Trevor gefiel der Gedanke gar nicht, dass dieser Magier sie ins Auge gefasst hatte. Er überlegte sich bereits Methoden, diesen Kerl loszuwerden. Das würde bei einem Magier wahrscheinlich nur nicht so leicht werden. Trevors erster Gedanke war, in der Nacht das Schiff abzufackeln … Er lauschte nur beiläufig der Unterhaltung der anderen, wo in der Stadt sie die Kiste verstecken wollten, um Thomas auf eine falsche Fährte zu locken. Denn immer wieder keimte der Gedanke in ihm auf, warum er sich bei der Berührung der Kiste die Hände verbrannt hatte. Bei den anderen war nichts geschehen. Aber es war nicht nur der Schmerz gewesen, ihn war Trevor gewöhnt, sondern, dass er die Kiste hatte nicht loslassen können. Als war sie an ihm festgebunden gewesen. Sie hatte ihn paralysiert, wehrlos gemacht. Dieses Gefühl, was er dabei erfahren musste, hing wie ein dunkler Schleier über ihn. Fühlte sich so wahre Angst an? Ein ähnliches Gefühl überkam ihn, als der Magier an Bord gekommen war. Etwas verengte ihm die Brust, sodass er sich lieber zurückgezogen hatte. Von der Kiste, und Thomas, ging etwas aus, das ihm nicht gefiel. Was dafür sorgte, dass er sich schwach fühlte.
„Was denkst du, Trevor?“, fragte ihn Nelli, und riss ihn somit aus seinen Gedanken.
„Was? Soll mir recht sein“, antwortete er und wusste nicht einmal, um was es gerade ging.
„Also verstecken wir die Kiste irgendwo am anderen Ende der Stadt“, wiederholte Edmund anscheinend.
„Das wird wohl unsere Aufgabe sein“, fügte Nelli hinzu. „Thomas kennt Esther, und Trevor kann man die Kiste nicht geben.“
„Das ist leider wahr …“, pflichtete Esther bei.
„Das heißt aber nicht, dass ich euch nicht begleiten kann“, widersprach Trevor.
„Du solltest dich noch etwas schonen, Junge. Außerdem sollte jemand die Handwerker im Auge behalten.“
Also bin ich jetzt nutzlos …
„Wir sollten keine Zeit verschwenden! Die Kiste muss von Bord!“, hetzte Esther.
„Wir sollten noch etwas warten. Vielleicht zu Sonnenuntergang. Wer weiß, ob Thomas das Schiff beobachten lässt. Wenn ihr gleich von Bord eilt, nachdem er hier war, wirkt das sehr verdächtig“, nuschelte Trevor nachdenklich, und Edmund stimmte zu.
Somit beschlossen alle, noch etwas zu warten.
Trevor begab sich in seine Kajüte, als er Omas Stimme hinter sich hörte.
„Können wir kurz reden?“, fragte sie und ihr Blick gefiel ihm nicht.
„Ich werde mich schon nicht überanstrengen …“, setzte Trevor an, wurde aber von Nelli unterbrochen.
„Darum geht es nicht.“
Trevor musterte sie und hielt ihr dann die Tür zu seiner Unterkunft auf.
Nelli schloss die Tür hinter sich und watschelte gestützt von ihrem Stock in den Raum. „Versuch dich, soweit es geht von Magie fernzuhalten.“
Überrascht hob Trevor seine rechte Braue. „Weil?“, fragte er gedehnt. Nicht, dass er das nicht bereits getan hätte, aber er wollte sich seine Verunsicherung nicht direkt anmerken lassen.
„Weil du ... empfindlicher als wir anderen darauf reagierst ...", erwiderte Nelli wenig präzise.
„Ach, tatsächlich …“, meinte Trevor ungewollt sarkastisch und zeigte seine Hände. Es war ihm nicht entgangen, dass Nelli ihm beim Diebstahl die Sachen nicht in die Hand geben wollte. Also, musste sie mehr darüber wissen, als sie gerade preisgab. „Was weißt du darüber?“, forderte er zu wissen.
Sie ließ sich auf sein Bett sinken und klopfte auf den Platz neben sich. „Setz dich, Junge, das wird eine längere Geschichte …“
Trevor setzte sich, und Nelli atmete tief durch.
Das, was sie ihm begann zu erklären, war … seltsam. Nelli fragte ihn zunächst, was er über die Formwandler wüsste. Das war – abgesehen von den Kräften und dem, was seine Mutter ihm erzählt hatte – nicht viel. Sie lebten irgendwo abgeschieden, es gab nur männliche Formwandler … Da unterbrach ihn Nelli. Ob er sich noch nie gefragt hatte, warum es nur Männer gab, die sich verwandeln konnten. Tatsächlich hatte sich Trevor das mal als junger Mann gefragt, aber warum über Sachen Gedanken machen, auf die niemand eine Antwort zu haben schien?
Nelli fiel mit der Tür in die Kajüte und meinte, dass Formwandler keine eigene Rasse waren. Nicht wie Menschen, Nymphen oder Magier.
Trevor wollte sie unterbrechen, aber sie fuhr ihm über den Mund und erzählte gleichauf weiter. Nämlich, dass sie gemacht worden waren. Dass Magier ihre Macht genutzt hatten, um Krieger zu erschaffen, die ihnen dienten. Anfangs aus Leichen, danach benutzten sie verletzte Krieger und irgendwann nahmen sie auch Freiwillige. Sie bastelten sich ihre eigenen Assassinen und jene mit Fähigkeiten, die von großen Nutzen waren.
Wie meine Stärke und die Fähigkeit, mein Aussehen zu verändern …
Der Unterschied zwischen den Assassinen aus Leichenteilen und den Freiwilligen war jedoch, dass die lebenden Versuchsobjekte sich fortpflanzen konnten – wodurch Männer wie Trevor entstanden.
Allerdings erschufen die Magier beziehungsweise – Nekromanten – wie sie Nelli nannte, ihre Schöpfungen so, dass sie sich niemals gegen ihre Herren erheben konnten. Sie schwächten sie für Magie und machten sie anfällig für allerhand Bannzauber.
Deswegen meine Verletzungen …
Das hielt die Formwandler vor etlichen Jahrhunderten aber nicht davon ab, das Weite zu suchen und sich bedeckt zu halten.
Trevor versuchte, das alles zu verstehen. Er sortierte Nellis Erzählung in seinen Gedanken. Er und seinesgleichen waren also tatsächlich geborene Soldaten. Zumindest das stimmte. Er wurde geboren, wahrscheinlich schockierten ihn deshalb die neuen Erkenntnisse nur wenig.
„Das ist wirklich … interessant …“, murmelte Trevor abwesend. „Deswegen kannst du Nekromanten nicht leiden, oder?“
Jetzt hätte Trevor gerne Agatha ausgefragt, aber jene hatte sich bereits verdünnisiert. Ob sie mehr darüber gewusst hätte? Vermutlich nicht, sonst hätte sie nicht so fasziniert von ihm getan.
Nelli nickte. „Ihre Versuche an jedem Lebewesen sind widerwärtig. Menschen so zu misshandeln ... Niemand sollte sich derart in die Natur einmischen.“
Trevor verstand, dass sein Unbehagen gegenüber Thomas dann wohl keinen natürlichen Ursprung hatte, sondern irgendwie gemacht war. Vielleicht ähnlich wie bei der Kiste. Ein Zauber, der ihm Wesen wie Trevor vom Leib hielten.
Trevor gestand Nelli, sich bei Thomas absichtlich verzogen zu haben, da ihm geradezu die Luft weggeblieben war.
„Dann ist Thomas gefährlicher als wir glauben“, murmelte Nelli und fuhr sich über ihr Gesicht.
„Stelle ich denn eine Gefahr da?“, wollte Trevor wissen und verzog ernst sein Gesicht. „Wenn Thomas fähig ist, mich zur Flucht zu bewegen, was, wenn er Leute wie mich auch anders manipulieren kann?“
„Es ging eher darum, sich selbst zu schützen. Ich glaube nicht, dass er dich derart manipulieren kann, aber zur Sicherheit solltest du ihm vielleicht eher aus dem Weg gehen ...“
Großartig, das heißt, ich bin absolut nutzlos gegen diesen Mann …
„Wir sollten es vielleicht den anderen sagen, damit sie Bescheid wissen. Wenn etwas passiert, sollte zumindest Esther mich … bannen können.“
Oder töten!
Nelli nickte langsam. „Ich fürchte keiner von uns ist ihm gewachsen. Das Sinnvollste, was wir machen könnten, wäre verschwinden.“
„Aye“, pflichtete Trevor Nelli zu und begann, die Verbände von seinen Händen zu lösen.
Nelli half ihm und löste die letzten Verbände. „Ah, das sieht schon besser aus“, sagte sie.
Die Haut an seinen Händen war noch rosa, aber es waren keine offenen Wunden mehr zu sehen.
„Selbst wenn nicht, habe ich mich genug ausgeruht. Wir sollten die Kiste verschwinden lassen und das Schiff seetauglich bekommen.“
„Du nützt verletzt aber auch nichts. Sonst machst Du es nur schlimmer“, brummte Nelli widerwillig.
„Ich habe schon schlimmeres überstanden …“ Trevor erhob sich und seufzte. „Wir sollten die beiden anderen zusammentrommeln.“ Gerade, als Trevor die Tür öffnen wollte, hielt er noch einmal inne. „Wie lange wusstest du das alles eigentlich?“
„Grundsätzlich schon sehr lange. Ich dachte nur bei dir wäre es nicht so stark ausgeprägt. Oder eher hatte ich es gehofft“, gab Nelli leise zu, was Trevor ein verstehendes Nicken entlockte, bevor er seinen Kiefer aufeinanderpresste.
Er schickte Nelli vor, die anderen zu holen. Er brauchte einen Moment, um das alles nochmal zu überdenken. Seine Rasse, nein er und seinesgleichen, waren also gemacht worden ...
Diener, Krieger, Soldaten … er musste zugeben, dass das einiges erklärte. Vor allem den Hang zum Töten, den er vor einiger Zeit an sich akzeptiert hatte. Es war bei ihm und allen anderen Formwandler vermutlich verankert. Nur, dass Trevor die Freiheit besaß, selbst zu entscheiden, wen er beschützen wollte. Trotzdem besaß er anscheinend nicht nur Stärken, sondern auch schwerwiegende Schwächen. Obwohl er wie jeder andere Mensch geboren worden war, überdauerte die Empfindlichkeit gegenüber Magie. Er war nicht scharf darauf, herauszufinden, welche Absicherungen sich die Nekromanten noch hatten einfallen lassen, damit Formwandler sie nicht angreifen würden.
Nachdem alle zusammensaßen, erklärte Trevor, was mit ihm und der Kiste los war. Und, dass er anscheinend gegen Magie machtlos war. Edmund schwieg zunächst, während Esther offen ihre Bedenken äußerte, ihn verletzen zu können. Zudem bekundete sie, wie widerwärtig auch sie das Vorgehen der Nekromanten fand.
„Ja, ich habe verstanden, dass Formwandler Kreaturen wider die Natur sind …“, murmelte Trevor leise monoton und rieb sich über sein Gesicht.
„In allererster Linie bist du ein Teil dieser Gruppe. Und in zweiter Linie ein Opfer“, widersprach Nelli und verdrehte die Augen. „Selbstmitleid hat noch niemandem geholfen, Bursche.“
Trevor horchte auf. „Ich bemitleide mich nicht! Und ein Opfer bin ich auch nicht“, entgegnete er entsetzt. „Aber, was die Nekromanten tun, haben wir alle verstanden. Und vielleicht tun sie es immer noch … Wer weiß … Nichtsdestotrotz sehen unsere Chancen gegen Thomas schwindend gering aus. Außer, Esther hat genauso mächtige Zauber im Peto!“
Esther dachte nach. „Thomas und ich sind zwei völlig unterschiedliche Magier. Ich bin eine Beschützerin, während er ein Zerstörer ist. Diese Magier sind dafür ausgebildet worden, solche wie mich niederzustrecken. Deswegen bin ich eher dafür, dass wir uns so schnell wie möglich aus dem Staub machen.“
„Vielleicht solltest du dir etwas von der anderen Art aneignen?“, schlug Trevor vor. „So für die Zukunft?“
Esther zuckte mit ihren Schultern. „Ich gebe mein Bestes.“
Alle waren sich einig, dass sie sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen sollten.
„Wenn wir nur Zeit schinden könnten …“, murmelte Edmund. „Das Schiff ist niemals so schnell fertig, wie dieser klebrige Kerl die Kiste gefunden hat …“
Esther überlegte. Zuerst druckste sie herum, aber dann schlug sie vor, dass man Thomas noch mehr in die Irre führen könnte, wenn sie den Zauber dupliziert, der sich auf der Kiste befand.
Edmund grinste verschlagen. „So können wir eine Kiste ins Landesinnere versenden, die andere auf ein Schiff, das den Hafen verlässt …“
„Genau!“, stimmte Esther zu.
Für Trevor und Nelli klang das nach einem sehr guten Plan.
Also machte sich Esther daran, ein Duplikat des Zaubers herzustellen.
Edmund schlug ein Stück Seife als Medium vor, was trotz der heiklen Lage für ausgiebiges Gelächter sorgte. Genau das Richtige für den Schmierlappen, wie Trevor fand.
„Seife, das sollte ich hinbekommen!“, meinte Esther und versprach, alsbald mit dem Zauber fertig zu sein. Sie erhob sich und wollte sich gleich ans Werk machen.
„Aye …“, sagte Trevor gedehnt an Edmund gewandt. „Wie wäre es, wenn wir dann anfangen?“
„Anfangen? Mit was?“
„Mit deinem Training?“
„Training?“, wollte Nelli wissen und grinste schelmisch über beide Wangen.
„Es kann nie schaden, zu lernen, wie man andere verkloppt“, erklärte Trevor, und Edmund lachte bedächtig.
„Ich habe keine Ahnung, was du meinst“, dementierte der Händlersohn und presste seine Antwort zwischen seinen Zähnen empor.
Trevor sah zunächst Edmund, dann Nelli verwundert an. Hätte das ein Geheimnis bleiben sollen?
Upsi?
„Naja, jedenfalls gehe ich etwas an den Strand südlich von hier. Wenn ihr mich sucht, wisst ihr, wo ihr mich findet. Ich darf selbst nicht außer Form geraten.“
„Aber übertreib es nicht. Deine Hände sind noch empfindlich …“, warnte ihn Nelli. „Nicht, dass ich dich danach wieder zusammenflicken darf.“
„Aye!“
Trevor erhob und streckte sich. Er überließ es Edmund, ob er ihm folgen und lernen wollte oder nicht. Dem Formwandler war klar, dass Edmund nicht gänzlich ungeübt war, immerhin hatte dieser fechten gelernt. Das war ein guter Ansatz.
Trevor würde sich beim Training darauf konzentrieren, ihm zu zeigen, wie er Bewegungen seines Gegners dezent voraussehen konnte, um entsprechend reagieren zu können. Meist verriet die Körperhaltung, wohin ein Hieb oder Schlag hingehen würde. Die Bewegungen der Schultern oder des gesamten Oberkörpers. Das hatte Trevor schmerzlich in der Praxis erfahren müssen. Er wollte Edmund ein wenig unter die Arme greifen, bevor ihm ein Messer in der Schulter steckte. Wobei er zugeben musste, dass Edmund ob seiner Statur sehr gut Schmerzen aushalten konnte – besser gar als Trevor selbst. Viel Einstecken zu können, konnte in einem Kampf ebenso hilfreich sein, wie austeilen zu können.
Nachdem Trevor am Strand angekommen war, fing er an, Klimmzüge zu machen, was er aber schnell aufgab. Er spürte jede Faser des Holzes an seinen Händen; das war nicht angenehm.
Wie zarte Mädchenhände, großartig …
Doch kaum widmete er sich dem einfachen Gewichte heben, da erschien am anderen Ende des Strandes eine Silhouette.