Arthoria-Sammelsurium: Klappentexte / Stumm / Wolfsträumer

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 1.191 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (26. April 2025 um 14:06) ist von Amafiori.

  • Wie versprochen, habe ich versucht, möglichst typische Klappentexte für meine Romane zu schreiben, wie sie tatsächlich auf einem Buchrücken stehen könnten, um Lesende oder Kaufwillige neugierig zu machen. So erhaltet ihr wenigstens einen ungefähren Eindruck, worum es in meinen Romanen geht. :)


    Zwischen Dunkelheit und Licht

    Amarok hat es geschafft. Er hat alle Widerstände überwunden und gelangt in die Hauptstadt Arthorias, um sich seinen Lebenstraum zu erfüllen und ein Magier zu werden. Doch auf den Weg dorthin hat er sich einen mächtigen Feind gemacht, und dieser sinnt auf Rache. So wird Amarok während seiner Aufnahmezeremonie verhaftet, des Diebstahls bezichtigt und verurteilt, seinem Widersacher als Leibeigener zu dienen. Für den jungen Zauberlehrling beginnt eine Zeit des Leidens und der Prüfungen, die auch mit seiner Freilassung nicht endet. Und eines Tages steht er vor der Wahl: Für welches der beiden Bündnisse, Licht oder Dunkelheit, soll er sich entscheiden?

    Die verbotene Gabe 1: Das Erwachen

    Caedor, der ehrgeizige Fürst von Feoria muss sich, um die Macht an sich zu reißen, der Drachen bemächtigen, die seiner Schwester Sequya dienen. Zu diesem Zweck bedient er sich der Magie Arthorias. Der Zauber gelingt, doch Caedor entledigt sich der Magier, die ihn gewirkt haben. Einer von ihnen überlebt schwer verletzt. Er wird gefunden und gesund gepflegt, doch er hat sein Gedächtnis verloren. Nach seiner Genesung begibt er sich auf die gefahrvolle Suche nach seiner Vergangenheit, und als er erkennt, was Caedor in Wirklichkeit plant, setzt er alles daran, die Drachen zu befreien.

    Die verbotene Gabe 2: Der Verlust

    Amarok hat sich von der Magie abgewendet und ist bei seiner Wahlfamilie an der Küste zur Ruhe gekommen. Doch das Gerücht von Amaroks Macht über Drachen ist bis zu den „Söhnen Rajakthars“ gedrungen, einem Orden machtgieriger Geistlenker, deren Ziel die Herrschaft über die Magier Arthorias ist. Er gerät in ihre Fänge und begegnet den Brüdern Beran und Marelian, die mit einer besonderen Gabe gesegnet sind. Arthorias Magier können nur gerettet werden, wenn Amarok entkommt und es schafft, Marelian zu überzeugen, sich gegen seine Lehrer zu stellen. Doch zuvor muss er in der Arena der Ordensburg den schwersten Kampf seines Lebens bestehen.

    Die verbotene Gabe 3: Der Ruf

    Amarok, Beran und Marelian bekommen es mit einer neuen, gefährlichen Gegnerin zu tun, der mächtigen Geistlenkerin Lyandra, die nicht nur den Söhnen Rajakthars zur Macht in Arthoria verhelfen will, sondern ihre eigenen, ehrgeizigen Pläne verfolgt. Darüber hinaus befiehlt Sequya, die Herrin über Feorias Drachen, Amarok zu sich. Am Ende der abenteuerlichen Reise dorthin erhält Amarok einen gefährlichen Auftrag, den er lieber nicht erfüllen würde, doch seine Verpflichtung den Drachen gegenüber zwingt ihn dazu.

    Die verbotene Gabe 4: Die Entscheidung

    Verfolgt von den Schergen Lyandras begeben sich Amarok und Beran auf die gefahrvolle Reise zum erhabenen Vater der Drachen, während Marelian sich allein mitten unter seine Feinde wagt, um Großmeister Nibor zu entmachten und Lyandra endlich Einhalt zu gebieten. An seinem Ziel angekommen, beginnt Amarok an den Plänen des Erhabenen zu zweifeln und bringt sich und Beran dadurch erneut in Gefahr.

    Die verbotene Gabe 5: Die Heimkehr

    Marelian befindet sich in der Gewalt Lyandras und wird gezwungen, Amarok auf die Ordensburg zu locken. Somit sind die beiden einzigen Menschen, die Lyandra möglicherweise besiegen könnten, ihre Gefangenen. Während Maëlia mit Hilfe einer neu gefundenen Freundin ihre Flucht von der Insel der Frauen vorbereitet und die neue Hüterin des Drachen ihrem Schicksal entgegengeht, kämpft Amarok um sein Leben.

    Die verbotene Gabe II: Ein Herrscher für Feoria

    Rai Longg, der künftige Herrscher über Feoria, der sich nicht mit Drachen verständigen kann, braucht eine Frau mit der Gabe. Die Wahl seiner Eltern fällt auf die junge Carelia, die Tochter ihres Freundes Amarok. Doch vor der Verlobungsfeier lernt die Braut einen jungen Spielmann kennen und lieben. Dennoch hält sie an ihrem Eheversprechen fest. Rai Longg indes findet heraus, dass er einen Rivalen hat und will sein vermeintliches Glück mit Gewalt erzwingen.


    Sollte jemand tatsächlich neugierig geworden sein und einen der Bände lesen wollen: Gerne versende ich die Dateien per Mail.


    Und hier kommt noch eine neue Erzählung für euch. Natürlich spielt "mein" Amarok wieder eine Rolle darin. Dieses Mal erleben wir ihn aus der Sicht eines Teenagers. (Ja, doch, in der Einleitung darf ich solche modernen Begriffe noch verwenden.) Weil die Erzählung ziemlich lang ist, unterteile ich sie in mehrere Häppchen. Hier also der erste:


    Stumm


    Der junge Wolf in meinem Arm winselte leise. Er musste Schmerzen haben, und dass ich ihm nicht helfen konnte, brach mir das Herz. Ich hatte ihn am frühen Nachmittag aus einer Tellereisenfalle befreit, in mein Wams gewickelt und in mein Versteck getragen. Die Blutung hatte zwar aufgehört, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass sich das Tier erholte. Hilflos kauerte ich in der engen, von einigen Findlingen gebildeten Höhle, hielt es in meinem Schoß und streichelte wieder und wieder das weiche, schneeweiße Fell. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon so da saß, als ich das Geräusch von sich nähernden Pferdehufen vernahm. "Sei leise", beschwor ich das verletzte Tier in Gedanken, doch ebenso gut hätte ich die Sonne bitten können, nicht unterzugehen.

    Es kam, wie es kommen musste. Der Reiter auf dem leider viel zu nahe gelegenen Weg verlangsamte sein Pferd und hielt endlich an. Ich stellte mir vor, wie er lauschte und endlich die Richtung ausmachte, aus der das schwache Jammern zu ihm drang. Jetzt hörte ich ihn absteigen und näher kommen. "Ist da wer?", rief er. Die Stimme gehörte einem jungen Mann und war mir unbekannt. Vielleicht einer der Wachleute meines Vaters, oder ein neuer Jagdgehilfe.

    Ich wollte in Ruhe gelassen werden und versuchte, dem Welpen den Fang zuzuhalten, doch das half mir nichts, im Gegenteil. Er ließ ein protestierendes Fiepen ertönen und zappelte in meinem Arm. Sofort ließ ich ihn los, woraufhin er wieder in sich zusammen sackte.

    Der Reiter musste uns gehört haben. Vermaledeit! Gleich würde ich mir wieder einen Vortrag eines Erwachsenen anhören dürfen, dass Mitleid mit den Tieren, die mein Vater zu jagen pflegte, fehl am Platze und eines Heranwachsenden meines Alters unwürdig war, dass ich mich kindisch benahm und endlich erwachsen werden sollte. Oder man würde mich wieder einmal für dumm und zurückgeblieben erklären und meinen armen Vater bedauern, dass die Götter ihn mit einem solchen Balg gestraft hatten. Überdies würde man mir natürlich den kleinen Wolf grob aus den Armen reißen, ihn vor meinen Augen töten und mich mit harschen Worten nach Hause schicken. Resigniert ließ ich den Kopf sinken und konnte nicht verhindern, dass meine Augen feucht wurden und eine Träne meine Wange hinab kullerte.

    "Kann ich helfen?" Der fremde Reiter war vor meiner Höhle angekommen, bückte sich und blickte besorgt herein. Es war weder ein Soldat noch ein Jäger, sondern ein junger Mann in schlichter Reisekleidung, der mich freundlich anlächelte.

    Ich schüttelte den Kopf, schniefte und wischte mir die Träne mit dem Ärmel meines Seidenhemds ab.

    "Darf ich?", fragte er dennoch, kam neben mich und berührte sanft das seidige, weiße Fell des verletzten Wolfes. "Ich tue ihm nichts", versprach er, als ich versuchte, das Tier mit meinen Armen zu schützen. Also ließ ich ihn gewähren. Was hätte ich schon tun können, wenn er uns Böses gewollt hätte? Aber er hielt sein Versprechen und warf lediglich einen Blick auf die Verletzung. "Warte", sagte er daraufhin, kroch rückwärts wieder aus der niedrigen Höhle heraus und entfernte sich. Was würde er jetzt tun? Vermutlich würde er mit einer Waffe zurückkommen und den Wolf erschlagen, erlösen, wie die Erwachsenen so etwas oft zu nennen pflegten. Beklommen wartete ich, denn mir war klar: Eine Flucht war aussichtslos.

    Wenig später kehrte der Fremde mit einem ledernen Rucksack zurück und kauerte sich neben mich. Er nestelte den Verschluss auf, stöberte ein wenig darin herum und brachte einen tönernen Tiegel und einen leinenen Verband zum Vorschein. "Du hast die Wunde bereits gereinigt. Gut gemacht. Dies ist Heilpaste", erklärte er, öffnete den Tiegel und begann vorsichtig, die Salbe auf die Wunde am Bein des Tieres zu streichen. Der Wolf zuckte nur kurz zusammen, dann ließ er sich die Behandlung gefallen. Entweder war er bereits sehr schwach oder das Zeug hatte magische Kräfte. Anschließend wickelte der Fremde fachmännisch den sauberen Verband um das Bein des Tieres. Erneut kramte er in dem Tornister und fand einen Wasserschlauch. "Hier." Er reichte ihn mir. "Versuch, ihm etwas zu trinken zu geben. Gewiss hat er Durst."

    Ich goss ein paar Tropfen Wasser in meine hohle Hand und hielt sie dem Wolf hin. Dankbar begann er, es aufzulecken. Das kitzelte so sehr, dass ich laut auflachte.

    Der Fremde lächelte zufrieden und begann, seinen Rucksack wieder zu verschnüren. "Ich lasse dir das Wasser und ein paar Ersatzbinden da", sagte er. "Der Kleine kommt ein paar Stunden ohne Futter aus, aber nicht ohne Wasser. Versprichst du mir, ihn frei zu lassen, sobald er kräftig genug ist? Ich wette, seine Mutter und seine Geschwister sind noch in der Nähe."

    Ich nickte ernsthaft. Die Wette hatte er bereits gewonnen. Ich hatte die Wolfsfamilie schon oft beobachtet und wusste, wo ihr Bau war: Am Rande einer Lichtung in der Nähe des Frostsees. Den Aufenthalt dort hatte mein Vater uns Geschwistern strengstens untersagt, aber ich kümmerte mich meist nicht um derartige Verbote.

    "Schön, dass du ihn aus der Falle befreit hast und dich um ihn kümmerst. Viel Glück euch beiden." Mit diesen Worten ergriff er seinen Tornister, streichelte dem Wolf, der jetzt schon viel ruhiger war, noch einmal sanft über die Flanke, winkte mir zu und schob sich rückwärts aus der Höhle hinaus. Draußen richtete er sich auf, klopfte Erde und Laub aus seinen Kleidern und ging in Richtung des Weges davon. Dort hörte ich ihn auf sein Pferd steigen und im Schritt anreiten. Allmählich verklangen die Huftritte in Richtung des elterlichen Gutshauses.

    Ich glaubte zu träumen. Eben noch hatte ich vor Angst gezittert und geglaubt, es wäre jemand gekommen, um mir den Wolf wegzunehmen, mich aus meinem Versteck zu zerren und mich - einmal mehr - wegen für einen Sohn des Gutsherren ungebührlichen Verhaltens zu bestrafen. Stattdessen hatte ich unerwarteten Beistand erhalten. Hatten die Götter mir den merkwürdigen Fremden zum genau passenden Zeitpunkt gesandt, um dem kleinen Wolf das Leben zu retten? Ich hatte den Mann noch nie zuvor in unserer Gegend gesehen. Wer war er, und wohin war er unterwegs? Wie kam es, dass er, im Gegensatz zu allen anderen Erwachsenen um mich herum, keinen Anstoß an meinem beharrlichen Schweigen genommen hatte? Und woher wusste er, dass ich den Welpen aus einer Falle gerettet hatte? Ich stieß einen langen Seufzer aus. Dieses Grübeln half mir nicht weiter, ich würde wohl nie erfahren, wer mein freundlicher Helfer gewesen war. Aber dies war im Augenblick nicht mein größtes Problem, welches darin bestand, dass ich bei Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein hatte und meinen Patienten schweren Herzens allein lassen musste. Noch einmal gab ich ihm zu trinken, dann bettete ich ihn, eingewickelt in mein warmes Wams, in die Ecke der niedrigen Höhle, kroch hinaus und wälzte einen Stein davor, damit der kleine Wolf nicht entkommen konnte. Ich konnte nur hoffen, dass er am anderen Morgen, wenn ich zu ihm zurückkehrte, noch da und vor allem noch am Leben sein würde.

    Heute war entschieden ein Glückstag. Ich gelangte ungesehen und pünktlich nach Hause und schaffte es sogar noch, mir ein sauberes Hemd überzustreifen und mir die Hände zu waschen, bevor die Glocke zum gemeinsamen Abendmahl geläutet wurde.

    Als ich den großen Saal betrat, staunte ich nicht schlecht. Die große Tafel war festlich gedeckt, im Kamin knisterte ein wärmendes Feuer, und selbst in den Leuchtern an den Wänden brannten die Kerzen. Und das, wo mein Vater doch sonst sparsam bis hin zum Geiz war. Doch sogleich erkannte ich den Grund für all den Aufwand: Mein Vater hatte Besuch, und sein Gast war niemand anders als der freundliche Fremde, der mit mir dem verletzten Wolf geholfen hatte. Er saß auf dem Ehrenplatz neben meinem Vater und blickte mir wohlwollend entgegen, während mein Vater mich mit einem Stirnrunzeln bedachte, weil ich wieder einmal der Letzte war. Kaum hatte ich meinen Platz in der Reihe meiner Geschwister eingenommen, als auch schon die Suppe aufgetragen wurde.

    Ich musste in mich hinein kichern, als ich sah, dass Vater die Gänsemagd in ein feines, schwarzes Gewand, das einst meiner Mutter gehört haben musste, und eine blütenweiße Schürze gesteckt hatte, auf dass sie uns in der Rolle einer Bediensteten die Speisen servierte. Doch das Kichern verging mir, als ich bemerkte, wie nervös das Mädchen war. Ihre Hände zitterten, als sie mit der Schöpfkelle den Teller des Gastes füllte und vor ihn hinstellte. Offenbar hatte mein Vater ihr die schlimmsten Strafen angedroht, sollte sie einen Patzer begehen, etwa indem sie das Tischtuch befleckte oder gar einem der Herrschaften die Kleidung beschmutzte. Der Besucher bedankte sich höflich und schenkte der Magd ein unangemessen freundliches Lächeln, was meinem Vater ein Räuspern entlockte, aber zugleich dem Mädchen etwas mehr Sicherheit verlieh. Sie bewältigte ihre Aufgabe fehlerfrei, während der junge Sohn des Großknechts den Mundschenk gab. Er hatte deutlich mehr Spaß an seiner ungewöhnlichen Aufgabe und spielte seine Rolle sehr überzeugend.

    Während der Mahlzeit wurde nicht viel gesprochen. Der Gast lobte die gute Küche, und mein Vater fragte ihn, ob er eine angenehme Reise gehabt hatte, was er bejahte. Daraufhin erkundigte sich Vater nach Neuigkeiten aus Elteran. Während wir erfuhren, dass Galveen noch immer Bürgermeister war und Xeridar noch immer Erster Magier, grübelte ich, was einen Mann aus der Hauptstadt zu uns führen mochte. Wie ein Magier sah er nicht aus, aber auch nicht wie ein Krieger. Am ehesten schien er ein Wissenschaftler zu sein, dachte ich bei mir, und nach allem, was er für den verletzten Wolf getan hatte, glaubte ich, er müsse ein Medicus sein, auch wenn er mir etwas zu jung vorkam. Weshalb hatte Vater einen Heiler aus der großen Stadt herbestellt? War er, oder sonst ein Mitglied unserer Familie oder unseres Haushaltes etwa krank? Oder womöglich meinetwegen?

    Ich musste mich bis nach dem Essen gedulden. Nachdem die Dienstmagd das Geschirr abgetragen hatte und wir nur noch unsere Getränke vor uns stehen hatten - dem Gast hatte Vater unseren kostbarsten Wein kredenzt - bat Vater um Aufmerksamkeit. Schneller als gewöhnlich wurde es still im Raum, und alle blickten neugierig zu ihm hin. "Lasst mich euch unseren geehrten Gast, den Magier Amarok aus Elteran, vorstellen, Kinder", sagte er feierlich. Also war er doch ein Magier! Ich hatte mir einen Vertreter seines Standes vollkommen anders vorgestellt. "Wie ihr wisst, verschwinden in letzter Zeit immer wieder Rinder, Ziegen und Schafe aus unseren Herden von den Weidegründen. Nachdem mehrere Hirten unabhängig voneinander Schneewölfe gesichtet haben, gehe ich davon aus, dass diese Bestien sich meine Tiere holen. Magier Amarok wird sich um sie kümmern."

    Ich erschrak. Wenn erwachsene Männer im Zusammenhang mit Tieren von "Kümmern" sprachen, war meistens Töten gemeint. Oh, Götter! Der Fremde war gekommen, um meine Wölfe zu bekämpfen! Und doch hatte er mir geholfen, einen von ihnen zu verarzten. Wie passte das zusammen? Hatte er mir womöglich nur etwas vorgemacht und würde bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zu meinem Versteck zurückkehren, um den ersten Wolf sogleich abzuschlachten? Ich vermochte kaum noch still zu sitzen. Alles drängte mich, zu meiner Höhle zu eilen und nachzusehen, ob es dem Welpen noch gut ging. War es womöglich gar keine Heilsalbe gewesen, die er auf die Wunde aufgetragen hatte, sondern Gift? Wenn der Welpe noch am Leben war, musste ich ihn unbedingt anderswo zu verbergen.

    Vater hatte inzwischen weiter gesprochen. "Lasst mich Euch meine Familie vorstellen", sagte er soeben. Er wies zunächst auf meine beiden älteren Schwestern und nannte ihre Namen, dann auf meine drei Brüder. Zuletzt war ich an der Reihe. "Dies ist Tarlo, unser Dummerjan. Er redet nicht. Kümmert Euch einfach nicht um ihn. Wenn er Euch lästig fällt, sagt mir Bescheid."

    Götter, würde der Magier nun antworten, er habe bereits meine Bekanntschaft gemacht und damit unser Geheimnis verraten? Ich warf ihm einen flehenden Blick zu, den er offenbar verstand.

    Ohne unsere Begegnung im Wald zu erwähnen, erklärte er höflich, dass er sich freue, unsere Bekanntschaft zu machen. Allein ein leichtes Heben der Augenbrauen zeigte, dass er die Worte, die mein Vater für mich gefunden hatte, zu missbilligen schien.

    "Wann werdet Ihr Euch auf die Suche nach den Wölfen begeben?", fragte mein ältester Bruder wissbegierig.

    "Gleich morgen nach Sonnenaufgang", gab Amarok Auskunft.

    "Darf ich Euch begleiten? Ich könnte Eure Waffen tragen", erbot sich mein Bruder eifrig.

    "Hab Dank, aber das wird nicht nötig sein."

    "Es versteht sich von selbst, dass ihr Magier Amarok in Ruhe seine Arbeit tun lasst", mischte mein Vater sich ein. "Zudem ist der Frostsee für euch Kinder tabu, und das bleibt auch so. Wenn ich einen von euch auch nur in der Nähe erwische, setzt es was." Er warf einen drohenden Blick in die Runde, um sogleich in ruhigem und freundlichem Ton fortzufahren. "Gerne mag Euch einer meiner Wachleute begleiten, oder so viele wie Ihr wünscht", bot er dem Gast an.

    "Für gewöhnlich pflege ich meinen Gegnern allein gegenüberzutreten", erwiderte Amarok. "Aber wenn ich mir einen Begleiter auswählen dürfte, wäre dies Euer Sohn Tarlo."

    Ich zuckte zusammen und zog meinen Kopf zwischen die Schultern. Was wollte der Magier von mir? Glaubte er, ich würde ihm meine Wölfe verraten? Da hatte er sich aber getäuscht!

    "Was?" Mein ältester Bruder konnte nicht an sich halten. "Aber warum? Tarlo ist doch zu blöd, um einen Schneewolf von einem Schoßhündchen zu unterscheiden. Er ist zurückgeblieben. Was wollt Ihr ausgerechnet mit ihm anfangen?"

    "Schweig!", herrschte mein Vater ihn an, und er verstummte errötend.

    Amarok war ruhig geblieben. "Ihr erwähntet, dass Tarlo nicht spricht, darum."

    "Wie Ihr wünscht, ehrwürdiger Magier", katzbuckelte Vater. "Tarlo, du hältst dich morgen früh bereit. Hast du mich verstanden?"

    Ich überschlug im Geiste die Zeit, die ich brauchen würde, um heute Nacht heimlich nach dem Welpen zu sehen, ihn gegebenenfalls anderswo zu verstecken und wieder nach Hause zu gelangen. Es müsste zu schaffen sein. Also nickte ich beklommen.

    "Ich freue mich, Tarlo", sagte Amarok und lächelte mir ermutigend zu.

    Vater erklärte die Mahlzeit für beendet und erlaubte uns Kindern, aufzustehen, was nichts anderes hieß, als dass wir ihn gefälligst mit seinem Gast allein zu lassen hatten. Wie meine Geschwister erhob ich mich also. Wir wünschten Vater und dem Magier eine gute Nacht und gingen hinaus, ich als letzter. Ich gab vor, schlafen zu gehen. Niemand störte sich daran oder versuchte, mich aufzuhalten. Wir vier Brüder teilten uns eine Schlafkammer unterm Dach, aber ich wusste, dass die anderen es noch für viel zu früh hielten, zu Bett zu gehen. Gewiss würden sie noch eine Weile in der warmen Küche beisammen sitzen. Ich eilte hinauf in unsere Kammer und präparierte mein Bett so, dass es im Dunkeln so aussehen musste, als läge ich darin - bis über den Kopf zugedeckt. Dann stieg ich lautlos wieder hinab und stahl mich aus dem Haus.

    Längst war das Tor in der Mauer, die unseren Hof umschloss, verriegelt, und ein mürrischer Wachmann saß an einem Feuer in der Nähe und passte auf, dass niemand es ohne sein und Vaters Wissen passierte. Ich jedoch kannte einen anderen Weg hinaus, über die Mauer. Jedes Mal, wenn ich diesen nahm, schüttelte ich den Kopf über die Naivität unserer Wachen, die zu glauben schienen, wir seien vor heimlichen Eindringlingen sicher. Hierfür hätte man die Apfelbäume im Küchengarten ebenso fällen müssen wie die eine große Eiche jenseits der Umfriedung, die ich als Leiter benutzte.

    In der Küche war es hell und warm. Meine Geschwister saßen mit der Gänsemagd und dem Sohn des Großknechts beisammen und lachten über deren gelungene Darstellung von Bediensteten. Niemand achtete auf mich, als ich in der Dunkelheit vorbei schlich und den Apfelbaum erklomm, der der Mauer am nächsten stand. Nur Sekunden später war ich draußen, unterwegs zu meinem Versteck.

    Während ich schnellen Schrittes meiner Höhle zueilte, dachte ich über diesen Amarok nach. Er war so freundlich gewesen und schien es mit dem kleinen verletzten Wolf so gut zu meinen. Und doch hatte er sich bereit erklärt, für Vater die Schneewölfe zu bekämpfen. Ich fand, das passte nicht zu ihm, aber er hatte diesen Auftrag angenommen und würde ihn ausführen müssen, ob er wollte oder nicht. Alles in mir wollte ihm vertrauen können, aber ich durfte nicht zu leichtgläubig sein. Energisch verdrängte ich meine Zweifel und beschleunigte meine Schritte. Endlich stand ich vor dem Eingang zu meiner Höhle. Der Stein, den ich davor gewälzt hatte, lag scheinbar unberührt, doch dahinter war es still. Ich packte den schweren Felsbrocken und rollte ihn beiseite, dann kroch ich auf allen Vieren voran. Vermaledeit! Ich hatte in der Eile vergessen, eine Kerze oder eine Lampe mitzubringen. Nun war es zu spät, also tastete ich mich langsam vorwärts, bis ich mit den Fingern den Wollstoff meines Wamses berührte. Ich setzte mich auf und bewegte meine Hände zitternd in das Stoffknäuel hinein, und da fühlte ich es: Der kleine Wolf war da. Er schlief zusammengerollt und offenbar vollkommen entspannt. Auch Amaroks Wasserschlauch lag noch so neben dem Schlaflager, wie ich ihn zurückgelassen hatte. Ungeheure Erleichterung durchflutete mich. Niemand war hier gewesen. Nun würde ich meinen Wolf in Sicherheit bringen können. Ich kannte mehr als genug Verstecke hier im Wald, und dieses Mal würde ich eines wählen, das weitab von jedem Weg und Pfad gelegen war.

    Ich griff nach dem Bündel aus Jacke und Tier, da erwachte der Kleine, zuckte zusammen und reckte die Nase in die Luft. Ich gab ihm zu trinken und wickelte ihn im Anschluss wieder fest in die wärmende Wolle. Den Wasserschlauch und mit etwas Bedauern auch das Verbandszeug zurücklassend, robbten wir nach draußen, wo ich mich aufrichtete, den Welpen auf meinen Armen zurechtrückte und mich auf den Weg machte.

    Stunden später kehrte ich auf demselben Weg in unser Anwesen zurück, wie ich es verlassen hatte. Ich sah den Soldaten immer noch Wache halten, grinste in mich hinein, schlich an der mittlerweile dunklen und leeren Küche vorbei und kletterte lautlos durch das Fenster der Besenkammer ins Haus. Als ich unbemerkt, wie ich glaubte, in mein Bett schlüpfen wollte, starrte mein ältester Bruder mich an und flüsterte: "Wo warst du?"

    Ich bedeutete ihm mit einer Geste "austreten" und schob mich unter meine Decke, ohne ihn weiter zu beachten. Bald darauf hörte ich ihn wieder gleichmäßig atmen. Ich selbst fand jedoch noch lange Zeit nicht in den Schlaf.

    Einmal editiert, zuletzt von Chaos Rising (14. April 2025 um 12:07) aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Amafiori mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Irgendwann gegen Morgen musste ich wohl doch eingeschlafen sein, denn mitten in einem konfusen Traum von Schneewölfen, die versuchten, unsere Mauer zu überwinden, wurde ich unsanft wachgerüttelt. Mein ältester Bruder war es, der mir die Decke wegzog und mich grob schüttelte. "Aufstehen, du Faulpelz! Hast du deinen Auftrag vergessen? Oder soll ich an deiner Stelle mit dem Magier gehen?"

    Nein, natürlich nicht! Ich sprang auf und wollte nach unten laufen, doch er verstellte mir den Weg. "Er wartet schon auf dich", murrte er verdrossen. "Aber ich wusste ja gleich, dass du nicht dazu taugst, ihm zu assistieren. Und wieso schläfst du überhaupt in deinen Kleidern?"

    Mit einem unwilligen Brummen stieß ich ihn beiseite. Sollte er doch denken, was er wollte. Er folgte mir, als ich aus der Kammer trat, in die Stiefel schlüpfte, die ich draußen hatte stehen lassen, die Treppe hinab sprang, mir meinen Mantel überwarf und hinaus stürmte.

    „Wo ist dein warmes Wams? Du gehst zum Frostsee, schon vergessen?“, rief er mir hinterher. „Und willst du dich nicht waschen, du Ferkel?“

    Nein. Das musste warten, oder besser gesagt, ausfallen, wenn es stimmte, dass der Magier meiner schon ungeduldig harrte. Ich durfte und wollte ihn auf keinen Fall verärgern.

    Unvermittelt bremste ich meinen Lauf ab und kam stolpernd zum Stehen, als ich ihn im Hof vor dem Tor, das bereits geöffnet war, entdeckte. Er stand neben seinem Pferd und plauderte mit dem diensthabenden Wachmann.

    Dieses Pferd...! Ich hatte noch nie in meinem Leben ein so riesiges Reittier gesehen und auch noch nie eines mit einem solchen Fell. Es war von einer Schwärze, als saugte es alles Licht aus der Umgebung auf, dunkler als die finsterste Düsternis, die ich mir vorstellen konnte. Es stand ruhig neben seinem Herrn, doch ich malte mir aus, mit welcher Kraft und Energie es wohl zu galoppieren vermochte, wenn man ihm die Zügel ließ, und ich ahnte, dass es jedem Verfolger davonlaufen und jeden Flüchtenden einholen konnte.

    Unser Besucher sah heute anders aus. Er trug nicht länger seine abgewetzte Reisekleidung, sondern eine schimmernde Robe und eine ebensolche Kopfbedeckung, dazu Handschuhe und Stiefel, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. In der Hand hielt er einen mannhohen Stab, an dessen Spitze ein großer tiefroter, funkelnder Edelstein befestigt war.

    Er musste mich gehört haben, denn er wandte den Kopf zu mir und winkte mich zu sich heran. "Guten Morgen, Tarlo", begrüßte er mich munter. "Ich hoffe, du hast gut geschlafen und kräftig gefrühstückt."

    Ich tappte zu ihm hin und nickte verlegen. Dass ich in Wahrheit während der vergangenen Nacht kaum ein Auge zugetan und heute noch keinen Bissen gegessen hatte, brauchte er nicht zu wissen.

    "Kannst du reiten?"

    Nicht wirklich. Wir besaßen einige Kutschpferde, die nicht geritten wurden und zwei Maultiere zum Lastentransport. Auf diesen hatten meine Brüder und ich zuweilen "reiten" geübt, wenn es niemand sah. Die Tiere hatten dies verständlicherweise nicht besonders geschätzt, und wir verbrachten dabei mehr Zeit in der Luft und auf dem Boden als im Sattel und trugen eine Menge Blutergüsse davon. Immerhin hatten beide Maultiere mich weitaus länger als meine Brüder auf ihrem Rücken geduldet und mich seltener abgeworfen. Mit Reiten hatte das ganze aber nur wenig zu tun gehabt. Und überhaupt, auf diesem Monstrum von Pferd? Vehement schüttelte ich den Kopf, dass meine Haare flogen.

    "Das macht nichts", antwortete Amarok lächelnd. "Dann werden wir uns Zeit lassen. Du kannst hinter mir aufsitzen."

    Niemals! Ich musste unweigerlich einen Schritt zurück getan haben.

    "Arnyek sieht Respekt einflößend aus, nicht wahr? Aber du musst keine Angst vor ihm haben. Komm, ich mache euch beide miteinander bekannt."

    Allein das hämische Gekicher meines Bruders, der uns hinter einer Hausecke hervor beobachtete, brachte mich dazu, meine Furcht zu überwinden. Nicht, dass er sich doch noch vordrängte und an meiner Statt mit dem Magier zum Frostsee ritt. Wenn ich nicht achtgab, wäre es um meine Wölfe geschehen. Ich wusste zwar noch nicht genau, wie ich es anstellen sollte, aber ich würde den Zauberer auf jeden Fall ablenken und dafür sorgen, dass das Rudel überlebte. Langsam, Schritt um Schritt, trat ich näher an den riesenhaften Rappen heran.

    "Arnyek, das ist Tarlo. Er wird uns beide heute begleiten. Tarlo, dies ist mein Schattenross Arnyek. Du kannst ihn jetzt unbesorgt berühren."

    Schattenross! Ja, dieser Name passte zu dem mächtigen Tier. Vorsichtig streckte ich die Hand aus und begann, Arnyek am Hals zu streicheln. Er ließ es sich ruhig gefallen, wandte mir lediglich den riesigen Schädel zu und blies mir seinen warmen Atem ins Gesicht.

    "Er mag dich", kommentierte Amarok zufrieden. "Nun steig auf. Ich helfe dir."

    Ehe ich mich versah, saß ich im Sattel, hoch auf Arnyeks Rücken. Ich konnte mir ein freches Grinsen in Richtung meines Bruders nicht verkneifen, doch dessen Reaktion entging mir, da auf einmal der Magier vor mir saß und die Zügel ergriff. "Halt dich an mir fest", riet er mir, winkte dem Wachmann noch einmal zu, und schon waren wir zum Tor hinaus.

    Wie Amarok es versprochen hatte, ritten wir gemächlich im Schritt von unserem Gut fort und in den Wald hinein. "Geht's?", fragte er mich, und ich nickte und brummte zustimmend. Es war ein erhebendes Gefühl, so hoch auf dem Pferderücken zu sitzen und aus der ungewohnten Höhe hinabzuschauen. Doch mein Begleiter brachte mich schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. "Was meinst du? Wollen wir noch eben nach deinem Patienten sehen, bevor wir zum Frostsee reiten?"

    Gut, dass er nicht sehen konnte, wie ich errötete. Auf keinen Fall durfte ich ihn in die Nähe der Höhle lassen, denn wenn er sähe, dass Wolf und Wams verschwunden waren, würde er wissen, dass ich ihm misstraut hatte. Hätte ich nicht verschlafen, hätte ich wenigstens behaupten können, bereits in aller Frühe nachgesehen zu haben, doch auch diese Möglichkeit hatte ich mir genommen. Ganz davon abgesehen hätte ich nicht gewusst, wie ich ihm all dies ohne Worte hätte erklären sollen. Ich begnügte mich zunächst mit einem Kopfschütteln, was er wohl spürte, denn er ließ Arnyek weiter in Richtung See laufen. "Du hast Recht. Es wäre ein ziemlicher Umweg", gab er zu.

    Danach ritten wir schweigend weiter. Mein Hochgefühl war vergangen. Je näher wir dem Frostsee kamen, desto schwerer wurde mir das Herz, wenn ich an meine Wölfe dachte. Allmählich wurde es kälter, und auf den Bäumen und dem Waldboden lag eine dünne Schneeschicht. Inzwischen hatte es auch zu schneien begonnen. Ich zog meinen Mantel enger um mich und lehnte mich an Amarok, um ein wenig Schutz vor dem eisig kalten Wind zu finden, der mittlerweile aufgekommen war.

    Auf einmal blieb das Schattenross stehen, und Amarok glitt vom Pferd. Indem er nach seinem Stab griff, mahnte er mich: "Bleib im Sattel. Bei Arnyek kann dir nichts passieren." Dann ließ er uns stehen und entfernte sich langsam, aber ohne zu zögern in Richtung des Sees.

    Angestrengt starrte ich ihm hinterher. Wo wollte er hin? Was mochte er gesehen haben? Waren meine Wölfe bereits in der Nähe? In dichten Flocken fiel der Schnee inzwischen und erschwerte mir die Sicht. Dennoch erkannte ich auf einmal... ja, was? Ein gigantisches Wesen, das ganz und gar aus Eisplatten zu bestehen schien, war mitten auf dem Weg erschienen und hatte sich Amarok entgegengestellt, um uns aufzuhalten! Götter, dergleichen hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen.

    Amarok war inzwischen stehen geblieben und zielte mit seinem Stab auf die Eiskreatur. "Gib den Weg frei", sagte er ruhig.

    Als Antwort schleuderte das Wesen eine Handvoll Eissplitter in seine Richtung. Die meisten flogen an dem Magier vorbei oder prallten an seiner Robe ab, als schien ihn ein unsichtbarer Schutzschild zu umgeben.

    Amarok seufzte bedauernd und wirkte einen Zauber, der so etwas wie glühende Asche auf die Eiskreatur zufliegen ließ. Diese wich einen Schritt zurück und ließ eine weitere Salve von Eissplittern folgen. Jetzt fanden einige davon ihr Ziel, doch Amarok ließ sich nicht beirren und schoss ein weiteres Mal seinen Feuerzauber auf den Gegner. Dieses Mal blieben die Eissplitter aus, doch dort, wo Amarok stand, begann plötzlich die Schneedecke einzubrechen, und es war, als stürzte der Boden rund um ihn ein. Mit einem kühnen Sprung brachte er sich in Sicherheit. "Du willst es nicht anders", sagte er und hob seinen Stab erneut. Es hatte traurig geklungen, nicht etwa drohend, so wie etwa bei Vater, wenn er uns Kindern eine Strafe angedeihen ließ. Dieses Mal traf die Glutwelle - so nannte sich der Zauber, wie ich später erfuhr - das Wesen frontal. Es war verletzt und geschwächt und wich erneut einige Schritte zurück. "Bitte gib auf", hörte ich Amarok flüstern. "Ich will dich nicht töten, aber wenn es sein muss, um unser Leben zu retten, werde ich nicht länger zögern."

    Die Kreatur erstarrte mitten in der Bewegung und maß ihren Gegner mit einem abschätzenden Blick. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis sie sich endlich rührte. Langsam wandte sie sich ab und verschwand seitlich des Weges im dichten Tann.

    Erleichtert senkte Amarok seinen Stab und drehte sich zu mir und Arnyek um.

    Ich saß zitternd auf dem Pferd und blickte ihm angstvoll entgegen. Ich bedauerte wirklich selten, dass ich nicht zu sprechen vermochte, doch nun hätte ich einiges darum gegeben, hätte ich den Magier fragen können, was bei allen Göttern und Dämonen das gewesen war.

    Ruhig kam er näher und befestigte seinen Stab wieder an der dafür vorgesehenen Halterung an Arnyeks Sattel. "Das war ein Eisgolem", erklärte er und machte sich an der Satteltasche zu schaffen. Er zog eine Phiole hervor, die eine rötliche Flüssigkeit enthielt. "Heiltrank, aus Guljakbeeren und Jorugawurzeln hergestellt. Er schmeckt grauenhaft, aber hilft zuverlässig gegen magische Verletzungen." Er entkorkte das Gefäß und trank die Flüssigkeit in einem Zug aus. Anschließend verstaute er es wieder und blickte fragend zu mir auf. "Wollen wir weiter? Wenn du Angst hast, kehren wir um."

    Ich hatte Angst, und das nicht zu knapp. Schließlich könnte der Eisgolem uns wieder auflauern, und wer mochte wissen, was der Frostsee sonst noch an unbekannten Gefahren aufzubieten hatte? Aber Amarok musste doch Vaters Auftrag erfüllen. Allerdings begann ich mich zu fragen, aus welchem Grund er mich mitgenommen hatte. Wenn wir zurückritten, würde ich es nie erfahren. Außerdem wollte ich wissen, was er mit meinen Wölfen vorhatte. Also schüttelte ich zögernd den Kopf.

    "Gut", meinte er zufrieden. "Ich komme wieder rauf." Sekunden später saß er wieder vor mir im Sattel und nahm die Zügel auf. "Dann wollen wir mal", sagte er betont munter, und Arnyek setzte sich wieder in Bewegung. Unaufgefordert legte ich meine Arme um seine Taille. Wir ritten unbehelligt etwa eine halbe Stunde lang in der Nähe des Ufers weiter, bis der Wald sich allmählich öffnete und den Blick auf den dick vereisten Frostsee freigab. "Wir sind da", verkündete Amarok und glitt elegant von dem Pferderücken, ehe er mir die Arme entgegenstreckte, um mir beim Absteigen zu helfen. "Hast du Hunger?"

    Oh ja, ich hatte großen Hunger. Schließlich hatte ich nicht gefrühstückt, und das soeben überstandene Abenteuer schien mich noch hungriger gemacht zu haben. Ich nickte eifrig.

    "Ich auch", sagte er lachend und öffnete erneut die Packtasche, aus der er ein Paket mit Brot, Käse und zwei Äpfeln hervorzog. Er teilte das Brot in zwei Hälften und reichte mir eine davon. Den Käse schnitt er mit einem Messer, das er ebenfalls mit sich führte, in zwei Stücke, und zuletzt gab er mir einen Apfel. Den anderen bot er Arnyek an, der ihn mit sichtlichem Genuss zerbiss. "Lass es dir schmecken", wünschte Amarok, und ich wusste nicht, ob er mich oder sein Schattenross angesprochen hatte. Noch nie hatte mir ein so schlichtes Mahl so gut geschmeckt wie nun, da ich gerade einer großen Gefahr entronnen war.

    Als wir unseren Proviant verzehrt und einige Schlucke eines Getränks, das er Guljakbeerensaft nannte und eine leicht belebende Wirkung auf mich hatte, aus einer Steingutflasche getrunken hatten, räusperte sich Amarok und blickte mich ernst an. "Du wirst dich fragen, warum ich dich auf diesen gefährlichen Ritt mitgenommen habe, nicht wahr?"

    Ich konnte nur beklommen nicken.

    "Dein Vater hat mich beauftragt, die Schneewölfe, die sich immer wieder an euren Herden vergreifen, zu töten", erklärte er ernst.

    Wieder nickte ich. Dasselbe hatte Vater gestern Abend beim Essen auch gesagt.

    "Damit bist du nicht einverstanden, habe ich Recht?"

    Ich nickte ein drittes Mal.

    "Ich habe dich mitgenommen, damit du mit eigenen Augen siehst, dass deinen Schützlingen nichts zustößt. Nicht heute, nicht von meiner Seite", sagte er.

    Aber...? Ich verstand nicht. Würde er Vaters Auftrag denn nicht erfüllen?

    "Ich habe eine andere Idee", erklärte er, als habe er meine Zweifel gehört. "Aber dafür muss ich dem Herz des Sees gegenübertreten. Hast du jemals von ihm gehört?"

    Ich schüttelte den Kopf. Was sollte das denn sein, das Herz des Sees?

    "Einst lebte ein machthungriger Priester namens Sadek in unserem Lande, dem es gelang, sich göttliche Macht anzueignen und der sich durch böses und grausames Handeln hervortat. Dies erzürnte die Götter, und in einer nie dagewesenen Schlacht, in der die Anhänger aller drei Gottheiten vereint gegen Sadek stritten, wurde er besiegt und zur ewigen Strafe in diesem See angekettet. Die göttliche Kraft ist ihm genommen, aber er verfügt noch über ausreichend Macht, seine Geschöpfe, zu denen unter anderem die Eisgolems und auch die Schneewölfe gehören, zu zwingen, die Menschen, die sich in seine Nähe wagen, zu bekämpfen und zu töten. Kraft unserer Magie können wir ihnen in den meisten Fällen trotzen."

    Ich verstand nicht ganz, oder besser gesagt wollte ich nicht verstehen. Meine Wölfe, diese herrlichen, schneeweißen Geschöpfe, sollten böse sein? Das wollte und konnte ich nicht glauben. Der Eisgolem jedoch war eindeutig böse gewesen und hatte versucht, Amarok zu töten oder wenigstens zu verletzen. Sadek... War dieser Sadek der Grund dafür, dass uns strengstens verboten war, uns dem See zu nähern? Vater hatte uns jedoch nie eine Erklärung für das Verbot geliefert. Ich musste Amarok fragend angeblickt haben, denn er fuhr mit seiner Erklärung fort.

    "Meine Idee ist nun: Wenn Sadek diese Geschöpfe beeinflussen kann, wenn er sie zwingen kann, Wanderer anzugreifen und ihnen Schaden zuzufügen, so muss er auch ausreichend Macht über sie haben, ihnen zu befehlen, die Tiere deines Vaters in Ruhe zu lassen. Jemand muss ihn lediglich davon überzeugen, dass dies zum Besten aller ist.“

    Und dieser Jemand bist du?, dachte ich. Wie anmaßend konnte dieser Magier sein?

    "Ich ahne, was du denkst", seufzte Amarok. "Aber ich glaube, dass wir es schaffen können."

    Wir?

    Er bemerkte meinen skeptischen Blick. "Du hast einem seiner Geschöpfe, dem kleinen Schneewolf, das Leben gerettet. Wir haben etwas bei ihm gut."

    Optimist! Wenn dieses Herz des Sees so bösartig war, wie er es geschildert hatte, weshalb sollte es dann so gnädig sein, im Gegenzug für das Leben eines einzigen Welpen unsere Herden zu schützen und alle anderen Schneewölfe hungern zu lassen?

    "Ich muss es darauf ankommen lassen."

    Und wenn er dich nicht anhört? Wenn er dich angreift?

    "Wenn er nicht verhandeln will, muss ich allerdings kämpfen", sagte Amarok. "Ich kann Sadek besiegen, wenn du mir hilfst."

    Ich? Wie denn? Bin ich etwa ein Magier?

    "Beruhige dich. Du sollst lediglich, wenn mir die Kräfte schwinden, diese Spruchrollen wirken." Er zog einige versiegelte Papyrusrollen aus Arnyeks Satteltasche und reichte sie mir.

    Ich nahm sie zur Hand, wo ich sie ratlos drehte und wendete. Ich hatte nie lesen gelernt. Mutlos ließ ich den Kopf sinken.

    "Es ist nicht schwer", sagte Amarok leise, aber eindringlich. "Du brauchst sie nur zu entsiegeln und dabei meinen Namen auszusprechen. Willst du das für mich tun?"

    Meine Augen füllten sich mit Tränen. Er wusste doch, dass ich nicht sprach! Entschieden schüttelte ich den Kopf.

    "Ich weiß, dass du es kannst", flüsterte er.

    Vermaledeit, woher? Ich hatte gesprochen, bis ich vier Jahre alt war. Bis ich meine Mutter bei einem schrecklichen Vorfall hatte sterben sehen, für den ich meinem Vater die Schuld gab und noch gebe. Seither hatte ich nie wieder ein Wort gesprochen.

    „Erinnerst du dich?“

    Und ob ich mich erinnerte! Wie könnte ich je den Tag vergessen, an dem wir, meine Eltern, mein älterer Bruder und ich, beim Beeren Sammeln im Wald von einer Gruppe Orks angegriffen worden waren. Mein Vater hatte sich meinen Bruder geschnappt und war mit ihm geflohen, während meine Mutter sich, nur mit einem Knüppel bewaffnet, todesmutig vor mich gestellt und die Orks angebrüllt hatte, sie sollen ihr Kind in Ruhe lassen. Die Orks haben sie erschlagen und mich entführt. Allerdings kamen sie nicht weit, denn eine Gruppe reisender Magier aus Elteran befreite mich. Sie töteten die Orks und brachten mich nach Hause. Von diesem Tag an habe ich nie wieder ein Wort mit meinen Angehörigen gesprochen.

    "Ein guter Freund von mir, er heißt Carellon, war damals dabei und hat mir alles erzählt. Auch, dass du nach deiner Befreiung nach deiner Mutter gerufen und deinen Vater verflucht hast. Aber dein Vater konnte euch nicht allen beistehen. Er hat sich entschieden, seinen Erstgeborenen in Sicherheit zu bringen. Er hätte auch seiner Gemahlin beistehen können, doch dann hätten die Orks deine beiden Eltern getötet, und euch Kinder vielleicht ebenfalls. Wie auch immer, deine Geschichte hat uns sehr berührt, Tarlo. So sehr, dass ich mich sofort daran erinnert habe, als dein Vater gestern deinen Namen nannte und erklärte, dass du nicht sprichst. Doch damals konntest du sprechen, und ich glaube, du kannst es noch. Du willst es nur nicht. Ich respektiere das. Aber ich bitte dich inständig, heute eine Ausnahme zu machen. Für mich und für das Leben der Wölfe, die du so liebst."

    Meine Wölfe... Ich könnte sie retten. Oh Götter! Aber um welchen Preis? Ich wäre nicht mehr derselbe, wenn ich zuließe, dass meine Stimme wieder erklingt. Wenn ich mich heute entschied, meine Stimme erneut zu erheben, so wäre das keine Ausnahme, oh nein. Ich wusste, dann würde alles aus mir herausbrechen, was ich bisher mit großer Anstrengung unter Verschluss gehalten hatte. Ich würde mit meinem Vater klären müssen, was damals geschehen war und ich müsste mich wieder und wieder erinnern. Wollte ich das? Nein, um keinen Preis, auch nicht um meiner Wölfe Willen. Ich blickte zu Amarok, den ich vor lauter Tränen nur noch verschwommen sah, schüttelte den Kopf und dachte bei mir: Das kann ich nicht. Oh Götter, ich hatte seine Erwartungen und Hoffnungen enttäuscht. Was würde er jetzt tun? Was hatte ich einem Erwachsenen, einem Magier gar, entgegenzusetzen? Konnte er mich zwingen?

    Er überraschte mich. Er tat einen Schritt auf mich zu und legte mir sanft die Hand auf die Schulter. "Ich akzeptiere deine Entscheidung. Es ist schon in Ordnung. Vielleicht bleibt mir ja der Kampf erspart und ich kann Sadek mit Argumenten überzeugen. Oder vielleicht benötige ich selbst während eines Kampfes die Spruchrollen nicht. Mach dir nichts daraus."

    Ich brach in Tränen aus und wollte mich von ihm abwenden, aber er hielt mich fest und zog mich an sich. "Schon gut, Tarlo. Bitte verzeih mir. Ich hatte kein Recht, Solches von dir zu verlangen." Er hielt mich, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte, dann ließ er mich los. Überraschenderweise fühlte ich mich besser. Dabei hätte ich mich hundsmiserabel fühlen müssen, Verräter der ich war. An ihm und an meinen Wölfen.

    "Ich werde mein Glück jetzt versuchen", verkündete er endlich. "Bleib bei Arnyek. In seiner Nähe bist du sicher." Er entnahm seiner Tasche ein Arsenal von Fläschchen und Phiolen, die er nacheinander leerte. „Das sind magische Stärkungsmittel“, erklärte er, griff sich seinen Stab aus der Halterung, zwinkerte mir noch einmal zu, sagte leise "Wünsch mir Glück" und wandte sich ab, um zügig auf das Seeufer zuzugehen. Dort prüfte er die Tragfähigkeit des Eises und betrat, nachdem er damit offenbar zufrieden war, die Eisfläche. Erst als ich ihn im Schneegestöber schon fast aus den Augen verloren hatte, bemerkte ich, dass ich noch immer die Spruchrollen in Händen hielt.

  • Auf einmal schämte ich mich zutiefst. Da hatte mir endlich einmal jemand etwas zugetraut und mir eine wichtige Aufgabe zugedacht, und was tat ich? Ich ließ ihn im Stich. In die Scham mischte sich aber auch ein kleines Bisschen Trotz. Warum verlangte er etwas von mir, wozu ich nicht imstande war? Jede andere Bitte, so glaubte ich, hätte ich ihm erfüllt.

    Ich blickte mich um. Da stand ruhig das Schattenross, sonst war niemand, auch kein Tier oder sonstiges Wesen, zu sehen. Ich fühlte mich plötzlich einsam und verlassen. Angst kroch in mir hoch und ließ mich schaudern. Was, wenn der Magier nicht wieder kam? Wie sollte ich nach Hause kommen? Bei Arnyek sollte ich in Sicherheit sein, hatte Amarok behauptet. Wie aber sollte ich das riesenhafte Reittier dazu bewegen, mir nach Hause zu folgen, wenn doch sein Herr hier zurückgeblieben war?

    Was tat Amarok überhaupt? Ich lauschte angestrengt in die weiße Leere vor mir, doch ich konnte nichts hören außer den gedämpften Geräuschen der winterlich verschneiten Natur und dem fernen Krächzen einer Nebelkrähe. Müsste nicht Kampflärm zu vernehmen sein? Oder hatte dieser Sadek sich aufs Verhandeln eingelassen? Zögernd tat ich einige Schritte in Richtung des Ufers, doch dann erinnerte ich mich daran, dass ich nach Aussage seines Herrn nur in der Nähe des Schattenrosses sicher war. Dennoch siegte endlich meine Neugier über die Angst, und ich lief los. Ein Laut hinter mir ließ mich erschrocken herumfahren und erleichtert aufatmen. Arnyek folgte mir! Mit neuem Mut drang ich weiter vor und gelangte endlich an den Wassersaum. Der See war dick vereist, und ich konnte im frisch gefallenen Schnee noch undeutlich Amaroks Fußspuren erkennen. Warten oder Weitergehen? Aufs Eis würde das Pferd mir gewiss nicht folgen. Nur noch ein paar Schritte vielleicht, so weit, dass ich das Ross noch hinter mir erkennen konnte und vielleicht irgendein Lebenszeichen von dem Magier vernehmen konnte.

    Langsam und vorsichtig, immer wieder prüfend, ob mich das Eis auch trug, bewegte ich mich vorwärts auf die Mitte des Sees zu. Hier war das Schneegestöber noch dichter, doch mit einem Mal erkannte ich vor mir die Silhouetten zweier Menschen, wobei die eine die andere um mehrere Fuß überragte. Vorsichtig pirschte ich mich noch ein wenig näher heran und bereute meinen Wagemut im selben Moment, da ich erkannte, was sich vor meinen Augen abspielte.

    Einige Schritt vor mir stand, mir den Rücken zudrehend, Amarok. Seinen Stab hielt er in einer Hand, jedoch nicht in Kampfstellung. Sein Gegenüber bot einen unbeschreiblich grauenvollen Anblick. Die hochgewachsene Gestalt schien in schimmelige Lumpen gehüllt, seine Haut war faltig und sein Gesicht das eines uralten Greises, doch sein grausamer Blick brannte mir in der Seele, so dass ich schnell den Kopf senkte. Doch ich wusste, Sadek hatte mich gesehen.

    Auch Amarok wusste, ohne sich umzudrehen, dass ich da war und sein Gegner mich entdeckt hatte. Und vermutlich war er nicht besonders erfreut darüber, denn Sadeks Grinsen in dem totenkopfähnlichen Gesicht verhieß nichts Gutes. Instinktiv packte er seinen Stab fester, was dem Herz des Sees ein raues Lachen entlockte.

    "Na, hast du Verstärkung mitgebracht, Magier?", fragte es. Seine Stimme hörte sich seltsam tonlos und knirschend an und erinnerte vage an aufeinander reibende Eisplatten.

    Amarok blieb ruhig. "Das ist Tarlo, der Retter des Wolfswelpen, von dem ich gesprochen hatte", sagte er. "Er wird Euch nicht angreifen, Sadek."

    "Der Entführer, meinst du wohl."

    "Nein, der Retter. Er hat das Tier aus einer Tellereisenfalle befreit und seine Verletzung gereinigt und versorgt."

    "Spielt ohnehin keine Rolle, wer oder was er ist. Ich habe genug von dem Geschwätz. Ich werde euch beide vernichten."

    "Was spricht gegen die Abmachung, die ich Euch vorgeschlagen habe? Ihr haltet die Wölfe von dem besagten Gehöft fern, dafür bleiben sie am Leben, und Euch bleibt ein Kampf erspart."

    "Wer sagt dir denn, dass ich nicht kämpfen will? Wer bin ich, einen Kampf zu fürchten? Ha! Ich bin das Herz des Sees, und ich werde jeden Eindringling meine Macht spüren lassen. Auf nichts anderes warte ich tagein, tagaus. Genug der Worte! Lass uns endlich kämpfen!"

    "Wie Ihr wünscht. Aber einen letzten Vorschlag will ich Euch noch unterbreiten. Wenn ich siege, werde ich Euch nicht ausplündern, sondern mich mit Eurem Wort zufrieden geben, dass Ihr das Wolfsrudel schützen werdet."

    Sadek ließ erneut sein grausames Lachen ertönen. "Wenn du mich besiegst? Ha,ha,ha, das ist köstlich!" Er wollte sich schier ausschütten vor Lachen. "Nun gut, wenn dir so viel daran liegt, so will ich dir mein Wort geben und mein Versprechen gegebenenfalls halten. Aber dazu wird es niemals kommen. Du bist weder stark genug noch ausreichend gerüstet, mir gegenüber zu treten."

    "Lasst es darauf ankommen", sagte Amarok.

    "Oh, ich zittere schon vor dir, mächtiger Magier", spottete Sadek, und ohne eine weitere Ankündigung eröffnete er den Kampf, indem er, ähnlich wie der Eisgolem zuvor, Eissplitter auf seinen Gegner herabstürzen ließ, nur dass das Herz des Sees sie mit weitaus mehr Kraft von sich geschleudert hatte.

    Getroffen wich Amarok einen Schritt zurück und brachte seinen Stab in Angriffsstellung. Ich verstehe nichts von Zauberei und kann daher nicht im Einzelnen aufzählen, was sich nun vor meinen Augen abspielte. Amarok verteidigte sich wacker und griff das Herz des Sees immer wieder mit unterschiedlichen Feuerzaubern an, die es offenbar auch verletzten, doch Sadek schien sich in regelmäßigen Abständen wieder zu heilen und schlug dann umso stärker zurück. So kam es, dass Amarok, obwohl er auf mich zunächst mächtiger gewirkt hatte, immer weiter zurückweichen musste und immer schwächer zu werden schien. Ab und zu griff er in seine Robe und trank eine Phiole mit dem rötlichen Heiltrank leer, doch letztendlich schien Sadek ihm überlegen zu sein.

    "Soviel zu 'lasst es darauf ankommen'", höhnte das Herz des Sees, nachdem es Amarok einen besonders herben Schlag versetzt hatte, der ihn taumeln ließ. "Einen wie dich erledige ich nebenbei." Diesen Worten ließ er einen weiteren Eishagel folgen. "Und nach dir vergnüge ich mich mit dem Wolfsretter, ha, ha, ha."

    "Tarlo lasst in Frieden", keuchte Amarok. "Er ist kein Magier und hat mit unserem Kampf nicht das Geringste zu tun."

    "Was hat er dann hier verloren?"

    Das fragte ich mich allmählich auch. Bei Sadeks Ankündigung waren mir die Knie weich geworden, und das war der einzige Grund, warum ich noch immer hier stand und den ungleichen Kampf beobachtete, anstatt mich umzudrehen und die Beine unter den Arm zu nehmen.

    "Gute Frage, Sadek." Amarok wandte sich an mich. "Bring dich in Sicherheit, Tarlo. Arnyek wird dich nach Hause bringen. Geh", mahnte er eindringlich.

    Sadek nutzte die Tatsache, dass sein Gegner durch mich abgelenkt war, und überraschte Amarok mit einem neuen Angriff, der ihn zu Fall brachte.

    Im Liegen richtete dieser erneut seinen Stab auf seinen Feind und wollte einen weiteren Feuerzauber wirken, doch seine Kraft reichte nicht mehr aus.

    Entsetzt sah ich, wie Sadek sich auf den wehrlos vor ihm Liegenden stürzen wollte und beide Arme hob, um einen letzten, womöglich tödlichen Eiszauber auf ihn loszulassen. Amarok würde sterben, und es wäre allein meine Schuld. Mir zuliebe hatte er die Wölfe, mit denen er vermutlich spielend fertig geworden wäre, schonen wollen und stattdessen mit dem Herz des Sees verhandelt. Doch dieser Feind hatte nicht mit sich handeln lassen. Es geschah mir ganz recht, dass ich das grausame Ende mit ansehen musste.

    Aber noch war es nicht soweit. Während des Sekundenbruchteils, den Sadek benötigte, um sich für seinen Zauber zu sammeln, schaffte Amarok es, sich zur Seite zu werfen und mit einem Infernozauber eine Feuerwand zwischen sich und dem Angreifer entstehen zu lassen, der jenen zurückweichen ließ und es Amarok erlaubte, wieder auf die Beine zu kommen.

    Als der Zauber versiegte und die Kontrahenten einander wieder sehen konnten, lachte Sadek wieder sein schauriges Lachen. "Du bist am Ende, Magier, und das weißt du auch. Warum gibst du nicht einfach auf? Vielleicht verschone ich dann den jungen Wolfsfreund."

    Entsetzt erkannte Amarok mit einem Seitenblick, dass ich immer noch da war, aber bevor er etwas sagen konnte, war Sadek wieder über ihm. Dieses Mal hatte er dem dämonischen Eisgott nichts mehr entgegenzusetzen.

    Ich wollte mir die Augen zuhalten und hob meine Hände, da bemerkte ich die Papyrusrollen, die Amarok mir vor einer Ewigkeit, wie mir schien, gegeben hatte und die ich immer noch umklammert hielt. Es sei nicht schwer, hatte er gesagt, sie zu gebrauchen. Ich müsste sie lediglich entsiegeln und dabei seinen Namen aussprechen. Ich hatte es in der Hand, ihn zu retten, doch ich war unfähig, es zu tun. Götter, ich wollte es ja tun, unbedingt, aber ich konnte es nicht.

    Der Kampf vor mir war immer noch nicht zu Ende. Ich weiß nicht, woher Amarok die Kraft nahm, noch immer jeden Angriff Sadeks mit einem Zauber seinerseits zu parieren. Er lag wieder auf dem Eis, und ich konnte förmlich zusehen, wie das Leben aus ihm zu weichen schien. Als spürte er, dass ich ihn beobachtete, blickte er zu mir her. "Verzeih mir, Tarlo", flüsterte er. In diesem Augenblick traf ihn ein Fausthieb Sadeks, und er verlor das Bewusstsein.

    Ehe ich wusste, was ich tat, hatte ich das Siegel der ersten Rolle gebrochen und faltete das Blatt auseinander. Ich konnte nicht lesen und folglich nicht erkennen, was darauf geschrieben stand. "Du brauchst sie nur zu entsiegeln und dabei meinen Namen auszusprechen", hatte Amarok gesagt. Zitternd holte ich Luft. "Aaaa..."

    Oh nein! Ich wusste, dass ich nicht dazu in der Lage war. Wieder füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals an einem Tag so viel geweint zu haben wie heute, wenigstens nicht seit dem Tod meiner Mutter. Meine Mutter… Wie in einem Traum erschien auf einmal das Bild meiner Mutter vor meinen Augen, wie sie sich vor mich gestellt hatte und den Orks zornig entgegen geschrien hatte, mich in Ruhe zu lassen. "Mama", flüsterte ich. "Mama." Schon lauter. Heiser und rau war meine Stimme, fast wie Sadeks, doch sie war da, ich konnte mich selbst hören. "Mama!, brüllte ich endlich noch lauter. "Ama!" und dann "Amarok!"

    Die Rolle in meiner Hand löste sich in Rauch auf. Ich sah unendlich erleichtert, wie das Leben in Amarok zurückkehrte. Überrascht wich Sadek von seinem Opfer zurück, welches sich soeben aufgerichtet und einen neuen, starken Feuerzauber in seine Richtung entlassen hatte. Ja! Oh ja, ich konnte helfen! Sofort öffnete ich die nächste Rolle, und eine weitere und noch eine, und jedes Mal gelang es mir, Amaroks Namen laut und deutlich auszusprechen. Mit jedem Mal gewann er mehr und mehr Kraft zurück und seine Zauber an Wirksamkeit. Jetzt zeigte sich, dass Sadek geschwächt war, denn seine Angriffe verloren an Intensität, und nun war es Amarok, der ihn vor sich her über das Eis trieb.

    Die letzte Rolle war aufgebraucht und hatte sich wie die anderen entmaterialisiert. Verdattert blieb ich zurück und verlor die beiden Kämpfenden bald aus den Augen. Mir war seltsam zumute, und ich wusste nicht, ob das daran lag, dass ich erstmals in meinem Leben einen Zauber gewirkt hatte, oder ob mein Sprechen die Ursache dafür war. Ich öffnete den Mund, holte Luft und versuchte es noch einmal. "Tarlo", sagte ich. "Mein Name ist Tarlo, ich kann sprechen. Tarlo, Tarlo, Tarlo. Amarok, Tarlo. Sadek, Arnyek, Amarok, Tarlo. Ja, ja, jaaaaaa!"

    Eine nie gekannte Euphorie hatte von mir Besitz ergriffen. Ich konnte nicht aufhören, meine Stimme ertönen zu lassen. Immer wieder nannte ich meinen und Amaroks Namen, dann die meiner Geschwister und aller Bewohner unseres Gehöfts, die ich beim Namen kannte. Alle Namen sprach ich aus, bis auf einen: Das Wort 'Vater' wollte mir nicht über die Lippen kommen. Abrupt verstummte ich wieder. Vater... Wenn ich nach Hause kam, und ich war absolut überzeugt, dass ich unversehrt nach Hause kommen würde, stünde ich vor der Wahl. Ich könnte mit meiner Familie sprechen, mich feiern lassen und ein normales Leben führen, doch dann würde ich auch mit meinem Vater reden müssen. Oder ich könnte wieder in mein altes Schweigen verfallen. In vielerlei Hinsicht war mein Dasein als stummer, zurückgebliebener, bedauernswerter Junge angenehm einfach gewesen. Wenn ich mich fürs Sprechen entschied, würde es damit ein Ende haben. Ich würde wie meine Geschwister mit meinen Brüdern und Schwestern streiten müssen und mit Vater endlose Diskussionen um den Sinn oder Unsinn seiner Anordnungen und Strafen führen. Mein schönes, faules Leben mit viel Zeit, mich in der Natur aufzuhalten, würde ein Ende haben, denn sie würden mich zwingen, mich an den Pflichten zu beteiligen, die bedingten, sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen. Zum Markt fahren, Waren ein-und verkaufen, den Knechten und Mägden Anweisungen erteilen. Und vielleicht würde ich eines Tages beim Erntedankfest ein Mädchen zum Tanzen bitten müssen. Wie viel einfacher war es doch dagegen, mich mit den Tieren des Hofes und des Waldes abzugeben, die keine Ansprache von mir erwarteten!

    "Tarlo?" Amarok war von mir unbemerkt herbei gekommen und trat lächelnd auf mich zu. "Hab Dank, Tarlo. Du warst großartig, und es war genau der richtige Zeitpunkt."

    "Sadek?", fragte ich ängstlich und ein wenig beschämt, weil mir der Mut fehlte, meine Frage in einen ganzen Satz zu kleiden."

    "Besiegt", bestätigte Amarok meine Hoffnung.

    "Tot?"

    "Nein, natürlich nicht. Schließlich brauchen wir ihn. Er hat versprochen, sein Wort zu halten. Kein Schneewolf wird bei euch mehr irgendein Tier anrühren. Er bittet allerdings darum, den Welpen so schnell wie möglich wieder seiner Familie zuzuführen."

    Sadeks "Bitte" konnte ich mir lebhaft vorstellen. Aber meine Freude über diesen zweifachen Sieg kannte keine Grenzen. Laut jubelnd und fiel ich Amarok um den Hals, was er sich lachend gefallen ließ. "Gehen?" Ich konnte es auf einmal kaum erwarten, den kleinen Wolf in seinem neuen Versteck aufzusuchen und frei zu lassen.

    "Ja, gehen wir." Seite an Seite kehrten wir zum Ufer zurück, wo der treue Arnyek uns erwartete. Amarok nahm noch einige stärkende Elixiere zu sich, bevor er sich kräftig genug für den Ritt fühlte. Er verstaute seinen Stab und saß auf, reichte mir die Hand und zog mich hinter sich. Ich wies ihm den Weg zu meinem Versteck mit knappen Angaben wie "rechts", "links" oder "weiter". Schnell ließen wir das verschneite Gebiet rund um den Frostsee hinter uns und gelangten allmählich wieder in den frühsommerlich warmen Wald.

    Als wir angekommen waren und Amarok erkannte, dass der kleine Wolf während der Nacht umgezogen war, entschuldigte ich mich. "Angst, Sorge", sagte ich, "verzeih."

    "Du hast gut daran getan, Tarlo", erwiderte er. "Woher hättest du wissen sollen, dass du mir vertrauen kannst? Du sorgst wunderbar für deine Schutzbefohlenen."

    Mir fiel ein Gebirge vom Herzen, dass er mir nicht gram war. Gemeinsam befreiten wir den Welpen aus der gut getarnten Grube, wo ich ihn heute Nacht gelassen hatte, nahmen ihm den Rest des Verbandes ab, den er schon ordentlich benagt hatte und untersuchten die Wunde, die bereits erstaunlich gut verheilt war. Ein weiteres Mal kam der Tiegel mit der Heilpaste zum Einsatz, dann ließ ich den kleinen Wolf los, wir traten zurück und warteten ab, was geschehen würde.

    Erst zögerlich, dann immer schneller tapste der Welpe von uns fort, zunächst den Pfad entlang, auf dem wir hergeritten waren, dann blieb er kurz stehen, blickte sich noch einmal um, als wolle er Danke oder Lebewohl sagen und verschwand im Dickicht. Kurz darauf hörten wir das melodische Heulen dreier Wölfe ganz in der Nähe. Seine Familie war gekommen, um ihn abzuholen und gab der Freude über das glückliche Wiedersehen lautstark Ausdruck.

    Schweigend standen wir beisammen und lauschten dem Gesang des wiedervereinten Rudels. Ich wusste, auch für mich nahte die Zeit, in den Schoß meiner Familie zurückzukehren. Noch immer hatte ich nicht entschieden, ob ich mich ihnen öffnen würde oder nicht. Als das Wolfsgeheul in der Ferne verklungen war, seufzte ich schwer und murmelte: "Nach Hause."

    "Einverstanden." Wir gingen zurück zu Arnyek und saßen wieder auf. Dies würde mein letzter Ritt auf dem Schattenross sein, und ich bedauerte dies bereits. Noch mehr bedauerte ich jedoch, dass ich Amarok nach dem heutigen Tag vermutlich nie mehr wiedersehen würde, den Mann, der mir die Tür zu meiner verlorenen Sprache geöffnet hatte, wenn auch auf eine ausnehmend drastische Art und Weise.

    Als wir in den Innenhof unseres Anwesens einritten, dämmerte es bereits. Mein Vater schien auf uns gewartet zu haben, denn er trat aus dem Haus, sobald wir abgestiegen waren. "Seid gegrüßt, edler Magier. Willkommen zurück. Ich hoffe, Euer Vorhaben ist gelungen und Ihr seid wohlauf?" Mich ignorierte er geflissentlich, wie stets.

    "Habt Dank", erwiderte Amarok. "Ich habe die Ehre, Euch beruhigen zu können. Kein Schneewolf wird sich mehr an Euren Herden vergreifen."

    "Großartig", lobte Vater. "Ich wusste, dass es eine gute Idee sein würde, einen Magier mit dieser Mission zu beauftragen.“ Selbstgefällig nickte er, wie um seine Aussage zu bestätigen, da Amarok es nicht tat. Suchend schaute er umher, sein Blick blieb an Arnyek hängen, doch offenbar konnte Vater nicht entdecken, wonach er Ausschau gehalten hatte. "Äh", er räusperte sich verlegen. "Habt Ihr die Felle nicht mitgebracht?"

    "Die Felle?"

    "Von den Wölfen, die Ihr erlegt habt."

    "Oh, ich habe sie nicht erlegt."

    "Nein?"

    "Nein. In dem Fall wären über kurz oder lang andere Tiere in das Revier gekommen, und Ihr hättet dasselbe Problem erneut lösen müssen. Die Wölfe sind noch immer vor Ort und am Leben. Allerdings werden sie den Frostsee nicht mehr in Eure Richtung verlassen."

    Vaters Gesichtsausdruck war sehenswert, doch er fing sich schnell wieder. "Darf ich fragen, wie Ihr das bewerkstelligt habt?"

    "Mit Magie", antwortete Amarok mit einem geheimnisvollen Lächeln. "Und mit Tarlos tatkräftiger Hilfe."

    "Im Ernst?" Eigentlich hätte ich ob Vaters ungläubiger Miene gekränkt sein müssen, aber ich hatte Mühe, ein Kichern zu unterdrücken.

    "Ja, wirklich. Ohne Tarlo hätte ich es heute nicht geschafft, und das ist die reine Wahrheit."

    "Zu dumm, dass der Junge uns nichts erzählen kann", murmelte Vater nachdenklich.

    Ich erschrak. Würde Amarok nun auch die zweite, viel überraschendere Neuigkeit verkünden?

    Doch ich hatte mich umsonst gesorgt. Er zwinkerte mir zu und sagte freundlich zu Vater: "Manche Erlebnisse wollen geteilt werden, andere wiederum bleiben besser unberichtet. Je weniger über magische Wesen und Zauber bekannt ist, desto weniger fürchten sich die Menschen. Tarlo war heute überaus tapfer und hat seine Furcht vor dem Unbekannten überwunden, um mir beizustehen. Doch ob er diese Erinnerung in seinem Herzen verschließen möchte oder ob er eines Tages bereit ist, sie jemandem mitzuteilen, müssen wir ihm überlassen."

    "Aber er ist..." Vater zögerte, sprach es dann aber doch einmal mehr aus. "Er ist dumm, zurückgeblieben. Wie soll er allein etwas von solcher Tragweite entscheiden können?"

    "Ihr täuscht Euch in ihm und seid voreingenommen", sagte Amarok ernst. "Vertraut ihm. Glaubt mir, er wird Euch nicht enttäuschen."

    "Ich weiß nicht", murmelte Vater leise und bedachte mich mit einem seltsamen Blick, der mir durch Mark und Bein ging. "Wie sehr du deiner Mutter gleichst", flüsterte er beinahe unhörbar.

    Ich errötete stolz. Dass ich meiner tapferen und mutigen Mutter gleichen sollte, war seit langem die erste Äußerung meines Vaters über mich, die mich nicht verletzte, sondern mir sogar schmeichelte.

    "Tja", Vater räusperte sich erneut, straffte sich und wandte sich wieder der Gegenwart zu. "Wollt Ihr heute Abend und über Nacht noch einmal unser Gast sein, ehrwürdiger Magier Amarok?"

    Bitte sag ja, dachte ich inständig, doch zu meiner Enttäuschung schüttelte er den Kopf. "Leider muss ich ablehnen, doch habt Dank für Euer freundliches Angebot", entgegnete er. "Ich hatte nicht damit gerechnet, so lange unterwegs zu sein, und man erwartet mich in Elteran."

    "Schade", sagte Vater mit ehrlichem Bedauern. "So gehabt Euch wohl und habt tausend Dank für Eure Hilfe."

    "Gern geschehen. Euch meinen Dank für Eure Gastfreundschaft", erwiderte Amarok. "Lebt wohl, und grüßt den Rest Eurer Familie von mir."

    "Wird gemacht." Vater wandte sich ab und wollte mir den Arm um die Schulter legen, um mich mit ins Haus zu ziehen, doch ich befreite mich mit einer schnellen Bewegung und blickte bittend zu Amarok auf. Würde er verstehen, dass ich ihn noch ein letztes Mal unter vier Augen sehen, und vor allem sprechen wollte?

    Ja, er hatte begriffen. "Erlaubt Ihr, dass Tarlo mich noch ein Stück begleitet?"

    "Meinetwegen", brummte Vater. "Aber sobald es dunkel wird, bist du hier, sonst setzt's was. Gute Reise, werter Magier Amarok." Mit diesen Worten wandte er sich von uns ab und stapfte ins Haus.

    "Kommst du?" Amarok griff nach Arnyeks Zügel und durchquerte ein letztes Mal das Hoftor, nickte dem Wachmann, der schon bereitstand, freundlich zu und führte das Schattenross auf den breiten Fahrweg, der nach Südwesten führte und ihn in die Hauptstadt bringen würde. Doch nach kurzer Zeit bog er in den schmalen Pfad ab, der zu der Höhle führte, wo wir uns zum ersten Mal begegnet waren.

    Schweigend ging ich neben ihm her und wusste nicht, wie ich beginnen sollte.

    Einmal mehr kam er mir entgegen. "Du hast es nicht leicht mit deiner Familie", sagte er, und es hörte sich ein wenig traurig an.

    Ich seufzte lediglich. Ich war ja selbst mit schuld an meiner Situation. Ich hatte Jahre lang geschwiegen und es mir dadurch gewissermaßen leicht gemacht, indem ich mir so manche Auseinandersetzung erspart hatte. Der Preis dafür war die schlechte Meinung, die sie alle von mir hatten. "Mein Fehler", flüsterte ich endlich.

    Amarok schwieg so lange, dass ich schon glaubte, er habe mich nicht gehört oder verstanden. Dann blieb er plötzlich stehen. Wir standen genau vor der kleinen Höhle. "Nicht nur deiner", seufzte er. "Weißt du schon, was du jetzt tun wirst?"

    "Nein." Ich zuckte hilflos die Achseln.

    "Ich möchte jetzt nicht in deiner Haut stecken", meinte er nachdenklich. "Aber du hast heute bewiesen, wie mutig und stark du bist. Vertrau auf dein Gefühl und höre auf dein Herz, dann wird alles gut, Tarlo."

    "Hm", machte ich und schniefte vernehmlich.

    Amarok reichte mir ein Taschentuch. "Wenn du glaubst, dass du es gar nicht mehr aushältst, komm nach Elteran. Ich glaube, du hättest das Zeug zum Magier."

    Ich schüttelte energisch den Kopf. "Kann nicht lesen", brachte ich hervor.

    "Na und?", lachte er. "Das kann man lernen. Viel wichtiger ist das Gefühl für die Magie, und das hast du heute zur Genüge bewiesen."

    Wenn er wüsste! Ich habe diese Spruchrollen nur deswegen im passenden Moment gewirkt, weil ich vorher zu feige gewesen war. Beinahe hätte ich ihn dort draußen im See sterben lassen.

    "Ich ahne, was dir durch den Kopf geht", sagte er. "Ich meine nicht die Spruchrollen. Ich meine, dass du ganz genau empfunden, oder gewusst hast, welche Art Zauber dir heute begegnet sind. Du hast begriffen, auf welche Art der Eisgolem, Sadek und ich gekämpft haben, und du hast gewusst, wann ihre Angriffe magischer oder physischer Natur waren."

    Das stimmte. Er hatte mir mit keinem Wort erklärt, wie ein magischer Kampf ablief, und doch hatte ich jeden Angriff und jede Parade intuitiv erfasst.

    "Es gibt Schüler, die mit weitaus weniger Ahnung von oder Gefühl für die Magie ihre Ausbildung beginnen", fuhr er fort. "Denk einfach darüber nach und lass dir Zeit mit deiner Entscheidung. Mit allen Entscheidungen. Es spielt keine Rolle, ob du heute mit deinem Vater sprichst oder morgen, nächstes Jahr oder nie. Und hege keine falschen Hoffnungen. Er wird dich nicht von einem Augenblick auf den anderen mehr wertschätzen, nur weil du auf einmal sprichst. Die Auseinandersetzungen zwischen euch werden nicht plötzlich aufhören. Aber du wirst ihm deutlich mehr entgegenzusetzen haben, wenn du es tust."

    Ich nickte verstehend. Vielleicht würde ich es darauf ankommen lassen. Und wenn es schief ging, hatte ich ja immer noch die Möglichkeit, ein Magier zu werden. Auf einmal fühlte ich mich leicht und unbeschwert wie seit langem nicht mehr. "Danke, Amarok", sagte ich.

    Er strahlte mich an. "Ich habe dir zu danken. Ich bin sehr froh, deine Bekanntschaft gemacht zu haben, Tarlo. Nun lebe wohl, und mögen die Götter dich allezeit behüten. Ich wünsche dir alles Glück, das du verdienst. Und vielleicht sehen wir uns ja eines Tages wieder."

    "Ja, vielleicht. Bestimmt sogar", antwortete ich. "Gehab dich wohl."

    Wir reichten einander die Hände, ein Abschiedsgruß unter Männern, oh wie stolz mich das machte! Dann bestieg er sein Pferd, winkte mir noch einmal zu und ließ es antraben.

    Ich blickte ihm hinterher, bis er mit der Dunkelheit verschmolzen war, sein Taschentuch hielt ich fest in der linken Hand. Leise lachte ich. Er hatte mir ein Pfand dagelassen. Und nicht nur das eine. In der Wolfshöhle lagen noch sein Wasserschlauch und sein Verbandszeug. Ich würde auf jeden Fall einen Grund haben, früher oder später nach Elteran zu gehen, und sei es nur, um ihm sein Eigentum zurückzubringen. Ich kroch in die Höhle, versteckte das Taschentuch bei den anderen Gegenständen und verschloss den Eingang sicher mit dem schweren Stein. Dann endlich richtete ich mich auf, wandte mich um und rannte hüpfend nach Hause.

  • Heute erzähle ich euch eine Geschichte, die ohne Amarok auskommt. Sie spielt weit weg von Arthoria und sehr viel früher als Amaroks Abenteuer. Sie illustriert, was "die verbotene Gabe" kann, wie sie nach Arthoria gelangt und deutet die Abstammung und den Werdegang der "Bösewichtin" der Serie an.

    Stört euch bitte nicht am Verhalten der Wölfe in dieser Erzählung. Es ist Fantasy, und sie verhalten sich genau so, wie es für den Fortgang der Geschichte nötig ist, auch wenn sich womöglich den Verhaltensforschern unter euch die Haare sträuben.


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    Wolfsträumer


    Ich hätte ihn warnen müssen.

    Was sich hier gleich vor meinen Augen abspielen würde, war nicht fair. Wie auch? Der Mann, der mir – nicht ganz freiwillig - das Leben gerettet und mich nach Hause gebracht hatte, konnte nicht ahnen, was auf ihn zukam. Und es war nicht von Belang, was er getan hatte. Er war ein Fremder, und als solcher hatte er nur die Wahl, sich der Prüfung zu unterziehen und einer der unseren zu werden oder uns als Sklave zu dienen. So gesehen hatte er klug entschieden, als er ohne lange nachzudenken mit klarer Stimme gesagt hatte, er wolle gern unter uns leben. Aber er ahnte vermutlich nicht, dass er keine Chance hatte. Die Prüfung war für unsereinen ausgelegt, für Männer, die mit der Gabe geboren waren. Selbst der jüngste Knabe unter uns könnte die Prüfung bestehen und die Schmerzen, die ihm dabei zugefügt wurden, mit einem Lächeln im Gesicht ertragen, während sein Geist anderswo weilte, weit entfernt von seinem Körper. Aber er? Er war ein Fremder, kam, wie er behauptete, von jenseits des unendlichen Wassers und hatte keine Ahnung von der Kunst der Geistbeherrschung. Er war wie unsere Urururahnen, von denen die Alten noch hin und wieder erzählten. Ohne die Gabe, schwach, angreifbar, ein Spielball der Götter und der Naturgewalten, wehrlos jedem und allem ausgeliefert. Er würde kläglich versagen, und ich würde einen möglichen Freund verlieren. Ich hätte ihn wirklich warnen müssen. Vielleicht wäre ihm ja rechtzeitig die Flucht gelungen.

    „Bist du bereit?“ Die Worte meines Vaters unterbrachen meine Gedanken. Wie alle anderen starrte ich wie gebannt zu ihm hin. „Du weißt, worauf es ankommt?“

    Der Fremde nickte ernst. Vater hatte ihm erklärt, wie er den ersten Teil der Prüfung bestehen konnte. Er musste die kommenden Schmerzen ertragen, ohne sich zu bewegen, ohne sich zu wehren und ohne einen Laut von sich zu geben. Ein Leichtes für jeden von uns. Für ihn vermutlich schon das Ende der Prüfung, die für gewöhnlich aus drei Teilen bestand.

    Auf einen Wink meines Vaters traten zwei Ghn’airr heran und stellten sich rechts und links von dem Fremden auf. „Beginnt!“, befahl Vater.

    Ich schob mich zwischen zwei größeren Knaben nach vorne, um besser zu sehen. Sie machten mir Platz, ohne zu protestieren. Häufig haderte ich mit meinem Schicksal, ein Sohn des Clanfürsten zu sein, aber heute nahm ich es dankbar hin. Nun hatte ich uneingeschränkte Sicht auf meinen Retter.

    Er stand gerade und wirkte noch recht entspannt, doch es dauerte nicht lang, bis sich seine Kiefernmuskeln verhärteten und sein Gesicht einen angespannten Ausdruck annahm. Ich merkte, dass er sich bemühte, ruhig ein- und auszuatmen. Eine Weile gelang ihm dies auch, aber als der Zugriff der Ghn’airr stärker wurde, begann er zu keuchen. Mit geschlossenen Augen, schwer atmend stand er da, und ein vernehmliches Raunen erhob sich in der Zuschauermenge. Nun hatte auch der Letzte begriffen, dass der Fremde nicht über die Gabe verfügte, dass er wirklich und wahrhaftig litt und die Schmerzen in vollem Ausmaß ertragen musste. Eine Zeit lang noch hielt er sich tapfer, doch dann begann er zu zittern, und aus seinen Augen rannen Tränen, ohne dass er es zu verhindern vermochte. Und doch hatte er sich noch nicht von seinem Platz gerührt, und außer seinem keuchenden Atem gab er keinen Laut von sich.

    Endlich sprach mein Vater das erlösende Kommando aus. „Es ist gut, lasst ihn los.“ Die Ghn’airr gaben ihn frei, und augenblicklich verließ ihn der Schmerz. Verblüfft öffnete er die Augen, wischte verlegen die Tränenspuren mit seinem Hemdsärmel aus dem Gesicht und stieß einen erleichterten Seufzer aus, ehe er meinen Vater unsicher anschaute.

    „Du erstaunst mich“, sagte Vater. „Diesen Teil der Prüfung hast du bestanden.“

    Der Fremde atmete hörbar auf. Unsere Blicke trafen sich, und ich erkannte Freude, Stolz und auch Verwunderung in seinen Augen, während er mir ein zuversichtliches Lächeln schenkte, als wolle er mir sagen „Siehst du, deine Sorgen waren müßig.“

    Woher wusste er, was ich dachte? Und weshalb wusste ich, was er mir vermitteln wollte? Gewiss bildete ich mir das alles nur ein.

    „Folge mir.“ Vater schlug den Weg zum Gehege ein.

    Entspannt folgte ihm mein Retter, und wir übrigen schlossen uns der Prozession nach und nach an. Ich wusste, was nun kommen würde, und wieder wuchsen Angst und Zweifel in mir.

    Vor dem Eingang zum Gehege blieb Vater stehen und wandte sich dem jungen Mann zu. „Wir nennen uns Wolfsclan. Wölfe sind unser Totem, unsere Gefährten und Jagdgenossen, und jeder unserer männlichen Nachkommen muss einen Wolf zähmen, bevor er sich einen Mann nennen darf. Hier“, er wies mit einer ausholenden Geste über das Gehege, „leben die Wölfe, die noch niemand gezähmt hat, in einem Rudel zusammen. Deine zweite Aufgabe besteht darin, in diesem Gehege die kommende Nacht zu überleben.“ Mit diesen Worten öffnete er das Tor und bedeutete dem Probanden, einzutreten.

    Dieser zögerte nicht und betrat das umfriedete Waldstück, tat einige Schritte vorwärts und blieb unsicher stehen. Noch ließ sich kein Wolf blicken, doch das hieß nicht, dass sie nicht da waren. Er sah sie nicht, doch gewiss sahen sie ihn und witterten seine Angst, auch wenn er sich diese uns Menschen gegenüber nicht anmerken ließ.

    Ich hatte erst zweimal diesen zweiten Teil der Prüfungen miterlebt, und beide Male hatten die Männer, die sich ihr unterzogen hatten, versagt. Der erste hatte gar nicht erst abgewartet, bis die Wölfe sich zeigten, sondern war behände auf einen Baum geklettert und hatte die Nacht dort oben verbracht. Am anderen Morgen hatte mein Vater ihn kalt lächelnd beglückwünscht und aufgefordert, herauszukommen. Auf der kurzen Entfernung zwischen dem Baum und dem Ausgang fiel das Rudel über ihn her. Ich glaube, ich werde niemals seine überraschte und entsetzte Miene vergessen, als er erkannte, dass seine Findigkeit ihn nicht gerettet hatte.

    Der zweite hatte sich einen kräftigen Ast von einem Baum gebrochen und die Wölfe kampfbereit erwartet. Zunächst war der alte Wolf, der das Rudel anführte, auf Abstand geblieben und zeigte sich eingeschüchtert, doch die Nacht war lang, und der Prüfling ermüdete. Irgendwann war seine Abwehr wohl nicht mehr überzeugend genug, denn wir fanden ihn am anderen Morgen mit durchgebissener Kehle in der Nähe der Höhle, wo das Rudel schlief.

    Mit der Gabe ist es ein Leichtes, sich den Wolf vom Hals zu halten oder ihn zu unterwerfen. Doch ohne sie hat man vermutlich keine Chance, gegen das Rudel zu bestehen. Bedauernd blickte ich dem Fremden nach, sah, wie ihn die Schatten zwischen den Bäumen zu verschlucken schienen. Er ging langsam, gemessenen Schrittes, aber ohne zu zögern von der Umfriedung weg, auf die Mitte des Geheges zu. Kurz bevor ich ihn aus den Augen verlor, wandte er sich noch einmal um, suchte meinen Blick und winkte mir zu. Einen Augenblick später war er verschwunden. Bis jetzt hatte sich das Rudel nicht blicken lassen, aber ich war sicher, die Tiere erwarteten ihre Beute bereits.

    „Komm mit, wir können hier nichts mehr ausrichten.“ Vater legte den Arm um mich und wollte mich mit sich ziehen. Die anderen Männer und Knaben hatten sich längst zerstreut, da es nichts Spektakuläres mehr zu sehen gab.

    Ich lauschte in die anbrechende Dunkelheit. „Ich höre nichts“, sagte ich und blieb stehen. Kein Knurren, kein Schreien war zu vernehmen. Nichts, außer dem Wind in den Bäumen und hin und wieder dem Knacken eines Astes. Die ganz normalen Waldgeräusche eben. „Warum hören wir nichts? Was tun sie?“

    „Willst du sehen, was geschieht?“

    Ich zögerte. Natürlich wollte ich sehen, wie sich mein Retter bei dieser Prüfung schlug, doch eigentlich wollte ich es auch wieder nicht mit ansehen, wie das Rudel ihn jagen und töten würde. Doch dann gab ich mir einen Ruck. Nicht, dass mein Vater mich für einen Feigling hielt! „Wie meinst du das?“, fragte ich ihn.

    „Es gibt einen Ort, wo wir alles beobachten können“, verriet er mir mit einem Augenzwinkern. „Zumindest so lange es ausreichend hell ist. Und wir haben Glück. Heute Nacht ist Vollmond.“ Er winkte mir, ihm zu folgen.

    Überrascht tappte ich hinter ihm her, immer am Gehege entlang. Zwischen zwei großen, alten Eichenstämmen blieb Vater stehen und tastete suchend zwischen den Ästen umher, bis er gefunden hatte, was er suchte. Mit wenigen Handgriffen hatte er eine hölzerne Leiter herabgelassen. „Nach dir.“ Übertrieben höflich ließ er mir den Vortritt. Wir kletterten beide in die Höhe, wo wir eine erstaunlich große Plattform vorfanden, von der aus man einen hervorragenden Blick auf das Gelände vor der Schlafhöhle des Rudels hatte. Vater zog die Leiter wieder hoch. Wir würden ungestört beobachten können, was sich dort unten im Gehege abspielte. Vater machte mir ein Zeichen, leise zu sein und ließ sich am Rand der Plattform nieder. Ich tat es ihm gleich und starrte in die Dämmerung, zunächst ohne etwas zu erkennen. Doch als sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, erkannte ich die Wölfe. Sie wirkten eindeutig aufgestört und liefen unruhig durcheinander, immer wieder verharrend, die Ohren spitzend und in die Nachtluft witternd.

    Nach einer Weile stieß mein Vater mich sanft an und deutete nach unten. Ich folgte seinem Fingerzeig mit den Blicken und entdeckte meinen Retter. Ebenso langsam und ruhig wie er sich vom Eingang entfernt hatte, kam er zwischen den Bäumen hervor. In seinen Bewegungen lagen weder Hast noch Angst oder Kampfeslust. Man könnte beinahe sagen, er näherte sich dem Rudel unvoreingenommen freundlich, falls so etwas überhaupt möglich war. Hatte nicht jeder Fremde bislang Angst vor den Wölfen gezeigt? Konnte er seine Furcht so gut verbergen oder empfand er womöglich keine? Ich würde ihn wohl nicht mehr danach fragen können, denn nun trat der Rudelführer in Erscheinung. Riesengroß kam er mir vor, als er sich jetzt mit gesträubtem Fell vor die anderen Tiere schob und sich dem Fremden entgegenstellte, wobei er ein tiefes, bedrohliches Knurren vernehmen ließ. Was würde der Mann dort unten jetzt tun? Feige davonlaufen? Oder todesmutig brüllend zum Angriff übergehen?

    Wieder einmal überraschte er Vater und mich, und offenbar nicht nur uns. Er wich weder zurück, noch bewegte er sich vorwärts, sondern er ließ sich dort, wo er stand, mit einer geschmeidigen Bewegung auf dem Boden nieder, halb dem Leitwolf zugewandt, halb zur Seite blickend, senkte den Kopf und verharrte still.

    Das Knurren verstummte. Das Tier schien verunsichert und wartete, was als nächstes geschehen würde. Doch es geschah – nichts.

    Der Mensch blieb weitestgehend bewegungslos sitzen und blickte nur hin und wieder aus dem Augenwinkel zu dem mächtigen Rüden hin.

    Verblüfft beobachteten Vater und ich die Reaktion des Wolfes. Lange Zeit blieb er stehen und starrte zu dem Sitzenden hin, als wolle er abschätzen, was von diesem zu erwarten war. Auf einmal jedoch trabte er neugierig auf ihn zu, umkreiste ihn mehrmals und näherte sich ihm schließlich, um ihn überaus vorsichtig zu beschnuppern.

    Der Mann rührte sich nach wie vor nicht. Er blieb sitzen, duckte sich höchstens ein wenig tiefer und wartete ab, was der Wolf tun würde.

    Dieser fuhr mit seiner Erforschung des fremden Wesens, das sich nicht vor ihm zu fürchten schien, fort. Mit der Zeit verlor er seine Scheu. Mehrmals umkreiste er den Mann, stieß ihn mit dem Fang hier und dort an, schnüffelte und leckte, streifte ihn und berührte ihn mehrmals mit der Pfote. Nachdem er mit alledem keine Reaktion hervorrief, wurde er vollends zudringlich, erhob sich auf die Hinterbeine und legte ihm beide Pfoten auf die Schulter.

    Jetzt kam Bewegung in meinen Retter. Sanft aber bestimmt schob er den Wolf von sich.

    Dieser, wie erstaunt über die Berührung, vollführte einen Sprung nach hinten, doch dann begann sein Spiel von vorne. Umkreisen, beschnüffeln, belecken, berühren. Mit einem leisen Lachen ließ der Prüfling sich das gefallen.

    Und endlich gestattete der Leitwolf auch dem Rudel, sich ihm anzuschließen. Es war ein unglaublicher Anblick: Der Fremde, ruhig in der Mitte des friedlichen, neugierig aufgeschlossenen Wolfsrudels hockend, und ringsumher die Wölfe, die weder Feind noch Beute in ihm sahen. Nach einer Weile verloren die meisten Tiere das Interesse an ihm, doch der Leitwolf blieb in seiner Nähe. Lange Zeit ereignete sich nun nichts mehr, und Vater und ich wollten die Plattform bereits verlassen, als doch noch einmal Bewegung in die Szene kam.

    Der Fremde blieb in seiner geduckten Haltung, rutschte jedoch langsam und unter der strengen Beobachtung des Wolfes näher an einen der Felsen, die den Eingang der Höhle begrenzten, und ließ sich dort zum Liegen nieder. Den Stein im Rücken wartete er, wie der Wolf reagieren würde.

    Jener wiederholte das Ritual von zuvor und ließ sich schließlich neben dem Mann fallen.

    „Wollen wir gehen?“, flüsterte Vater, doch ich schüttelte den Kopf. Also blieben wir, doch in dieser Nacht ereignete sich nichts mehr, außer dass Wolf und Mann Seite an Seite einschliefen. Auch ich legte mich zum Schlafen nieder, bis mich mein Vater in der Morgendämmerung weckte. Gespannt nahm ich meinen Platz am Rande der Aussichtsplattform wieder ein. Ich fröstelte in der morgendlichen Kühle und beneidete beinahe meinen Retter, der noch immer Seite an Seite mit dem Wolf dort unten bei dem Felsen ruhte.

    Als sich der Himmel im Osten rosa färbte, erwachten der Mann und das Tier scheinbar gleichzeitig. Der Mann richtete sich vorsichtig auf, der Leitwolf sprang auf die Beine und schüttelte sich ausgiebig. Dann trottete er gleichgültig davon.

    Langsam und wachsam kam mein Retter zunächst wieder zum Sitzen, dann ging er in die Hocke und richtete sich langsam auf. Als sich keines der Tiere mehr blicken ließ, ging er, so gemächlich wie er am Vorabend hergekommen war, davon.

    Als die Sonne über den Bergen im Osten ihre ersten Strahlen herab sandte, erwarteten die Männer und Knaben unseres Clans uns am Eingang zum Gehege, gespannt auf Vaters Bericht. Sie staunten nicht schlecht, als gleichzeitig mit unserem Eintreffen der Fremde unversehrt auftauchte und darum bat, herausgelassen zu werden. Seine Kleidung sah ein wenig ramponiert aus, aber er hatte nicht einen Kratzer davongetragen. Vater hieß ihn freundlich willkommen und öffnete das Tor, während die Clansmänner respektvoll zurückwichen. War der Fremde etwa ein Magier, oder wie hatte er die Nacht unter Wölfen unverletzt überstehen können? Oder konnte es sein, dass er womöglich doch die Gabe besaß, ohne es zu wissen, oder ohne es uns verraten zu haben? Aber Vater hatte ihn doch überprüft!

    „Es wird mir eine Ehre sein, dich im Wolfsclan aufzunehmen“, sagte Vater, und die Augen des Mannes leuchteten vor Stolz, als Vater verkündete: „Männer, dieser Anwärter hat auch die zweite ihm gestellte Aufgabe bewältigt. Sollte er auch die dritte Prüfung bestehen, so gehört er zu uns, und sein Name sei Wolfsträumer.“


    Beifälliges Murmeln erhob sich, doch keiner gratulierte.

    „Wolfsträumer, gerne würde ich dir die dritte Prüfung ersparen“, ergriff Vater wieder das Wort, „doch unsere Gesetze verlangen, dass du sie ablegst.“

    „Worin besteht die dritte Prüfung?“, fragte der mit den Wölfen geschlafen hatte beunruhigt.

    „Zunächst darfst du dich stärken und dich reinigen.“ Vater ging nicht näher auf die Frage ein. „Sei unser Gast, bis die nächste Probe beginnt.“

    „Habt Dank.“

    Vater wandte sich an mich. „Geht und esst etwas. Dann macht euch einen schönen Tag. Es ist vielleicht sein letzter in Freiheit.“ Das Bedauern in Vaters Worten war aufrichtig. „Aber bleibt in der Nähe.“

    „Wie du wünschst.“ Ich wandte mich an meinen Retter, der mich unsicher anlächelte. „Kommst du mit?“

    Er folgte mir zu meiner Jurte, die ich mit einigen anderen jüngeren Knaben teilte, von denen zum Glück keiner da war.

    „Hast du Hunger?“, fragte ich und hoffte, er würde ja sagen, denn ich fühlte mich nach der langen Nachtwache ausgehungert.

    Er enttäuschte mich nicht. „Wie ein Wolf“, war seine Antwort, und wir mussten beide darüber lachen.

    Später, nachdem wir beide im Fluss gebadet und unsere Kleidung gewaschen hatten und uns am Ufer von der Sonne trocknen ließen, fragte ich ihn nach seiner Heimat aus, und wie es gekommen war, dass er über das unendliche Wasser zu uns gefunden hatte.

    Er lachte. „Indem das unendliche Wasser, wie ihr es nennt, eben doch endlich ist. Die Angehörigen meines Volkes sind ständig auf der Suche nach neuen Ländern und Kontinenten und nach anderen Völkern, mit denen wir Handel treiben können.“ Seine Miene umwölkte sich. „Aber leider ist das oft nur ein Vorwand, um in Wirklichkeit diese Völker zu unterwerfen und auszubeuten. Ich will ehrlich zu dir sein. Ich kam mit vielen Kriegern auf einem Schiff hierher, und unser Auftrag lautet, nach Gold zu suchen.“

    „Gold? Was soll das sein?“ Das Wort hatte ich noch nie gehört. „Kann man es essen?“

    „Oh nein.“ Wieder musste er lachen. Ich mochte es, wenn er lachte und sich ein Kranz aus unzähligen Fältchen um seine Augen bildete. „Gold ist ein glänzendes Metall, das man in der Erde findet. Bei uns ist es überaus kostbar. Man kann es gegen wertvolle Gegenstände eintauschen oder auch einschmelzen und wunderschöne Schmuckstücke daraus herstellen.“

    „Kenn ich nicht“, murmelte ich und hoffte, dass er mir diese Lüge abnahm. Was er „Gold“ nannte, hieß bei uns „das Blut der Berge“. Wenn Wolfsträumer bei der letzten Prüfung versagte, würde er sein Gold finden. Als Sklave in den Bergwerken im Landesinneren.

    Offenbar glaubte er mir. „Sei froh“, sagte er und wirkte irgendwie erleichtert. Nachdenklich fuhr er fort. „Mir ist überhaupt aufgefallen, dass ihr keinerlei Metallgegenstände benutzt.“

    Schon wieder so ein unbekanntes Wort! Allmählich wurde mir diese Unterhaltung peinlich. „Metall?“, fragte ich dennoch, denn ich war begierig, mehr über seine Welt zu lernen.

    „Aus Metall bestand die Klinge des Schwertes, das eure Krieger mir abgenommen haben, nachdem sie uns fanden“, erklärte er.

    „Ach, das.“ Ich hatte das Schwert gesehen, und es hatte mich nicht sonderlich beeindruckt. „Weißt du, wir benötigen keine Waffen. Unsere Werkzeuge sind aus Stein gefertigt, und darüber hinaus brauchen wir nichts. Unsere Krieger, die Ghn’airr, kämpfen mit dem Geist. Du hast erlebt, wozu sie in der Lage sind.“

    „Allerdings“, gab er zu und verzog das Gesicht bei der Erinnerung an die erste Prüfung. „Wie um alles in der Welt machen sie das bloß?“

    „Es ist die Gabe“, erklärte ich, froh, endlich einmal auf einem Gebiet mehr zu wissen als er. „Jeder Mann und jede Frau unseres Volkes besitzt sie und lernt von Kindesbeinen an, sie zu gebrauchen. Die, bei denen sie am stärksten ausgeprägt ist, werden Ghn’airr, Krieger und Befehlshaber. Ich werde eines Tages ein Ghn’airr sein und vielleicht sogar meinem Vater nachfolgen. Wer die Gabe nicht hat, was zuweilen vorkommt, wird geprüft wie du. Und wer die Prüfungen nicht besteht, muss … uns verlassen.“ Mein kurzes Zögern war ihm glücklicherweise entgangen. In Wahrheit mussten Angehörige unseres Volkes, denen die Gabe fehlte, sterben, und die wenigen, denen dieses Schicksal beschieden war, nahmen dieses Urteil lieber an als mit der Schande, ohne die Gabe geboren zu sein, als Sklave weiterzuleben.

    „Worin genau besteht diese Gabe?“, wollte er wissen. „In der Fähigkeit, Schmerzen zuzufügen und auszuhalten? Oder kann sie noch mehr?“

    „Oh, sie kann vieles.“ Begeistert begann ich, aufzuzählen. „Damit kannst du einen anderen Menschen, ohne ihn zu berühren, deinem Willen unterwerfen, sofern deine Gabe stärker ist als seine. Du kannst Tiere dazu bringen, sich von dir einfangen zu lassen. Darum können wir ohne Waffen auf die Jagd gehen oder Wölfe zähmen. Mit der Gabe kannst du jedes Lebewesen beeinflussen. Du kannst Pflanzen wachsen oder verdorren lassen und Fische in eine Reuse locken. Du kannst einen jungen Baum dazu bringen, so zu wachsen, dass du später ein Boot aus ihm bauen kannst oder mit seinen Wurzeln Felsen zu sprengen, du kannst…“

    „Danke. Ich habe verstanden“, unterbrach er meinen Redefluss. Warum nur war er auf einmal so bedrückt? Beneidete er uns etwa so glühend, oder was sonst hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht?

    „Was ist?“, fragte ich vorsichtig.

    „Ich glaube, ich weiß, worin die dritte Prüfung besteht“, sagte er düster.

    „Ich darf dir nichts verraten. Ich habe Vater mein Wort gegeben.“ Er tat mir Leid, aber ich nahm meine Versprechen stets ernst, und mein Vater stand mir noch immer näher als Wolfsträumer, auch wenn er mir das Leben gerettet hatte.

    „Nicht nötig, schon gut.“ Er seufzte vernehmlich.

    „Du kannst es schaffen“ versicherte ich ihm. „Du hast doch auch die anderen Aufgaben bewältigt.“

    Er schüttelte den Kopf. „Die Schmerzen zu ertragen, hat mich an meine Grenzen gebracht, doch ich habe als Krieger lernen müssen, tapfer zu sein“, widersprach er. „Die Wölfe … Die Wölfe waren eine wunderbare Erfahrung. Weißt du, bei mir zu Hause leben verwilderte Hunde, deren Nachkommen wir zähmen, damit sie unsere Anwesen bewachen oder uns bei der Jagd unterstützen. Ich hatte gehofft, dass sich die Wölfe ähnlich verhalten würden wie sie, und es war eine beglückende Erfahrung, zu sehen, dass dem so ist. Einen Wolf zu berühren, der sich mir freiwillig und in Freundschaft nähert… Das war unglaublich.“

    „Hm“, machte ich. Für uns war es nichts Besonderes, einen Wolf zu berühren. Allerdings hielten wir sie mit unserer Gabe in Schach und ließen ihnen keine andere Wahl als uns zu gehorchen.

    „Ich hatte also mit den beiden ersten Aufgaben großes Glück“, fuhr er fort. „Ich frage mich jedoch, wie ich eine Pflanze wachsen oder verdorren lassen soll.“

    „Das ist doch ganz einfach!“, rief ich aufgeregt aus. „Soll ich es dir zeigen?“ Vater hatte mir lediglich verboten, mit Wolfsträumer über die dritte Aufgabe zu sprechen, nicht jedoch, ihn eine Fähigkeit zu lehren, mittels derer er sie bewältigen könnte. Schließlich hatte er selbst die richtigen Schlüsse gezogen.

    Traurig schüttelte er den Kopf. „Ich danke dir und weiß dein Angebot zu schätzen. Aber ich fürchte, ohne diese wundersame Gabe wird es mir nicht gelingen.“

    „Du könntest es wenigstens versuchen“, meinte ich vorwurfsvoll. Diese Resignation wollte so überhaupt nicht zu ihm passen. Wäre er eine Persönlichkeit, die sich von scheinbar offensichtlichen Umständen einschüchtern ließ, wäre es ihm niemals gelungen, mich aus den Händen der fremden Krieger zu befreien, die mich entführt hatten. Ich war benommen gewesen von dem Schlag auf den Kopf, den mir einer der Männer bei meiner Gefangennahme versetzt hatte. Wäre ich unverletzt gewesen, wäre mir die Flucht gewiss aus eigener Kraft geglückt, so aber war ich auf fremde Hilfe angewiesen. Zugegeben: Ich hatte ihm, obwohl es mir eigentlich noch nicht erlaubt war, mittels meiner Gabe einen klitzekleinen Befehl dazu gegeben. Es war ganz einfach gewesen, denn er war unter den fremden Kriegern der jüngste, der mitfühlendste und freundlichste gewesen. Allein hatte er sich daraufhin gegen die fünf übrigen Männer gestellt, deren einer sein Vorgesetzter gewesen war. Dieser hatte ihm die schrecklichsten Strafen angedroht, falls er es wagen sollte, das Unternehmen – was auch immer er damit gemeint hatte - so kurz vor dem Erfolg zu gefährden. Ich kann mich deutlich an die flammende Rede erinnern, mit der er seine Kameraden zu überzeugen versucht hatte, mich – ein Kind noch - freizulassen. Zuerst hatten sie ihn nur ausgelacht, dann beschimpft und zuletzt bedroht. Dennoch hatte er bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit meine Fesseln durchtrennt und mich zwei Tage und Nächte lang durch die Wälder nach Hause getragen, immer auf der Hut vor möglichen Verfolgern und in Sorge vor der Reaktion der Clansmänner, wenn sie ihn mit mir entdecken würden. Zum Glück hatte ich mich im Laufe dieser zwei Tage soweit erholt, dass ich ihm den Weg zeigen und vor allem meinem Vater und seinen Ghn’airr erklären konnte, dass mein Begleiter kein Feind war, nachdem wir von unseren Wachen entdeckt und umstellt worden waren. Und dieser Mann, der all dies geleistet und darüber hinaus schon zwei Aufgaben der Prüfung erfolgreich absolviert hatte, traute sich jetzt nicht zu, ein einfaches Samenkorn zum Keimen zu bringen?!

    Ich setzte mich auf, griff in meine Hosentasche und zog eine Handvoll Getreidekörner hervor, die ich stets mit mir herumtrug, um die Vögel zu belohnen, nachdem ich sie mittels meiner Gabe für mich hatte singen lassen. Eines davon wählte ich aus und legte es auf meine offene Handfläche. Ich konzentrierte mich kurz und drang mit meiner Gabe in die Substanz des Korns ein. Geschwind zog es, unterstützt von meinem Willen, Feuchtigkeit aus der Luft, seine Schale wurde weich, es dehnte sich aus, die Haut platzte auf und ein kleiner grüner Halm wurde sichtbar, der zusehends länger und länger wurde, bis ich mich zurückzog. Die ganze Prozedur hatte kaum dreißig Atemzüge lang gedauert. „Hast du gesehen?“, fragte ich stolz.

    Er schien mächtig beeindruckt. Er hatte sich ebenfalls aufgerichtet und berührte ungläubig den Keimling, den ich ihm auf meiner offenen Hand präsentierte.

    „Hier, nun versuch du es“, forderte ich ihn auf und ließ ein neues Samenkorn in seine Hand fallen.

    Er lächelte hilflos, doch er tat mir den Gefallen und hielt die Hand vor sich, blickte auf das Korn und richtete seine Gedanken darauf, es aufbrechen und keimen zu sehen. Wie er es erwartet hatte, ereignete sich nichts. „Ich kann das nicht“, flüsterte er schaudernd.

    Dieses Mal widersprach ich nicht. Aber eine Idee reifte in meinem Kopf. Ich würde nicht zulassen, dass er bei der Prüfung versagte. Schließlich war er meinetwegen in diese Situation geraten. „Hab keine Angst“, sagte ich. „Ich werde dir helfen.“

    Er blickte auf. „Dafür danke ich dir. Aber das solltest du nicht tun. Wir haben beide gehört, was denen droht, die ein Prüfungsergebnis verfälschen.“

    Das stimmte. Vater hatte des Langen und des Breiten erklärt, dass ein Clansmann, der dem Fremden mittels seiner Gabe behilflich war, auf das Härteste bestraft werden würde, ohne allerdings die Strafe näher auszuführen. „Tu deinem Vater das nicht an. Er wird seinem Sohn gegenüber nicht mehr Milde an den Tag legen dürfen als jedem anderen im Clan.“

    „Sicher nicht. Aber er muss es ja nicht mitbekommen.“ Ich grinste ihn verschwörerisch an.

    „Ich will nicht, dass du meinetwegen in Ungnade fällst“, beharrte er.

    „Du hast mir das Leben gerettet.“

    „Nicht, um es dir in Zukunft zur Hölle zu machen. Du willst ein Ghn’airr werden. Glaubst du, das wird noch möglich sein, nachdem du eine solche Schuld auf dich geladen hast?“

    Wohl nicht, und das wäre sehr bedauerlich. Meine Gabe war überaus stark, und ihr Gebrauch fiel mir leicht. Ich war der geborene Ghn’airr, so zumindest hatte mein Vater es ausgedrückt, und ich hatte sein Urteil nie in Frage gestellt. Das Ausüben der Macht, die mir die Gabe verlieh, machte mir Freude. Manchmal bedauerte ich, sie stets nur an Tieren und Pflanzen erproben zu dürfen, doch wenn ich erst zum Mann geworden war, würde meine Zeit kommen. Jeder Jungmann durfte beim Beaufsichtigen der Sklaven in den Bergwerken Dienst tun, und dort erlernten wir den Umgang mit der Gabe einem anderen Menschen gegenüber. Ich freute mich unbändig darauf. Was würde es für mich bedeuten, die Aussicht auf eine derart rosige Zukunft aufzugeben? War Wolfträumers Freiheit das Wert? Andererseits: Ich besaß die Gabe. Wer wollte mich daran hindern, sie nach meinem Belieben zu gebrauchen? „Ich werde ein Ghn’airr sein“, sagte ich fest. „Aber ich will nicht, dass du sterben musst!“

    „Ich auch nicht“, entgegnete er trocken. „Aber wie kommst du auf ‚Sterben‘?“

    Götter, ich hatte mich verplappert! Wolfsträumer konnte nicht ahnen, dass keiner unserer Sklaven länger als zwei, allenfalls drei Jahre in den Minen überlebte. Das Leben in ständiger Dunkelheit, die harte körperliche Arbeit, unzureichende Nahrung und hin und wieder ein „Unfall“, wenn einer der angehenden Ghn’airr die Kraft seiner Gabe während einer notwendigen Bestrafung nicht richtig eingeschätzt hatte… Kein Mann konnte dergleichen lange Zeit überstehen. „Unsere Sklaven werden nicht alt“, sagte ich lahm, doch er schien zu verstehen, denn sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an. „Du könntest auch vor der Prüfung fliehen“, schlug ich hoffnungsvoll vor. „Jetzt.“

    Er schüttelte energisch den Kopf. „Hältst du mich für einen Feigling?“

    „Natürlich nicht“, beeilte ich mich ihm zu versichern. „Aber für einen Narren, wenn du mit offenen Augen in den Tod gehst.“

    „Ach Raj, du hast ja Recht“, seufzte er und blickte betreten zu Boden. „Aber wohin könnte ich gehen? Bei meinen Leuten droht mir dasselbe Schicksal wie hier.“

    Das hatte ich nicht bedacht. Indem er mich gegen den ausdrücklichen Befehl seines Vorgesetzten befreit hatte und mit mir geflohen war, war er zum Verräter geworden. „Also musst du dir von mir helfen lassen.“

    „Es wäre unredlich“, beharrte er. „Und zu riskant für dich.“

    „Es ist kein Wagnis, nichts kann schief gehen. Und selbst wenn, ich glaube nicht, dass mein Vater bei mir so hart durchgreifen würde. Ich bin noch ein Kind, weißt du.“

    Trotz der ernsten Situation lachte er leise. „Ich wette, das würdest du für gewöhnlich weit von dir weisen.“

    „Da kannst du Recht haben“, erwiderte ich grinsend. Normalerweise legte ich größten Wert auf die Tatsache, in Kürze zu den Jungmännern zu gehören. Aber ja! Das war doch die Lösung all unserer Probleme! Warum war ich bloß nicht gleich darauf gekommen? „Hör mir zu, Wolfsträumer. Ich hab’s mir überlegt. Du sollst deine Prüfung allein bestehen, oder allein versagen.“

    Er nickte. „Es ist besser so, glaube mir.“

    „Gewiss.“ Ich grinste noch immer. „Wenn du versagst…“

    „Werde ich deinem Volk als Sklave dienen“, beendete er meinen Satz. „Und alles daran setzen, so lange wie möglich zu überleben.“

    „Gut“, lobte ich. „Und ich werde in Kürze, wenn ich ein Jungmann geworden bin, zu den Aufsehern gehören. Dann werde ich dafür sorgen, dass du ein gutes Leben hast.“

    Er blickte mich zweifelnd an, doch er nickte wieder. „Ich danke dir für die gute Absicht“, sagte er mit einem traurigen Lächeln.

    „Warum siehst du mich so an?“, fragte ich vorwurfsvoll. „Vertraust du mir etwa nicht?“

    „Doch, natürlich“, beeilte er sich zu antworten.

    „Aber?“

    „Aber was?“

    „Du wirkst, als wolltest du eigentlich das Gegenteil behaupten.“

    „Bin ich so leicht zu durchschauen?“ Er lachte leise. „Also gut, ich werde dir meine Befürchtungen mitteilen. Du wirst deinen Dienst mit den besten Absichten, ein gerechter und milder Aufseher zu sein, beginnen. Doch mit der Zeit wirst du feststellen, dass deine Arbeit leichter wird, wenn du stattdessen ein strenger und gefürchteter Aufseher bist. Und dann wird es dir unmöglich sein, einen einzelnen Sklaven unter all den anderen zu bevorzugen oder besonders zu beschützen.“

    „Niemals!“, protestierte ich. „Woher willst du das wissen?“

    „Das ist die menschliche Natur, Raj. Wir alle unterliegen denselben Verhaltensregeln. Nur die Stärksten können sich darüber hinwegsetzen.“

    Aber ich war stark! Für Wolfsträumer würde ich stark sein, jawohl! „Du wirst erleben, dass ich es kann“, beteuerte ich feierlich. „Ich schwöre es dir, beim Leben meines…“

    „Nicht“, unterbrach er mich scharf. „Schwöre nicht. Ich glaube dir auch so, dass es dir ernst ist. Ich kann es sehen und fühlen. Ich vertraue dir.“ In seinem Blick lag etwas, was ich nicht recht zu deuten wusste. War es Zufriedenheit? Triumph gar? Auf jeden Fall schien er deutlich entspannter, als er mich fragte, wann ich denn ein Jungmann sein würde und welche Rituale diesen Übergang begleiteten.

    Nur zu gerne ließ ich mich ablenken und erzählte ihm, dass es schon beim nächsten Neumond so weit sein würde, und dass auch wir angehenden Männer eine Prüfung zu bestehen hatten, die darin bestand, einen Wolf zu zähmen. Ich hatte mir den Leitwolf des Rudels ausersehen. Das Leittier für einen künftigen Befehlshaber, dies empfand ich als angemessen.

    „Ich bin sicher, dass dich das vor keine großen Schwierigkeiten stellt“, bemerkte er. „Aber ich möchte dich bitten, dir diese Wahl noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.“

    „Warum?“, wollte ich verständnislos wissen.

    „Du könntest dich mit dem zweitstärksten Rüden zufriedengeben. Dieser ist jünger und wird ohnehin früher oder später die erste Position einnehmen. Der Leitwolf dagegen hält jetzt das ganze Rudel zusammen. Indem du ihn aus seinem Rang entfernst, muss ein neuer Anführer gefunden werden, und das ganze Rudel muss sich neu erfinden. Es wird blutige Kämpfe geben, da sie einander im Gehege nicht aus dem Weg gehen können. Willst du das wirklich?“

    „Nein, aber…“, stammelte ich. Als Sohn des Ersten Ghn’airr und mit meiner ausgeprägten Gabe fühlte ich mich geradezu verpflichtet, mir den Leitwolf und kein anderes Tier zu unterwerfen. Mein Vater würde es so und nicht anders von mir erwarten. „Es ist, weil… Ich muss…“ Mir fehlten die Worte.

    „Lass nur. Du musst dich nicht rechtfertigen“, beschwichtigte Wolfsträumer mich. „Es ist deine Entscheidung.“

    Ich atmete auf. „Woher weißt du das alles?“, fragte ich interessiert. „Ebenfalls von den Hunden bei euch daheim?“

    „Nein, nicht wirklich“, gab er zu. „Ich habe das alles begriffen, während ich unter den Gehegewölfen weilte.“

    ‚Er übertreibt‘, dachte ich erleichtert. Während der wenigen Stunden, die er dort zugebracht und zum größten Teil auch noch verschlafen hatte, konnte er niemals so viele und derart konkrete Erkenntnisse über das Zusammenleben des Rudels gewonnen haben. Er wollte sich lediglich vor mir wichtig machen. Ich gönnte ihm das gute Gefühl, einen Barbaren belehrt zu haben und widersprach ihm nicht. Stattdessen fuhr ich fort, von den Mannbarkeitsriten zu erzählen. Von dem Festmahl, das auf die erfolgreich bestandene Prüfung folgte, bei dem ein gemeinsam mit dem Wolf erjagtes Wild zubereitet wurde, von der langen Festnacht mit Musik und Tanz und davon, dass der Jungmann erstmals mit den weiblichen Mitgliedern des Clans zusammentreffen würde. Beim Gedanken an diese Begegnung überlief mich wie jedes Mal, wenn ich sie mir vorstellte, eine Gänsehaut.

    Wolfsträumer lauschte beinahe neidvoll. Als ich geendet hatte, seufzte er und flüsterte wehmütig: „Ich wollte, ich könnte dabei sein.“

    Das würde er, wenn er seine Prüfung bestand, doch da er sich nicht von mir helfen lassen wollte, standen die Chancen dafür verschwindend gering. Daher begnügte ich mich mit einem aufrichtig gemeinten „Ich auch“ als Antwort und bat ihn, mir von seinem Leben jenseits des unendlichen Wassers zu erzählen und wie er zum Krieger geworden war.

    Er wusste spannend zu berichten, und ich hätte ihm viele Stunden lang lauschen können, doch bald fand uns ein Knabe, den mein Vater gesandt hatte, mit dem Bescheid, Wolfsträumer möge sich umgehend bei ihm einfinden. Wir erhoben uns und folgten dem Jungen, der uns zur Jurte meines Vaters geleitete.

    Vater, der uns gehört hatte, forderte uns auf, einzutreten. Er thronte auf einem Lehnstuhl, den kostbare Schnitzereien verzierten und war in sein Zeremoniengewand gekleidet. Vier Ghn’airr, seine Leibwächter, umstanden ihn. Zu seiner Rechten saß auf einem niedrigen Hocker der Hohepriester, zu seiner Linken der Heilkundige. Hinter Vater standen die Ältesten, dreizehn bewährte Männer unseres Volkes, die eingeladen worden waren, die Prüfung zu bezeugen. Die übrigen Männer und die Knaben würden warten müssen, bis ihnen das Ergebnis verkündet wurde, aber wir konnten ihr Murmeln und Raunen hinter der Zeltwand vernehmen.

    Vor meinem Vater stand auf einem wertvollen, geknüpften Teppich ein niedriges Tischchen, bedeckt von einem Tuch mit kostbaren Stickereien, und darauf eine Messingschale, die einige Samenkörner enthielt.

    „Komm näher“, forderte Vater Wolfsträumer auf, während er mich an seine Seite winkte.

    Wolfsträumer folgte der Aufforderung, trat vor das Tischchen und verneigte sich vor Vater bis zum Boden.

    „Raj, lass uns allein“, bat Vater in einem Ton, der zugleich freundlich war und doch keinerlei Widerspruch duldete. „Warte draußen bei den Knaben.“

    Ich war zu verblüfft um aufzubegehren. Ahnte er, dass ich vorgehabt hatte, meinem Retter heimlich beizustehen? Ohne Sichtkontakt zu ihm würde ich nichts ausrichten können. Nun war ich froh und dankbar, dass wir beschlossen hatten, die Prüfung auf ehrliche Weise zu bestehen – oder zu versagen. Ich neigte den Kopf zum Zeichen des Gehorsams und huschte an Wolfsträumer vorbei hinaus, indem ich ihm „Viel Glück“ zuflüsterte. Glück, an das wir beide nicht wirklich glaubten.

    „Knie nieder“, hörte ich meinen Vater sagen.

    Ich huschte halb um die Jurte herum und warf mich an einer Stelle zu Boden, wo ich hoffte, einen Blick sowohl auf Vater als auch auf Wolfsträumer erhaschen zu können, indem ich die Zeltbahn leise und vorsichtig um eine Winzigkeit vom Boden hochhob. In der Tat hatte ich von hier aus einen unverstellten Blick auf die Szene vor mir.

    Wolfsträumer kniete jetzt auf dem Teppich vor der Schale mit den Samenkörnern und blickte aufmerksam zu meinem Vater hin.

    Vater räusperte sich und begann zu sprechen. „Die drei Teile der Prüfung bestehen darin, dass der Proband die Macht seiner Gabe beweist, indem er als erstes dem Einfluss anderer Menschen widersteht, dann sich als zweites gegen ein wildes Tier behauptet und als drittes auf eine Pflanze einwirkt. Ich werde dich nun auffordern, aus diesen Samenkörnern eines auszuwählen und es durch die Kraft deines Willens zum Keimen zu bringen.“ Er verstummte und beobachte scharf Wolfsträumers Reaktion.

    Wolfsträumer griff in die Schale und nahm sich das erstbeste Korn. „Herr, Ihr wisst so gut wie ich, dass ich nicht über die Gabe verfüge“, sagte er ruhig. „Ich kann dieses Korn zum Keimen bringen, so wie ich die beiden anderen Prüfungen bestanden habe: auf meine Art. Wenn Ihr mir drei Tage Zeit gebt, sollt Ihr einen Keimling von mir bekommen.“

    Die Ghn’airr, der Hohepriester und der Heiler rissen entsetzt Münder und Augen auf, aber Vater brach in schallendes Gelächter aus, woraufhin sich die anderen Anwesenden wieder entspannten. „Steh auf“, japste er, noch immer atemlos vor Lachen.

    Wolfsträumer gehorchte verblüfft.

    „Du weißt, was denen blüht, die bei der Prüfung versagen?“ Vater war auf einmal wieder ernst, so ernst, als habe sein Lachanfall nie stattgefunden.

    „Ein Leben in Sklaverei“, erwiderte Wolfsträumer.

    Vater wandte sich an seine Berater. „Es widerstrebt mir, ihn in die Minen zu schicken. Er hat meinem Sohn das Leben gerettet, und damit ist eine Rückkehr zu den Seinen für ihn nicht mehr möglich. Er hat bei uns um Aufnahme gebeten und zwei von drei Prüfungen bestanden. Ich kann und will mit ihm nicht so verfahren wie mit den anderen.“

    „Ohne die Gabe kann und darf er nicht unter uns leben“, behauptete der Hohepriester.

    „Warum nicht?“ Der Heiler blickte den Gottesmann herausfordernd an. „Niemand sagt, dass ein Sklave in den Minen arbeiten muss. Ich könnte durchaus einen Helfer gebrauchen. Gib ihn in meine Dienste, mein Fürst. Somit hättest du keines unserer Gesetze gebrochen und doch ersparst du ihm das harte Los der anderen.“

    „Ich bin dagegen!“, fauchte der Hohepriester.

    „Was sagt ihr dazu?“, wandte sich Vater an die dreizehn Ältesten.

    Sofort erhob sich aufgeregtes Stimmengewirr, von dem ich nur einzelne Wortfetzen verstand. Sie diskutierten, ja man könnte beinahe sagen, sie stritten sich eine lange Zeit, bis mein Vater energisch um die Schlussworte des Heilers und des Priesters bat, nach denen abgestimmt werden sollte.

    „Wolfsträumer hat einen unserer angehenden Jungmänner vor seinen eigenen Leuten gerettet“, sagte der Heiler, nachdem sich alle einigermaßen beruhigt hatten. „Er hat zwei von drei Prüfungen mit Bravour bestanden und er hat unseren Fürsten zum Lachen gebracht. Ich finde, an ihm ist nichts, was wir fürchten müssten und daher wünsche ich, dass ihm gewährt wird, unter uns zu leben, wenn auch als Sklave, und ich biete mich an, ihn zu mir zu nehmen und ihn unter Kontrolle zu halten. Ich gebe euch mein Wort, dass er dem Clan keinen Schaden zufügen wird, so lange ich für ihn verantwortlich bin.“

    Wolfsträumer nickte ihm dankbar zu.

    Dann ergriff der Hohepriester das Wort. „Der Mann, dem ihr unglücklicherweise bereits einen ehrbaren Namen gegeben habt, hat zumindest bei zwei Prüfungen versagt und bewiesen, dass er nicht über die Gabe verfügt. Es mag sein, dass er den jungen Sohn unseres Fürsten gerettet hat, doch es mag ebenso gut sein, dass seine Landsleute die Entführung inszeniert haben, um ihn hier bei uns einzuschmuggeln. Wir sind uns doch alle im Klaren darüber, dass diese Fremden nur über das unendliche Wasser kommen, weil sie auf das Blut der Berge aus sind. Und wir wissen, sie sind bereits hier, stehen vor unseren Toren, bildlich gesprochen. Es muss unter allen Umständen verhindert werden, dass dieser Mann seine Landsleute trifft oder gar von ihnen befreit wird und das Wissen über unser Volk nach draußen weitergeben kann. Und dies ist nur dann gewährleistet, wenn er auf immer und ewig in den Minen verschwindet. Er mag euch noch so hoch und heilig versprechen, auf unserer Seite zu sein und im Augenblick die besten Absichten haben. Aber einem Mann, der uns nicht beim Verlust seiner Gabe die Treue schwört, können wir nicht vertrauen. Er hat nichts zu verlieren. Und deshalb muss er in die Minen. Es tut mir Leid, mein Fürst, denn ich sehe, dass er dein Herz berührt hat. Doch die Sicherheit des Clans geht vor. Denke wie der Herrscher der du bist und sei dir der Verantwortung für dein Volk bewusst. Du willst nicht der Fürst sein, unter dessen Herrschaft die Minen von den Fremden erobert werden und unser Volk vertrieben wird. Dieser Mann ohne Gabe muss wie jeder andere Mann ohne Gabe verschwinden, um unserer Sicherheit und unserer Zukunft Willen.“

    Betretenes Schweigen folgte dieser Rede, bis mein Vater sich leise an Wolfsträumer wandte. „Was sagst du zu alledem?“

    Der Gefragte hatte dem Hohepriester aufmerksam gelauscht, bei der Erwähnung des Blutes der Berge kurz die Stirn gerunzelt und mehrmals kaum merklich den Kopf geschüttelt. Er schien überrascht, um seine Meinung gefragt worden zu sein, doch er fasste sich schnell. „Es stimmt nicht, Herr, dass ich nichts zu verlieren habe“, entgegnete er prompt, an den Hohepriester gewandt. „Ich habe mein Leben zu verlieren. Ist Euch das nicht Sicherheit genug, um meiner Verschwiegenheit zu vertrauen?“

    „Nein“ antwortete der Priester kalt. „Du bist ein Krieger und du hast deine Tapferkeit unter Beweis gestellt. Deine vermutlich nicht vorhandene Angst um dein Leben kann nicht mit der Angst eines Begabten vor dem Verlust seiner Gabe und damit seiner Freiheit verglichen werden. Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe.“

    „Dann habe ich dem nichts mehr hinzuzufügen“, antwortete Wolfsträumer stolz. „Ich bitte euch Älteste und Euch, Herr, um ein gerechtes und weises Urteil. Möge euer Wille geschehen, und mögen die Götter mir Kraft geben.“

    Die Ältesten steckten leise murmelnd die Köpfe zusammen, während mein Vater erschöpft die Augen schloss. Er ahnte bereits, wie das Urteil ausfallen würde, und ich ebenfalls. Ich hatte genug gehört, mehr als ich hatte hören wollen. Nun wunderte mich nicht mehr, dass Vater mich weggeschickt hatte. Noch nie war in all den Jahren meiner Erziehung die Rede davon gewesen, dass uns die Gabe genommen werden konnte! Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das vonstatten gehen sollte, aber der Hohepriester war ein Mann von großer Macht, und nachdem er zweimal davon gesprochen hatte, glaubte ich, dass es die Wahrheit war. Wie eingeschränkt um alles in der Welt mochte man sich fühlen ohne die Gabe? Wie fühlte sich Wolfsträumer? Wie all die Sklaven, die ich bald kennenlernen würde? Sie alle waren, genau genommen, vergleichbar mit den Wölfen und all den übrigen Tieren. Welch ein armseliges Dasein!

    Ich sprang auf und trottete nachdenklich davon, um mich zu den anderen Knaben zu gesellen. Unauffällig mischte ich mich unter sie, gerade rechtzeitig um zu sehen, wie die Stoffbahnen vor der Türöffnung von Vaters Zelt zur Seite gezogen wurden. Die dreizehn Ältesten kamen als erste heraus, ihnen folgten der verdrießlich dreinschauende Heiler und der Hohepriester an der Seite meines Vaters. Zwischen den vier Ghn’airr wurde Wolfsträumer hinausgeführt. Er wirkte ruhig, leistete keinerlei Widerstand. Ob sie ihn bereits ihrem Willen unterworfen hatten?

    „Männer und Knaben des Wolfsclans, hört mich an“, ergriff Vater das Wort.

    Augenblicklich war es so still, dass man ein Samenkorn hätte fallen hören können, und alle blickten gespannt zu ihm hin.

    „Dieser Mann“, sprach Vater die rituellen Worte und wies auf Wolfsträumer, „hat gebeten, bei uns zu bleiben und wie einer der unseren unter uns leben zu dürfen. Zu diesem Zweck wurde er nach den Gesetzen unseres Clans den vorgeschriebenen Prüfungen unterzogen, die er leider nicht bestanden hat. Geht eurer Wege und vergesst ihn. Es hat ihn niemals gegeben. Niemand hat ihn je gesehen oder mit ihm gesprochen, und niemand soll mehr seinen Namen nennen, nachdem ich es ein allerletztes Mal getan haben werde.“ Er wandte sich direkt an den Unglücklichen, der angesichts dieser harten Worte bleich geworden war und trat nah vor ihn hin. „Du hast es vernommen. Ab sofort bist du ein Niemand. Keiner aus diesem Clan wird mehr zu dir sprechen oder dich berühren. Ebenso wenig sollst du mit den anderen Sklaven sprechen oder sie berühren. Du wirst schweigend die dir aufgetragene Arbeit verrichten, deine Mahlzeiten einnehmen und ruhen, bis die Götter dir die Gnade erweisen, dich in die jenseitigen Gefilde zu leiten.“

    Wolfsträumer lauschte entsetzt. Niemand hatte ihn auf die Umstände der Sklaverei bei unserem Volk hingewiesen, und mir waren sie ebenfalls unbekannt gewesen.

    „Willst du noch ein letztes Mal zu jemandem sprechen?“

    Wolfsträumer blickte umher, und als er mich entdeckte, nickte er. „Mit Eurem Sohn, wenn Ihr erlaubt“, bat er mit zitternder Stimme.

    Vater winkte mich herbei. Betreten stand ich Wolfsträumer gegenüber und wusste nichts zu sagen, was nicht entweder ein Geheimnis zwischen uns war oder wahlweise zu dramatisch oder zu trivial geraten wäre. Er rettete mich aus meiner Verlegenheit.

    „Hab Dank für die Zeit, die du mit mir verbracht hast“, sagt er leise. „Ich bin sicher, du wirst eines Tages ein angesehener, verantwortungsbewusster Ghn’airr sein, ein aufrichtiger Mann, der zu seinem Wort steht und sich ohne Gewalt Respekt zu verschaffen weiß. Und darum bereue ich nicht, was ich getan habe. Ich wäre gerne dein Freund gewesen. Lebewohl, Rajakthar.“

    Ich hatte verstanden, was er mir damit sagen wollte, blickte ihm in die Augen und nickte zustimmend. „Auf Wiedersehen, Wolfsträumer“, flüsterte ich.

    Vater schob mich zur Seite, umarmte den Mann, den er zuvor verurteilt hatte und tat etwas, was ich bei meinem Vater noch nie zuvor erlebt hatte. „Verzeih mir“, bat er. „Was ich getan habe und was ich noch tun werde.“

    „Ich verstehe nicht.“ Der Delinquent blickte Vater fragend an.

    „Du wirst es schon sehr bald verstehen. Und nun Lebewohl, Wolfsträumer.“

    Auf einen Wink von Vater nahmen die Ghn’airr ihn in ihre Mitte und führten ihn davon. Er blickte sich noch einmal um, lächelte und winkte mir zu. Genau wie gestern, als er zu den Wölfen gegangen war. Wie konnte er so zuversichtlich wirken? Dieses Mal bestand nicht die geringste Hoffnung, dass sich jemand seiner erbarmen würde. Hoffentlich hielt er durch, bis ich ihn nach Neumond als Jungghn’airr wiedersehen würde.

    „Und nun zu dir, mein Sohn.“ Vater legte mir den Arm um die Schulter. „Ich habe eine Aufgabe für dich. Wenn du sie erfolgreich erledigst, ernenne ich dich zum Jungmann, und du musst keinen Wolf zähmen.“

    „Ich will aber einen Wolf…“, wollte ich protestieren, doch Vater ließ mich nicht ausreden.

    „Er hatte ganz Recht mit dem Rudel“, sagte er leichthin.

    Ich starrte ihn schockiert an. „Woher weißt du…?“

    Vater lächelte milde. „Ich wäre ein schlechter Clanfürst, wüsste ich nicht, was in meiner nächsten Umgebung vor sich geht. Deshalb wirst du auch nicht als Ghn’airr Dienst bei der Aufsicht der Sklaven tun. Es werden sich andere Aufgaben für dich finden. Doch zunächst diese eine.“ Er beugte sich zu mir herab und flüsterte mir einen einzigen Satz ins Ohr.

    Ich machte einen Sprung von ihm weg. „Das kann ich nicht!“, rief ich entsetzt aus.

    „Du hast gehört, was geschieht, wenn du es nicht tust. Meinst du nicht, es ist besser so?“

    Ich starrte meinen Vater an. Wie konnte er das nur ernst meinen? „Bitte, nicht“, flehte ich.

    „Oh doch. Das ist keine Bitte, mein Sohn, das ist ein Befehl. Es ist deine Mannbarkeitsprüfung. Und du hast gerade miterlebt, was denen passiert, die sie nicht bestehen.“

    „Ich hasse dich!“, stieß ich hervor. Ja, in diesem Augenblick hasste ich meinen Vater. Ich hasste den Hohepriester, der das alles zu verantworten hatte und den schwachen, viel zu nachgiebigen Heiler. Ich hasste die dreizehn Ältesten, die sich in meinen Augen falsch entschieden hatten, und ja, ich hasste sogar die Gabe. In diesem Augenblick nahm ich mir vor, von hier wegzugehen. Ich wollte nicht länger Teil dieses Systems sein. Wolfsträumers Schicksal hatte mir die Augen geöffnet. Wenn er schon nicht fliehen konnte, ich würde fortgehen können und meine Gabe anderswo in der Welt erproben. Ich würde das unendliche Wasser überqueren und Wolfsträumers Heimat kennenlernen.

    „Du wirst dich selbst eines Tages hassen, wenn du es nicht tust“, prophezeite mein Vater mit ruhiger Stimme. Im Übrigen: Ich erwarte Gehorsam, oder du verlierst deine Gabe und folgst deinem Freund in die Minen.“

    Diese Drohung gab den Ausschlag. Nicht, dass ich die Minen gefürchtet hätte. Aber meine Gabe zu verlieren… nein! Eben noch hatte ich sie gehasst, doch nun war mir klar, dass ich ohne sie ein Niemand war. Ich benötigte sie, um weiterleben zu können und um meine Rachepläne zu verfolgen. Denn Rache hierfür würde ich nehmen. „Also gut. Ich werde es tun“, sagte ich.

    „Nimm dir ein Pferd und beeil dich. Und tu es schnell. So schnell du kannst.“

    Ich konnte durchaus, was Vater von mir verlangte. Ich hatte es bereits mehrmals getan, doch noch nie bei einem Menschen. Wie mochte es sich anfühlen?

    „Worauf wartest du?“

    „Ich bin schon weg.“ Ich ließ meinen Vater stehen, rannte zur Koppel und befahl eines der robusten Reittiere herbei. Behände sprang ich auf seinen Rücken und brachte es dazu, Anlauf zu nehmen und die Umzäunung zu überspringen. In rasendem Galopp ritt ich in Richtung der Minen.

    Die fünf Männer waren bereits erstaunlich weit gekommen. Ich erblickte sie auf der Wachholderheide, die sich vor den Bergen erstreckte, zwischen denen sich die Minen verbargen. Ich ließ mein Pferd langsamer gehen und folgte ihnen, wobei ich naturgemäß immer mehr aufholte. Endlich bemerkte mich einer der Ghn’airr. Alle fünf wandten sich um und sahen mir entgegen.

    Ich ritt so nah heran, wie ich es für nötig hielt und ließ mein Pferd stillstehen. Wolfsträumers hoffnungsvoller Blick – War ich gekommen, um ihn zu befreien? War die scheinbare Verurteilung nur eine weitere Probe gewesen? – brach mir beinahe das Herz. Langsam schüttelte ich den Kopf. „Mein Vater schickt mich“, rief ich und vollführte mit der Hand vor mir ein kompliziertes Zeichen, woraufhin die Ghn’airr verstanden und ein wenig von Wolfsträumer abrückten. Im Blick des einen erkannte ich Einverständnis, in dem eines anderen Zweifel an der Richtigkeit meines Tuns, doch niemals wäre einer von ihnen auf die Idee gekommen, zu verhindern, was ich vorhatte.

    Wolfsträumer blickte mich verwirrt und verständnislos an. „Raj? Was tust du?“

    „Das, wofür Vater dich um Verzeihung gebeten hat“, antwortete ich dumpf.

    „Und das wäre?“

    „Sei still!“, herrschte einer der Ghn‘airr ihn an.

    Verwundert wandte er sich zu dem Mann um. Mist! Wir mussten Blickkontakt haben, wenn mein Vorhaben gelingen sollte. Schnell hätte ich sein sollen, aber es fiel mir so erbärmlich schwer. Endlich schaute er wieder zu mir hin, schweigend dieses Mal. Erwartungsvoll, vertrauensvoll. Ach, wie konnte ich ihn nur so enttäuschen? Ich spürte einen Kloß im Hals und kämpfte mit mir, umzudrehen, mein Pferd zu wenden und davon zu reiten. Warum nicht jetzt schon von hier weggehen? Das Reittier würde mir einen enormen Vorteil vor den unvermeidlichen Jägern verschaffen.

    Der Gnh’airr, der Wolfsträumer eben angebrüllt hatte, löste sich aus der Gruppe und trat neben mich. „Ruhig atmen“, flüsterte er eindringlich. „Konzentriere dich. Wenn du es wünschst, helfe ich dir.“

    „Nein, nicht, bitte“, brachte ich mühsam hervor. Ich war es Wolfsträumer schuldig, es selbst zu tun und es vor allem so zu tun, dass er keine Schmerzen litt. Entschlossen sammelte ich meine Macht, bis ich glaubte, sie nicht mehr fassen zu können. Ich formte daraus eine übergroße, starke Hand und griff damit nach dem Herzen des Mannes, der mein Freund hätte werden sollen und dem ich meine Hilfe zugesagt hatte. Es war überraschend einfach, seinen Herzschlag mit einem schnellen, kraftvollen Griff anzuhalten. Viel zu einfach, dachte ich später. Erstaunt riss er die Augen auf, doch im selben Moment als er begriff, was ich tat, war es bereits vorbei. Er stürzte ohne einen Laut zu Boden, wo er tot liegenblieb.

    Anerkennend nickte der Ghn’airr, der neben meinem Pferd stand, mir zu, doch sein wortloses Lob bedeutete mir nichts. Erschöpft ließ ich mich vom Pferd gleiten, befahl den Ghn’airr, den Toten wegzubringen und wandte mich von ihnen ab, während sie Wolfsträumers leblosen Körper auf den Rücken des Pferdes hoben. Ohne nachzudenken, wohin, setzte ich einen Fuß vor den anderen und entfernte mich von ihnen. Und mit jedem Schritt, der mich von Wolfsträumer wegbrachte, wuchs eine innere Distanz zu meinem Vater, zu meinem Clan und zu meiner Vergangenheit.

    Ich war nun ein Mann und als ein solcher würde ich entscheiden, was ich als nächstes tun würde. Das Festmahl und die Mädchen konnten mir gestohlen bleiben. Ich hatte beschlossen, den Clan zu verlassen, und genau das würde ich tun, und zwar jetzt sofort, so lange mein Zorn noch heiß genug brannte, um mir den nötigen Mut zu verleihen. Ich wusste, das unendliche Wasser lag im Osten, und dorthin lenkte ich meine Schritte.

    Einige Tage später stand ich im Heck eines Segelschiffes und sah meine Heimat allmählich mit dem Dunst am Horizont verschmelzen. Es war einfach gewesen, den Kapitän dazu zu bringen, mich mitzunehmen, und es war noch einfacher, mir die neugierigen Matrosen vom Hals zu halten. Zuversichtlich, dass ich in Wolfsträumers Heimat mein Glück machen würde, wandte ich mich ab und ging gemächlich zum Bug. Vor mir lagen nichts als der dunkelblaue Ozean und eine ungewisse Zukunft. Doch keine Zukunft konnte schlechter sein als das Leben, das ich zurückgelassen hatte. Ich besaß die Gabe, und damit gehörte mir die Welt. Unter diesen machtlosen Menschen würde ich es weitaus leichter haben, im Leben voranzukommen als unter meinesgleichen. So traurig ich über Wolfsträumers Tod und den Verlust eines Freundes war, so sehr erfüllte mich das Versprechen meiner erwachenden Macht mit Freude. Ich würde Großes schaffen, und man würde noch in vielen hundert Jahren voller Ehrfurcht über Rajakthar sprechen.

    Erst viele Jahre später erkannte ich, dass mein Vater Recht daran getan hatte, Wolfsträumer die Sklaverei und das Elend in den Minen zu ersparen. Aber dass er mich, seinen Sohn, dem Wolfsträumer das Leben gerettet hatte, dafür missbraucht hatte, verzieh ich ihm bis an mein Lebensende nicht. Der Zorn, der mich jedes Mal überkam, sobald ich mich daran erinnerte, half mir, die Saat für meine Rache auszubringen. Die Ernte jedoch sollte ich nicht mehr erleben. Zwar gelang es mir, meine Macht und meine Gabe in die Welt jenseits des doch nicht unendlichen Wassers zu tragen und auch dort Menschen mit ihr aufzuspüren und zu versammeln, doch ich erkrankte schwer und weiß nun, dass ich bald in die jenseitigen Gefilde aufbrechen werde. Ich kann nur hoffen, dass das einzige meiner Kinder, das die Gabe in vollem Ausmaß geerbt hat und das meine Frau und ich mit aller Härte erzogen haben, um es für seine Aufgabe zu stählen, zu Ende bringen wird, was ich begonnen habe.

    Noch mehr aber hoffe ich, dass in den jenseitigen Gefilden der einzige Mensch auf mich wartet, der mich jemals aus eigenem Antrieb und nicht aus Bewunderung für meine Macht oder aus Angst vor meiner Gabe zum Freund haben wollte. Wir sehen uns bald, Wolfsträumer.

    Einmal editiert, zuletzt von Etiam (26. April 2025 um 15:30) aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Amafiori mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Amafiori 28. April 2025 um 11:11

    Hat den Titel des Themas von „Arthoria-Sammelsurium“ zu „Arthoria-Sammelsurium: Klappentexte / Stumm / Wolfsträumer“ geändert.