Ähem. *richtet die Brille und das Mikro* Test.
Ich wage mich langsam wieder ans Schreiben. Bisher reicht es nur für kleine, kurzweilige Dinge, aber mein Hirn und ich freunden uns langsam wieder miteinander an.
Bevor ich mich wieder in die Tiefen des Forums begebe und auch meinen Senf an passender Stelle abgebe, wollte ich noch etwas Kleines von mir dalassen. Ja, ich verstecke mich unter 'nem Stein, so lange nicht wirklich anwesend zu sein und dann erst einmal selbst was reinzuklatschen. Habe aber wieder mehr Luft zum Atmen und bald auch wieder zum Lesen/Kommentieren.
Jedenfalls: Jegliche Kritik willkommen.
- Wüstenherz -
Sand rieselte in abertausend
feinen Körnchen unter seinen Stiefeln die Düne hinab. Lange sah er
den ungleichen Wellen nach, während der Wind an dem hellen Tuch um
seinen Kopf zerrte.
Seufzend schloss Hamza die
juckenden, von Sand verkrusteten Augen. Das Heulen der Dünen erlöste
ihn nicht von dem steten Wimmern und Schluchzen, das sich in seinen
Ohren festgesetzt hatte. Seine Beine fühlten sich unendlich schwer
an, als er sie zwang, kehrtzumachen.
Hamza ignorierte das Pochen
und Ziehen in den Handgelenken, als er seine verkrampften Finger im
Leder der Handschuhe zu lockern versuchte. Tief atmetet er die heiße
Luft um sich herum ein, hielt sie einen flüchtigen Gedanken lang in
seinem Inneren, bevor er sie langsam ausstieß. Augenblicklich
schwoll das Wimmern zu einem herzzerreißenden Weinen an. Eine
Disharmonie vieler Stimmen, die das rauschende Lied der Wüste
vollständig zu übertönen drohte.
Krampfhaft zog sich Hamzas
Magen zusammen. Seine Schritte zurück ins Lager waren schwerfällig
und langsam. Als wollten sie ihn davor abhalten, weiterzugehen, sich
dem Unausweichlichen zu nähern, das ihm das Herz brechen würde. Je
näher er den buntgeschmückten Wohnzelten kam, versteckt hinter und
zwischen den Dünen, desto mehr rebellierten seine Glieder. Die sonst
reich geschmückten Planen voller Fähnchen, Perlen, Knöchelchen und
Falkenfedern wirkten trist, jeglicher Farbe beraubt.
Im Zentrum der im Kreis
angeordneten Behausungen tummelte sich ein Wulst aus
zusammengesunkenen Leibern, die sich gegenseitig im Schatten des
großen Hauptzeltes mit Armen und Schultern stützten, die Köpfe
aneinandergeschmiegt.
Hamza blickte in
tränenverschmierte dunkle Gesichter, deren Augen in unbekannte Ferne
gerichtet waren; viele von ihnen sahen durch ihn hindurch. Erst als
er sich der größten Gruppe Leiber näherte, sah eine junge Frau
auf. Ihr Kopftuch war ihr halb auf die Schultern gerutscht, ihr
sandfarbenes Gewand, das sich sonst ordentlich und sittsam um ihren
Körper schmiegte, war zerknittert und fleckig. Ihre schwarzen Locken
wehten im Wind, fielen zerzaust in ihr verhärmtes Gesicht, das von
etlichen dunklen Linien durchzogen war.
Zoreens Blick traf den seinen;
ein schwermütiges Lächeln huschte über ihre Lippen, nur für einen
Wimpernschlag. Mit einem Nicken deutete sie ihm, ihr ins Zelt hinter
ihr zu folgen.
Hamza zögerte. Seine schweren
Schritte gerieten aus dem Takt. Mit ausdrucksloser Miene hielt Zoreen
die Plane zum Zelt offen. Augenblicke verstrichen, in denen die
beiden sich anstarrten, ehe sie die Lider leicht senkte. Tief holte
Hamza Luft, setzte wie in Trance einen Fuß vor den anderen, bis er
als Erster ins schummrige Innere trat.
Die stickige Luft, der Geruch
nach Schweiß und anderen menschlichen Ausdünstungen gepaart mit dem
beißenden Gestank abgestandenen Rauchs raubten Hamza den Atem.
Langsam zog er den gewickelten Schal von seinem Kopf, fuhr sich dabei
durch das dichte schwarze Haar. Fluchte leise, als er sich mit den
Fingern in den eingeflochtenen Federn und Perlen verfing.
Er ließ den Blick über die
fleckigen Teppiche schweifen, deren ausgebleichten Farben und Muster,
hinüber zu den aufgerollten Decken, dem niedrigen Tisch in der Mitte
des Zeltes, auf dem neben Teebechern und einer zerbeulten Blechkanne
auch etliche Bahnen zerrissenen Stoffes, allerlei Kräuterbündel und
flache Schälchen zu finden waren. Mit pochendem Herzen vermied er
es, zur Schlafstätte dahinter zu schauen.
Zoreen ließ die Plane sinken,
verharrte jedoch am Ausgang.
Hamzas Herz widersetzte sich
einem gleichmäßigen, ruhigem Schlagen, während er seine
Aufmerksamkeit allmählich auf das heftete, was nur wenige Schritte
von ihm entfernt lag. Zittrig schöpfte er Atem, schalt sich selbst
einen Narren für sein Zaudern. Doch der ausgemergelte Körper dort
hatte nur noch wenig mit der lebensfrohen Seele seines Vaters gemein.
»Er wird immer schwächer«,
bemerkte Zoreen leise.
Hamza unternahm mehrere
Anläufe, bevor er seiner Stimme auch nur ansatzweise vertraute,
nicht wegzubrechen. »Wie lange?«
»Ein paar Stunden? Minuten?«
Ihr Flüstern hätte ebenso gut ein Schreien sein können. »Geh zu
ihm.«
Alles in ihm sträubte sich,
schrie nach Flucht. Dennoch zwang sich Hamza, nach vorn zu treten,
sich dem Nachtlager aus Teppichen und Decken zu nähern und sich
davor auf Knien niederzulassen.
Mit rasselndem Atem öffnete
sein Vater die Augen. Seine Wangen waren eingefallen, Knochen stachen
deutlich hervor und die Haut hatte jeglichen Glanz verloren. Seine
grauen Locken standen in spröden Strähnen vom Kopf in alle
Richtungen; jeglicher Schmuck, den er stets mit Stolz getragen hatte,
fehlte in ihnen.
Erst, als die aufgesprungenen
bläulichen Lippen sich bewegten, merkte Hamza, dass sein Vater ihm
etwas zu sagen versuchte. Widerwillen lähmte ihn, bis er sich zwang,
den Oberkörper vorzubeugen und das Ohr dem Mund seines Vaters zu
nähern.
Die einst so kräftige dunkle
Stimme war zu einem leisen Hauch verkommen. So sehr Hamza sich
bemühte, einen Sinn daraus zu erkennen, es blieben zusammenhangslose
Worte. Einige Sekunden verharrte er, dann richtete er sich wieder
auf, wütend über seine Erleichterung, nicht mehr so dicht bei ihm
sein zu müssen. Mit leeren Augen sah sein Vater zur Zeltdecke
hinauf. Er folgte seinem Blick, verzog das Gesicht zu einer
verächtlichen Grimasse, als er der verbrannten Kräuterbündel
gewahr wurde, von denen kaum mehr als verkohltes Seil und Stängel
über waren.
Als er sich erneut seinem
Vater zuwandte, hatte dieser den Kopf zu seinem Sohn gerichtet, doch
die dunklen Augen waren verschleiert, schienen durch Hamza
hindurchzusehen. Unentwegt formten seine Lippen unverständliche
Worte. Am liebsten hätte Hamza ihn an den Schultern gepackt und
geschüttelt, er solle endlich zu Sinnen kommen, doch Scham und Ekel
pressten seine Hände fest in seinen Schoß.
»Kein Verstand in ihnen, kein
Erkennen«, murmelte Hamza heiser. Zoreen schwieg. »All die Tage, in
denen seine Gedanken klar waren, sie wirken so weit weg. Von einem
auf den nächsten Tag benimmt er sich wie ein Kleinkind. Macht alles,
was er nicht soll. Wie oft habe ich mich gefühlt, als würde ich
gegen eine meterhohe Sanddüne sprechen, gegen den heulenden Wind
ankämpfen?« Tief atmete er durch. Ein trauriges Lächeln breitete
sich unweigerlich über sein Gesicht aus, während er versuchte die
Erinnerungen an seinen Vater über dieses schattenhafte Abbild vor
ihm zu legen.
Der einst stolze Wüstenreiter,
der ganze Tage ununterbrochen mit geschwellter Brust durch die Wüste
ritt mit nichts weiter als seinem Proviant und dem Pferd unter seinen
Schenkeln. Wie viel Zeit war vergangen, das er nach Atem ringend mit
den Fingern an die Kehle gekrallt zusammensank? Kein Tag glich
seitdem dem anderen. Denn obwohl sein Vater Almaw getrotzt hatte, dem
Tod persönlich ins Gesicht gespuckt, so waren seine Gedanken wirr,
nie vollkommen klar. In seinen besten Tagen sah er Dinge, die nicht
da waren, sprach von irrwitzigen Wesen, lachte, kicherte irr. In
seinen schlechtesten stierte er leer vor sich hin oder verwechselte
Hamza stets mit seinem älteren Bruder Nadim ...
Hamza krallte die Finger in
seinen Kaftan. Vor Jahren war sein Bruder mit einer Handvoll Männer
davongeritten und nie zurückgekehrt. Wegen einer Frau, die keine
Wüstenreiterin war.
Er schluckte den alten Groll
herunter. Sein Bruder war fort, sein Vater lag im Sterben und auf
seinen eigenen Schultern spürte er die Last der Verantwortung für
die Seelen außerhalb dieses Zeltes. Doch mit jedem rasselnden
Atemzug seines Vaters schnitt die Verbitterung tiefer ins Fleisch.
Nadim hätte an seiner statt
am Totenbett wachen müssen.
Nadim hätte an seiner statt
ausharren und anschließend den Tod des Ältesten verkünden müssen.
Nadim hätte ...
»Hamza!« Jemand riss die
Plane des Zeltes auf und hielt mit schwerem Schritt auf den
angesprochenen Mann zu. Zoreen stellte sich dem Neuankömmling in den
Weg, doch Hamza deutete ihr mit einem Wink, ihn vorzulassen, ohne die
Aufmerksamkeit vom eingesunkenen Gesicht seines Vaters abzuwenden.
»Die Wüste bebt, Hamza«,
sprach der Junge hinter ihm. Als er nicht weiter darauf reagierte,
fuhr der Junge fort: »Es heißt, ihr König ... Nadim sei ...«
»Wag
es ja nicht, diesen Namen hier laut auszusprechen!«, fuhr Zoreen ihn
scharf an, hielt sich jedoch zurück, als sie Hamzas finsteren Blick
auf sich spürte. Der Junge schwieg, unausgesprochene Worte hinter
seinem verzweifelten Starren auf den Ältesten lauernd.
Hamzas eigene Gedanken
begannen zu kreisen. Die Gerüchte waren auf den letzten Ausritten
auch zu ihm gedrungen. Das Ende sei nah. Eine neue Ära würde bald
beginnen. Alsahar würde in neuem Glanz erblühen - und mit der
Königsstadt auch die Wüste selbst.
Bisher hatte er versucht dem
keine Bedeutung beizumessen, hatte es als Hirngespinste abgetan und
Wahnvorstellungen verdurstender Wüstenwanderer zugemessen.
Doch sein Herz wurde schwer.
Seine Brust schmerzte, sein Magen stach, wollte das ohnehin karge
Frühstücksmahl wieder hergeben.
»Hamza?« Zoreen hockte sich
neben ihn. Ihre tätowierten Linien auf den Wangen kräuselten sich.
Sie vermied, den Sterbenden anzusehen, während sie ihrem alten
Freund eine Hand auf die Schulter legte. »Glaubst du, dass sie
die Wahrheit gesagt hat? Er wird kommen. Der Sturm. Die Sterne werden
erneut vom Himmel regnen.«
Hamza drückte seine Daumen
fest gegen die geschlossenen Augenlider. Vorhersehungen. Schnaubend
lachte er auf, als er sich an den Widerwillen seines Bruders
erinnerte, irgendeinem vorgegebenen Pfad folgen zu wollen. Dennoch
hatte er stets das Zeichen Ismets um den Hals getragen, selbst als er
nachts vom dunklen Starren seines jüngeren Bruders verfolgt das
Lager verließ. Ohne ihn mitzunehmen.
Sollte Ismet letztlich so
grausam sein, Hamza alles zu nehmen, was ihm lieb und teuer war, nur
damit er und die seinen erneut auf festem Boden wandeln konnten?
Noch während dieser Gedanken
schöpfte sein Vater ein letztes Mal rasselnd Atem, den er nicht
wieder ausstieß. Sein Körper wurde still, die Augen unbewegt und
leer auf seinen jüngsten Sohn gerichtet, den er wohl selbst im
Sterben noch für den älteren hielt.
Ruckartig stand Hamza auf,
brachte dadurch nicht nur Zoreen aus dem Gleichgewicht, sondern auch
den Jungen hinter ihnen, als er an ihm vorbei aus dem Zelt hastete.
Die von Irrsinn und Tod geschwängerte süßliche Luft begleitete ihn
bis nach draußen, wo er sich vorn über beugte und erbrach. Hustend
und würgend stemmte Hamza die Hände auf die Oberschenkel.
»Ismet, sei mein Zeuge.
Ismet, sei mein Retter. Ismet, steh mir bei«, murmelte er leise,
fuhr mit zitternden Fingern unter den Kragen seines dunklen Gewands
und ertastete die schwere Silberkette, fühlte nach dem halbrunden
Aquamarin. »Ismet, sei mein Zeuge. Ismet, sei mein Retter. Ismet,
steh mir bei.« Wieder und wieder formte er die Worte wie eine
Beschwörung.
Was blieb ihm nun?
Seine
Mutter? Verstorben im Kindbett.
Sein Vater? Tot und zuvor dem
Wahn verfallen.
Sein Bruder? Verschollen und
schon längst in seinem Herzen von Almaw zu sich geholt.
»Ältester«, flüsterte
Zoreen, die ihm leise gefolgt war. Sie legte ihm die Hand auf den
gebeugten Rücken, half ihm, sich langsam aufzurichten. Mit
undurchdringlicher Miene wischte sie ihm mit einem schwarzen Tüchlein
die letzten Spuren seiner Unpässlichkeit von den Mundwinkeln. »Wir
haben viel zu tun.«
Hamza umfasste mit den Fingern
ihr schmales Handgelenk, verlor sich einen Moment zu lang in den fast
schwarzen Iriden der Frau vor ihm, die niemals seine Gemahlin hatte
werden wollen. »Ja«, sagte er schließlich rau, die Schultern
gestrafft, die eigene Wut und Trauer unter einer ungewollten Last
begraben. Er ließ von ihr ab, wandte sich den weinenden
Wüstenreitern vor ihnen zu. »Wir haben viel zu tun.«