Beiträge von Tom Stark im Thema „Kurzgeschichten schreiben - wie geht ihr daran?“

    Man könnte meinen, die meisten Freizeit-Schreiberlinge schreiben ohnehin, wie es ihnen in den Sinn kommt. Vermutlich ist das auch genau der Fall, gerade bei Leuten, die sich ganz frisch ans Schreiben wagen. Womöglich fühlen sich solche durch die Einschränkungen und Bedingungen, die an bestimmte Textsorten gestellt werden, in ihrer Kreativität eingeschränkt.
    Tatsächlich sind die Rahmenbedingungen eines Textes aber auch eine Hilfe deshalb kann es ja nicht schaden zu wissen, was man da überhaupt für eine Textart schreiben will.

    !!Achtung - An den Haaren herbeigezogene Analogie ^^ !!
    Man könnte sich eine Textsorte wie ein Fortbewegungsmittel vorstellen.
    Ein Roman ist eine Luxuslimousine mit allen Bequemlichkeiten, um eine lange Fahrt durchzustehen. Ein Gedicht wäre eine Enduro-Maschine, perfekt für das Durchqueren eines unübersichtlichen, holprigen Geländes und ein Dragster ist die Kurzgeschichten-Rennmaschine, perfekt um schnell loszukommen und schnell fertig zu sein.
    Man wählt also sein Fahrzeug für die Erfordernisse des Weges, auch wenn man den Weg wahrscheinlich auch barfuß zurücklegen könnte.
    Warum sich also nicht die klugen Gedanken schlauer Vordenker wie Edgar Alan Poe oder Mark Twain für sich nutzen? Wir brauchen das Rad bzw. die Fahrzeuge, um bei der Analogie zu bleiben, nicht neu zu erfinden und können gleich richtig aufs Gas treten ... ok, ok, genug von diesem Bild!

    Natürlich werden die folgenden Angaben über die Kurzgeschichte weder vollständig noch in allen Punkten über jeden Zweifel erhaben sein. Wahrscheinlich werden gestandene Literaturwissenschaftler das eine oder andere Mal tief durchatmen müssen, aber das hier soll (auch nur) ein brauchbares Handwerkszeug für Hobby-Literaten werden.
    Wer sich wirklich, wirklich (,wirklich!) tief in die Materie versenken will, möge auf Sachliteratur wie zum Beispiel das Sachwörterbuch der Literatur (Gero von Wilpert, Kröner-Verlag) zurückgreifen.
    Und ja, der Knabe heißt wirklich so.


    Also dann, die Kurzgeschichte:

    Herkunft:
    Den Namen hat die Gattung von den Short-Stories, die im Zuge des Aufstiegs der Zeitschriften entstanden sind. Die Autoren erkannten, dass man in Zeitschriften leichter an die Masse der Leser herankommt, oder anders ausgedrückt, man konnte damit Geld verdienen. Logischerweise will niemand, während er im Wartezimmer darauf wartet, dass ihm der Dentist gleich auf den Zahn fühlt, nur die ersten 10 Seiten eines ganzen Romans lesen, der zufällig mit 12 anderen dort herumliegt. Und ein Dutzend Mal ins Wartezimmer sitzen bis man den (schmalen) 120 Seiten-Roman dann durch hat, will man schon gar nicht. Eine witzige Geschichte über anderthalb Seiten ist da schon weitaus eher geeignet einen Leser anzusprechen.

    Merkmale:
    Die Kürze
    Ja, es klingt ziemlich doof es extra zu sagen, aber eine Kurzgeschichte IST eine kurze Geschichte!
    Wie lang ist kurz und wann ist kurz zu kurz?
    So ganz einig sind sich darüber nicht einmal die Gelehrten. Mein Tipp dazu ist die WC-Regel:
    Was man auf einer gemütlichen WC-Sitzung lesen kann, bis man sein Geschäft ohne Hektik und zur völligen Zufriedenheit von Darm und Blase vollendet hat, ohne dass man vor Kälte oder der unbequemen Haltung einen Krampf bekommt, das kann man getrost als kurzgeschichtenlang/kurz bezeichnen.
    Wer unbedingt die Stoppuhr stellen will, kann sich auch auf eine Lesezeit zwischen 2 und 10 Minuten einstellen. Langsame Leser brauchen länger, Schnell-Leser nicht so lange ^^
    Jedenfalls soll man die Kurzgeschichte in einem Rutsch durchlesen können, der Wissenschaftler spricht da vom Leseakt (tztz, klingt für mich ziemlich unanständig!).

    Thema
    Eigentlich gibt es hier keine Einschränkung, jedoch sollte das Thema eine besondere (eigenartige/lustige) Begebenheit beinhalten. Im Nicht-Fantasy-Bereich wird auch eine alltägliche Situation als Ausgangspunkt erwartet, quasi ein Schnappschuss vom Leben. Inwieweit das für eine Fantasy-Geschichte zutreffen kann (soll) mag man diskutieren oder auch ignorieren ^^

    Form
    Kurz und knapp heißt natürlich, dass man hinten und vorne sparen muss. Unter Umständen heißt das auch, sich auf Meta-Ebenen auszudrücken. Ein Beinbruch könnte so zum Beispiel nicht nur einen Gips nach sich ziehen, sondern zugleich auch das Abkommen vom moralischen Weg symbolisieren. Überhaupt darf/soll der Leser fehlende Informationen im Text ergänzen. (Kopfkino!)

    Keine Einleitung
    Personen und Orte werden nicht lange vorgestellt und schon gar nicht groß beschrieben. Wenn man das überhaupt macht, dann skizzenhaft, mit wenigen Merkmalen. Der Charakter der Charaktere(?!) wird meist aus ihren Handlungen oder den (Mono-)Dialogen deutlich.

    Kurzer Zeitraum
    Die Handlung erstreckt sich über wenige Minuten oder Stunden, seltener über Tage. Oft ist auch der genaue Zeitpunkt unklar, quasi ein Irgendwann im Sommer (Krieg, Studium,etc).

    Eingeschränkter Ort
    Ort der Handlung ist meist eine Szene, seltener auch einmal zwei.

    Wenig Personen
    Es gibt selten mehr als zwei oder drei wirklich handelnde Personen. Natürlich kann ein Heer von Orks auf ein Heer von Elfen (im Hintergrund) treffen, aber für die echte Handlung spielen sie keine Rolle. Selbst in einer kleiner Gruppe von Personen werden nicht alle eine handlungstragende Rolle haben.
    Die Personen, die auftreten, sind oft typisiert und stehen dann eher für eine bestimmte Art Charakter, als für einen sauber ausgearbeiteten Protagonisten. (der kluge Magier, der edle Ritter, der fiese Ork ...) Allerdings haben viele Autoren bei einer Kurzgeschichte einen oder mehrere Protagonisten aus einer ihrer anderen Geschichten im Sinn, was das Verständnis für jene erschwert, die diese nicht kennen.

    Handlung
    In der Regel besteht die Handlung aus einem Handlungstrang, seltener auch einmal aus zwei, die aufeinander zulaufen.

    Schluss mit Knall
    Eine Kurzgeschichte sollte entweder eine Pointe am Ende haben, oder der Schluss ist offen (und regt zum Nachdenken an, wie man in der Schule immer so schön schreiben durfte!).
    Solch einen Luxus, wie ein Nachwort, einen Ausblick, wie es weitergehen könnte oder gar einen Cliffhänger, der auf Auflösung in der nächsten Geschichte hoffen darf, gibt es hier nicht.
    Oft wird eine Frage oder ein Problem vom Beginn der Kurzgeschichte am Ende aufgelöst, allerdings nicht immer auf für den Leser befriedigende Weise.


    Meine Tipps:
    - Bevor man losschreibt, sollte man wissen, welche Reaktion man am Ende hervorrufen will.
    Will man ein Lachen, ein Seufzen oder lieber ein nachdenkliches "Hm..." erreichen?
    - Warum nicht Klischees nutzen? Die kann man einerseits prima einsetzen um sich lange Beschreibungen zu ersparen, andererseits sie am Ende zugunsten der Pointe demontieren.
    - Eine Alltagssituation (was im Fantasy so als alltäglich durchgeht ...) ist oft ein dankbarerer Ausgangspunkt, als eine schon zugespitzte Situation.
    - Wie bei allen Geschichten, ist eine im Vorfeld getroffene Kernaussage sehr hilfreich. "Magier sind zwar mächtig, aber alltagsuntüchtig" , "auch ein Troll braucht mal Liebe", etc.
    - Besonders bei kurzen Geschichten, sollte man darauf achten, dass sie "rund" wirken. Gerade weil es keine echte Einleitung und keinen ausklingenden Schluss gibt, ist es umso wichtiger, dass der Leser sich am Ende der Story abgeholt fühlt.
    - Der Titel ist ein mächtiges Werkzeug. Er gibt das Thema vor, darf aber nicht das Ende vorwegnehmen. Oft ist ein Ende, was den Titel auf unerwartete Weise bestätigt das, was den Erfolg einer Kurzgeschichte ausmacht.
    - Die Pointe besonders sorgfältig formulieren. Die letzten Sätze stellen in der Regel das Herzstück der Kurzgeschichte dar und könnten (beinahe?) auch alleine stehen.