Luft schwebenden Adlers entglitt.“

    „Er hätte in den Keller gehen sollen“, meinte Gerlind.

    „Auch da hätte ihn sein Schicksal ereilt, nur nicht mittels einer herabstürzenden Schildkröte.“

    „Wo wir gerade bei dem Thema sind“, meinte Knalli (der Nachtschlaf hatte ihn wieder zu sich gebracht), „da wüsste ich von einem Todesfall zu berichten, der seinerzeit viel Gelächter erzeugte. Ihr habt doch unseren König erlebt und werdet mir glauben, dass ihm jedes Bubenstück zuzutrauen ist. Eines Tages beauftragte er einen Maler, ein möglichst hässliches Bild von seiner Mätresse anzufertigen, um sie damit zu ärgern. Als das Bild fertig war und der Maler es ihr zeigte, brach sie in ein derart höllisches Gelächter aus, dass sie daran starb.“

    „Eine bekannte Dame von mir“, nun wieder der Magister, „erstickte an einer Fischgräte, die ihr im Hals steckenblieb, weil sie entsetzlich lachen musste, als sie ihren Eheherren dabei beobachtete, wie er...“

    Unter dergleichem Geplauder vergingen die Stunden.

    Während der Magister sein Garn sponn, fiel mir auf, dass wir schneller segelten als es bei der Schwachen Brise zu erwarten gewesen wäre. Ich blickte ins Wasser und sah einen Schwarm Fische mit heftigen Bewegungen gegen die Strömung aus achtern anschwimmen. Daraufhin nahm ich den Magister beiseite und machte ihn auf die Fische aufmerksam. „Das ist nichts, was Euch beunruhigen sollte!“, sagte er, „im Gegenteil, seid doch froh! Umso schneller kommen wir voran!“ – „Aber“, wand ich ein, „warum weigern sich die Fische, in diese Richtung zu schwimmen?“ – „Woher soll ich das wissen?“ – „Ihr seid doch ein gelehrtes Haus!“ – „Aber kein Hellseher!“ – „Ich sag´s Euch: Sie fürchten den Abgrund!“ – „Fangt Ihr schon wieder mit diesem Unsinn an? Die Erde ist eine Schüssel und keine Scheibe!“ Doch ich war keineswegs beruhigt und fürchtete das Schlimmste. Nach den Worten meines Vaters war die Erde eine Scheibe, und meinem Vater, der viel in der Welt herumgekommen war, traute ich mehr als einem ehemals kopflosen Wichtigtuer. Ohne Zweifel trieben wir auf den Rand der Welt zu. Offensichtlich wussten die Fische besser Bescheid als dieser Magister.

    Die Strömung war jetzt so stark, dass wir angesichts des flauen Windes auch bei schärfstem Gegensteuern nicht ausbrechen konnten. Nun war guter Rat teuer. Den HERRN um ein neues Wunder anzuflehen wagte ich nicht; beim letzten Wunder hatte ich ja gelobt, IHN nicht mehr zu belästigen. Da wehten seltsame Töne an mein Ohr; es war ein eigenartigen Dröhnen, Jaulen und Pfeifen, ähnlich wie ich es vor der Kröteninsel gehört hatte, nur feiner, melodischer, rhythmischer. Auch die anderen hatten es gehört; sie waren nach steuerbord gelaufen und blickten in die Richtung, aus der die Töne kamen. Ich entdeckte einen Dreimaster, der mit geblähten Segeln auf die Küste der Affeninsel zusteuerte. Ich ließ sofort das Seenotzeichen setzen; tatsächlich drehte er bei und kam zügig auf uns zu, was mich sehr wunderte, denn dazu musste er gegen Strömung und Wind fahren, ohne dass er sie Segel erkennbar gebrasst hätte. Jetzt sah ich auch, woher die Töne kamen: Statt der Takelage pfiffen und heulten Blasinstrumente der unterschiedlichsten Bauart, wie

    Pommern,

    Schalmeien,

    Krummhörner,

    Cornamusen,

    Rauschpfeifen,

    Trompeten,

    Zinken,

    Hoboen.

    Der Lärm stammte von einer Musikbande auf dem Weg zu einem Ritterturnier (wie ich später erfuhr). Das Erstaunlichste aber war dies: Die Musikanten hielten ihre Instrumente gegen die Segel gerichtet, sodass ihr ausgestoßener Atem in die Segel fuhr und das Schiff vorwärts trieb.

    „Hoiho! Was wollt Ihr?“, rief der Kapitän, ein grauhaariger Affe, herüber. Die Bande schwieg.

    „Hoiho! Wir sind in der starken Strömung gefangen!“, rief ich zurück, „könnt Ihr uns heraushelfen? Allein schaffen wir es nicht!“

    „Schwerlich, unsere Puste reicht kaum für uns selber!“

    Hilf, Vater, hilf!, flehte ich, doch diesmal meinte ich nicht den himmlischen, sondern meinen. Und Vater half! Denn ich erinnerte mich wieder an seine Worte: Lass deiner Fantasie freien Lauf! Dann zeigt es sich, dass du auch ohne Wind übers Meer fahren kannst, wenn nur der Gedankenwind kräftig bläst

    „Wir haben noch etwas Wind im Fass“, schrie ich, „und auch auf anderem Wege könnte ich für mehr Wind sorgen!“

    Trotz der Bedenken, die sich auf seinem Gesicht widerspiegelten, rief der Kapitän: „Also gut, werft ein Tross herüber!“

    „Hey!“, rief ich meinen Leuten zu, die vom Gangspill her den Wortwechsel verfolgt hatten, „aufgepasst und nicht gemuckt! Jetzt wird nicht gefragt, jetzt wird gehandelt! Herr Magister, schnell die Hosen herunter und mit dem Hintern zum Segel aufs Kombüsendach hinauf! Gerlind, hol Trabto, stell ihn mit dem Schweif zum Segel und fächle ihm ordentlich Luft zu! Knalli, Ihr bedient das Ruder! Ich kitzele den Magister den Bauch!“ Und so geschah es. Das Tross flog hinüber; ich strich Kopf den Bauch, woraufhin der fürchterlich lachen musste und ordentlich Rückenwind abließ, desgleichen Trabto, der mit steifem Schweif Salven von Windäpfeln abschoss, Knalli bediente das Ruder, die Segel blähten sich – und so fuhren wir unter Hörner-, Pfeifen- und Trompetenschall in den Hafen der Affeninsel ein

    Phaetons Achsen glühten bereits*.

    Gerlind, die über Rückenschmerzen klagte, blieb an Bord, wir anderen verließen unter dem munteren Geschwätz des Zeisigs das Schiff.

    ____________

    * Das Abendrot zog auf.

    Mundburt betritt sie Affeninsel, wo Fantasticus I. König ist.

    Allerorten reges Treiben: es wurde gesägt, gehämmert, geklopft, geraspelt; Seilwinden quietschten, Verladerampen polterten, Drehkräne ächzten, Hunde bellten. Straßenhändler schrien, jemand versprach guten Lohn bei leichter Arbeit, ein anderer, ein Mönch mit besudelter Kutte, das Blaue vom Himmel, ein Kämmerer höhere Steuern. Vor eine Kogge wartete eine Unzahl Pferdewagen darauf, beladen zu werden. Viele trugen Brillen, diese eigenartige Erfindung des Salvino degli Armati#, aber nicht, weil sie schlecht sehen konnten, denn die Gläser waren ungeschliffen, sondern weil es Mode war, was ihnen das Aussehen von Nachteulen verlieh.

    Auf einem Platz wurde gerade Markt gehalten. Die Buden und Schrangen+ quollen über von Waren in solcher Fülle und Mächtigkeit, wie ich es zuvor noch nie gesehen hatte, und die Apicius++ in helles Entzücken versetzt hätten. Da waren tausenderlei Leckereien à la moresque, allerhand Torten, Pasteten, Schweinsöhrchen, Joncade, Käse, Gelées und die verschiedenartigsten Früchte. Den Garküchen entströmte der Duft von Suppen, Fricassées, Hachés, fetten Kuddeln, gekochtem und gebratenem Fleisch, gesalzener Rinderbrust, braun gebratener Karbonaden und Ochsenbacken, geräuchertem und gebackenem Fisch, mächtigen Schweinshaxen, köstlichem Parmesaner Schinken.

    Das Erstaunlichste aber war das Völkergemisch, das sich unseren Augen darbot.

    Natürlich hatte ich schon Affen und Papageien gesehen; manchmal war fahrendes Volk auf der Burg erschienen, das Affen, Papageien und Bären zur Schau stellte. Doch das waren allesamt angekettete, schlecht ernährte und unglückliche Geschöpfe gewesen, die Dinge zeigen mussten, zu denen sie nicht geboren waren. Hier jedoch liefen die Affen frei herum; sie waren gut genährt und nach der letzten Mode gekleidet, die Frauen mit knallroten Lippen und fantastischen Hüten, die Männer leger und ohne die albernen Kleider-Mätzchen, wie sie in Ulm und anderswo üblich waren. Die meisten, obgleich unterschiedlich groß, zeigten einen kräftigen, gedrungenen Körperbau, nicht wenige waren außergewöhnlich dick. Es gab Affen aller Art; ein breiter Gorilla mit der Peitsche in der Faust trieb eine Horde Fronaffen zur Eile an; ein schmerbäuchiger Orang-Utan mit Frauen und Kinderschar zog mit stolz geschwellter Brust, die mit Orden behängt war, vorbei. An einer Straßenecke schwatzten drei Schimpansen aus den Bergen, wobei mir ihre Menschenähnlichkeit auffiel; dann waren da Lemuren mit pinselförmigen Haarschöpfen, Makis, die hoch beladene Karren hinter sich herzogen, desweiteren Halbaffen, Hundsaffen, Schwanzaffen, Nasenaffen, Maulaffen. Und Vögel aller Herren Länder; Papageien, Loris, Pfauen, Finken, Drosseln, Nachteulen, Tageulen, Kropfeulen, Ziegenmelker, Ochsenmelker, Reiher, die auf einem Bein standen, Rohrdommeln, wie erstarrt in die Gegend starrend, geweihte und ungeweihte Weihen... Sah hier auch Sphingen, Cephen, Raphen, Unzen und Musmonen, letztere mit Vorderfüßen wie Menschenhände, Hinterbeinen von Hunden und Ohren, wie sie Schweine haben; dazwischen fette Makrelen, Krakelen, Meeraale, Knurrhähne, Muränen, Schollen, Flundern... Krodilen so groß wie die Eiserne Sau* und mit Rattenschwänzen; Einhörner mit zwei und mehr Hörnern, Stockfische mit und ohne Stock...

    Es war ein buntes Volk, dass sich durch die Gassen der Hafenstadt schob.

    Vor einer Verkaufsbude mit gerösteten Maronen blieben wir stehen, denn den Magister, der sich vom Acephalen immer mehr zum Gastrophilen** entwickelte, hungerte es schon wieder. Einer der Wartenden, ein Nasenaffe, der stark aus der Nase roch (denn diese Leute leiden häufig unter Stinknasen), drehte sich zu mir um und fragte: „Ihrguten Leute, habt Ihr ihn schon gesehen? Habt Ihr ihn schon gesehen?“ – „Wen?“, fragte ich zurück.“ – „Na den!“ – „Wer ist der?“ – „Der Einzige und Größte von allen.“ – „Zum Teufel, nein, wir sind ihm noch nicht begegnet.“ – „Leute, habt ihr das gehört!“, rief die Stinknase, „dieser Mensch behauptet, er habe ihn noch nicht gesehen!“ Ein unwilliges Raunen ging durch die Menge. „Wie ist das möglich?“, riefen einige. –

    „Potz Blitz!“, sagte der Magister, in der Hand den Hut voller gerösteter Maronen, „hmpf... ich glaube... schmatz... sie meinen den Papst.“ – „Nein, nicht den Papst!“, schrie einer, „sondern den, der da ist!“ – „Nach unserer heiligen Lehre“, rief ich zurück, „ist der, der da ist, kein anderer als Gott, wie er sich Moses°° offenbarte. Gott aber können wir sicherlich nicht sehen, denn er ist leiblichen Augen nicht sichtbar. Also sagt bitte, wenn es weder Gott noch der Papst ist, wen meint Ihr?“ – „Wir reden nicht von dem Gott, der im Himmel ist, wir reden von dem Gott auf Erden“, kam es ruppig zurück, „sagt, habt Ihr ihn wirklich noch nicht gesehen?“ – „Potz Tod“, zischte Kopf, „hätte nicht übel Lust, dem Kerl die Rotznase einzuschlagen!“ Laut sagte er: „Also wer ist es?“

    Ein älterer Halbaffe mischte sich ein, offenbar ein Advokat, denn sein Gewand war mit Disputen, Zitaten, Einlassungen, Rechtskniffen, Vertagungen, Gebührentabellen behängt. Er nahm mich beiseite und sagte: „Mit diesen Leuten ist nicht zu reden, sie denken mit der Blase und nicht mit dem Hirn. Wenn es Euch recht ist, gehen wir ein Stück des Weges, und ich erkläre Euch, wen sie meinen.“

    Nachdem wir ein ruhiges Plätzchen gefunden hatten, erklärte der Advokat: „Diese Leute sind so vernarrt in den Fantastischen, dass sie ihm nicht nur den Hintern lecken, sondern auch noch die... ähem... küssen würden. Sie können sich nicht vorstellen, dass es Leute auf der Welt gibt, die ihn nicht mögen und meinen, wer ihn nicht gesehen hat, hat sein Leben verfehlt.“

    „Ei“, rief Knalli, „wer ist es denn nun?“

    „Unser König, Fantasticus I.“

    „Aha! Den das Volk so liebt, dass es ihm... ähem –“

    „Nicht das gesamte... einige halten ihn für einen Narren und würden ihn gerne zum Mond schießen.“

    „Und Ihr? Liebt Ihr Euren König?“

    Der Advokat klatschte begeistert in die Hände. „Er ist, ha!, der tapferste und, ha! der mutigste und, ha! der fleißigste, ehrlichste, größte, kurz, der fantastischste, ha! König, den wir je hatten. Warum sollte ich ihn nicht lieben?“

    Seine Begeisterung klang in meinen Ohren etwas zu laut, um echt zu sein.

    „Wenn ihn das Volk so liebt“, sagte ich, „dann ist er bestimmt doch ein weiser Herrscher, dem das Wohl seines Volkes über alles geht.“

    „Das zu zeigen hatte er noch keine Gelegenheit, denn er ist erst drei Monate im Amt.“

    „Wie, was, ist er denn nicht schon seit seiner Geburt König?“

    „Keineswegs! Er ist ein König auf Zeit.“

    „Euer König wird nicht von Gott auf Lebenszeit eingesetzt?“

    „Genau so ist es.“

    „Ach! Und wer setzt ihn ein?“

    „Das Volk der Affeninsel.“

    Ich muss ziemlich dumm dreingeschaut haben, denn der Halbaffe lächelte nachsichtig. „Lieber Herr, unser Staat ist eine Angelegenheit des Volkes, nicht Gottes!“

    „Aber sagt doch, diese Leute, die den König einsetzen, werden doch sicherlich von Gott geleitet!“

    „Sicherlich!“ Er ließ ein krächzendes Gelächter hören. „Herr, seid Ihr ein Mönch oder ein Priester, dass Ihr ständig von Gott redet? Diese Wahlmänner sind alle brav, rechtschaffen und gottesfürchtig und werden aus einer großen Schar von Bewerbern vom Volk gewählt. Wer die meisten Striche auf seinem Kerbholz verzeichnen kann, der wird einer. Das war schon immer so und hängt mit unseren Dekreten zusammen, mehr kann ich dazu nicht sagen.“

    Jetzt verstand ich garnichts mehr, außer, dass dieser Mann ein Ketzer war.

    Kopf, der abseits zwei niedliche Rhesusäffinnen betrachtete, die Hand in Hand vor ihm auf und ab spazierten, trat hinzu.

    „Hmm... mampf... schluck... köstlich, köstlich... Äh, worum geht´s denn gerade?“

    „Dieser Herr hat mich gerade über den König dieser Insel aufgeklärt. Ihr werdet es nicht glauben –“

    „Soso, aufgeklärt...ähem... Lieber Herr, wir würden gerne den Palast Eures Königs besichtigen. Vielleicht lädt er uns ja zu einem kleinen Umtrunk ein. Wisst Ihr, wie man dahin kommt?“

    „Ihr meint die Weiße Burg? Das ist weit weg von hier, denn dies ist ein großes Land. Ich bin gerade auf dem Weg dorthin und würde Euch gerne mitnehmen, allein die Beschränktheit meiner Mittel erlaubt es nicht.“

    Es stellte sich heraus, dass der Reisewagen des Herrn Ararat für fünf Personen zu klein war, und er riet uns dringend ab, die Reise auf eigene Faust und ohne Bedeckung zu wagen, denn auf dem Weg dahin kämen wir durch das Land der Xenophoben°, die mit tödlich vergifteten Pfeilen auf alles schossen, was ihnen fremdartig erscheine.

    Enttäuscht kehrten wir aufs Schiff zurück, wo Gerlind schon mit dem Essen wartete.

    _________

    + Marktstände. ++ Ein Feinschmecker im alte Rom. # 1317 * Ein feuerspeiendes Geschütz. ** Freund des Magens. ° Fremdenhasser. °° 2. Mos. III, 14.

    Forts. folgt

    Oh, Tariq, ich bitte vielmals um Entschuldigung! Hätte ich geahnt, dass sich hinter dem McFee vom Montag ein Spoiler verbirgt, wäre schon jängst eine Reaktion erfolgt. Und ich hätte dir auch den Spruch erspart, der völlig fehl am Platze war und vor diesem Hintergrund geradezu beleidigend wirken musste! Pardon, Pardon, Pardon... Glaube mir bitte: An alles habe ich dabei gedacht, nur nicht an deinen Kopf! Und der ist, wie deine Komm. zeigen, alles andere als hohl! Ich betone noch einmal ausdrücklich, dass ich die Kritik dieser Forenschaft außerordentlich schätze. Wo wäre ich als Schreiberling ohne sie!

    Nun zu deinen Einwänden:

    Wie kann er das wissen? Ich meine - wie kann er sicher sein, dass er drin ist? :hmm:

    Und ich habe bei der Erklärung nicht ganz verstanden, wozu der Topf benötigt wurde, wenn das Wachs gereicht hat, um den Dämon einzuschließen. Hab ich was übersehen?

    Richtig. So kann er es nicht wissen. Es müsste etwa heißen: An einer leichten Bewegung des Apfels erkannte ich, dass der Dämon gerade einfuhr.

    In der Tat, auch der Grapen ist unnötig. Gut beobachtet.

    Mit diesem Satz hab ich ein Problem. Ist Rabulistik ein Name, ...

    R. bezeichnet eine verquere Pseudowissenschaft. Hinter den Satz gehört ein Fragezweichen, dann wird klar, dass er wissen wollte, von wem M. diese R. gelernt habe.

    Ich merke, wie die Spannung bei mir nachlässt und ertappe mich dabei, dass ich beim Lesen der Überschrift denke: Na mal sehen, wem er heute wieder die Hucke vollügt, um am Ende des kurzen Landgangs mit seiner Gerlind wieder unbehelligt davonsegeln zu können.

    Na mal sehen... Ist das nicht schon Leseanreiz genug? Gut, gut, ich gebe zu: Der Thread ist formal ziemlich einförmig. Aber das sind Schelmenromane aus alter Zeit auch. Mir geht´s um den Inhalt, nicht um die Form. Und da bemühe ich mich, eben nicht langweilig zu sein, zum Beispiel durch Humor und Sprachwitz, auch zwei Spannungsgeneratoren. Und warum soll man als Lerer/in nicht auch mal ein Kapitel oder zwei auslassen? Dann fehlen eben zwei Perlen, trotzdem schmückt die Kette noch... Du wirst sicherlich festgestellt haben, dass viele Kapitel Anspielungen auf Zu- und Missstände unserer Zeit enthalten. Das mit dem grünen Apfel, da ist doch die Fa. Apple gemeint! Und da es von denen unendlich viele gibt - nein, natürlich nicht. Es werden keineswegs unendlich viele Fortsetztungen folgen. Auch das beste Pferd kann man zu Tode reiten. Aber noch ist es nicht so weit.

    Aber da du auch schon auf den letzten nicht reagiert hast, würde mich jetzt verabschieden aus dem Thread.

    Meinst du den vom 8. Mai? Da ich keine Einwände fand habe ich einfach nur genossen!

    Ich hoffe, dass dich meine Ausführungen besänftigen konnten und würde mich freuen, wenn du Mundburt auf seiner Narren-Tour durch die Welt weiterhin folgen könntest.

    LG, McFee

    Mundburt hat keine Idee und findet, wonach er nicht sucht.

    Unter bedrücktem Schweigen gingen wir in den Rittersaal zurück. Auf dem Weg dorthin wurde mir bewusst, wie absonderlich die Situation war. Ein großer Arzt bat mich – mich!, einen jungen Menschen, der lärmenden Jugend kaum entwachsen, um Rat. Doch welchen Rat konnte ich ihm geben? Von Pest und Cholera verstand ich nichts; ich war überdies heilfroh (und bin es heute noch, gelobt sei der HERR!), mit diesen üblen Gesellen noch nicht in denselben Graben gepisst zu haben. Offensichtlich setzten die Unglücklichen große Hoffnungen in mich, Hoffnungen, die ich unmöglich erfüllen konnte.

    Doch zunächst ging es darum, die guten Leute hinzuhalten, bis mir eingefallen war, wie ich mich aus dieser misslichen Situation halbwegs ehrenhaft retten konnte. Eine Idee hatte ich nicht, doch Kühnheit siegt, wenn Frechheit vorangeht.

    „Meine Herren Ritter“, sagte ich, „die Apfelbesessenheit ist zweifellos eine schwere Krankheit, gegen die anscheinend alle herkömmlichen Mittel versagen. Mir scheint allerdings, dass die Ursache nicht in den Kranken sitzt, sondern in diesen Äpfeln.“ Ich wandte mich dem Doktor zu. „Herr de Harsigny“, sagte ich, „ist ein solcher Apfel schon einmal gründlich untersucht worden? Die Erfahrung zeigt, dass sich Teufel und Dämonen häufig an Orten aufhält, wo man sie am wenigsten vermutet.“

    „Natürlich habe ich einen solchen Apfel untersucht“, erwiderte der Doktor mit einem Lächeln, in dem sich ein kleiner Unmut spiegelte, „und ich habe nichts gefunden, was ihn von einem normalen Apfel unterscheidet – ausgenommen der Biss. Meine ehrenwerten Kollegen und ich haben sogar einen anerkannten Exorzisten für schweres Geld mit einer Teufelsaustreibung beauftragt. Doch von allen neunhundertneunundneunzig Teufeln, die der Exorzist in mühevoller Kleinarbeit aufgerufen hat, bekannte sich keiner für zuständig.“

    „Dann“, entfuhr es mir, „stecken in den Äpfeln keine Teufel, sondern Dämonen, die durch ihre Verlockungen den Apfelbesitzer dermaßen an sich fesseln, dass er ihnen wie ein Tier dient und gehorcht.“

    Ich weiß nicht, wer von uns beiden mehr verdutzt war – der Doktor, weil er auf diese naheliegende Idee noch nicht gekommen war, oder ich, der ich von dieser naheliegenden Idee, bevor ich sie aussprach, noch keinen blassen Schimmer geahnt hatte.

    „Aber es ist doch kein Dämon herausgefahren“, ließ sich einer der Anwesenden vernehmen, „wieso, zum Teufel, soll denn einer drinstecken!“

    „Das ist leicht zu erklären“, behauptete ich kühn, „auch kleine Apfeldämonen sind nicht dumm und können vielerlei Gestalt annehmen. Ich weiß das von meiner Großmutter, die mir häufig Äpfel ans Ohr hielt, in denen es knackte und knisterte. Wenn sie den Apfel dann aufschnitt, flog ein winziger Schmetterling hinaus. Was ich sagen will ist dies: Wenn der Dämon merkt, dass der Apfel untersucht oder exorziert wird, schlüpft er schnell hinaus, und dann, wenn die Gefahr vorüber ist, schwupp, ist er wieder drin.“

    „Beim Satan!“, rief jemand, „dann haben wir ja das ganze schöne Geld zum Fenster hinausgeworfen!“

    Ich schwieg beredt, und dumpfes Schweigen machte sich breit. Unterdessen dachte ich fieberhaft nach. Die guten Leute hingen an meinen Lippen, und ich konnte sie bei meiner Ehre unmöglich enttäuschen. Um erneut Zeit zu gewinnen, sagte ich: „Ihr Herren, ich bitte um eine halbe Stunde Urlaub! Ihr seht selbst, der Jungfer geht es nicht gut, und auch mein Herz sehnt sich nach frischer Luft und Sonnenschein. Gibt es hier ein Plätzchen, eventuell auf einer Bank an einem Bachgeriesel oder in der Nähe eines heiteren Sees, wo ich meinen Gedanken nachhängen und über eine Lösung des Problems nachsinnen kann?“

    Diese salbungsvolle Rede verfehlte nicht ihre Wirkung.

    „Herr de Valmy“, sagte der Meister, „führt die beiden Herrschaften nach den Fischteichen! Dort wird der Herr finden, was er sucht!“

    Ich blickte mich um. Kopf war wieder einmal verschwunden.

    „Was soll das denn?“, fragte Gerlind, als wir an einem mit allen möglichen Wasserpflanzen bedeckten Teich saßen, in dem die Frösche quakten und die Libellen ihr Liebesspiel trieben.

    „Sei bitte mal einen Moment still“, sagte ich, „ich muss nachdenken.“

    Ich stand wieder auf und sah aufs Wasser, oder besser: Auf das verwirrende Grün, das sich meinen Augen bot. Allmählich erkannte ich Einzelheiten: Große, kleine, runde, ovale, eckige, breite, schmale, stumpfe, spitze Blätter... Manche sahen aus wie ein halber Mond, andere wie eine Speerspitze. Dann Blüten in allen Formen und Farben. Ein großer grauer Vogel mit einer Klistierspritze als Schnabel beäugte mich scharf, auf einem Blatt mit aufgewölbtem Rand saß ein giftgrünes Etwas und glotzte mich mit goldenen Augen an. Und daneben im Wasser... ein seltsames, grünbraunes Gebilde in Form eines aufgerollten Füllhorns, etwa anderthalb Zoll hoch. Das Haus einer Schnecke. Ich bückte mich und hob das Gehäuse, als wär´s ein zerbrechliches Kleinod, vorsichtig aus dem Wasser. Es war leer, die Bewohnerin ausgezogen. Ich blickte in die Öffnung und sah in einen gewundenen Gang, der nach oben immer schmaler wurde. Mein Herz hüpfte vor Freude... Behutsam wickelte ich das Gebilde in mein Tuch, dann ging ich zu Gerlind zurück.

    „Heiho, wir können wieder zurückgehen“, sagte ich, „hab gefunden, wonach ich nicht suchte!“

    Der Magister kam angerannt, mit reichlich derangierter Kleidung. „Man sagte mir, ich könne Euch hier finden“, keuchte er.

    „Wo kommt Ihr denn jetzt her“, fragte ich, „und in welchem Zustand?“

    Kopf druckste mit roten Wangen herum. „Versteht doch“, sagte er schließlich, „meine...ähem... Annäherungsversuche waren Jahre hindurch ziemlich kopflos und wohl deshalb selten von Erfolg gekrönt. Jetzt, unter diesen Bedingungen, sehe ich mich in die Lage versetzt –“

    „Erspart uns Einzelheiten und schaut mal nach Eurem Hosenlatz“, unterbrach ihn Gerlind.

    Mundburt treibt einen Quälgeist aus und redet wie ein Doktor der Medizin.

    Den Zufallsfund nahm ich als Zeichen, dass mir der Himmel nach wie vor gewogen war und machte mich sofort an die Ausarbeitung eines Plans. Sollte er scheitern – wer sollte mir daraus einen Strick drehen, denn niemand hatte mir den Äskulapstab in die Wiege gelegt. Hingegen im Falle eines Gelingens – –

    Konsequent versagte ich mir jegliche Ruhmesfantasien und schritt stattdessen unverzüglich zur Tat.

    Natürlich besaß ich nicht die geringste Erfahrung im Umgang mit Dämonen. Das Wenige, was ich wusste, stammte aus Erzählungen der Mägde auf Burg Wolkenstein, etwa, dass Teufel und Geister im Dunkeln genauso blind herumtappen wie ihre Opfer, dass sie immer um Mitternacht besonders aktiv sind und sich vor dem Zeichen des Kreuzes fürchten.

    Zunächst bat ich Kopf und Gerlind, zum Schiff zurückzukehren und es für einen eiligen Aufbruch klar zu machen, primo, weil es stark auf den Abend zuging, secundo, weil der Ausgang des Abenteuers ungewiss war, tertio, weil ich bei der Ausführung meines Plans nicht durch dumme Fragen abgelenkt werden wollte; ich selbst hatte vor, die Nacht im Spital zu verbringen. Gerlind verschloss ich den Mund mit einem Kuss; Kopf, der anscheinend noch ein Tète-á-Tète in petto hatte und ein Gesicht machte, als müsste er auf das Leben verzichten, stellte ich vor die Wahl, entweder zu folgen, oder für immer auf dieser Vogelinsel zu bleiben. Meine harsche Ansprache blieb nicht ohne Wirkung, leise murrend zog er ab.

    Danach begab ich mich in den Rittersaal und verkündete mit kühner Unverfrorenheit, ich hätte mein Orakel befragt und Antwort erhalten, dahingehend, ich solle gegen Mitternacht zu Seiner Erhabenheit gehen und an seinem Bett Wache sitzen; dort würde ich weitere Weisungen erhalten. Dann befahl ich dem Bader, alle Einreibungen mit Merkurium zu unterlassen, das Mittel brächte den Patienten nur in Feuer und versetze ihn in tödliche Aufregung – woher ich diese Weisheit nahm, weiß ich bis heute nicht..

    Die Ritter sprangen von ihren Sitzen auf und umringten mich. Nicht wenige zeigten sich außerordentlich erfreut, einige allerdings machten keinen Hehl daraus, dass sich mich für den gewissenlosesten Scharlatan hielten, der auf der Welt herumlief. Im Nu und ohne jemanden zu Wort kommen zu lassen ordnete ich an, ein kleines Küchenmesser, ein Wachssiegel, einen Ohrensessel sowie einen eisernen Topf in die Kammer Seiner Erhabenheit zu bringen; für mich erbat ich einen Raum, in dem ich ungestört mit meinem Orakel kommunizieren könne. Man nahm alle Forderungen ohne Gegenrede an.

    Kurz vor Mitternacht begab ich mich in die Kammer der Großmeisters. Der Kranke lag ruhig schlafend im Bett, seine Gesichtszüge waren entspannt, der Atem ging regelmäßig, alles Zeichen, dass der Dämon noch nicht vor Ort war. Mit dem Messer höhlte ich den Apfel an der Stelle des Bisses aus, steckte das Gehäuse hinein, legte den Apfel zurück auf den Tisch und stülpte den Topf darüber. An der Kerze machte ich das Siegel weich und formte daraus ein Kreuz. Dann setzte ich mich in den Ohrensessel, lehnte mich zurück und wartete ab.

    Schlag zwölf wurde der Kranke unruhig. Er wand sich, stöhnte, schlug mit den Armen, zeigte Anzeichen höchster Erregung: Der Dämon näherte sich. Ich wartete, um sicher zu gehen, dass er in den Apfel eingefahren war, dann hob ich blitzschnell den Grapen an, verstopfte den Eingang des Gehäuses mit dem Siegel, Kreuz nach innen, und setzte den Topf wieder ab.

    Ich war mir über das Risiko des Unterfangens durchaus im Klaren. Das Kreuz bestand aus ungeweihtem Wachs, würde es überhaupt wirken? Was auch immer geschehen würde: Gerlind und Kopf waren in Sicherheit, und ich würde mich schon zu retten wissen, denn Kühnheit siegt, wenn Frechheit vorangeht. Indem ich darüber nachdachte, begann ein Knistern und Knirschen, ein Klopfen und Schaben, ein Trampeln, Fluchen und Schreien, in das sich, wie aus weiter Ferne, unverständliche Wortfetzen mischten. Die Geräusche kamen eindeutig aus dem Topf. Der Dämon hatte in der Dunkelheit den falschen Eingang nicht erkannt uns saß jetzt, abgestoßen durch das Kreuz, das offensichtlich wirkte und ihn stark bedrängte, in der Spitze des Schneckenhauses fest. Die Geräusche verstärkten sich und schwollen zu einem üblen Lärm an, der die gesamte Kammer ausfüllte.

    Der Großmeister indes vermittelte den Eindruck, als litte er entsetzliche Qualen. Mit verzerrtem Gesicht und Schaum vor dem Mund bäumte er sich auf, griff sich an den Hals, keuchte, stöhnte, furzte, schrie, sodass ich schon befürchtete, er könnten aus der Welt fahren. Ich hatte schon damit gerechnet, das der Dämon seine Macht nicht kampflos würde fahren lassen, aber die Wucht der Angriffe erstaunte mich doch.

    Plötzlich gab es einen Knall, es roch nach Schwefel und siedendem Pech – dann war Ruhe. Der Dämon hatte, vom Kreuz besiegt, für immer aufgehört, zu existieren.

    Der Patient beruhigte sich zusehends.

    Glücklich über die gelungene Austreibung zog ich die Glocke – das verabredete Zeichen – sofort sprang die Tür auf, die Herren von Elster und de Harsigny traten ein (offensichtlich hatten sie, gegen die Absprache, an der Tür gelauscht). Entzückt sahen sie erst den Patienten, dann mich an, und die Anerkennung, die in ihren Blicken lag, verlieh mir Mut. Ich sprach wie ein Arzt, verordnete Diät und Ruhe, dogmatisierte, hypothetisierte, zitierte Autoren, die ich nie gelesen hatte. Die hohen Herren hörten mich wie ein Orakel an, und Seine Erhabenheit schenkte mit die gleiche Aufmerksamkeit.

    Es stellte sich heraus, dass alle drei von dem Lärm nichts mitbekommen hatten.

    Zufrieden suchte ich mein Nachtlager auf.


    Mundburt fabuliert das Blaue vom Himmel und wird zum Doktor der Medizin ehrenhalber ernannt.

    Am anderen Morgen, bei einem üppigen Frühstück mit zahlreichen Gunstbeweisen, an dem auch Seine Erhabenheit gnädig teilnahm, sagte Herr de Harsigny, mehr sauer als süß lächelnd, er finde mich für einen jungem Menschen zu gelehrt, folglich müsste ich etwas Übernatürliches besitzen.

    Da ich seinen Stolz nicht verletzen wollte, indem ich ihm die Wahrheit sagte, fabulierte ich in törichter Selbstüberschätzung, ich besäße eine Zahlenpyramide, durch die ich vermittels einer Frage, die ich aufschriebe und in Zahlen verwandele, eine Antwort, ebenfalls in Zahlen, erhalte, die mich in allem, was ich zu wissen begehre, unterrichte. Auf diese Weise habe ich auch erfahren, wie der Dämon Seiner Erhabenheit zu besiegen sei.

    Diese Antwort löste größtes Erstaunen aus.

    Damit besäße ich ja, sagte Herr von Elster, eine Art Schlüssel Salomonis, nach dem sich die gelehrte Welt sehne.

    Er nenne es eher Rabulistik, meinte ein anderer, von wem ich diese Wissenschaft gelernt habe.

    Ich erwiderte: „Von einem alten Eremiten, der auf dem Berge Sinai wohnt und den ich kennenlernte, als ich in ägyptischer Gefangenschaft war.“

    Zu spät merkte ich, dass ich mich immer tiefer in mein Lügengespinst hinein ritt.

    „Dieser Eremit“, sagte der Doktor, „hat ohne Euer Wissen mit den Zahlen einen unbekannten Geist verknüpf, denn einfache Zahlen besitzen nicht die Fähigkeit, ein Urteil zu fällen oder Antwort auf Fragen bezüglich der Geisterwelt zu geben.“

    Jetzt merkte ich, dass mir gerade ein Feind erwuchs.

    „Herr de Harsigny“, sagte der Großmeister, dessen Gesundheit fast völlig wieder hergestellt war, „warum wollt Ihr die Verdienste des Herrn von Wolkenstein kleinreden? Er hat mich vom Merkur befreit, an dem ich beinahe erstickt wäre, und er hat den Dämon vertrieben. Also ist er der bessere Arzt!“ Er sah mich wohlwollend an. „Lieber Herr, Ihr besitzt einen wahren Schatz, und es hängt ganz von Euch ab, daraus den grüßten Vorteil zu ziehen.“

    „Ich weiß nicht, wie ich diesen Vorteil ziehen könnte“, sagte ich, „denn die Antworten sind manchmal so dunkel, dass ich sie nicht verstehe. Gleichwohl macht es mich glücklich, dass es mir gelungen ist, Eure Erhabenheit von dem furchtbaren Ungeist zu befreien.“

    Der Großmeister versicherte mir noch einmal seine Wertschätzung.

    Daraufhin sagte der Doktor kalt, wenn Seine Erhabenheit so denke, halte er es für das Beste, mir seinen Platz als Arzt abzutreten. Da niemand widersprach, stand er auf und verließ den Saal. In der selben Sekunde ernannte mich der Großmeister zum Doktor der Medizin ehrenhalber beim Orden des Goldenen Phallus und überreicht mir einen Doktorhut aus schwarzen Vogelfedern.

    „Ich würde gern“, sagte ein Ritter, „Euch eine Frage stellen, die mir am Herzen liegt, über die mich jedoch bisher niemand belehren konnte.“

    Ich erwiderte, er solle die Frage nur aufschreiben, (wobei ich spürte, wie mir der Hals eng wurde), ich würde sie unverzüglich meinem Orakel vorlegen.

    Er schrieb die Frage auf, gab sie mir, ich las – las wieder – und verstand nichts, das auf einem Mückenschiss hätte Platz gefunden. Unter dem Vorwand, ich müsse mit meinem Orakel alleine sein, begab ich mich in einen Nebenraum.

    Jetzt musste ich für meine Unverschämtheiten bezahlen.

    Indem ich diese Frage wieder las und immer noch nicht verstand, stieg in mir der Verdacht auf, dass es darauf gar keine vernünftige Antwort gab, dass mich der Ritter hereinlegen wollte, aber das tat nichts, ich musste antworten. Ich sammelte alle meine Geisteskräfte, um zu einer Antwort zu gelangen, die ebenso dunkel war wie die Frage. Schließlich entschied ich mich für folgenden Spruch:

    Auch ein weiser Mann macht manchmal den Narren,

    den er auslegen konnte, wie er wollte, und spiele den Gleichgültigen.

    Der Herr liest ihn, zeigt sich überrascht und versteht alles. „Himmel! Das ist göttlich, das ist einzig, diese Antwort konnte nur ein überragender Geist finden!“ Seine Begeisterung ist zu offensichtlich, um echt zu sein. Die anderen bestürmen ihn, mit der Antwort herauszurücken, doch er ziert sich und steckt den Zettel weg. Nun stellen sie mir Fragen über alle möglichen Gegenstände, von denen ich nichts begreife, und ich erteile Antworten, von denen ich ebenfalls nichts begreife, die ihnen aber sämtlich erhaben vorkommen.

    Doch einer, offensichtlich darüber erbost, dass sie mich nicht fassen können, lässt nicht locker in dem Versuch, mich aufs Glatteis zu führen. Er fragt mich, ob es möglich sei, ihn meine erhabene Zahlenkunst zu lehren, denn er besitze eine Schwäche für diese abstrakte Wissenschaft.

    „Gern, Euer Wohlgeboren“, entgegne ich, denn das Spiel beginnt mir Spaß zu machen, „allerdings gibt es da eine Sache, auf die ich bisher kein Gewicht gelegt habe, weil die Notwendigkeit dazu fehlte. Gleichwohl hindert sie mich daran, Eurer Bitte Folge zu leisten.“

    Er fordert mich auf, mich näher zu erklären.

    „Der Eremit vom Berge Sinai“, schwadroniere ich unbeschwert, „versicherte mir, ich würde sieben Tage, nachdem ich die Wissenschaft irgendjemandem mitgeteilt hätte, eines plötzlichen Todes sterben; indes, ich glaube nicht an diese Drohung und würde Euch zuliebe –“

    „Mein lieber junger Freund“, unterbrach mich der Obermeister, „ich an Eurer Stelle würde eine derartige Drohung durchaus ernst nehmen! Es gibt genug Beispiele, das solch eine Drohung auf die Minute genau eintrat. Man soll weder die himmlischen noch mit die höllischen Mächte herausfordern.“

    Dabei blieb es, niemand sprach mehr von der Sache.

    Wieder hatte ich dazugelernt, primo, dass Frechheit siegt, secundo, dass Eitelkeit und Gutgläubigkeit es dem Menschen leicht machen, seinen Nachbarn zu betrügen.

    Der Rest ist schnell berichtet. Seine Erhabenheit entließ mich mit ausgesuchter Höflichkeit, dabei brachte er sein Bedauern zum Ausdruck, dass er einen Mann wie mich, der offensichtlich im Besitz des Steins der Weisen sei und mit Elementargeistern umgehen könne, ziehen lassen muss. Als Anerkennung für geleistete Dienste überreichte er mir einen goldenen Käfig mit einem Zeisig, der ebenfalls über geheime Kräfte verfüge, welche, das würde ich schon merken.

    Ich kehrte zum Hafen zurück, den Doktorhut auf dem Kopf, den Käfig in der Hand, ein lustig Lied auf den Lippen.

    Forts. folgt.


    Mundburt wird auf eine seltsame Insel gezwungen und um ein Wunder gebeten.

    Die nächsten zwei Tage verliefen ruhig. Das Schiff segelte bedächtig bei einem Wind dahin, der genau so träge war wie wir. Knalli erzählte von seinem Leben bei Hofe, Geschichten, so haarsträubend, das jede Dinte beim Versuch, es aufzuschreiben, verdampfen müsste. Der Magister erinnerte sich an die Zeiten, als er noch den Kopf unterm Arm trug. Gerlind fing mit der Bratpfanne fliegende Fische. Ich gähnte und schnarchte, schnarchte und gähnte. Am dritten Tag, kurz nach Sonnenaufgang, näherte sich aus der Luft ein schwarzes spitzes Dreieck, dass sich beim Näherkommen in einzelne Vögel auflöste, die in schnellem Flug dahineilten. Sie setzten zum Tiefflug an, schossen in geringer Höhe über uns hinweg und riefen etwas, das ich nicht verstand. Dann machten sie kehrt und bedrängte uns erneut, und jetzt verstand ich, was sie riefen. Sie forderte uns zum Beidrehen und Folgen auf.

    Mir wurde es zu bunt. „Verschwindet, ihr elenden Krähen“, schrie ich und drohte mit der Faust, „sonst feuere ich euch eine Ladung Wind in euer dreckiges Gefieder!“ Doch wieder setzten die Vögel zum Tiefflug an.

    „Es wird das Beste sein, wir gehorchen“, sagte der Magister, der neben mich getreten war und das Manöver mit besorgten Blicken verfolgte.

    „Pah! Ich denke nicht daran! Lass mir doch nicht von einem Schwarm verlauster Krähen vorschreiben, was ich zu tun und lassen habe!“

    „Es sind keine Krähen.“

    „Zum Teufel, dann sind es eben Raben.“

    Wieder zog der Schwarm über uns hinweg, und jetzt klatschte an verschiedenen Stellen etwas dickflüssig aufs Deck, das ekelhaft roch.

    „Es sind Beos“, sagte der Magister, „Kriegsvögel. Wenn Euch am Bestand Eures Schiffes etwas liegt, solltet Ihr klein beigeben. Was da gerade herunterkam, ist ihr Kot, eine Waffe, gegen die auch das schärfste Schwert machtlos ist: Er ist scharf wie Nitrum und Ammoniak aus Gebers* Küche. Wenn sie das Schiff einsudeln, fließt er durch alle Ritzen und Spalten und zerfrisst es von innen.“

    Der nächste Angriff.

    „Also, zaudert nicht, handelt!“ Das Zeug klatschte aufs Deck, mir sogar auf die Nasen, die sofort zu brennen anfing. „Verdammte Schweinerei“, schrie ich „das ist Erpressung!“

    „Hier nehmt“, sagte Kopf und reichte mir ein weißes Tuch. „Eure Nase könnt Ihr gleich putzen, jetzt wird erst einmal Kapitulation gewinkt!“

    Ich winkte, die Vögel zogen eine Schleife, wir folgten.

    An der Hafenmole standen zehn oder zwölf schwarz gekleidete Gestalten unterschiedlicher Größe. Ihr einziger Schmuck: Ein kleines goldenes Amulett in Form eines Phallus, das ihnen an einem Kettchen vor der Brust hing. Es waren seltsame Figuren, die uns anstarrten, halb Mensch, halb Vogel; Arme und Beine die eines Menschen, der Kopf, die eulenartigen Augen sowie die Körperform vogelähnlich.

    Kaum war der Anker geworfen und die Seile festgezurrt, bat der Größte von ihnen, ein stattlicher Herr mit angegrautem Kopf, bekuttet und beschuht wie ein Mönch, an Bord kommen zu dürfen. Seine höfliche Art stand ganz im Gegensatz zu dem, was uns seine Kriegsleute bisher geboten hatten. „Seid Ihr der Kapitän?“, sprach er den Magister an.

    „Ich bin´s“, sagte ich und trat einen Schritt vor. Auf der Fahrt hierhin hatte ich mich mit Schwert und Harnisch gerüstet und fühlte mich jetzt stark genug, die Bande in Grund und Boden zu hauen. Zog mein Schwert Schlagto und rief: „Ha, meint Ihr, ich hätte Angst? Ich, Ritter vom Wind, habe mehr Courage als alle Flöhe°, die zwischen Rom und Konstantinopel in den Teig geknetet werden! Hoho, haha, hallo! Was zum Teufel wollt Ihr? Warum bekleckert Ihr mein Schiff mit Scheiße, oder war´s etwa Schokolade?“

    Der Schwarze machte eine tiefe Verbeugung und stammelte: „Oh oh oh, lieber Herr, ein Missverständnis, ein großes Missverständnis! Wir hegen keineswegs feindliche Absichten gegen Euch! Im Gegenteil, wir erbitten Eure Hilfe!“

    „Ach! Und dann lasst Ihr uns aus der Luft bombardieren?“

    Wieder verbeugte sich der Kerl. „Wäret Ihr den Kriegern sonst gefolgt?“

    Inzwischen hatte sich auf der Mole eine gehörige Anzahl von Leuten versammelt, alle schwarz gekleidet, und alle mit diesem grünen Gegenstand in der Hand, den sie unentwegt anstarrten, sogar die Kleinsten. An unserem Schiff schienen sie kein Interesse zu nehmen.

    „Liebe Seefahrer“, sagte jetzt ein anderer aus der Gruppe, „ich bin Heinrich von Elster, Meister des Ritterordens vom Goldenen Phallus“ Er bat uns unter allerlei Verrenkungen, ihm zum Hospital der Mildtätigen Brüder zu folgen, wo er den Grund zu dieser Bitte erklären wolle. Inzwischen werde das Schiff aufs Sorgfältigste gesäubert.

    Obwohl das alles höchst undurchsichtig war, steckte ich mein Schwert wieder ein. Wenn ich nicht ein Blutbad anrichten wollte, blieb keine andere Wahl, als der Bitte des Meisters nachzukommen. Knalli blieb als Wache an Deck. Während wir durch die Straßen gingen, sah ich, was die Leute in Händen hielten und so fasziniert anstarrten: Es waren angebissene grüne Äpfel. Und das Seltsame war: Keiner aß sie, alle starrten sie nur an. „Zu sauer“, meinte der Magister, als ich ihn darauf hinwies. Auch das Liebespaar, das eng aneinander geschmiegt auf einer Bank saß, starrte stumm auf seine Äpfel statt sich in Amors Arme zu werfen.

    „Seltsames Volk“, staunte Gerlind, „was die wohl an diesen unreifen Äpfeln finden? Wenn sie ihnen zu sauer sind, warum kaufen sie dann überhaupt welche?“

    Mir fiel auf, dass es bei diesen Leuten – abgesehen von den Kindern – nur drei sehr unterschiedliche Gestalten gab: Kleine, mittelgroße und große. Auch in ihrer Kleidung unterschieden sie sich kaum, alle trugen schlichtes Schwarz. Später erfuhr ich, dass die Stände hier nicht an die Herkunft, sondern an die Körpergröße gebunden war, ein Verfahren, das Verwechselungen und Irrtümer sowie den zuweilen kostspieligen Drang, mehr zu scheinen als zu sein, von vornherein ausschloss.

    „Potz Blitz und alle Wettert“, raunte mir der Magister ein paar Schritte später zu, „habt Ihr das gesehen? Da ist gerade jemand krachend gegen eine Mauer gelaufen! Narr! Sollte lieber auf den Weg achten als ständig auf diesen Apfel zu starren!“

    In einem Hof sah ich mehrere Haufen dieser Äpfel, teilweise in Fäulnis übergegangen und mit Schimmel überzogen. Leute kamen und warfen weitere dazu.

    An einer Straßenecke stand ein Obsthändler und schrie: „Leute, kauft grüne Äpfel! Gerade frisch eingetroffen! Allerbeste Ware!“ Sofort bildete sich vor seiner Bude eine Käuferschlange.

    Die herren führten uns in ein von hohen Mauern umgebenes Spital, über dem ein riesiger goldener Phallus aufragte. Neben dem Tor standen zwei mit Piken bewaffnete Schildwachen. Der Rittermeister bewegte einen schweren eisernen Türklopfer; alsbald erschien eine Gestalt im Kleid eines Arztes. „Meine lieben Herren, und auch Ihr, Jungfer“, sagte der Arzt, „entschuldigt vielmals unser rüdes Benehmen! Aber die Not, die ein furchtbarer Dämon diesem Land auferlegt hat, lässt uns keine andere Wahl. Mein Name ist Guillaume de Harsigny°°, Arezt wider die Pest. Bitte, mir zu folgen.“

    „Kann mir schon denken“, raunte mir Gerlind zu, „welcher Dämon sie ergriffen hat. Wahrscheinlich die venerische Pest. Diese goldenen Teufelsruten** sagen doch alles!“

    „Hmm... Ich denke“, raunte ich zurück, „das wird der Grund sein, warum sie uns... eingeladen haben. Es ist eine Art Volkskrankheit, und die Ärzte versuchen, sie mit grünen Äpfeln zu kurieren. Dadurch haben alle mehr oder weniger Dünnschiss, und die Arschlappen gehen ihnen langsam aus. Fragt sich nur, warum sie gerade uns zu Rate ziehen? Es sind doch noch mehr Schiffe unterwegs, sogar mit Ärzten an Bord.“

    „Geschlechtskrankheiten kuriert man nicht mit grünen Äpfeln, sondern mit Enthaltsamkeit“, tuschelte der Magister.

    „Danach sieht es hier aber nicht aus“, sagte ich laut, „diese Figuren hier lassen eher das Gegenteil vermuten.“ Wir kamen nämlich gerade an der dritten oder vierten Priapusstele mit aufgerichtetem Amorschwengel vorbei, und langsam schwoll mir der Hals. In welcher Welt sind wir hier eigentlich, dachte ich wütend, erst diese arschleckenden Stinknasen, und jetzt ein Volk, dass sich hemmungslos der Wollust ergibt!

    Zwei Gestalten in Pestgewändern, die Gesichter hinter Pesthauben verborgen, kamen uns entgegen. Ihre Augenlöcher über den Schnäbeln glühten wie Höllenfeuer, dass mir grauste. Sie führten einen klapperdürren Greis am Arm, der kaum noch gehen konnte. Auf dem Hof saßen Männer, Frauen, Kinder; mit leeren Blicken starrten sie auf ihre Äpfel oder blöde ins Weite. „Brrrr“, murmelte Gerlind, „das sieht ja furchtbar aus! Und die Kinder! Was in aller Welt ist denn in diese Leute gefahren, sich so dem Laster zu ergeben!“

    Bei unserem Eintritt erhoben sich sechs würdige Gestalten, nach ihren Wappen zu urteilen alles Mitglieder des Ritterordens vom Goldenen Phallus. Bei meiner Ehre, eine erlauchte Gesellschaft! Sogar der Teufel, dachte ich, würde sich geehrt fühlen, bei denen Mitglied zu sein!

    Der Meister blicke mich erst an. „Lieber Herr Ritter der Winde“, sagte er mit ziemlich schriller Stimme, die seiner Würde etwas Abbruch tat, „Ihr wundert Euch sicherlich, warum wir gerade Euch zu uns... ähem... eingeladen haben. Der Grund ist einfach erklärt. Das Konvent ist der Meinung, ein Held, der einen Windmühlen verschlingenden Riesen bezwingen konnte, kann auch einen Dämon in einem angebissenen Apfel bezwingen. Denn unser Unglück liegt in dem Apfel und nicht, wie Ihr irrtümlich annahmt, in der Wollust.“

    Teufel auch, dachte ich, ist dein Ruhm schon bis hierher gedrungen! „Zu viel der Ehre, Euer Wohlgeboren! Einen Riesen zu bezwingen ist leicht, wenn man seine Schwächen kennt. Aber einen unbekannten Dämon in einem Apfel... zumal in einem angebissenen... Zunächst aber wundere ich mich über den Gegenstand Eurer Verehrung.“

    „Wir verehren nicht den Gegenstand, sondern den Gott, für den er steht. Er ist ein wohltätiger, gebefreudiger Gott, ein Freund männlicher Nächstenliebe und sinnlicher Beglückung. Wir waren ein zufrieden-heiteres Volk, doch dann kam jemand aus Übersee und verkaufte diese Äpfel... Seitdem spricht der Vater nicht mehr mit dem Sohn, der Bruder nicht mehr mit der Schwester, der Nachbar nicht mehr mit der Nachbarin.“

    „Warum werft Ihr die Äpfel nicht einfach weg wie diese Leute auf der Straße vorhin!“

    Durch die ehrwürdige Versammlung ging ein aufgeregtes Raunen. „Das waren alte Äpfel, die ihre Farbe verloren hatten! Die Leute holen sich sofort wieder neue, noch grünere. Beim Goldenen Phallus, wir werden diese Äpfel einfach nicht los!“ Der Meister seufzte wie von schwerer Krankheit befallen.

    „Dann ersetzt sie doch einfach durch Birnen!“

    Herr Heinrich lachte überlaut. „Wer will denn Birnen haben! Niemand will Birnen haben, alle wollen Äpfel, grüne Äpfel!“

    „Na dann lasst ihnen doch die Äpfel! Obst ist gesund! Wo ist da ein Problem?“

    „Das Beste wird sein, ich zeige Euch ein paar Patienten.“

    Der Magister betrachtete interessiert zwei Einheimische, die mit leuchtenden Schnäbeln und in metallisch schillernden Gewändern einen Rollwagen mit allerlei Leckerem hereinschoben. „Kommt Ihr nicht mit?“, fragte ich ihn, da er keine Anstalten machte, uns zu folgen.

    „Dieser verwünschte Dudelsack, mein Magen“, sagte er, „will wieder gefüllt werden, aber nicht mit Luft! Will mal schauen, ob die Sachen dort genießbar sind oder wieder aus Gips bestehen wie beim Ratzenkönig.“

    Herr de Harsigny führte uns zu den Leuten auf dem Hof, die mir vorhin schon aufgefallen waren. Sie saßen friedlich in der Sonne und hantierten mit ihren Äpfeln. Unsere Anwesenheit nahmen sie nicht zur Kenntnis.

    „Diese Patienten nehmen wenigstens noch Nahrung auf und sind für die Wohltat des Sonnenscheins empfänglich“, erklärte der Doktor, „sodass noch Hoffnung auf eine Genesung besteht. Bei denen, die ich Euch jetzt zeige, ist auch dies nicht mehr der Fall.“

    In zwei Reihen standen Betten an den Wänden des großen Krankensaals, mit feinen weißen Laken und Kissen, darin die Kranken. Der Doktor trat an eines der Betten heran und sprach den Kranken an, doch der reagierte nicht. Er starrte nur stumm auf den Apfel, der neben ihm auf dem Nachttisch lag. Auch beim nächsten Patienten erging es ihm nicht anders.

    „Wir versuchen, sie am Leben zu halten, indem wir ihnen kalte Rindfleischbrühe klistieren. Aber letztendlich nutzt es nichts. Die meisten sterben an Auszehrung. Es kommt allerdings vor, dass ein Patient plötzlich laut aufschreit, seinen Apfel wegwirft und wieder am Leben teilnimmt. Eine Art Spontanheilung, die wir uns nicht erklären können.“

    Ich näherte mich dem Kranken; seine Augen waren stumpf, der Blick teilnahmslos, starr auf den Apfel gerichtet.

    „Warum nehmt Ihr ihnen die Äpfel nicht einfach weg?“, fragte Gerlind sichtlich ergriffen.

    „Wir haben es versucht“, sagte der Arzt, „doch die Folgen sind noch verheerender. Die Patienten schreien, schlagen um sich, werden gewalttätig, verweigern jeden Kontakt mit den Pflegern, sodass wir einige isolieren müssen.“

    Der Doktor führte uns treppab in den Gewölbekeller des Spitals. Vor einer Tür blieb er stehen, schob die Klappe zurück. Ich blickte in eine winzige, weiß getünchte Kammer.

    Auf einer Pritsche lag ein völlig ausgedörrtes Wesen mit spindeldürren Beinen, das, am ganzen Körper zitternd und mit stumpfen Augen, an die Decke starrte. Auf dem Tisch daneben standen ein Krug mit Wasser und eine Schale mit Brot und Schinken – alles unberührt.

    „Seitdem wir der Patientin den Apfel weggenommen haben“, sagte der Arzt, „lässt sie niemanden an sich heran und verweigert jede Nahrung. Sie trocknet langsam aus.“

    Der Anblick in der nächsten Kammer war noch grauenhafter. Der Kranke lag mit verbundenem Kopf und gefesselt auf der Liege. Das einzige Lebenszeichen war sein röchelnd gehender Atem. Plötzlich bäumte er sich auf, zerrte wild an seinen Fesseln und stieß mit Schaum vor dem Mund wüste Beschimpfungen aus. Dann fiel er kraftlos auf das Lager zurück und lag wieder wie tot da.

    Erschüttert wandte ich mich ab.

    „Er rennt ständig mit dem Kopf gegen die Wand, sodass wir ihn zu seinem eigenen Schutz festbinden mussten,“ erklärte der Doktor. „Bisher sind alle Versuche gescheitert, ihn von diesem grausamen Feind, der Apfelbesessenheit, zu heilen. Noch heute morgen hat ein Bader seine Brust mit Merkurium eingerieben, in der Hoffnung dadurch das Gleichgewicht seiner Säfte wieder herzustellen. Geholfen hat es nicht, wie Ihr seht.“

    „Dann gebt ihnen doch die Äpfel zurück! Alles ist besser als ein grausamer Tod!“

    „Lieber Herr, Ihr verkennt den Ernst der Lage! Wenn wir dem Dämon, der in dem Apfel steckt, nachgeben, wird er noch das ganze Volk verderben! Schon jetzt können die Spitäler und Herbergen die Zahl der Schwerkranken nicht mehr aufnehmen. Viele von ihnen führen ein elendes Dasein auf der Straße. Diese beiden Patienten sollen mir und meinen Kollegen zeigen, wie weit es der Dämon treibt.“

    Herr de Harsigny führte uns wieder nach oben in ein geräumiges, spartanisch eingerichtetes Zimmer. Der einzige Schmuck war ein großes goldener Phallus an der Wand. Der Patient saß schweißüberströmt auf einem Stuhl; ihm wurde gerade zur Ader gelassen, wobei er unentwegt den Apfel anstarrte.

    „Wer ist der Kranke?“, fragte ich.

    „Seine Erhabenheit, der Großmeister unseres Ordens, ein leuchtendes Beispiel an Nächstenliebe und Tugend. Lange hat sich unser Orden gegen den Apfel gesperrt, denn er ist Blendwerk, das vom Teufel stammt. Doch eines Tages geschah das Entsetzliche: Der Dämon ergriff Besitz von Seiner Erhabenheit und befahl ihm, den Apfel zu benutzen.“ Der Doktor sah mich mit rot umrandeten Augen flehend an. „Lieber Herr, ich bin am Ende meiner Kunst. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird er für den Rest seiner Tage ein Besessener sein, wie weitere neunundneunzig Patienten in diesem Haus, unter ihnen viele ehrenwerte Ritter.“

    Schreie hallte durch das Gewölbe, jemand klopfte wie besessen gegen eine Tür, eine hohe Frauenstimme stieß lästerliche Flüche aus: Das reinste Inferno.

    „Und dieses Wunder erwartet Ihr von mir.“

    Der Doktor schwieg bedrückt.

    „Lieber Herr“, ließ sich jetzt Herr Heinrich vernehmen, „wenn es Euch gelingt, Seine Erhabenheit wieder in das wirkliche Leben zu versetzen, wird Euch der Orden fürstlich belohnen!“

    Für einen Moment war ich geneigt, den beiden die kalte Schulter zu zeigen. Diese Leute beteten nicht das Kreuz an, sondern ein heidnisches Symbol, sie waren Heiden, schlimmer noch: Ketzer, denn nur dem Kreuz gebührt Anbetung. Doch es waren Ritter, ein Stand, dem auch ich mich zugehörig fühlte.

    Gerlind, mit leichenfahlen Gesicht, stöhnte: „Ich halte das hier nicht mehr aus! Könnt ihr alles Weitere nicht anderswo bereden?“

    Herr Guillaume de Harsigny nickte.

    ___________________________________________________________________________________

    * Arabischer Alchimist d. 8. Jh. °Floh als Sinnbild der Aufdringlichkeit und Frechheit. °° Berühmter Pestarzt des 14. Jh. ** Stinkmorchel, ein Pilz, Phallus impudicus.

    Forts. folgt

    Mundburt nimmt erneut einen Flüchtling auf und erfährt allerhand Kurioses.

    „Seit wann gibt es denn in Schwaben Affen?“, fragte Gerlind, als wir die Treppe hinunterstiegen – nicht jene halsbrecherische, sondern eine andere, bequemere.

    „Wie kommst du denn darauf?“

    „Hast du gerade erzählt.“

    „Ich?“

    „Ja, du.“

    „Ach so, die meinst du! Wenn wir wieder zurück im Ländle sind, zeig´ ich sie dir.“

    Als wir die Lagune erreichten, flatterte das Focksegel in leichter Brise. „Wind!“, rief ich, „endlich Wind!“ Wir wünschten den Ruderern eine guten Tag und stiegen an Bord. Mein erster Gang war zu Trabto, der mich freundlich wiehernd begrüßte. Ich warf ihm eine paar Scheffel Wind vor, und er ließ dankbar einige Windäpfel ab. Dann setzten wir das Großsegel und steuerten aus der Lagune heraus, an Hugo vorbei, der auf einer Klippe lag und mit offenem Munde schnarchte. Kaum hatten wir die freie See erreicht, da erscholl schräg vor uns uns Geschrei. „Hoiho!“, rief jemand, ein weißes Fähnchen schwenkend, „nehmt mich mit, um Himmels Willen, nehmt mich mit!“ Hinter einer Klippe wurde ein leichtes Ruderboot sichtbar, das in schneller Fahrt auf uns zukam und zügig längsseits ging. In dem Boot stand ein hagerer Mann in einem roten Überwurf. „Was wollt Ihr?“, rief ich. – „Ihr fahrt doch zur Insel des Fantastischen?“ – „Wenn wir sie finden! Gegenwärtig sieht es nicht so aus!“ – „Da könnte ich Euch, nützlich sein!“

    Ich ließ das Fallreep hinunter, der Theutene stieg keuchend an Bord. Kopf vertäute das Boot am Heck, und wir nahmen wieder Fahrt auf.

    „Dank Euch“, sagte der Mann und trocknete sich die Stirn, „hörte zufällig, wie Euch Ratzeputz verabschiedete... dachte bei mir: Knallratz, jetzt oder nie und die Beine bewegt! Leine los und ab! Sah Euch aus der Lagune fahren und ruderte wie der Teufel! Könnte jetzt irgendwas Feuchtes in der Kehle gebrauchen, von mir aus Wasser.“

    „Wer seid Ihr“, fragte ich, „und warum wolltet Ihr mitfahren?“

    „Ja, lieber Herr, gute Frage, wer bin ich? Bis vorhin wusste ich´s noch... Da nannte ich mich Knallratz Ritter zu Ratzeloh, Erster Reichskämmerer und, äh... Haupt-Domänenverwalter seiner Majestät Razeputz XXIII. Doch jetzt bin ich – nun ja, sagen wir mal, äh – ein Flüchtling.“ Gerlind stellte den Krug mit dem Wasser auf den Tisch; der Mann trank. „Ahh, tut das gut! Wasser! Das Leben kommt aus dem Wasser und geht zum Wasser! Ähem... Nichts für ungut meine Lieben, muss mir das Schwatzen noch gehörig abgewöhnen! Höre, Ihr wollt zum Fantastischen? Ich auch, will dort Asyl beantragen. Soll ein feines Land sein, nach allem, was man so hört, dort, wo jeder nach seiner Art und Beschaffenheit, äh, glücklich werden kann. So heißt es jedenfalls. Na ja, schau´n wir mal – “

    „Wisst Ihr denn, wie man dorthin kommt?“, fragte der Magister.

    „Aber sicher doch! Immer auf die untergehende, äh... Sonne zuhalten, dann könnt Ihr´s nicht verfehlen.“ Der Reichskämmerer blickte auf die Krone, die auf dem Tisch stand. „Euch hat er also auch eine geschenkt“, rief er.

    „Was meint Ihr?“

    „Dieser König ist der, äh... größte Narr von der Welt, und ich war der zweitgrößte! Nichts, aber auch gar nichts von dem, was er sagt, lässt und tut, darf man, äh, glauben. Alles Komödie und Narrenpossen! Seinen Gästen setzt er Wassersuppe vor, obwohl, äh... am Nebentisch die herrlichsten Speisen und Getränke –“

    „Aber die waren doch aus Gips!“, warf ich ein.

    „Ha! Hereingefallen! Hereingefallen! Hättet mal eine dieser, äh... verdammten Schüsseln oder Teller hochnehmen sollen! Darunter befinden sich in Terrinen die echten Speisen! Und die Kannen und Krüge – natürlich leer! Aber so wie die Gäste raus sind, schleppt der Kellermeister volle herbei! Der reinste Irrsinn! Er gefällt sich darin, die Menschen an der, äh... Nase herumzuführen und ihnen falsche Tatsachen vorzugaukeln. Vor einiger Zeit ließ er alle Nähnadeln und Garnrollen einsammeln. Seitdem weidet er sich daran, dass sein Volk in Sack und Asche geht. Dann das mit der Blechkrone... Eine, äh... Komödie! Er besitzt Dutzende davon! Damit will er die anderen Könige ärgern, die an ihren Kronen hängen wie der Arsch am Rücken. Sein Hofstaat, der allesamt aus erlesenen Halunken besteht, macht das perfide Spiel mit. Und ich war der, ähem, äh... Oberhalunke.“ Der Hofbeamte wischte sich die Augen.

    „Herr Kämmerer –“

    „Hat sich was mit Kämmerer! Meine Gattin nennt mich, äh, Knalli.“

    „Herr Knalli –“

    „Ohne Herr.“ Irgendwie wirkte der Kerl sympatisch, trotz seiner Nervosität und seines verschlagenen Aussehens.

    „Also, Knalli, nun macht Euch mal nicht schlechter, als Ihr seid! Es gibt, scheint´s, noch größere Halunken als Euch! Sonst wäret Ihr ja nicht geflohen.“

    „Ha, da sagt Ihr was! Größere Halunken! Zum Beispiel diesen Erz-Gauner Ratziwilli! Na schön, man trifft sich im Leben immer zweimal, und dann, äh... Ja, ich konnte es nicht mehr ertragen. Sagte zu meiner, äh, Gattin: Klothilde, sagte ich, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit wandere ich, äh... aus, und wenn ich drüben Fuß gefasst habe, lass ich euch nachkommen. Und dann sah ich Euer Schiff.“

    „Wollt ihr damit sagen“, fragte ich, „das königliche Gehabe war nur Schauspiel und seine Zuneigung nicht echt? Mir schien der König ein eher freundlicher Herr.“

    „Zum Teufel, natürlich, alles nur Schauspiel!“ Knalli lachte bitter. „Alles nur ,äh... Narretei! Ja, Fremden gegenüber... Nach außen hin tut er so, als wüsste er von nichts, dabei scheißt ohne sein Wissen keine Fliege an die Wand! Und, äh, freundlich? Hat sich was! Ein Menschenverächter, wie ihn die Welt seit Kaiser Nero nicht mehr, äh... gesehen hat, ist er, und unendlich selbstverliebt! Tag und Nacht müssen ihm seine Schmeichler Elogen seiner... äh, Herrlichkeit vorleiern –“

    „Haben wir gehört und gesehen“, meinte Gerlind, „sahen aus wie dressierte Pinguine.“

    „Wie? Ähem... äh... AHHH!!!“ Knalli knallte sich mit der Hand auf den Schenkel, dass Trabto vor Schreck einen Windapfel fahren ließ. „Dressierte Pinguine! Ja, genau das ist es! Jungfer, da habt Ihr den Nagel auf den äh... Kopf getroffen. Dressierte Pinguine. Sein Volk besteht nur noch aus dressierten Pinguinen.“

    Ich sagte: „Wenn ich Euch recht verstehe, Knalli, dann geschehen diese unsäglichen... A... Leckereien auf Anordnung seiner Majestät.“

    „Aber sicher doch! Kein Theutene würde so etwas aus freien Stücken tun.“

    „Und warum tun sie´s trotzdem?“

    „Tja, äh, Jungfer, warum tun sie´s trotzdem.“ Knalli blickte betrübt ins Weite. „Weil diejenigen, die ganz oben sind, das Volk ungehindert ausplündern können.“

    „Und Ihr wart also einer von denen.“

    Knalli, hochrot im Gesicht, sprang auf; er sah aus, als könne ihn jeden Moment der Schlagfluss treffen. „Ho ha ihh ohh ähh bu bu bu knall fratz loh!“, schrie er, sprang auf den Tisch und riss sich das Obergewand herunter, zum Vorschein kam eine Unzahl goldener Spangen, Nadeln und Knöpfe.„Da da da!“, grölte er, „seht steht geht Gold Volk Gold Gold Volksgold ich ich bin bin Dieb Dieb Dieb knall Fall prall!“ Plötzlich hielt er inne, blickte um sich, wirkte, als sähe er uns zum ersten Mal und stammelte: „Ähem, au Backe, schöne Bescherung.“

    „Nun kommt mal wieder runter vom Tisch und setzt Euch“, sagte ich, „dass Ihr bei Eurem Amt am Bettelstab geht, hat ja wohl keiner von uns erwartet.“

    „Außerdem ist ein Flüchtling ohne Geld nirgendwo willkommen“, meinte Kopf.

    „Oh oh oh meine Lieben, ich danke Euch!“ Knalli machte Anstalten, Gerlind zu umarmen, was ich aber verhindern konnte. „Euer Verständnis wälzt mir eine Zentnerlast vom Herzen!“ Er nestelte an seinem Wams herum. „Hier, Jungfer, nehmt, und auch Ihr, meine, äh... Herren, sollt nicht zu kurz kommen –“

    „Soweit kommt´s noch!“, rief Gerlind entrüstet, „ich behäng mich doch nicht mit Raubgold!“

    „Lasst getrost stecken“, sagte ich, „könnt es besser gebrauchen als wir.“

    „Da habt Ihr wohl Recht.“ Der Ex-Kämmerer trank einen Schluck und fuhr fort: „Seine größte Narretei aber ist die Art und Weise, wie er seine Geldvorräte vermehrt. Bei dem Aufwand, den der König sich leistet, ist in seiner Kasse natürlich immer Ebbe. Die ständigen Gauklerspiele, Ritterturniere, Schlämmereien, Tanzvergnügen, diese ewigen Scharfrennen, Bärenhatzen, Fuchsjagden verschlingen jährlich Millionen guten Geldes. Damit seine Gold- und Silbervorräte nicht zu sehr leiden, lässt er schon seit Jahren monözisches* Erz und andere unedle Metalle

    unter die Münzschmelze mischen, gut, das machen die anderen Könige auch. Doch ihm reicht das nicht mehr. – Eines Tages bat ein Bankier aus dem schönen Lande Italia um eine Audienz, ein Narr, sag ich Euch, wie man ihn nicht alle Tage trifft. Hatte wohl von Ratzeputzens Finanzproblemen gehört und suchte nun daraus Gewinn zu ziehen. 'Majestät', sagte der Schlingel, 'warum greift Ihr Eure Schatulle an? Es gibt sparsamere Möglichkeiten der Geldvermehrung! Auf Kosten des Volkes! Macht mich zum Präsidenten der Münze, und ich verrat sie Euch!' Der Banause wurde Präsident der Münze und sagte: 'Warum gebt Ihr echtes Geld aus? Reißt Pergament in kleine Schnipsel, schreibt irgendwelche Zahlen darauf, lasst im ganzen Lande verkünden, die sei das neue Geld, kein anderes sei mehr gültig, und Ihr seid die Sorgen los!' – 'Nicht schlecht, Euer Vorschlag, mein Lieber', sagte ich – ich war dabei, denn die Besorgung des Geldes ist, äh... war schließlich mein Metier – 'doch woher sollen wir das Pergament nehmen? Sagt uns das! Wir haben kaum – ' – 'Ach schon wieder Ihr mit Euren Bedenken!', fuhr Ratzeputz auf mich los, 'dann nehmen wir eben Birkenrinde!' Ich meldete Bedenken an, doch es nützte nichts.“

    Knalli blickte verstört vor sich hin. „Hu hu“, stöhnte er, „was ist aus unserer schönen Ratzeburger Mark geworden! Und das mir, dem Hüter des Geldes! Seitdem gibt es im ganzen Lande nicht genug Geldbeutel und Kassen, um die Flut an Birkengeld aufzunehmen.“

    „Verstehe“, sagte Gerlind, „weil Ihr als Hüter des Geldes dieses Elend nicht mehr mit ansehen könnt, seid Ihr geflohen.“

    „Hmm...nun ja...äh...“

    „Hmmnunjaäh – verdammt nochmal, ja oder nein?“

    „Nun ja, nicht allein deswegen... Ausschlaggebend war... äh... wie man so sagt: Wegen einer – ach, ach.“

    „Etwas genauer bitte!“

    Knalli rutschte verlegen mit dem Hintern auf der Bank herum, dass ich schon befürchtete, sie könnte Feuer fangen. „Äh, hmmm, nun ja... es war so: Seit dem Tag an begann Ratzeputz mich zu schikanieren. Zum Beispiel verlangte er von mir, diese, äh... Arschleckereien wieder mitzumachen, und zwar am lebenden Objekt, an seinem – brrrrr... Dabei hatte ich noch vom ersten Mal eine wunde Zunge. Ich tat´s, aus Liebe zu meiner, äh... Frau und meinen Kindern. Konnte sie doch nicht...“ Der Theutene schwieg.

    „Es sind schon ganz andere Leute nach Canossa gegangen“, sagte ich, „also macht Euch darum mal keinen Hals. Was ist es denn nun wirklich, das Euch aus dem Land treibt?“

    Plötzlich brüllte er los. „Gestern verlangte dieses Schwein von mir, ich solle den Jungfern die Kerzen aufzustecken! Alle Teufel über ihn! Hab selbst zwei Töchter in diesem Alter, und... und... und... ach... ach...“ Der Rest war Schluchzen.

    Wir schwiegen bestürzt, nicht so sehr aus Mitleid, sondern eher aus Verwunderung darüber, dass ein Mann seines Stammes solch edler Gefühle mächtig war. Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, fuhr er fort: „Ich war genug Herr über mich selbst, um dieses Ansinnen entschieden zurückzuweisen. Doch bei diesem König kommt ein zurückgewiesener Wunsch einem, äh... Todesurteil oder zumindest Verbannung gleich. Leck´ Euch, wenn´s nicht wahr ist! Wie? Ah... äh... Pardon, war nicht so gemeint... Da sagte ich zu mir: Knallratz, äh... zaudere nicht, handle. Und ich handelte, wie Ihr seht. Besser in der Fremde kleine Haufen kacken als zuhause mit Gütern gesegnet unterm Galgen den... oh... äh... puh...“

    Die Sonne versank gerade im Meer, wir hielten genau auf sie zu. Rechts und links stiegen fliegende Fische auf und beäugten uns neugierig. Ich ging ins Hinterschiff, um Kopf am Ruder abzulösen. „Einen seltsamen Vogel haben wir uns da eingefangen“, sagte ich, „einerseits korrupt bis in die Haarspitzen, dann wieder edel und gut. Hätte ich von einem Ratzen nicht erwartet.“

    „Urteilt nicht vorschnell“, entgegnete der Magister, „nicht ohne Grund sind die Ratzen den Indern heilig, denn das Heilige erwächst häufig aus dem größten Unheil, wie das Beispiel des heiligen Augustinus zeigt, der in seiner Jugend ein großer Wüstling war und sich im Alter zum Mann Gottes mauserte. Außerdem stellt Meister Alfredus Brehmus in seinem Liber de vita animaliae, p. C&CC§IIXY?Z fest, dass Ratzen dieselben Nahrungsmittel und Getränke genießen wie der Mensch. Wenn sich also zwei Gattungen in ihren Ernährungsgewohnheiten so ähnlich sind, werden sie es auch in puncto Sitten und Gebräuche sein.“

    ________

    * Kupfer

    Die Ballade von der unglücklichen Königin Ratzilind

    „Knalli, Ich frage mich die ganze Zeit“, sagte Gerlind anderntags beim Frühbiss, „was macht eigentlich eure Königin? Kann mir nicht vorstellen, dass das Leben an der Seite eines solchen Rattenschwanzes besonders angenehm ist.“

    „Ach ach ach!“, rief Knalli aufgeregt, „das ist eine traurige Geschichte! Lasst mich erst zuende essen, Jungfer, dann singe ich sie Euch vor!“

    „Wie, was, singen könnt Ihr auch?“

    „Nicht wirklich, aber notgedrungen. Ratzeputz, geizig wie er ist, verlangte von mir, dass ich den Hofpoeten ersetze, nachdem er, um Geld zu sparen, sich selbst zum Narren erklärt hatte. Ich musste Verse wie diese verfassen:

    Heil dir großer König!

    Wir loben dich nicht wenig!,

    und ähnlichen Schwachsinn! Ihr habt es doch gehört! Grauenhaft! Vielleicht war das ja sogar der Hauptgrund für meine Flucht, und nicht die Jungfernsteiße. So etwas hält doch eine zartbesaitete Seele auf die Dauer nicht aus! Mein Herz verlangt noch Höherem. Um mich geistig wieder aufzurichten, dichtete ich in meiner Freizeit Balladen und sang sie meiner Frau vor. Unter anderem auch die Ballade von der unglücklichen Königin Ratzilind, Ratzeputzens Gemahlin.“

    „Na schön! Dann lasst mal hören!“

    „Würd ich ja gerne! Allein es fehlt die Laute! Die hab ich in der Aufregung ganz vergessen! Und ohne Begleitung kann ich nicht singen.“

    „Schade“, sagte der Magister, „für Eutherpes* Kunst bin ich immer zu haben, besonders nach einem guten Frühbiss!“

    „Dann machen wir eben die Musik!“, rief ich. Alle blickten mich erstaunt an. „Wir bilden einen Summchor! Auf 'Hmmmm'.“

    Knalli war einverstanden, leerte seinen Becher, setzte sich zurecht und begann:

    „Die Ballade von der unglücklichen Königin Ratzilind!“

    (Gerlind, der Magister und ich: Hmmmhmmmhmmmhmmmmmmhmmm)

    Der Sänger von eigenen Gnaden sah uns glücklich an und fuhr fort:

    „Hört, wie einst zur Christnachtmette

    ging die junge Königstochter,

    reich an Tugend, reich an Schönheit

    und mit beidem gleich betörend.

    (Wir unterdes: Hmmmhmmmhmmmhmmmhmmmhmmm)

    Alle Augen zog sie auf sich,

    alle Herzen zog sie an sich.

    Die in ihrer Pracht sie sahen

    sanken seufzend vor ihr nieder.

    (Wir: Hmmmhmmm usw.)

    Lunas Schein auf ihrer Stirne

    mit dem goldnen Diademe,

    hold von Antlitz wie Zythere,

    keusch wie Vesta in den Sitten.

    (Wir: Hmmmhmmm usw.)

    Strahlend folgte ihren Tritten

    eine Phalanx edler Ritter,

    und die Reihe schöner Jungfern

    machte selbst den Chronos lüstern.

    (Wir: Hmmmhmmm usw.)

    Sah sie da der junge König,

    furchtgebietend wie ein Kriegsgott,

    von Millionen Blitzen glänzend,

    Wangen rot wie Eos´ Lippen.

    (Wir: Hmmmhmmm usw.)

    Sah sie und entbrannt´ in Liebe,

    die sein Herz mit Feuer füllte.

    Vor den Thron des Vaters trat er,

    fiel aufs Knie und sprach die Worte:

    (Wir: Hmmmhmmm usw.)

    'Heil dir König, großer Herrscher!

    Der du machst den Mars erbleichen!

    Lebe nicht in Bettlerhütten,

    habe Mailands edle Stoffe,

    (Wir: Hmmmhmmm usw.)

    beider Indien Edelsteine,

    Perlen in der Zahl von Sternen.

    Aus Arabien umduften

    mich die edelsten Gerüche.'

    ( – – – )

    Mit solch prahlerischen Reden

    bat er um die Hand der Tochter.

    Stieg vom Thron der gute König – –“

    Knalli stutzte. „Warum summt ihr nicht mehr?“

    „Wie viele Strophen sind es denn noch?“, fragte der Magister.

    Der Sänger strich sich verlegen das Kinn. „Hm, nun ja, noch etliche. Die Ballade fängt ja erst an.“

    „Also, wie viele?“

    „Hundert.“

    „Hundert!“ Gerlind schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Eure Dichtkunst in allen Ehren, Meister, aber so viel Strophen kann ich unmöglich mitsummen. Meine Kehle ist jetzt schon rau wie ein Waschbrett!“

    „Und meine wie ein Reibeisen!“, assistierte Kopf.

    „Na gut, dann muss es eben ohne Begleitmusik gehen.“ Knalli holte tief Luft, doch ich kam ihm zuvor. „Mein Lieber, ich hätte da eine bessere Idee. Ihr erzählt einfach in ungedrechselten Sätzen, worum es geht. Wir werden Euch sicherlich auch dann verstehen.“

    Um es kurz zu machen: König Ratzeputz erhielt die Hand der schönen Ratzilind, und sie waren glücklich und ein stolzes Paar. Eines Tages stürzte der König bei einer Hirschjagd vom Pferd und prallte mit dem Hinterkopf hart auf einen Stein. Seitdem ist in seinem Oberstübchen nicht mehr alles in Ordnung. Ratzilind hat sich in ein Schloss auf einer Insel weit vor der Küste zurückgezogen und lässt sich von Hugo täglich über ihren Gemahl berichten, denn sie liebt ihn immer noch sehr.

    Ich frage euch, meine Lieben, braucht man dafür hundertzwanzig Strophen?

    __________

    * Muse der Dichtkunst

    Forts. folgt

    Mundburt fabuliert das Blaue vom Himmel und bekommt eine Krone geschenkt.

    Bei allen heiligen Schleckermäulchen, die königliche Tafel konnte sich sehen lassen! Als wir den Speisesaal betraten und die gedeckte Tafel sahen, stöhnte der Magister in froher Erwartung auf; auch der Wolf in meinen Eingeweiden knurrte heftig. Auf den Tischen standen Körbe, Kiepen, Ballen, Schläuche, Töpfe, Teller, Kannen, Krüge, beladen mit allen nur erdenklichen Köstlichkeiten, zum Beispiel:

    Gebratene Kalbskeulen, mit Ingwer beschlagen,

    Brühwürste, mit Senf aufgezäumt,

    Blutwürste in vollem Pfefferharnisch,

    Heringe in Weihwasser-Remoulade,

    neunerlei gedämpfte Raben-Fricassées,

    sechserlei panierte Karbonaden vom Storch,

    gesalzenes Wildbret im Flamingofedernrock,

    geräucherte Ochsenbacken mit Rohrdommeln gefüllt,

    Hasen-, Lerchen-, Tauben-, Steinbock-,

    Siebenschläfer-, Nilpferd-, Elefantenpastete,

    Guineahühner in Holztaubensoße,

    eingelegte Hühneraugen

    gebackene Knurrhähne,

    getrocknete Skrupel,

    und noch vieles mehr.

    .

    Dann das Gebäck!

    Buttergebackenes,

    Schmalzgebackenes,

    Blütengeröstetes,

    Rindenknusper,

    Wurzeltörtchen,

    Weichteilchen,

    Nussteilchen,

    Austeilchen,

    Hefenüsse,

    Kopfnüsse,

    Schnirkelschnecken,

    Weinbergschnecken,

    Ohrschnecken,

    Selleriemakronen,

    Zuckermatronen,

    Nonnepfärzchen,

    Prälatenköttel,

    Bischofseier,

    Krähenfüße,

    Bärenpratzen,

    Katzenpfötchen,

    Hundekötchen,

    Windbeutel,

    Geldbeutel,

    Klingelbeutel°.

    Dazwischen Flaschen mit den herrlichsten Getränken:

    Mosel-, Saar-, Rhein-, Aar-Schleckerchen,

    Landweine, Dorfweine, Stadtweine,

    Feld-, Wald- und Wiesenweine,

    Weiß-, Rot-, Grün-, Blau-, Gelbweine,

    Messweine, Maßweine, Missweine,

    Lieb-Frauen-Milch, aber auch herbere Lagen wie Böse-Schwiedermutter-Tropfen,

    Winzerschweiß oder Württemberger Krätzer;

    Gröver Nacktarsch und andere Sehenswürdigkeiten,

    Burgunder, Holunder, Landunder...

    Fasziniert starrten wir auf all die Köstlichkeiten und wagten kaum zu atmen... überhörten auch die Frage des Königs – zumindest ich: „Na, mein Lieber, was habt Ihr denn diesmal zu bieten?“, und auf die Antwort des Küchenmeisters: „Erbsensuppe mit durchgeschossenen Wurstresten, Majestät!“, konnte ich mir, fasziniert von dem überwältigenden Anblick, überhaupt keinen Reim machen. Erst als er König rief: „Meine lieben Gäste, hier ist gedeckt!“ und auf einen winzigen Nebentisch wies, ging mir ein Licht auf. Das alles war nicht für uns bestimmt, sondern –

    „Attrappen!“, rief Ratzeputz XXIII und lachte unbändig, wobei seine Nagezähne hochklappten, „alles Attrappen! Aus heimischer Werkstatt! Zwei Dutzend Stuckateure und ein Gros* Maler haben zwei Jahre daran gearbeitet!“ Verdutzt beugte ich mich über die Schüssel mit den gefüllten Ochsenbacken – bemalter Stuckgips! Nahm eine Flasche Winzerschweiß hoch – leer! Wieder lachte der König so ausgelassen, dass er sich schnäuzen musste. „Wenn ich meinen Gästen schon nicht den Magen füllen kann, dann sollen ihnen doch wenigstens die Augen übergehen!“

    Während wir die Erbsensuppe mit durchgeschossenen Wurstresten löffelten – die königliche Einladung konnten wir unmöglich ablehnen –, sagte Ratzeputz (er selbst aß nichts): „Da habe ich doch, meine Herren, ganz vergessen, Euch nach Stand und Namen zu fragen! Seid doch so nett, und klärt mich auf!“

    Kopf stellte sich als Magister beider Rechte Jonathan Kopf vor; ich nannte Stand und Namen und sagte mein Sprüchlein auf.

    „Soso“, sagte der König, „aus dem schönen Schwabenlande kommt Ihr. Erzählt mir mehr davon.“

    „Was wollt Ihr denn wissen, Hoheit?“

    „Hmm... nun ja... wie es da so geht und steht.“

    Ha! Auf einmal wusste ich, wie ich mich für die falschen Hammelkeulen und die echte Wassersuppe revanchieren konnte, ohne dass mir der königliche Geizkragen den Hals zudrehen könnte. Ich erinnerte mich an die Worte meines Vaters, als ich ihn einmal fragte, ob er das, was er da erzähle, auch wirklich erlebt habe, oder ob er sich das alles beim Erzählen nur ausdenke. 'Du meinst, ob es wahr ist, was ich da quinquiliere?', fragte er zurück. Plötzlich brülle er los: 'Natürlich ist es wahr, du Scheißer, sonst würd ich´s ja nicht erzählen! Es ist erfundene Wahrheit! Glaubst du wirklich, die Bänkelsänger, die auf die Burg kommen und gegen ein Mundgeld die angeblich neuesten Neuigkeiten herunterträllern, singen immer die Wahrheit? Pah!, sag ich nur. Aber man glaubt´s halt, weil man nicht das Gegenteil beweisen kann.' – Na wartet, Hoheit, dachte ich, werd Euch die gestuckten Ochsenbacken und den luftgefüllten Nacktarsch mit gleicher Münze heimzahlen!

    „Nun ja, Majestät“, begann ich, „es geht und steht wie im Nachbarländle auch. Die Leute gehen mit dem Bauch voran, und der Hintern ist der erste, der sich setzt. Die meisten Köpfe sind noch auf dem Hals, einige sind schon unter der Erde, andere schaukeln im Wind. Wird einer gehenkt, freuen sich die Raben. Die Krebse gehen seitwärts und die Seiler rückwärts. In den Bienenstöcken ist das Platzangebot rar, und die Hummeln sind wie immer schlechter Laune. Die Flöhe sehen schwarz und tanzen den Läusen auf dem Kopf herum. An manchen Orten wird viel geredet und wenig gesungen, an anderen ist es umgekehrt. Ein Teil der Leute geht maskiert, der andere klistiert. Mancherorts ist ein großer Wirrwarr, wie man sein Lebtag nicht gesehen hat, denn die Verben werden immer unregelmäßiger. Wer a sagt, sagt auch b, nur in Großbuchstaben. Lässt jemand eine Bemerkung fallen, steigen die Leute achtlos darüber hinweg. Die Sterngucker gucken in die Sterne und die Ofensetzer in die Röhre...“

    Während ich diesen Unsinn ableierte, blickte mich der König unverwandt an. Oha, dachte ich, gleich platzt ihm der Kragen; ich schwieg.

    „Erzählt weiter!“

    „In diesem Jahr wird im Schwabenland einigen das Lachen im Halse steckenbleiben“, fuhr ich in erhöhter Tonlage fort, „anderen fährt es zum Hintern hinaus. Die Einäugigen sind die Könige unter den Blinden, die Stummen die Fürsten unter den Schwätzern, die Gesunden die Sklaven der Kranken. In diesem Jahr werden die Reichen noch reicher, die Armen noch ärmer, wie schon in den Jahren zuvor. Viele Hammel, Ochsen, Hühner, Schweine, Gänse werden ins Reich der Töpfe und Pfannen eingehen, aber auch bei Maulaffen und Prälaten steigt die Sterblichkeit. Das Altern ist nach wie zuvor unaufhaltsam, und der Tod nach wie vor unheilbar. Die mit Durchfall behafteten gehen noch öfter zu Stuhl als im letzten Jahr, die Venerischen preisen sich glücklich und vergnügen sich weiter. Die unter Frieselfieber ächzen steigen in die Zuber und wärmen das Badewasser, damit die Suppe beim Verzehr – “

    Der König sprang so hastig auf, dass ihm die Krone vom Kopf sprang und mir vor die Füße rollte.

    „Herr Ritter der Winde!“, rief er begeistert, „ist großartig, das ist köstlich! Wo habt Ihr das gelernt! Genau solch einen Mann wie Euch suche ich schon lange! Einen, der mit todernstem Gesicht den hellsten Unsinn erzählt! Bleibt hier, und ich ernenne Euch sofort zum Oberaufseher über meine Advokaten und Juristen – – ach was! Zum Präsidenten des Kammergerichts!“

    Ich stand auf und verbeugte mich. „Majestät, Euer Angebot ehrt mich ungemein, aber meine Lebensplanung gebietet mir –“

    „Soso, Eure Lebensplanung gebietet Euch! Schade, junger Mann, jammerschade! So einen wie Euch könnte ich gut brauchen. Nun gut, fahrt dahin und schlagt Euch tapfer. Meinen Segen habt Ihr.“

    „Untertänigsten Dank, Majestät! Hier, Eure Krone!“

    „Wie? Was? Ach so! Könnt Ihr behalten, als Andenken an einen großen König.“

    „Majestät!“, rief ich ehrlicher Entrüstung, „das Geschenk kann ich unmöglich annehmen“, – erhielt von Gerlind einen kräftigen Tritt vors Schienbein – „es ist immerhin Eure Krone! Die Krone eines großen Königs!“

    „Nun habt Euch nicht so! Ist doch nur angemaltes Blech! Wo die echte ist, weiß ich nicht. (Leise) Wahrscheinlich hat sie dieser Ratziwilli – (laut) ach, was soll´s!“ Ratzeputz blicke zu den Höflingen, die im Hintergrund des Saales gelangweilt von einem Bein aufs andere traten.

    „Nun?“

    „Heil dir, großer König!“,

    kam es monoton, aber wie aus einem Munde,

    keiner ist wie du so schönig!

    Herrlich wie ein Glockenhimmel,

    weise wie ein Apfelschimmel,

    stet und fest wie Beizhandschuhe,

    angenehme Mittagsruhe!

    Ratzeputz XXIII. gähnte zufrieden. „So, meine Liebden, fahrt mit Gott aber fahrt!“

    _________

    ° Darin wird in den Kirchen während des Gottesdienstes Geld eingesammelt. * Zwölf Dutzend

    Forts. folgt

    Mundburt erfährt, wo die eisernen Kochtöpfe herkommen und würgt einen königlichen Beamten.

    „Die angenehmste Verstopfung, die mir je vorgekommen ist“, raunte der Magister, „noch ein Weilchen, und der Schwachkopf hätte uns alle durch das Loch gezwungen.“ Indes war Gerlind an meine Seite getreten und blickte mich liebevoll an. „Wie hast du das denn nun wieder geschafft, mein Freund?“

    „Ach, nicht der Rede wert! Es geht doch nichts über Beziehungen.“

    In dem Saal, den wir durchschritten, sah und hörte ich die absonderlichsten Dinge. Er glich einem Marstall, nur standen in den Abteilungen keine Pferde, sondern Tische, an denen Männer saßen, die gestikulierten und wild herumschrien. Eine kratzige Stimme rief: „Wenn du mir eine Kanne Wein spendierst, verrate ich dir, wie man sich nach dem Scheißen auf die angenehmste Art den Arsch wischt!“

    „Hoho!“, grölte ein anderer, „und ich weiß dir für eine Schüssel fette Kuddeln ein sicheres Mittel gegen Zahnschmerzen!“

    „Erst das Mittel, dann die Kuddeln!“

    „Hoho! Erst die Kuddeln, dann das Mittel!“

    „Halunke! Siehst wohl meine geschwollene Backe! Also gut! Clerice*, eine Schüssel fette Kuddeln!“

    „Du badest die Wurzel ein Stunde lang in kochendem Essig und lässt sie dann an der Sonne trocknen.“

    In einem Fruchtkorb sah ich, wie eine Birne einem Apfel, an dessen Stiel eine Pflaume saugte, den Nabel leckte. Unter einem Tisch kopulierten ungeniert eine Bratpfanne und eine Kasserolle, was sie wohl nicht zum ersten Mal und auch nicht folgenlos taten, denn drumherum standen zehn oder zwölf kleine, putzige Grapen**. Das Absonderlichste aber war die Art und Weise, wie der Saal beleuchtet wurde und, bei Gott, hätt´ ich´s nicht mit eigenen Augen gesehen, ich könnt es immer noch nicht glauben. Ich meine jetzt nicht die Nachbildungen von Hinterteilen auf den Tischen, die als Kerzenhalter dienten. Was ich meine ist dies: Auf einem großen runden Tisch knieten in sternförmiger Anordnung, die Köpfe nach innen, zwölf Jungfern und streckten die nackten Hintern, aus denen brennende Kerzen ragten, in die Höhe. Mitten in diesem apokalyptischen Kronleuchter stand eine fette Makrele und rief:

    „O Gott, der du zu Kanaan aus Water

    Wein erschufst – so mach doch, Vater

    den Arsch mir zur Laterne,

    leucht´ meinem Nachbarn gar so gerne!“

    „Bei meinen Hämorrhoiden“, knurrte der Magister, „ich wollte darauf schwören, dass dies eine Diplomatenschule ist!“

    „Eher ein Tollhaus!“, flüsterte Gerlind mit schamvoll erröteten Wangen.

    „Es ist die Art von Geselligkeit, die der König liebt“, sagte unser Führer, „den Schamlosesten, Frechsten, Närrischsten überhäuft er mit Gunstbeweisen.“

    Zum Wundern war allerdings keine Zeit, denn wir erreichten eine Tür, neben der mit strahlendem Gesicht eine Laterne stand. Der Hofmarschall öffnete die Tür und sagte zu der Laterne: „Madam, geht Ihr voran!“

    Die Treppe war nicht nur steil, schmal, fensterlos-finster, sondern geradezu halsbrecherisch. Alles, was eine gut gefügte Steintreppe auszeichnet, war nicht vorhanden: Da war kein Geländer zum Festhalten, was verteufelt nötig gewesen wäre, denn die Stufen waren ausgetreten und bröckelig wie das Gebiss eines hundertjährigen Maulesels; einige fehlten sogar, sodass wir wie die Kängurus hüpfen mussten. In einem Treppenabsatz klaffte ein großes Loch, sodass jemand, der dort aus Versehen hineintappte, unweigerlich in die Tiefe stürzte. Alles sah danach aus, als sei die Treppe eigens dazu angelegt, Aufsteigern ein Bein zu stellen, was der Hofmarschall auch prompt bestätigte. „Normalerweise geschieht der Aufstieg in völliger Finsternis“, erklärte er, „und nur wenige erreichen das Ziel. Aber bei Besuchern machen wir eine Ausnahme, zumal wenn sie der König sehen will, wie in Eurem Fall, denn Ihr wollt ja nicht nach oben, Ihr müsst es!“

    Wir stiegen weiter hoch, bis wir auf einen Absatz kamen, nach dem sich die Treppe links wand; nach zwei weiteren ging es gerade hoch. Gerlind seufzte erleichtert, jedoch zu früh; die Stufen waren jetzt feucht-glitschig und mit einer schwarz-grünen, ekligen Algenschicht bedeckt, sodass man sehr Acht geben musste, nicht auszurutschen.

    „Könnt Ihr nicht etwas ruhiger leuchten, Madam?“, bat ich die Laterne.

    „Es ist die Kerze, die so flackert, nicht ich.“

    „Wie viel Stiegen sind es denn noch?“

    „Wie viele habt Ihr denn gezählt?“

    „So viele wie Haare auf meinem Kopf.“

    „Dann nehmt noch das Quadrat dazu und teilt´s durch drei, dann habt Ihr´s!“

    Auf der nächsten Raststelle stand ein Mann mit Kampfhandschuhen an den Händen. „Wozu ist denn der da?“, fragte Gerlind.

    „Es ist der letzte Versuch, jemanden zu Fall zu bringen“, beschied der Hofmarschall mürrisch.

    „Ziemlich perfide, die Methode, die Leute am Aufsteigen zu hindern.“

    „Was wollt Ihr, keiner wird dazu gezwungen.“

    . „Müssen wir denn über diese elende Treppe wieder hinunter?“, fragte ich.

    „Nun ja, gelt, das kommt darauf an...“

    Mir schwoll die Milz, nahm den Kerl beim Hals und schrie ihn an: „Noch einmal gelt, und ich stoße Euch die Treppe hinunter, gelt, elender Beutelschneider, gelt!“ –

    Herrgottnochmal, ja! Es war ein Fehler, aber, Himmel, es gibt Fehler, die muss man einfach machen, sonst verliert man seine Selbstachtung. Natürlich, der Scheißer spielte, wie es bei Leuten seines Schlages nicht anders zu erwarten war, den Unschuldigen. „Herr!“, gurgelte er, „ich weiß nicht was Ihr meint! Bitte benehmt Euch!“

    Nach gefühlt zehntausend Stufen und fünfhundert Treppenwindungen erreichten wir keuchend den letzten Absatz, wir standen vor der nächsten Tür, die ziemlich merkwürdig aussah, denn sie war mit einer Unzahl Schlüssellöcher übersät – mit großen, mittleren, kleinen, winzigen. Der Hofmarschall zog einen riesigen Schlüssel hervor und steckte ihn in ein riesiges Schlüsselloch, dann einen großen in ein großes und so weiter, bis er bei einen winzigen Schlüssel in ein winziges Loch steckte. Dann klopfte dreimal mit der Faust gegen die Tür, und sie tat sich auf.

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    * Lat. Ober! ** Eiserne Kochtöpfe


    Mundburt lernt den König der Ratzen kennen, und was sonst noch geschieht.

    Ehrlich gesagt, als wir die königlichen Gemächer betraten, freute ich mich schon auf weitere köstliche Abnormitäten, denn wo, liebe Freunde, wo auf der Welt bekommt man dergleichen Narreteien, wie wir sie gerade erlebt hatten, noch geboten? Ich dachte: Wenn schon auf dem Flur die Puppen tanzen, was wird dann erst in der Stube los sein? So dachte ich jedenfalls, doch da lag ich völlig falsch. –

    Zuvor führte uns der Hofmarschall durch eine Reihe von Vorzimmern. Als ich mich umblickte, sah ich – ja was wohl? Nichts sah ich, zumindest nichts, was mir rote Ohren beschert hätte. Es ging alles verteufelt sittsam zu – keine Arschleckerei, keine Schreierei, keine anzüglichen Gesänge, keine – ha! Kronleuchter aus bekerzten Jungfernsteißen. Ein Haufen Hofgesinde war mit lauter nützlichen Dingen beschäftigt. In der Küche blies eine junge Magd den Ofen mit dem Hintern an, eine andere setzte einem gerupften Huhn wieder die Federn auf; ein schieläugiger Knecht war damit beschäftigt, einen blutigen Eselskopf zu rasieren, was einen Haufen Wolle abwarf. In der Schreibstube fegte ein Schreiberlehrling heruntergefallene Buchstaben auf und warf sie zum Fenster hinaus; ein anderer zerstampfte in einem Mörser eingetrocknete Dinte, was sicherlich eine sehr nützliche Tätigkeit ist; an einer Leine, quer durch die Stube gespannt, sah ich ein Dutzend mehr oder weniger geistreiche Kommentare, die dort zum Trocknen hingen. Fast wäre ich noch über die langen Beine einer Bulle* gestolpert, die lässig über einem Stuhl fläzte und schlief.

    Auch der Anblick des Königs, vor dem wir endlich standen, war enttäuschend. Ich hatte ein Monarchen erwartet, der sich, auf einem Thron ohne Boden sitzend wie auf einem Nachtstuhl ohne Geschirr, den Arsch von seinen Ministern lecken ließ; Hofschranzen, die ihm aus dem Munde redeten, Herolde, die ihm Köstlichkeiten aus der Region anboten, wie gebackene Kriegserklärungen, angedünstete Katastrophenmeldungen, in Weinsoße eingelegte Gnadengesuche, zerstoßene Mörder, und die er mit gesalzenen Dekreten, kandierten Maulschellen, liebevoll verpackten Steuererhöhungen, gebratenen Nasenstübern, apokalyptischen Fußtritten belohnte. Nein, nichts von alledem geschah – es war wirklich abgrundtief enttäuschend.

    Als wir den Thronsaal betraten, skandierte gerade ein Chor aus Höflingen:

    „Heil dir, großer König!

    Von allen verehrt,

    von keinem versehrt,

    niemals beschwert

    und weltweit begehrt,

    wir neigen das Haupt tief bis zur Erd´.“

    Rastzeputz glitt, noch bevor wir die Knie beugen konnten, von seinem Thron herab und kam mit ausgebreiteten Armen auf uns zu. Er umarmte erst Gerlind, dann den Magister, dann mich und rief: „Wie schön, liebe Seeleute! Wie schön, dass Ihr meinem Reich einen Besuch abstattet! Gäste sind uns stets willkommen, wenn sie nicht zu lange bleiben! Hoffentlich war Herr von Ratzivilli nicht zu aufdringlich!“ Er lachte dröhnend und klopfte dem Hofmarschall jovial auf die Schulter – „manchmal übertreibt er ein bisschen, der Gute, der Beste, der Einzige! Aber irgendjemand muss sich ja um den Staatshaushalt kümmern! Nun, liebe Freunde, wie war die Reise?“

    „Beschwerlich, Majestät“, sagte ich, „ausgesprochen beschwerlich! Erst gerieten wir bei völliger Windstille in einen furchtbaren Sturm, dann saßen wir auf einer Untiefe fest, die aus Sternenstaub bestand; als wir wieder frei waren ging uns der Wind aus, ein Wal katapultierte uns schließlich in Eure Lagune, und ein singendes Nilpferd verhinderte unsere Weiterreise.“

    „Wal? Singendes Nilpferd?“ Der König blickte den Hofmarschall fragend an. „Vor meiner Küste?“

    „Der Wal ist mir neu“, antwortete der, „und das mit Egon erklär´ ich Euch später, Majestät.“

    „Egon? Wieso wusste ich – “

    „Eure Majestät haben befohlen, Eure Majestät nicht mit Kleinkram zu belästigen.“

    „So? Aha! Nun denn.“ Der König rieb sich die Hände. „Köstlich!“, rief er, „Ihr müsst mir später unbedingt mehr von dieser Reise erzählen!“ Plötzlich stutze er und ging auf den Magister zu. „Herr, was ist mit Eurem Hals? Habt Ihr schon einmal gehangen?“

    „Majestät!! Nein, nur... Ich hatte den Kopf verloren, und Jungfer Gerlind nähte ihn mir wieder fest.“

    Der König starrte Gerlind entgeistert an, und ich fürchtete schon, er würde uns hinauswerfen lassen. „Was!“, rief er dröhnend; „die Jungfer kann nähen? Und dann auch noch so meisterhaft?“ Ratzeputz trat näher an Kopf heran. „Unglaublich! Ratziwilli, schaut Euch das mal an! Bringt sofort meine Staatsrobe!“ Er sah Gerlind gnädig an. „Jungfer; wie ist Euer Name?“

    „Gerlind, Majestät.“

    „Und weiter?“

    „Nichts weiter. Aber ich würde mich gerne setzen, wenn´s nicht zu viel Mühe macht. Das Treppensteigen...“

    „Aber natürlich, setzten wir uns doch!“ Der Ratzenkönig klatschte in die Hände; sofort brachten Diener Stühle ohne Sitzfläche herbei. Wir nahmen Platz, seine Majestät bestieg wieder den Thron.

    „Halten zu Gnaden“, sagte ich, „aber was ist daran so außergewöhnlich, dass eine Frau nähen kann?“

    „Nichts. Außergewöhnlich ist die Meisterschaft, mit der die Jungfer offensichtlich arbeitet.“ Ratzeputz verzog angewidert das Gesicht. „Freilich, auch meine Untertaninnen können nähen, doch alles was dabei herauskommt sind Geldbeutel. Geldbeutel, immer nur Geldbeutel, Tag und Nacht! Alles andere haben sie verlernt. Wie sehe ich denn aus?“, rief er, heftig mit dem Zepter rudernd, und als wir höflich schwiegen: „Wie eine Vogelscheuche! Wie eine königliche Vogelscheuche! Meine Staatsrobe – dreimal gewendet und zehnmal geflickt!“ –

    An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass Ratzeputz tatsächlich ziemlich abgerissen aussah; sein Gewand wirkte keineswegs fürstlich, eher wie das eines armen Ritters in Zivil. Lediglich Krone und Zepter ließen erkennen, dass man einen König vor sich hatte. –

    „Und bei den anderen Gewerken sieht´s nicht besser aus“, lamentierte der König mit hoher Stimme weiter. „Der Schreiner will einen Sarg tischlern, na, und was steht eine Woche später in seiner Werkstatt? Ein Geldkasten! Der Schmied schlägt ein Hufeisen, und wenn er´s wenig später aus dem Wasser zieht, ist daraus ein eiserner Kassenriegel geworden!“ Der König der Ratzen seufzte schwer. „Es ist zum Verzweifeln!“

    Ratziwilli erschien mit der Staatsrobe überm Arm und hielt sie Gerlind hin. „Wenn Ihr so freundlich sein könntet, Jungfer!“

    Gerlind betrachtete die Robe mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Oha! Das kann aber länger dauern!“

    „Ihr habt alle Zeit der Welt!“, rief Ratzeputz begeistert, „nur frisch ans Werk! Wenn es Euch gelingt, erhebe ich Euch in den erblichen Adel!“

    „Dann bräuchte ich Nadel und Zwirn.“

    „Ratziwilli, habt Ihr nicht gehört? Nadel und Zwirn, aber dalli!“

    „Majestät, die Nadeln sind bis auf eine alle zerbrochen, und die letzte Docke Zwirn wurde heute Morgen für einen neuen königlichen Geldbeutel vernäht.“

    „So? Und warum wurde noch kein neues Material bestellt?“

    Der königliche Ausputzer wand sich wie ein Aal. „Majestät, die Handwerker weigern sich zu liefern.“

    „Wie, was, weigern sich? Sofort aufhängen, köpfen, vierteilen, rädern... ähem... und warum?“

    „Sie behaupten, unser Geld sei nichts mehr wert, und Stahl und Wolle bekämen sie nicht nachgeworfen.“

    „Da soll doch... Warum weiß ich davon nichts?“

    „Eure Majestät haben befohlen, Eure Majestät nicht mit Kleinkram zu belästigen.“

    „Ich könnte mit Seemannsgarn aushelfen“, schlug ich vor.

    Ein Waffenknecht erschien. „Was ist denn nun schon wieder?“, fistelte der König ungehalten.

    „Majestät, die Burg wird belagert –“

    „Was sagt Ihr da? Belagert? Aber, zum Teufel, ich habe doch niemandem den Krieg erklärt!“

    „Es sind hunderte Frauen, schwer beladen mit allen möglichen Kleidungsstücken! Sie schreien nach der Jungfer, die noch Nadel und Zwirn besitzt.“

    „Wer hat ihnen denn das erzählt? Sie sollen sich scheren und ihre Kleider selber flicken! Sagt ihnen das! Jagt sie davon, lasst nötigenfalls die Hunde los!“ Ratzeputz blicke zu den Höflingen, die im Hintergrund des Saales gelangweilt von einem Bein aufs andere traten. „Nun?“

    „Heil dir, großer König!“,

    kam es monoton, aber wie aus einem Munde,

    „Wir loben dich nicht wenig!

    Dein Ruhm erschall´ in alle Welt,

    soll klingen wie im Sack das Geld!

    Ich begriff. Hier oben wurde nicht mehr geleckt, sondern geschmeichelt.

    Ratzeputz drehte sich mit zufriedener Miene wieder um. „So. Jetzt wird erst einmal ein kräftiger Imbiss genommen!“

    ____________________

    * Päpstliches Schreiben

    Forts. folgt

    Zwischen schönen hohen Bäumen standen in schöner geometrischer Anordnung verschieden Skulpturen. Davor knieten etliche Gestalten; sie vermittelten den Eindruck, als beteten sie die Standbilder an. Als wir näher traten, sahen wir, was die Leute wirklich taten – war es Anbetung, dann auf ganz besondere Art! Es war dermaßen närrisch, dass Gerlind heftig den Kopf schüttelte und der Magister, bevor ich ihn warnen konnte, laut aus dem Hintern lärmte (Ihr erinnert euch, meine Lieben: Er lachte auf seine Weise), was der Edle zu Ratziwilli mit steinerner Miene überhörte.

    Es war aber auch über alles Maß ungewöhnlich! Die Figuren stellten die Hinterteile verschiedener Lebewesen dar – ich sah die Hinterfront eines Hundes, eines Hasen, einer Ziege, einer Katze, die aufgeblähten Hinterbacken eines Fettsteißschafes; aber auch die hoher Tiere sah ich, eines Elefanten, eines Nilpferds, eines Gerichtspräsidenten, eines Kurienkardinals, eines Fregatten-Kapitäns* – alles naturgetreu aus dem Marmor gehauen und fein geglättet – und die Knieenden leckten sie mit den heitersten Mienen, wobei sie von denen, die daneben standen, streng beobachtet wurden. Dann erhoben sie sich und knieten vor der nächsten Skulptur nieder. Der Chor schmetterte jetzt:


    „Denn sagt, bin ich nicht wohlgenährt,

    mit einem Arsch wie Pavianaffen

    und ganz der Kerl, den man begehrt?

    Nur frisch geschleckt, dann werd´ ich´s schaffen!“

    „Potz Blitz“, rief der Magister, „das ist das Schärfste, was mir bisher untergekommen ist!“

    Da lag er allerdings falsch. Es ging noch schärfer, wie sich bald zeigen sollte.

    „Dies ist die erste Eignungsprüfung für ein höheres Amt bei Hofe, gelt“, erklärte unser Führer, „nur diejenigen, die zehn Hinterteile freudig geleckt haben, dürfen den Burghof betreten, in dem die Prüfung für den höheren Dienst stattfindet.“

    „Was geschieht denn mit denen, die nicht freudig lecken?“, wollte ich wissen.

    „Die bleiben im einfachen Dienst, äh... gelt? Seine Majestät duldet nur die besten Lecker in seiner Umgebung.“

    „Ha!“, rief Gerlind, „dergleichen muss ich mir nicht antun. Ich verzichte! He, Kutscher, bring mich zurück!“

    „Ihr regt Euch unnötig auf, Jungfer! Diese Regel gilt natürlich nicht für Gäste!“ Der Edle von Ratziwilli grinste. „Oder wollt Ihr Euch für ein Amt bewerben?“

    „Ta ta ta, so weit kommt´s noch! Eher verkrieche ich mich in mein eigenes Arschloch, als dass ich mich bei Euch für ein Amt bewerbe!“

    „Herr Hofmarschall“, sagte ich, „ist es denn überhaupt nötig, dass wir die Burg besichtigen? Ich denke, wir haben genug –“

    „Seine Majestät wünscht es so... hmm... nun ja... gelt. Basta!“

    Meine lieben Zechbrüder, Kegelschieber und Scheibenschützen, und vor allen Ihr, ehrbar-züchtige Frauen, was ich jetzt berichte, ist ziemlich starker Tobak und nichts für zarte Naturen. Wir – ich meine mein verehrter Schreiber und ich – haben lange überlegt, ob wir dergleichen dem Pergament überhaupt anvertrauen sollten, denn es ist keineswegs ad usum delphini** bestimmt und könnte einer empfindlichen Seele die Milch der reinen Denkart sauer werden lassen. Doch dann hat uns die Treue zur Wahrheit bewogen, alle Bedenken fahren zu lassen und es doch zu bringen, schließlich wird Dinte nicht sauer, höchstens trocken. Wer also meint, seine Seele könnte an gewissen pikanten Einzelheiten Schaden nehmen, lese erst beim übernächsten Kapitel weiter. –

    Auch im Hof wurde fleißig geleckt, allerdings nicht Hintern, sondern... Zunächst konnte ich nicht erkennen, um was es sich handelte, denn wenn Ihr ein Ding aus seiner gewohnten Umgebung entfernt und auf einen Stiel steckt, ist seine Bedeutung auf den ersten Blick oftmals schwer zu erkennen. Hier nun... Kurz: Auf marmornen Stangen standen die Nachbildungen derjenigen Körperteile – und zwar in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit – mit denen vor Zeiten der gute Herr Priapus (so will es die Sage) die Frauen im Paradies° glücklich machte. Gerlind schlug züchtig die Augen nieder; Kopf und ich gingen neugierig an eine der Säulen heran, um uns von einem Umstand zu überzeugen, der uns zunächst unmöglich erschien, sich aber dann doch als wahr erwies: Der Kandidat leckte zwei der perfekten Nachbildungen gleichzeitig.

    „Donnerwetter!“, rief der Magister aus, „was ist denn das nun wieder für eine Hauptspaß! Der Kerl wird es noch weit bringen!“

    Der Hofmarschall nickte. „Herr von Södering-Schwafelfeld möchte gerne Kanzler°° werden, und mit dem, gelt, was er bisher an Leckleistung gezeigt hat, stehen seine Chancen nicht schlecht.“

    Über die Mauer wehte jetzt der kernige Gesang des Chores:


    „Sind wir auch nicht fähig,

    so sind wir doch sehr fleißig!

    Wir lecken Stücker dreißig,

    und gehen über –“

    Der Rest des närrischen Gesangs ging im Rauschen der Baumwipfel unter, in die gerade ein heftiger Windstoß fuhr.

    „Meine Herrschaften“, mahnte der Hofmarschall, „seine Majestät wartet nicht gerne! Also bitte hier entlang...äh... gelt!“

    Die Tür zum Burgfried öffnete sich, und wir begannen den Aufstieg. Nach unzähligen Stufen standen wir vor einer Wand, in der – –

    _________

    * Hier wird der Verf. unglaubwürdig, denn woran sollte man erkennen, ob ein bloßer Hintern einem Kapitän oder einem Kardinal gehört, wenn die Amtsinsignien fehlen? ( Anm. d. Hrgbs.: Auch S. irrt: Zu der Zeit gab es noch keine Fregatten.) ** Wörtlich: 'Zum Gebrauch des Thronfolgers' , will sagen: nicht jugendfrei.° Arab. faradis=Lustgarten. °° Im Original: Chancelier, v. frz. chanceler=schwanken.

    Mundburt erfleht erneut ein Wunder und wird erhört.

    „Nein!“

    „Tu es mir zuliebe!“

    „Ha!“

    „Gerlind, ich bitte dich! Was ist denn schon dabei?“

    „Du bist genau so ein Arschloch wie alle anderen auch!“

    „Du musst es ja nicht lecken!“

    „Du bist ein Arschloch und bleibst ein Arschloch!“

    „Dann bin ich´s eben und bleib es gern! Aber wir können doch jetzt nicht –“

    „Bäh bäh bäh! Du vielleicht nicht, aber ich kann! Da krieche ich nicht durch, und wenn du bittest und bettelst, bis du schwarz wirst!“

    Im Stillen musste ich Gerlind Recht geben. Die Wand bestand aus der Nachbildung eines riesigen Affenarsches, auf dem oben eine Krone saß! Und das Loch, alle Teufel, was für ein Loch war das! Eng, kantig, mit scharfen hämorrhoidalen Auswüchsen, und, so wie es aussah, der einzige Zugang zu den königlichen Gemächern (was allerdings nicht stimmte). Täuschte ich mich, oder roch es hier auch dementsprechend? War es da nicht nur zu verständlich, dass sich meine Gerlind entschieden weigerte, da hindurch zu kriechen?

    Ich blickte den Hofmarschall entschuldigend an. „Ihr hört es selbst, Herr Marschalk“, sagte ich, meine –“

    „Nichts da, die Jungfer wird es wohl müssen“, schnauzte der Edle von Ratzivilli nicht eben freundlich, „eine Weigerung käme einer Majestätsbeleidigung gleich, mit allen daraus resultierenden Folgen.“

    „Seid Ihr taub?“, fauchte Gerlind, „nein!“

    Der Kerl seufzte und winkte zwei bewaffnete Wächter herbei. „Diese Jungfer hier weigert sich –“

    „Halt!“, rief der Magister, „mein Herr, nicht ganz so forsch! Aufgrund welches Gesetzes oder Dekretes verlangt Ihr dermaßen kategorisch, dass die Jungfer da hindurch kriecht? Ich als Magister Beider Rechte weiß, dass es mit etwas gutem Willen immer einen Ausweg gibt! Wofür wären wir Meister der Jurisprudenz denn auf der Welt! Es findet sich immer ein Sixtum oder eine Clementine* –“

    „Nichts da!“, rief der Hofbeamte aufgeregt, „unsere heiligen Gesetze und Dekrete verordnen und befehlen, gelt, dass jeder, egal welchen Geschlechts oder Abkunft, gelt, die königlichen Gemächer nur, nachdem der oder die durch dieses Loch gekrochen ist, gelt, ähem... wie?.. ah ja, gelt, betreten dürfen. Von dieser lobenswerten Bestimmung abzuweichen käme einem Staatsstreich gleich, äh, gelt!“

    „Braver Mann“, sagte der Magister, dem allmählich der Hals schwoll, „habt Ihr von dieser lobenswerten Bestimmung irgendeinen Beleg? Vielleicht eine Urkunde oder die Abschrift einer –“

    „– das Original, gelt? Dort steht es!“ Der 'brave Mann' wies in eine Nische, in der auf einem Kasten ein dickes, vergoldetes Buch lag. „Geht dort hin, schlagt die erste Seite des Codex auf, gelt, und Ihr werdet erleuchtet werden!“

    „Was für ein Podex?“, fragte Gerlind irritiert.

    In der Tat, das Buch leuchtete in allen Farben des Regenbogens, denn es war mit den schönsten Edelsteinen bedeckt, mit Rubinen, Smaragden, Diamanten und Perlen, die köstlicher oder mindestens ebenso köstlich waren als die, mit denen die Schatztruhe der Herrin auf Burg Schwarzenraben übersät war. Ich wunderte mich, dass der Schlüssel für die eisernen Bänder daneben lag, denn solche Bücher liegen normalerweise unter strengstem Verschluss.

    „Oh ihr glückseligen Leute“, rief der Magister, „wie gesegnet seid ihr, solch ein Kleinod zu besitzen! Schon der Anblick bereitet mir eine unbeschreiblich Lust in der Seele! Bei allen Heiligen, das ist kein Menschenwerk, das ist Engelswerk!“

    „Schlagt das Buch nur auf, gelt!“, rief der Hofmarschall, „dann werdet ihr finden, wonach Ihr sucht, gelt!“

    „Lange halte ich diesen Ofenheizer nicht mehr aus“, murmelte ich, „dieses dauernde gelt, gelt, gelt ist ja furchtbar.“

    „Und ich verspüre einen sonderbaren Reiz in den Armen, diesen Cercopitheken** einmal gründlich durchzuhauen!“

    Ich blickte den Hofmarschall an. Sein Bisamrattengesicht sah keineswegs so dämlich aus, wie er sich gab, es strahlte sogar eine Art verschlagener Würde aus, doch in seinen Augen lag die nackte Gier. Ha!, durchfuhr es mich, der sagt nicht gelt, der sagt Geld, pecuniam, der Halunke meint Geld, kölnisch, Danziger, Augspurger Groschen, Batzen, Dukaten, Heller, Pfennige... Die ganze Zeit wollte uns zu verstehen geben, dass, wenn nur gehörig Münzen in den Kasten sprängen, uns das Loch erspart bliebe.

    „Wartet damit noch ein Weilchen“, raunte ich Kopf zu, „ich lasse zehn Vigilien lesen und Stifte zusätzlich noch einen Ewer° Messwein, wenn dies hier nicht eine Kasse ist!“

    Ich schlug den vergoldeten Deckel zurück – und blickte auf ein Brett mit einen Schlitz. „Oh, welche Weisheit!“ rief ich, „der Alte aus Athen lehrte die Welt das Denken – habt Ihr Geld?“, flüsterte ich dem Magister zu. – „Nicht einen Heller“, kam es ebenso leise zurück –“ – „Ich auch nicht! – der HERR gab den Juden durch Moses die Zehn Gebote – was machen wir nun?“ – „Tja...“ – „Allah gab den Gläubigen durch den Propheten den Koran – habt Ihr außer tja nicht mehr zu sagen? Doch dieser Codex hier, bei unserer heiligen Lehre, übertrifft alle an –“ – „Wenn ich noch meinen Querkopf hätte...“

    „übertrifft alle an –“

    „Ihr Herren!“, rief der Hofbeamte ungeduldig, „habt Ihr gefunden, wonach Ihr sucht?“

    „Aber ja doch“, rief ich zurück, „und es scheint uns ein überaus durchdachtes, kluges, wirksames, vorausschauendes, weittragendes Dekret zu sein, wie es besser nicht einmal der Papst in Rom verfassen könnte. Allein der –“

    „Und warum höre ich noch nichts?“

    Nun war es Gewissheit, er wollte Geld. „Euer Wohlgeboren, warum so ungeduldig?“ Verflixt, die Situation wurde langsam ungemütlich. Verzweifelt suchte ich nach einem Ausweg, denn lange konnte ich den Kerl nicht mehr hinhalten.

    „Wir überlegen noch, in welcher Weise wir das Dekret auslegen sollen“, kam mir der Magister zur Hilfe. „Man kann es so und so hypothetisieren, etwa auf päpstliche, kaiserliche oder königliche Art°°.“

    Der Hofmarschall gab den Knechten ein Zeichen, worauf sie ihre Piken senkten und drohend näher kamen. „Dann nehmt die königliche Art!“, knurrte er, „wenn ich nicht bald den Klang klingender Münzen höre, geht die Jungfer durchs Loch!“

    Ich faltete die Hände und richtete den Blick nach oben. O Herr, flehte ich innerlich, bitte, nur noch ein einziges kleines, klitzekleines Wunderchen, dann lasse ich dich auch damit in Ruhe!

    Ein dicker Höfling, vorne und hinten gepolstert wie ein Dachdecker an den Knien, kam herein, streckte er die Arme aus, warf sich kopfüber in das Loch – und blieb stecken. Sofort eilten Helfer herbei, fassten ihn bei den Beinen und schoben kräftig nach; doch es nützte nichts, der Kerl steckte gründlich fest. Man schob, drückte, stieß – der Körper bewegte sich keinen Zoll. „Stoßt, Leute, stoßt!“, hörte man ihn dumpf krakeelen, „oh – au – au – zieht - zieht – mein Bauch – ahhh – au!“ Nach einer Weile nutzlosen Schiebens und Zerrens öffnete sich eine Seitentür – es war eine dieser verteufelt gut getarnten Fluchttüren, ähnlich der, durch die Gerlind und ich Burg Schwarzenraben verlassen hatten – ein Lakai erschien und näselte: „Seine Majestät befiehlt, die Gäste sofort vorzulassen!“ – Der Hofmarschall, hochrot im Gesicht, murmelte Unverständliches, dann wies er mit der Hand auf die Tür.

    „Herr, ich danke dir“, murmelte ich, „wenn auch die Welt ein Tollhaus ist, auf dich ist Verlass!“

    ________

    * Scherzhafte Bezeichnungen für Dekrete, z. B. des Papstes Clemens. ** Schwanzaffen.° Kleiner Lastkahn. °° Gemeint sind Verfahren, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, etwa durch den römischen Peterspfennig. .

    Forts. folgt

    Mundburt befreit Gerlind aus einer gefährlichen Situation. Kynos gesteht seine Liebe zu Prinzessin Kusskuss.

    „Der Teufel soll mich holen“, knurrte Kynos, „ich kann nicht mehr, der Magen bellt mir vor Hunger! Lasst uns irgendwo einkehren und etwas essen.“

    Da mir auch der Magen quer hing, bat ich meine Küchenfee, jemanden nach einer Gaststätte zu fragen. In der irrigen Annahme, alte hässliche Frauen seinen weniger kusswütig als junge, hübsche, sprach sie ein älteres Frauken mit einem Damenbart an, das humpelnd am Stock ging. Kaum waren die ersten Worte gefallen, da warf die Alte die Krücke weg, umarmte Gerlind, spitze ihren bärtigen Mund und machte Anstalten, ihr einen Kuss aufzudrücken. Gerlind prallte entsetzt zurück und rief angewidert: „Untersteht Euch, alte Hexe! Noch eine Bewegung, und ich zerkratze Euch den Hals!“ Die Alte brach in Tränen aus; sofort lief ein junger Mann herbei und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. „Ekelhaft“, raunte Gerlind, „wie die Maulaffen.“

    Inzwischen waren einige Leute stehen geblieben, unter anderem auch zwei bewaffnete Stadtdiener. „Hoho, Jungfer!“, rief der eine „so geht das nicht! Ihr könnt hier nicht einfach einen Kuss verweigern! Macht zwei Heller Strafe, zahlbar sofort!“

    Ich trat vor. „Lieber Herr“, sagte ich fest, „wir sind fremd hier und mit den Sitten des Landes noch nicht vertraut! Nehmt meiner Marketenderin die kleine Nachlässigkeit bitte nicht übel. Sie ist im Küssen noch etwas unge – – “

    „Nichts da!“, rief der andere Recke, dem ein riesiger Kussmund unter der Nase stand, „was heißt hier ungeübt! Dann muss sie es eben lernen!“ Er drückte seinem Kameraden die Pike in die Hand und ging auf Gerlind zu, wobei er sich mit der Zunge die Lippen anfeuchtete. –

    Das war nun eine Situation, so recht nach meinem Geschmack! Wenn Gerlind auch nicht meine Dame war, so war sie doch eine Dame, und ein rechter Ritter verteidigt jede Dame, ob blond, braun, schwarz, gelb, rot, weiß, grau, lila, violett oder was es sonst noch für Haarfarben auf der Welt gibt! Trat also auf den Mann zu, zog mein Schwert Schlagto und rief: „Ha, wag es nicht, du Schelm! Noch ein Schritt, und ich schlage dich mitten durch!“ Kynos hatte sich aufgerichtet und knurrte fürchterlich. Der Mann blieb verblüfft stehen, und jetzt geschah etwas, das ihr glauben könnt oder auch nicht. Der andere Stadtdiener, der mit den beiden Piken, blickte von einer auf die andere wie Buridans Esel*, offensichtlich unfähig, sich für eine Waffe zu entscheiden, worauf das Publikum in heiteres Gelächter ausbrach. Fünf oder sechs Personen umringten ihn, nahmen ihm die Piken ab und begannen, ihn abzuküssen. Ein Gleiches geschah mit dem anderen Stadtdiener, der verblüfft stehen geblieben war. – Einige aber hatten Gerlind die abweisende Art übel genommen und bewarfen sie mit Handküssen. Da ich keine Lust verspürte, mich in weitere Händel einzulassen, sagte ich: „Kommt, wir machen uns aus dem Staub! Essen und trinken können wir auch an Bord!“ Ich blickte mich um. Wo war der Magister? Auf jeden Fall nicht bei uns. Da kam er keuchend angerannt. „Wo kommt Ihr denn her?“, fragte ich.

    „Ähem... nun ja“, stotterte er, „es war so: Ich musste mal.“

    Gerlind lachte laut auf. „Soso, Ihr musstet mal! Da kann ich nur lachen! Woher kommen dann Eure geschwollenen Lippen? Ihr seid ein –“

    „Lass es gut sein“, sagte ich, „keiner kann aus seiner Haut raus!“

    Inzwischen waren wir aus der Stadt heraus und auf dem Weg, den wir gekommen waren.

    „Die Pantomime vorhin war nicht schlecht, Mundburt“, lobte Gerlind, „sah fast aus, als hättest du wirklich ein Schwert in der Hand. Alle Achtung!“

    „Hatte ich doch! Nur, ihr könnt es nicht sehen.“

    „Wie dem auch sei, es war auf jeden Fall die seltsamste Entwaffnung, die mir je vorgekommen ist“, meinte Kynos, „sollten sich mal ein Beispiel daran nehmen, die anderen Völker.“

    „Hmm... nun ja“, machte der Magister.

    „Was ich mich schon die ganze Zeit frage“, sagte Gerlind, „wieso haben diese Leute diese großen Mäuler? Kann denn häufiges Küssen den Mund vergrößern? Was mein Ihr, Kopf, Ihr seid doch ein gelahrtes Haus!“

    Kopf dachte eine Weile nach. „Tja, Jungfer, diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, denn solch ein Fall wird unter Gelehrten kontrovers diskutiert“, erklärte er dann. „Der arabische Gelehrte Abu bin-Häckelius zum Beispiel vermerkt in seiner Schrift A´chram aud´n kal-if n´daram, zu Deutsch: Über die Aufblähung der Organe durch häufigen Gebrauch, dass so etwas durchaus möglich sei; die Tatsache nämlich, dass jemand, der gerne isst, mit der Zeit einen dicken Bauch bekommt, spreche entschieden dafür. Hingegen vertritt sein Kollege Abdullah al Dar-Win die Ansicht, dem sei nicht so; andernfalls müssten dann ja die großen Köpfe der Pferde durch häufiges Denken entstanden sein, aber noch nie habe jemand ein denkendes oder gar nachdenkliches Pferd gefunden; wie sei es sonst zu erklären, dass sich ein starker Hengst von einem kleinen Mädchen herumkommandieren lässt.“

    „Das heißt mal wieder: Nichts genaues weiß man nicht.“

    „So ist es, Jungfer.“

    Auf einmal rief Kynos: „Nein, ich schaffe es nicht, ich schaffe es nicht!“ und brach in lautes Jaulen aus.

    Wir blieben verdutzt stehen. „Was schafft Ihr nicht“, rief ich, „und warum weint Ihr?“

    Kynos sah mich mit traurigen Hundeaugen an, sodass mir das Herz brechen wollte. „Ich dachte, ich könnte es überwinden“, jammerte er, „aber je näher ich dem Schiff komme, desto mehr sehe ich die Unmöglichkeit ein, standhaft zu bleiben.“

    „Kynos, mein Freund“, sagte ich, „drückt Euch klarer aus! Wovon redet Ihr?“

    „Meine lieben Retter, ich kann nicht bei Euch bleiben! Bis hierher dacht´ ich´s noch, doch jetzt merke ich, es geht nicht, obwohl der Gedanke, ohne Euch zu sein, mir die Kehle abschnürt. Ja, ich habe mich in Prinzessin Kusskuss verliebt, und diese Liebe ist so stark, dass sie mich auf dieser Insel zurückhält. Ich habe mich entschlossen, um ihre Hand anzuhalten. Also fahrt ohne mich weiter und fahrt wohl.“

    „Mensch, Hund!“, rief Gerlind, „was soll das? Habt Ihr Euch das auch gut überlegt? Nur weil sie Euch die Nase geleckt hat, meint Ihr, die Vogelscheuche würde Euch gleich heiraten! Pah! Und, seid Ihr überhaupt von Adel?“

    „Nicht von Geblüt, aber von Herzen!“

    „Quatsch! Und wenn sie nein sagt?“

    „Dann bin ich wenigstens in ihrer Nähe, und ein guter Hund kommt überall unter.“

    Es half nichts, wir mussten Kynos ziehen lassen.

    In der gedrücktesten Stimmung gingen wir weiter. Wir hatten Wurst und Hund verloren, wer würde der nächste sein?

    „Es geht doch nichts über die Liebe eines Hundes“, sagte ich, „durch nichts zu erschüttern.“

    „Daran nimm dir mal ein Beispiel“, knurrte Gerlind.

    „Schade um ihn“, bemerkte der Magister, „so ein aufrechter Charakter und in höchstem Grad einnehmend und vernünftig. Man merkte an ihm, trotz seines rohen Wissens, dass er aus gutem Hause stammt, und für zärtliche Empfindungen ist er, wie man sieht, nicht unbegabt.“

    „Schwatzt keinen Unsinn!“, fuhr Gerlind auf, „rohes Wissen, hä, für zärtliche Empfindungen nicht unbegabt, hä? So kann nur ein fast hirntoter Schulmeister reden! Ich will Euch sagen, was der gute Herr Hund ist. Er ist eine ehrliche, mutige Haut, im Gegensatz zu Euch, Kopf. Irgendwie wird er mir fehlen.“

    Als wir den Strand erreichten, versank gerade die Sonne in den Fluten.

    __________

    * – der sich nicht zwischen zwei Heuhaufen entscheiden konnte und jämmerlich verhungerte.

    Mundburt erzählt eine Geschichte und verdirbt damit dem Magister den Appetit auf Feigen.

    Nachdem wir der kussfreudigen Insel Lebewohl gesagt hatten, fuhren wir anderntags bei schönstem Wetter und leichter Fassbrise weiter.

    Ich stand auf, um nach Trabto zu sehen. Als ich wieder zurückkam, lag der Magister in der Hängematte und brütete vor sich hin.

    „Seltsam, seltsam“, sinnierte er „anscheinend ist weder Mensch noch Hund das gesunde Mittelmaß gegeben. Lieber fällt man von einem Extrem ins andere. Da gibt dieser Kynos seine gesicherte Existenz für ein Hirngespinst auf. Dann haben wir diese Leute kennengelernt, die ausschließlich von Fleisch leben und solche, die sich von Wind ernähren. Unterschiedlicher geht´s schon nicht mehr. Dann sind da, hol´s der Henker, diese seltsamen Menschen auf dieser komischen Kussinsel, und ich verwette meinen Kopf gegen eine getrocknete Feige, auf der nächsten Insel begegnen wir welchen, die sich überhaupt nicht küssen.“

    Gerlind, die gerade einen Wolfsbarsch ausweidete: „Toi, toi, toi, Herr Magister, aber ich hab Euch Euren Kopf nicht angenäht, damit Ihr ihn jetzt für nichts und wieder nichts verwettet. Die Wette gilt nicht.“

    „Sie ist auch nicht nötig“, sagte ich, „ solch Leute gibt es wirklich, aber vielleicht nicht unbedingt auf einer Insel. Wo Ihr eben das Wort Feige erwähntet –“

    „Ach, ist es wahr?“, schnappte Kopf, „oder sagt Ihr das nur so daher, um meinen Kopf zu retten?“

    „Auf Euern Kopf müsst Ihr schon selber aufpassen, Kopf, ich kann Euch aber berichten, was mir mein Vater einmal erzählte, als ich noch ein kleiner Hosenscheißer war.“

    „Na dann“, sagte Gerlind und legte den küchenfertigen Barsch auf den Bratrost, „dann schieß mal los! Ein bisserl dauert´s noch mit dem Essen.“

    „Ich gebe die Geschichte so wieder, wie ich sie vom meinem Vater gehört habe“, begann ich, „vielleicht nicht wortwörtlich, aber ich denke doch, im Wesentlichen korrekt. Also dann. Nach seinen Worten weilte mein Vater damals auf einem Ritterturnier in Mailand. Wie es so üblich ist, wurde nach dem Turnier kräftig gebechert, zumindest von denen, die dazu körperlich noch in der Lage waren. Zu vorgeschrittener Stunde, als die Becher schon mehrmals geleert waren und die Zecher auf den Bänken grölend von backbord nach steuerbord schwankten, erschien eine üppige Makrele* mit ihrem Gefolge auf dem Platz – wie es ebenfalls Usus ist – und ein emsiges Herzen und Küssen begann. Doch zuvor waren einige Recken aufgesprungen und unter allen Anzeichen höchsten Entsetzens vom Platz gerannt. Am andern Tag traf mein Vater einen dieser Männer, der ihm als Lohnknappe gedient hatte, vor dem Dom wieder; er lud ihn zu einem kleinen Trunk ein und fragte ihn aus. Nach anfänglichem Zögern erzählte der junge Mann folgendes:

    'Vor sechzig Jahren', so der Knappe, 'benutzten die Bewohner von Mailand die Abwesenheit des Herzogs, ihren Ärger über die Verschwendungssucht seiner Mätresse öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Sie banden die Dame rücklings auf eine alte Mauleselstute. Dann trieben sie die Stute durch die Straßen und zeigten der Frau die Feige**, was in jenem Land ein unzweideutiges Zeichen der Verachtung und Verhöhnung ist. Gleich nach seiner Rückkehr machte der Herzog zornbebend die Stute ausfindig und ließ die Bürger der Stadt auf dem Broglio-Platz zusammentreiben. Als alle versammelt waren, steckte der Henker eine Feige zwischen die Hinterlefzen der Stute; dann verkündete ein Ausrufer unter Trompetenschall, dass jeder, der nicht einen Kopf kürzer gemacht oder beim Hals zum Tode gewürgt werden wolle, diese Feige vor aller Augen, ohne Hilfe der Hände, mit den Zähnen da herausholen und wieder hineinstecken müsse. – Vielen von ihnen kam die Buße so schimpflich und schändlich vor, dass sie sich lieber henken ließen als das.. ähem... Hintermaul der Stute zu küssen. Meine Urgroßmutter tat es, denn sie ging gerade mit Zwillingen schwanger, von denen einer mein Großvater war. Aber seither verweigerte sie jeden Kuss, und auch viele andere gedemütigte Mailänderinnen hielten es so.' – 'Aber, lieber Knappe', fragte mein Vater, 'warum seid Ihr denn weggerannt, als die Liebesdienerinnen auf dem Platz erschienen? Das, was Ihr da eben erzählt habt, ist doch schon lange her und geschah weit vor Eurer Geburt!' – 'Oh, nicht lange und nicht weit genug, Herr Ritter, um die Schande, die unserer Familie angetan wurde, zu vergessen', antwortete der Knappe, 'eine Schande, die so groß ist, dass mich sogar jetzt noch, wenn ich die breiten Mäuler dieser Frauen sehe, bei dem Gedanken, so eine könnte mich küssen, ein heiliger Ekel überfällt, und meinen Brüdern geht es ebenso.'“

    „Nana“, machte Gerlind „das hat dein Vater wirklich erlebt? Kaum zu glauben!“

    „Er hat es jedenfalls erzählt, und für mich ist es wahr, basta. Ob du´s glauben willst oder nicht ist deine Sache.“

    „Pfui... Da vergeht einem ja der Appetit auf Feigen“, sagte Kopf, „ich male mir das gerade aus... hmm... mit den Zähnen... Um mit den Zähnen an die Feige zu gelangen, musste man doch die Nase mit hineinstecken.“

    Gerlind setzte den Barsch auf den Tisch, und das Gespräch wandte sich appetitlicheren Themen zu. Nach dem Essen ging ich in die Back, um Trabto mit einem Scheffel Wind zu füttern, dabei stellte ich zu meinem Entsetzten fest, dass das Reservefass so gut wie leer war. Ich ging zu Kopf, der gerade unsere Polhöhe bestimmte. „Na, wie weit ist es noch bis zur Affeninsel?“, fragte ich.

    „Nach meinen Berechnungen müssten wir bei gleichbleibendem Wind gegen Abend dort sein.“

    „Wie lange reicht das Fass noch?“

    „Hm, ich denke so bis Mittag.“

    „Wisst Ihr, dass das Reservefass so gut wie leer ist?“

    Kopf entfärbte sich. „Was sagt Ihr da? Unmöglich!“

    „Dann schaut doch selbst!“

    ________

    * Alte Bezeichnung für Bordellwirtin. ** Die bekannte Handbewegung, bei der der Daumen zwischen den gekrümmten Zeige- und Mittelfinger gesteckt wird.

    Mundburts Schiff wird von einem Wal vor ein singendes Nilpferd geworfen.

    Es stellte sich heraus, dass das Fass tatsächlich ein Leck hatte. Aus einer Daube war ein Aststück herausgesprungen; das Loch, obzwar winzig klein, war doch groß genug, um den Wind unbemerkt entweichen zu lassen.

    „Was machen wir nun?“, fragte ich, „wenn kein natürlicher Wind aufkommt, erreichen wir unser Ziel nie.“

    Der Magister zuckte mit den Schultern. „Tja...“

    „Dann gehen wir vor Anker und warten ab“, entschied ich. „Am besten, Ihr haltet auf die nächste Insel zu. Irgendwann muss das Wetter ja umschlagen.“

    „Das kann lange dauern.“

    „Wieso?“

    „Wir befinden uns hier offenbar im Bereich der Calmen, einer Zone absoluter Windstille, der Schrecken der Seeleute! Es soll schon vorgekommen sein, dass sie sich vor Hunger gegenseitig auffraßen. Und es kann noch Wochen so weiter gehen.“

    Betrübt ging ich zu Trabto, um ihm noch ein wenig Luft zuzufächeln. „Mein liebes Pferd“, sagte ich und kraulte ihm unterm Kinn, „lass nicht den Kopf hängen, ich tu´s ja auch nicht. Gottseidank haben uns die guten Kussmenschen reichlich mit Nahrung versorgt, und irgendwie wird´s schon weitergehen.“

    Zwei Glasen später ging ein Ruck durch das Schiff, es knirschte, das Schiff legte sich zur Seite – wir saßen wieder einmal fest.

    Der Magister stampfte mit dem Fuß auf und tanzte herum wie ein Bär auf dem heißen Blech. „Sakrakruzitürkenhimmelarschundzwirn!“, schimpfte er, „was soll denn das nun wieder! Ich will endlich den Großartigen sehen und nicht schon wieder mit irgendwelchen durchgeknallten Insulanern Pfefferminztee trinken! Allmählich reicht´s mir!“

    „Dann geht doch zu Fuß weiter!“, höhnte Gerlind, die in letzter Zeit schlecht auf Kopf zu sprechen war, „vielleicht seit Ihr dann ja vor uns da!“

    „Ha – ha – ha!“

    Ich blickte über die Reling. Diesmal war es keine Sandbank, die uns festhielt, sondern ein Felsen, der mit Seepocken übersät war wie die Stirn eines Pestkranken mit Geschwüren. Doch auf einmal kam Bewegung in den Felsen, er erhob sich aus dem Wasser. Kopf warf die Hände hoch und jammerte: „Hu hu hu, ein Seebeben!“ – vor dem Bug stieg eine Wassersäule in die Luft, Gerlind rief: „Eine Wasserhose! Wir gehen unter!“ – Ich rief: „Unsinn, ein Walfisch!“ Wir waren auf den Rücken eines ungeheuren Wals aufgelaufen. „Keine Angst, Gerlind, mein Täubchen!“, rief ich, „der Wal will uns nicht verschlingen, wie einst den Jonas, denn der Herr Jesus schickt ihn zu unserer Rettung!“ Genauso war es. Mit der gewaltigen Kraft seines Körpers zerteilte der Wal die Fluten und hielt auf einen Landstrich zu, der am Horizont auftauchte. Die Küste flog auf uns zu; schon erkannte ich Einzelheiten, einen Pharos*, Wälder, die Türme einer Burg, Felsen; fürchtete schon, wir müssten daran zerschellen, doch da krümmte das Tier seine Schwanzflosse, es gab einen einen kräftigen Stoß, und wir rauschten direkt in eine Lagune hinein. Ich fiel auf die Knie und dankte Gott für seine Güte. Dann sah ich noch, wie der Wal aus weiter Ferne seine Schwanzflosse aus dem Wasser hob und uns zum Abschied zuwinkte.

    Die Insel, vor der die Lagune lag, war von einem dichten Schilfgürtel umgeben und mit anscheinend undurchdringlichen Wald bedeckt, über dem die Zinnen der Burg aufragten. Jetzt wich das Schilf auseinander, ein Ruderboot erschien und kam auf uns zu. In dem Boot saßen vier Gestalten in eng anliegenden grauen Mänteln, eine davon mit einem Hut aus bunten Federn auf den Kopf. „Hoiho!“, rief die Gestalt mit ungewöhnlich hoher Stimme, „woher des Wegs und wohin?“

    „Ein großer Wal hat uns in diese Lagune katapultiert!“, rief ich, „eigentlich wollte wir zur Insel des Großartigen, aber dann ging uns der Wind aus.“

    „Zur Insel des Großartigen? Da seid Ihr völlig falsch!“

    Der Magister blickte betreten zur Seite.

    „Dürfen wir bis Wind aufkommt“, rief ich, „in Eurer Lagune vor Anker liegen? Wir fallen Euch auch nicht zur Last, denn wir sind gut mit Proviant ausgestattet!“

    „Aber ja doch!“, piepste die Gestalt, von der ich nicht erkennen konnte, ob es Mannse oder Weibse war. „Wie viele seid Ihr denn?“

    „Vier! Drei Personen und ein Pferd!“

    „Hmm... Das mit dem Pferd wird schwierig... Aber Ihr anderen seid uns herzlich willkommen!“

    „Es sind Ratten in Menschengestalt“, raunte Gerlind, „die grauen Mäntel, die spitzen Gesichter, die piepsigen Stimmen... Hoffentlich kommen sie nicht noch auf die Idee, uns einzuladen!“

    Doch genau das geschah jetzt. „Wir laden Euch zu einem Besuch unserer Insel ein! Gleich kommt ein Boot und holt Euch ab.“ Der bunt behutete stutzte, zog den Hut, verbeugte sich und rief: „Oh, wen sehe ich da? Die schönste Jungfer der Welt,

    strahlender als tausend Sonnen,

    schöner noch als tausend Wonnen,

    biegsam wie ein Rohr im Wind,

    komm an mein Herz, du holdes Kind!“

    „Der ist doch sternhagelvoll“, rief Gerlind ärgerlich –“

    „Oder rattenscharf!“, warf ich ein.

    „– Herr Magister, wie viel Wind haben wir noch? Hab keine Lust, mich schon wieder anmachen zu lassen!“

    „Wind? Zu wenig. Das bisschen brauchen wir für Notfälle!“

    Gerlind stampfe wütend mit dem Fuß auf. „Aber das ist doch ein Notfall!“

    „Zu spät“, sagte ich, „dreh dich mal um!“

    Über der Einfahrt zur Lagune ragte das riesige Maul eines Nilpferds auf, aus dem es jetzt auch noch entsetzlich misstönend röhrte:

    „Strahlender als tausend Sonnen,

    schöner noch als tausend Wonnen,

    biegsam wie ein Rohr im Wind,

    komm an mein Herz, du holdes Kind!“

    Das Maul klappte wieder zu, übrig blieben zwei gewaltig prustende Nasenlöcher.

    „Wusste bisher nicht, dass Nilpferde so gut singen können“, sagte ich. „Dachte bisher, singen sei das Geschäft von Singvögeln.“ Aber auch der Galgenhumor half nicht über die Tatsache hinweg, dass wir in der Falle saßen. Wenn ich auch das Nilpferd in Stücke hauen könnte, die Ratten würden uns das Schiff zernagen.

    Nach einiger Zeit legte ein Boot mit einem Gamsbarthut und zwei Ruderern bei, ich sah noch einmal nach Trabto, dann gingen wir von Bord.

    ___________

    * Leuchtturm


    Besuch der Insel der Schleckermäulchen und eine besondere Art der Heiligenverehrung.

    „Wo sind wir hier? Und wie heißt Ihr, mein Herr“, erkundigte ich mich, während Gerlind mit zusammengekniffenen Lippen uns steifem Rücken in die Ferne schaute und der Magister interessiert zwei kopulierenden Kanalratten zusah.

    „Die Insel heißt Theutenia“, sagte der Gamsbarthut, beziehungsweise was darunter war, „und mein Name ist Edler von Ratziwilli, gelt, Erster Hofmarschall seiner Majestät Rastzeputz XXIII. Die Burg, die Ihr dort über dem Wald seht, gelt, ist die Ratzeburg, Stammsitz und Residenz der königlichen Familie. Hmm... nun ja... Und mit wem habe ich die Ehre?“

    Da der Mann, offenbar eine Bisamratte in den besten Jahren, sah ziemlich heruntergekommen aus. Seine Kleidung – bis auf den Hut –, wiewohl aus feinsten Tuch gewebt, hatte allerdings die besten Zeiten hinter sich – überall geflickt, mit heißer Nadel zusammengenäht, mit dem Bügeleisen in Form gehalten. Der Mann selbst: Untersetzt, dick, kleinäugig, spitzohrig, kurzhalsig, schwitzend. Das Angenehme seiner Gesichtszüge verdarb sein vorstehendes Gebiss – nun ja, wie es bei Leuten seines Stammes eben üblich ist: Einer dieser Typen, die mit dem Teufel Geschäfte machen und mit seiner Schwiegermutter auf den Ball gehen. Mich irritierten die Blicke, die er Gerlind aus leicht hervorquellenden Augen zuwarf. Doch da er höflich sprach, sah ich keinen Grund, nicht ebenfalls höflich zu antworten. „Ich bin Mundburt der Erste von und zu Wolkenstein-Himmelhoch, Ritter der Winde und Knappe im Frauendienst der Herrin auf Schwarzenraben im schönen Schwabenlande“, ratterte ich herunter, denn je länger der Titel, desto höher das Ansehen. „Und dies hier sind –“

    „Schwabenlande? Nie gehört! Wo liegt das?“

    „In Deutschland, weit weg von –“

    „Ah, Deutschland, das Land wo Milch und Honig fließt, gelt?“

    Verdammt nochmal, dachte ich, gibt es denn keinen Winkel auf der Welt, wo Deutschland nicht als Land des Überflusses gepriesen wird? Sogar auf dieser vergessenen Ratzeninsel reden sie davon, wo doch zu diesem Zeitpunkt dort gerade die Große Seuche wütete!

    „Theutenia“, sinnierte der Magister, „seltsamer Name für ein Königreich... Wenn mich mein Griechisch nicht täuscht, heißt Theutes doch Schleckermäulchen.“

    „Damit liegt Ihr nicht falsch.“

    „Was schleckern die Theutonen denn so?“, fragte Gerlind.

    „Theutenen, bitte! Geduldet Euch, dann seht Ihr´s, gelt?“

    Wir erreichten eine Brücke und gingen an Land, wo schon ein leichtes Fahrzeug bereitstand.

    Nach einiger Zeit lichtete sich der Wald; wir holperten in einen Park mit mächtigen Bäumen, der von fröhlichem Gesang erfüllt war. Ein Männerchor im Hintergrund schmetterte fröhlich:

    „Heiho, ein Ärschlein blinkt mir schon,

    meine Zunge zuckt mir im Mund,

    stopf´ sie hinein ganz bis zum Schlund,

    komm dann voran bis an die Kron´!“

    „Was singen die da?“, fragte Gerlind irritiert.

    „Konnte ich nicht so richtig verstehen“, log ich, „auf jeden Fall ein sangesfrohes Völkchen, diese Theutenen.“

    Forts. folgt

    Mundburt und seine Leute besuchen die Insel der Basophilen*.

    Wieder auf offener See, zechten, schmausten und schwatzen wir und führten allerhand interessante Gespräche. Der Wind pfiff lustig durch die Stengen, die Luft war angenehm mild, die See glatt, der Wein vorzüglich.

    Bald hatte ich genug von dem Gerede, setze mich aufs Achterkastell, blickte in den blanken Himmel und horchte in mich hinein.

    Wo war ich? In irgend einem unbekannten Teil der Welt.

    Wer war ich? Ein Luftikus, ein Ritter der Winde, zum Ritter geschlagen mit einem Schwert aus Wind.

    Was wollte ich? Die Minne der Herrin gewinnen.

    Doch, Teufel auch, bisher war ich diesem Ziel noch keinen Schritt nähergekommen.

    Ich ging in die Kajüte, nahm den Kristall und blickte hindurch. Da lagen mein Schwert, mein Schild, mein Harnisch. Ich ergriff das Schwert. Ja, es lag gut in der Hand, wenn es auch nur geschmiedeter Wind war. „Sechs Hiebe hast du“, murmelte ich, „mit dem sechsten zerschlägst ich das Band, das dich von der Herrin trennt!“

    Damals wusste ich noch nicht, dass die Schicksalsgöttinnen ihren Lieblingen gerne ein Schnippchen schlagen.

    *

    Es ging schon auf den Abend zu, da erblickten wir die Insel, deren Besuch uns die Windesser so warm empfohlen hatten. Eine halbe Sonntagspredigt später warfen wir den Anker aus und gingen an Land. Trabto blieb an Bord.

    Ich muss gestehen, liebe Freunde, das, was wir dort erlebten, übertraf meine kühnsten Erwartungen. Die Andeutungen des Bürgermeisters hatten dazu geführt, dass meine Fantasie Speck angesetzt hatte, alles Mögliche und Unmögliche stellte ich mir vor – nur nicht das, was wir dann tatsächlich sahen und erlebten. Schon die Windesser hatten mein Menschenbild nachhaltig verändert; diese Insulaner nun warfen es endgültig über den Haufen.

    Wir waren noch keine hundert Schritte den Strand hinauf gegangen, da kam mit ausgebreiteten Armen winkend und mit freundlichem Hallo und Helau eine Gruppe von etwa fünfzehn Leuten auf uns zu, Männer, Weiber, Kinder. Wir blieben überrascht stehen, denn ein solcher Empfang war uns noch nie bereitet worden; ich kann mich auch trotz angestrengtem Nachdenken nicht erinnern, dergleichen später wieder erlebt zu haben. – Anstatt nun stehen zu bleiben, wie es die Höflichkeit erfordert hätte, liefen diese Menschen auf uns zu, umarmten uns und begannen, uns ungeniert abzuküssen.

    Herr im Himmel, ich bin mir sicher, meine ehrbaren Vrouwen, solche Küsse habt Ihr noch nicht erlebt! Wäre mir zudem auch nicht sicher, ob sie Euch überhaupt geschmeckt hätten! Gerlind jedenfalls schmeckten sie nicht. Sie reagierte empört und ging, wie es bei solchen Situationen ihre Art war, zum Angriff über: Einem langen, struppigen Kerl versetzte sie eine schallende Ohrfeige und rief: „He alter Kalbsschwanz, lass das, du stinkst!“, worauf der Kerl in helle Tränen ausbrach und sich auf ein kleines Mädchen stürzte und es abküsste. Der Magister, an dem zwei runde, dralle Dirnen hingen wie Blutegel an der Wade, keuchte begeistert: „Beim heiligen Ochsenziemer! Die gehen aber ran!“ Kynos leckte vergnügt das Gesicht eines zwölfjährigen Knaben, was der sichtlich genoss. –

    Und nun wollt ihr natürlich wissen, meine lieben Zechbrüder und Kegelschieber, was ich bei der Sache empfand. Tja, ich fürchte, da muss ich euch gründlich enttäuschen. Denn kaum hatte Gerlind den „alten Kalbsschwanz“ weggestoßen, da drehte sie sich zu mir um, griff einer üppigen Matrone, die gerade ihr spitzes Kussmäulchen dem meinen näherte, bei den Haaren und zerrte sie weg: „Lass das, du alte Hexe, der gehört mir!“, schrie sie. Kam also gar nicht dazu, etwas zu empfinden, höchstens verhaltenen Ärger über Gerlinds rüdes Benehmen; schließlich kamen wir als Gäste und nicht als Moralapostel auf die Insel. Doch meine Bedenken erwiesen sich als unbegründet. Ein kostbar gekleideter, eisgrauer Herr mit einer Mütze aus Taubenfedern** auf dem Kopf sagte lächelnd, aber ziemlich förmlich: „Liebe Fremdlinge, Ihr seid uns herzlich willkommen! Bitte folgt uns in den Palast des Königs, denn er brennt darauf, Euch zu begrüßen!“ Nach diesen Worten umarmte er die Matrone, offenbar seine Gattin oder Buhle, und siehe, die anderen Männer, Weiber, Kinder umarmten sich ebenfalls, und ein gewaltiges Lecken, Schmatzen, Knutschen begann.

    Und da, aus nächster Nähe, sah ich die Münder dieser seltsamen Vögel. Nur mit Mühe konnte ich ein lautes Auflachen unterdrücken. Dem Magister, um dessen Mundwinkel es ebenfalls zuckte, zische ich zu: „Um Himmels Willen, Kopf, lacht jetzt nicht! Kneift die Arschbacken zusammen, aber lacht nicht! Die Leutchen könnten Euer Lachen missverstehen!“ Denn es zeugt von keinem guten Stall, wenn man sich über körperliche Eigenheiten anderer Leute lustig macht.

    Was wir jetzt erblickten, war auch zu bizarr.

    Nun gut, diese Leute sahen zunächst, bis auf ein paar Kleinigkeiten, ganz normal aus. Da war einer mit einer schiefen Schulter, ein anderer hatte eine Nase wie ein Humpen, ein dritter Hände wie Salatschüsseln, eine Jungfer war von braunen Pockennarben übersät, ein alter Mann sah aus, als habe ihn eine Kuh feucht angefurzt und so weiter und so fort. Du lieber Gott, alles nicht des Lachens wert, wenn da nicht (haha, immer noch lächerts mich, wo ich wieder daran denke), ja, wenn da nicht diese Kussmäuler gewesen wären, die den Leuten vorm Gesicht standen wie Schweinerüssel, mit Lippen, so rot und wulstig wie Pavianärsche. Es war auch kein normales Küssen, was sie da taten, sondern eher ein schmatzendes aneinander Festsaugen, wie es Neunaugen oder Schiffshalter tun, und es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sie wieder voneinander ließen. Später erfuhr ich von einer mehrfachen Mutter, die zwei Säuglinge in zwei Kinderwagen schob und die ich, darüber verwundert fragte: Es sei gefährlich, die Kleinen in eine Wiege zu packen – ruckzuck hätten sie sich aneinander festgesaugt, und dann sei es schwer, da Ermahnungen noch nicht fruchteten, sie wieder auseinander zu bringen.

    Der Gang zum Königspalast war der eigenartigste, den ich jemals erlebte, ich spreche auch für Gerlind, Kopf und Hund, die mir bestätigten, diese öffentliche Küsserei habe sie völlig überrascht. Überall auf den Straßen und Plätzen der Stadt standen Pärchen in inniger Umarmung; andere liefen aufeinander zu, saugten sich fest und blieben unbeweglich stehen. Ein windschiefes mageres Männchen und eine stattliche Dame hielten sich mitten auf dem Weg eng umschlungen und küssten sich, wobei die Beine des Kleinen in der Luft hingen.

    „Hmm“, knurrte der Magister, „sollte der Kerl wirklich die richtige Peitsche haben, um solch einen Kreisel anzutreiben?“ – „Nur keinen Neid!“, konterte Gerlind, „brecht nicht die Lanze über Leute, die Ihr nicht kennt!“

    Doch nicht nur Erwachsene küssten sich coram publoco, sonder auch Kinder aller Altersstufen. Kurz: Jeder küsste jeden. Ich beobachtete einen etwa zehnjährigen Knaben, der auf einer Bank stand und jedem, der an ihm vorbei kam, einen Kuss aufdrückte. Eine Frau redete einen Mann mit 'grüß Euch, mein Ochsenschwänzchen' an, worauf der erwiderte: 'Wie seht Ihr heuer wieder gut aus, alte Kommode!', dann saugten sich die beiden fest. Das Absonderlichste aber war ein Greis, der ein kleines Mädchen hochhob und stammelte: „Küsse mich, mein Söhnchen!“, worauf das „Söhnchen“ antwortete: „Gerne, mein lieber Dudelsack!“ Immer wieder stürzten Leute auf uns zu und versuchten, uns abzuküssen, sogar Kynos wurde nicht verschont. Und überall Kinder, Kinder, Kinder... Alle mit den gleichen Nasen, und zum größten Teil mit dem Kostüm bekleidet, in dem sie zur Welt gekommen waren..

    „Euch Leuten aus einer anderen Welt“, sagte der Mann mit der Federmütze – er war, wie sich bald herausstellen sollte, der Hofmarschall des Königs, ein Herr von Urigk – „werden diese Gewohnheiten als etwas Absonderliches vorkommen, besonders, wenn Ihr erfahrt, dass alle Bewohner dieser Insel miteinander verwandt sind. Denn, ich will offen reden, beim Küssen allein bleibt es nicht.“

    „Wie gut“, raunte mir Gerlind zu, „dass ich den Kerl vorhin nicht an mich herangelassen habe. Hab keinen Bock, unversehens... na du weißt schon.“

    „Würdest du nicht, mein Dudelchen“, flüsterte ich zurück, „nicht beim Küssen! Genauso wenig, wie du vom Milchbaden satt wirst, es sei denn, du trinkst die Wanne aus!“

    „... wenn es sein muss“, sagte der Hofmarschall, „könnten wir nötigenfalls sechstausend Krieger stellen, die alle zu einer Familie gehören.“

    „Das ist nichts“, sagte der Magister, „ich wüsste sechs mal hunderttausend Recken, die alle von einem Elternpaar abstammen.“

    Der Hofbeamte blieb verdutzt stehen. „Wie, was“, rief er, „sechs mal hunderttausend? Von einem Elternpaar?“

    „Ja.“

    „Potz Kuss und Blitz, das ist stark! Mein Herr, übertreibt Ihr da vielleicht ein wenig?“

    „Aber... aber! Mitnichten! Ich könnte die Zahl sogar mehr als verdoppeln und bliebe immer noch bei der Wahrheit.“

    „Tz... tz... tz... Unglaublich! Haben diese Eltern auch einen Namen?“, fragte der Hofmarschall fast ehrfürchtig, „ich meine, zu welchem Geschlecht gehören sie?“

    „Das Geschlecht kennt Ihr, wie Ihr auch die Namen der Eltern kennt. Sie heißen Adam und Eva.“

    Herr von Urigk biss sich auf die Lippen. Anscheinend ärgerte er sich, dass er nicht selbst auf diese Idee gekommen war.

    Bald erreichten wir den Palast des Königs. –

    Was sagte ich gerade? Palast? Pah! Der große Saal auf Burg Wolkenstein war opulenter ausgestattet als die Halle, in die man uns jetzt führte – und mein Vater besaß zwar ein königliches Herz, aber kein königliches Einkommen. Doch dieser Saal nun – –

    Ehrlich, ich hatte kein Paradies der Düfte erwartet, auch keinen glitzernden Spiegelsaal. Auch nicht Rudel hochnäsiger Lakaien in Prunkgewändern, noch blitzblanke Volieren mit bunten Papageien, die uns alberne Worte entgegen krächzten. Auch nicht den einzigartigen Reichtum einer Königin von Saba, von dem noch tausend Jahre später der gute Diodor& in überschwänglichen Worten schwärmte. Doch zum Teufel, ein wenig fürstlicher Glanzz hätten es schon sein dürfen. Doch in dieser königlichen Hütte war nichts, was mein Herz hätte höher schlagen lassen, alles verteufelt karg, nichts, was einer näheren Beschreibung wert gewesen wäre – keine mit kostbarem Holz getäfelten Wände, keine goldenen Trinkgefäße, keine Ruhebetten mit silbernen Füßen, keine mit funkelnden Edelsteinen verzierte Türen, keine Sklavinnen in weißen Gewändern, keine – – Also lasse ich das Beschreiben und erzähle, was weiter geschah. Woher, meine Lieben, frag ich euch, woher soll der Reichtum auch kommen, bei einem Volk, das die meiste Zeit des Tages damit verbringt, sich zu küssen?

    Eine Flügeltür tat sich auf, ein Saaldiener verkündete: „Ihre Majestäten König Klebekuss II., Königin Hildekuss, Prinzessin Kusskuss!“

    Es gelang mir noch, Gerlind zuzuzischen: „Jetzt geht´s aber ohne Ohrfeige ab, hörst du?“, da fühlte ich mich umhalst, und ein gewaltiger Kussmund saugte sich an meinen Lippen fest, wobei die Nase darüber die Luft scharf einzog und wieder ausstieß. Aus den Augenwinkeln sah ich Prinzessin Kusskuss vor Kynos knien und ihm einen Schmatzer nach dem anderen auf die Nase drücken. Nach einer kleinen Ewigkeit löste Königin Hildekuss ihre Lippen von den meinen, blickte mich mit betörendem Augenaufschlag an uns säuselte: „Nun, mein Herr, wie schmecken meine Küsse?“ Ich beugte das Knie und log ohne rot zu werden: „Edle Monarchin, Eure Küsse schmecken unvergleichlich schön!“ Die Königin hob mich dankbar hoch, und wieder saugte sich ihr Kussmund an meinen Lippen fest.

    Als die königliche Begrüßung beendet war, entfernten sich die Majestäten unter ständigem Handkusszuwerfen. Mir fiel auf, dass sich die königliche Familie und die Domestiken vom Gesicht her auffällig glichen. Als die Tür ins Schloss gefallen war, bat uns der Hofmarschall zu einem kleinen Imbiss in den Speisesaal. Vorher raunte mir Gerlind zu: "Küsst nicht schlecht, der Monarch. Bei nächster Gelegenheit zeig ich dir mal, wie er´s macht."

    ______

    * Kussliebenden. **Weil Tauben nach Meinung der Alten gerne schnäbeln. & Griechischer Historiker, 2. Jh. nach Chr.

    Mundburt erfährt den Grund für die Küsserei.

    Ihr ahnt es schon, liebe Freunde, und ihr ahnt richtig: Der Imbiss war genau so fad wie das Drumherum.

    Während wir ungesüßten Pfefferminztee tranken und mit geschwollenen Lippen an einem Gebäck nagten, das der Truchsess „Kusskopf“ nannte, fragte ich den Hofmarschall: „Hoher Herr, erlaubt Ihr eine Frage?“

    „Gewiss doch, lieber Freund, fragt nur!“

    „Den Grund für die Kargheit dieses Palastes kann ich mir erklären“, sagte ich, „aber nicht den Drang, sich ständig und ausdauernd zu küssen. Liegt´s in Eurem Blut oder ist es eine Sache der Erziehung?“

    „Von beiden keines“, antwortete Herr von Urigk ohne zu zögern, „es liegt an der Eifersucht und an einem alten Zauberspruch, der deswegen erfolgte, und aus dem wir uns nicht mehr lösen können.“

    „Ei, wo gibt´s denn sowas!“, rief Kopf, „Zaubersprüche verfallen nach spätestens hundert Jahren!“

    „Dieser nicht, lieber Herr, er wurde ausdrücklich sub spezie aeternitatis* gesprochen. Außerdem ist es noch keine hundert Jahre her.“

    „Sagtet Ihr gerade Eifersucht?“, meinte Gerlind, „aber holla, Eifersucht konnte ich auf dem Weg hierher nun wirklich nicht erkennen!“

    „Wenn Ihr ein wenig Zeit habt, erzähle ich Euch, wie es zu dem Spruch kam.“

    Wir hatten.

    „Bevor uns der Spruch bannte“, begann der Hofmarschall, „war diese Stadt eine Hölle der Eifersucht und Nachstellung. Unselige Mordbuben gaben sich für billiges Geld her, einen vermeintlichen oder wirklichen Rivalen in frechem Wagnis ins Jenseits zu befördern. Immer wieder trieben die Leichen von Männern, in der Blüte ihrer Jahre erstochen oder zerhauen, den Fluss hinab, immer wieder fand man in den Gärten erwürgte Frauen mit blutig zerschnittenen Gesichtern, ja es kam sogar vor, dass ein eifersüchtiger Liebhaber seinen Nebenbuhler unter der Kirchenkanzel erstach. Einer Dame einen harmlosen Handkuss zuzuwerfen oder einer Jungfer länger als einen Herzschlag in die Augen zu schauen, konnte schon die erbitterte Rache des Gatten oder Vaters bedeuten. Vielleicht habt Ihr ja in diesem Punkt Recht, lieber Herr, dass uns diese Art angeboren war; auch heute noch sind die Männer dieser Insel für ihr heißes Blut bekannt.

    Doch eines Tages geschah eine entsetzliche Tat, die alles in den Schatten stellte, was an Unheilvollem bisher geschehen war. Ein Stich ins Herz – schrecklich, aber eine klare Sache; das zerstörte Gesicht einer Frau, die vorher erwürgt worden war – ein himmelschreiendes Verbrechen gegen die Frauenschaft. Aber alle diese Menschen hatten ihre Seelen Gott anvertraut, sie litten nicht mehr. Doch die Rache dieses Mannes, von dem ich jetzt –“

    „Herr Hochmarschall“, unterbrach Gerlind, „kommt bitte zur Sache! Lange halt ich´s in diesem zugigen Zimmer nicht mehr aus. Hab jetzt schon kalte Füße!“

    Der„Hochmarschall“, klatschte in die Hände. Eine Tapetentür öffnete sich, ein Diener erschien. „Einen Beinmuff für die Jungfer!“

    Gerlind: „Hochwürden, ich brauch keinen Beinmuff! Erzählt lieber zügiger und nicht so umständlich. Also, die Rache dieses Mannes...“

    Der Hofmarschall zuckte nicht mit der Wimper. Er verbeugte sich und sagte: „Wie die Jungfer wünscht!“ Wenn mir jemand in dieser seltsamen Stadt sympathisch war, dann dieser Mann.

    „Allerdings, ein klein wenig ausschweifen muss ich schon“, fuhr Herr von Urigk fort, „sonst versteht Ihr nicht, wie es zu dem Bannspruch kam. Besagter Mann, ein reicher Kaufmann – nennen wir ihn Fidelio – hatte in Indien durch Sparsamkeit und Fleiß sein Vermögen gemacht. Nach fünfundzwanzig Jahren fern der Heimat verspürte er den Drang, in seine Vaterstadt zurückzukehren und zu heiraten, denn was nutzt ein gutes Vermögen ohne Erben. Bald war auch ein Mädgen gefunden, eine Jungfrau von fünfzehn oder sechzehn Jahren, mit soviel Anmut und Reizen geschmückt, dass er darüber die Anzahl seiner Jahre vergaß, denn er ging schon stark auf die siebzig zu...“

    „Oha!“, schnappte Gerlind.

    „Kaum war der Ehekontrakt unterschrieben, in dem Fidelio ihr für den Fall seines Todes ein Witwengeld von... ähem... als ihn eine rasende Eifersucht überfiel, die sich in den nächsten Wochen noch tausendfach verstärkte. Den ersten Beweis lieferte er dadurch, dass er keinem Schneider erlaubte, Leonoren – so hieß das Mädgen – die Maße für das Brautkleid abzunehmen; es wurde nach der Figur einer anderen Jungfer von gleicher Statur gefertigt. Als nächstes ließ er sämtliche Fenster seines Hauses, die nach der Straße gingen, zumauern; zum Nachtwächter nahm er einen lendenlahmen Greis, dem er eine Kammer neben dem Tor zuwies. Ansonsten duldete er keine männlichen Bewohner in seinem Haus, sogar der Kater wurde vertrieben und der Hengst durch eine Stute ersetzt. Die Lieferanten mussten alles, was er brauchte, durch eine Klappe im Tor reichen. Nie war ein Kloster besser bewacht, nie eine Nonne sicherer verwahrt... Leonore saß in einem Gefängnis mit goldenen Türklinken.“

    Der Erzähler unterbrach sich, um einem spindeldürren Saaldiener etwas ins Ohr zu flüstern.

    „Ziemlich extrem, was Ihr da erzählt“, sagte ich.

    „Das Drama beginnt erst. Es gab damals in dieser Stadt gewisse junge Leute, ebenso wild und ausgelassen in ihren Sitten wie honigsüß und geschmeidig in ihren Manieren, die aus Langeweile die tollsten Streiche spielten. Einer dieser Stutzer – nennen wir ihn Leporello – hatte von der Schönheit der jungen Frau erfahren, auch von der Art ihrer Bewachung, und die Tatsache, dass er das Haus immer verschlossen fand, stachelte seine Neugier auf, und er beschloss, die Festung mit List oder Gewalt zu erobern. Eines Tages benutzte er die Abwesenheit des Hausherrn, einen ersten Versuch zu wagen. Er färbte sich den keimenden Bart, bedeckte ein Auge mit einem Pflaster, schnallte sich ein Bein hoch, hüllte sich in einen zerlumpten Kittel, ging auf Krücken – mit einem Wort: Leporello spielte den Lahmen so natürlich, dass ihm der kümmerlichste Krüppel nicht gleichkam. Dann ging er an das Tor, klopfte ein paarmal heftig dagegen, ließ sich wie einer, den der Schlag getroffen hat, fallen, und begann fürchterlich zu röcheln. Der Torwächter öffnete die Klappe, um nach der Ursache des Lärms zu sehen. 'Erbarmen', keuchte Leporello, 'ich verbrenne, ich sterbe! Wasser, Wasser!' – Der Alte lief weg, um Wasser zu holen, vergaß aber in seinem Schreck, die Klappe zu schließen. Leporello sprang auf, steckte die Krücke durch die Klappe, stieß den Riegel zurück, öffnete das Tor –“

    „In diesem Moment kam der Kaufmann überraschend zurück“, lachte Gerlind, „und als er sah, dass der vermeintliche Krüppel ein schöner Jüngling war, ergriff ihn eine rasende Wut, und er erstach nicht nur den Galan, sondern auch seine Frau, und den Greis warf er in die Abortgrube, und dann brachte er sich selber um, und wenn er nicht –“

    „Nichts von alledem tat er, schöne Maid“, fuhr der Hofmarschall ungerührt fort, „und wenn er´s getan hätte, niemand hätte sich sonderlich darüber aufgeregt, schließlich gehörten solche Moritaten damals fast schon zum alltäglichen Einerlei. Nein. Seine Rache war von teuflischer Grausamkeit. Zwei Tage später schüttete er der schönen Frau, von deren Untreue er überzeugt war, einen Topf siedendes Öl ins Gesicht, als sie gerade im Bade lag.“

    Der Erzähler schwieg.

    Kynos kratzte sich nach alter Hundeart mit der Hinterpfote am Ohr. „Ich habe“, sagte er, „den Menschen – mit einigen Ausnahmen – nie über den Weg getraut, und jetzt, wo ich dies höre, tu ich´s noch weniger“

    „Weniger als nie geht nicht“, schulmeisterte der Magister.

    „Hat Leonore überlebt?“, wollte ich wissen.

    „Ja, leider, muss man fast sagen. Im Spital schmierten die Ärzte sie von Kopf bis Fuß mit einer Salbe aus dem Fett einer trächtigen Siebenschläferin und zerstoßenen Schlafmohnsamen ein, worauf sie in einen langen Schlaf verfiel. Als sie wieder erwachte, waren die Wunden verheilt, aber ihr Gesicht war auf´s Entsetzlichste entstellt.“

    „Na schön“, meinte Gerlind, „so weit wären wir nun. Fehlt noch der Bannspruch. Aber bitte kurz.“

    „Einen Augenblick!“ Kynos. „Könnte ich bitte eine Schale klares Wasser haben? Dieser Tee hier ist mir zu dünn.“

    „Aber sicher doch!“ Der Hofmarschall winkte den zweiten Saaldiener heran, der den Eindruck machte, als könne er jeden Moment umfallen, und flüsterte ihm ins Ohr: „Eine Schale klares Wasser für den Herrn mit Wedel.“ Der Saaldiener öffnete die Tapetentür und rief: „EINE SCHALE KLARES WASSER FÜR DEN HERRN MIT WEDEL!“ Das Echo erfolgte sofort: „EINE SCHALE KLARES WASSER FÜR DEN HERRN MIT WEDEL!“ Die Rufe entfernten sich; nach dem letzten fuhr der Hofmarschall fort:

    „Es lebte damals vor den Toren der Stadt eine alte Frau, die manche eine alte bärtige Vettel, andere ein mannstolles Weibsstück nannten; einige hielten sie für eine Heilige, die in Weihwasser badete, andere für eine Hexe, die nachts mit dem Teufel auf dessen Besenstiel ritt. Wie dem auch sei; als erwiesen galt, dass sie Bannsprüche beherrschte. Als eine Frau eine Katze zur Welt brachte**, trieb sie den Dämon in eine Flasche, hieb einen Korken drauf und versenkte ihn im Teufelssee, und siehe da, die nächste Geburt war ein Menschenkind. Als die Alte von der scheußlichen Tat erfuhr, lief sie sie sofort ins Spital; der Anblick des fürchterlich entstellten Gesichts erschütterte sie derart, dass sie, mit dem Finger in Richtung Stadt weisend, in laut gestammelte Verwünschungen ausbrach, die aber, da sie nur noch einen Zahn im Maul hatte, niemand so recht verstand: Der Bannspruch. Einer der umstehenden Ärzte wollte die Worte 'Suppe', 'Spätzle' und 'Äther' verstanden haben, was jedoch keinen rechten Sinn ergab; später kam der Abt des Klosters Zu den Sieben Todsünden darauf, dass sie sub spezie aeternitatis gemeint hatte. Ich war damals –“

    Die Tapetentür öffnete sich, ein Diener mit einer Schale in der Hand erschien und rief: „EINE SCHALE KLARES WASSER FÜR DEN HERRN MIT WEDEL!

    Zum ersten Mal verlor der Hofmarschall die Beherrschung. „Stell sie auf den Tisch, du Affenarsch, und verschwinde!“, brüllte er. Sichtlich erregt setzte er seinen Bericht fort.

    „Ich war damals ein kleiner Junge von fünf oder sechs Jahren, der ständig mit seinem Bruder in Streit lag. Dass wir uns nicht die Köpfe einschlugen, ist allein der schützenden Hand der heiligen Jungfrau Maria zu verdanken. Eines Morgens wachte ich mit dem unwiderstehlichen Drang auf, meinen Bruder zu umarmen und zu küssen statt ihm den Nachttopf über den Kopf zu gießen. Ich ging zu seinem Bett: Da lag er schon mit ausgebreiteten Armen und gespitztem Mündchen... Ähem, ja, Jungfer, ich komme zum Ende. Der Bannspruch wirkte schon. Seitdem küssen sich die Bewohner dieser Insel, anstatt wie früher über sich herzufallen.“

    „Eine Frage noch, bitte“, sagte ich, „unterwegs hörte ich, wie ein alter Mann zu einem kleinen Mädchen 'mein Söhnchen' sagte, und dieses zu ihm 'mein Dudelsack'. Was hat es damit auf sich?“

    „Auch das ist eine Folge des Bannspruchs“, erklärte der Beamte. „Da hier mittlerweile jeder mit jedem verwandt ist und sich die Leute gleichen wie ein Eierkuchen dem anderen, sind solche Ausdrücke wie 'mein Sohn', 'meine Gattin' oder 'mein Oheim' sinnlos geworden, denn es könnte auch der Sohn, die Frau, der Oheim des Nachbarn sein.“

    „Verstehe!“, rief der Magister, „warum sollte ich Eifersucht auf die Frau meines Nachbarn empfinden, die meine Tochter sein könnte? Nicht schlecht, der Spruch!“

    „Der Dudelsack!“, drängte Gerlind.

    „Sofort. Viele haben inzwischen die Bedeutung von Verwandtschaftsbezeichnungen ganz verlernt. Sie gebrauchen stattdessen Wörter, die ihnen gefallen. Wie eben Dudelsack oder Heupferdchen oder –“

    Der Hofmarschall blickte zur Sanduhr, die gerade ablief. „Meine Lieben“, sagte er und erhob sich, „es war mir ein Vergnügen! Solltet Ihr mal wieder vorbeikommen, schaut doch gerne noch einmal herein!“ Dann warf er jedem von uns einen Handkuss zu. Damit war die Audienz ohne weitere Umstände beendet.

    ________

    * Für alle Ewigkeit, ** Wahrscheinlich die erste schriftliche Erwähnung des OFD- oder Katzenschrei-Syndroms.

    Forts. folgt


    Mundburt erbittet wieder Gottes Hilfe und wird nicht enttäuscht.

    „Habe selten solch einen durchgedrehten Menschen gesehen wie diesen Mühlenknecht“, sagte ich, als der Edle außer Hörweite war. „Na ja, kein Wunder bei dem Amt.“

    „Und ich habe selten einen Mann gesehen, der so schamlos lügt wie du!“ ätzte Gerlind. „Welche Ungeheuer hast du denn bisher zerhauen, hä?“

    „Hunderte, mein T..., tausende! Jede Nacht mindestens zehn! Sie sitzen überall: Da!, in der Takelage, dort!, in den Kajütenecken, hier!, unter Tischen und Bänken, sogar, ha!, auf meiner Brust! Ich kämpfe mit ihnen und verwandle sie in Schatten.“

    „Ach du... Hast du wenigstens eine Idee?“

    „Nicht eine einzige! Mein Hirn ist leer wie ein Opferstock.“

    Wir gingen zurück in den Saal, wo sich der Magister, allein am Tisch, gerade wieder einschenken ließ. Vor ihm stand eine halbvolle Schale mit Kuddeln, eine Schüssel mit Salat und eine Kanne Wein. Die Tafel der Windesser war schon aufgehoben; von den einschenkenden Jungfrauen tat nur noch eine Dienst.

    Wir setzten uns.

    „Herr Magister“, fragte ich, „wie lange braucht Ihr noch? Möchte Euch mal um Rat fragen.“

    „Hmpf, bin gleich fertig, nur diese noch, dann diese noch, diese noch, diese noch.“ Er lachte fettig. „Nichts für ungut! Wo – mampf – brennt´s denn?“

    „Ich hatte eben ein Gespräch mit dem Oberaufseher über die königlichen Windmühlen. Er meinte, ein schrecklicher Windmühlen fressender Riese nähere sich. Die Erschütterung, die wir gerade spüren, sind seine Schritte.“

    „Des Oberaufsehers.“

    „Nein, des Riesen.“

    „Na und? Was hab ich damit zu tun?“

    „Ich hab versprochen, ihm zu helfen.“

    „Dem Riesen?“

    „Verdammt nochmal! Nein dem Oberaufseher. Der arme Mann steht kurz vor einem Schlagfluss.“

    „Fein! Ein fauler Beamter weniger!“

    „Herr Magister, bitte!“, rief ich.

    Kopf sah mich belustigt an. „Und nun... hmmpf... wisst Ihr nicht weiter. Ihr werdet Euch nochmal um Kopf und Kragen helfen.“

    „Ist es Euer Kopf?“

    „Na schön. Was kann ich für Euch tun?“

    „Ich denke, weil Ihr so gelehrt seid, könntet Ihr mir helfen.“

    Der Magister tat so, als denke er nach. „Hmm... nun ja... lasst mich überlegen... Wisst Ihr was? Schlagt dem Riesen mit Eurer Wunderwaffe doch einfach den Kopf ab!“

    „Herr des Himmels! Kopf, überlegt doch mal, was Ihr da sagt! Einem Riesen, der höher ist als der Turm des Ulmer Münsters, schlägt man nicht so einfach den Kopf ab.“

    „Hmm...nun ja... schlürf... hicks... mampf... ahhh... schluck!“

    „Kopf!“, brauste Gerlind auf, „seid Ihr noch bei Trost?“

    „Herr Magister, wenn ich bitten darf!“

    „Gerne. Also, was schlagt Ihr vor?“

    „Mir fällt nix ein, und, hicks, wo mir nix einfällt, da ist auch nix!“

    Es war nicht zu übersehen, Kopf war sternhagelvoll.

    Ich blickte Gerlind ratlos an. „Was machen wir nun?“

    „Wieso wir? Du!“

    Betrübt stand ich auf und ging nach draußen, an die frische Luft. Jetzt konnte nur noch einer helfen.

    „O Gott, der du im Himmel bist und über Heerscharen von Cherubimen, Seraphimen und anderen Engeln gebietest“, rief ich in die Wolken, „dein Knecht Mundburt braucht wieder einmal deine Hilfe! Die Menschen haben mich verlassen, jetzt steh ich ganz allein da und habe nur noch dich!“ Ich lauschte, denn ein Lärm erhob sich; doch es war nur eine Schar Krähen, die über mich hinwegzogen. „Dir, o HERR, brauche ich nicht sagen, worum es geht“, betete ich mit demütigem Sinn, wie es mich der Monsignore gelehrt hatte, „sende mir also ein Zeichen, aus dem ich erkennen kann, in welcher Richtung die Lösung liegt!“ Auf ein Gelöbnis verzichtete ich, denn die Hilfe Gottes wird nicht durch eitle Gelübde oder weibisches Jammern erfleht, sondern durch tapferes Handanlegen. Das bringt die Dinge ins Lot und zu einem guten Ende. Außerdem hätte ich in diesem Moment nicht recht gewusst, was ich geloben sollte, und zum Nachdenken war keine Zeit.

    Inzwischen hatte ich gelernt, dass der HERR seine Hilfe selten in der Weise gewährt, wie man sie sich erwünscht. Ich rechnete also nicht mit bedeutenden Himmelserscheinungen wie Wetterleuchten, Donner, Blitz, Hagelschlag, Sternschnuppen, Sonnenfinsternis, Blutmond, Blutschnee oder anderen Anzeichen, die den Auguren im alten Rom bei ihren Weissagungen geholfen hatten. Deshalb hielt ich nach einem eher unscheinbaren Zeichen Ausschau, etwa nach einem Feuersalamander, der mir unversehens über den Weg lief, nach einem toten Sperling, der mir auf den Kopf fiel, oder nach dem Kot eines Wolfs, von dem die Alten behaupteten, an seinem Duft könne man erkennen, ob man sich in einem glücklichen oder unglücklichen Lebensabschnitt befinde. Doch wo ich auch hinblickte, forschte, suchte, roch, schnüffelte, wühlte – es war wie verhext, ich fand nicht den kleinsten Hinweis, in welche Richtung ich denken sollte.

    Niedergeschlagen kehrte ich um. Drei Hühner auf einer Stange hielten die geöffneten Schnäbel in den Wind. Plötzlich sprang ein Fuchs hoch, packte eines der Hühner am Hals und verschwand damit hinter einer Hausecke.

    Im Saal saßen Gerlind, der Bürgermeister sowie Herr Mühlenknecht und steckten die Köpfe zusammen: Der Kriegsrat. Bei meinem Eintreten sprang der Oberaufseher über die königlichen Windmühlen auf und kam mir mit ausgebreiteten Armen entgegen. „Ich hielt es nicht mehr in meinem Zimmer aus“, rief er aufgeregt, „ist Euch etwas eingefallen? Habt Ihr einen Plan? Das wäre großartig, ganz großartig!“

    „Leider nein, Euer Liebden.“

    Ich setze mich. „Wo ist denn Kopf?“

    „Der Halunke schläft seinen Rausch aus“, sagte Gerlind.

    „Meine Herren“, sagte ich, „bevor wir hier Trübsal blasen, erzählt mir doch, was Ihr schon gegen den Riesen unternommen habt. Vielleicht hilft das ja meiner geistigen Schwachheit auf.“

    „Nun ja“, fing der Bürgermeister an, „wir haben brennende Fackeln an die Windmühlenflügel gebunden und in Bewegung gesetzt, in der Annahme, dass der Riese wie alle Waldbewohner eine panische Angst vor Feuer hat. Doch er hat die Fackeln einfach ausgeblasen.“

    „Vorletztes Jahr und das Jahr davor“, sagte der Edle, „haben wir ihn mit brennenden Pfeilen beschossen. Doch die Geschosse sind an ihm abgeprallt und haben zusätzlich noch zwei Windmühlen in Brand gesetzt.“

    „Hmm, das hört sich nicht gut an. Wie sieht er denn aus, Euer Riese?“

    „Oh, er ist eine ungeschlachte, lächerliche, hässliche Figur, mit Augen, größer als der Bauch und einem Kopf, breiter als der Körper und mit schrecklich breiten Kinnbacken. Sein fürchterliches Maul ist oben und unten mit mächtigen Zähnen bewaffnet, und sein –“

    „Verzeihung, das meine ich nicht. Hat er etwas Besonderes an sich, womit man ihn packen könnte? Ein lahmes Bein, einen Buckel, ein blindes Auge, ein Magenleiden?“

    „Ha, Magenleiden“, rief der Bürgermeister laut, „wenn er´s bloß hätte! Aber dieser Eisenfresser hat einen Magen wie das trojanische Pferd! Und lahm, blind und buckelig ist er, soweit man sehen kann, auch nicht.“

    „Großartig, ganz großartig habt Ihr das gesagt, Euer Ehren!“, lobte Mühlenknecht, „vielleicht solltet Ihr noch den dunklen Fleck auf seiner Stirn erwähnen.“

    „Ach ja! Auf der Stirn hat er einen dunklen Fleck, aber der wird keine weitere Bedeutung haben. Ein Muttermal eben.“

    Der Magister erschien. „Kinder!“, rief er, „nehmt´s mir nicht übel, aber das musste mal sein. Versteht doch! Hab mich mein halbes Leben von Dünnbier und Grießbrei ernähren müssen –“

    „Schon gut, Kopf, setzt Euch“, sagte Gerlind, „seid Ihr wenigstens wieder klar im Kopf?“

    „Ich denke schon.“

    „Kopf, Kopf? Ich höre immer nur Kopf!“, sagte Herr von Lerchenhorst, „ich verstehe nicht... Hat der Herr keinen Namen?“

    Ich erklärte kurz, was es damit auf sich hatte.

    „Großartig, ganz großartig!“, rief der edle Mühlenknecht, „wieder angenäht! Großartig, ganz großartig!“

    „Herr Magister“, sagte ich, „als ich eben draußen war, flog eine Schar Krähen über mich hinweg, und kurz darauf schnappte sich ein Fuchs ein junges Huhn. Hat das möglicherweise eine Bedeutung?“

    „In welche Richtung flogen die Vögel? Gegen Sonnenauf- oder gegen Sonnenuntergang?“

    „Oha! Darauf habe ich nicht geachtet. Außerdem ist der Himmel bewölkt.“

    „Denkt nach!“

    „Hmmm... Sie flogen auf jeden Fall über mich hinweg, als ich mit dem Rücken zum Rathaus stand.“

    „Also flogen sie in Richtung Sonnenaufgang“, bemerkte der Bürgermeister.

    „Sehr gut! Das bedeutet gutes Gelingen für denjenigen, der genau unter dem Schwarm steht und sich mit einem außergewöhnlichen Vorhaben trägt. Das mit dem Huhn –“

    „Ha, gutes Gelingen! Großartig, ganz großartig!“

    „Mensch, Mühlenknecht, könnt Ihr nicht endlich mal Euer Maul halten?“, polterte seine Ehren, „Euer Gequatsche ist ja unerträglich!“

    „Das mit dem Huhn ist unschwer zu erraten“, fuhr der Magister fort, „es bedeutet, dass jemand bald sterben wird.“

    „Nee, nee, nee, Meister“, zischte Gerlind, „das ergibt doch alles keinen Sinn! Gutes Gelingen und Tod, wie passt das denn zusammen?“

    „Mir fällt gerade ein“, sagte ich, „auf der Stange saßen drei Hühner. Zwei nebeneinander, und eines weiter weg. Sah aus, als gehörte das, welches der Fuchs holte, nicht dazu...“ Eine winziger Lichtpunkt nistete sich in meinem Hirn ein, wurde allmählich größer, nahm schließlich Gestalt an. „Eins zwei drei Hühner“ , murmelte ich, „und das dritte ist tot, eins zwei drei Augen, und das dritte ist rot.“ Der Lichtpunkt strahlte jetzt ganz hell, wie eine Erleuchtung.

    „Geht´s dir nicht gut?“, fragte Gerlind.

    „Wie wehrte sich der Riese, als er unter Beschuss stand?“, fragte ich, ohne auf Gerlinds dumme Frage zu achten.

    „Überhaupt nicht“, antwortete der Bürgermeister. „Wie ich schon sagte, die Geschosse prallten wirkungslos an ihm ab.“

    „Er hielt sich die Faust vor die Stirn“, ergänzte Mühlenknecht kleinlaut.

    „Ha!“, rief ich und sprang auf, „das ist es! Dieser Fleck auf der Stirn des Riesen ist kein gewöhnliches Muttermal, sondern etwas ganz Besonderes. Warum, fragte ich mich, hält er sich bei Beschuss die Faust davor? Jetzt ahne ich es zumindest. An dieser Stelle ist er tödlich verwundbar.“

    „Ha!“, rief der Magister, was ihr da sagt, mein Lieber, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, es könnte sich bei dem Fleck tatsächlich um ein drittes Auge handeln, um ein Stirnauge, das nach Meinung vieler Gelehrter früher alle Menschen und Tiere, die Knochen haben, besaßen, und durch das, wenn es zerstört wird, die Seele entweicht*.“

    Der Bürgermeister setzte sich kerzengerade auf. „Wollt Ihr damit sagen, wenn das dritte Auge des Riesen zerschossen wird, entweicht seine Seele, und er stirbt?“

    „Ja, die Möglichkeit besteht.“

    Mühlenknechts Faust knallte auf den Tisch. „Das ist es!“, rief er, „großartig, ganz großartig!“

    Der Bürgermeister winkte einen der Türsteher herbei. „Bittet sofort den Hauptmann der königlichen Scharfschützen zu mir. Aber dalli!“

    Ich richtete den Blick gen Himmel. „Danke, Herr!“

    __________

    * Noch bis weit ins 19. Jh. wurde die Theorie vertreten, dass die Seele in der Zirbeldrüse sitzt, die sich aus diesem dritten Auge entwickelt haben soll.

    Mundburt besteht auf seinem Willen und entwirft einen Schlachtplan.

    Der Hauptmann war ein ernster mürrischer Kerl, abgemagert bis auf die Knochen; anscheinend schmeckte ihm die Kost nicht, die man ihm hier vorgesetzte. Ich fragte mich, wie dieser Mensch eine Armbrust spannen und halten konnte, wozu doch die geballte Kraft eines durchtrainierten und muskulösen Körpers nötig ist, und erhielt bald darauf eine Antwort, die mich in Erstaunen versetzte.

    „Herr Hauptmann“, sagte der Bürgermeister, „ist die Hornisse einsatzbereit?“

    „Natürlich, Euer Ehren.“

    „Wie heißt Euer bester Scharfschütze?“

    Der Soldat nannte einen Namen, der mir entfallen ist, und lügen will ich nicht. Übrigens, ich vergaß zu sagen, dass das Rumpeln und Stoßen jetzt ziemlich stark war und dem Edlen zu Reuenthal Sturzbäche von Angstschweiß über die Wangen trieb.

    „Ist der Mann zuverlässig?“

    „Aber natürlich! Er schießt Euch auf tausend Schritt den Korken aus einer Flasche, und die Flasche bleibt stehen.“

    „Wo befindet sich der Mann jetzt?“

    „Er hat bereits Posten bezogen.“

    „Gut, ich danke Euch, Herr! Ihr könnt gehen.“

    „Hmmm... ähem...“, ließ sich der Magister vernehmen, „eine Frage, Euer Ehren, wenn Ihr beliebt. Schießen Eure Truppen tatsächlich immer noch mit Bogen und Pfeilen, wo alle Welt doch schon längst Armbrüste gebraucht? Schließlich leben wir im vierzehnten Jahrhundert und nicht im alten Rom.“

    Der Bürgermeister rülpste heftig. „Habe ich Bogen gesagt?“ Er winkte den Türwächter herbei und flüsterte ihm etwas zu. „Armbrüste, lächerlich! Für diesen Riesen bräuchte es eines dieser montierten Geschütze von dreißig Fuß Länge! Viel zu unbeweglich, zu schwer und zu langsam! Wir benutzen eine andere, völlig neuartige Technik. Wartet einen Moment.“

    Von draußen hörte man schwere Schritte, dann schleppten zwei Soldaten ein dickes, eisenbewehrtes Rohr von etwa zehn Fuß Länge herein, das allerlei Hebel und Stangen an sich hatte; ein dritter trug eine Eisenkugel von der Größe eines Straußeneis.

    „Das ist unsere Hornisse“, sagte der Bürgermeister nicht ohne Stolz, „ihr Stich tötet auf tausend Schritt Entfernung einen schwer gepanzerten Ritter. Die Waffe funktioniert folgendermaßen: Mit diesem Hebel wird Luft in die Ladekammer gepresst, die durch eine Nuss zum Rohr hin verschlossen ist. Ist genug gepresste Luft in der Kammer, legt der Ladelschütze das Geschoss ein, und das Ziel wird mithilfe des Korns hier vorne an der Gabel anvisiert. Auf den Ruf 'Schuss frei!' zieht der Hintermann den Abzugshebel, wodurch die Nuss hochgezogen wird und den Wind freigibt*. Der große Vorteil dieser Waffe besteht erstens in ihrer Durchschlagskraft und zweitens darin, dass die Schützen schnell auf Positionsänderungen des Ziels reagieren können. Bei den aufmontierten großen Armbrüsten ist dies nicht so ohne weiteres möglich. – Danke, meine Herren.“ Die Soldaten trabten wieder ab.

    „Trotzdem seht Ihr nicht glücklich aus“, sagte ich, „wo hapert´s denn noch?“

    „Gegen den Riesen hat sich die Waffe bisher als unwirksam erwiesen. Er fängt die Kugeln mit der Hand auf und wirft sie zurück. Schlimmer noch: Als ihn letztes Mal eine an der Stirn traf, brach er in rasende Wut aus und trampelt alles kurz und klein. Wir hatten tausend getötete Krieger und hundert zertrampelte Windmühlen zu beklagen.“

    „Das heißt, wir haben nur einen Schuss“, stellte der Oberaufseher fest, der wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl hing und sich die Stirn wischte.

    „So ist es! Und dieser Schuss muss sitzen!“, bekräftigte der Bürgermeister.

    Wieder erschütterte den Boden ein heftiger Stoß. In diesem Moment flog die Flügeltür auf, und ein Bote erschien. „Euer Ehren!“, keuchte er, „der Riese! Er ist nur noch zehn Schritte von den Windmühlen entfernt!“

    „Den Wagen!“, rief der Bürgermeister, „aber dalli!“

    „Mundburt!“, rief Gerlind plötzlich in heller Aufregung, „wir kehren sofort zum Schiff zurück! Hab keine Lust, mich von diesem dämlichen Riesen zertreten zu lassen!“

    „Das wird schlecht gehen. Ich hab den Leuten Hilfe zugesagt, und was ich verspreche, halte ich auch.“

    „G-großartig, g-g-ganz groß – “, stammelte Mühlenknecht und verstummte unter dem wütenden Blick seiner Ehren.

    „Nein, nein, nein!“, zeterte Gerlind weiter, „du bist doch ein hirnverbrannter Dickschädel! Ich sag dir was: Wann und so oft es dir gefällt, zur Hölle zu fahren oder abzusaufen oder dich tot treten zu lassen, dann bitte schön, aber ohne mich! Pah, nochmal zurück aufs Windmühlenfeld kriegen mich keine zehn Teufel! Wenn´s dir unbedingt gefällt, gut, aber dann such dir eine andere Gesellschafterin! Ich gehe jedenfalls nicht mit! Das steht fest wie eine eiserne Mauer.“

    „Mein Gott, Gerlind, so versteh doch! Ich habe Hilfe –“

    „Welche Hilfe denn, he, du Affenschwanz, wo das Ungeheuer schon zehn Schritte vor der Tür steht?“

    „Es sind immerhin noch zehn Meilen“, beruhigte der Bürgermeister, „dafür benötigt der Riese eine halbe Stunde. Ein so schweres Ungeheuer kann sich wegen seiner Masse nur langsam bewegen. Aber wenn ihr darauf besteht, Jungfer, lasse ich Euch und den Herrn Knappen –“

    „Ha, ho, ha!“, rief ich, „kommt überhaupt nicht infrage! Ich bin mir sicher: Der Schuss trifft, so wahr mit Gott hilft! Aber bitteschön, wenn du unbedingt zurück aufs Schiff willst, ich halte dich nicht!“

    „Blah, blah, blah! Du bist und bleibst ein Arschloch!“

    „Herr Bürgermeister“, sagte ich, ohne weiter auf Gerlinds Getöse zu achten, „lasst sofort alles Kriegsvolk abziehen, die Windmühlen bis auf eine anhalten und um diese herum möglichst viele Fackeln setzen. An die Flügel dieser einen Mühle lasst Ihr ebenfalls Fackeln anbringen. Das Geschütz soll, den Blicken des Riesen verborgen, vor dieser Mühle in Position gehen. Und nun auf in die Schlacht!“

    ________

    * Sollten die Windesser bereits das Luftgewehr erfunden haben? Verwunderlich wär´s nicht.


    Mundburt erweist sich als bissig und erhält den versprochenen Lohn.

    Als wir auf dem Mühlenfeld ankamen, hatten die Krieger bereits ihre Stellungen verlassen. Der Bürgermeister und ich stiegen aus und gingen zur Geschützstellung; Kopf und Gerlind fuhren zu dem Höhenzug zurück, auf dem wir schon einmal gestanden hatten, und von dem aus sie das Geschehen beobachten und sich nötigenfalls in einen Fluchttunnel retten konnten.

    Vor besagter Mühle waren zehn Männer dabei, in einer Entfernung von hundert Schritt einen Erdwall aufzuschichten, hinter dem sich die Soldaten mit der Hornisse verbergen konnten. Vom Riesen war jetzt weder etwas zu sehen noch zu spüren; der Bürgermeister meinte, das sei bisher immer so gewesen, der Riese warte ab, bis es vollständig dunkel sei.

    Der Erdwall war nun fertig, die Männer, die Schaufeln geschultert, zogen ab, das Geschütz wurde in Stellung gebracht. Nun hieß es abwarten.

    Ich blickte nach oben, in den wolkenverhangenen Himmel. Ganz weit hinten, über dem Horizont, lag ein heller Streifen, in den ein wüster Berg hinein ragte. Der Bürgermeister schaute in die gleiche Richtung.

    „Ist er das?“, fragte ich.

    „Ja, das ist er.“

    Weil mir vor Ungeduld die Zeit lang wurde, fragte ich den Bürgermeister, warum er hier das Kommando habe, ob es in seinem Land keine Generale gäbe.

    „Die Generalität ist abgeschafft“, sagte er, „fressen viel und verlieren aus Dusslichkeit eine Schacht nach der anderen. Wenn ich nur an diese Sache mit den Sturmpfeilen denke, schwillt mir jetzt noch die Milz. Lässt sich doch der Obergeneral Sturmpfeile von einer deutschen Rüstungswerkstatt andrehen, die bei Hitze krumm werden und um die Ecke fliegen, hahaha! Na ja, ich will nicht übertreiben, nicht um die Ecke, aber auch nicht ins Ziel. Oha!“ Seine Ehren sah mich verlegen an. „Ähem... Ich wollte Euch nicht beleidigen, lieber Herr. Ihr kommt doch aus Deutschland, oder irre ich mich da?“

    „Ihr irrt Euch keineswegs ganz, nur etwas. Sagen wir mal so: Ich komme aus Schwaben, doch diese Waffen machen die Westfalen. “

    Hinter uns raschelte es: Kopf und Gerlind.

    „Was zum Teufel wollt ihr denn hier?“, rief ich.

    „Bruder!“, rief der Magister, „mein linkes Eichen, mein Augenstern, mein Wohltäter, hielt es dahinten nicht mehr aus, erstens, weil mir schlecht war, zweitens, weil es mir schlecht ging, drittens, weil die Welt schlecht ist. Höre mich an, mein tapferer Ritter in spe, höre, was ich dir ins rechte Ohr flüstere: Ich schwöre, ich beeide, ich gelobe –“

    „Kopf! Wenn Ihr solche Angst habt, warum seid Ihr nicht in der Etappe geblieben?“

    „Ach ach ach, nehmt´s mir nicht übel, mein Homer, mein Horaz, mein Hosenlaatz... musste Euch sehen, Eure Stimme hören, musste –“

    „Wenn Ihr nicht sofort mit dem Unsinn aufhört, beiße ich Euch das rechte Eichen ab!“, rief ich. Allem Anschein nach stand der Magister wieder einmal aus Angst kurz vor dem Wahnsinn. „Und du, Gerlind, du meine eierlose Vorspeise, was treibt dich her?“

    „O, du Bube, du herziger Hosenhalter, du knalliger Knappe mit knatternder Kappe, o sage doch, du sauberes Bürschchen, was plagt dich, du mageres Menü, dass du den Mund so voll nimmst? Mit welchem Recht schiltst du mich eine eierlose Speise, du kackfrecher Knabe –“

    „Wenn ihr nicht sofort verschwindet!“, brüllte ich, „lasse ich euch –“

    Der Rest des Satzes wurde von einem gewaltigen Getöse überdeckt, die Erde bebte, und ein schwarzer Schatten wuchs hinter dem Mühlenfeld empor.

    „Die Fackeln anzünden!“, rief der Bürgermeister, „Geschütz klar machen zum Schuss! Aber dalli!“

    Noch viermal bebte die Erde, dann stand der Zyklop schnaubend, prustend und tosend vor uns; ein Gebirge aus Haut, Leder, Haaren und Wut. Wenn er ausatmete, toste ein Orkan durch die Luft.

    Der Riese, offensichtlich verwirrt durch die lodernden Fackeln und die brennende Mühle, oder auch fasziniert durch den ungewohnten Anblick, verharrte eine Weile unbeweglich, dann hörte man ein Ächzen, Stöhnen und Knarren: Der Riese packte den himmelhohen Stamm einer Fichte, der ihm als Gehhilfe diente, fester und ließ sich auf die Knie nieder. Mit der Faust vor der Stirn blickte er sich um; da er das Feld frei von Angreifern fand, beugte er sich weiter vor, wobei er sich beidhändig abstützte. Deutlich war das dritte Auge zu erkennen.

    „Fertigmachen zu Schuss“, flüsterte der Bürgermeister den Soldaten zu.

    Jetzt, im Fackelschein, konnte man sehen, wie hässlich der Riese war, viel hässlicher, als ihn der Mühlenwächter geschildert hatte. Aus seinen Nasenlöchern tropfte zäher Schleim, und an seinen Mundwinkeln hing blasiger Schaum. Über dem schwarzen, fast zugewachsenen Gesicht, in dem die wagenradgroßen Augen böse funkelten, lag, wie Drachengezücht, ein wüster Haarschopf. Sein Maul glich einem Höllenrachen, die Zähne denen eines wütenden Ebers. Die Füße dieses Ungetüms waren mit Morast beschmiert, mit Nägeln so lang wie die Krallen der Harpyien*. Und der Körper, von zottigen Haaren bedeckt, war über alle Beschreibung scheußlich, sodass ich es erst gar nicht versuche.

    Der Riese zog die Luft ein, was endlos dauerte, spitzte er seine gewaltigen, rissigen Lippen, dann beugte er sich weiter vor. Anscheinend wollte er die Fackeln auspusten.

    „Schuss!“, rief der Bürgermeister.

    Der Pfeil beschrieb einen flachen Bogen und drang in das dritte Auge ein. Mit wütendem Gebrüll riss der getroffene Gigant den Pfeil heraus, erhob sich und drosch wie besessen mit dem Fichtenstamm auf die Fackeln ein, die wie feurige Kometen durch die Luft flogen. Plötzlich hielt er inne, ließ ein gewaltiges UUAAAHHHH hören und sackte kraftlos zusammen; sein Sturz erschütterte die Erde wie ein Beben.

    *

    Der Bürgermeister hielt Wort. Der Ritterschlag erfolgte nur wenige Stunden später, in Anwesenheit der königlichen Garde, des Stadtrates und einer unübersehbaren Menschenmenge, die mir begeistert zujubelte.

    Wieder höre ich die Worte, die er sprach, als er mir den Schwertstreich gab:

    „Zuo gotes unde Marien er,

    diesen slac und keinen mer!

    wis küene, biderbe und gerecht;

    bezzer ritter denne knecht!“

    Zum Abschied schenkte er uns ein Fass mit Wind – für alle Fälle –, und reichlich Proviant. Bevor er von Bord ging, empfahl er uns mit eindringlichen Worten den Besuch der Nachbarinsel. Dort würden wir Dinge erleben, wie sie in den kühnsten Träumen nicht vorkämen.

    ________

    * Geflügelte Todesgöttinnen

    ***

    Was sagt Ihr, Schreiber? Keine Dinte mehr im Topf? Dann hurtig auf und nachgefüllt! Das Beste kommt noch!

    Forts. folgt

    Mundburt erhält seine wohlverdiente Belohnung.

    Doch zunächst sah es nicht danach aus.

    Nachdem alle Werwölfe weggebracht waren, kam der Bürgermeister an Bord und lobte unter dem lebhaften Beifall der Ratsherren, dass ich zu meinem Wort gestanden und für ein Ende ihres Windmangels gesorgt hätte. „Man trifft nicht alle Tage auf solch einen Recken“, sagte er, „der den Mut für ein derart gewagtes Unternehmen hat“; er danke Gott, dass wir wohlbehalten zurückgekehrt seien und so weiter und so fort. Bei dieser Rede, die er in überschwängliche Worte kleidete, rülpste er mehrmals kräftig, wodurch er seine Zufriedenheit ausdrückte; auch die Ratsherren taten ein Gleiches. Dann führte er uns zurück ins Rathaus, in die Ratsdörnse°, an deren Wänden Spiegel aus glattem poliertem Silber hingen.

    „Und nun, lieber Herr“, sagte er, „Eure wohlverdiente Belohnung!“ Er ging auf einen Tisch zu und tat so, als nehme er etwas auf. Das machte er noch zweimal, dann trat er lächelnd auf mich zu.

    In diesem Moment war mir, als berührten meine Hände und Beine kaltes Metall, und meine Schultern fühlten sich an, als trügen sie eine schwere Last.

    „Herr, was soll das?“, stotterte ich verblüfft.

    „Ihr tragt Harnisch, Schwert und Schild, die versprochene Belohnung. Auch wir stehen zu unserem Wort!“

    „Wie, was...Ich sehe nichts!“

    „Das könnt Ihr auch so ohne weiteres nicht. Die Waffen bestehen aus geschmiedetem Wind.“

    O du Satansbraten!, dachte ich, willst mich wohl hereinlegen! Ich liefere echte Werwölfe, und du, ha, belohnst mich mit geschmiedetem Wind! Na warte, Freundchen, ich hetzt dir den Riesen auf den Hals! – Andrerseits, meine Lieben, hätte ich von einem Windesser etwas anderes erwarten können? Der Fehler lag eindeutig bei mir.

    Was ich dachte, sprach Gerlind aus. „Hoho, Euer Merkwürden!“, rief sie aufgebracht, „was soll der Unsinn? Nee, nee, nee...Entweder Ihr rückt mit den Sachen heraus, oder ich –“

    „Warum so unhöflich, Jungfer?“, sagte der Bürgermeister und furzte kräftig, wodurch er seinen Unmut zum Ausdruck brachte, und auch die Herren des Rates taten ein Gleiches, „Herr Knappe, blickt gefälligst in den Spiegel! Setzt aber vorher diese Gläser auf Eure Nase.“

    Er übergab mir einen gebogenen Metallbügel, an dem zwei rund geschliffene Gläser befestigt waren (ein Beryllium, die Erfindung des Arabers Alhazam*, wie ich später erfuhr).

    Indem ich das Beryllium** aufsetzte, ging ich auf einen der silbernen Spiegel zu.

    Verblüfft blieb ich stehen.

    Hei, welch einen entzückenden Ritter erblickte ich da! Schlank von Wuchs, wohlgebildet und angenehm in seinen Bewegungen! Und gar der köstliche Kürass, der Ringkragen, die Arm- und Beinschienen, nicht weniger hell poliert als der Spiegel und mit Gold eingelegt, dann der Schild, rund und leuchtend wie der volle Mond. Der Ritter trug keinen Helm, sondern einen großen grauen Hut, mit vielfarbigen Federn geziert und auf wallonisch gestutzt. Um seine in weite Schweizerhosen gehüllten Hüften hing an einem reich verzierten Wehrgehänge ein breites Schlachtschwert. In diesem Aufzug glich er dem Kriegsgott, dann wieder, wegen seiner Schönheit, kam er mir wie der Liebesgott Amor vor, der sich, um Ares einen Streich zu spielen, in kriegerische Waffen geworfen hatte.

    Ich hob den Schild hoch – auch der Ritter in der Wand hob den Schild hoch. Winkelte das rechte Bein an – auch der Ritter in der Wand winkelte das Bein an. Grinste ihn an – er grinste zurück. Streckte die Zunge heraus – er streckte die Zunge heraus. Kein Zweifel, was ich da sah, war mein Spiegelbild.

    Ich nahm den Bügel mit den Gläser ab, der mir die Nase kniff, und blickte zu Gerlind und den anderen, um in ihren Augen Bewunderung zu lesen. Doch nichts dergleichen sah ich, höchstens mokantes Lächeln. Als ich wieder in den Spiegel blickte, war der Ritter verschwunden. Vor mir stand, in schlechter Haltung und noch schlechterer Kleidung, ein magerer Jüngling mit flaumig-flockigem Kinn. „Zum Teufel!“, rief ich verärgert, „Herr Bürgermeister, was soll das?“

    „Setzt das Beryllium wieder auf!“

    Ich setzte es wieder auf – und siehe da, der der Ritter im Spiegel stand wieder vor mir.

    Inzwischen waren Kopf und Gerlind näher getreten.

    „Darf ich auch mal?“, sagte Gerlind und nahm mir die Gläser von der Nase. Dabei glitten sie ihr aus der Hand, fielen zu Boden und zerbrachen.

    „Da habt Ihr was Schönes angerichtet, Jungfer“, brummte der Bürgermeister verdrossen, „dieses Beryllium gibt es nicht ein zweites Mal!“

    „Ist denn jetzt alles weg?“, fragte Gerlind kleinlaut.

    „Nein, Harnisch, Schild und Schwert bleiben dem tapferen Helden, aber Ihr könnt sie nicht mehr sehen.“

    „Aber ich spüre sie noch!“, rief ich, „auch wenn ich sie nicht mehr sehe! Gerlind, mein Täubchen, gräm dich nicht! Unsichtbare Waffen sind nicht mit Gold aufzuwiegen!“

    Mir war nämlich klar geworden, welche Möglichkeiten in dieser Ausrüstung steckten. Ich konnte auf dem Schlachtfeld in voller Montur auftreten und doch dem gewöhnlichen Auge unbewaffnet erscheinen.

    Jetzt interessierte mich natürlich brennend, ob das Schwert traf, ob der Schild Geschosse abhielt, ob der Kürass Sicherheit bot. Denn der Wind ist bekanntlich ein unzuverlässiger Geselle.

    Und dann war da noch die Frage, wie würde ich die Waffen wiederfinden, wenn ich sie abgelegt hätte?

    __________

    ° Prunksaal. * An anderer Stelle schreibt der Verf. diese Erfindung einem Italiener zu. Wie so oft wurden bedeutende Erfindungen wie diese von mehreren Erfindern gemacht ** Im Mittelalter bestand das Glas dieser optischen Geräte aus Beryllium (daher der Name Brille).

    Mundburt zerhaut eine Sau und eine Bank.

    „Euer Wohlgeboren“, sagte ich, „wer garantiert mir, dass das Schwert auch trifft, dass der Schild auch Geschosse abhält, dass der Kürass auch Sicherheit bietet?“

    „Ich!“

    Der Bürgermeister klatschte in die Hände. „Bringt die Sau!“

    Zwei Ventivoren schoben eine Bank herein, auf der eine tote Sau lag, ihr mächtiger Schädel hing über das Bankende hinaus.

    „Nehmt Euer Schwert und schlagt der Sau den Kopf ab!“

    Ich hob das Schwert, ließ es niedersausen – der Kopf fiel.

    „Wenn Ihr wollt, Herr Knappe, könnt Ihr jetzt Sau und Bank zerhauen!“

    Ich hob das Schwert, ließ es niedersausen – der Körper der Sau und die Bank zerfielen in zwei Teile. Es war ganz leicht gegangen, wie durch Butter.

    „Fantastisch!“, rief ich, „eine Wunderwaffe!“

    „Freilich“, sagte das Stadtoberhaupt und rülpste zufrieden, „es gibt nichts, was schärfer trifft, nichts, was besser schützt, nichts, was mehr Sicherheit verleiht als geschmiedeter Wind.“

    „Ich verzichte auf weitere Proben“, sagte ich. „Nur, wie finde ich das Schwert wieder, wenn ich es abgelegt habe? Jetzt, wo das Beryllium kaputt ist.“

    Seine Ehren warf Gerlind einen scheelen Seitenblick zu. „Dafür gibt es gottseidank einen Ersatz!“ Er winkte, und ein würdiger Greis mit einem Silbertablett, auf dem eine ebenfalls silberne Kapsel lag, trat heran. Der Bürgermeister forderte mich auf, die Kapsel zu öffnen. Darin lag ein polygonal geschliffener durchsichtiger Stein.

    „Reinstes Marienglas“, erklärte er, „das in dieser Form eine ähnliche Wirkung hat wie das Beryllium. Nehmt den Stein, tretet vor den Spiegel und schaut hindurch.“

    Vorsichtig nahm ich die kantige Perle mit zwei Fingern heraus, trat vor den Spiegel und schaute hindurch.

    Wieder stand da der Ritter, aber oha!, dreimal, viermal, fünfmal, in jeder Kante einer, allerdings nicht größer als eine Fliege.

    Der Bürgermeister war hinter mich getreten und sagte: „Der Kristall entwirft sieben Bilder. Nach jedem Hieb mit dem Schwert erlischt eines davon. Nach dem siebten Hieb ist er blind, und Ihr werdet Euer Schwert nicht wiederfinden. Also überlegt genau, bevor Ihr zuschlagt!“

    „Wahrlich“,sagte der Magister so laut, dass es im ganzen Saal zu hören war, „ein guter Trunk und eine Schüssel fetter Kuddeln wäre mir lieber als jede Wunderwaffe! Mein Dudelsack von Magen spielt schon wieder verrückt. Die Expedition war doch reichlich kräftezehrend.“

    Der Haus-Und-Hof-Meister trat hervor. „Euer Liebden, dafür ist gesorgt“, sagte er mit einladender Handbewegung, „kommt bitte!“

    Er führte uns in den schon bekannten Saal, in dem bereits aufgetischt war, allerdings an zwei Tischen. Die einschenkenden Jungfrauen standen hold lächelnd bereit.

    Zwei der Schönen traten auf mich zu. „Herr Knappe, wollt Ihr nicht ablegen?“, säuselte die eine, „in voller Montur isst und trinkt es sich schlecht!“ Ohne meine Antwort abzuwarten knieten sie nieder; ich fühlte, wie sich das Metall von meinen Schenkeln löste – die eine der Schönen nahm mir die Beinschienen ab, die andere den Schild; schließlich traten sie hinter mich und begannen die Riemen des Kürass zu lösen; kurz darauf konnte ich freier atmen, denn das Stück hatte meine Brust doch stark eingeengt. Schließlich legten sie alles auf einem Tisch mit Löwenfüßen ab.

    Der Bürgermeister bat uns Platz zu nehmen, und ein fröhliches Schmausen und Zechen begann. Diesmal sah man uns jedoch nicht beim Essen zu, sondern man aß selber, aber auf eine Weise, die ich euch unbedingt erzählen muss.

    Auf dem Tisch des Stadtrates standen zwölf kleine Windmühlen – gemäß der Anzahl der Mitglieder, wobei eine etwas größer war als die anderen, nämlich die vor dem Bürgermeister, dessen Bauchumfang auch größer war als der der anderen Mitglieder des Rates. Die Mühlen waren nach der Art gebaut, wie wir sie draußen gesehen hatten, nur besaßen sie statt der Wolfskäfige Laufräder für Hamster. Der Küchenmeister klatschte in die Hände, die Hamster rannten los, die Windmühlen drehten sich, und die Ratsleute begannen mit sichtlichen Vergnügen den Luftzug einzuatmen, wobei sie immer wieder „köstlich“, „ganz ausgezeichnet“, „Herr Küchenmeister, wo habt Ihr diesen Wind her?“ und Ähnliches riefen. Wünschte einer etwas zu trinken, winkte er eine der Hübschen herbei, die ihm mit einer kleinen Gießkanne einschenkte. Der Magister, der dies beobachtete, murmelte: „T, t, t... Wein aus der Gießkanne... Ideen haben die Leute!“

    „Wenn es mal Wein ist“, sagte Gerlind, „ich denke, so wie diese Leute gestrickt sind, wird´s wohl Wasser sein. Denn wer Wind isst, wird sicherlich Regen trinken.“

    Mundburt verteidigt sein Schwert und beruhigt einen durchgedrehten Hofbeamten.

    Mitten in der schönsten Schmauserei sagte Gerlind: „Ich glaub´s nicht.“

    „Was glaubst du nicht, mein Täubchen?“

    „Verdammt nochmal! Nenn mich doch nicht immer Täubchen! Ich heiße Gerlind!“

    „Gut, mein Täu – mein Gerlindchen, was glaubst du nicht?“

    „Ich glaub nicht, dass die Hiebe echt waren. Die Sau und die Bank waren präpariert. Das ganze war eine hirnverbrannte Pantomime.“

    „Himmel, nicht so laut! Der Bürgermeister ist sowieso schon schlecht auf mich zu sprechen.“

    „Ach nee! Weswegen denn?“

    „Er meinte, den letzten Hieb hätte ich nicht tun sollen. Er mag keine Haudegen.“

    „Ich übrigens auch nicht. Wie man sich doch in einem Menschen täuschen kann. Mir schien er eher einer von der Sorte, die ganz scharf essen.“

    „Wie soll er das denn bei seiner Nahrung machen?“

    „Werd bitte nicht albern! Du weißt genau, was ich meine!“

    „Aber die Hiebe waren echt! Als ich das Schwert hob, war der Hals der Sau unversehrt, und als ich es niedersausen ließ –“

    „Ich habe übrigens dasselbe gedacht wie Ihr jetzt, Jungfer“, mischte sich der Magister ein, „man kennt dergleichen Possen ja zur Genüge vom Jahrmarkt. Deshalb habe ich mir, als der Bürgermeister den Herrn Knappen zum zweiten Hieb einlud, hmmm... habe ich mir Sau und Bank genau angesehen und konnte nichts Verdächtiges erkennen. Allerdings wundere ich mich etwas, dass –“, Kopf hielt einer schönen Schenkin seinen leeren Becher hin – „dass der Hieb – danke, Mamsell, äh, was wollte ich sagen... ach ja... Ich wollte sagen, ich wunderte mich etwas, dass der zweite Hieb so glatt durchging. Den ersten, gut...hmpf... den glaub ich noch, obwohl, wie wir wissen, mancher Henker schon beim Abtrennen eines Menschenkopfes so seine liebe Not hat, und ein Schweinenacken ist noch eine Nummer fester. Aber der zweite Hieb lässt doch, ahhh, einige Zweifel aufkommen. Sau und... mmmpf... und Bank aus Eichenholz auf einen Streich – nee, meine Herren, da ist was oberfaul.“

    „Nichts ist da oberfaul“, rief ich, „ich lass mir doch nicht von euch Narren mein Schwert schlecht reden! Es ist eben eine Wunderwaffe! Ich bin zwar nicht so gelehrt wie Ihr, Herr Magister, und kenne mich in der Antike nicht aus, aber mein Vater hat mir mal vom Schwert Alexanders erzählt, das auf einen Streich so und so viele Feinde... kurz und überhaupt: Solche Wunder-Waffen hat es schon immer gegeben, und es wird sie auch in Zukunft geben! Amen!“ Wütend stand ich auf und verließ den Saal, denn ich sehnte mich nach frischer Luft.

    „Großartig, junger Herr, ganz großartig!“

    Ich drehte mich um. Ein Mann in der Robe eines königlichen Beamten kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. „Großartig, junger Herr, ganz großartig!“, rief er schon von Weitem, „ich kam zufällig vorbei, da hörte ich Eure Worte. Ihr habt Euch nicht nur mit dem Schwert großartig geschlagen, sondern auch mit dem Mund! Ich kann nur wiederholen: Großartig, ganz großartig!“ Etwas außer Atem ergriff er mit beiden Händen die meine und drückte sie kräftig. „Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen, junger Herr. Mein Name ist Neidhardt Mühlenknecht, Edler zu Reuenthal, Oberaufseher über die königlichen Windmühlen. Großartig, ganz großartig! Allerdings verstehe ich nicht, wie der Stadtrat bei dieser Lage –“ Er unterbrach sein Geschwätz und lauschte – „Da! Hört Ihr es? Wie es rumpelt und stößt? Spürt Ihr das Beben? Es sind die Schritte des Ungeheuers! Es sind die Schritte des Riesen, des Titanen! Er ist bereits unterwegs!“

    Tatsächlich verspürte ich unter den Füßen ein leichtes Beben, als wenn in der Nähe ein Hammerwerk arbeitete.

    Gerlind erschien in der Tür. „Mundburt, nun nimm doch nicht gleich alles – oh, ich störe wohl!“

    „Nein, Ihr stört keineswegs, schöne Frau!“, kam mir Herr Neidhardt zuvor, „ist der vortreffliche Herr Euer Bräutigam oder sogar der Herr Gemahl? Großartig, ganz großartig! Ich war gerade dabei, dem jungen Herrn zu erklären – da, schon wieder, spürt Ihr´s auch, schöne Frau? Das Rumpeln und Stoßen? Ich verstehe nicht, wie der Stadtrat bei dieser Lage –“

    „Lieber Mann“, unterbrach ich ihn, „worum geht es denn?“

    Die Miene des Oberaufsehers wechselte schlagartig von angestrengt heiter nach ehrlich zerknirscht. „Es geht um den Bestand der königlichen Windmühlen“, grumelte er trübselig. „Ich weiß mir keinen Rat mehr, und der Rat weiß auch keinen. Seine Majestät macht mir die Hölle heiß. Wenn nicht bald irgendetwas passiert, bin ich mein Amt los und kann Hamster füttern. Ähem... Wie mir seine Ehren sagte, wäret Ihr möglicherweise bereit, den Riesen –“

    „Ach, Ihr meint dieses Windmühlen fressende Ungeheuer! Ja, ich wäre möglicherweise –“

    „Großartig, ganz großartig! Lieber Herr, Ihr seid meine letzte Hoffnung! Habt Ihr schon einen Plan?“

    „Ehrlich gesagt, noch nicht. Aber irgendetwas wird mir schon einfallen.“

    „Großartig, ganz großartig! Herr, denkt nach, denkt gründlich nach, die Zeit drängt!"

    „Wie viel Zeit bleibt denn noch?“, fragte Gerlind.

    Der königliche Beamte rang die Hände. „Keine, schöne Frau!“, rief er bestürzt, „so gut wie keine! Heute um Mitternacht ist es wieder so weit! Ich weiß mir keinen Rat mehr, und seine Majestät –“

    „Und warum kommt Ihr erst jetzt damit?“

    „Ach, ach , ach, es ist nicht so, wie Ihr denkt, schöne Frau! Der Riese ist unberechenbar! Manchmal rührt er sich ein Jahr nicht, und dann... Eines Tages wacht er auf, schüttelt sich, dass es über dem Land Steine und Eisschollen regnet, und dann macht er sich mit riesigem Hunger auf den Weg.“

    „Wo lebt er denn?“, wollte ich wissen.

    „In einem Wald hinter dem Großen Bären, ja, das ist ein Berg, der wegen seiner Form so heißt. Dort liegt er in einem Tal und schläft die meiste Zeit.“ Der Beamte wischte sich die schweißbeperlte Stirn

    „Lieber Herr Mühlenknecht“, sagte ich, „beruhigt Euch doch! Müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn ich Euch da nicht heraushelfen kann. Ein Ungeheuer! Pah! Hab schon achtundzwanzigtausend ein halb zerhauen, und da wär´s doch gelacht, wenn ich den neunundzwanzigtausendsten nicht auch noch bezwingen könnte! Allerdings, davor steht eine Kleinigkeit... Der Herr Bürgermeister machte so eine Andeutung... Nun ja... Er meinte, ein Ritterschlag –“

    „Großartig, ganz großartig! Ein Ritterschlag? Aber ja doch! Den hättet Ihr Euch dann wahrlich verdient!“

    Der Bürgermeister erschien. Mühlenknecht lief ihm aufgeregt entgegen.

    „Herr Bürgermeister, ich verstehe nicht, wie der Stadtrat in dieser Situation... ähem... ich meine –“

    „Herr, nun lasst mal die Kirche im Dorf! Schließlich können wir unsere Gäste nicht unbewirtet ziehen lassen. Ich nehme an, Ihr besprecht gerade mit dem Herrn Knappen das weitere Prozedere in der causa Riese.“

    „Großartig! Genau so ist es, Euer Ehren, genau so ist es! Allerdings, davor steht eine Kleinigkeit“

    Der Bürgermeister machte ein verdrießliches Gesicht. „So?“

    „Der Herr Knappe erwähnte, Ihr hättet ihm im Falle des Gelingens –“

    „Ach das meint Ihr! Natürlich, natürlich! Werde sofort diesbezüglich alles Notwendige veranlassen!“ Zu mir: „Nur sputet Euch, lieber Herr, sputet Euch! Viel Zeit bleibt nicht mehr!“ Der Bürgermeister verbeugte sich knapp und ging.

    Mühlenknecht sah mich mit schwarz umrandeten Augen niedergeschlagen an. „Was meint Ihr, werdet Ihr es schaffen?“

    „Denke schon. Ich pflege gute Beziehungen zu einem Herrn, der weiter oben wohnt, und der mir schon mehrmals geholfen hat. Allerdings, versprechen kann ich es nicht. “

    „Großartig, ganz großartig! Habt Dank, lieber Herr, habt heißen Dank!“ Wieder drückte mir Mühlenknecht beidhändig die Hand. „Ach, ist das großartig, ganz großartig! Wann darf ich mit einem Ergebnis Eurer werten Überlegungen rechnen?“

    „Hmm... Kann ich so genau nicht sagen...Wo seid Ihr denn zu erreichen?“

    „Hier im Rathaus Zimmer dreitausendachthunderteins, siebente Etage, zehnter Flur rechts! Wenn Euch der Gang dahin zu mühsam erscheint, schickt einen Boten! Also dann, bis dahin! Ich warte, ich harre, ich brenne!“ Er verbeugte sich vor Gerlind. „Meine Verehrung, schöne Frau! Ihr habt einen großartigen Gemahl!“ Dann vor mir. „Wenn Ihr Menschen in Werwölfe verwandeln könnt, lieber Herr, dann werdet Ihr bestimmt auch mit einem Riesen fertig! Und grüßt diesen hohen Herren von mir!“

    Er drehte sich um, wischte sich die schweißbeperlte Stirn, wobei er heftig Wind abließ, und ging. Dabei rief er immer wieder: „Großartig, ganz großartig! Ein Ritterschlag für einen erlegten Riesen! Großartig, ganz großartig! Ein Ritterschlag für –“

    Forts. folgt


    Mundburt besucht die Insel der Wolfsmenschen und erlebt, wie man aus einem Schneider Most presst.

    Gut genährt und gut getränkt bestiegen wir die Karavelle, die schon am Hafen für uns bereit lag. Auf dem Heck stand das Fass, das für den nötigen Wind sorgen sollte, denn wieder einmal regte sich über dem spiegelglatten Meer kein Lüftchen. Ich übernahm das Ruder, Gerlind und Hund ergriffen die Leinen, der Magister öffnete das Spundloch; der Wind schoss zischend heraus und blähte die Segel.

    „Seltsame Leute, diese Windesser“, murmelte Gerlind, „hätte nicht geglaubt, dass man von Wind satt werden kann.“

    „Ob sie satt werden, weiß ich nicht, da müsstet Ihr mal jemanden fragen“, erwiderte der Magister, „aber sie vermitteln durchaus den Anschein ganz normaler Menschen: Sie sprechen, sie bewegen sich, sie prügeln sich...“

    „Ja schon“, wand ich ein, „aber ich bezweifele, dass sie zu ausdauernder Arbeit fähig sind. Wir haben es doch gesehen! Viele Windmühlen stehen still, weil es ihnen an kräftigen Kerlen mangelt, und sie müssen... wie soll ich sagen... sie sind auf Gastarbeiter angewiesen. Die Kraft, die Lebenskraft ist es, die ihnen fehlt.“

    „Nicht unbedingt“, widersprach Kopf, „aus der Bewegung, die in einem Wind steckt, kann durchaus ein Mensch seine Lebenskraft beziehen. Ich für meinen Teil halte diese Ernährungsweise überhaupt für die angenehmere. Flüssige und feste Nahrung führen doch, unter uns gesagt, nur dazu, dass der Esser ständig pissen, scheißen, zuweilen sogar kotzen muss und eine Menge Arschlappen und sonst was beschmutzt. Das alles fällt bei ihnen weg.“

    „Und der lästige Abwasch auch“, meinte Gerlind. „Andererseits kann einem dieses ständige Furzen, Rülpsen und Niesen ganz schön auf die Nerven gehen.“

    „Was soll´s“, sagte der Magister, „die Winde müssen raus, sonst geht es einem noch wie diesem verschämten Kurienkardinal, der aus Angst, der heilige Vater könnte ihm einen Furz übelnehmen, diesen unterdrückte und daran starb.“

    „Aber die Fürze und Rülpser der Windesser stinken wenigstens nicht!“, feixte Gerlind, „im Gegensatz zu euren!“

    Bald näherten wir uns dem Ufer von Lykanthropon; ich befahl, abseits des Hafens, der sich backbord zeigte, und in gehöriger Entfernung vom Strand, Anker zu werden. Sobald das Schiff festgelegt war, ließen wir das Beiboot zu Wasser, und Gerlind, Kynos sowie meine Wenigkeit ruderten an Land. Kopf, der sich geweigert hatte, sein Leben für einen „Schnepfendreck“, wie er sagte, zu riskieren, blieb an Bord zurück.

    Wir machten das Beiboot fest und gingen den Strand hoch. Zunächst war nichts Interessantes zu sehen, abgesehen von einem rasierten Stachelschwein, einem hornlosen Einhorn und einem Chamäleon, das bei unserm Anblick die Farbe verlor. Der Weg war beschwerlich, mit spitzen Steinen und Felsbrocken übersät; rechts und links wuchsen Dornsträucher und einzelne seltsam knorrige Bäume. Fast schien es, als sei die Gegend darauf angelegt, Fremde abzuschrecken.

    „Ich bewundere Euren Mut“, begann Kynos nach einer Weile, „Ihr wollt reißende Tiere fangen, und zieht doch ohne jede Bewaffnung aus.“

    „Mitnichten“, entgegnete ich, „ich bin bewaffnet, doch Ihr könnt es nicht sehen.“

    „Aha, Ihr habt die Waffen versteckt! Doch wo, lieber Herr, wenn ich fragen darf, wo? Eine Pike passt unter kein Wams, ein Schwert in keine Hosentasche!“

    „Da mögt Ihr wohl Recht haben.“

    „Knurr! Also wo?“

    „Das würd ich auch gerne wissen“, meinte Gerlind.

    „In meinem Kopf.“

    Die beiden sahen mich von der Seite an; in ihren Blicken lagen deutliche Zweifel an meiner Zurechnungsfähigkeit.

    Schweigend gingen wir weiter.

    „Herr Hund“, sagte ich nach einer Weile, „auch ich hab da mal eine Frage, wenn´s recht ist. Was hat Euch dazu bewogen, diese Expedition mitzumachen, denn ungefährlich ist die Sache nicht. Das Großmaul Kopf war ums Verrecken nicht dazu bereit, also, Missjö, warum gerade Ihr? Und, sagt´s nur frei heraus, wenn Ihr umkehren wollt, ich würd´s Euch nicht übel nehmen. Werde schon allein klar kommen.“

    „Ach! Mich zählst du wohl überhaupt nicht!“, kodderte Gerlind.

    „Aus Dankbarkeit, Herr!“, rief Kynos, „Ihr habt mir das Leben gerettet, und ich brenne darauf, wenn es nötig sein sollte, an Euch ein Gleiches zu tun, und wenn ich dabei verrecken müsste! Außerdem bin ich auch nicht ganz wehrlos! Wenn Ihr mir ins Maul schautet, wüsstet Ihr, wovon ich rede! Dieses Gebiss und meinen Zorn haben sogar die korrupten Schäfer, von denen ich Euch erzählte, gefürchtet und mich mit Prügeln verschont.“

    „Ihr habt ein edles Herz, Euer Liebden!“, sagte Gerlind. „Ach, wenn doch die Menschen auch so dächten!“

    Wieder stapften wir schweigend drauflos. Kynos, nach einer Weile: „Das mit dem Kopf verstehe ich nicht. Erklärt es mir bitte genauer.“

    Ich: „Welchen Kopf meint Ihr denn? Den Magister oder meinen?“

    Unter dergleichen Geplauder setzten wir unseren Weg fort, als plötzlich, wie aus dem Boden geschossen, fünf Männer vor uns standen.

    „Heda, ihr guten Leute, wer seid Ihr, und wohin des Weges?“, rief uns ein breiter Kerl mit einem Federbusch auf dem Kopf zu, „es wird schon dunkel! Habt Ihr nicht Angst, Euch zu verlaufen?“

    „Gott zum Gruß, Brüder!“, rief ich zurück, „viele Fragen auf einmal! Na dann! Wir sind arme Schiffersleut und suchen einen Ort, wo wir uns mit Proviant versorgen können. Angst kennen wir nicht, denn mit uns ist Gott, und verlaufen werden wir uns nicht, denn Ihr werdet uns bestimmt den richtigen Weg weisen.“

    „Darauf könnt Ihr Gift nehmen“, rief der Kerl – offensichtlich der Anführer der Bande – „den Weg werden wir Euch weisen, und auf einen Trunk mehr oder weniger soll es uns auch nicht ankommen. Unsere Kelter arbeitet Tag und Nacht!“

    Die Gesellen lachten rau und nahmen uns in ihre Mitte.

    Während wir weitergingen, musterte ich sie. Wie Straßenräuber sahen sie nicht aus – dazu waren sie zu sauber und teuer gekleidet – eher wie anständige Bürger. Ich sah die Robe eines Advokaten, das Gewand eines Arztes, den Talar eines Prälaten, die Klappmütze eines Kämmerers. Als besonderes Abzeichen trug jeder von ihnen einen offenen Geldbeutel am Leib; dem Advokaten hing er um den Hals, der Arzt trug ihn am Wanst, der Prälat am Hintern, dem Kämmerer baumelte er am Gürtel. Ich steckte den Daumen in die Faust und drückte ihn kräftig. Jetzt keinen Fehler machen, dachte ich, und du hast das Rudel im Netz! Wenn das keine verkappten Werwölfe sind!

    Gerlind trat näher an mich heran und flüsterte: „Mundburt, hast du ihre Augen gesehen?“

    „Natürlich, mein Täubchen! Gelb wie Safran! Und hast du gesehen, wie sie beim Wort 'Gott' zusammenzuckten? Es sind Wölfe in Menschengestalt. Schließlich bedeutet Lykanthropos Wolfsmensch.“

    „Spar dir deine Belehrungen! Und du bist sicher, dass wir von dieser Insel wieder heil abfahren?“

    „Sehr sicher sogar! Bisher konnte es nicht besser laufen!“

    Inzwischen waren wir vor einer Burg angelangt. Die Männer führten uns in den von Fackeln erhellten Zwinggard, das schwere, eisenbeschlagene Tor fiel zu – wir waren gefangen. „RRRRR!“, machte Kynos, „ich verspüre Zorn und Tatendrang! Was haltet Ihr davon: Ich gehe dem Breiten an die Kehle, nehme ihn als Geisel und Ihr, Jungfer –“

    „Kynos“, zischte ich, „Ihr geht niemanden an die Kehle und verhaltet Euch ruhig! Wehe, Ihr vermasselt mir meinen Plan! Schaut lieber nach vorne!“

    Um eine große Kelter herum saßen an die zehn struppige Gestalten, die uns finster entgegen starrten. Es waren die widerwärtigsten Kerle, die mir je vorgekommen sind.

    „Wen habt ihr denn da?“, schrie einer mit einem fast zugewachsenem Gesicht, „und sogar eine Jungfer bringt ihr mit! Recht so, Schlagtot, Jungfernöl ist das beste Öl! Die letzte Pressung

    schmeckte nach diesem Pfaffensack,

    und der war gar nicht nach meinem Geschmack!“

    Brüllendes Gelächter.

    „Freunde“, krähte Schlagtot, „diesmal sind die Gäste arme, halb verhungerte Schiffersleut, auf der Suche nach Nahrung!“

    „Hoho!“, kam es zurück, „sollen sie haben, die Nahrung, und nicht zu knapp! Werden sie schon Ver – pflegen, hahaha! Aber zum Teufel, arm sehen sie nicht gerade aus, und verhungert erst recht nicht! Ein wenig Druck wird ihnen bestimmt nichts schaden!“

    Eine Tür flog auf, und zwei Kerle schleppten einen zappelnden Menschen herbei, der mit einer großen Schneiderschere in der Luft herumfuchtelte. „Liebe Leute!“, schrie er, „ich habe nichts mehr! Hab doch schon alles gegeben! Der Stadt, der Kirche, dem Kaiser, den mildtätigen Brüdern, den –“

    „Halt´s Maul!“, schnauzte einer, „ob du nichts mehr hast, wird sich bald zeigen! Auf die Kelter mit ihm!“

    Die beiden Galgenvögel hievten den Mann auf die Kelter, banden ihn fest und begannen zu drehen. „Erbarmen!“, zeterte der Schneider, „bei allen Heiligen, ich hab nichts mehr, auch wenn ihr mich noch so druckt und presst!“

    „Jaja, das Lied kennen wir! Hab noch keinen Schneider getroffen, der was hatte! Ihr Handwerksleut müsst nur ordentlich gepresst werden, und schon rinnt der Most!“

    Ein Mann mit der roten Fellmütze eines Steuereinnehmers trat vor und legte seinen offenen Geldbeutel vor die Kelter. „Wird sich ja gleich zeigen, ob du nichts hast!“, röhrte er. „Also, Freunde, dreht wacker und quetscht ihn ordentlich!“

    Tatsächlich, als der Schneider nur noch so dick wie ein Hammelkotelett war, klimperte Geld in den Beutel, was die Meute mit höhnischem Gelächter quittierte. Nun sprang ein Kerl im Talar vor und schrie: „Weg da, jetzt bin ich dran!“ Mit dem Fuß trat er den Beutel des Steuereinnehmers beiseite und legte dafür seinen hin. Wieder zog die Kelter an, und etwas Kleingeld fiel in den Beutel. Als der Schneider so platt war wie ein Buchenblatt, banden sie ihn los, ließen ihn laufen, doch schon nach zehn Schritten fingen sie ihn wieder ein. Der Prälat, sichtlich enttäuscht über die geringe Ausbeute, drehte sich um. „Heda, Ihr Herren und Ihr, Jungfer!“, rief er, „kommt doch näher! Ich sehe schon, Euer Most gibt einen vorzüglichen Jahrgang ab!“ Er schnalzte mit der Zunge. „Lecker, lecker, wird sicherlich ein süffiger Wein! Bei meiner Ehr´, Ihr steht gut im Futter und könnt ein wenig Druck wohl vertragen!“

    „Bei meiner Ehr´“, raunte Kynos, „ich wollte dem Gesindel keinen halben Heller bluten.“

    Die Situation begann brenzlig zu werden. Um Zeit zu gewinnen rief ich zurück: „Ich danke recht schön! Sagt, Hochwürden, habt Ihr nicht noch andere Trauben, aus denen Ihr solchen Most keltern könnt? Es gibt doch vielerlei Gewächse, von denen man Beeren lesen kann!“ Ich bückte mich, tat so, als schlüge ich eine Mücke von der Wade, hob unbemerkt – was bei dem flackernden Fackellicht nicht schwer war – einen Stein auf und steckte ihn ein.

    „Zum Teufel nein!“, schrie der Halunke, „sind schon alle bis aufs Blut ausgepresst!“

    „Ha, und warum legt Ihr den Schneider wieder in den Zehntstock? Den armen Mann habt Ihr doch schon gründlich ausgekeltert!“

    „Wahrhaftig, um zu sehen, ob man nicht noch etwas aus dem Treber gewinnen kann!“

    Wir fiel der Spruch ein, den mein Vater oft sagte, wenn ihn die Melancholie ergriff: Homo hominis lupus*. Recht hat er, der Alte, dachte ich.

    „Los jetzt!“, schrie Schlagtot, „genug geschwatzt! Vorwärts!“ Seine Spießgesellen kamen drohend auf uns zu –

    „Meine Herren“, sagte ich, „warum so eilig? Ihr presst arme Leute aus, die von der Hand in den Mund leben, und was kommt letztendlich dabei heraus? Ein paar schimmelige Heller! Da hab ich etwas, das mehr Most bringt als tausend dürre Schneider!“

    „Große Worte, Herr, große Worte!“, grölte jemand, „doch von Worten allein lässt sich schlecht leben!“

    „Wenn Ihr den Schneider laufen lasst, zeig ich Euch, wie man aus einem Stein feine schlesische Groschen presst.“

    „Hihaho! Aus einem Stein? Das möcht ich sehen!“

    Ich hielt den Stein hoch. „Da seht Ihr ihn!“

    „Schon, schon“, grunzte einer der Gesellen, „den Stein seh ich wohl, aber nicht die Groschen.“

    „Lasst erst den Schneider laufen, dann seht Ihr auch das Geld.“

    „Bindet ihn los“, rief Schlagtot, „die Fabel fängt an, interessant zu werden.“ Zu mir: „Wehe du flunkerst, Kerl, dann drucken wir dich, dass dir das Schmalz aus den Ohren tropft!“

    Ich presste den Stein, und etliche Silbergroschen fielen heraus. Sofort stürzten sich die Kerle in den Staub und gebärdeten sich wie Maulesel, denen man eine chinesische Rakete an den Schwanz gebunden und angezündet hat. Es setzte Püffe, Tritte und Ohrfeigen. Inzwischen waren auch die anderen herangekommen, alle mit Steinen in den Händen; sie umringten mich und hielten mir die Steine unter die Nase. Dabei schrien sie wild durcheinander: „Hier, nehmt meinen zuerst!“ – „Nein, erst meinen!“ – „Weg da, Affenarsch, hab Frau und Kinder!“ – „Kotzinschuh, du glaubst wohl...“ – „Ha, Lausekamm, fahr zum Teufel!“

    „Meine Herren!“, rief ich, „so geht das nicht! Dies ist natürlich kein gewöhnlicher Stein, wie man ihn auf dem Acker oder hier im Burghof findet. An Land findet man solche Steine überhaupt nicht, man muss sie aus dem Meer fischen!“**

    „Habt Ihr noch mehr von diesen Geldsteinen?“, fragte ein großer Mann mit außergewöhnlich spitzen Ohren.

    „Von den Steinen nicht, aber von dem Geld, das meine Leute daraus geschlagen haben! Auf meinem Schiff draußen vor der Küste! Ich schätze, tausendfünfhundert Millionen Silbergroschen und noch einmal doppelt so viele Peterspfennige werden es schon sein.“

    „Ha, das reicht für alle!“, schrie jemand, „los, was zögert ihr noch! Auf, zum Schiff!“

    Sie rissen die Fackeln aus den Halterungen, und wir marschierten los, wobei uns Schlagtot und seine Kumpanen nicht aus den Augen ließen.

    „Ich hoffe, du hast dir gut überlegt, was du da machst“, raunte mir Gerlind zu, „wenn die merken, dass du sie hereingelegt hast –“

    „Dann sind wir bereits in Sicherheit, mein Schnuckelchen!“

    ____________

    * Der Mensch ist des Menschen Wolf. ** Anm. d. Hrg.: Sollte der Verf. Manganknollen gemeint haben? Es ist unwahrscheinlich, wenn man die Zeit bedenkt, aber ist es, bei alldem, das man schon von ihm erfahren hat, wirklich unmöglich?

    Mundburt fängt ein Rudel Wolfsmenschen und wird trotzdem nicht froh.

    Als wir uns dem Strand näherten, gab eine Wolke den vollen Mond frei. Sein Schein übergoss Meer und Schiff mit silbrigem Glanz, was die Bande außer Rand und Band geraten ließ. „Seht doch, das Silberschiff!“ schrien einige und stießen sich mit den Fäusten in die Seite, „wie es strahlt und blinkt! Er hat recht geredet! Das Schiff ist voll von Silber!“

    Wirklich, es konnte nicht besser laufen.

    Nach kurzem Suchen fanden wir das Beiboot. Kaum hatte es die Horde entdeckt, da stürzten auch schon alle drauf los. „He, ihr Leute!“, rief ich, „nicht so hastig! Alle auf einmal geht nicht! Das Boot trägt höchstens acht Personen; wir sind drei, also können zunächst nur fünf von euch mit hinüber. Die anderen müssen sich schon gedulden.“

    Wieder fingen sie zu feilschen und krakeelen an.

    „Ruhe!“, rief jetzt der Große mit den spitzen Ohren, „jetzt fahren mit: Hasenscharte, Plattnase, Schlagtot, Kotzinschuh, Pissdiewandan! Also ab mit euch. Schimmelpfeng, Springintgut, Kaulquappe, Ochsenbacke und Nimmersatt fahren als nächste. Alle anderen müssen sich noch gedulden.“ Er sah mich an, und ich schwöre, sein Blick ließ mir das Blut in den Adern gerinnen. „Kerl“, zischte er, „wenn du kein reelles Spiel spielst, ist es aus mit euch! Dich und den Hund da zerreißen wir, und die leckere Jungfer –“

    „Warum sollte ich?“, gab ich zurück, „außerdem, Ihr habt doch gesehen, wie das Silber aus dem Stein fiel! Ist das nicht genug Beweis und Exempel, dass ich´s reell meine?“

    „Na schön, dann fahrt in drei Teufels Namen!“

    Während wir einstiegen, flüstert ich Gerlind und Kynos zu: „Wenn ihr an Bord seid, nimmt jeder von euch sofort einen Hammer aus dem Backkasten, geht zum Ankerspill und haut kräftig drauflos. Aber achtet darauf, dass euch die Kerle dabei nicht sehen. Wenn die Klappe zur Bilge aufs Deck knallt, hört ihr damit auf. Keine Fragen jetzt! Tut, was ich sage!“

    Kurz vor dem Schiff rief ich: „Hoiho, Herr Magister, wir kommen mit ein paar lieben Gästen! Sind alles gute Leute! Lasst das Fallreep herunter!“

    Das Boot legte bei, wir kletterten an Bord, ich als erster. Oben gelang es mir noch, dem Magister ein paar Worte zuzuflüstern, bevor der erste Halunken-Schopf über der Reling erschien: „Stellt jetzt keine Fragen und tut das, was ich Euch sage! Als erstes dreht Ihr das Schiff mit einigen kräftigen Windstößen so, dass der Mond durch die geöffnete Klappe hinunter in die Bilge scheinen kann. Wenn alle unten sind, löscht Ihr die Laternen, lichtet den Anker, dann das Schiff gewendet und unter starkem Wind schleunig umgekehrt und zurück zur Insel der Windesser!“

    Sobald die „Herren“ sämtlich an Bord waren, sprach ich sie folgendermaßen an: „Meine Herren! Willkommen an Bord des Silberschiffs! Wahrlich, die Gier nach Silber ist keines von den allerschlimmsten Lastern, sie wird noch übertroffen –“

    „Was klingt da?“, schrie Plattnase.

    „Meine Feinschmiede! Sie schlagen Münzen aus dem Silber, dass aus den Steinen .“

    „He, du Schrägscheißer“, grunzte ein anderer und stampfte mit dem Fuß auf, „quatsch nicht so viel, sonst passiert noch was! Wo liegt das Geld, antworte, aber dalli!“

    Durch weiteres „Gequatsche“ wollte ich ihre Ungeduld soweit steigern, bis sie vor unbändiger Gier blind wären. Doch der Versuch misslang, denn auf einmal hatte Plattnase ein Messer in der Hand und fuchtelte mir damit vor der Nase herum. „Höre, du Narr!“, röhrt er, „tätest besser daran, uns jetzt das Geld zu zeigen! Dieser Kamerad hier ist ein verdammt guter Kämpfer und liebt ganz besonders das Blut von –“

    „Schon gut, Onkel“, wehrte ich ab, „Ihr regt Euch unnötig auf. Also dann, folgt mir!“

    Wir gingen zur Bodenklappe, unter der die Leiter zur Bilge stand. Ich öffnete sie und ließ sie aufs Deck krachen. Unten glitzerte das Wasser im Mondlicht. Die fünf Ganoven beugten sich alle auf einmal über die Öffnung. „Silber!“, grölte Schlagtot, „Silber, Silber, Silber!“ Sowie es aussah, war zumindest er bereits blind vor Gier.

    „Warum arbeiten die Feinschmiede nicht mehr?“, fragte jemand.

    „Weil alle Münzen geschlagen sind“, gab ich zur Antwort. „Geht hinunter und überzeugt euch!“

    „Weg da!“, schrie der Oberganove und stieg hinunter, zwei weitere drängten nach. „Zum Teufel, was ist das?“, rief Schlagtot von unten, „das ist ja Wasser!“ Plötzlich brüllte er auf: „O du Satansbraten! Ich hab´s doch geahnt! Na warte, mein Söhnchen, wenn ich wieder oben bin –“

    Doch so weit sollte es nicht kommen. Dem einen von den beiden, die noch oben standen und verblüfft in die Bilge starrten, versetzte ich einen kräftigen Stoß ins Kreuz; gab dem anderen einen harten Schlag mit der Handkante in den Nacken; sie fielen vornüber und rissen die drei, die gerade grölend und fluchend wieder hochstiegen, beim Sturz mit in die Tiefe.

    Krach! Die Klappe donnerte in die Zarge, der Riegel schoss vor. „Ha!“, rief ich, „jetzt hab ich euch!“ Die ganze Aktion war schneller gegangen als ein Falke zustößt.

    Unten begann ein gewaltiges Heulen und Fluchen; kurz darauf erschütterten heftige Stöße das Deck. Offenbar versuchten die Gefangenen, die Klappe mit der Leiter aus der Verriegelung zu reißen. „Gebt euch keine Mühe!“, rief ich, „hört ihr? Auch wenn der Riegel bricht, die Klappe kriegt ihr trotzdem nicht auf!“

    Kynos und ich rollten das volle Windfass, das als Reserve noch in der Back stand, über die Klappe, richteten es auf und setzten uns drauf. – Puh, ihr glaubt nicht, wie schwer das Teil war! Dass Unsichtbares so viel wiegen kann!

    Am Stand wurde es jetzt laut; allmählich dämmerte den zurückgebliebenen Ganoven, dass mein Spiel wohl doch nicht reell war, und sie begannen, schreiend und fluchend hin und her zu laufen; einige dieser Galgenstricke wateten sogar ins Wasser, meinten wohl, sie könnten das Schiff zu Fuß erreichen! „Zum Hafen!“, schrie der Spitzohrige, „schnell in die Ruderboote und hinter ihnen her! Bei dieser Flaute haben wir sie bald eingeholt!“

    „He, du Narr!“, rief ich hinüber, „das denkst du dir! Warum hab ich wohl nicht in eurem Hafen geankert? Schau mal her, du Affenarsch! – Herr Magister, gebt ordentlich Wind!“

    „Zu Befehl, Herr Kapitän!“, rief Kopf fröhlich und zog den Stopfen aus dem Loch; der Wind füllte die Segel, und unter dem wütenden Geheul der Ganoven setzte sich die Karavelle in Richtung Heimathafen in Bewegung.

    Mundburt verwandelt die Wolfsmenschen in Werwölfe.

    Aus dem Windfass zischte und fauchte es, das Schiff neigte sich im Wind, die weißen Segel leuchteten im Mondschein, die Wellen rauschten – ich sah und hörte es wohl, aber der herrliche Anblick erreichte nicht mein Herz, denn die größte Bewährungsprobe stand mir noch bevor.

    Als habe Kynos meine Gedanken erraten, fragte er: „Wie soll es denn nun weitergehen? Ihr habt Wolfsmenschen gefangen, aber dem Bürgermeister habt Ihr Werwölfe versprochen.“

    „Das ist zweifellos ein Problem, über das ich noch nachdenken muss“, orakelte ich, „aber macht Euch keine Sorgen, lieber Hund, bisher ist alles gut gegangen, und warum sollte es nicht weiter so gehen?“

    „Deine Chuzpe möcht ich haben!“, ätzte Gerlind, die inzwischen statt meiner auf dem Fass saß, „ich fürchte, das mit Pferd, Harnisch und Schwert wird so schnell nichts.“

    Mittlerweile hatte das Stoßen unter uns aufgehört, dafür ertönte es jetzt von achtern. Offenbar versuchten die Ganoven, sich durch das Schott zum Hinterkastell durchzuarbeiten. Lass sie, dachte ich, wir laufen gleich ein, und dann ist es egal, aus welchem Loch sie kriechen.

    Ich sagte noch einmal den Spruch auf, von dem die Magd Gudula damals behauptete, damit könne man bei Vollmond einen Werwolf, wobei man ihm in die Augen blickt, in einen Menschen zurückverwandeln – und heute war Vollmond! Der Spruch lautete:

    Wolf, Gott schicke dir Mannsgestalt

    sollst wieder sein wie ein Mann gestalt´t!

    Gleich wirst du verlieren Wolfsgewalt

    Wolf, Gott schicke dir Mannsgestalt.

    In himmelschreiendem Leichtsinn nahm ich an, dass ich nur die Worte Mann und Wolf vertauschen musste, um den Bannspruch in entgegengesetzter Weise wirken zu lassen. –

    Als die Karavelle die Pier erreichte, war bereits der gesamte Stadtrat versammelt. Stadtwächter waren damit beschäftigt, Neugierige abzudrängen, denn ein zufällig entwichener Werwolf, in seiner rasenden Wut, da sag ich euch sicherlich nichts Neues, ist ein unberechenbares Ungeheuer.

    Man brachte die Netze, mit denen die Ganoven einzeln gefangen werden sollten; die Fänger, vier kräftige Burschen, stellten sich hinter dem Abstieg zur Bilge auf.

    Ich öffnete die Klappe einen Spalt breit und rief hinunter: „Los, ihr Halunken, ihr könnt wieder herauskommen, aber einzeln und mit Abstand! Wenn ihr euch nicht daran haltet, könnt ihr dort unten verfaulen!“

    Der Erste kroch heraus, die Männer warfen das Netz, zogen es zu, der Ganove war gefangen. Ich stellte mich vor ihn hin, sah ihn fest an und rief:

    „Mensch, Gott schicke dir Wolfsgestalt

    sollst wieder sein wie ein Wolf gestalt´t!

    Gleich wirst du verlieren Menschengewalt

    Mensch, Gott schicke dir Wolfsgestalt.“

    Ich wartete – nichts geschah, außer dass der Gefangene wüste Verwünschungen ausstieß und wild am Netz herumzerrte.

    Ich wiederholte den Spruch lauter – nichts.

    Mir wurden die Knie weich, das Leuchtfeuer tanzte vor meinen Augen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie der Bürgermeister und die Herren vom Rat die Köpfe schüttelten.

    „Was zum Teufel soll das?“, schrie der Kerl im Netz mit Schaum vorm Mund, „fahr zur Hölle, du gottverdammter Bube du! Ich zähle bis drei, dann –

    Teufel? Hölle? Gottverdammter Bube?

    Plötzlich wusste ich, wo der Fehler lag! Ich hatte vergessen, das Wort Gott gegen das Wort Teufel auszutauschen. Rief erneut:

    „Mensch, der Teufel schicke dir Wolfsgestalt

    sollst wieder sein wie ein Wolf gestalt´t!

    Gleich wirst du verlieren Menschengewalt

    Mensch, der Teufel schicke dir Wolfsgestalt.“

    Und tatsächlich! Der Spruch wirkte! Der Ganove – wenn ich recht erinnere Pissdiewandan – eben noch schwarz im Gesicht, wurde grau, sein Geschrei verwandelte sich in wütendes Jaulen, und bald hatte er die Gestalt eines großen Wolfs angenommen. Die Männer schnürten das Netz fester, zogen es von Deck, luden es in einen Karren und brachten den frisch gebackenen Werwolf weg. So geschah es auch mit den anderen.

    Ich machte einen Luftsprung und rief: „Danke, Herr, für deine Hilfe und dafür, dass du´s mir nicht übel nimmst, wenn ich mich mal mit an den Teufel wende. Soll nicht wieder vorkommen!“

    „Bist du sicher, dass es wirklich Gott war und nicht der Teufel, der dir geholfen hat?“

    Gerlind stand neben mir, in meiner Euphorie hatte ich ihr Kommen nicht bemerkt. „Könnte mir vorstellen, dass der Teufel eher für solche finsteren Händel zuständig ist!“

    „Aber nicht doch!“, rief ich, „der Herrgott ist dem Teufel einfach zuvorgekommen!“ Umarmte sie und drückte ihr einen Kuss auf.

    Forts. folgt

    Mundburt und seine Leute besichtigen die Insel der Ventivoren*.

    Das Allererstaunlichste aber war die Reaktion seiner Ehren, des Bürgermeisters. Nicht nur, dass er mit keiner Miene erkennen ließ, dass ihm das Rülpsen, Furzen und Husten peinlich war – nun gut, auch Burg Wolkenstein war in dieser Hinsicht weiß Gott kein Nachtigallennest, aber es wurde niemand dazu ermutigt – aber gerade das tat dieser seltsame Herr: Er forderte uns auf, die Winde nur recht frei und ungeniert fahren zu lassen, denn je größer der Lärm, meinte er, desto größer sei die Lebensfreude, die dadurch zum Ausdruck käme. Ferner erklärte er, die Winde würden wieder eingefangen und erneut verwendet. Dann lud er uns zu einer Besichtigungsfahrt ein.

    Während die Stute furzend den Weg unter sich wegtrat, erzählte uns der Ortsvorsteher, dass die Bewohner der Insel einzig und allein vom Wind leben. Sogar das Vieh werde mit Wind gefüttert, Saaten und Rebstöcke würden mit regenfeuchtem Wind gedüngt. In ihren Gärten bauten sie alle Arten von Windrosen an, auf den Obstbäumen wüchsen Windbeutel in den verschiedensten Farben und Formen. Alles, was den Wind behindern könnte, vernichteten sie. So sahen wir auf der ganzen Fahrt nicht einen einzigen Baum oder höheren Strauch; alles Gehölz war gründlich abgesägt oder ausgerissen. Das gemeine Volk ernähre sich, so der Medaillenträger weiter, indem es sich Wind, so er denn wehe, je nach Vermögen mit Stroh- , Feder- oder Leinwandwedeln zufächle und durch die Nase einziehe. Die Bessergestellten führten kleine Blasebälge mit sich, die sie, wenn sie der Hunger überkäme, in Bewegung setzten, denn Wind sei ja nichts anderes als bewegte Luft. Die Reichen gar besäßen Windmühlen, unter denen sie auch ihre Feste feierten. Ihre Behausungen bestünden meist aus Luftschlössern, die Ärmeren hingegen wohnten in der Regel in luftigen Windböen. Bekleidet seinen sie mit Windhosen und Windjacken, je nach Geldbeutel aus warmen oder kalten Winden bestehend. Allein der Klerus mache hiervon eine Ausnahme; die Talare und Sutanen der Prälaten bestünden aus Jungfernfürzchen, auch „Himmelstönchen“ genannt, sowie Nonnenrülpsern.

    Hier wurde der Bürgermeister von einer hässlichen Szene unterbrochen, die sich im Windschatten eines Luftschlosses abspielte. Ein Mann von ganz anständigem Aussehen, einen Windhund an seiner Seite und mit einem riesigen Blähbauch, prügelte mit hochroten Gesicht und höchstem Zorn auf einen kleinen Pagen ein, warf ihn zu Boden und bearbeitete ihn mit den Stiefelabsätzen. „Brrr!“, rief der Bürgermeister, und als das Pferd stand: „Heda, was soll das? Warum misshandelt Ihr diesen Jungen? Hört sofort damit auf!“

    „Der Lümmel hat mir einen Schlauch Südwester auslaufen lassen!“, rief der Dicke zurück, „einen süffigen Wind, den ich mir als Leckerbissen für spätere Zeiten sorgfältig aufbewahrt und gehütet habe wie einen zweiten Graal!“ – wieder ein Tritt – „und jetzt lässt ihn mir dieser Tölpel ab.“

    „Kerl, noch einen Tritt, und Ihr bekommt die Fallwinde!“

    Der Mann richtete den Kleinen auf, gab ihm einen Tritt in den Hintern, dass er wie der Wind davon sauste, und verschwand.

    „Das mit den Fallwinden will ich Euch gerne erklären“, sagte der Bürgermeister, als wir wieder fuhren, „damit hat es folgende Bewandtnis: So einer wie der da würde – na sagen wir zu zehn Fallwinden verurteilt, die ihn zehnmal heftig zu Boden werfen und ihm blaue Flecken und eine blutige Nase bescheren, damit er in Zukunft weiß, wie weh Prügel tun.“

    „Und wie bestraft Ihr die Schwerverbrecher?“, wollte Kynos wissen.

    „Früher wurden sie solange mit Fallwinden traktiert, bis sie nicht mehr aufstanden. Mörder kamen zuvor für ein Jahr in die Windmühlen.“

    „Früher?“, rief ich erstaunt, „wollte Ihr damit sagen, dass es auf dieser Insel keine Mörder, Räuber und Diebe mehr gibt? Dass wäre dann doch recht unglaubwürdig!“

    „Natürlich gibt es die noch“, entgegnete der Wind essende Würdenträger, „alles andere wäre ja gegen die menschliche Natur. Aber diese Leute hüten sich, ihr Geschäft zu betreiben und bleiben friedlich, denn die Windmühlen fürchten sie mehr als die Todesstrafe.“

    „Wie das?“, fragte Kynos, „gibt es war nützlicheres und friedlicheres als Windmühlen? Und dann, wo stehen denn diese Windmühlen? Ich sehe keine!“

    „Wartet noch ein Weilchen, wir sind gleich da.“

    Wir kamen an einem Schild vorbei, auf dem in goldenen Lettern zu lesen stand:

    Dr. med. Heino Lufticus

    Facharzt für pneumatische Erkrankungen

    alle Währungen

    Sprechzeiten usw.

    „Das verstehe ich nicht“, sagte Gerlind, „wieso gibt es hier Ärzte? Bei dieser Diät müssten doch alle Leute vor Gesundheit nur so strotzen!“

    „Leider ist es nicht so, meine Teuerste“, entgegnete der Bürgermeister, „denn auch das wäre gegen die menschliche Natur.“

    „Und woran leiden die Leute so?“

    Seine Ehren ließ einen gewaltigen Furz fahren, wie ihn zehn Kurienkardinäle nicht besser hinbekommen hätten. „Hauptsächlich unter Blähungen. Blähungen sind geradezu epidemisch. Und an Erkrankungen der Atemwege einschließlich der Lungen, denn leicht kommt ein Wind in die falsche Röhre, und dann beginnt ein gewaltiges Husten und Würgen. Viele sterben dabei –“

    „Und ihre Seele entweicht ihnen aus dem Hintern“, murmelte Gerlind.

    Nun fing der Bürgermeister an, die hervorragende medizinische Versorgung zu preisen, an der sich die Insulaner erfreuten. Als er damit fertig war, wollte ich ihn auf die Probe stellen und fragte: „Was verordnen denn Eure Mediziner zum Beispiel bei Schnupfen und Heiserkeit?“

    „Zugwind.“

    „Aha! Und wenn´s einer im Kreuz hat oder die Gicht und schlecht hochkommt?“

    „Aufwind.“

    „Soso. Und nehmen wir einmal an, jemand hat ein lahmes Bein oder einen kranken Fuß und kann schlecht gehen. Was verordnen Eure Ärzte dem?“

    „Rückenwind.“

    „Ei der Daus!“, rief ich, „Euer Ehren, zu diesem Gesundheitssystem preis ich Euch glücklich! Es ist sicherlich dass billigste der Welt, denn eine Arznei, die aus Wind besteht, kostet Euch nichts oder doch nur wenig, denn der Wind muss ja einfach nur wehen.“

    Die Miene des Bürgermeisters verfinsterte sich. „So könnte es sein, lieber Freund, aber in diesem irdischen Leben gibt es eben kein vollkommenes Glück. Ja, der Wind könnte einfach nur wehen, aber er tut es nicht. Auf diesem Eiland bläst der Wind nicht von selbst, und wenn, dann nur schwach. Das reicht nicht einmal für den Eigenbedarf, denn die Bevölkerung auf dieser Insel hat in den letzten Jahren dank unserer medizinischen Errungenschaften stark zugenommen. Seht Ihr die Frau dort mit dem Käscher? Sowie sich ein Lüftchen regt fängt sie es ein und isst es auf. Und so machen´s Hunderttausende. Hol mich dieser oder jener, wo soll denn da der Wind herkommen, um all die hungrigen Mäuler, die jedes Jahr dazukommen, zu stopfen? Um die Luft kräftiger zu bewegen, sind enorme technische Vorrichten vonnöten, die sehr viel Geld kosten. Wir sind gleich da, dann werdet Ihr es mit eigenen Augen sehen.“

    „Diese Speise wird, scheint´s, nicht überall geschätzt“, warf ich ein, „denn wie sonst ist es zu erklären, dass Ihr Nutztiere züchtet und hervorragende Küchenmeister habt?“

    Der Bürgermeister rülpste kräftig. „Diese Nahrung ist lediglich für Delegationen aus Ländern bestimmt, mit denen wir Handel treiben. Ein gutes Essen hebt nicht nur das Gemüt, sondern auch den Preis der Ware. Wir selbst sind und bleiben leidenschaftliche Windesser.“

    „Aber wo bleibt denn da der Genuss, der den Menschen vom Tier unterscheidet?“, meinte Kopf nachdenklich, „ich bin der Ansicht, wie der alte Epikur, dass der Genuss das Höchste auf der Welt sei, und ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Nahrung, die nur aus Wind besteht, sehr viel Freude bereitet.“

    Seine Ehren schüttelte den Kopf. „Oh, lieber Herr, genau das Gegenteil ist der Fall! Ein Windgericht, ha!, das ist genauso ein vorzüglicher Schmaus wie ein herkömmlicher Braten! Es gibt Winde, die es in ihrer Vorzüglichkeit, Güte, Bekömmlichkeit mit jeder anderen Nahrung aufnehmen. Und für jeden Geschmack ist etwas dabei: Der eine lobt den Schirokko, der andere den Südwest, ein dritter den Südost, den Ora, die Bise, den Mistral, den Zephir; dieser hält sich an einen milden Sommerwind, jener zieht einen herben Herbstwind vor; es soll sogar Leute geben, die von nördlich-kalten Winterwinden schwärmen.“

    Wir waren auf einer Anhöhe angelangt; ein breites Tal öffnete sich, auf dessen Grund etliche Windmühlen standen. Ihre weißen Flügel leuchteten in der Sonne. Zwischen den Windmühlen waren auf hölzernen Gestellen Dreiecksegel gespannt, mit dem Unterliek nach oben und dem Hals unten, etliche in den Wind gebrasst und prall gefüllt; andere hingen schlaff herunter.

    „Ha!“, rief Gerlind, „hätt ich mir denken können! Hier stehen die Windmühlen im Tal, und der Wein wächst auf der Kirchturmspitze!“

    „Was mich mehr verwundert ist die Beobachtung, dass sich die Mühlen eifrig drehen, obwohl kein fühlbarer Wind geht“ sagte der Magister. „Nach Äophilus von Salem, De natura windicorum, liber septem et alii, drehen sich Windmühlen nur im wehenden Wind, was auch der heilige Blasius Balgius in liber –“

    „Mein Lieber“, unterbrach ihn Herr von Lerchenhost, „wartet´s ab!“

    ___________

    * Windesser


    Mundburt erfährt, dass man Wind in Fässer stampften kann und betrachtet einen Werwolf.

    Die Stute ließ einen gewaltigen Furz fahren, und als die Sicht wieder klar war, hielten wir neben einer dieser Windmühlen an und stiegen aus. –

    Meiner Treu, manch Verwunderliches habe ich auf meiner Irrfahrt durch die Welt gesehen, und, meine lieben Leser, ich versichere euch, manche dieser Narreteien und Hexenkünste würde ich nicht glauben, hätte ich sie nicht mit meinen eigenen Augen gesehen – noch nicht einmal dem Papst. Doch dies jetzt setzte allem die Krone auf: Potz Bauch und Arsch! Diese Mühlen drehten sich, aber nicht nicht im Wind, sie erzeugten ihn! Es war deutlich zu spüren, dass er von ihnen wegwehte! Musste meine Mütze mit beiden Händen festhalten, sonst wäre sich mir vom Kopf geflogen! Herrgottsakra, piss die Wand an, jawohl! Wer oder was sie antrieb war nicht zu erkennen; aber wo die Winde blieben, darüber bestand kein Zweifel. Sie blähten die Großsegel auf den Gestellen, diese lenkten sie in hölzerne Fässer, und Männer mit klobigen Kolben stampften sie fest – wie Butter in einem Butterfass. Waren die Fässer voll, wurden sie verschlossen und auf Karren verladen. Schon ging wieder einer hoch beladen ab.

    „Bei meinen Hämorrhoiden!“, rief der Magister, „unglaublich! Windbuttern! Hätte nie gedacht, dass so etwas überhaupt möglich ist!“

    „Da seid Ihr nicht der Einzige“, sagte der Bürgermeister schmunzelnd, „dergleichen haben unsere Fachleute zunächst auch behauptet. Sie meinten, Wind könne man nicht zusammendrücken, denn schließlich sei er nur bewegte Luft, Luft sei unsichtbar, und könne man Unsichtbares komprimieren? Ergo sei es schlichtweg unmöglich. 'Doch man kann', behauptete unser Stadtnarr, ein notorischer Querdenker, man solle es nur versuchen. Wieso er sich denn da so sicher sei, fragten die Weisen. 'Ich denke es mir gerade aus', erwiderte der Narr, 'und nach Plato ist alles was gedacht werden kann, auch möglich.' Und siehe da, es war möglich. Mittlerweile erzeugen wir soviel Wind, dass alle satt werden und wir noch exportieren können.“

    „Nichts für ungut“, meinte Gerlind, „aber warum füllt Ihr den Wind denn überhaupt in Fässer? Lasst ihn doch frei wehen!“

    „Damit er in alle Himmelsrichtungen davon weht? Auf die Nachbarinsel? So weit kommt´s noch! Ein Teil ist unser täglich Brot, ein anderer Teil wird für Notzeiten eingelagert, und mit dem Überschuss treiben wir unsere Schiffe an.“ Der Bürgermeister seufzte. „Leider geht diese Art des Antriebs nicht ohne Unfälle ab. Es kommt immer wieder vor, dass eines dieser Fässer birst, und dann gibt es einen gewaltigen Sturm, der die Atmosphäre in Aufruhr versetzt –“

    „Wollt Ihr behaupten“, rief ich verblüfft, „wir seien in einen solchen Sturm geraten?“

    „Das ist so gut wie gewiss! Heute Morgen traf eine Brieftaube mit der Nachricht ein, dass auf einem unserer Schiffe ein Fass explodiert sei. Deshalb fühlt sich der Stadtrat verpflichtet, Euch für das Ungemach, das Ihr infolgedessen ertragen musstet, zu entschädigen.“

    „Euer Ehren“, sagte ich gerührt, „wir sind Euch in höchstem Maße dank–“

    „Ihr schuldet uns keinen Dank“, winkte der Bürgermeister ab, „werfen wir lieber einen Blick hinter die Kulissen.“

    Er führte uns um eine dieser Windmühlen herum, und wenn ich gedacht hätte, des Erstaunens sei schon genug geübt, so hätte ich mich getäuscht: Die Mühle war nach hinten offen; ein riesiges Laufrad im Untergeschoss, wie man es winzig klein in Hamsterkäfigen verwendet, drehte sich; die Drehbewegung wurde über Stangen mit Zahnrädern nach oben übertragen. Und in diesem Käfig lief – ein Wolf, ein riesiges, zottiges, mageres Tier, das von einem blutigen Schafskadaver vor seiner Nase auf Trab gehalten wurde.

    Ich trat näher an den Wolf heran. Der Kopf der Bestie war riesig, die Ohren außergewöhnlich lang und spitz, die Schnauze, aus der stinkender Atem wehte, ungeheuerlich; der Hals, bedeckt mit sehr dichtem Fell, schimmerte rötlich; die Brust wies einen großen weißen Fleck in Form eines Herzens auf. Die Pfoten, ha! Die reinsten Drachentatzen: Bestückt mit grässlichen Krallen, viel mächtiger als die der anderen Wölfe, die ich bisher gesehen hatte; die Vorderbeine dick, dick, dick und von der Farbe des Rehbocks, eine Farbe, die bei einem Wolf ungewöhnlich ist.

    „Früher wurden Sträflinge zu dieser Arbeit verurteilt“, erklärte seine Ehren, „je nach Schwere ihrer Verbrechen unterschiedlich lange. Doch die meisten starben schon nach kurzer Zeit an Erschöpfung oder Krankheiten. Zudem ist ein einzelner Mensch zu schwach, um dauerhaft einen nennenswerten Luftstrom zu erzeugen. Ein hungriger, wütender Wolf hingegen mit einem blutigen Kadaver vor der Nase, den er nie erreicht –“

    „Herr im Himmel!“, rief ich, „das ist ja fantastisch! Ihr ernährt Euch nicht nur vom Wind, er ergötzt Euch bei Euren Schmäusen, Ihr heilt mit Wind, der Wind schreckt sogar Eure Verbrecher ab, und dass alles mit geringsten Kosten. Mir scheint, Euer Ehren, dies ist wirkliche die Insel der Seligen, nach der sich die übrige Menschheit schon seit Jahrtausenden sehnt!“

    „Ich wünschte, lieber Herr, Ihr hättet Recht“, erwiderte seine Ehren bedrückt, „aber wie ich schon mehrmals sagte: In diesem irdischen Leben gibt es eben kein vollkommenes Glück. Mittlerweile herrscht ein extremer Mangel an Wölfen, doch ich finde kaum noch Freiwillige, die das Amt des Wolfsfängers übernehmen wollen, obwohl jedem, der einen gefangenen und kräftigen Wolf herbeischafft, eine schöne Jungfrau als Braut zugeführt wird.“ Dabei sah er den Magister auffordernd an.

    „Ha!“, rief der, „ich wollte, ich wäre ein Bewohner dieser Insel! Dann wäre das Problem in kurzer Zeit gelöst!“

    „Ausländer sind uns stets willkommen“, sagte der Bürgermeister

    „Ei, was ist denn daran so schwer, einen Wolf zu fangen“, grummelte Kynos, „man gräbt eine Grube, legt ein Luder hinein, versteckt sich mit einem ordentlichen Knüppel im Gebüsch, wartet eine Weile und holla, schon hat man ihn. Als ich noch in Dienst bei –“

    „Dies ist kein normaler Wolf“, unterbrach ich ihn, „diese Bestie ist ein Werwolf.“

    „Sehr richtig“, bestätigte der Bürgermeister, „wir benötigen Werwölfe, mit normalen Wölfen ist uns nicht gedient. Und einen Werwolf fangt Ihr nicht in einer Grube!“

    „Warum denn gerade Werwölfe?“, wollte Gerlind wissen.

    „Weil Werwölfe in ihrer Teufelsbesessenheit und Mordlust die beste Laufleistung erbringen. Wir bräuchten unbedingt einige neue, denn auch Werwölfe leben nicht ewig.“

    „Hmmm...“, machte ich, denn mir kam gerade eine Idee. „Wo fangt Ihr denn diese Wölfe?“

    Der Bürgermeister ließ einen kräftigen Rülpser ab. „Auf der Nachbarinsel Lykanthropon, der Insel der Wolfsmenschen, eine kleine Meile jenseits der Meerenge. Aber die Gelegenheit könnte nicht ungünstiger sein, denn erstens, heute Nacht ist Vollmond, und da feiern sie ihre teuflischen Feste, und zweitens –“

    Ich bückte mich, um ein Ei aufzuheben, das ich beinahe zertreten hatte, offensichtlich ein Windei; denn als ich es berührte, löste es sich auf, und ein zarter Lufthauch wehte mich an.

    „Herr Bürgermeister“, sagte ich, „wenn Ihr mir ein Pferd, ein Schwert und einen Harnisch besorgt, verspreche ich Euch, ein paar kräftige Werwölfe zu liefern!“

    Seine Ehren sah mich begeistert an. „Heureka!“, rief er, „Ihr seid unser Mann!“ Doch seine Begeisterung verfiel sofort.

    „Was ist denn noch?“, fragte ich.

    „Lieber Herr, ich wage es nicht –“

    „Nur zu!“

    „Hmm... ähem... nun denn. Da ist noch etwas, das uns Probleme bereitet. Einmal im Jahr überfällt uns ein schrecklicher Riese, der sich von Windmühlen ernährt. Er frisst sie mit allem Drum und Dran: Steine, Eisenstangen, Zahnräder, Bretter, Nägel... alles verschwindet in seinem gewaltigen Maul. Wenn es Euch gelingt, diesen Riesen zu töten, schlagen wir Euch zusätzlich noch zum Ritter der Winde.“

    „Wie kommt Ihr gerade auf mich?“

    „Ich denke, ein Mann wie Ihr, der ein sturmgepeitschtes Meer bezwingt, wird auch mit einem Riesen fertig.“

    „Eins nach dem anderen, erst die Wölfe, dann der Riese!“, sagte ich.

    „Abgemacht!“, rief der Bürgermeister und und lärmte aus Erleichterung aus Mund und Hintern.

    Der Handel wurde mit kräftigem Handschlag besiegelt, und wir kehrten zum Rathaus zurück. Auf der Fahrt dorthin trug ich dem Bürgermeister auf, für ein größeres Schiff sowie für ein paar Kleinigkeiten zu sorgen.

    Mundburt beschließt, dem heiligen Georg nachzueifern.

    Ihr könnt Euch gewiss denken, meine lieben Zechbrüder und Kegelschieber, und auch Ihr, ehrbare Vrouwen, in welcher Hochstimmung ich mich befand. Die Aussicht, endlich ans Ziel meiner Träume zu gelangen, raubte mir fast den Verstand. Egal, ob Ritter vom Heiligen Stuhl, vom güldenen Sporn, ob Ritter der Malteser oder der Winde, hauptsächlich Ritter! Wie viele Ritter fahren in der Welt herum und sind die Luft nicht wert, die sie atmen! Doch jeder Ritterschlag adelt, und ich schwor mir, mich ihm würdig zu erweisen. Und, Hand aufs Herz, liebe Leute, bist du erst Ritter, wer fragt dann noch, wo die Schwertleite* geschah!

    Gerlind allerdings war von diesem Vorschlag nicht begeistert. Während der Wagen dem Rathaus entgegen rumpelte, versuchte sie, mir mit viel ach! und oh! und allen Mitteln weiblicher Überredungskunst das Vorhaben auszureden. Schalt mich einen Narren, Hasardeur, Kindskopf, Rauschwanz, Affenarsch – ich weiß nicht mehr was noch. Nun gut, in meinem Überschwang schätzte ich die Gefahren eines solchen Unternehmens wohl nicht richtig ein, und wenn ich das Risiko bedenke, das ich damals einging, kann ich nachträglich nur den Kopf schütteln.

    Natürlich ist ein Werwolf ein schreckliches Ungeheuer, mit dem ich kein Paternoster beten würde, noch nicht einmal in der Kirche vor dem Hochaltar, noch nicht einmal mit Weihwasser besprengt! So eine Bestie tappt in keine Falle, dazu ist sie zu schlau; Lanzen, Pfeil und Bogen fürchtet sie nicht, denn der Teufel schützt sie, und wehe!, jemand kommt ihr zu nahe! Wen sie in ihre Fänge bekommt, den zerreißt sie unbarmherzig.

    Etwas flau in der Magengegend wurde mir schon. Erinnerungen an die Bestie von Gévaudan, von der die Mägde beim Kerzenschein erzählten, stiegen auf; ein Ungeheuer, das Dutzende von Männern, Frauen, Kindern zerfleischte, sowie an andere Berichte, die mir damals einen Schauer des Entsetzens nach dem anderen über den Rücken jagten. Doch ich blieb fest. Als ich mich bückte, um das Windei aufzuheben, war mir nämlich etwas eingefallen. Ich erinnerte mich an den Spruch, den Gudula, ein altes, krummes Frauken, bei einer dieser Erzählungen gemurmelt hatte...

    „Ha!“, rief ich und schlug mit der Faust in die flache Hand. „Wär doch gelacht! Bin ich ein Mann oder eine Memme?“, schleuderte ich Gerlind entgegen, „will ein Ritter werden und kein Schwerenöter! Allein der Ruhm, den es zu ernten gibt! Der Ruhm, der umso größer ist, je schrecklicher das Ungeheuer! Hatte nicht der heilige Georg keine Sekunde gezögert und die Jungfrau aus den Klauen des Drachens befreit, einem siebenköpfigen Untier, das gewiss noch schrecklicher war als ein Rudel Werwölfe?“ Der Ruhm, mein Ruhm, er würde übers Meer fliegen und die Herrin auf Burg Schwarzenraben erreichen... Sie würde an mich denken... ihr parfümiertes Taschentuch ziehen... sich eine Träne der Rührung aus dem Auge wischen... vielleicht sogar eine Liebesbotschaft schicken... Mir wurde schwindlig, suchte festen Halt. „Ha!“, rief ich, als ich wieder klar denken konnte, „was Georg konnte, kann ich schon lange! Also, frisch ans Werk! Außerdem ist es wieder mal Zeit für eine Heldentat! Tatata, von wegen Rauschwanz und Affenarsch!“ Ich war mir sicher, dass ich Erfolg haben würde! Vielleicht nicht gleich ein ganzes Rudel, aber den einen oder anderen Werwolf würde ich schon fangen.

    „Was red´st du da für einen Blödsinn!“, zischte Gerlind, „die Jungfrau sitzt neben dir, und kein Drache bewacht sie!“

    Doch ich hing weiter meinen Gedanken nach.

    „Na schön“, zischte mich die drachenlose Jungfrau an, „du bist und bleibst ein hartschaliger Dickkopf! Wenn es denn sein muss! Aber ich komme mit!“ –

    Warum ich von meinem Erfolg so sicher war, fragt ihr? Tja, liebe Freunde, geduldet euch! Ihr werdet staunen!

    Im Rathaus war ein „kleiner Imbiss“ bereitet (der auf Burg Wolkenstein das Menü für eine ganze Woche abgegeben hätte), und gegen Abend machten wir uns zum Hafen auf, wo bereits ein Schiff für uns bereit stand.

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    * Ritterschlag

    Forts. folgt