Danke LittleOwlbear. Ja, ich freue mich, dass ich durchaus mit meiner Stimme spielen kann.
Also folgt hier nun Kapitel 4 (ein wenig schwach, aber für den weiteren Verlauf notwendig)
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Aus Wirklichkeit wird Erinnerung
Sorgsam achtete Esra darauf, positive Taten von ihm besonders farbenfroh und genau zu schildern, damit Jason zumindest ein Quäntchen Vertrauen zu ihm fasse.
„Nun bin ich auf dem Weg zu Meister Kapalua, einem grauen Magier, der am Rande von Ryhan lebt, um ihn um meine nächste Prüfung zu bitten. Außerdem besitzt er eine beachtliche Sammlung magischer Bücher,“ schloss Esra. Mittlerweile stand die Sonne hoch im Zenit und zeigte die Mittagszeit.
Esra bemerkte, dass Jason immer gefesselter gelauscht hatte und mehr und mehr Vertrauen auf seinem jungen, schmutzigen Gesicht zeigte. Mit großen, staunenden, braune Augen sah ihn Jason an und sagte schließlich: „I…ich habe nachgedacht und es mir überlegt. Ich will dein Angebot versuchen…“ – „ Das erfreut mein Herz,“ sagte Esra hocherfreut, da seine Taktik aufging: „Du wirst dadurch ein völlig neues Leben erhalten, ein hoffentlich ebenso glückliches, wie dein bisheriges traurig war. Zuerst wirst du einen neuen Namen wählen, denn nach dem Ritual wird dir Jasons Leben nur noch wie eine Alb-Geschichte erscheinen.“ – „W…was?!? Was wird mit mir geschehen??“ fragte der Junge mit nackter Panik in den Augen. Esra sprach mit beruhigender Geste: „Sei unbesorgt… Nichts Schlimmes oder Schmerzhaftes wird dir widerfahren. Ich entziehe dir nur all den Schmerz, der deine Seele ausfüllt und fesselt. Nimm den neuen Namen einfach als Schlussstrich unter dein altes und den Beginn deines neuen Lebens.“
„W…wie soll ich denn heißen…?“ fragte Jason. „Das ist deine alleinige und freie Entscheidung, denn DU trittst in ein neues Leben,“ erklärte der Zauberer lächelnd. „Hmmm…,“ machte der Junge, der bislang Jason war: „Mir gefiel immer schon der Name ‚Chirico‘. Den kann man auch abkürzen: Chico. Ich finde, dass das irgendwie schön klingt.“. Esra erklärte: „Chirico. Ein sehr starker Name. Einst gab es einen Krieger mit diesem Namen, der ein Balrok besiegte. Eigentlich gelingt dies nur einem erfahrenen Magier und dies auch nur sehr schwer, weil es ein Feuer-Dämon aus den tiefsten und dunkelsten Tiefen der Unterwelt ist. Du hast also sehr gut gewählt. Von nun an bist du Chirico, genannt Chico. Jetzt lege dich bitte hin, entspannen dich und schließe deine Augen.“. Noch-Jason und Bald-Chirico tat wie geheißen, blickte Esra noch einmal angstvoll an und schloss dann mit einem tiefen Atemzug seine jungen Augen.
Esra kniete sich neben den Kopf des Knaben, legte behutsam eine Hand auf dessen Brust und seine andere Hand auf den Kopf des Jünglings. Dann begann er, magische Beschwörungen zu murmeln und diese immer wieder zu wiederholen. Wenig später fing es an, zwischen den Handflächen des Magiers und der Haut des Jungen orange-rot zu leuchten. Schweiß trat auf die Stirn des hochkonzentrierten Zauberers. Sogar der Schnee rings um sie herum begann zu schmelzen…
Etwa zwanzig Minuten vergingen auf diese Art, dann löste der Magus seine vor Erschöpfung zitternden Hände von dem Liegenden und er sank kraftlos nach hinten. Der Knabe schlug die Augen auf, blinzelte ein paarmal und schaute sich verwundert um. Als er den schwer atmenden Esra neben sich liegend erblickte, sprang er panisch auf, rief: „ESRA!!!“ und schüttelte seinen Retter und neuen Freund. Dieser schlug mit unheimlicher Anstrengung die Augen auf, sah mit müden Augen die Besorgnis auf dem Gesicht des Jungen und sagte: „Es ist alles gut, ich bin nur erschöpft, weil es mir noch nicht leicht fällt, diese starke Magie heraufzubeschwören und zu bündeln… Beantworte mir aber eine Frage: Wie lautet dein Name, junger Freund…?“ – „Willst du mich zum Narren halten!? Ich bin's, Chico!“ antwortete der Junge, der morgens noch Jason war, voller Überzeugung. Esra lächelte: „Ich war sicher, dass ich dich vorhin noch Jason nannte…“ – „Unfug!“ sagte Chico, jedoch schwang eine gewisse Unsicherheit in seiner Stimme mit: „aber der Name kommt mir irgendwie vertraut vor…“.
Esra setzte sich umständlich auf und fragte: „Wie fühlst du dich, Chico?“ – „Wunderbar, jetzt, da ich weiß, dass es dir gut geht. Du hast mir einen ordentlichen Schrecken eingejagt,“ antwortete Chirico und umarmte seinen neuen, ersten Freund stürmisch: „Danke. Danke für alles! Ich weiß zwar nicht, weshalb, aber ich fühle, dass ich dir unbedingt danken muss und tief in deiner Schuld stehe…“ Darauf sagte Esra: „Ich werde dir alles erklären, höre deshalb gut zu. Also…“
„…und jetzt existiert Jason nur noch als traurige Erinnerung. Im Grunde wurdest du als Chirico neu geboren,“ schloss der Magus. „Das bedeutet also, die Geschichte, an die ich mich erinnere, ist wahr und mein eigenes Leben…??“ fragte Chico schockiert. „So leid es mir auch tut… Ja,“ lautete die Antwort des Magus: „Jedoch ist dies kein Grund zur Trauer. Ich finde, wir sollten beschließen, dass heute, wo dein neues Leben beginnt, auch dein Wiegenfest, dein Geburtstag sein sollte, findest du nicht?“ Esra griff unter sein lindgrünes Leinenhemd und beförderte einen wundervollen, silbern leuchtenden Anhänger an einem dünnen Lederband hervor, der um seinen Hals hing. Er zog ihn über den Kopf und reichte ihn Chico: „Dies ist ein Talisman und wird Targdra'an genannt. Schau ihn dir ruhig genauer an.“
Ehrfürchtig streckte Chico seine Hand aus und Esra ließ Anhänger samt Lederband hinein fallen. Als der Anhänger die Handfläche des Jungen jedoch berührte, ging ein mächtiger Lichtblitz von ihm aus, weshalb Chico ihn beinahe vor Schreck hätte fallen lassen. „E…es fühlt sich ganz warm an,“ stellte der Junge mit Staunen fest: „und es leuchtet irgendwie pulsierend…“ – „Das liegt daran, dass Elben es anfertigten. Das Targdra'an soll seinem Träger Hoffnung, Zuversicht und geistige Stärke verleihen. Deshalb möchte ich es dir gerne als mein Geschenk zum Geburtstage überlassen. Mir hat es schon gute Dienste erwiesen und ich brauche es fortan nicht mehr. Du hingegen solltest es tragen,“ sprach Esra. „Das… das kann ich unmöglich annehmen! Das ist viel zu wertvoll! Nein, behalte es,“ erwiderte Chico ehrfürchtig auf das Kleinod in seiner Hand blickend, die er dem Magus wieder hin hielt. „Oh nein,“ sprach dieser: „dies ist und bleibt mein Geschenk an dich. Halte es in Ehren, denn es besitzt wahrlich große Macht. Verspricht mir nur, dass du, wenn du seines Schutzes nicht mehr bedarfst, es jemandem gibst, der es dringend brauchen kann.“.
Der Knabe zog langsam seine Hand zurück, blickte noch einmal ungläubig den Zauberer an und streifte sich dann das Lederband samt Anhänger über seine blonden Locken, so dass der Talisman tief auf seiner Brust zu liegen kam. „Ich werde ihn in größten Ehren halten,“ sagte er und ließ das wertvolle Geschenk unter sein verschlissenes und schmutziges Hemd gleiten.
Plötzlich vernahmen sie aus der Ferne Hufgetrappel über den Waldweg näher auf sie zu kommen. Esra, dem die Worte Pirschers wieder in den Sinn kamen, stand auf, den Ebenholz-Stab auf den Boden gestützt, Chico stellte sich hinter ihn und blickte argwöhnisch in die Richtung der Geräusche.