Trevor beobachtete das Schauspiel des Wiedersehens und es gefiel ihm nicht. Woher wollte die Familie wissen, dass sie ihren Saphir zurückgebracht und nicht lediglich auf dem Weg zum Schloss getroffen hatten? Warum luden sie bereitwillig Fremde zu sich ein? Das war nicht gerade ein Adel typisches Verhalten. Es roch nach Falle! Nach Falle und ... Tod. Er konnte es bei dem seicht aufkommenden Wind wahrnehmen. Schwach, aber der Geruch war da. Trevors Nackenhaare stellten sich auf und jeder Muskel unterhalb seiner Rüstung verspannte sich. Natürlich hatten sie mit so etwas gerechnet, sich aber nun in dieser Situation tatsächlich wiederzufinden, war etwas anderes. Allem voran, weil die Stadt unterhalb des Schlosses nahezu menschenleer gewirkt hatte. Die Gruppe hatte gemerkt, dass die Leute beim Anblick von Cecilia die Fensterläden schlossen. Die Adlige hatte es darauf geschoben, dass das Volk abergläubig war, und ihnen die Schuld für das derzeitige schlechte Wetter gab.
Trevor sah Edmund an, der ihm mit festem Blick zunickte. Vermutlich war dem Händlersohn diese gespielte Familienidylle auch nicht geheuer.
Oma und Esther hatten ebenso einen mürrischen Gesichtsausdruck, aber anscheinend besann sich zumindest Esther und stellte sich höflich vor, woraufhin ein förmlicher Knicks folgte.
Kurz schauten sich die Herzogin und der Herzog an. Wirkten sie überrascht? Trevor konnte es nicht sagen.
„Nun gut“, setzte der Herzog an. „Dann lasst uns zur Feier des Tages alle gemeinsam etwas essen. Wir können unseren Besuch doch nicht mit leeren Magen davonziehen lassen.“
Sie betraten den vorderen Hof des Schlosses, der einen alten Springbrunnen aufwies. Auf jenem thronte anscheinend ein nacktes Abbild der Herzogin. Zumindest, wenn es Trevor optisch einordnen musste. Sie hielt eine Karaffe in der Hand, aus der Wasser in den Springbrunnen floss.
Gewagt!
Hinter ihnen war das Tor bereits verschlossen worden. Nicht, dass Trevor solch ein Gebilde hätte aufhalten können, aber ... unwohl fühlte er sich allemal. Von etlichen Wachen, gehüllt in prächtige Rüstungen, wurde die Gruppe flankiert und in das Innere des Anwesens regelrecht geschoben. Kaum hatten sie die schweren Holztüren passiert, fielen diese auch knarzend ins Schloss.
„Folgt uns“, flötete die Herzogin mit süßlicher Stimme.
Als hätten wir eine Wahl, stellte Trevor in Gedanken fest.
„Der Thronsaal ist nicht weit von hier ...“, sprach sie weiter. „Ihr seid hoffentlich hungrig.“
„Eigentlich nicht!“, antwortete Nelli trocken.
„Dann werdet ihr es gleich werden“, verkündete der Herzog.
„Ja, unsere Küche ist für ihr exzellentes Essen bekannt“, fügte Cecilia dazu. „Also greift nur ordentlich zu.“
Noch einmal wurden deckenhohe Türen geöffnet. Diese waren aber ganz in Weiß gehalten mit goldenen Verzierungen. Anders als das grobe Holz am Eingang, bei dem Trevor das Fallgitter nicht entgangen war.
Sie wurden in einen prunkvollen Raum geführt, der vom Schein etlicher Kronleuchter erhellt wurde. Mittig im Raum stand eine große Tafel, die bereits gedeckt war. Die Gruppe bekam am unteren Ende jeweils einen Sitzplatz zugewiesen. Als Trevor vor sich blickte, erkannte er unzählige Gabeln, Löffel und Messer. Mehr Besteck als er jemals besessen hatte. Fragend schaute er seine Freunde an, die das nicht so außergewöhnlich fanden. Zumindest machte es den Anschein auf ihn.
Esther räusperte sich indes und beugte sich etwas zu Trevor vor. Anscheinend hatte sein fragender Blick ihn verraten.
„Man isst von außen nach innen“, erklärte sie ihm. „Außen liegen die Gedecke für die Vorspeise und so weiter ...“
Trevors Blick erhellte sich.
Was für ein Blödsinn. Sowas können sich auch nur Reiche einfallen lassen.
Während sie dort saßen, stießen auch noch drei andere Frauen zu ihnen. Zwei von ihnen trugen ihr Gesicht verdeckt von bronzefarbenen Masken, die sich jeweils an anderer Stelle ihres Gesichtes befanden.
„Wir hatten mal einen großen Brand im Schloss“, erklärte Cecilia ungefragt. „Daher entschuldigt den Aufzug meiner jüngeren Schwestern. Sie hatten nicht so viel Glück wie der Rest von uns.“
Jetzt hatte Trevor beinahe etwas Mitleid mit ihnen.
„Aber davon wollen wir uns nicht den Abend verderben lassen“, säuselte die Herzogin und klatschte in die Hände.
Die dritte Schwester fixierte mit strengem Blick Edmund und Trevor und setzte sich, ohne ihren Blick auf etwas anderes schweifen zu lassen. War das ein verstecktes Grinsen, was Trevor bei ihr bemerkt hatte?
Kurz nach dem Klatschen betraten Bedienstete den Thronsaal, die Salate mit unterschiedlichen Meerestieren servierten. Es wurde zudem reichlich Wein eingeschenkt. Danach verschlossen die Wachen die Türen wieder, aus dem der Fluss der Angestellten geströmt war.
Der Herzog, der an oberster Spitze mit seiner Frau saß, erhob seinen gläsernen Kelch. „Auf neue Freundschaften ...“, verlautete er.
„Wir werden sehen“, flüsterte Oma, grinste und erhob auch ihr Glas.
Trevor tat es ihr gleich, ebenso Edmund und Esther. Jedoch war er sich sicher, dass sie alle nur das Glas zum Mund führten, ohne etwas zu trinken. So dumm waren sie allesamt nicht. Wer wusste schon, was in den Gläsern drin war. Niemand traute der Familie über den Weg. Erstrecht nicht, wenn es um Flüssiges ging.
Alle begannen zu essen, nur die Gruppe stocherte lediglich in ihren Tellern herum.
„Schmeckt es euch nicht?“, wollte eine der Schwestern unweit der Gruppe wissen.
„Doch, doch, nur ... wir sind wirklich müde“, antwortete Esther entschuldigend.
„Die See ...“, antwortete der Herzog und fuhr sich durch sein perfekt sitzendes Haar. „Nicht umsonst zermürbt sie Stein zu Sand.“
Wie poetisch ... Halt die Fresse!
Ungeachtet dessen, dass keiner von ihnen das Essen angerührt hatte, wurde erneut aufgetischt. Diesmal Suppen. Mit zittrigen Händen stellte der Diener Trevor den tiefen Teller vor die Nase. Hatte der Mann Angst? Skeptisch schaute er dem schlaksigen Kerl nach, der gleichauf wieder den Raum verließ. Bei einem Blick auf seinen Teller fiel Trevor ein kleiner Zettel auf, der drunter klemmte.
Er wartete den Moment ab, als alle der Herzogfamilie auf ihre Teller sahen und die Suppe von ihren Löffeln schlürften, um den Zettel zu lesen. „Esst nichts!“, stand lediglich drauf.
Das haben wir auch nicht vor!
Trevor reichte den Zettel an Oma weiter, die ihn las und an Edmund weitergab, dieser an Esther.
Als die Blicke seiner Freunde ihn trafen, zuckte Trevor mit seinen Schultern. Ob der Brief vom Diener kam, oder von wem anders, konnte er nicht beantworten, auch nicht, warum man ihnen die Information zuspielte.
„Was ist eigentlich mit dem Volk draußen vor dem Schloss? Sie wirkten etwas ... zurückhaltend“, wollte Edmund wissen.
„Wie das immer ist, wenn man an oberster Spitze steht“, winkte der Herzog ab. „Kaum verfinstert sich der Himmel ein wenig, was am Meer nichts Unübliches ist, glauben sie an faulen Zauber und Flüche. Wir hätten wohl mehr Geld in Bildung stecken sollen, anstatt Schiffe zu kaufen.“ Er lachte, aber dieses Lachen kam nicht bei seinen Augen an.
„Aha ...“, folgte von Oma.
„Sie wirkten verängstigt. Sollte man sich nicht darum kümmern? Hat es vielleicht etwas damit zu tun, dass ihr angeblich magische Wesen und Gegenstände sammelt“, wollte Esther wissen, weshalb alle anfingen zu lachen.
„Was Gräfin Esther wohl damit sagen will, ist, dass ihr Vater sein Reich vermutlich besser führt“, antwortete Cecilia und formte ihre Augen zu Schlitze. „Ich habe ihr ein wenig von unserer Mission erzählt.“
Wieder lachte der Herzog. „Nun, Euer Vater wird Euch sicherlich nicht jede Revolte, jede Spitzfindigkeit Eures Volkes aufs Brot schmieren. Das werdet Ihr früh genug erfahren, wenn Ihr das Reich einmal führt. Wo Aberglaube und Dummheit herrscht, ist dem Volk nicht mit Vernunft zu begegnen.“
Die Herrschaften räusperten sich und aßen weiter.
Edmund tauchte kurz seine Zunge in den Löffel und verzog das Gesicht. Zu salzig? Eklig? Trevor konnte ihn wohl kaum offen danach fragen. Weshalb auch er einen Löffel zur Hand nahm und zumindest in der dunkelbraunen Brühe herumrührte, so lange, bis etwas an die Oberfläche stieg.
Ist das ein ...
Ja, ein Auge starrte ihn an. Ein braunes. Es war ein Auge!
Was zum F...
Ruckartig stand er auf und starrte in den Teller. Alle unterbrachen ihr Essen, und Edmund unterdrückte sichtlich einen Würgereiz.
„Ist das ein beschissenes Auge?“, brüllte Trevor.
Der Herzog und die Herzogin erhoben sich erschrocken und starrten erst ihre Kinder, dann die Wachen an.
„Das ist sicherlich von einem Tintenfisch. Das ist Tintenfischsuppe“, erklärte die Herzogin panisch. „Geraldo ... Geraldo“, schrie sie. War das der Koch?
„Vermutlich ist das Geraldo in der Suppe“, vermutete Oma.
„Ist das von einem Menschen?“, hakte Esther nach und verlor jegliche Gesichtsfarbe.
Trevor konnte sich nicht erinnern, solche Augen jemals bei einem Tintenfisch gesehen zu haben. Haselnussbraun ... und es starrte ihn an, während es wie ein kleines Schiff an der Oberfläche der Brühe auf und ab wippte.
Plötzlich spürte Trevor ein Piksen in seinem Hals. Nachdem er nach der Quelle gegriffen hatte, hielt er einen winzigen Pfeil in Händen, geschmückt mit kleinen bunten Federn.
„Schade, dass es so schnell vorbei ist“, sprach Cecilia, „aber ihr werdet leiden, versprochen.“
Trevors Beine wurden weich, sein Blick verschwamm. Als er sich umsah, erkannte er, dass auch Oma und Esther sich solch einen Pfeil aus dem Nacken fischten. Ebenso Edmund, der aufstand und das Ding zu Boden warf.
„Was soll das?“, schimpfte der Händlersohn, während Trevor schwach auf den Stuhl zurücksank. „Sehe ich aus wie ein Nadelkissen?“
Esther wollte aufstehen, fiel aber zu Boden und riss ihren Teller mit sich, während Oma mit dem Kopf auf die Tischplatte knallte.
Edmund schob seinen Stuhl weiter zurück, als zwei weitere Pfeile ihn in der rechten und linken Wange trafen. „Hey ...“, beschwerte sich dieser lallend und langgezogen. „Das dusel fusel ... rümtümtüm ... nischi nett ...“ Noch ein Pfeil folgte.
Immer mehr versank Trevors Blickfeld in einen schwarzen Nebel. Er konnte Arme und Beine nicht mehr bewegen ... Edmunds Stimme wurde leiser ...
Bei ihm haben sie vier Pfeile gebraucht, dachte Trevor stolz, bevor sein Bewusstsein entglitt und in Schwärze gehüllt wurde.
„Oh bitte, lass mich das machen ...“, drang an Trevors Ohren, während sein Geist sich zurück aus der Dunkelheit kämpfte.
„Jetzt warte ab! Du bekommst ihn früh genug!“
Trevor wusste nicht, ob er seine Augen geschlossen halten oder öffnen sollte. Die beiden weiblichen Stimmen verhießen nichts Gutes. Schwach versuchte er, seine Arme und Beine zu bewegen, aber ein metallisches Klirren verriet, dass er gefesselt war. Mehr als einmal hatte man ihn bereits in Ketten gelegt gehabt, sodass er diese Geräusche und das Gefühl einordnen konnte.
„Könnt ihr beide euch beeilen?“, fragte eine dritte Stimme. „Mutter will Ergebnisse sehen und nicht, wie Isolde ihn ansabbert.“
Bitte, lass mich angezogen sein, bitte ...
Trevor öffnete seine Augen. Es dauerte einen Moment, bis sein Blick an Schärfe gewann, aber danach atmete er tief durch. Sie hatten ihm zwar die Rüstung entwendet, aber ihm zumindest seine Hose gelassen.
„Uh, er wird wach ...“, kommentierte einer der Schwestern, nachdem Trevor seinen Kopf gehoben hatte. „Na, du Hübscher? Gut geschlafen?“
„Isolde ...“, ermahnte sie ihre Schwester aus einer finsteren Ecke heraus.
Trevor blickte sich um. Da standen drei von Cecilias Schwestern. Eine namens Isolde, die um ihn herumsprang, als sei er ein halbgares Hähnchen am Grill – und sie hatte Hunger.
„Beatrice ... willst du nicht langsam mal anfangen?“, befahl die aus der Ecke.
„Gleich, gleich ...“, säuselte die Angesprochene und spielte mit der Spitze eines Dolches. „Er soll erst einmal zu Bewusstsein kommen.“
„Ich bin bei Bewusstsein“, antwortete Trevor. „Und was habt ihr mit dem Küchenmesser vor? Bin ich die nächste Suppenbeilage?“
„Mach dich nicht lächerlich. Dazu macht Cecilia höchstens diese Esther“, erklärte Isolde und strich ihm über seine Brust. „Du wirst unser Haussklave. Du bist ein Formwandler, das heißt, wir werden dich binden!“
Esther? Suppe? Das könnt ihr vergessen!
Trevor versuchte, seine Arme zu bewegen, aber die Ketten hielten ihn zurück. Das dicke Metall, das um seine Handgelenke sowie Füße gelegt war, verhinderte zunächst jede Gegenwehr.
Erneut schaute er sich um und erkannte, dass man ihn an einen riesigen Obelisken gekettet hatte. Er bestand aus schwarzem Gestein, das von roten Mustern durchzogen war. Wie Flüsse aus Blut, die dem Stein etwas Unheilvolles verliehen. Überall standen Kerzen herum; Edelsteine und Zeichen waren auf dem Boden verteilt.
„Hier sieht es aus wie in einem billigen Puff!“, bemerkte Trevor abfällig und schaute die drei Frauen abwechselnd an. „Und ihr Nachwuchshexen wollt mich binden?“
„Oh, wir sind älter als wir aussehen, Jungchen“, erklärte die Namenlose in der Ecke. „Oder glaubst du, wir machen das hier zum ersten Mal?“
„Naja, einen Formwandler binden tun wir tatsächlich zum ersten Mal“, fügte Isolde hinzu, weshalb sie von Beatrice einen Schlag auf den Hinterkopf bekam.
„Halt deine Klappe!“, fluchte sie. „Das klappt schon. Nicht umsonst hat George den Stein mitgebracht. Für alle Fälle eben.“
„Jetzt fang an!“, schimpfte die Dritte. „Sonst ist dieser Kerl alt, bevor du fertig bist.“
„Ja, ja, Angelique!“
Angelique also ...
Beatrice näherte sich Trevor mit dem Dolch und fuhr ein Muster auf seiner Brust nach. Wollte sie ihm damit etwas einritzen? Natürlich wollte sie.
„Hört zu“, versuchte Trevor Zeit zu schinden. „Der Stein ist wirklich hübsch und so, aber ich hab hierfür eigentlich keine Zeit. Wo bekommt man so einen Obelisken eigentlich her?“
„Von magischen Händlern. Kobolden, du verstehst?!“, antwortete Angelique desinteressiert und wartete darauf, dass ihre Schwester anfing zu schneiden.
Magische Koboldhändler? Etwa wie der, der Trevor schon einige Male aufs Kreuz gelegt hatte?
Obwohl Beatrice tief in seine Haut schnitt, begann Trevor, zu lachen. „Einem Kobold traut ihr? Und ihr wollt alt sein?“ Er lachte lauter, um den Schmerz zu überspielen.
„Sollte er nicht Schmerzen haben?“, wollte Isolde wissen, während warmes Blut an Trevors Bauch hinunterfloss.
„Schau ihn dir an“, erklärte Angelique. „Sieht er für dich aus, als wäre das seine erste Verletzung?“
Oh bitte, lasst den Kobold Scheiße an sie verkauft haben.
Trevor erinnerte sich, dass der Kobold mal darauf angespielt hatte, dass er beobachtet würde. Vielleicht war der Händler kein so böser Stümper.
„Mach ihn nicht zu sehr kaputt“, säuselte Isolde. „Er soll die Form von Prinz Leopold annehmen können, damit ich mit ihm machen kann, was ich will.“
„Wer ist denn Leopold?“, fragte Trevor durch zusammengebissene Zähne, während die Klinge des Dolches über seinen Brustkorb kratzte.
„Ihr heiß geliebter Prinz. Der Sohn des Königs. Er hat kein Interesse an ihr, aber durch dich kommt sie ihrem Ziel zumindest optisch näher ...“
Trevor verzog angewidert sein Gesicht. Die eine Schwester fand es schön, ihn zu verstümmeln, die andere wollte Unaussprechliches mit ihm anstellen, und die dritte schien einfach nur gerne zuzusehen.
„Über Sex können wir gerne reden, vielleicht bei einem anständigen Essen, aber aus diesem Leopold wird leider nichts“, meinte Trevor und hielt die Luft an, als der Dolch über seine Rippen fuhr. Immer mehr Blut floss an ihm herunter, auch wenn er sicher war, dass diese Verletzung lediglich eine hässliche Narbe geben würde.
„Warum nicht?“, wollte Isolde schmollend wissen und stieß fast ihre sadistische Schwester beiseite.
„Pass doch auf, du dumme Kuh“, beschwerte sich Beatrice und setzte erneut den Dolch an.
„Ich habe diesen Leopold noch nie gesehen. Ich kann nicht die Form eines Menschen annehmen, den ich nicht kenne!“
Wie ein verwöhntes kleines Kind stampfte Isolde mit ihren Füßen auf. „Sag ihm, er soll sich in Leopold verwandeln!“, befahl sie ihrer Schwester Angelique.
„Wenn es nicht geht, geht es nicht!“, dementierte diese lautstark. „Lass ihn die Form von irgendwen annehmen, du dämliche Plunze. Ist doch egal, als was er mit dir über die Laken rutscht.“
„Ihr seid echt eklig! Und da heißt es immer, dass Männer Schweine sind“, antwortete Trevor und atmete kurz durch, nachdem Beatrice den Dolch abgesetzt hatte, um auf eine Zeichnung zu schauen.
„Stell dich nicht so an!“, sprach Angelique und überwand die Stufen, die ihre finstere Ecke von dem Ritualplatz trennten. „Formwandler sind nicht gerade für ihre Zurückhaltung bekannt.“
„Dieser hier schon!“, antwortete Trevor stöhnend, als er spürte, dass Beatrice die Klinge wieder in sein Fleisch stieß.
Angelique schnaubte. „Das wäre so, als wenn ein Hai sich mit einem Fisch im Monat begnügt. Das ist lächerlich!“
„Wenn der Hai so leben will, dann lass ihn doch!“, spie Trevor aus und schaute an sich runter. „Bist du langsam mal fertig?“
Nur vage erkannte der Formwandler einen blutigen Kreis auf seiner Brust, den Beatrice mit einer Sternform in der Mitte verband. Allmählich sog sich der Bund seiner Hose mit seinem Blut voll, was ein klebriges und unangenehmes Gefühl auslöste. Es roch metallisch, aber zumindest wollten sie ihn nicht töten. Ein Schicksal, das vielleicht auf seine Freunde wartete. Ein dicker Kloß bildete sich in Trevors Hals. Hoffentlich war ihnen noch nichts geschehen.
„Sei still, ich will das genießen!“, flüsterte die Sadistin.
„Also, ich hatte mir Fesselspiele mit mehreren Frauen immer romantischer vorgestellt. Ich muss zugeben, hierauf stehe ich gar nicht.“
„Soll ich ihn knebeln?“, fragte Angelique.
Beatrice verneinte.
„Super ...“, warf nun Isolde weiterhin schmollend ein. „Da finden wir mal einen Formwandler und der ist nutzlos. Er kann sich nicht in Leopold verwandeln und unerfahren ist er auch noch.“
Was heißt hier unerfahren?
„Entschuldige, wenn ich dich enttäusche, du kranke Schlampe“, wurde Trevor ungehalten. „Aber viel Erfahrung scheint ihr mit Formwandlern auch nicht zu haben, wenn ihr nicht wisst, wie unsere Magie funktioniert.“
„Ihr seid bloß Menschen, die sich in andere verkleiden können“, erklärte Angelique und zündete noch ein paar Kerzen an. „Mehr nicht.“
Jetzt wurde Trevor hellhörig. „Normale ... Menschen? Soll das heißen, ihr denkt, das Verwandeln ist alles?“
Wieder schnaubte Angelique. „Was heißt denn, alles? Reicht für unsere Zwecke. Hier ein Mord, da ein Attentat, sodass unsere Familie weiter aufsteigt. In der Thronfolge versteht sich.“
Sind die dämlich?
„D... Das heißt, der Raum ist nicht magisch geschützt? Die Ketten nicht aus besonders hartem Stahl?“
Jetzt sahen sich die Schwestern gegenseitig an.
„Das heißt, ich hänge hier an stinknormalen eisernen Ketten? Wollt ihr mich verarschen? So viel Aufwand ... für das?“ Trevor riss die Kette seines linken Armes aus dem Stein.
„Du willst doch keine wehrlosen Frauen töten?“, schrie Isolde auf.
„Wehrlos? Ihr? Eben habt ihr mir noch das Fleisch von den Knochen geschält ...“, antwortete Trevor und wurde mit jedem Wort lauter. „Ihr seid mordlüsterne Huren, aber keine Frauen!“
„Ersteche ihn!“, brüllte Angelique und trat hinter Isolde.
Trevor befreite seinen rechten Arm und hielt Beatrices Hand auf, die mit Dolch auf seine Brust niedergehen sollte. Er zog sie nah an sich heran. Mit seiner anderen Hand ergriff er die Klinge, die er Beatrice kurzerhand durch den Unterkiefer in den Kopf schob.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an. Gurgelnd wollte sie etwas sagen, aber nur ein Schwall Blut kam ihr über die Lippen.
„Sei still“, flüsterte Trevor in tödlicher Umarmung. „Ich will das genießen!“ Sein Blick wich nicht von ihr, während das Licht in ihren Augen erlosch. Schlaff glitt sie durch seine Arme zu Boden, und Trevor zog den Dolch aus ihrem Fleisch. Durch zwei Schritte nach vorne befreite er seine Füße. Klirrend schossen die Ketten nach vorne.
„Mach doch was, Angelique!“, schrie Isolde, die von ihrer Schwester schützend vor sich gehalten wurde.
War klar, dass die mit dem größten Maul die Feigste ist!
Isolde griff nach einer Kerze und warf sie nach Trevor. Natürlich ging die Flamme aus, und Trevor wurde lediglich von etwas Wachs getroffen. „Für diese Art Spielchen ist es jetzt zu spät!“, knurrte er und packte Isolde an ihrem langen blonden Haar.
Schreiend und bettelnd versuchte sie, Trevors Griff zu entkommen, aber er warf sie gegen den Obelisken. Sie prallte ab und kam einige Meter davor zum Liegen. Mühselig wollte sie sich aufrichten, als Trevor den schweren Stein mit einer Armbewegung umwarf und dabei Angelique fixierte. Knochen brachen hörbar und irgendetwas Glitschiges breitete sich neben Trevors nackten Füßen aus. „Jetzt du!“, sprach Trevor leise, aber bedrohlich. „Wo sind die anderen?“
„I... Ich weiß es nicht!“, stammelte Angelique. „Dein Freund ist vielleicht im Labor ...“
Trevor ergriff ihren Hals und setzte den Dolch unterhalb an. „Weiter?“
„Das Labor ist am anderen Ende des Schlosses. Dies hier ist der Folterkeller“, krächzte sie. „Bitte ... ich ... wollte nicht mitmachen, deswegen stand ich nur herum. Cecilia hat die junge Frau mitgenommen. Vielleicht ist sie in ihrem Zimmer. Die alte Vettel nahm mein Vater mit.“
Trevor schnalzte mit der Zunge. „Nicht mitmachen, hm? Und wie war das mit dem einen Mord hier, ein Attentat da?“
Trevor sah sich um und entdeckte den Fleischerhaken etwas unweit von ihnen. Direkt hinter dem Obelisken hing er von der Decke und glänzte im wenigen Licht der Kerzen. Mit ihrer Kehle in seinem Griff ging er zu dem Haken hinüber und zog ihn nach unten. Den Dolch ließ er ungeachtet auf den Boden fallen. Erst jetzt, aus der Nähe betrachtet, hingen noch Reste von Kleidung und Blut an dem Haken.
Unschuldig und wehrlos, wer es glaubt ...
Angelique wollte schreien, aber Trevor kräftigte seinen Griff, sodass jeder Ruf nach Hilfe erstarb. Er nahm den Fleischerhaken in die Hand und rammte Angelique das spitze Ende in den Rücken, sodass er sich in ihrer Wirbelsäule verkeilte.
Auch dieser Schmerzensschrei kam ihr nicht über die Lippen, aber kurz darauf wurde sie bewusstlos. Blut floss auf den Boden, während Trevor sie näher an die Decke heranzog. Er befestigte das dicke Seil an einer Aufhängung an der Wand und schaute sich um. Er wollte nicht mehr Zeit verlieren als nötig und ergriff den Dolch wieder. Ein bisschen bedauerte er es, dass sie bewusstlos war. Ohne zu zögern, schnitt er ihr die Kehle durch, damit sie ausblutete wie ein Schwein. Keiner dieser Schwestern würde diesen Raum verlassen. Dafür hatte er gesorgt. Über und über mit Blut besudelt – seinem eigenen und dem der Schwestern – verließ er den Folterkeller. Zuerst musste er aufpassen, nicht auf dem glatten Steinboden auszurutschen, aber nachdem er das meiste des Lebenssaftes hinter sich gelassen hatte, konnte er durch die Gänge eilen. Immer wieder rief er nach Esther, Edmund und Nelli. Das Problem bei seinem Gerufe war allerdings, dass plötzlich eine Horde Wachen im Gang vor ihm stand. Trevor rollte mit den Augen. Er war unbewaffnet, also schaute er sich um. Im Gang war nichts zu entdecken, was er als Waffe einsetzen konnte, während die Männer vor ihm ihre Schwerter zogen.
Trevor verfinsterte seinen Blick. „Wer von euch hat mir den Pfeil in den Nacken geschossen?“, wollte mit tiefer Stimme wissen.
Die Wachen schauten sich an.
Dann schlug Trevor mit der Faust gegen die Marmorsäule neben sich. Er spürte, wie seine Fingerknöchel aufplatzten, aber verzog nicht eine Miene.
Der Stein splitterte großzügig ab und flog den Männern entgegen. Vier der Wachen zeigten wortlos auf den Kerl ganz hinten und rannten weg. „Spinnt ihr? Wir haben Schwerter!“, schrie der Letzte, der laut den anderen den Pfeil geschossen hatte.
Trevor setzte sich wieder in Bewegung und ging auf die Wache zu.
Dieser stieß einen spitzen Schrei aus, warf sein Schwert vor sich und rannte ebenfalls davon.
Jetzt war Trevor zumindest nicht mehr gänzlich unbewaffnet. Fehlten nur noch seine Freunde und seine Ausrüstung. Mit dem Schwert schnitt er sich kurzerhand noch einen Strich über das Muster auf seine Brust. Eine vorgezeichnete Gebrauchsanweisung, wie er zu bannen war, wollte er niemanden hinterlassen, dann lief er weiter.