Die Reise der Prüfungen

Es gibt 18 Antworten in diesem Thema, welches 929 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (14. Februar 2024 um 20:36) ist von Nerat Oti.

  • Hallo Community!

    Nun darf auch ich mein ehrgeiziges Projekt vorstellen.

    Vorab sei gesagt, dass dies ein Hörbuch in Fortsetzung ist (weil es sich dahingehend entwickelt hat) und völlig kostenlos sein wird.

    Den Fantasy-Roman habe ich während dem Beginn meiner Depressions-Erkrankung begonnen, weil ich merkte, dass mir das Schreiben hilft. Ironischerweise schreibe ich nur gute Kapitel, wenn es mir schlecht geht (wie bei diversen anderen Autoren in der Vergangenheit).

    Deshalb habe ich mich auch dazu entschieden, es kapitelweise als atmosphärisches Hörbuch bei Youtube zu veröffentlichen, da ich nicht vorhersagen kann, ob das Buch überhaupt fertig wird und ich keinen Profit damit machen möchte, sondern anderen eine schöne Zeit und eine kurze Flucht aus der Realität zu ermöglichen.

    Zur Geschichte:

    Ein besiegt geglaubter Feind bedroht erneut das Land Allwelt. Esra von Endwelt, ein Zauberer in der Mitte seiner Ausbildung, trifft auf so manches (gewöhnliche oder ungewöhnliche) Geschöpf und wird mehr und mehr in diesen tödlichen Konflikt hineingezogen. Was auf seiner Reise noch an Prüfungen auf ihn und seine Gefährten wartet? Seid gespannt, es geschieht sehr viel.

    Produktions-Stand:

    Drei von geplanten fünf Teilen sind geschrieben und ich arbeite an Teil 4.

    Der erste Teil (ca 40 Kapitel) bieten auf Youtube satte 6 Stunden Hörgenuss.

    Hier ist der Link:

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    Und hier ist der Prolog:

    Ein Dorf verschwindet

    Hurien war ein verschlafener Ort, der an den Ufern des mächtigen Flusses Orlen an der Grenze zu Ryhan gelegen war. Die Menschen, die hier lebten, verdienten ihren bescheidenen Unterhalt weitgehend durch Fischerei und Bestellung der umliegenden, fruchtbaren Felder. Der Bürgermeister und Statthalter dieses Ortes, welcher nur wenig größer als ein Dorf war, hieß Aseries und war ein gutmütiger Schrank von einem Mann.

    Jetzt in der Winterzeit war das Leben in Hurien gemütlicher Natur. Die Felder bedurften keiner Arbeit, das Vieh wurde im Stall versorgt und die Fischer flickten ihre Netze für wärmere Tage. Die Kinder bastelten aus Kastanien und Eicheln, die sie im Herbst gesammelt hatten, kleine Tiere und Menschen am warmen Herdfeuer. Es war sieben Tage vor der Mittwinterwende, dem höchsten Fest hier auf der Schräge, wie die Landschaft hier genannt wurde.

    In der Ferne tauchte ein Reiter auf, der offenbar im vollen Galopp sein Pferd antrieb. Wenig später raste er in den Ort und sprang auf dem Dorfplatz vom erschöpften und vor Hitze und Schweiß dampfenden Reittier. Er rief: „Wo ist der Truchsess? Oder der Bürgermeister? Wer hat hier die Verantwortung? Es eilt! Es geht um euer aller Leben!!“ Aseries öffnete die Tür des Herrenhauses, welches er während seiner Amtszeit bewohnen durfte und sprach: „Weshalb schreit Ihr so…? Ich bin der, den Ihr sucht und heiße Aseries.“ – „Eilt Euch! Ihr müsst fliehen! Schnell! Sucht Schutz!“ sagte der Reiter ohne sich vorzustellen aufgebracht vor Angst mit aufgerissenen Augen. „Langsam, langsam,“ versuchte Aseries den Mann zu beruhigen: „weshalb sollten wir im tiefsten Winter unsere warmen Feuer verlassen?“ Der Mann schaute ihm mit eisenhartem Blick in die Augen und sagte nur ein einziges Wort: „Goblins!“ – „Goblins…?“ fragte der Statthalter, zog die Augenbrauen hoch und schüttelte belustigt den Kopf: „Diese kleinen, olivschwarzen Plagegeister sind zwei Köpfe kleiner als ein Mensch und stehlen höchstens mal ein paar Hühner oder ein Schaf. Selbst wenn es ein paar Dutzend wären, würden sie keine große Gefahr für uns darstellen.“ Der Reiter sah ihn weiterhin todernst an und sagte mit Grabesstimme: „…und ein paar Hundert? Mit einem Rudel blutrünstiger Warge? Angeführt von einem Ork, so groß, wie ich noch nie einen sah?“ Als Aseries dies hörte, hörte er auf, belustigt zu sein und wurde leichenblass. So viele Goblins? Und dazu noch diese Scheusale, die wie eine Kreuzung aus räudigem Wolf und muskelbepacktem Stier aussehen und ellenlange Reißzähne ihr Eigen nennen? Allein die Warge könnten das Dorf auslöschen... Er fragte tonlos: „Seid Ihr dessen gewiss?“ – „Oh, ja,“ entgegnete der Reiter: „Ihr kennt das Dorf Otovit zwei Tagesmärsche südlich von hier?“ – „Ja, es ist ein sehr schöner Ort.“ – „…gewesen. Nun sind da nur noch verkohlte Ruinen. Ich muss jetzt aber schleunigst weiter und alle warnen, die ich finden kann.“ Er bat um ein frisches Pferd und eilte dann aus dem Ort. Aseries stand ratlos auf dem Dorfplatz. Was sollte er bloß tun? Sollten sie fliehen? Mit all den Alten und Kindern? Sollten sie kämpfen? Womit? Mit Sense und Forke?

    Schließlich entschied er sich zu einem riskanten Plan und ließ ihn unter den Dorfbewohnern so schnell es ging verbreiten: Die alten Männer und Frauen sollten alle Fischerboote nehmen und flussabwärts rudern, die Frauen sollten mit den Kindern nach Ryhan zur Burgfeste fliehen und die Männer sollten bleiben und das Goblin-Heer aufhalten oder wenigstens verlangsamen, damit die Fliehenden eine kleine Chance bekamen. Dies würde zwar bedeuten, dass sie sich opfern würden, aber sie würden es für ihre Liebsten tun.

    Eine Stunde später stachen die Alten in See. Einige rüstige Greise wollten jedoch bleiben und den Zurückbleibenden zur Seite zu stehen. Kurz darauf zogen die Frauen mit den Kindern los. Viele der Kinder weinten, aber es MUSSTE sein.

    Die Männer durchsuchten das ganze Dorf nach allem, was sich zum Kampfe verwenden ließ und verschanzten sich in den Häusern des Ortskerns so gut sie konnten. Als die Nacht hereinbrach, konnten sie weit im Süden unzählige Feuer scheinen sehen. Das feindliche Heer war nicht mehr weit…

    Am darauffolgenden Morgen sahen sie das riesige Heer. Es waren an die zweitausend Goblins. Gegen weniger als zweihundert Männer. Zwischen den Goblins liefen etwa sechzig geifernde Warge mit scharfen, gelben Zähnen. Am frühen Mittag erreichte das Heer, welches mit roh geschmiedeten, gezackten Klingen, Knüppeln, Keulen, alten Lanzen und weiterem furchteinflößendem Kriegsgerät bewaffnet, die Dorfgrenze und griff an. „SEID STANDHAFT, SEID WAHRHAFTIG!“, rief der Bürgermeister gegen den immer lauter werdenden Hordenlärm. Gleich einer unaufhaltsamen Welle brandete die Übermacht über die kleine Stadt herein. Der gigantische Ork, der den Schluss bildete, grinste diabolisch und hatte sein Breitschwert, welches viele Scharten aufwies und beinahe zwei Meter maß, auf seiner Schulter ruhen.

    Als an diesem Tage die Nacht hereinbrach und ihre schwarze Decke gnädig über die Schräge legte, verhüllte die Dunkelheit den rot gefärbten Schnee im Dorf genauso, wie die zahlreichen, abgetrennten und ausgerissenen Körperteile. Nur eines war sonderbar: es war nicht eine einzige Leiche zu finden…

    Einmal editiert, zuletzt von Nerat Oti (9. Februar 2024 um 05:42)

  • Auf der Plus-Seite: Die Geschichte ist flüssig und lebendig geschrieben. Rechtschreibung, Satzbau, Formulierungen sind in Ordnung.

    Bei der Formatierung könntest Du darauf achten, dass jede Dialogzeile eine eigene ist. Bsp.:

    Er rief: „Wo ist der Truchsess? Oder der Bürgermeister? Wer hat hier die Verantwortung? Es eilt! Es geht um euer aller Leben!!“

    Aseries öffnete die Tür des Herrenhauses, welches er während seiner Amtszeit bewohnen durfte und sprach: „Weshalb schreit Ihr so…? Ich bin der, den Ihr sucht und heiße Aseries.“

    „Eilt Euch! Ihr müsst fliehen! Schnell! Sucht Schutz!“ Komma schrie der Reiter Komma ohne sich vorzustellen Komma aufgebracht vor Angst und mit aufgerissenen Augen.

    „Langsam, langsam“Komma versuchte Aseries den Mann zu beruhigen: „Weshalb sollten wir im tiefsten Winter unsere warmen Feuer verlassen?“

    Leider empfinde ich diesen Einstieg als schwach, denn er ist viel zu allgemein und distanziert gehalten.

    Warum sollte ich mit einem fernen Dorf, dessen Einwohner ich nicht kenne, mitfühlen? Wieso sind die Goblins & Co. eine Gefahr? Warum glauben die Dorfbewohner einem fremden Reiter, der weder Herkunft noch Namen hat? Am Ende hat der Reiter nichts ausgerichtet und das Dorf wäre so oder so untergegangen.

    Du könntest aus der Perspektive eines der fliehenden Dorfbewohner oder des Reiters erzählen. Das wäre viel dichter am Geschehen und würde den Leser emotional eher erreichen. Dann hätte auch der letzte Satz einen stärkeren Impakt.

    Nur Vorschläge.

    MfG

  • Eegon2 hallo und danke für die konstruktive Kritik. Ich bin halt blutiger Anfänger und das ist mein Erstlings-Baby. Auch lege ich den Fokus mehr auf das Hören, also die Geschichte an sich. Auch war das nur der Prolog

    Lg

  • Abend Nerat Oti ,

    hab mir das Vorwort und den Prolog angehört und du hast eine sehr angenehme Stimme, finde ich sogar angenehmer als so manch offiziell vertonten Hörbücher, die ich mir geholt habe. Muss auchmal gesagt werden. ^^

    Auch verstehe ich dich da sehr gut, dass du während deiner Depression zu schreiben begonnen hast. Etwas Kreatives zu schaffen finde ich ebenfalls sehr hilfreich und erfüllend / aufbauend für die psychische Gesundheit.


    Ich hab mir nun den Prolog angehört, während ich ihn zusätzlich gelesen habe. Als Hörbuch finde ich funktionieren manche Passagen viel besser und wirken lebendiger, als als Reintext.

    Da muss ich zustimmen, dass es sich eher distanziert liest, und erst durch deine Stimme wirklich zum Leben erwacht.

    Zum Beispiel Passagen wie "Er rief: ..." funktionieren meiner Meinung nach ebenfalls selten in geschriebener Form, da sie sich wie ein Drama (nicht das Genre, die Textgattung) lesen. Im Hörbuch funktioniert die Stelle aber wunderbar, finde ich.

    In geschriebener Form sollte es demmach auch etwas mehr an Zeilenumbrüchen geben, vor allem bei Rednerwechsel uä.

    Großen Respekt an die Mühe, die du mit der Vertonung gibst, und mir gefiel der Prolog wirklich gut.

    Fünfeinhalb bis zehn Minuten sind auch eine sehr angenehme Zeitspanne pro Kapitel.


    Kleine Anmerkung am Rande:

    Zitat

    Hurien war ein verschlafener Ort, ...

    Das ist ähm, ein interessanter Name für einen Ort und klingt mir jetzt nicht so verschlafen. :whistling:

    Mein Senf dazu: Du sprichst es im Hörbuch ebenfalls eher als Horien aus, würde ich demnach so schreiben thehe. / it's just me being childish.

  • LittleOwlbear vielen Dank für Dein nettes Feedback.

    Besonders Dein Kompliment zu meiner Sprechweise tat mir sehr gut. Auch denke ich, dass es ein Hörbuch bleiben wird, weil ich nur gut schreiben kann, wenn es mir schlecht geht. Das bedeutet, dass ich fast schon hoffe, dass es unvollendet bleibt, denn das bedeutet, dass es mir gut geht. Auf der anderen Seite möchte ich es ja auch vollenden. Ein zweischneidiges, gefährliches Schwert.

    Hurien hat auch nur eine extrem geringe Rolle in der weiteren Geschichte. Ich dachte mir halt, dass es spannend ist, wenn gleich am Anfang ein komplettes Dorf ausgemerzt wird. Besonders, weil der erste Satz des ersten Kapitels mit "Es schneite." sehr ruhig und beschaulich daherkommt, was meiner Meinung nach bei dem Hörer die Frage aufwirft: "Was? Wieso schneit es? Was ist mit den Goblins?!?" und so zum weiterhören verführt.


    Ich poste das angesprochene erste Kapitel jetzt einfach:


    Die Begegnung

    Es schneite. Durch den mit weißer Pracht bedeckten, dicht gewachsenen Buchenwald schritt ein Mann mit grünem Umhang und einem langen Wanderstab aus schwarzem Ebenholz. Er trug einen ebenfalls grünen Hut, der spitz zulaufen sollte, jedoch sorgte die lange Zeit auf Wanderschaft dafür, dass die Spitze sich mittlerweile zur Seite neigte. Eine leichte Briese wehte und trug den unverkennbaren Geruch von Frost mit sich. Dennoch schritt der Mann unbeirrt weiter seinem unbekannten Ziel entgegen.

    Der Stab und der Hut waren Zeichen seiner Zunft und die Farbe seines Umhangs zeigte, dass er sich erst in der Mitte seiner Ausbildung befand, die fast sein gesamtes Leben dauern würde. Es würden noch Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte vergehen, bevor er die weiße Robe eines Meisters tragen dürfte. Er war ein Zauberer und trug den Namen Esra.

    Schon lange war er auf Wanderschaft. Jahrzehnte. Schließlich gehörte es ebenfalls dazu, wenn man ein guter Magus werden wollte. Je länger und abwechslungsreicher diese Wanderung ausfiel, desto mehr lernte man und mit jeder bestandenen Prüfung, sei es die, die das Leben einem auferlegte oder aber die, die Meister-Magier einem stellten, würde man ein klein wenig besser und weiser. Er hatte schon zahlreiche solcher Prüfungen bestanden, manche mit Bravur und manche nur mit Glück und knapper Not. Aber aus jeder einzelnen hatte er gelernt und wurde besser, weiser und ein klein wenig mächtiger. Wie lange er noch unterwegs sein würde, spielte für ihn keine Rolle, denn irgendwie gefielen ihm die Wanderjahre ausnehmend gut.

    Der Waldweg schlängelte sich durch den im Winterschlaf liegenden dichten Wand, wodurch ein Reisender selten weiter als einhundert Schritt sehen konnte. Die Buchen, die hier wuchsen und zwischen denen eine dichte Vegetation prächtig gedieh, welche nun jedoch mit einer dünnen Eisschicht überzogen war, hoben sich gewaltig in den grauen, wolkenverhangenen Himmel. Ein sanfter Wind brachte die trockenen, vereisten Grashalme zum knistern. Es schien, als wäre der Wald so alt wie Allwelt selbst. Ein dicker Teppich aus Moos wuchs auf der Wetterseite der Stämme und zeigte dem Wanderer stets die Himmelsrichtung an. Esra ging über eine Hügelkuppe und wurde plötzlich umgerannt, so dass er in den weichen Schnee am Wegesrand fiel. Ein schmutziger und mit teilweise zerrissenen Lumpen bekleideter Junge lag barfüßig neben ihm, schaute ihn erschrocken und panisch vor Angst an und sprang auf die Füße. „Langsam, langsam, junger Mann“, sagte Esra mit einem gütigen Lächeln, dachte an das heiße Feuer seiner eigenen Jugend zurück und rappelte sich durch seinen Ebenholz-Stab gestützt wieder auf. Er bemerkte, dass der Junge wieder zu Boden gesunken war und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den linken Knöchel hielt. Offenbar war er zu schnell und dadurch unglücklich aufgesprungen. Dabei schaute er in die Richtung des Unterholzes, durch das er gerannt kam. Aus seinen rehbraunen Augen sprach nackte Panik.

    Der Zauberer wollte gerade beginnen, sich um den verletzten und zu Tode verängstigten Jungen zu kümmern, als er aus der Richtung, in die der Bube geblickt hatte, wütende Rufe und Flüche vernahm. Die tobende Stimme wurde lauter und zeigte so, dass sich ihr Besitzer den beiden Menschen näherte. Verzweifelt versuchte das verletze Kind weiter zu kriechen, weg von den Rufen.

    Schon brach ein Hüne von einem Mann durch das Gehölz, eine eiserne, große Axt über seinen hochroten Kopf erhoben. Seine Kleider waren wenig besser, als die des am Boden liegenden Jungen, allerdings trug der Mann derbe, abgenutzte Lederstiefel, die ihn zumindest ein wenig vor der Kälte zu schützen schienen. Einen Augenblick lang schaute er verdutzt auf den grün gekleideten Mann, der sich zwischen ihm und dem offensichtlichen Grund seines Zorns befand. Doch als sein Blick auf den am Boden liegenden Jungen traf, entflammte in seinen stahlblauen Augen erneut sein Zorn, seine Mine verdunkelte sich bedrohlich und er trat einen Schritt auf den Magus und damit auch auf den Jungen zu.

    „Tritt zur Seite, dies ist nicht deine Angelegenheit!“, grummelte der vor Kraft strotzende Mann, der an die zwei Meter groß und damit deutlich größer als Esra war, welcher jedoch unbeeindruckt von dem Hünen zwischen ihm und dem armen, ängstlichen Jungen stehenblieb und seelenruhig sprach: „Wohl wahr, aber ich MACHE es zu meiner Angelegenheit.“ – „Törichter Wicht!!“, rief der Hüne zutiefst erbost mit hochrotem Kopf und erhob seine Faust zum Schlag. Seine Wut machte ihn offensichtlich blind und unachtsam. Doch bevor der Mann zuschlagen konnte, sprach Esra mit solch donnernden Stimme, so dass ein hundertfaches Echo in dem Winterwald erscholl: „ES REICHT!!“ Dabei stieß er mit seinem Ebenholz-Stab kräftig auf den Boden, dass dieser heftig erbebte und der erzürnte Angreifer heftig ins Wanken geriet und hinfiel. Während hier ein Fasan aufflog, dort ein Kaninchen das Weite suchte und rings um die drei Menschen neben Schneeflocken auch abgestorbene Zweige aus den mächtigen Baumkronen herabfielen.

    Eine tiefe Stille trat ein, die durch Mark und Bein drang. Eine Stille, die fast Substanz hatte und beinahe zu greifen schien. Eine Stille, die jedes andere Geräusch verschluckt hätte, wäre dort auch nur ein einziges Geräusch gewesen. Der Magier schaute zuerst unendlich finster den Raufbold an, der wie erstarrt am Boden lag und den Fremden mit erschrockenen Augen musterte, drehte sich langsam zu dem Jungen um und während der Drehung veränderten sich seine Züge und strahlten unendliche Güte aus.

    „Sagt, was für einen Frevel hat der Knabe begangen, dass Ihr ihn dermaßen hetzt und er offensichtlich den Tod durch euer Beil verdiente?“, fragte Esra und drehte sich freundlich lächelnd zu den am Boden liegenden Aggressor herum. „S…Sagt, wer seid Ihr…?“, fragte der muskulöse Mann voller Furcht. „Ich bin Esra von Endwelt, Zauberer vierten Grades“, antwortete der grüne Zauberer, „Und jetzt sprecht!“ – „V…verzeiht, Herr, dass ich in meinem Leichtsinn versucht habe, Euch anzugreifen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass Ihr ein Magus seid. Mein Name ist Mortekai und ich bin ein bescheidener Holzfäller vom Stand. Dieser unnütze Tunichtgut“ –dabei machte er eine abwertende Handbewegung in Richtung des Jungen- „trägt den Namen Jason. Er ist ein Waisenjunge, den ich in meiner Güte aufnahm und ihm Obdach und Nahrung gab. Alles, was ich dafür erwartet habe, war, dass er bei meinem Tagewerk tatkräftig mit anfasst, aber er ist zu schwächlich und konnte nicht einmal mein kleinstes Beil ordentlich führen. Also kostet er mich nur wertvolle Lebensmittel. Und heute hat er zu allem Überfluss meinen Schleifstein zerbrochen! Wie soll ich denn mit stumpfen Äxten meinen kärglichen Lohn verdienen…?“ – „Weil Ihr mich geschubst habt!“, schrie der Junge namens Jason voller Wut mit Tränen in den Augen. „Zu Recht!“, donnerte Mortekai „Du ließest die letzten Eier anbrennen und ich habe deshalb nichts zu Essen mehr!“ und schickte sich an, erneut den hilflosen Jungen anzugreifen. Esra jedoch versperrte dem Holzfäller den Weg mit seinem Stab, den er schon fast lässig zwischen die Kontrahenten hielt. Dennoch konnte der Hüne den Stab keinen Yota bewegen.

    Ruhig sprach der Magus: „Dies rechtfertigt keineswegs solch einen Wutausbruch, geschweige denn das Auslöschen eines solch jungen Lebens. Nur wegen ein paar angebrannten Eiern…? Habt Ihr kein Respekt vor dem Leben? Ich mache Euch ein Angebot: Wenn ich Euren Schleifstein zu reparieren vermag und dafür sorgen würde, dass Eure Axt, die Ihr mit Euch führt, nie an Schärfe verlöre, würdet Ihr mir dann den Jungen überlassen, der offenbar nur eine Last für Euch ist?“ Mortekai überlegte ein wenig, dann antwortete er: „Nun gut, ich will keinen Ärger mit einem Magus. Wenn Ihr die Dinge wirklich zu tun vermögt, so soll der Balg fortan Euch gehören.“ – „Gut, dann führt mich bitte zu einer Kiefer. Wir sind hier ja von Buchen umgeben, aber sie sind für meine Zwecke ungeeignet", sprach Esra. „Ihr habt Glück, ein wenig weiter des Weges steht eine mächtige Kiefer gleich am Wegesrand“, erzählte der ortskundige Mann.

    „Wir können dich hier nicht im Schnee zurück lassen,“ sagte der Magus zu dem Knaben. „Ich schon!“ grollte Mortekai. Mit bösem Blick sah ihn der Zauberer an und sagte dann: „Nun, ICH kann dich nicht hier zurück lassen. Lass Dir helfen.“ Als er Jason jedoch auf helfen wollte, zuckte dieser voller Angst zurück. „Hab keine Furcht, junger Freund,“ sagte Esra so sanft er konnte: „Ich möchte nur nicht, dass du hier im Schnee erfrierst und laufen kannst du schließlich alleine schlecht…“. Das sah der gequält blickende Junge schließlich ein und ließ sich helfen, war aber dennoch misstrauisch jeder Bewegung gegenüber. Esra stützte den humpelnden Jungen und zu dritt begaben sie sich zu besagtem Baume. Dort angekommen entfachte der Zauberer mit einer kompliziert wirkenden Handbewegung ein prasselndes Feuer und lagerte Jason in dessen Wärme. „Durch meine Schuld hast du dich verletzt, dann ist es nur gerecht, dass ich auch für deine Genesung Sorge trage,“ sagte Esra unsagbar sanft, griff in seinen Umhang und holte einen Beutel hervor, dem er einige Kräuter entnahm. Schnell war Jasons Knöchel verbunden. „Ruh dich aus und lasse die Kräuter wirken. Dir wird kein Leid geschehen, solange ich in der Nähe bin,“ sprach er zu dem Knaben.

    Er wandte sich zu dem mächtigen Gehölz und griff erneut in sein Gewand. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, hielt sie ein kleines, mit Runen verziertes Messer. Mit diesem schnitt er so leicht in den Kieferstamm, als schnitte er einen Laib Käse. Harz quoll aus dem Schnitt, welches der Zauberer mit einem Stück Rinde auffing. Anschließend griff er erneut in den Kräuterbeutel, entnahm mehrere und bröselte sie über das Harz.

    „Gebt mir nun Euer Beil,“ befahl Esra dem Holzfäller. Mit dem Messer begann der Magus damit, Runen in die Axtklinge zu schneiden, während er ununterbrochen Beschwörungsformeln murmelte. Ein blau schimmerndes Gleißen kroch dabei die Klinge entlang und ein Summen wie von tausend Bienen war zu vernehmen. Gebannt schaute Mortekai dem mystischen Treiben zu. Kaum war der Magus fertig, riss er die Axt hoch und führte sie mit gewaltigem Schwung gegen einen Felsen in der Nähe. Der Holzfäller riss voller Schreck und Angst um sein wertvolles Arbeitsgerät die Augen auf und rief: „Seid Ihr des Wahnsinns?!?“ Da brach der massive Fels auch schon knirschend entzwei. Wütend entriss Mortekai seine Axt den Händen des lächelnden Zauberer.

    „W…Wie…? A…aber…“stammelte der Hüne wie ein kleines Kind staunend: „Die Klinge… Sie ist völlig unbeschädigt… Und sie ist schärfer, als ich sie je hätte schleifen können… Selbst, wenn ich tagelang mit dem Schleifen beschäftigt wäre. “ Der Magus grinste breit, was sein Gesicht trotz des schon ansehnlichen Bartes, welchen die ersten grauen Strähnen durchzogen, sehr jugendhaft wirken ließ. „Nun zum zweiten Teil unserer Abmachung, gebt gut Acht, denn Ihr werdet dies bei Euch daheim wiederholen, schließlich kann ich Euch nicht begleiten.“ sprach Esra, nahm die Borke mit dem Harz, bestrich beide Bruchseiten des geborstenen Felsens und presste diese kräftig gegeneinander. „So, versucht, die Teile von einander zu lösen,“ sprach er mit einem schelmischen Lächeln im Gesicht. „Ihr beliebt zu scherzen,“ lachte der muskelbepackte Holzfäller schallend und ergriff die eine Seite des harten Steines: „Das ist doch für mich überhaupt kein Probl…“ Aber egal, wie sehr Mortekai sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, die Steinhälften von einander zu trennen.

    „Gebt von dem Harz ein wenig auf die Bruchkanten des Schleifsteines und drückt sie kräftig zusammen. Er wird wie neu sein,“ dozierte Esra. „D…das ist… ist ein Wunder…“ staunte Mortekai noch immer, dann sagte er: „Nun gut, abgemacht ist abgemacht. Der Junge gehört fortan Euch.“ – „Verbindlichsten Dank,“ erwiderte Esra mit einer Verbeugung: „Ich wünsche Euch lange Tage und angenehme Nächte.“ – „Euch wünsche ich das Gleiche,“ sagte der Mann breit lächelnd: „Ihr habt mir wahrlich geholfen. Ich freue mich schon, die Axt an meinem nächsten Baum zu versuchen.“ Nur als sein Blick den Jungen streifte, huschte einen Augenblick lang Verachtung über sein sonnengegerbtes Gesicht. Dann wandte er sich um und ging seines Weges.

    Einmal editiert, zuletzt von Chaos Rising (9. Februar 2024 um 07:15) aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Nerat Oti mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Man sollte in diesem Fall hier aber nicht vergessen, dass Nerat Oti es vorrangig als Hörbuch angelegt hat und somit die schriftliche Form der Geschichte einiges an „Tiefgang“ einbüßt. Er kann auch vieles akustisch erzählen und spart sich so häufig detailliertere Beschreibungen.

    Wir Schreiberlinge müssen uns „leider“ komplett auf das schriftliche Wort beschränken und wählen andere Tricks, um unsere Texte ansprechend zu gestalten.

    Aber dass ich hier im Forum eine Geschichte schon nach nicht mal 2 Seiten abgebrochen hätte, weil sie mich nicht angesprochen hätten, kann ich nicht unterschreiben.

    Andere hier im Forum lesen mehrerer hundert Seiten diverser Texte und Textfragmente, obwohl sie genau wissen, dass es ihnen nicht gefällt und lesen trotzdem immer weiter. :pardon:

  • Alles nur Vorschläge

    MfG


    Wenn Du den Leser nicht auf den ersten beiden Seiten packst, gibt es keine zweite Chance!

    Dann würde sich Stephen King sehr schwer verkaufen lassen, da viele seiner Werke ordentlich Anlaufzeit benötigen.

    Mein Prolog ist ne knappe DinA4-Seite lang.

    Sorry, aber vergleichst Du Dich gerade mit Stephen King?

    Mach, wie Du denkst. Es gibt aber Menschen, die schlagen im Buchladen das Buch eines unbekannten Autors auf und treffen nach ein, zwei Seiten eine Entscheidung.

    Einmal editiert, zuletzt von Chaos Rising (9. Februar 2024 um 19:37) aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Eegon2 mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Dann würde sich Stephen King sehr schwer verkaufen lassen, da viele seiner Werke ordentlich Anlaufzeit benötigen.

    Mein Prolog ist ne knappe DinA4-Seite lang.

    Sorry, aber vergleichst Du Dich gerade mit Stephen King?

    Mach, wie Du denkst. Es gibt aber Menschen, die schlagen im Buchladen das Buch eines unbekannten Autors auf und treffen nach ein, zwei Seiten eine Entscheidung.

    Nur weil jemand viele Kopien verkauft, heißt es nicht, dass er besser ist als andere Leute, er hat bloß einen Namen, der die Leute drauf hoffen lässt, dass langsame Anfänge funktionieren. Aber nein, ich mag manches von King.

    Btw. EL James ist dafür ebenfalls eine Bestsellerautorin. :/ ... sagt halt nicht viel.

    Und es will hier nicht jeder in Buchläden landen, sondern schreiben einfach nur gerne (oder vertonen Geschichten wie der Verfasser dieser Geschichte). Weiß nicht, wieso man dann dauernd darauf pochen muss "aber in Buchläden ..." Das ist ja offensichtlich nicht das Ziel des Schreibers, wenn er seine Geschichte bereits vertont hat.


    Nerat Oti und 1. Kapitel

    Ja, also mein Eindruck ist hier derselbe. Der beschriebene Text funktioniert wunderbar als Hörbuch, aber etwas weniger als schriftlicher Erzähltext. "Er war ein Zauberer und trug den Namen Esra" funktioniert nicht wirklich so gut in einem Erzähltext. Ich bin zwar kein Verfechter dessen, dass dauernd "Show don't tell" eingebracht werden muss, aber hier ist es tatsächlich so, dass deinem Text mehr Show guttäte. Also mehr auf natürliche Weise in den Text einzubringen, dass der Hauptcharakter ein Zauberer namens Esra ist.

    In einem Erzähltext wäre es sonst besser zu lesen Dialoge nicht mit "Bla." - "Blubb." zu trennen, sondern mit mehr Zeilenumbrüchen.

    Ich bin hier aber zwischen den Stühlen, weil es sich gut anhört, daher lese ich deinen Text an manchen Stellen mehr wie ein Drehbuch oder Regieanweisungen.

    Deine Auswahl an Musik ist ebenfalls sehr passend und angenehm. Erinnert mich an meinen Lieblings-DM, der kommt auch immer mit Hintergrundmusik an. :D

    Find's btw gefällt es mir, dass du deine Geschichte nicht mit einem 10-17jährigen Büblein beginnst, der plötzlich magische Fähigkeiten erhält, wie man es halt so im Genre kennt, und als deinen Hauptcharakter hier einführst, sondern mehr Fokus auf den Zauberer setzt, der schon Jahrzehnte unterwegs ist und sich dennoch in Ausbildung befindet.

  • Sorry, aber vergleichst Du Dich gerade mit Stephen King?

    Mach, wie Du denkst. Es gibt aber Menschen, die schlagen im Buchladen das Buch eines unbekannten Autors auf und treffen nach ein, zwei Seiten eine Entscheidung.

    keineswegs. Ich wollte damit sagen, dass es auch andere Fälle gibt. King konnte mich oft anfangs nicht überzeugen.

    Und nochmal: das Werk wird es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (!!!) nicht in einen Buchladen schaffen und ist als atmosphärisches Hörbuch angelegt.

  • Sorry, aber vergleichst Du Dich gerade mit Stephen King?

    Mach, wie Du denkst. Es gibt aber Menschen, die schlagen im Buchladen das Buch eines unbekannten Autors auf und treffen nach ein, zwei Seiten eine Entscheidung.

    keineswegs. Ich wollte damit sagen, dass es auch andere Fälle gibt. King konnte mich oft anfangs nicht überzeugen.

    Und nochmal: das Werk wird es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (!!!) nicht in einen Buchladen schaffen und ist als atmosphärisches Hörbuch angelegt.

    Es könnte durchaus sein, dass Dein Talent eher im Bereich Hörbücher/Hörtexte liegt. Wird interessant werden, das herauszufinden :)

  • LittleOwlbear erneut vielen Dank für die netten Worte und konstruktive Kritik. Ich persönlich finde sogar, dass ich im Laufe der ersten 6 Kapitel immer besser mit dem Vertonen werde. Auch fand ich erst ab Kapitel 5 die richtige Stimme für Esra.

    Du wirst auch mit der Zeit merken, dass Esra nicht der einzige ist, auf den ich mein Augenmerk lege. Ähnlich wie bei LOTR werden sich bei mir auch mehrere Erzählstränge, die parallel laufen, entwickeln. Aber anfangs muss ja erst einmal die Basis geschaffen und die Gruppe zusammengeführt werden, ne?


    Eegon2 ja, ich sehe meine Kompetenz eher im Lausch-Bereich. Auch, weil ich sehrgerne mit meiner Stimme schauspiele und ein großer Fan von guten Hörbüchern/-spielen bin.

    Bilde Dir gern deine eigene Meinung und hör rein ^^


    Kapitel 2

    Das Palaver

    Esra setzte sich zu Jason an das wärmende Feuer und bemerkte seine ängstlichen und verschlossenen Blicke. Trotz der Schmutzschicht erkannte der Zauberer, dass Jason nicht nur dünn, sondern regelrecht hager war. Er hatte rehbraune Augen, blonde Haare und schien etwa zehn oder zwölf Sommer gesehen zu haben. Esra sagte mit gütigem Lächeln: „Mit einem leeren Magen lässt sich schlecht reden. Also ich habe Hunger und wie steht es mit dir, junger Mann?“ Zaghaft und schüchtern nickte der ausgemergelte Junge mit einem traurigen Blick zur Seite.

    „Na, dem sollten wir Abhilfe schaffen,“ grinste der Magus: „ Meinst du nicht auch?“ – „I…ich will Euch nicht zur Last fallen, Herr,“ stammelte der Knabe, dessen Magen deutlich hörbar knurrte. „Papperlapapp!,“ lachte Esra schallend: „selbstredend werden wir alles teilen!“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, schon griff er ein weiteres Mal in seinen Umgang und beförderte ein Bündel zum Vorschein. Das Bündel enthielt einen halben Laib Brot, Schinken und drei Äpfel. Mit dem Runenmesser schnitt er je zwei dicke Scheiben des Brotes und Fleisches ab und reichte dem Jungen jeweils eine Scheibe. Dieser schaute zuerst ängstlich, dann jedoch riss er Esra beides aus der Hand und vergrub seine Zähne darin, als würde ihm die Nahrung gleich wieder entrissen. „Immer mit der Ruhe, junger Freund. Iss lieber langsamer, damit dir kein Bissen im Halse stecken bleibt,“ lachte Esra. Schuldbewusst schaute Jason zu Boden und murmelte mit übervollem Mund: „Verpfeit, Herr…“ – „Vergiss bitte das ‚Herr‘. Ich möchte dich lieber als Gefährte auf meinem Wege sehen,“ sagte Esra freundlich lächelnd und biss von einem Apfel ab.

    Nachdem sie das Mahl verzehrt hatten, nahm Esra seine Pfeife heraus, begann sie zu stopfen und sprach: „Also Jason, erzähle mir von Dir…“ – „W…was wollt Ihr wissen…?“ fragte der Knabe schüchtern. „Nun, wie wäre es zu Anfang mit deinem Alter?“ interessiert blickte der Magus den Jungen an, nahm einen brennenden Span aus dem Feuer und entzündete seine Pfeife. „I…ich…“sagte Jason flüsternd mit traurigem Gesicht. „Du weißt es nicht…“stellte Esra fest. „N…Nein. Verzeiht, Herr… Ich meine: Verzeiht,“ stammelte Jason. „Ich wiederhole mich,“ lächelte der Mann: „ Wir sind Gefährten. Also sage ruhig ‚Du', sofern du nicht ebenfalls mit ‚Ihr’ und ‚Euch‘ angeredet werden möchtest.“ – „N…Nein, nein. Verzeiht… Ich meine: verzeih…“ sagte Jason und wurde rot. „Nun, möchtest du wissen, wie alt du bist?“ fragte Esra. „Ja, sehr gerne sogar,“ Jason blickte zum ersten Male den Zauberer lächelnd an. „Dann finden wir es heraus. Reiche mir bitte deine Hand,“ sprach Esra. Der Junge sah den Magus angsterfüllt an und umklammerte schützend seinen Arm. Esra sprach: „ Sorge dich nicht, dir wird nichts geschehen. Ich möchte dich nur untersuchen.“ Zögernd und immer noch zutiefst verängstigt streckte der Junge seine Hand dem Magus entgegen. Dieser begann damit, Hand und Unterarm des Jungen behutsam abzutasten und genau zu untersuchen. Dann blickte er Jason konzentriert erst in das linke, dann in das rechte Auge. „Hmmm… Es sieht ganz danach aus, als wärest du vor dreizehn Sonnenzyklen im Sommer geboren worden und würdest aus dem Südwesten von Mittwelt stammen,“ stellte der Magier schließlich fest. Jason schaute staunend auf seine Hand herab und fragte: „Das alles kannst du aus meiner Hand lesen??“ – „Das ist nur eine Kleinigkeit und simples Medizin-Wissen. Man kann nämlich das Alter anhand des Unterarmknochens und der Länge der Fingerknochen recht genau feststellen,“ erklärte der Gelehrte bereitwillig dem interessierten Knaben.

    „Wie kamst du zu dem Holzfäller?“ fragte Esra. „I…ich bin weggelaufen und wusste nicht weiter… in diesem Wald verirrte ich mich und Mortekai fand mich und nahm mich auf. Es war immer noch besser, als zu verhungern oder zu erfrieren, dachte ich anfangs, aber er wurde immer gemeiner und böser weil ich nicht stark genug war, um ihm zu helfen,“ erzählte Jason traurig. Seinen Kopf hielt er die ganze Zeit gesenkt. „Weggelaufen…?“ hakte Esra nach. „…J…ja… Davor war ich bei einem Schankwirt. Dort musste ich die ganze Zeit bedienen, am Tage die Krüge spülen, des Nachts den Schankraum putzen und viele andere niedere Arbeiten verrichten. Und jedes Mal, wenn ich einen Krug zerbrach oder etwas falsch machte, wurde ich mit einem Riemen so sehr verprügelt, bis mein Rücken blutig war.“ Tränen standen in Jasons Augen: „zwei Jahre war ich im Eberkopf, dann lief ich fort.“ – „Was geschah davor..?“ fragte Esra sichtlich gerührt. „Davor…? I…ich… davor…“ Jason schlang die Arme um die Knie, verbarg sein Gesicht und weinte bitterlich.

    Mit traurigen Augen betrachtete der Zauberer das schluchzende Häufchen Elend. „Mein Gott… Ich hätte niemals gedacht, dass ein solch junges Leben schon solch dermaßen viel Schmerz und Elend bergen kann. Ich muss etwas tun, denn es wird das Kind sonst von innen heraus auffressen,“ grübelte er. Inzwischen brach langsam die Dämmerung herein und der Tag schickte sich im purpurnen Abendgewand an, sich zu verabschieden.

    Esra schaute bestürzt ins Feuer und wartete, bis der Junge sich wieder beruhigte. Dann sprach er: „So viel Schmerz habe ich noch nie bei einem Lebewesen verspüren müssen. Vergib mir wenn ich dich verletzt habe.“ – „Nein… *schluchz*…Schon gut… *schnief*…“ gab der Junge von sich. „Ist es NICHT!! Es ist KEINESFALLS gut!!!“erhob Esra seine Stimme und hatte nun selbst Tränen in den Augen: „Ich kann dir den Seelenschmerz nehmen, jedoch nicht deine Erinnerungen… Du musst es mir nur sagen und erlauben. Aber ich denke, für heute ist genug erzählt und wir sollten ein wenig Schlaf finden, da mittlerweile die Nacht hereinbricht.“ Jason blickte mit durch das Weinen roten Augen zu dem Magier auf und nickte leicht. Nun legten sich beide am Feuer nieder und schliefen rasch ein und den Schlaf der Gerechten.

    Noch vor dem Morgengrauen erwachte Esra wie an jedem anderen Morgen davor. Der Morgenstern, von den Magiern „die alte Mutter“ genannt, stand direkt über ihm, als er die Augen aufschlug. Es schien fast, als wollte der Stern dem Menschen durch sein Funkeln und Glimmern etwas mitteilen. Esra setzte sich auf, stopfte seine Pfeife und beobachtete den schlafenden Knaben, der schon so viel Leid erdulden musste. Er war gutaussehend. Seine feinen Gesichtszüge erinnerten den Magus sehr stark an die sanften und anmutigen Züge der Elben. „Dieser Junge hat etwas Besonderes an sich. Ich weiß nicht, was es genau ist, aber es ist unverkennbar da. Hätte ich doch nur schon die seherischen Fähigkeiten eines Grauen…“ dachte Esra und musste weiter Vorlieb mit den Ahnungen nehmen, die er bereits besaß. Er vernahm eine flüsternde Stimme innerhalb seines Kopfes. Diese Stimme kannte er schon sehr gut, es war die seines Inner-Ichs. „Der Junge MUSS von seinem Schmerz befreit werden, dann wird er sicher sein volles Potential entfalten können. Ich spüre, dass er Großes erreichen könnte…“ raunte die Stimme. Der Magus hatte schon lange gelernt, dieser Stimme sein Vertrauen zu schenken.

    ⁹Plötzlich wurde er jäh aus seiner Grübelei gerissen, als er eine Klingenspitze in seinem Rücken verspürte und ihm eine Stimme ins Ohr raunte: „Ein Kind und ein alter Mann allein im Walde… Wenn DAS nicht eine Einladung ist…“ Ganz langsam legte Esra beide Handflächen auf den Waldboden, murmelte lautlos etwas und sagte dann lachend: „Das ‚alt‘ nimmst du gefälligst zurück…!“

    Kaum hatte der Magus die Worte ausgesprochen, verschwand die Dolchspitze aus seinem Rücken und ein verwunderter und ebenso überraschter Ausruf war zu vernehmen. Als Esra sich grinsend umdrehte, sah er einen Mann kopfüber an kräftigen Efeuranken zwei Schritt über dem Boden hängen. Er wurde von den Schlingpflanzen, die der Zauberer beschwor und die sich ohne jedes Geräusch aus den Wipfeln auf den hinterhältigen Angreifer zubewegten, völlig überrascht.

    „Pirscher! “sagte Esra hocherfreut: „alter Freund!“ – „Wie ich sehe, lässt du dich noch immer nicht überraschen…“ lachte dieser peinlich berührt. Er war ein Waldläufer und trug, genau wie Esra, grüne Gewänder. Seinen wahren Namen kannte Esra nicht und hielt dies auch nicht für wichtig. Die beiden hatten sich vor Jahren kennengelernt. Damals lag Pirscher durch einen üblen Wolfsbiss dem Tode geweiht im Walde, wo der Magus ihn durch Zufall fand, seine Wunde versorgte und ihn heilte. Seitdem waren sie gute Freunde, die sich von Zeit zu Zeit zufällig über den Weg liefen.

    Mit einer Geste des Zauberers wurde der Freund sanft zu Boden gelassen. „Wie ist es meinem bevorzugten Waldläufer ergangen?“ wollte Esra von seinem Freund wissen. „Gut, gut. Nut unlängst habe ich eine Menge Blut im Kopf,“ grinste Pirscher amüsiert: „Doch sprich, wer ist der Knabe, mit dem du reist?“ – „Lass uns ein Stück gehen und das Kind noch etwas schlafen. Dabei erzähle ich dir die ganze Geschichte.“

    Nachdem Esra die Geschehnisse des vergangenen Tages berichtete, schloss er mit den Worten: „Jetzt stehe ich vor einem großen Problem: Jason besitzt weder Schuhwerk noch der Kälte angemessene Kleider…“ Der Waldläufer entzündete seine Pfeife, die er mit Esras Tabak stopfen durfte, schmauchte einmal und grübelte kurz. Schließlich sagte er: „Mir ist jemand noch einen Gefallen schuldig. Ich glaube, es ist Zeit, diesen einzufordern. Du sprichst wahr, wenn du sagst, dass es kein Lebewesen verdient, in solch zartem Alter schon solche Seelenqualen erleiden zu müssen. Und deshalb will auch ich mein Bestes dazu beitragen, dass dem Knaben ein wenig Glück und Güte wiederfährt. Warte hier den Tag über, alter Freund. Ich werde dafür sorgen, dass euch beiden geholfen wird.“ Kaum hatte Pirscher dies gesagt, huschte er hinter ein paar Bäume und ward nicht mehr gesehen. „Bewundernswert, wie Waldläufer es immer wieder vermögen, mit der Umwelt SO zu verschmelzen,“ dachte Esra voll Anerkennung für seinen Freund lächelnd mit dem Kopf schüttelnd.

    Zurück am Lagerplatz ließ sich der Mann am Feuer nieder. Der Tag kündigte sich langsam durch eine herrliche Morgenröte an. Esra nahm seine lange, gestopfte Pfeife und entzündete sie. Schmauchend ruhten seine Augen auf dem schlafenden Jungen, dessen Gesicht jetzt, da er in der Traumwelt weilte, einen unsagbar friedlichen Ausdruck zeigte und noch weitaus mehr an die Züge der Elben erinnerte.

    Es war schon fast völlig hell, als Jason die Augen öffnete, panisch emporschrak und erschrocken „Was!? Schon hell??“ ausrief. „Ganz ruhig…“ besänftigte ihn sein neuer Gefährte: „Dir geschieht nichts, nur weil du Schlaf brauchst. Selbst wenn du bis in die Mittagsstunden geschlafen hättest, wäre es gut gewesen. Ein junger Körper braucht seinen Schlaf.“ Da beruhigte sich der Junge und setzte sich auf. Er sagte: „Guten Morgen… ich habe mich noch gar nicht für meine Rettung bedankt. Und für den Kräuter-Verband, denn es geht meinem Knöchel wieder völlig gut. Und für das Mahl… Nicht einmal weiß ich, wie ich mich angemessen bedanken könnte… Du hast schon so viel für mich getan...“. Traurig schaute Jason den Bärtigen an, der ihm gestern nicht nur das Leben rettete. „So viel Trauer, Angst und Schmerz…“ sagte Esra kopfschüttelnd zu sich selbst. Zu Jason sagte er: „Ich weiß, wie du mir danken kannst: Lass mich dir ein neues Leben schenken. Du wirst dich zwar an dein altes Leben immer erinnern können, aber die Pein wäre weg. Tief in meinem Innersten tut es mir nämlich ebenfalls weh, dich so leiden zu sehen. Ein Kinderherz sollte mit Lachen angefüllt sein und nicht mit Tränen.“ – „I…ich habe Angst…“ flüsterte Jason. „Nur zu gut verstehe ich dich. Ich fühle, nie konntest du einem Erwachsenen vertrauen. Dann lass mich von meinem Leben erzählen, vielleicht gewinnest du dadurch wenigstens ein klein wenig Zutrauen, dass nicht alle so sind,“ bot der Magus dem immer noch verängstigten Jungen an, während er ihm einen der verbliebenen Äpfel reichte. Während Jason in den angebotenen Apfel biss, fing Esra an zu erzählen und nahm den Jungen mit auf eine Phantasiereise in Esras Kindheit…

    Einmal editiert, zuletzt von Chaos Rising (9. Februar 2024 um 21:51) aus folgendem Grund: 2 Beiträge von Nerat Oti mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • So, ich hab dann auch mal hereingeschaut. :party:

    Die Geschichte an sich klingt gar nicht schlecht und hat auf alle Fälle viel Potenzial. Ich bin hier mal durchaus gespannt wo die Story hinführt.

    Allerdings muss ich zugeben, dass das, was Eegon2 in seinem ersten Kommentar bezüglich der Absätze angemerkt hat, durchaus auch mein Empfinden entspricht. Wenn du ein Gespräch führst, ist es für den Leser -meiner Meinung nach- wesentlich leichter und angenehmer dem Gespräch zu folgen, wenn du Absätze einbaust, jeweils dann, wenn der Sprecher wechselt. Das macht es wesentlich einfacher und leichter dem Gespräch zu folgen und erinnert mich -persönlich- auch nicht an die grausame Schullektüre, die ich lesen musste, wo null Absätze drin waren und mir der Kopf immer geschwirrt hat. :S

    Gut, dass ist aber nur mein Empfinden und auch nebensächlich. ;)

    Deine Wortwahl und Sprache, die du hier in die Geschichte einfließen lässt, gefällt mir ausnehmend gut :thumbsup: und ist auch High-Fantasy-mäßig genau passig, meiner Meinung nach. Was mir allerdings noch aufgefallen und mir nicht ganz so gut gefällt, ist es, dass du zwischendrin Wörter in kompletten Großbuchstaben schreibst um etwas zu verdeutlichen. Das geht natürlich, macht sich in einer Geschichte aber nicht ganz so gut. Besser wäre es hier, wenn du das durch mehr Beschreibungen unterstreichen würdest.

    So, jetzt habe ich genug kritisiert :) Ich bin mal gespannt wie und wann es weiter geht und wohin uns die Geschichte führen wird. :stick:

    xoxo

    Kisa

  • Kisa danke für die konstruktive Kritik. Behalte aber bitte im Hinterkopf, dass es ein atmosphärisches Hlrbuch wird.

    Um Doppelposts zu umgehen, poste ich nun Kapitel 3 (Der Rückblick in Esras Leben)


    Die Geschichte des Magus

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    Esra war acht Jahre alt und lebte mit seinen Eltern in dem Dorf Krysalion in den Ausläufern der Spitzhornberge im Nordwesten Endwelts. Er war das einzige Kind, obwohl sich seine Eltern noch weitere Nachkommen erhofft hatten, aber alle Versuche und Bemühungen waren fruchtlos geblieben.

    Seit mehreren Tagen plagten Esras Eltern schweres Fieber mit Schüttelfrost. Hinzu kam, dass sich hässliche Beulen zeigten, die immer wieder aufbrachen und fürchterlich nässten. Ihnen ging es von Tag zu Tag schlechter und die Lebenskraft schwand dem armen Bauerspaar mehr und mehr und der kleine, schwarzhaarige Junge musste das Siechtum seiner Eltern hilflos mit ansehen.

    Eines Tages hörte Esra die Nachricht, dass im Nachbarort ein reisender Heiler Rast gemacht habe und so machte sich der Junge so schnell er konnte auf den Weg, um Hilfe zu holen. Als er jedoch dort ankam, musste er schmerzlich erfahren, dass der Heiler bereits weitergezogen war, also machte sich der besorgte Junge am nächsten Morgen wieder auf den Heimweg.

    Noch bevor die Sonne vollends aufgegangen war, verließ Esra den Pferdestall, in dem er im Stroh unruhig geschlafen hatte und machte sich so schnell er konnte auf den Heimweg. Als er sich der bescheidenen Hütte, welche sein Zuhause war, näherte, sah er über der Hügelkuppe, die sich zwischen ihm und seinen Eltern befand, dunklen Rauch aufsteigen. Esra begann zu rennen. Als er die Hügelkuppe erreichte, sah er mit größtem Entsetzen, dass die Hütte lichterloh brannte und zwei Menschen davor standen. Die Flammen schlugen meterhoch in den Himmel hinein. Schreiend und weinend rannte Esra noch schneller zu dem brennenden Etwas, was acht Jahre lang seine Heimat bildete.

    Die beiden Männer vor dem Feuer waren der Bürgermeister und der Schlichter von Krysalion. Sie entdeckten Esra, wie er auf sie zu rannte und der Schlichter lief ihm entgegen. Als sich beide auf gleicher Höhe trafen, hielt der kräftige Mann den weinenden Jungen fest und hinderte ihn so daran, weiter zu laufen. Mit belegter Stimme sprach er zu Esra: „Deine Eltern sind tot. Die Pest hat sie dahingerafft. Wir MUSSTEN alles in Brand stecken, damit sich die Krankheit nicht weiter ausbreitet…“ – „NEEEIIINNN!!!“, brüllte Esra: „MAAAMAAA, PAAAPAAA!!!“ – „Du kannst nichts mehr für sie tun. Es tut mir so Leid… So unendlich Leid…“ Esra riss sich los, lief wie betäubt ein paar Schritte auf die lodernden Flammen zu und sank bitterlich heulend auf die Knie. Alles kam ihm vor, wie ein grauenvoller Albtraum und er fühlte nur einen einzigen Wunsch: Weg! Esra sprang auf und lief los. Egal wohin! Egal wie weit! Nur weg! Er lief und lief und lief… Tränen rannen ihm die ganze Zeit die Wangen hinab und bildeten salzige Spuren auf der Haut.

    Nach einer gefühlten Ewigkeit blieb der Junge stehen. Esra sah ich um und erkannte, dass er in der Gegend völlig fremd war. Da die Sonne schon den Horizont in der Ferne berührte, beschloss der Junge, der seit dem heutigen Tage Vollwaise war, sich einen Platz zum Schlafen zu suchen. Es war schon fast dunkel, als Esra eine alte Scheune fand, erschöpft ins Heu sank und sich in den Schlaf weinte. Am folgenden Morgen beschloss Esra, er würde niemals wieder nach Krysalion zurück zu kehren und machte sich auf den Weg: Immer der Nase nach.

    Die Zeit ging ins Land und Esra bemerkte, dass das Leben sehr hart sein kann. Besonders für einen kleinen Jungen, welcher allein und ohne Münzen in der Tasche durch die weite Welt zog. Mittlerweile zählte Esra zehn Jahre und schlug sich (mehr schlecht als recht) durch die Straßen Ionsheims, einer großen Stadt im Königreich Gaurasund. Des Tages ging er um ein Stück Brot bettelnd durch die mit zahlreichen Menschen gefüllten Straßen und Gassen, abends versuchte er, auf den Marktplätzen den müden Händlern etwas Essbares zu stehlen oder wühlte in den Abfällen nach angeschlagenem Obst und Gemüse und die Nächte verbrachte er frierend unter einer Brücke oder in einem Hofeingang. Die harte Zeit ohne Geld und Obdach hatte ihn sehr hager gemacht.

    Es war an dem Wiegenfest von König Roderick, als in Ionsheim ein rauschendes Fest abgehalten wurde. Die gesamte Stadt war festlich in den Farben der Krone geschmückt und präsentierte sich in einem herrlichen Blau und Rot. Esra freute sich, denn in der dichten, von Bier, Met und Wein gelösten Menschenmenge, die sich bei solchen Festen auf den Straßen tummelten, war es manchmal leicht, einen Geldbeutel zu entwenden. Als er sich durch die Menge bewegte, fiel ihm ein alter Mann mit weißer, fein mit Glasperlen und Pailletten bestickten Robe und einem ebenso weißen, fein verzierten Gehstab auf und er sah, dass sich an seinem Gürtel ein praller Geldbeutel befand, dessen Knoten, der ihn am Gürtel hielt, sich schon fast gelöst hatte. Esra dachte bei sich: „Dem feinen Herrn wird der Verlust des Geldes nicht allzu schmerzen, ich versuche mein Glück. Das wird mir sicher mindestens eine Woche lang den Bauch füllen und ich komme weg von hier“.

    Alle gebührende Vorsicht walten lassend, näherte sich Esra der überaus nobel aussehenden Gestalt. Als er nur noch einen Schritt von ihm entfernt war, griff er den Beutel und wollte Fersengeld geben, aber sein niederes Vorhaben scheiterte jäh. Der Beutel ließ sich nämlich nicht vom Gürtel lösen und -schlimmer noch- war es Esra nicht möglich, den Beutel loszulassen. Seine Finger krampften sich um den Beutel und gehorchten dem armen Jungen nicht mehr.

    Erschrocken blickte Esra erst auf den Beutel und dann zu dem Mann, der ihm das faltige, lächelnde Gesicht zuwandte, welches durch einen langen, gepflegten, weißen Bart geziert wurde. „Na, junger Mann…?“, sprach ihn der Weißhaarige an: „Dein Vorhaben scheint mir ein wenig missglückt, nicht wahr…?“ – „L…lasst mich fort! Bitte, habt erbarmen mit mir!“, flehte Esra und versuchte erneut, sich loszureißen, denn er wusste nur zu gut, was mit Dieben hier geschah: Sie bekamen die Ohren abgeschnitten. „Nun mal recht langsam“, sagte der Alte in ruhigem Ton: „Zuerst habe ich eine kleine Bitte an Dich.“ – „Ei… eine Bitte…?“, DAMIT hatte der dürre Junge nicht gerechnet: „W… was für eine Bitte?“ – „Langsam, langsam. Das erzähle ich dir bei einer anständigen Mahlzeit, denn Du siehst ganz danach aus, als könnest Du eine solche wirklich gebrauchen“, lächelte der fremde Alte und setzte sich in Bewegung. Esra blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, denn seine Finger wollten sich noch immer nicht von dem wunderlichen Beutel des Greises lösen lassen.

    Der Mann in edlem, beinahe leuchtendem Weiß hielt auf eine Taverne zu und betrat diese, gefolgt von dem hilflosen Esra. Er sprach zu dem gutmütig aussehenden Schankwirt: „Gebt mir einen Becher Wein und dem Jungen eine ordentliche, warme Mahlzeit, mein Guter“, dann setzte er sich an einen freien Tisch. „Versprich mir, dass du nicht Fersengeld gibst und fortläufst und ich löse den Bann, der Dich an meinen Geldbeutel fesselt“, sprach er mit ernster Mine zu dem Jüngling. „I… Ich gelobe es… Bei meinen toten Eltern…“, sagte dieser, denn er sah keinen anderen Ausweg. Außerdem bekam er sogar ein warmes Mahl, anstelle von Prügeln oder gar Schlimmeres.

    Der Greis schaute Esra ein paar Lidschläge lang tief in die Augen, dann hob er seine altersfleckige Hand über die des Jungen, welche am Beutel haftete, schloss konzentriert die Augen und murmelte etwas in einer Esra unbekannten Sprache. Mit einem Male war seine Hand frei und Esra massierte sich die schmerzenden Finger, die den Geldbeutel so krampfhaft durch einen Zauber festhalten musste. „Nun zu meiner Bitte“, setzte der Mann in weiß an, der offenbar ein Magus war. In diesem Augenblicke kam der Schankwirt, stellte dem Zauberer einen Kelch Wein und Esra eine große, dampfende Schüssel Getreidebrei mit zerkleinertem Fleisch hin und sagte. „Wohl bekommˋs, Meister Ionan.“ Esra riss die blauen Augen auf und blickte den Magus ungläubig an und fragte: „I… Ihr seid Lod Ionan, der Geduldige?“ – „Das ist wahr.“ – „DER Ionan, nach dem diese Stadt zum Dank für unzählige gefährliche Einsätze benannt wurde?“ – „Auch dieses entspricht der Wahrheit“, antwortete Ionan breit lächelnd. „V… verzeiht tausendmal! Ich… Ich wusste nicht…“, stammelte Esra. „Schon gut, schon gut“, winkte der Magier, der den höchsten Zauberer-Grad trug, ab: „Nun zu meiner Bitte: Höre mir einfach aufmerksam zu, was ich zu erzählen habe. Nicht mehr und nicht weniger. Iss ruhig dabei, bevor das gute Essen kalt wird.“ – „Nur zuhören und essen?“, Esras Augen wurden erneut groß: „Ja, Herr. Danke, Herr…“ – „Du bist etwas ganz Besonderes, Esra Bolofar…“, eröffnete Ionan. „Woher… woher wisst Ihr meinen… Wie…“, staunte der Junge, der seinen Namen schon mehr als zwei Sommer nicht mehr vernommen hatte. „Ich bin ein Magus, schon vergessen? Nun höre zu. Ich habe deine Anwesenheit schon gespürt, als Du noch längst nicht bei mir warst. Also webte ich einen Zauber um meinen Geldbeutel, da ich auch deine Verzweiflung und Deine Absichten spürte, damit wir jetzt hier sitzen und reden konnten. Du besitzt nämlich ganz bestimmte Gaben. Gaben, die jeder Magus benötigt. Daher habe ich ein Angebot für Dich: Ich biete Dir die Möglichkeit, ein Zauberer zu werden. Aber bedenke, dass die Ausbildung sehr, SEHR langwierig sein wird… Jedoch wirst du dann nicht mehr Hunger leiden müssen und hast ein festes Dach über dem Kopf. Nun, zumindest bis zu deiner Wanderschaft, die ein jeder Zauberer unternehmen muss.“ Die Entscheidung, die Esras Leben völlig verändern sollte, fiel dem Jungen nicht schwer. So begann der junge Esra also seine Ausbildung, die bis zum heutigen Tage andauerte.

    Die Jahre und Jahrzehnte zogen an Esra vorbei und er bestand so manche Prüfung, lernte so manches Wesen kennen und gewann, weil er sich mit Leib und Seele dem Guten verschrieben hatte, so manchen Freund.

  • Nerat Oti

    Bin neugierig was Esra sonst alles an Magie beherrscht und welche Magie er noch erreichen könnte. Das Inner-Ich ist ziemlich interessant und ich frag mich ob es eher eine Art eigene Intuition ist, die eine tatsächliche Stimme erhält, oder ob da noch Magischeres enthält.

    Hatte im dritten Kapitel nicht erwartet, dass du plötzlich eine solch kratzige Altmännerstimme hervorholen könntest haha.

    Ich mag Esra als kleinen Jungen, bestiehlt bevorzugt die Reichen. :D

    Da hatte er sich jedoch den falschen Kerl ausgesucht, oder zu seinem Glück den Richtigen.

    Dass der alte Magus dem jungen Esra gleich eröffnet etwas Besonderes zu sein, ich meine ja....alte Klischees bewähren sich manchmal, mal schauen was folgt ^^

    Dem Jungen in der Gegenwart hätte er wahrscheinlich ohnehin gerettet, aber man merkt, dass er sich mit ihm identifizieren kann.

  • Danke LittleOwlbear. Ja, ich freue mich, dass ich durchaus mit meiner Stimme spielen kann.

    Also folgt hier nun Kapitel 4 (ein wenig schwach, aber für den weiteren Verlauf notwendig)

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    Aus Wirklichkeit wird Erinnerung

    Sorgsam achtete Esra darauf, positive Taten von ihm besonders farbenfroh und genau zu schildern, damit Jason zumindest ein Quäntchen Vertrauen zu ihm fasse.

    „Nun bin ich auf dem Weg zu Meister Kapalua, einem grauen Magier, der am Rande von Ryhan lebt, um ihn um meine nächste Prüfung zu bitten. Außerdem besitzt er eine beachtliche Sammlung magischer Bücher,“ schloss Esra. Mittlerweile stand die Sonne hoch im Zenit und zeigte die Mittagszeit.

    Esra bemerkte, dass Jason immer gefesselter gelauscht hatte und mehr und mehr Vertrauen auf seinem jungen, schmutzigen Gesicht zeigte. Mit großen, staunenden, braune Augen sah ihn Jason an und sagte schließlich: „I…ich habe nachgedacht und es mir überlegt. Ich will dein Angebot versuchen…“ – „ Das erfreut mein Herz,“ sagte Esra hocherfreut, da seine Taktik aufging: „Du wirst dadurch ein völlig neues Leben erhalten, ein hoffentlich ebenso glückliches, wie dein bisheriges traurig war. Zuerst wirst du einen neuen Namen wählen, denn nach dem Ritual wird dir Jasons Leben nur noch wie eine Alb-Geschichte erscheinen.“ – „W…was?!? Was wird mit mir geschehen??“ fragte der Junge mit nackter Panik in den Augen. Esra sprach mit beruhigender Geste: „Sei unbesorgt… Nichts Schlimmes oder Schmerzhaftes wird dir widerfahren. Ich entziehe dir nur all den Schmerz, der deine Seele ausfüllt und fesselt. Nimm den neuen Namen einfach als Schlussstrich unter dein altes und den Beginn deines neuen Lebens.“

    „W…wie soll ich denn heißen…?“ fragte Jason. „Das ist deine alleinige und freie Entscheidung, denn DU trittst in ein neues Leben,“ erklärte der Zauberer lächelnd. „Hmmm…,“ machte der Junge, der bislang Jason war: „Mir gefiel immer schon der Name ‚Chirico‘. Den kann man auch abkürzen: Chico. Ich finde, dass das irgendwie schön klingt.“. Esra erklärte: „Chirico. Ein sehr starker Name. Einst gab es einen Krieger mit diesem Namen, der ein Balrok besiegte. Eigentlich gelingt dies nur einem erfahrenen Magier und dies auch nur sehr schwer, weil es ein Feuer-Dämon aus den tiefsten und dunkelsten Tiefen der Unterwelt ist. Du hast also sehr gut gewählt. Von nun an bist du Chirico, genannt Chico. Jetzt lege dich bitte hin, entspannen dich und schließe deine Augen.“. Noch-Jason und Bald-Chirico tat wie geheißen, blickte Esra noch einmal angstvoll an und schloss dann mit einem tiefen Atemzug seine jungen Augen.

    Esra kniete sich neben den Kopf des Knaben, legte behutsam eine Hand auf dessen Brust und seine andere Hand auf den Kopf des Jünglings. Dann begann er, magische Beschwörungen zu murmeln und diese immer wieder zu wiederholen. Wenig später fing es an, zwischen den Handflächen des Magiers und der Haut des Jungen orange-rot zu leuchten. Schweiß trat auf die Stirn des hochkonzentrierten Zauberers. Sogar der Schnee rings um sie herum begann zu schmelzen…

    Etwa zwanzig Minuten vergingen auf diese Art, dann löste der Magus seine vor Erschöpfung zitternden Hände von dem Liegenden und er sank kraftlos nach hinten. Der Knabe schlug die Augen auf, blinzelte ein paarmal und schaute sich verwundert um. Als er den schwer atmenden Esra neben sich liegend erblickte, sprang er panisch auf, rief: „ESRA!!!“ und schüttelte seinen Retter und neuen Freund. Dieser schlug mit unheimlicher Anstrengung die Augen auf, sah mit müden Augen die Besorgnis auf dem Gesicht des Jungen und sagte: „Es ist alles gut, ich bin nur erschöpft, weil es mir noch nicht leicht fällt, diese starke Magie heraufzubeschwören und zu bündeln… Beantworte mir aber eine Frage: Wie lautet dein Name, junger Freund…?“ – „Willst du mich zum Narren halten!? Ich bin's, Chico!“ antwortete der Junge, der morgens noch Jason war, voller Überzeugung. Esra lächelte: „Ich war sicher, dass ich dich vorhin noch Jason nannte…“ – „Unfug!“ sagte Chico, jedoch schwang eine gewisse Unsicherheit in seiner Stimme mit: „aber der Name kommt mir irgendwie vertraut vor…“.

    Esra setzte sich umständlich auf und fragte: „Wie fühlst du dich, Chico?“ – „Wunderbar, jetzt, da ich weiß, dass es dir gut geht. Du hast mir einen ordentlichen Schrecken eingejagt,“ antwortete Chirico und umarmte seinen neuen, ersten Freund stürmisch: „Danke. Danke für alles! Ich weiß zwar nicht, weshalb, aber ich fühle, dass ich dir unbedingt danken muss und tief in deiner Schuld stehe…“ Darauf sagte Esra: „Ich werde dir alles erklären, höre deshalb gut zu. Also…“

    „…und jetzt existiert Jason nur noch als traurige Erinnerung. Im Grunde wurdest du als Chirico neu geboren,“ schloss der Magus. „Das bedeutet also, die Geschichte, an die ich mich erinnere, ist wahr und mein eigenes Leben…??“ fragte Chico schockiert. „So leid es mir auch tut… Ja,“ lautete die Antwort des Magus: „Jedoch ist dies kein Grund zur Trauer. Ich finde, wir sollten beschließen, dass heute, wo dein neues Leben beginnt, auch dein Wiegenfest, dein Geburtstag sein sollte, findest du nicht?“ Esra griff unter sein lindgrünes Leinenhemd und beförderte einen wundervollen, silbern leuchtenden Anhänger an einem dünnen Lederband hervor, der um seinen Hals hing. Er zog ihn über den Kopf und reichte ihn Chico: „Dies ist ein Talisman und wird Targdra'an genannt. Schau ihn dir ruhig genauer an.“

    Ehrfürchtig streckte Chico seine Hand aus und Esra ließ Anhänger samt Lederband hinein fallen. Als der Anhänger die Handfläche des Jungen jedoch berührte, ging ein mächtiger Lichtblitz von ihm aus, weshalb Chico ihn beinahe vor Schreck hätte fallen lassen. „E…es fühlt sich ganz warm an,“ stellte der Junge mit Staunen fest: „und es leuchtet irgendwie pulsierend…“ – „Das liegt daran, dass Elben es anfertigten. Das Targdra'an soll seinem Träger Hoffnung, Zuversicht und geistige Stärke verleihen. Deshalb möchte ich es dir gerne als mein Geschenk zum Geburtstage überlassen. Mir hat es schon gute Dienste erwiesen und ich brauche es fortan nicht mehr. Du hingegen solltest es tragen,“ sprach Esra. „Das… das kann ich unmöglich annehmen! Das ist viel zu wertvoll! Nein, behalte es,“ erwiderte Chico ehrfürchtig auf das Kleinod in seiner Hand blickend, die er dem Magus wieder hin hielt. „Oh nein,“ sprach dieser: „dies ist und bleibt mein Geschenk an dich. Halte es in Ehren, denn es besitzt wahrlich große Macht. Verspricht mir nur, dass du, wenn du seines Schutzes nicht mehr bedarfst, es jemandem gibst, der es dringend brauchen kann.“.

    Der Knabe zog langsam seine Hand zurück, blickte noch einmal ungläubig den Zauberer an und streifte sich dann das Lederband samt Anhänger über seine blonden Locken, so dass der Talisman tief auf seiner Brust zu liegen kam. „Ich werde ihn in größten Ehren halten,“ sagte er und ließ das wertvolle Geschenk unter sein verschlissenes und schmutziges Hemd gleiten.

    Plötzlich vernahmen sie aus der Ferne Hufgetrappel über den Waldweg näher auf sie zu kommen. Esra, dem die Worte Pirschers wieder in den Sinn kamen, stand auf, den Ebenholz-Stab auf den Boden gestützt, Chico stellte sich hinter ihn und blickte argwöhnisch in die Richtung der Geräusche.