Nach einer kurzen Unterbrechung von etwa 3 Jahren geht es jetzt einfach mal weiter... . Kurze Erinnerung: Gembries und Alastair waren in einem Dorf mit merkwürdig verlangsamten Leuten, die sich zu Schatten wandelten...die Verwandlung normaler Menschen zu Schatten bereitet gerade in der Dorneburg und beim Elbenkönig Kopfzerbrechen. Gembries wollte in dem Dorf übernachten und was futtern und Alastair wollte einfach nur weg
„Den armen Pferden hätte eine Nacht Ruhe sicher auch gut getan!“, nölte Gembries, kaum, dass sie das Dorf verlassen hatten.
Alastair biss die Zähne fest zusammen. Hier war etwas Böses im Gange, dass sich wie eine klebrige Schicht giftigen Schleims auf all seine Sinne legte und diese alarmierte. Auch die Pferde waren nervös und forderten ihn.
Das letzte, was er jetzt vertragen konnte, war ein vor sich hin meckernder Gembries, der nichts mitbekam und nur an seine Bequemlichkeit dachte.
„Außerdem habe ich Hunger, aber nicht auf dein Staubfutter!“, tönte es erneut.
„Ich nehme zur Kenntnis, dass deine magischen Fähigkeiten und dein Gespür für Magie unterentwickelter sind als mein Bartwuchs“, presste Alastair scharf hervor, „Aber ich bitte dich, einfach genauso zur Kenntnis zu nehmen, dass ich auf Magie offenbar sehr sensibel reagiere und wir befinden uns in einem Gebiet, wo üble Magie wirkt. Mich interessiert dein Hunger gerade weniger als … als ... egal, aber halt einfach die Klappe, bis wir dieses Gebiet verlassen haben, ja?“
„Oho, der vornehme Elbenprinz vergisst seine guten Manieren? Wenn das der Opa wüsste!“
„Der vornehme Elbenprinz war sicher zu lange mit einem ungeschliffenen Zwerg zusammen, was seinen Manieren Abbruch getan hat. Mensch, Gembries, lass es jetzt gut sein. Du gehst mir gerade furchtbar auf die Nerven.“
Aus den Augenwinkeln sah er, wie Gembries sich beleidigt straffte.
„Hast ja recht, ich geh mir selbst auf die Nerven“, kam es kurze Zeit später leise. „Warum reiten wir eigentlich im Schritt, wenn du es so eilig hast, von dem Dorf wegzukommen?“
Alastair seufzte.
„Ich habe nicht das Gefühl, dass es mit zunehmenden Abstand vom Dorf besser wird. Ich fühle mich hier eher mehr bedroht. Du nicht?“ Gembries zuckte unbehaglich die Schultern. Er konnte nichts spüren, und das war ihm als angeblich mächtigster Zauberer sehr peinlich.
„Mir fällt nur auf, dass das Gras immer welker wird, je weiter wir uns dem Wald nähern“, murmelte er mit Blick auf die Wiesen, die ihren schmalen Weg säumten. „Und ich weiß nicht, ob die beginnende Dämmerung mir einen Streich spielt, aber der Wald sieht auch nicht mehr so gesund aus.“
Alastair nickte bedrückt. Die vorderen Bäume hatten alle schlaff herabhängende Blätter. Gembries kramte umständlich in seiner Satteltasche und zog die Karte heraus.
„Wir müssten etwa drei Tage lang zurückreiten, um auf die andere Straße zu kommen, die in die Richtung der Dorneburg führt. Und sie macht einem sehr großen Bogen über sämtliche Käffer des Landes.“
„Es wäre vielleicht trotzdem der bessere Weg“, erwiderte Alastair.
Gembries zog die Stirn kraus.
„Wenn das hier Schattenmagie sein sollte, Fröschlein, dann sollten wir nicht trödeln, denn der Feind trödelt offenbar auch nicht. Erwischen könnten sie uns überall. Der Wald sieht auf dieser Karte nicht sonderlich groß aus. Wenn wir uns beeilen, müssten wir noch vor Einbruch der Dunkelheit durch sein.“
Er packte die Karte wieder weg. Alastair seufzte erneut.
„Na gut. Aber tu mir einen Gefallen, Gembries. Spiel nicht den Helden. Gegen Magie kann man mit einer Axt nichts ausrichten. Die Pferde sind noch frisch genug, um zu rennen. Sollten wir also dem Feind begegnen, dann halte dich einfach nur gut am Sattel fest und ziehe den Kopf ein, ja? Und jetzt sollten wir versuchen, das letzte Tageslicht so gut wie möglich zu nutzen.“
Alastair holte tief Luft und hielt auf den Waldrand zu.
„Das muss der Rest eines verdammt alten Waldes sein“, murmelte Gembries, nachdem sie den schmalen Buschsaum passiert hatten.
Die Bäume waren sehr hochgewachsen und standen mit großem Abstand zueinander auf spärlich bewachsenem Waldboden. Da alle Blätter traurig und schlaff herunter hingen, kam jetzt mehr Licht durch die mächtigen Kronen, als es wohl normalerweise der Fall war. Alastair wusste nicht, wer nervöser war, die Pferde oder er selbst. Zögernd setzten die Tiere ihre Hufe vorwärts.
Es war, abgesehen von den Geräuschen, die sie selbst verursachten, totenstill.
Aber wenigstens würde der Wald sie nicht auf einer schnellen Flucht behindern. Die Bäume verzweigten sich erst in einer Höhe, die einem Reiter nicht gefährlich werden konnte. Vor ihnen lag, durch die Furchen von Rädern deutlich erkennbar, der Weg.
„Bringen wir es hinter uns“,sagte Alastair mit mehr Entschlossenheit, als er verspürte, und gab seinem Pferd die Hacken. Je weiter sie in den Wald vordrangen, desto unwohler fühlte sich der Junge. Feiner Schweiß lag auf seinem Gesicht und es fiel ihm immer schwerer, die Tiere dazu zu bringen, auf eine deutlich wahrnehmbare Gefahr zuzureiten, statt vor ihr davonzulaufen.
Inzwischen ging die Sonne unter, und das rote Licht verlieh den fahlen, dunklen Farben unter den Kronen der alten Baumgiganten ein gespenstisches Aussehen. Etwas Böses störte Alastairs Konzentration immer stärker, der Junge wurde fahrig in seinen Gedanken, sein Herz schlug viel zu schnell und seine Angst wuchs. Hastig schielte er zu Gembries herüber, der mit beneidenswert stoischer Ruhe im Sattel saß und seine Blicke aufmerksam schweifen ließ.
„Spürst du immer noch nichts?“, flüsterte der Junge heiser.
„Ich kann jetzt nicht behaupten, dass ich mich gerade wohl fühle, aber wirklich spüren … da!“
Alastair zuckte zusammen und folgte der Blickrichtung seines Gefährten in schlimmer Vorahnung, aber mehr als eine riesige Esche auf einer kleinen Lichtung konnte er nicht erkennen.
„Was ist da?“
„Na, der Baum!“
„Gembries, hier stehen überall Bäume. Welchen meinst du?“
„Die Esche da hinten.“
Hastig suchten Alastairs Augen die Esche ab.
„Ich sehe da nichts besonderes?“
„Alle Bäume lassen die Blätter hängen, aber der da sieht wirklich krank aus. Siehst du nicht die schwarzen Schlieren in der Rinde und die schwarzen Blätter in der Krone? Ich glaube, das sollten wir uns genauer ansehen.“
„Gembries, wir haben mit Verlaub andere Sorgen als einen kranken Baum.“
„Bring die Pferde dahin, Fröschlein!“
Etwas in Gembries´ Ton verbot jeglichen Widerstand. Alastair musste seine ganze Kraft zusammennehmen, um den nervös tänzelnden Tieren seinen Willen aufzuzwingen.
Mit jedem Schritt, den sie der Lichtung näher kamen, verstärkte sich die Angst des Jungen zu einer Übelkeit.
Das Gras der Lichtung lag schwarz und tot auf dem Boden. Neben dem gewaltigen Stamm der Esche stand eine von einem dunklen Umhang verborgene Gestalt.
Ganz leise waren widerwärtige, zischende und harte Laute zu vernehmen.
Ein Rufer.
Alastair erinnerte sich an diese Wesen, die er schon in der Nähe des Schattenlagers gesehen hatte. Aber er hatte sie noch nie murmeln hören. Das war widerlich. Auch wenn er kein Wort verstand, tröpfelten die Laute wie Säure in seine Seele.
„Gembries, wir müssen sofort hier weg! Das ist ein Rufer. Er verwandelt Menschen in Schatten.“ Alastairs Stimme war die blanke Panik anzuhören.
Die von Gembries blieb ganz ruhig. Er erahnte instinktiv, dass dieses Wesen nicht kämpfen konnte und sich seine Macht rein auf die Magie der hässlichen Worte beschränkte, die es von sich gab.
„Fragst du dich nicht, warum er ausgerechnet hier steht?“
Verblüfft fuhr der Junge zu ihm herum.
„Was?“
„Warum er ausgerechnet hier steht! Mitten im Wald an einer alten Esche, und nicht irgendwo in einem Schuppen, einer Scheune oder einem Dachboden im Dorf!“
Die Panik in den Augen des Jungen machte einer Verwirrung Platz.
„Worauf willst du hinaus?“
„Ich will verstehen, was sich da vor meinen Augen abspielt, Alastair. Irgend einen Sinn wird es schon haben. Der Feind kennt unsere Welt und die Macht der Alten viel besser, als wir selbst. Statt sich also mitten ins Dorf zu stellen und dort seine dreckige Schattenmagie loszulassen, steht dieses Wesen an einer Esche in einem Wald, der alt genug ist, um noch die Feen persönlich gekannt zu haben. Die Menschen sind verlangsamt, die Blätter aller Bäume hängen schlapp und kraftlos herunter, aber diese Esche hat schwarze Schlieren in der Rinde und einige schwarz gewordene Zweige. Wenn du mich fragst, steht dieser Rufer nicht zufällig da.“
Alastair schluckte.
„Das können wir dem Hüter erzählen, wenn wir in der Dorneburg sind. Aber um das zu können, sollten wir von hier verschwinden, bevor er uns auch zu Schatten macht.“
Gembries runzelte die Stirn.
„Ich wage zu bezweifeln, dass er einen von uns zu einem Schatten machen kann, solange dieser Baum noch lebt. Wir sind keine Menschen, Fröschlein.“
„Trotzdem bringt es nichts, hierzubleiben, bis der Baum tot ist, Gembries. So ein Wesen kann man nur mit Magie bekämpfen, und so weit sind wir leider noch nicht.“
Gembries zuckte leicht zusammen.
„Wer weiß“, murmelte er und griff in sein Hemd, um das Auge Ursas hervorzuholen.
„Autsch“, rief er erschrocken, als Schmerzen wie tausend Nadelstiche in die Hand fuhren, mit der er das Amulett hochhielt. Hastig verstaute er es wieder ins einem Hemd, bevor er seine Hand ausschüttelte.
„Naja, einen Versuch war es Wert“, sagte er verlegen. Als er einen abschließenden Blick auf den Rufer werfen wollte, sah er zu seiner Überraschung Nebel am Fuße des Eschenstammes hochsteigen.
„Warte mal, Alastair!“
„Nein, bitte, lass uns sofort von hier verschwinden. Ich weiß, was jetzt kommt, und das brauchen wir nicht auch noch.“
Schon formte sich der Nebel zu einer geisterartigen Gestalt, auch der Ring war bereits zu erkennen.
„Es ist nur eine Alse, Junge!“
„Na und? Eine reicht ja wohl!“
Gembries drückte dem überraschten Alastair seine Zügel in die Hand und sprang von seinem Pferd.
„Gembries! Was hast du vor? Willst du dich umbringen lassen?“, schrie Alastair erschrocken. Der Kesselflicker ging in die Hocke und sah der Alse zu, wie sie langsam und unsicher auf ihn zuschwebte.
„Ich werde sie füttern, Junge. Ich will wissen, was dann passiert. Sie ist immerhin alles, was uns die Feen auf dieser Welt hinterlassen haben.“
Hilflos saß Alastair auf seinem Pferd und spürte, wie ihm Tränen in die Augen schossen.
„Boah, Gembries, du bist so ein Idiot, ich hasse dich. Und damit du es nur weißt, ich werde nie wieder mit dir in einen Wald gehen, hörst du? Nie wieder!“
Inzwischen hatte die Alse Gembries erreicht. Der Kesselflicker fühlte ein kühles, nicht unangenehmes Prickeln in seinen Lippen, als sich der weiße Ring auf sie legte, und dann ein leichtes Kribbeln in seinem Körper.
„Üs üst gor nüscht so schlümm!“, versuchte er, seinen Freund zu beruhigen.
„Ich werde ich nicht beerdigen, Gembries!“ , schimpfte Alastair von oben auf ihn herunter. „Damit du es nur weißt, ich werde deinen toten Körper einfach hier liegenlassen und der Rufer wird dich in die Ewigkeit singen, das wird sehr hässlich für dich werden!“
„Nü moch mol holblong. Üch bün ein Zwürg, schon vörgüssen? Üch hob mühr Lübünskraft als olle onderen!“ winkte Gembries ab.
Die Tränen liefen Alastair nicht nur aus den Augen, sondern auch aus der Nase. Unwillig wischte er sie an seinem Ärmel ab und beobachtete dabei widerwillig, wie die Alse immer größer, ihr Körper immer dichter wurde, und dann begannen kleine, leuchtende Punkte in ihr zu funkeln und zu glitzern.
Plötzlich löste sie sich von Gembries, schwebte noch einen Augenblick hin und her, und dann versank sie spurlos im Boden.
„Vom Ergebnis habe ich mir mehr erhofft“, seufzte Gembries und richtete sich wieder auf. „Aber mit meiner Vermutung, dass ich eine Alse nicht zu fürchten brauche, lag ich immerhin richtig!“
Mühsam stieg er wieder in den Sattel.
„Das glaube ich jetzt nicht!“, hörte er Alastair ausstoßen.
Winzige kleine Lichtpunkte leuchteten erst im Erdboden auf und erschienen dann in der Rinde der alten Esche, stammaufwärts, als würde ein Strom leuchtender Energie den Baum hoch wandern. Die schwarzen Schlieren wurden immer kleiner und verschwanden schließlich, und obwohl es windstill war, hörten sie die Blätter in der Krone des Baumes rauschen, als sie sich kraftvoll wieder aufrichteten. Die murmelnde Stimme des Rufers wurde lauter, eindringlicher, doch das Rauschen der Esche nahm seinem Gemurmel die Wirkung. Der Erdboden begann, sich zu bewegen. Wie braune Schlangen krochen Wurzeln am Rufer hoch, nahmen ihn gefangen, und langsam, ganz langsam, wurde seine Gestalt in den Baum gezogen, wo er tief im toten Holz des Stammes verschwand und für immer verstummte.