Die Revenge stach bereits von weitem ins Auge. Zwischen den ganzen Schiffen im Hafen wirkte der Einmaster beinahe verloren. Vor allem, da das Schiff deutlich beschädigter war, als alle anderen und sich Handwerker mit ihren Karren davor stapelten.
„Ein Monster? Vor der Insel?", vernahm Edmund einen alten Seemann, als sie gerade an diesem vorbeiliefen. Der Mann stand mit einer Gruppe anderer Seeleute zusammen. Mit seiner Pfeife erinnerte er Edmund ein wenig an den Steuermann der Eleftheria. „Das müssen Gerüchte sein. Die Monster trauen sich nicht so weit an die Inseln heran."
„Jack behauptet, es wäre ein Krake gewesen."
„Ein Krake?“
„Ja, einen so großen habe er noch nie gesehen."
Edmund warf Esther einen knappen Blick zu. Ob das wohl der Krake war, der ihnen auf dem Weg hierher auch schon begegnet war?
Esthers Blick war deutlich zu entnehmen, dass sie wohl ähnlich dachte.
Blieb zu hoffen, dass das Vieh blieb, wo es war. Nur was wollte das Ding so nah an den Inseln?
Weil Esther neben ihm schon wieder schwankte, schob er sie eilig weiter. Er kassierte zwar einen eingeschnappten Blick, aber das war ihm egal. Am Ende klappte dieser Sturschädel noch zusammen und er durfte sie zum Schiff schleifen. Und dann wäre er wieder der Doofe. Er kam sich sowieso schon nutzlos vor. Das Letzte, was er an diesem Tag brauchte, war ein Vortrag der Alten, er hätte besser auf Esther aufpassen sollen. Wie denn, wenn ihm hier niemand etwas zutraute?
An der Revenge angekommen, sah er sich eilig an Deck um.
„Peternella“, rief Edmund über das Deck. Die Alte stand wie ein böses Omen hinter Trevor, der den umherlaufenden Handwerkern Anweisungen gab.
Es war gut zu sehen, dass Trevor wieder fit war. Nur die dicken Verbände an seinen Händen zeugten noch von den Verletzungen. Wirken gleichzeitig aber wie Handschuhe zum Boxen und weckte bei den Handwerkern offenbar Unbehagen
„Esther braucht deine Hilfe“, setzte Edmund nach, ehe Esther etwas sagen konnte.
Halt bloß die Klappe und diskutier das gerne mit der Alten, ich bin raus!
„Ich habe die Wunde notdürftig verbunden und ehe du mich dafür anschreist, ich habe Esther schon zur Sau gemacht. Sie hatte mich ausgesperrt.“
„Du hast sie verbunden?", fragte Nelli und klang dabei überraschter als es Edmund lieb war. Ihm traute hier aber auch niemand etwas zu! Esther hatte nicht gewollt, dass er mitkam. Dann hatte sie ihn ausgeschlossen . Ihn dann zurechtgewiesen, er könne ihr sowieso nicht helfen. Und nun bekam er auch noch eins auf den Deckel, weil er versucht hatte, ihre Wunde zu versorgen?
Danke Edmund, dass du mitgekommen bist. Danke Edmund, dass du mich und die Kiste den halben Weg zurückgeschleift hast. Danke Edmund, dass du die Wunde zumindest verbunden hast. Ach kein Problem, das habe ich gerne gemacht.
Nelli zog eine Augenbraue hoch. „Euch kann man auch keine fünf Augenblicke allein lassen.“ Sie rieb sich über die Nasenwurzel. „Lass mich sehen.“
Edmund schob Esther in Nellis Richtung.
„Aber dafür habe ich die Kiste geöffnet“, verkündete Esther stolz, während Nelli ihre Wunde näher betrachtete und an dem Verband herumfummelte. Genervt verdrehte Edmund die Augen.
„Diese blöde Kiste…“, zischte er und machte auf dem Absatz kehrt. Er würde die Kiste unter Deck abstellen und dann vielleicht Trevor helfen.
„Ich sollte mir das in Ruhe anschauen.“ Nelli schob Esther mit sanfter Gewalt unter Deck in die Kombüse.
Edmund stellte dort die Kiste ab und atmete auf.
Endlich setzen…
„Welchen Teil von In Ruhe hast du nicht verstanden?“, wandte sich Nelli an ihn als er sich gerade setzen wollte. Sie wies Esther an, sich auf den Tisch zu setzen.
Ich war zuerst hier ….
„Werde ich jetzt auch noch aus der Küche geworfen?“, fuhr Edmund die Alte genervt an. War er denn überall überflüssig?
„Es sei denn zu willst zusehen und lernen...“
Verwirrt hob Edmund die Augenbrauen. Das ist neu.
„Ich will eigentlich, dass er geht“, mischte sich Esther ein. Sie sah aus als würde sie sich bereits unwohl fühlen.
„Du hast kein Mitspracherecht.“ Nelli wedelte mit dem Stückchen Stoff herum, mit dem Edmund zuvor die Wunde verbunden hatte. „Das ist vielleicht eine Lehre, das nächste Mal vorsichtiger zu sein.“
Was ist gerade passiert? Warum erlaubt Nelli, dass ich ihr zuschaue? Mit dem Gedanken beschäftigt, was in Nelli gefahren war, ließ sich Edmund auf dem Stuhl nieder und hob die Augenbrauen. Es würde sicherlich für das nächste Mal nicht schaden, mehr zu wissen. Bisher hatte er Nelli immerhin nur von weitem über die Schulter geschaut.
„Sitz da nicht herum, entweder schaust du richtig zu oder gehst!“ Nelli zupfte Esthers Robe von der Schulter und zog dann ihre Utensilien aus den Schränken. „Aber wage es ja nicht, etwas anderes als die Wunde anzuschauen!“
Das klingt schon eher nach der Alten.
Edmund grinste. Es war ja nicht so, als wäre wirklich etwas Interessantes zu sehen.
„Schade, dabei habe ich noch nie so viel nackte Haut bei Esther bewundern dürfen.“ Weiter kam er nicht, da hatte ihm Nelli bereits den Stock auf den Hinterkopf geschlagen.
„Geschieht dir recht“, nuschelte Esther neben ihm, während Edmund die Schultern zuckte und weiterhin vor sich hin grinste.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Einer der Handwerker stand dort und sah etwas befremdet in den Raum.
„Da stehen Soldaten und ein Kerl vor dem Schiff, die mit jemandem reden wollen, der hier das Sagen hat.“ Der Mann sah in den Raum.
„Wo ist denn Trevor?“ , wollte Edmund verwirrt wissen. Eben war der Kerl mit seinen weißen Verbandhandschuhen doch noch an Deck gewesen.
Der Mann zuckte die Schultern.
„Toll, wo ist der Kerl, wenn man ihn mal braucht?!“ Edmund sah zu Nelli, doch die zuckte die Schultern.
Edmund seufzte.
„Sag ihm, es kommt gleich jemand.“ Er machte eine scheuchende Bewegung mit der Hand und wartete, dass der Mann verschwunden war. Dann wandte er sich erneut an die anderen.
„Ziehen wir Streichhölzer?“
„Esther ist verletzt und ich bin damit beschäftigt, eine Verletzte zu versorgen“, meinte Neli mit einem Grinsen. „Und du willst doch keine Frauen vorschicken, oder?“
Nein, sondern eine Hexe und eine Magierin ... aber klar, dafür ist die Nymphe wieder gut.
„Was ist, wenn die wegen der Kiste hier sind? Was machen wir jetzt?!“
„Keine Panik schieben, wäre ein Anfang“, gab Nelli trocken von sich.
„Danke für den Hinweis“, zischte Edmund. „Versteckt wenigstens die Kiste und deren Inhalt, ich schau mal, was die wollen und wo Trevor steckt.“ Er musste den ehemaligen Piraten schließlich auch noch etwas fragen.
Als er an Deck kam, hatten die Handwerker in ihrem Tun innegehalten und drei Soldaten standen zwischen ihnen und sahen sich auf dem Schiff um. Und daneben die gedrungene Gestalt des Magiers, dem er bereits in der Nacht begegnet war. Auch bei Licht betrachtet, sah der Kerl nicht besser aus. Im Gegenteil schmeichelte ihm das gar nicht. Der Kerl trug die gleiche Kleidung wie in der Nacht. Die Haare klebten ihm fettig im Gesicht und er wirkte immer noch wie ein Gerippe mit Augenringen. Wie alter Käse, den man unter der Küchenzeile gefunden hatte, nachdem er dort vor hundert Jahren hintergefallen war.
Zumindest war nun klar, weshalb diese Leute bei ihnen auf dem Schiff waren. Stellte sich nur die Frage, ob sie wussten, dass sie die Kiste hatten oder ob sie diese noch suchten.
Immerhin steht das Schiff noch nicht in Flammen. Ein gutes Zeichen.
Am liebsten wäre er einfach auf dem Absatz umgekehrt und wieder zu den anderen zurück. Aber man hatte ihn bereits entdeckt, weshalb er innerlich die Augen verdrehte und ein Lächeln aufsetzte.
Edmund ist zu nichts zu gebrauchen, aber ihn vor die Füße eines wütenden und bestohlenen Magiers zu werden, das geht!
„Mir wurde gesagt, Ihr wollt mit jemandem sprechen?“
Edmund musterte den Magier, der ihn stechend ansah, als bohrte er sich in seinen Geist. Vielleicht tat er das auch.
Wäre blöd, wenn der Kerl Gedanken lesen kann. Er lächelte ihm zu. Dann wüsste er ja, dass ich ihn für unglaublich hässlich halte.
„Wie kann ich Euch helfen? Die Legegebühr ist beglichen.“
„Wir sind nicht wegen der Legegebühr hier. Wir-“
„-Ich wurde heute Nacht bestohlen!“, fuhr der Magier dem Soldaten über den Mund. Er fixierte Edmund mit einem Blick, der tödlich hätte sein können.
Der Kerl weiß es, ich bin so tot!
„Das ist aber ärgerlich.“ Edmund verschränkte die Arme und lächelte unschuldig, während im innerlich das Herz in die Hosentasche sackte. Bleib entspannt! „Ich hoffe, es wurde nichts Wichtiges gestohlen?“
Der Kerl musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen.
„Doch. Und ich bestehe darauf, dass ich Euer Schiff durchsuchen kann.“ Er schnippte mit dem Finger und deutete den Wachen an, dass sie anfangen sollten zu suchen. Diese rührten sich jedoch nicht, was Edmund belustigt zur Kenntnis nahm.
„Ihr glaubt, wir hätten Euch bestohlen? Sollte ich mich beleidigt fühlen?“
„Routine“, murrte der Wachmann, als er neben ihn trat. Er sah sich um und beobachtete die Handwerker. Insgesamt schien er eher genervt. Nur konnte Edmund nicht einschätzen, ob es an ihm oder Thomas lag. „Wo ward Ihr gestern Abend und heute Nacht?“
„An Bord“, log Edmund. Er behielt den Wachmann im Auge.
„Ihr wart also nicht unterwegs? Habt Ihr etwas mitbekommen? Ist Euch im Hafen etwas seltsam vorgekommen?“
Also wissen sie nichts. Das ließ Edmund aufatmen und an Selbstbewusstsein gewinnen. Oder zumindest glauben die Wachen dem Magier nicht einfach blind.
„Die letzte Reise war anstrengend, da sind wir alle froh über Schlaf.“ Er lehnte sich mit dem Rücken an die Reling.
„Wir untersuchen jedes Schiff im Hafen. Ihr habt sicherlich nichts dagegen, wenn wir uns umsehen?“
Edmund musterte den Mann und die beiden anderen Soldaten.
„Meinetwegen schaut euch um“, er zuckte gleichgültig die Schultern.
Die ganze Zeit war Esther mit der Kiste unterwegs gewesen. Und ausgerechnet jetzt tauchten sie hier auf, kurz nachdem sie die Kiste zurückgebracht hatten. Das war definitiv kein Zufall. Wusste dieser Thomas, dass sie ihm die Kiste gestohlen hatten? „Tut mir nur einen Gefallen und belästigt die Handwerker nicht, und die Alte Frau unter Deck besser auch nicht. Der Kapitän schätzt es nicht, wenn man seine Oma aufwühlt.“
Als ihm der unangenehme Schweißgeruch des Magiers in die Nase stieg, wusste er, dass der Magier neben ihm stand, ohne sich dafür umdrehen zu müssen. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Er konnte nur hoffen, dass Nelli Kiste, Buch und Fernrohr schnell versteckt hatte.
„Das Schiff ist in keinem guten Zustand“, stellte der Wachmann fest.
Ach was. Gut, dass du es sagst, wäre mir glatt entgangen.
„Wir sind in einen Sturm geraten.“
„Was transportiert ihr?“
„Im Moment nichts mehr. Um nicht zu sinken, mussten wir viel Fracht über Bord werfen.“
„Die Schäden sind groß. Warum kein neues Schiff kaufen?“
„Der Kapitän hängt an dem Schiff. Familienerbstück.“
Der Wachmann nickte und musterte ihn, als suchte er die Lüge in seiner Aussage.
Edmund lächelte zurück.
„Ihr kennt diesen Mann?“ Er deutete zu Thomas. Der Magier sah ihn finster an, Edmund unterdrückte den Impuls die Nase hochzuziehen.
„Leider nicht“, meinte er, dann tat er überrascht. „Müsste ich?“
Von Thomas erhielt er nur einen stechenden Blick, aber keine Antwort.
„Und Ihr seid?“ Der Wachmann wandte sich wieder an Edmund.
„Entschuldigt, ich habe mich nicht vorgestellt. Ich bin Piet“, meinte Edmund. Er hielt es für besser, seinen Namen nicht zu erwähnen. Wenn Thomas wusste, wer er war, dann auch, dass er es war, der das Fernrohr hatte verkaufen sollen. Und damit auch, wer es zurückgestohlen hatte. Dann erklären zu müssen, wer das Eigentum an dem Teil hatte, würde nur nerven, weil alle Nachweise auf der Eleftheria waren. Und diese…wer wusste schon wo. „Ich bin hier nur das Mädchen für alles. Während mein Kapitän in der Stadt neue Matrosen sucht, vertrete ich ihn. Wenn Ihr mehr wissen wollt, müsst Ihr Euch wohl an ihn wenden.“ Er kratzte sich mit dem Finger an der Schläfe. „Er wird nicht begeistert sein, dass nun das Schiff durchsucht wird und damit die Arbeiten aufgehalten werden. Der Kapitän kann manchmal unausstehlich sein.“
Der Wachmann beobachtete ihn noch einen Moment, dann nickte er und wies seine Leute an, sich zu beeilen. Hoffentlich hatte das gereicht, um Nelli Zeit zu verschaffen. Andernfalls wären sie gleich sowieso tot.
„Ich weiß, dass die Kiste hier ist“, raunte der Magier neben ihm, sodass ihm dessen Mundgeruch ins Gesicht schlug.
Ich glaub, ich übergebe mich gleich…
„Von welcher Kiste redet Ihr, Herr… ähm…Magier?“ Er versuchte unschuldig zu klingen.
„Ich spüre es!“, ließ sich dieser nicht beirren, „Und wenn ich herausfinde, dass ihr gestern bei mir eingebrochen seid, dann werde ich euch alle beseitigen.“
Thomas starrte ihm in die Augen, als würde er dort etwas suchen. Edmund gab sich Mühe zurückzuschauen. Was ihm allerdings deutlich schwerer fiel.
Du glaubst nicht wie gerne ich dich über Bord werfen will. Ein Degen zwischen die Rippen.
Ob er dann für ein Fischsterben vor der Insel verantwortlich wäre? Müll gehörte ja nicht ins Meer.
Das Risiko gehe ich ein.
„Das ist aber nicht nett, auf fremder Leute Schiffe gehen und sie bedrohen.“ Edmund zwang sich zu einer ruhigen Stimme. „Aber wahrscheinlich verständlich. Ich wäre auch sauer, wenn man meine Sachen stiehlt und würde alles tun, um sie zurück zu bekommen.“ Er musterte ihn. „Vermutlich bedeutet euch diese…Kiste - (?) sagtet Ihr - viel, wenn Ihr dafür so weit geht. Ein Geschenk für Eure Frau? Wartet sie auf Eure Rückkehr?“ Das Einzige, was da wartet, ist das Badewasser. Und das schon seit Jahren. Vergeblich. „Ich wünschte wirklich, ich könnte Euch weiterhelfen, aber ich fürchte, bei uns werdet Ihr nicht finden, was Ihr sucht.“ Das hoffte er zumindest.
Vorsichtshalber schob Edmund die Hand in die Hosentaschen, ehe er doch noch auf die Idee kam, den Kerl an den dürren Schultern zu packen und über Bord zu werfen.
Thomas musterte ihn. „Ratte.“
Er weiß es genau …
Edmund wog den Kopf, dann grinste er den anderen an und tat als hätte er ihn nicht gehört. Stattdessen setzte er sich auf die Reling. Hauptsächlich, um seine Nervosität zu verbergen.
Ablenken!
„Ihr habt eine lange Reise hinter Euch, oder? Was macht ein Magier so weit weg der Heimat?“
Thomas antwortete ihm nicht, sah ihn einfach nur an. Edmund blickte zurück, geduldig, obwohl er nicht mit einer Antwort rechnete.
„Forschung.“
Er lächelte. Etwas daran, wie der Kerl das sagte, bereitete ihm eine Gänsehaut. Er konnte es nicht benennen, aber er kam sich seltsam beobachtet vor. Wie ein Fisch im Netz.
„Macht Ihr Magier das nicht eigentlich vom Schreibtisch aus?“
„Manche Erkenntnisse trifft man nur, wenn man sich selbst ein Bild macht.“
Aber allein in einer Kammer, könntest du anderen ersparen, sich ein Bild von dir zu machen.
„Das stimmt wohl“, Edmund hoffte inständig, dass das Gespräch bald beendet war. Er konnte nicht sagen, was im Kopf dieses Mannes vor sich ging. „Dann seid Ihr also Forscher.“ Er tat interessiert. „Meeresforschung?“
„Kulturen.“
Ich merk schon, du bist gesprächig.
„Also Menschen?“
„Unter anderem, aber vor allem Artefakte.“ Thomas starrte ihn an, als wollte er seine Reaktion testen, doch Edmund liest sich nichts anmerken und hob nur interessiert die Augenbrauen. „So ein Artefakt, wie mir heute Nacht gestohlen wurde“, setzte Thomas nach. Er blickte über das Schiff und stierte zwei Handwerker in Grund und Boden, die daraufhin eilig verschwanden. Edmund nahm es ihnen nicht übel. Er hätte sich auch gerne aus der Dunstwolke dieses Widerlings verzogen.
„Dann ist es also sehr wertvoll?“
„Ja.“
Der Wachmann kam mit ein paar Gegenständen und Büchern zurück an Deck. Auf den ersten Blick erkannte Edmund, dass es sich dabei weder um die Kiste noch um das gestohlene Buch handelte. Er versuchte sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
„Gehört etwas davon Euch?“ Der Wachmann hielt ihnen die Gegenstände entgegen.
Thomas besah sich die Bücher und die Kiste. Und schüttelte dann den Kopf. Als er sich zu Edmund wandte, loderte etwas in seinem Blick, das er nicht benennen konnte, was ihm aber durch Mark und Bein ging. Fakt war, wenn der Kerl ernst machte, konnte Edmund ihm nichts entgegen setzen. Und Trevor vermutlich ebenso wenig. Im Moment war nicht einmal Esther in der Lage, etwas gegen den Mann auszurichten.
„Das Schiff ist sauber. Keine Kiste, wie Ihr sie beschrieben habt und das sind die einzigen Bücher.“
„Das kann nicht sein!“, schimpfte Thomas. „Ich will mich selbst überzeugen!“
In Ordnung, verschwinde vom Schiff, Magier!
„Und ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr nun gehen würdet“, versetzte Edmund. „Mein Kapitän wird vermutlich bald wieder da sein und wenn wir dann alle herumstehen und Löcher in die Planken stehen, wird er sauer.“ Er grinste den Wachmann an. „Falls noch etwas ist, liegen wir noch ein paar Tage im Hafen. Eilig haben wir es nicht.“
Thomas sah aus, als wollte er noch etwas sagen. Die beiden anderen Soldaten verließen aber bereits das Schiff.
„Hier ist nichts. Nur eine alte Frau unter Deck, eine Menge Handwerker und ein leerer Lagerraum.“ Der Soldat trat ebenfalls an Edmund vorbei.
Auffordernd hob Edmund die Augenbrauen und wies mit der Hand die Planke hinab, als sich Thomas nicht bewegte.
„Ich will Euch ja nicht drängen, aber es liegen noch andere Schiffe im Hafen. Ich wünsche Euch viel Erfolg bei der Suche. Ihr wisst ja, wo Ihr uns findet.“
„Irgendwas stimmt nicht“, gab Thomas von sich. „Die Kiste ist hier. Das spüre ich. Und ich werde sie finden.“
„Ist das eine Drohung?“ Edmund behielt sein Lächeln bei, fixierte den Magier aber streng. Dieser starrte zurück. „Dann lasst Euch meinerseits gesagt sein, dass ich es überhaupt nicht leiden kann, wenn man grundlos meine Freunde bedroht.“
Thomas blickte ihn noch eine Weile an, nur kurz zuckte sein Gesicht, dann wandte er sich ab und verließ wortlos das Schiff.
Vollkommen leere Drohungen aussprechen? Kann ich! Was sollte er schon machen, wenn der Magier wirklich ernst machte? Schreiend davonlaufen? Mit einem Messerchen auf ihn zielen?
Blieb die Frage, warum Thomas nicht ernst macht? Weil es zu viele Zeugen gab? Dann hieß das, er würde in der Nacht wiederkommen, oder?
„Das war knapp.“ Trevor tauchte neben ihm auf und blickte dem Magier ebenfalls nach.
Ich bezweifle, dass es gut war, was ich gesagt habe. Edmund fuhr sich seufzend über das Gesicht und durch die Haare. „Er weiß, dass die Kiste hier ist. Keine Ahnung wie und warum. Ich bin kein Magier. Aber er weiß es.“
Verzweifelt sah er Thomas nach. Und er weiß, dass ich auf seinem Schiff war …
„Wo warst du?“, wandte er sich an Trevor.
„Verrate es nicht Nelli“, meinte Trevor, „aber ich habe die Chance genutzt, dass sie nicht mehr hinter mir stand und habe den Handwerkern bei den Segeln geholfen. Und ich habe den Kerl von oben im Auge behalten.“
Danke für nichts, Käpt'n.
Edmund verzichtete darauf, seinen Freund darauf hinzuweisen, dass Nelli ihnen beiden dafür den Kopf abreißen würde.
„Ich verrate nichts.“
Ich glaube nicht, dass er damit rechnet, dass wir die Kiste öffnen konnten, überlegte er dann in Gedanken. Also sucht er die Kiste, nicht den Inhalt. Ich schlage vor, wir verschaffen uns etwas Zeit, in dem wir ihn eine Karotte jagen lassen.
Dann wandte er sich an Trevor. Ihn plagte bereits seit Tagen ein Gedanke und nachdem er mit Esther zurückgekommen war, war dieser deutlich präsenter noch. Allerdings verlangte es ihm einiges, endlich über diesen Schatten zu springen. Ein Schatten, der sich bereits seit der Meuterei vor ihm auftat, wie eine Schlucht. Aber wenn sie es nun wirklich mit Thomas zu tun bekamen, dann konnten sie nicht alles Esther überlassen, oder? Er stand oft genug am Rand und konnte nichts machen als zusehen und hohle Drohungen aussprechen.
„Sag mal, Trevor?“ Nur wie sollte er es ansprechen? „Würdest du…“ Warum war es so schwer, um Hilfe zu bitten? Nervös trat er von einem Bein auf das andere und schob die Hände in die Hosentaschen. „Also ich habe mich gefragt, ob…“ Er stieß die Luft aus. Sprich es einfach aus, was soll passieren: Kannst du mir beibringen, wie man richtig kämpft? Aber was sollte er machen, wenn Trevor ja sagte?
„Ich kann dir zeigen, wie man sich verteidigt, ja ...“ Edmund sah Trevor überrascht an. Woher wusste er, was er hatte fragen wollen? Im Grunde war er aber froh, dass er es nicht aussprechen musste. „Sag nur wann und wo.“
„Sobald es dir besser geht?“, murmelte Edmund noch etwas überfordert.
Trevor schaute seine Hände an. „Zeigen kann ich es dir auch jetzt schon.“
War er mittlerweile über die Meuterei hinweg? War er bereit, wieder eine Waffe gegen einen anderen Menschen zu erheben?
„Jetzt? Ja. Also ich denke, ich bin zu müde und du bist ja auch noch verletzt, und ja, die Handwerker brauchen ja auch ... ähm...Hilfe und i-ich sollte mich erstmal um die Kiste kümmern.“ Er nickte seiner eigenen Aussage zu. „Ja, genau…ähm, vielleicht morgen früh. Wenn wir da noch leben.“
„Aye“, meinte Trevor und hob die Augenbrauen.
Edmund nutzte den Moment, um sich aus dem Staub zu machen. Es hatte ihn schon genug Überwindung gekostet, nachzufragen. Auf den Rest musste er sich mental erst vorbereiten.
In der Küche drückte ihm Nelli breit grinsend ein Buch über Kräuter in die Hände.
„Bis Seite 100 alles auswendig lernen, Lehrling.“
An welcher Stelle habe ich denn erwähnt, den Lehrling zu spielen?
„Was?!“
„Der Verband war gar nicht übel“, meinte sie.
Ach, jetzt kommt die Alte mit Honig! Jetzt, nachdem ich mein Leben riskiert und wahrscheinlich weggeworfen habe!
Seine weiteren Beschwerden ignorierte die Alte und verschwand pfeifend aufs Deck. Genervt klemmte sich Edmund das Buch unter den Arm. Er würde sich die Kiste schnappen, den Inhalt Esther zur Verwahrung geben und dann die Kiste irgendwo in der Stadt verstecken. Das verhalf ihnen hoffentlich noch etwas Zeit. Und dann würden sie sich etwas überlegen müssen oder schnell die Insel verlassen.