Mundburt opfert seinen
zweitletzten Schwerthieb.
Kaum
waren der Edle und ich wieder auf unseren Schlafplatz zurückgekehrt,
da war auf einmal ein gewaltiges Rauschen in der Luft; vom Eingang
her erklang heftiges Rufen, die Torwächter hoben ihre Knüppel, die
Schleuderer machten sich schussbereit. Nur seltsam – das Tor blieb
zu. Kurz darauf schwebten vier dunkle Vögel auf breiten Schwingen
über die Mauer und ließen sich auf den Dächern der umliegenden
Gebäude nieder.
„Pest
und Cholera! Eisenfresser!“, rief der Zwerg und sprang hastig und
mit den Armem fuchtelnd von seinem Lager auf, „ksch kisch kisch weg
weg weg, ihr Höllenbrut, ihr Diebe, ihr Scharlatane, ihr Schurken,
ihr Spitzbuben, ihr Schweinepriester, ihr ... ihr ... Schert euch zum
Teufel!“
Auch
in den schlafenden Platz kam Bewegung. Zelteingänge öffneten sich;
diejenigen, die unter den Sternen genächtigt hatten warfen ihre
Decken oder Teppiche ab. Es hob ein Hasten, Husten, Huschen, Hechten
an, man griff sich an die Ohren, den Hals, die Arme, die Beine, lief
hierhin, dorthin, dahin, mit irgendwelchen blitzenden Gegenständen
in Händen, deren Natur und Nutzen ich zunächst nicht erkennen
konnte.
„Beim
heiligen Schirliburli!“, rief Gerlind gähnend, „was ist denn nun
schon wieder los?“
„Es
ist eine Teufelsbrut, schlimmer als giftige Schlangen, reißende
Bestien, stechende Taranteln“, zeterte der Zwerg, „jeder dieser
Ironiker* ist alles in einem! Schimpfreden und
Schande kümmern sie nicht, sie klimpern mit den Augen und grinsen
höhnisch, wenn man sie mit Dreck bewirft! Die diebischste Elster ist
eine Heilige dagegen, jeder Mörderwolf ein Schmusekätzchen! Sie
gehören vertilgt, vom Erdboden ausgelöscht, in die Hölle
geschickt, geteert und gef –“
„Nun
haltet mal die Luft an“, fiel ihm Gerlind ins Wort, „ich gebe ja
zu, sogar von hier aus sehen sie nicht gerade Vertrauen erweckend
aus. Das tut mein sechster Oheim auch nicht, dabei ist er ein
herzensguter Mensch, nach allem, was man von ihm hört. Was haben
diese da denn verbrochen, dass Ihr so über sie herzieht?“
„Oh
oh oh diese Schelme!“, fing der Kleine wieder an, „diese
Halsbaschnei – ähem ... Sie fressen alles Eisen, Metall, egal wo
sie es befinden, an Türen, an Toren, an Waagen, Wägen, sodass die
Räder auseinanderfallen, wenn es der Fuhrmann zu spät bemerkt, und
die Reisigen unter sich begräbt. Irgendwann haben sie die eisernen
Riegel, Stangen und Nägel des Tors dort entdeckt, und sind gekommen,
sie zu holen. Wenn die Wächter nicht scharf Acht geben, fällt es
spätestens morgen früh auseinander. Aber auch hinter Edlerem sind
sie her, hinter Gold, Silber, Bronze, Kupfer, Zinn ... Hinter allem
Metall, das die Götter wachsen ließen.“
„Ja
zum Teufel, warum schießen die Schleuderer denn nicht?“
„Weil
es nichts nutzt! Gegen das gepanzerte Gefieder dieser Ungeheuer kommt
die stärkste Geschosse nicht an! Ojé ojé ojé, sie schneiden den
Frauen die Ohren und Füße ab, um an Gehänge und Reife zu kommen
–“
Der
Edle stutzte. Plötzlich schrie er: „Schnell, Jungfer, werft Euer
Ohrgehänge ab, eh es zu spät ist!“
Kaum
hatte Pygmalion dies gesagt, da erhob sich einer dieser seltsamen
Vögel, segelte vom Dach und ließ sich, eine Menge Staub
aufwirbelnd, vor uns nieder.
O,
wie hässlich diese Kreatur war! Affido! Damit ihr mir glaubt,
meine lieben Zitronenfalter und Kohlweißlinge, will ich sie kurz
beschreiben; dabei kann ich sie nicht besser schildern, als wenn ich
sie mit einer Chimäre vergleiche oder mit dem Cerberus oder mit
einem Tatselwurm, wie die alten Yetis ihn malten. Also: Das Untier
hatte drei Köpfe, nämlich einen wie ein brüllender Löwe, einen
wie ein zähnefletschender Hund und einen wie ein blutgieriger Wolf,
alle drei von einem Drachenschwanz umschlungen. Der unförmige Körper
war schwarz wie die Nacht und mit dicken blanken Eisennägeln
beschlagen. Die Beine glichen eisernen Öfen, an den Klauen saßen
statt der Krallen schmiedeeiserne Zangen. Jetzt öffnete der
Löwenkopf sein Maul und zeigte eine Zunge wie ein Sarazenensäbel,
dann öffnetet der Wolfskopf sein Maul, und seine Zähne waren spitze
Eisenraspeln. Nun öffnete auch der Hundekopf seine Schnauze, und zum
Vorschein kam ein Messer.
Das
sah ich alles im Nu, denn schon stürzte sich das Höllenvieh auf Gerlind; ehe sie begriff, wo die Gefahr lag, schlug das Untier seine
Krallen in ihr Gewand und hielt es fest, aus dem Löwenkopf fuhr den
Säbel aus und näherte sich ihrem linken, das Wolfsmaul öffnete
sich zischend und näherte sich ihrem rechten Ohr, die Hundeschnauze
fuhr das Messer aus ...
„Hoho!“,
rief ich, „kommt mir nicht so!“ Ohne zu überlegen ergriff ich
Schlagto, mein Schwert, meinen Malchus+, mein Halsabschneider und
hieb alle drei Köpfe auf einen Streich ab, worauf die Hälse zuckend
und zischend herabsanken.
Gerlind,
die jetzt begriff, welcher Gefahr sie geschwebt hatte, stürzte in
meine Arme und rief: „O Mundburt, du mein Mundburt, o du großer
Held!“
Das
alles ging so schnell, dass ich es nachher, als mir Gerlind unter
Tränen der Dankbarkeit und mit einem Haufen Wonne-Küssen meine
Heldentat berichtete, nicht glauben wollte.
Doch
die Geschichte will, dass ich zum Geschehen zurückkehre.
Die
Köpfe lagen also abgeschlagen vor meinen Füßen, die Hälse schlaff
und eingefallen wie leere Weinschläuche. Doch wenn ihr jetzt glaubt,
das Ungeheuer wäre tot, so habt ihr euch gründlich getäuscht. Denn
jetzt begann der Körper sich wie ein Blasbalg zu bewegen, und ein
Klimpern und Klappern wie in einer Reisekasse auf Holperwegen war zu
hören. Die mit ehernen° Schuppen bedeckten Hälse füllten sich,
wurden dick und rund; ein Röhren und Rülpsen war zu hören; jetzt
richteten sich auf, drehten und wiegten sich wie Boaschlangen vor
ihrem Beschwörer, dass mir allein vom Zusehen schwindlig wurde. Auf
einmal spien sie den Mageninhalt ihres Höllenkörpers in hohem Bogen
aus: Goldene Ringe, silberne Ohrgehänge, Arm und Fußreife aus
Bronze; eiserne Kettenglieder, Nägel, Nieten, Schlüssel, Henkel,
Haken, Bolzen klimperten auf den Boden; aber auch größeres
Eisenzeug flog durch die Luft, Piken, Framen%,
Hacken, Hauen, Sensen, Sicheln, Spaten, Spatzen&, Hobeleisen,
Schippen, Kellen, Löffel, Gabeln, Meißel, Scheren, Zangen, Zinken,
Krummhörner, Bohrer, Roste. Die eiserne Flut wollte einfach kein
Ende nehmen. Wäre ich nicht beiseite gesprungen wie ein junger Hase,
certe, das gottverdammte Metallzeug hätte mich begraben.
Doch
irgendwann ist auch der gefräßigste Magen leer; der kopflose Körper
furzte noch einmal lustlos zum Abschied, dann gab er Ruhe.
Nun
wandte ich mich den Untieren auf den Dächern zu, die meine Heldentat
verwundert beäugt hatten. „Ha!“, rief ich und schwang mein
Schwert, „ihr feigen Hunde, jetzt komme ich zu euch herauf! Aber
dann bliebt es nicht beim Köpfen, vorher steche ich euch die Augen
aus!“
Ich
hatte richtig gerechnet. Da die unselige Brut annehmen musste, dass
ich über geheime und todbringende Kräfte verfüge, flogen sie
kreischend auf und davon.
__________
*
Scherzhaft-doppeldeutige Verwendung von engl. iron=Eisen. +
Bekanntlich hieb ja Petrus dem Malchus mit dem Schwert ein Ohr ab
(NT). ° Eisernen. % Kurze Eisenpiken. & Eine kleine
Damenschaufel.
Mundburt
lässt Recht Recht sein und das Volk gewähren.
Ich
erspare Euch, meine Lieben, die Flut der Dankesbekundungen, die mir
zuteil wurde, und ich meine zu Recht, – schließlich hatte ich
Gerlind die Ohren und den Weibern ihren Schmuck und das Tafelsilber
gerettet – denn schon bahnte sich neues Unheil an. Ein Geräusch,
als wenn nasse Wäsche über Bretter gezogen wird, war zu vernehmen,
das schnell näher kam. Drei zerlumpte Galgenvögel erschienen, von
denen der eine stark hinkte, der andere ein Bein nachzog (das
Geräusch!) und der dritte die Nase an der Stirn und ein Auge da
hatte, wo eigentlich die Nase hingehört. Alle drei hatten lederne
Säcke bei sich und fingen jetzt an, das Metallzeug einzusammeln.
„He-he!
“, rief ich, „ihr Spitzbuben, Knödelschänder und Gurkendiebe,
was soll das? Erstens fragt man vorher und zweitens ist meine Antwort
nein!“
Jetzt
wandte mir Hinkebein seine Kehrseite zu, und ich hörte jemanden
undeutlich sagen: „Euch ge – rt der Kram gen – so w – ig wie
den Ei – nfress –!“
„Sprecht
lauter und vor allem deutlicher“, sagte ich, „man versteht Euch
kaum! Und warum dreht Ihr Euch überhaupt um?“
„Mensch
Egon!“, krächzte jetzt der Bein-Nachzieher, „wie oft soll ich
das noch sagen? Nimm die Arschbacken auseinander beim Sprechen!“
Egon
griff in seine Hosen. „Euch gehört der Kram genau so wenig wie den
Eisenfressern!“, kam es jetzt klarer und deutlicher vernehmbar
heraus.
Mir
blieb die Sprache weg. Das war doch nicht möglich!
„Dreht
Euch bitte einmal um, lieber Herr“, bat ich.
Egon
drehte sich um, und jetzt sah ich, dass das, was ich eben noch für
einen kleinen runden Mund unter der riesigen roten Nase gehalten
hatte, in Wirklichkeit ein – – Demnach musste der Mund dieses
Kerls –
„Bei
meinem Gemächt!“, rief Pygmalion munter, „hab schon Bauch-,
Kopf-, Bütten-, Kanzel-, Katheder-, Thron-, Nachttopf- und weiß der
heilige Dingeldei was für Redner gehört, aber ein Arschredner ist
mir noch nicht vorgekommen!“
„Sag
mal, du Galgenstrick“, rief Gerlind – „womit isst du denn?“
„Na
womit wohl? Mit der Nase!“
„Na
ja, groß genug ist sie ja!“
„Ist
das nicht ziemlich unappetitlich?“, fragte ich, „die Speisekammer
gleich über der Abortgrube?“
„Da
macht Ihr Euch falsche Vorstellungen. Ich ernähre mich
ausschließlich vom Duft wilden Honigs.“
„Soso,
aha! Dann seid Ihr also ein Künstler!“
Der
Kerl brach in heidnisches Gelächter aus. „Hoho, haha, hihi! Dann
wär ich schon lange verhungert!“
„Aber
sage doch, du sauberer Geselle“, ich wieder, „was zum Teufel
plagt dich denn, das du dich an fremdem Gut, das dir nicht gehört,
ungehörig vergreifen willst? Besitzt du Affenschwanz etwa einen
Schuldschein oder einen Pfändungstitel?“
„Hä?
Wa? Wie?“
„Außerdem
war ich zuerst da! Und nach dem ehrenwerten kanonicos kaesios
quarcios, liber VI, p. XXII ff., gilt: Qui prior est tempore
protior est jure°!“
„Was
ist das denn?“
„Latein.“
„Aha,
soso ... Bursche, wenn dir erst so viel Wind um die Nase gegangen
sein wird wie mir, dann wird dein Latein schon anders lauten!“
„Bube!
Rede nicht so mit mir! Ich bin ein Ritter!“
„Hahaha!“,
grölte der Kerl, „dieser Ritter macht mich lachen!“
„Genug
geschwatzt“, ließ sich jetzt der dritte im Bunde vernehmen –
wohl der Anführer, denn er hatte eine Hahnenschwanzmütze auf dem
Kopf und den größten Sack von den dreien in der Hand –, „entweder
Ihr gebt das Zeug freiwillig her, oder wir nehmen es uns mit Gewalt.“
„Nur
zu, gemeiner Knallfarz!“, rief ich, nahm Schlagto fester und ging auf die Halunken zu. Doch in diesem Moment fiel mir ein, dass es mein
letzter Hieb gewesen wäre, und ihn für dieses lose Gesindel zu
opfern, dazu war er mir zu wertvoll.* Außerdem
lag mit nichts an dem Metall-Zeug, und wär´s Chalybes-Stahl**,
war ja auch nicht hinter Gold und Silber her, sondern hinter dem
wundertätigen Kristall. Also blieb ich stehen und sagte: „Hmm
...nun ja ... ganz eindeutig ist der casus nicht. Item ...
Wenn das Zeug weder mir noch den Eisenfressern gehört, dann gehört
es Euch erst recht nicht.“ Wollte die Burschen aufhalten, bis mir
eine Lösung des Händels eingefallen war.
„Auf
Euren casus furz ich, und Euren item kenn ich nicht!“, grölte der
Kerl, „und ich kenne auch niemanden, der hier Besitzansprüche
anmelden könnte! Also Brüder, drauf und dran!“
Unterdes
war immer mehr Volk zusammengelaufen, das das Raubgut mit Argusaugen
anstarrte.
„Doch,
ich, ich!“, rief plötzlich eine krummbeinige Alte mit einem
Hintern wie ein Kastell, „ich melde an! Dieser Ring hier ist
meiner! Ich erkenn ihn an der Gravur wieder! Hat mein seliger Mann
anno – “ Sie bückte sich ächzend, und schon verschwand etwas
Blitzendes unter ihren unerforschlich weiten und unsauberen
Gewändern.
„Ha,
da liegt ja meine goldene Spange!“, rief jetzt eine junge Frau,
eine Jungfer mit einem Gesicht wie Milch und Honig, „hab ich sie
endlich wieder!“ Sie hockte sich blitzschnell hin, griff zu, und
schon war sie in der Menge untergetaucht.
„Mein
silberner Manschettenknopf, da liegt er!“, näselte ein vornehmer
Herr mit einer wüsten Hasenscharte unter der Nase, „leck eher dem
Teufel den Hintern, als dass ich den liegenlasse!“
Nun
erkannten immer mehr Leute ihr angeblich gestohlenes Eigentum wieder,
und ein emsiges Greifen, Grabschen, Raffen, Rauben begann.
„He,
ihr wertes Gesindel!“, rief ich den drei Gesellen zu, „wenn ihr
euch nicht beeilt, geht ihr noch leer aus!“
Kaum
war das letzte Wort verhallt, da war der Platz blank wie ein frisch
gewischter Küchentisch am Ostermorgen; nicht der kleinste Nagel,
nicht der Hauch eines Amuletts, nicht der leiseste Nachschein eines
bronzenen Armreifs war noch zu sehen. Alles aufgerafft, abgegriffen,
eingesteckt und weggebracht.
Ja,
so war´s, meine Lieben, auch wenn es Euch nicht schmeckt. Möge mich
Jupiter mit seinem dreistrahligen Blitz zerschmettern, wenn ich auch
nur eine einzige Silbe gelogen habe!
Wir
nahmen noch eine Mütze Schlaf, frühstückten auf Kosten des Hauses
– der Wirt ließ es sich nicht nehmen, seinen Dank für die
gerettete Tür zu bezeigen – dann setzten wir unsere Reise mit
neuem Mut und frischen Kräften fort.
___________
°
Frei übersetzt: Wer zuerst kommt, malt zuerst. * Zur Erinnerung: Von
den sieben, die ihm der Bürgermeister der Windesser gewährt hatte,
sind bereits sechs Hiebe verhauen. ** Das im Altertum härteste
Metall.
F. f