Lehrstunden
von Tom Stark
Teil I
Die Menge versammelte sich und wurde von Minute zu Minute größer.
»Ein Duell!«, rief man laut. »Lucius der Schwertstern und der Rondra-Geweihte Ceowin werden sich schlagen!« gaben die besser Informierten ihre kostbaren Neuigkeiten weiter.
»Zur Proisstund' im Innenhof der alten Bastei der schmerzenreichen Schwestern von Baldika!« konnten jene berichtigen, die das Wortgefecht des charismatischen jungen und aufsteigenden Stern am Turnierhimmel und des alten bärbeißigen Kriegerpriesters verfolgt hatten.
Der graue Graf, eine Herberge der gehobenen Klasse mit erstklassiger Taverne war voll belegt und die Schankstube bis zum letzten Platz gefüllt.
Lucius war wieder einmal in bester Stimmung, wie so oft wenn der Wein reichlich und die Loblieber auf ihn überschwänglich geflossen waren. Er hatte geprahlt, wie er den »altmodischen alten Knaben« Baron Eberhard von Eberstein eine demütigende Tracht Prügel in der Vorrunde zum Garether Turnier verabreicht hatte.
Dies hatte sich der Geweihte der Löwin eine ganze Weile stumm angehört, der von den meisten unbeachtet in einer stillen Ecke saß und mit seinem Knappen sein Abendmahl einnahm.
Schließlich war es dem grauhaarigen Löwen zu bunt geworden und er hatte in einer Pause, als die meisten der lauten Gästeschar nach einem weiteren Trinkspruch einen weiteren großen Schluck nahmen, mit strenger Stimme den sehr angetrunkenen Lucius zur Ordnung gerufen:
»Junger Wolf. Der tapfere Ebersteiner hat seine Haut schon beim Orkensturm für das Reich zu Markte getragen als deine Mutter noch nicht geboren war und zuletzt bei der Ogerschlacht, als du gerade mal in die Windeln machtest, noch einmal Schwert und Schild zu erhoben, auf dass so rotzfreche Schaufechter wie du die Freiheit erhalten blieb, ihn schließlich derart respektlos behandeln zu können. Und für was hast Du bislang dein parfümiertes Fell gewagt? Pokale? Turniertitel? Preisgelder?«
Der Geweihte hatte sich in Rage geredet und in seinem Blick loderte der Zorn eines wahrhaften Löwen und keiner wagte ihm zu widersprechen.
»Ha! Du hast bislang jeden Kampf vermieden, in dem ein Gegner mit dem erklärten Vorsatz dich umzubringen hätte auftauchen können. Verdiene Dir erst einmal das Recht, Welpe, Deinen Namen im selben Satz mit dem eines alten Wolfes wie dem Ebersteiner zu hören. Du hast gewonnen, ja und? Warum? Weil es ein Turnier war, weil Du die Regeln kennst wie Deine Westentasche, weil Du es gewohnt bist auf Sand zu kämpfen, den Gegner mit dem Blinken Deiner polierten Armschienen zu blenden? Glaub nur nicht, das wäre denen, die hinter Deine großartigen Finten zu schauen wissen entgangen!«
Hätte Lucius geschwiegen, wäre es wohl bei der strengen Abmahnung geblieben. Doch sein Stolz ließ das nicht zu.
»Ihr deutet an, ich hätte betrogen, alter Mann? Hätte unehrenhaft gefochten? Das ist eine Beleidigung, die nur mit Blut abgewaschen werden kann.«
Man hätte eine Maus atmen hören können, so still war es inzwischen geworden. Darauf waren recht schnörkellos ohne allzu viel weitere Worte die Bedingungen für das Duell festgelegt worden. Einen Rondrageweihten muss man ja nie zweimal zu einem Duell auffordern.
Ich war damals gerade 11 Jahre alt, das erste Mal in Gareth und eigentlich nur Zeuge, weil mein Onkel und ich in der Herberge abgestiegen waren, er aber am Abend noch ein Treffen mit Geschäftsfreunden hatte und ich so, gut verborgen vom Geländer im Gastzimmerstockwerk, alles mit verfolgen konnte.
Als sich die Taverne lehrte stürmte Lucius der Schwertstern direkt an mir vorbei, immer noch vor Wut schäumend. Aus irgend einem Grund sah der Geweihte, als er und sein Knappe die Taverne ebenfalls verließen, zum Geländer hoch, sah mich und tippte sich auf die Nasenspitze zum Zeichen, dass er mich bemerkt hatte. Seine grauen Augen funkelten, als ob wir ein gemeinsames Geheimnis teilen würden.
Eigentlich war ich, wie die meisten Jungs dieser Tage ein Bewunderer von Lucius, dem man sogar den Beinamen »der Schwertstern« gegeben hatte. Immerhin war er groß, schlank und mit seinem sandblonden langen Haar und seinem Kaiser-Reto-Bart das Idealbild für das, was sich Klein-Alrik als edlen Ritter ausmalte. Hinzu kam, dass er der bisher jüngste Gewinner des großen Garether Turniers und durch seinen ausgesprochen athletischen Kampfstil eine wahre Augenweide für das Publikum war. Zwar hatte ich davon gehört, dass er seinen Gegner aus der diesjährigen Vorrunde geradezu lächerlich leicht geschlagen hatte, mir aber darüber keine Gedanken gemacht. Ich hätte mir auch nichts dabei gedacht, wenn er beim Feiern seinen Gegner ein bisschen verarscht hätte, das war auch nicht anders, als wenn beim Imman-Spiel die Sieger die Verlierer verspotteten. Das gehörte einfach dazu, hatte ich gedacht - bis zu jenem Tag jedenfalls.
Im Blick des Geweihten hatte ich erkannt, dass dieser keineswegs so aus der Haut gefahren war, wie es schien, sondern er ganz genau gewusst hatte, was er tat. Er hatte nicht einfach seinem Zorn nachgegeben und eine wirklich nicht unberechtigte Schimpftirade losgelassen, auch wenn das einem Geweihten der Göttin des ehrenvollen Zweikampfs wohl zugestanden hätte. Vielmehr hatte er einen Plan, nur fragte ich mich ernsthaft, welcher das sein mochte: Sich umbringen lassen!?
Denn auch wenn ich dem alten Geweihten wohl die viel größere Schlachtfelderfahrung zugesprochen hätte, war Lucius nur halb so alt und immerhin Sieger des größten Turniers der Welt, wo immerhin schon Leute wie der Schwertkönig selbst teilgenommen hatten. Das gewann man nicht einfach mal so und die Gegner dort waren nicht irgendwer, sondern die verdammt besten Fechter der Welt!