Beiträge von melli im Thema „Die Legende vom Winterkönig - Neufassung“

    *Leisereinschleich* :blush:

    Nach erneuter langer Schreibblockade (und die, obwohl ich doch eigentlich wusste, was als Nächstes kommen und wie alles weitergehen und enden soll) muss ich jetzt einfach mal Butter bei die Fische tun.
    Und schlicht und ergreifend zugeben, dass ich bei allem Unterhaltungswert und trotz der bereits umfangreichen Schreiberei die Geschichte erneut verkackt habe.:patsch:

    Bitter, aber es ist so. Meinen aufrichtigen Dank allen Kritikern, die diesen Denkprozess ausgelöst haben!:loveyou:

    Nach über 300 Seiten begrüsst man diese Erkenntnis natürlich erstmal nicht, zumal es schon vor meiner Anmeldung in diesem Forum bereits mehrere vergebliche Versuche gegeben hat, die Geschichte zu Papier zu bringen.;(

    Aber immerhin war dies jetzt die erste Version, in der ich Gembries und Alastair zu "starken Charakteren" verhelfen konnte, also insofern schon ein gewaltiger Fortschritt.

    Doch Nisha, Vaine und die Schatten schwächeln daneben, haben keinen strukturellen Aufbau, keinen wirklich nachvollziehbaren Hintergrund und bestehen zu einem großen Teil aus Klischees und mehr oder weniger unterhaltsamen Gefasel, und das nervt mich inzwischen selbst und bremst mich völlig aus.:/ Die habe ich einfach so "hingeschlabbert", obwohl sie "wichtige Rollen" spielen.

    Da die drei aber von Anfang an mit dabei sind, heißt das auch, von Anfang an alles umzuschreiben.8|

    Was natürlich keine reine Freude ist, denn manche Szenen, die ich selbst gelungen fand, werden dann keinen Platz mehr haben.

    Wie dem auch sei, diese Version war ganz nett, aber ich hoffe, ich kann das noch besser ...

    Jetzt verschwinde ich erstmal wieder in eine hoffentlich "kreative Phase". Zu den nötigen Änderungen hab ich zwar schon ein paar brauchbare Ideen, muss aber gucken, wie ich die umgesetzt bekomme und welche Tonart die Geschichte dann haben wird (vllt etwas ernsthafter?) Auch die Feinabstimmung innerhalb der Truppe muss neu justiert werden. Aber irgendwann ... *seufz

    Alastair schoss aus dem Tiefschlaf hoch und sah mit geweiteten Augen hektisch um sich.
    „Guten Morgen!“, brummte Gembries vom Tisch her, an dem er ein frisches, lecker duftendes Brot aufschnitt. Draußen schien es noch dunkel zu sein.
    „Wenn du mich fragst, legst du dich am Besten gleich wieder hin und schläfst weiter“, schlug Gembries nach einem Blick in Alastairs Gesicht vor. Der Junge überlegte kurz, der Gedanke war sehr verlockend. Doch das Laken unter seinen Händen war nass, die Decke war nass, und ein Luftzug fuhr ihm unangenehm über den feuchten, nackten Oberkörper und machte ihn frösteln.
    „Nein, ich bin pitschnass geschwitzt“, murmelte er. „So kann ich eh nicht weiterschlafen.“
    „Geschwitzt?!“
    Irritiert vernahm Alastair den leichten Spott in Gembries Stimme. Erst dann fiel es ihm wieder ein. Das Baby! Erschrocken warf er die Decken ganz zurück. Das Baby lag immer noch in seinem Stoffbündel. Seine Augen waren offen und blickten ins Leere, aber ein Lidschlag zeigte, dass es noch lebte.
    „Dich hatte ich ganz vergessen“, entschuldigte sich der Junge errötend und wollte das Bündel hoch nehmen.
    Es war nass. Und erst jetzt nahm er den Geruch wahr und sah die gelb - braunen Kränze am Rande der Feuchtigkeit, in der er geschlafen hatte. Er erstarrte.
    „Oh!“Tapfer unterdrückte er seinen Ekel. „ Armes kleines Würmchen. Ich habe ganz vergessen, dich gestern frisch zu wickeln. Das wird nicht wieder vorkommen.“
    Er hörte Gembries schnauben und erhaschte noch dessen mitleidigen Blick, bevor dieser wieder aufs Brot starrte und das Schneidemesser hob.
    „Das Baby kann nichts dafür!“
    Das Messer verharrte in der Luft. Als Gembries erneut aufsah, zeigte sein Blick eine Mischung aus Mitleid und Entschlossenheit, die bei Alastair ein warnendes Kribbeln im Inneren auslöste.
    „Alastair, wir werden das Baby nicht…“
    „Es gibt Dinge, die einfach nicht zur Diskussion stehen“, fuhr dieser ihm empört ins Wort. „Dieses Baby zum Beispiel. Ich werde mich darum kümmern, du wirst dadurch in keinster Weise belastet. Aber wir nehmen es mit!“ Allein, dass Gembries etwas anderes für möglich hielt, entsetzte ihn. „Wie kannst du überhaupt nur daran denken, es seinem Schicksal zu überlassen?“, setzte er anklagend hinterher.
    Er sah die Wut in Gembries aufflammen.
    „Werde endlich erwachsen, Junge!“, zischte der Kesselflicker. „Ich habe mich im ganzen Dorf umgesehen. Nicht ein Stuhl ist umgefallen, als die Schatten kamen. Was bedeutet, dass sich niemand dagegen gewehrt hat, verfüttert zu werden oder seine Liebsten auf der Speisekarte von Schattenviechern vorzufinden. Niemand! Und das wiederum bedeutet, dass die Menschen hier alle unter einem starken Schatteneinfluss standen. Glaubt du in deiner grenzenlosen Naivität wirklich, dieser Einfluss hätte vor dem Baby Halt gemacht?“
    Gembries sah den Jungen zusammenzucken.
    „Was du da hätscheln und pflegen willst ist ein Schatten, Alastair! Denk doch mal nach! Das Baby hat stundenlang alleine im Stall gelegen. Ein normales Baby schreit, wenn es allein gelassen wird. Es schreit, weil es Hunger oder Durst hat, weil seine Windeln voll sind, irgend einen Grund zu Schreien wird es schon finden. Ein Baby in diesem Alter strampelt, es bewegt sich normalerweise. Und liegt nicht so regungslos und still in seinen Tüchern wie dieses Kind. Deinen Edelmut in allen Ehren, aber was dich da angepisst hat, ist ein Miniaturschatten, und ich bin nicht Willens, uns deswegen in eine Gefahr zu bringen, die unser Vorhaben gefährden kann. Weißt du, ob der kleine Schatten nicht Auge und Ohr für seine Herren ist? Kannst du ausschließen, dass dieses Kind seine Stimme in genau dem Moment wiederfindet, in dem wir uns unbemerkt an einem Heer vorbei schleichen müssen? Nein, kannst du nicht!“
    Jedes einzelne Wort verstärkte das kalte Grauen, das Alastair überkam.
    „Egal, ob Schatten oder nicht, es ist in erster Linie ein Baby! Und ich werde es mitnehmen und zu den Heilern bringen, dann können die sich um alles Weitere kümmern. Ich kann kein Baby einfach sterben lassen. Ausgeschlossen! Und überhaupt werde ich es jetzt erst einmal versorgen, das arme Würmchen.“
    Das nasse Stoffbündel fest an sich gedrückt, sprang Alastair aus dem Bett und funkelte Gembries herausfordernd an. Doch dann fiel ihm ein, dass er nichts anhatte und diese Tatsache seiner Autorität nicht förderlich war.
    „Wo hast du denn meine Sachen hingelegt?“
    Mit einer Kopfbewegung wies Gembries auf einen Stuhl, der in die Nähe des Herdes gerückt worden war.
    „Wenn sie noch nicht trocken sind, solltest du in den Truhen nach neuer Kleidung gucken. Du hast im Schlaf viel gehustet, das hörte sich nicht gut an.“
    Stirnrunzelnd betrachtete Alastair das Bündel in seinen Armen. Bevor er sich etwas anzog, sollte er sich besser waschen, jetzt, wo er wusste, worin er geschlafen hatte. Und erst, wenn er fertig war, konnte er das Kind versorgen.
    „Und wo kann ich mich waschen?“
    Seufzend legte Gembries das Messer weg.
    „Such dir eine Schüssel, ich hol eben Wasser vom Brunnen.“
    Alastair überprüfte seine Sachen und war erleichtert, dass sie schon trocken waren. Er hätte ungern in den Kleidertruhen von Toten herumgewühlt. Nachdem er sich versorgt hatte, wusch er auch das Baby sorgfältig und wickelte es neu in Tücher.
    „Es ist ein Junge“, stellte er dabei fest.
    „Es ist ein Schatten“, tönte es stur hinter ihm. Tatsächlich war der kleine Junge immer noch ganz still und starrte nur ins Leere.
    „Ach, woher willst du das wissen? Er hat bestimmt einen Schock erlitten bei allem, was hier passiert ist oder ist vielleicht einfach nur krank“, regte sich Alastair auf. „Guck dir doch die kleinen Händchen an und diese winzigen Finger!“
    Es blieb still.
    „Ich werde ihn füttern. Er hat schon zwei Zähnchen, da kann er vielleicht schon etwas anderes vertragen als Milch.“
    Alastair holte eine frische Schüssel, gab Wasser hinein und vermischte es mit Arjun, bis es eine leicht breiige Konsistenz aufwies. Doch egal, wie er sich mühte, das Baby damit zu füttern, es zeigte kein Interesse daran, schluckte nicht und beförderte den Brei mit der Zunge wieder nach draußen.
    „Er mag es nicht.“ Alastair war die Enttäuschung anzumerken.
    „Jetzt wird er mir fast sympathisch!“, sagte Gembries. „Aber auch nur fast. Warte eben, ich glaube, ich hätte etwas zu essen für den kleinen Mann!“
    Gembries verließ das Haus und kehrte kurze Zeit später mit einer bluttriefenden Leber zurück, die er dicht neben dem Baby in die Luft hielt. „Wo hast du das her?“, stieß Alastair entsetzt aus.
    „Von einem toten Kalb auf der Weide. Und schau mal ...“ Der Blick des Babys fokussierte sofort das rohe Fleisch, seine kleinen Händchen griffen gezielt zu, rissen die Leber zum Mund, und gierig begann es, mit seinen zwei Zähnchen darauf herumzukauen.
    „Ein Schatten!“, kommentierte Gembries. „Es hat eine süße Hülle, aber es ist eindeutig ein Schatten und wenn der Kleine könnte, würde er dich töten und fressen. Dieses Wesen da nehme ich nicht mit. Nirgendwo hin.“
    Alastair hielt wie betäubt den warmen, kleinen Körper fest, starrte auf das blutverschmierte Gesichtchen, dass immer noch mit hässlicher Gier an der rohen Leber kaute und begriff langsam, dass er verloren hatte. Gembries würde ihn zwingen, dieses Baby zurückzulassen. Tränen schossen ihm in die Augen.
    „Ich will aber nicht, dass es hier ganz alleine verhungern und verdursten muss“, wimmerte er.
    „Den langsamen Tod können wir ihm ersparen.“
    Langsam hob Alastair das Gesicht und sah Gembries aus geweiteten, nassen Augen an.
    „Wirklich, Gembries? Bist du ein Mann, der ein Baby töten kann? Einfach so? Ein wehrloses Baby? Du? Das hätte ich nicht von dir erwartet.“ Einen Moment lang lastete Stille auf ihnen.
    „Alastair, in diesem Falle ist ein Akt der Gnade. Und er wird mir schwerfallen und mich noch lange verfolgen. Aber das ändert nichts, oder? Mach die Pferde fertig, Junge“, streckte Gembries seine Hände nach dem Kind aus.
    Alastair fühlte sich wie ein Mörder, als er zuließ, dass Gembries ihm das Baby aus den Armen nahm, aber aufstehen mochte er nicht. „Später“, flüsterte er heiser und nahm seine Augen nicht von dem Stoffbündel. Gembries nahm dem kleinen Wurm die Leber ab und warf sie achtlos auf den Tisch, dann hielt er das Baby auf dem Arm und funkelte Alastair an.
    „Jetzt, Fröschlein! Ich werde dem Kleinen nicht weh tun.“
    Das Baby reagierte, als ob es wüsste, was Gembries mit ihm vorhatte. Es zog winzigen Augenbrauen zusammen, starrte den Kesselflicker böse an und mit einem hässlichen Zischgeräusch fuhr sein Ärmchen unter Gembries Bart. Überrascht sah der auf es herunter. Für einen kleinen Moment entspannten sich die Gesichtszüge des Kindes. Seine Augen drückten Erstaunen aus, der kleine Mund verzog sich zu einem Lächeln, dann wurde es grau und hart.

    Seit sie den Auftrag, dem Hüter Tee zu bringen, an ein junges Ding namens Lisa abgegeben hatte, irrte Nisha ziellos durch die Burg und kämpfte mit widersprüchlichen Empfindungen.
    Sie hatte sich zwar lange und oft genug über Vaines ständige Anwesenheit in ihrem Inneren beschwert, aber dass er sich nun vollkommen zurück zog und noch nicht einmal zur Verfügung stand, wenn sie ihn rief, machte sie auch sauer.
    Ihr Protest war wenigstens nachvollziehbar und differenziert begründet gewesen.
    Sein Verhalten war eine trotzige, kindische Retourkutsche.
    Zwei Treppen und drei Gänge weiter schob sie ein „hoffentlich“ hinterher.
    Seufzend starrte sie in den Regen hinaus und dachte an die Tage zurück, als sie noch mit dem Hüter unterwegs waren. An die vielen Momente, wo Vaine ihr den Arm um die Schulter gelegt, sie sanft berührt oder sich Nachts wärmend an sie geschmiegt hatte.
    Oder an sein Lächeln, wenn er merkte, dass sie sich innerlich über etwas freute, eine schöne Landschaft, den Geruch des Waldes.
    Er hatte ihr den Nacken massiert, wenn sie vom vielen Sitzen im Wagen verspannt war, hatte ihr Arbeiten abgenommen, die Gembries ihr aufs Auge gedrückt hatte und gekämpft, wenn sie in Gefahr waren.
    All diese Gesten, die großen und die kleinen, existierten nicht in seiner Welt.
    Dass er den Wunsch verspürte, sie so zu behandeln und Gefallen daran fand, dass er sich freute, wenn es ihr gut ging, war … war sein Buschwindröschen.
    Gewesen.
    Kaum in der Dorneburg angekommen, hatte sich ihr Verhältnis abgekühlt. Sie war nicht für ihn da, als er bei der Wache zu arbeiten anfing und wegen seiner Herkunft überall auf Ablehnung stieß. Jedenfalls nicht immer freiwillig, sondern oft nur, weil es alle von ihr erwarteten und sie für ihn verantwortlich machten.
    Als er mehr Nähe suchte, um mit all dem zurecht zu kommen, hatte sie sich überfordert gezeigt und ihm diese verwehrt.
    Wenn sie genervt war von der Plackerei in der Waschküche, der Enge der Burg, den vielen Menschen, hatte er es zu spüren bekommen.
    Und sie hatte ihn vor aller Augen mit zwei Essen im Speisesaal stehen lassen und die Gesellschaft von fremden Menschen vorgezogen, mit denen sie nichts verband.
    Sie war wie der Absatz, der auf das kleine Pflänzchen nieder fuhr und seine Knollen zertrat, so dass es nie wieder blühen konnte.
    Und wenn er jetzt einfach Schluss gemacht hatte?
    Nisha spürte bei dem Gedanken lähmende Übelkeit in sich aufsteigen.
    Sie hatte ihm bei ihrem Streit ja noch nicht mal die Möglichkeit gegeben, das auszusprechen. Sondern war einfach Türe knallend abgerauscht.
    Vielleicht war genau das der Moment gewesen, in dem Vaine beschlossen hatte, dass sein Experiment gescheitert war und sie es nicht Wert, weitere Mühen zu verschwenden.
    Yuruk würde ihn sicher mit einem hämischen Lachen sofort wieder aufnehmen, der hasste Frauen sowieso, seit seine Schwester ihn erschlagen hatte.
    Nisha fand sich plötzlich vor dem Übungsplatz der Wache wieder.
    Sie war so in Gedanken vertieft gewesen, dass ihr gar nicht aufgefallen war, dass sie die Burg verlassen hatte.
    Nass war sie auch.
    Der Übungsplatz war leer.
    Fröstelnd schlang sie ihre Arme um die Mitte und machte sich auf den Weg zu Vaines Zimmer, wo sie auf ihn warten wollte. Sie musste lange warten.
    Es war schon fast dunkel, als sich die Türe öffnete und Vaine wie immer lautlos eintrat.
    Nishas Puls begann zu rasen, ihre Hände zitterten.
    Vaine verzog keine Miene bei ihrem Anblick. Aufrecht und stolz sah er sie an und verströmte dabei eine Autorität, die sie befangen machte und alle zurecht gelegten Worte vergessen ließ. Sie musste sogar kurz den Blick abwenden, um ihre Stimme wiederzufinden.
    „Es tut mir leid“, flüsterte sie nur.
    Seine Miene änderte sich nicht.
    Er kam auf sie zu, seine Hände umfassten ihr Gesicht und zwangen sie, zu ihm aufzuschauen.
    Intensiv und doch kühl erwiderte er ihren Blick.
    „Du versuchst immer wieder, mir Grenzen aufzuzeigen, Nisha“, sagte er. „Aber das funktioniert nicht. Ich bin nicht irgend ein Mann, ich bin ein Schatten. Ich akzeptiere keine Grenzen. Ich will alles. Ganz oder gar nicht, das ist die einzige Wahl, die du hast. Ja oder nein. Entscheide dich. Jetzt!“
    Er war ganz bei sich selbst.
    Mit einem Anflug von Panik begriff Nisha, was er da von ihr verlangte. Sie sollte sich völlig in seine Hand begeben, sich ganz aufgeben, um bei ihm sein zu können?
    „Ja oder nein? Jetzt!“, setzte er nach.
    Nisha wurde von einem Schwindel erfasst. Ihr Leben würde ohne ihn leer sein, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass je jemand diese Leere wieder würde füllen können.
    Sie quetschte ein „Ja“ heraus und fühlte sich dabei einer Ohnmacht nahe.
    Vaine nickte.
    „Gut. Dann hätten wir das geklärt.“
    Er, küsste sie kurz, aber fordernd und ließ dann ihr Gesicht los.
    „Du solltest dich schlafen legen, ich werde noch lange beschäftigt sein“ sagte er schließlich sanft, dann war sie wieder alleine. Am ganzen Körper bebend legte sie sich in sein Bett und zog die Decken fest um sich.

    Die Freude in Alastairs Gesicht erlosch. Und als sich die Überraschung auf Gembries´Gesicht in ein tiefes Mitgefühl verwandelte, das nicht dem Baby, sondern ihm zu gelten schien, kam die Müdigkeit mit bleierner Schwere zurück und hatte auch gleich die innere Kälte mit im Gepäck.
    „Was sollen wir mit einem Baby?", fragte Gembries leise.
    Erschauernd presste Alastair das Stoffbündel an sich.
    „Wir können es nicht hier lassen, Gembries“, erklärte der Junge. „Wenn wir es nicht mitnehmen, stirbt es. Es wird verhungern und verdursten.“
    Damit war ja wohl alles gesagt, doch der Ausdruck in Gembries Gesicht änderte sich nicht.
    „Junge, setz dich, iss dich ordentlich satt und mach, das du ins Bett kommst. Wir reden Morgen darüber."
    Dumpf stierte Alastair aus roten Augen erst auf den gedeckten Tisch, dann auf die Betten.
    „Ich glaube, ich bin zu müde, um zu essen“, sagte er schließlich. Ihm war nur noch kalt und schwindelig. „Ich gehe sofort ins Bett.“
    „Aber nicht mit den nassen Klamotten!“
    Alastair antwortete nicht, sondern tapste nur schwerfällig aufs Bett zu, legte das Baby auf das Kopfkissen und wollte sich gerade daneben fallen lassen, als Gembries Pranke ihn an der Schulter erwischte und ihn umdrehte. Apathisch ließ der Junge sich ausziehen und mit einer Decke trocken rubbeln, dann fiel er wie ein Stein neben das Baby, legte den Arm um das Stoffbündel und war eingeschlafen, noch bevor sein Kopf das Kissen berührte.


    Verwundert sah Eiliazar, wie Lysander die Türen des großen Ratssaales schloss, obwohl noch längst nicht alle Heiler versammelt waren. Gut zwei Drittel fehlten, schätze er mit Blick auf die licht gefüllten Plätze.
    „Es wird eine kleine Versammlung bleiben, nachdem heute alle jungen Kollegen zum Dienst in der Stadtwache eingezogen wurden“, reagierte Theolas mit leichter Schärfe auf den Blick des Hüters. „Du wusstest nicht davon?“
    „Wir haben Vaine angesichts des bevorstehenden Angriffs bemächtigt, jeden in die Wache einzuziehen, der fähig ist, eine Waffe zu halten“, antwortete Eliazar mit fester Stimme und ärgerte sich im Stillen darüber, dass sie dabei nicht an die Heiler gedacht hatten, während seine Augen weiter suchend über die Menge glitten.
    Wo blieb Zadhac?
    „Wie du dir sicher denken kannst, hat sich die Versorgung der Kranken dadurch dramatisch verschlechtert. Ich bitte dich, die Besprechung kurz zu halten, auf mich wartet eine Geburt. Die Frau liegt schon in den Presswehen“, ertönte eine angespannte weibliche Stimme aus den hinteren Rängen.
    „Der Einzug der Kollegen in die Wache wird bis zum heutigen Abend einige Menschenleben kosten“, sagte ein anderer Heiler. „Die Situation war angesichts der totalen Überbelegung schon vorher dramatisch, jetzt ist sie unhaltbar. Vor allem fragen wir uns, was das bringen soll. So lange der Feind noch nicht vor den Toren steht, sind die Heiler an den Betten sinnvoller eingesetzt als bei der Wache. Beihu hat sie alle das Kämpfen gelehrt, und was sie jetzt noch nicht können, wird dieser Schatten ihnen auch nicht mehr in der Kürze der Zeit beibringen. Wo ist der Leiter der Wache überhaupt? Sollte nicht auch er an dieser Besprechung teilnehmen?“
    „Er ist beschäftigt“, antwortete Eliazar mit mehr Ruhe, als er verspürte. „Es geht nicht darum, den Leuten das Kämpfen beizubringen, sondern es geht darum, eine möglichst wirkungsvolle Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Wir sind dem feindlichen Heer zahlenmäßig dramatisch unterlegen und können nur hoffen, dies durch den Vorteil einer befestigten Burg und strategisches Geschick ausgleichen zu können. Wenn uns das nicht gelingt, ist der Gesundheitszustand unserer Schutzbefohlenen eh nicht mehr von Belang.“
    Es war die Beiläufigkeit des letzten Satzes und Eliazars Ruhe, die seine Botschaft unmissverständlich ankommen ließ.
    Es wurde totenstill.
    „Ich habe euch zu dieser Versammlung einberufen, weil sich ein neues Problem aufgetan hat, das mir dringlich erscheint, auch in gerade in Hinblick auf unsere Verteidigung.“
    Der Hüter machte eine kleine Pause in der Hoffnung, dass Zadhac endlich auftauchen würde, aber der kam immer noch nicht. Auch seine Frau und sein Sohn waren nicht anwesend. Eliazar beschlich ein ungutes Gefühl.
    „Das feindliche Heer ist offenbar Nahe genug, um auf einfache Menschen einen Einfluss zu nehmen“ setzte er seine Ansprache fort. „Nisha berichtete von sechs Frauen in der Waschküche, die sich in Schatten zu verwandeln beginnen. Man erkennt die Opfer an grauer Gesichtsfarbe, dunklen Augenrändern und einem sehr phlegmatischen, verlangsamten Verhalten. Da wir nicht wissen, wie sich diese Verwandlung weiter entwickeln wird, halte ich es für geboten, diese Menschen in einem ausbruchssicheren Raum zu separieren. Dabei dachte ich an die große Bibliothek im Keller. Wir magisch Begabten sind hoffentlich für diese Verwandlung weniger anfällig, so dass die Versorgung der Befallenen und ihre Bewachung durch uns gewährleistet werden sollte. Es ist wichtig, alle Befallenen dorthin zu bringen, das heißt, wir müssen alle in dieser Burg anwesenden Menschen auf Symptome der Verwandlung überprüfen.“
    In diesem Moment wurde eine der Türen schwungvoll aufgerissen und Zadhac wieselte herein, dicht gefolgt von Madina, die ein leichtes Lächeln auf den Lippen trug.
    „Entschuldigt bitte unsere Verspätung“, sagte der kleine Heiler munter, „was gibt es denn so Dringendes?“
    Er fing sich einen tadelnden Blick des Hüters ein, doch es war Theolas, der die Worte Eliazars knapp und präzise wiederholte.
    Zadhac nahm sie nickend zur Kenntnis.
    „Der weise Elin hat in den alten Schriften diese Verwandlung zu Schatten beschrieben“, sagte er, „Rolle zweitausenddreihunderteinundfünfzig. Er beschrieb darin auch, dass Menschen, die regelmäßig und häufig in Kontakt mit magisch Begabten stehen sowie natürlich die Begabten selbst, weniger anfällig für eine spontane Verwandlung sind. Von daher würde ich einen Befall weniger im Krankentrakt erwarten, sondern eher in den Werk – und Arbeitsstätten der Burg, also Küche, Waschküche, Papiermacher, Händler, Stallburschen ...“ Zadhac beendete den Satz mit einem Wedeln seiner Hand.
    „Da fangen wir an. Madina wird das organisieren, ich denke es reicht, wenn ihr meiner Frau eure Helfer zur Verfügung stellt. War´s das?“ Fragend sah er zu Eliazar auf.
    Dieser nickte verblüfft. Was war mit seinem Freund geschehen?
    „Gut. Aber bevor ihr alle wieder an eure Arbeit geht, möchte ich noch stolz den Grund meiner Verspätung verkünden.“
    Zadhac richtete sich mit einem Funkeln in den Augen auf.
    „Ich hatte soeben die Ehre, meinen Sohn Zandhor mit unserer Heilerin Rebecca zu vermählen.“
    „Na, endlich mal eine erfreuliche Nachricht. Mögen die beiden ein langes und glückliches Leben miteinander führen!“, rief einer der Heiler. „Glückwunsch!“ „Na klar, der Sohn vom Chef bekommt die schönste Frau!“ „Ein schönes Paar.“ Murmelnd verließen die Heiler den Saal und eilten zurück zu ihren Kranken.
    „Lysander, du kommst mit mir und hilfst mir bei der Einteilung der Helfer, die gleich kommen werden“, sagte Madina. „Wir machen das von meinem Zimmer aus.“
    „Is´gut“, seufzte Lysander und warf dem Hüter einen leidenden Blick zu. Es hätte ihn viel mehr interessiert, was das Gespräch mit Nisha ergeben hatte, doch Eliazar hielt ihn nicht zurück.

    Chaos und Zerstörung wären einfacher zu ertragen gewesen als der Anblick, der sich Gembries im größten der Häuser bot.
    Wie bei Bauernhäusern üblich, gab es nur einen großen Raum im Inneren. Das Dach des Hauses wurde von großen, senkrechten Holzbalken getragen, zwischen denen man nach Bedarf Gatter anbrachte, um die Tiere über Winter im Inneren des Hauses zu halten, oder Vorhänge spannte, falls ein Sichtschutz gewünscht war.
    Querstreben im oberen Teil der tragenden Balken verliehen dem Konstrukt Stabilität und dienten zum Aufhängen der Dinge, die man trocknen wollte.
    Hier waren es Kräuter.
    Ordentlich gebündelt und sortiert hingen sie in erstaunlich großer Menge an den Querstreben und verströmten einen angenehmen, würzigen Duft.
    Gembries vermutete, dass diese Kräuter für den Verkauf an die Dorneburg bestimmt gewesen waren, und offenbar bezahlten die Heiler ganz ordentlich, denn der Einrichtung des Hauses mangelte es an nichts.
    Ein gemauerter Herd gab immer noch Wärme ab, und auf ihm stand ein großer Topf. In seiner Nähe stand auf einem soliden Holztisch eine Vase mit einem schwarz gewordenen Strauß Blumen in der Mitte als einziges Zeichen des Geschehens.
    Der Tisch war für sechs Personen gedeckt, auf jedem Platz mit einer verzierten Schüssel aus gebranntem Ton und einem Holzbrett, dazu Löffel und Messer und Trinkbecher. Ein paar Talglampen brannten immer noch und verliehen der Szene einen einladenden Charakter. Die beiden Bänke an den langen Tischseiten waren gepolstert, die Stühle an den Stirnseiten schwer und die Lehnen mit Schnitzereien verziert.
    Es gab eine Anrichte für das Geschirr, einen großen Schrank, einen Arbeitstisch, auf dem unter einem Tuch ein Teig ruhte, und in einer dunkleren Ecke des Wohnbereiches standen mehrere ordentlich gemachte Betten und Kleidertruhen.
    Nirgends gab es eine Spur von Gegenwehr, nichts war umgeworfen oder von seinem Platz verrückt.
    Aus einem beschaulichen und zufriedenen Leben heraus hatte die ganze Familie kurz vor dem Essen freiwillig das Haus verlassen, um sich an Schattenviecher verfüttern zu lassen, obwohl es hier genug gab, das sich zu verteidigen lohnte.
    Das sprach dafür, dass sich im feindlichen Heer mehr als nur einfache Schattenkrieger befanden und Yuruks verpestete Seele eine nahezu hypnotische Macht auf Menschen ausübte.
    Erneut machte sich Gembries´ Magendrücken unangenehm bemerkbar.
    Die finsteren Gedanken beiseite schiebend warf er einen Blick in den Topf auf dem Herd.
    Wirsingeintopf mit einer ordentlichen Portion Fleisch darin, noch warm und genug, um eine sechsköpfige Familie satt zu bekommen. Vorsichtig kostete er einen Löffel davon und sandte in Gedanken der Seele der verstorbenen Köchin ein Lob und seinen Dank.
    Noch eine kleine Prise schwarzen Pfeffer, und der Eintopf wäre perfekt.
    Das Töten der Dorfbewohner schien das Schattenheer aufgehalten zu haben, denn noch war das Essen nicht zu Mus verkocht. Vielleicht hatten sie auch vorher eine Rast eingelegt.
    Bei dem Tempo, dass Alastair vorgelegt hatte, war ihm unterwegs eine sorgfältige Spurenlese nicht möglich gewesen.
    Gembries lupfte das Tuch über dem Teig und fand dessen Ränder nur leicht eingetrocknet. Länger als zehn Stunden konnte er dort nicht stehen.
    Nachdenklich korrigierte er den Vorsprung des feindlichen Heeres von zwei Tagen auf acht Stunden.
    Konnten sie so viel aufgeholt haben?
    Vor seinem geistigen Auge sah er die trägen Bewegungen der zu Schatten verwandelten Menschen im Lachiell.
    Doch, das war möglich.
    Seufzend begann er, die überflüssigen Gedecke vom Tisch zu räumen. Die schwarzen Blumen warf er in den Ofen und legte gleich noch ein paar Holzscheite nach, bevor er den Teig gut durchknetete und zu einem Brotlaib formte.
    Er würde Alastair nichts von seinen Erkenntnissen sagen.
    Selbst, wenn die Schatten direkt vor ihnen gewesen wären, gehörte der Junge ins Bett und sonst nirgendwo hin.
    Wo blieb er überhaupt?
    In diesem Moment öffnete sich die Türe und Alastair erschien mit einem entrücktem Lächeln und fiebrig glänzenden Augen.
    „Schau doch nur, was ich gefunden habe“, sagte er mit einem Triumph in der Stimme, als hätte er gerade alles Böse dieser Welt besiegt. Gembries erkannte erst nur ein Stoffbündel in den Armen des Jungen.
    Dann sah er die Stirn eines Babys und wurde grau im Gesicht. Diesmal drückte sein Magen nicht nur, es fühlte sich wie ein Schlag darin an. „Es lag im Stall“, erklärte Alastair eifrig und sah gerührt auf das kleine Wesen in seinen Armen. „Und es lebt.“


    In seinem ganzen Leben war Alastair noch nie so müde gewesen, selbst dann nicht, wenn er nach viel zu wenig Schlaf im Heim den ganzen Tag ohne Pause harte Feldarbeit hatte leisten müssen. Es war ihm unendlich peinlich, dass er ausgerechnet jetzt, wo das Überleben der Menschen auf der Dorneburg von ihm abhing, so schwächelte. Aber vielleicht war es auch dieser Druck, gepaart mit der Nähe der Schatten und dem Anblick der schwarzen Landschaft, der ihm zusätzlich zu Schaffen machte und ihn in einen Zustand absoluter Erschöpfung versetzte. Oder es lag an der durchgehenden Anwendung seiner Magie. Oder alles zusammen.
    Jedenfalls hatte ihm das tote Dorf den Rest gegeben.
    Hoffnung, Mut und Zuversicht waren abgesoffen wie ein Stein, den man ins Wasser wirft, und hatten ihn zurück gelassen mit dem Gefühl, er werde nie wieder ans Tageslicht kommen.
    Bis er das Baby auf dem Stroh im Stall fand.
    Es war viel mehr als ein Baby.
    Es war ein Symbol der Hoffnung.
    Das Leben und Wirken der vielen namenlosen Menschen, die hier grausam sterben mussten, hatte etwas zurück gelassen, ein Vermächtnis, etwas, dass trotz der Schatten eine Zukunft hatte, für die es sich zu kämpfen lohnte.
    Als er dann noch vom nassen, kalten Wetter in ein warmes, ordentliches Haus trat, wo es nach Essen roch, hatte er zum ersten Mal das überwältigende Gefühl, dass alles wieder gut werden würde.
    Doch seine Zuversicht fand keinen Widerhall in Gembries´ Miene, der ihn nur völlig entgeistert anstarrte.

    Geht es aufs Ende zu?

    Nein, noch lange nicht. :blush:

    Werde auf jeden fall dranbleiben, bitte schnell weiterschreiben:)

    Herzlich Willkommen an Bord :) . Mit dem "schnell" hapert es leider gerade gewaltig - eine alte Frau ist kein D- Zug. :/

    Das Ende des letzten Teils hat mich gerade ziemlich gegruselt, ich habe einen fetten Klumpen im Magen.

    Auch wenn´s fies ist, das freut mich. :D


    Ich arbeite am nächsten Teil, hab ihn aber noch nicht fertig :blush: . Im Gegensatz zu sonst gibt es keinen schnellen Szenenwechsel (es sei denn, mir fällt zwischendurch noch etwas zur Dorneburg ein), es wird also (wahrscheinlich) mit Gembries und Alastair weitergehen. Ich hoffe, das stört nicht...

    Gembries war in Gedanken vertieft, die genauso schwarz waren wie die Spur vor ihnen und genauso trostlos wie dieses verdammte Wetter. Im Geiste hörte er immer wieder die Worte Aells, dass sich kein Schatten je in die Berge getraut hatte und der Tonde alleine reichte, um die Dorneburg zu schützen.
    Tja, dazu musste man aber erst einmal wissen, wie ein Tonde funktionierte, und die vermutliche Anleitung dazu befand sich sicher verschlossen in einer Kiste in der Dorneburg. Schon seit Stunden spürte Gembries so einen ekelhaften Druck im Magen.
    Unwirsch wischte er sich den Regen vom Gesicht. Bestimmt kam dieser Druck nur von dem Elbenstaubfutter. Dumpf wurde ihm bewusst, dass er wohl nie wieder etwas anderes zu essen bekäme, denn die Chance, lebend an einem Heer der Schatten vorbei zu kommen, stufte er als sehr gering ein.
    Was der Elbenkönig wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sein einziger Nachfahre gerade wie ein Besessener einer ganzen Schattenarmee hinterher eilte? Und dass Gembries ihn nicht daran hinderte?
    Wahrscheinlich würde er seine vornehme Art für einen ziemlich langen Moment vergessen.
    Eigentlich schade, dass Gembries das nicht miterleben konnte.
    Ein grimmiges Lächeln umspielte seine Lippen und erlosch abrupt, als sein Pferd zur Seite ausbrechen wollte.
    „He!“, protestierte er empört und warf einen bohrenden Blick in Alastairs Rücken.
    Was war das?
    Hing da etwa der Kopf des Jungen schlaff nach vorne herunter?
    Seiner Meinung nach gab er Hylan gefühlvoll die Fersen zu schmecken, trotzdem machte der blöde Gaul einen Satz nach vorne, als hätte er ihm eine Peitsche übergezogen. Als er mit Alastair auf einer Höhe war, sah er seinen Verdacht bestätigt.
    Der Junge hatte die Augen geschlossen. Er saß aufrecht auf einem rennenden Pferd und schlief.
    Kein Wunder, dass die Pferde verrückt zu spielen anfingen, besonders seines.
    „He, Fröschlein, aufwachen!“, bellte er.
    Alastairs Kopf zuckte ruckartig hoch, aber seine Augen öffneten sich nur zur Hälfte und waren glasig und rot.
    Gembries unterdrückte einen Fluch.
    Der eilige Elb mochte ja auch schlafend reiten können, aber der Zwerg auf seinem Gaul würde ohne die Hilfe des Elben noch so enden wie sein Vater.
    „Das hat keinen Zweck mehr, wir steigen ab!“, befahl Gembries. „Und du führst die Pferde, bis wir irgend etwas finden, wo wir schlafen können.“
    Alastair öffnete seinen Mund zu einem Protest, der nicht kam. Schließlich nickte er, rutschte müde und sehr unelegant aus dem Sattel, nahm beide Tiere am Zaumzeug und setzte seinen Weg schleppend zwischen den Pferdeköpfen fort.
    Gembries mühte sich, mit einem sicheren Abstand vor die Gäule zu kommen. Sein Gleichgewichtssinn kam nach der langen Zeit auf dem schaukelnden Pferderücken mit dem festen Boden nicht sofort klar, und er fühlte sich schwerfällig wie ein Trampel.
    Hinter sich hörte er den Jungen husten und schniefen und verfluchte im Stillen das Wetter. Es regnete ohne Unterlass, schon den ganzen Tag, keiner von ihnen hatte noch einen einzigen trockenen Faden am Leibe.
    Jetzt fehlte nur noch, dass Alastair krank wurde.
    Was nutzte einem die blinde Hast, wenn man lange vor dem Ziel völlig erschöpft und krank zusammenbrach?
    Eile mit Weile! Vielleicht sollte er das dem Elbenprinzen mal vermitteln, wenn es diesem wieder besser ging.
    Etwa eine halbe Stunde trotteten sie der Spur nach, wobei sich Gembries immer wieder umdrehte, um sicher zu sein, dass der Junge noch wach war und sich nicht von den Pferden einfach mitschleifen ließ.
    Der trübe Tag hüllte sich langsam in nächtliche Dunkelheit, und fast hätte der Kesselflicker übersehen, dass die schwarze Spur nach rechts deutlich breiter wurde.
    „Hier haben sie ihren Weg kurz verlassen“, meldete er laut nach hinten. „Lass uns nachgucken, wieso!“
    Ein Husten war die einzige Antwort.
    Undeutlich zeichneten sich die Umrisse eines großen Baumes in der Dunkelheit ab. Gembries schritt schneller aus. Seit sie in der Frühe den Wald verlassen hatten waren Bäume immer seltener und kleiner geworden. Das war wohl keine Gegend, in der ein Baum zu seiner vollen Größe heranwuchs. Es sei denn, er tat dies unter menschlicher Obhut. Auf einem Dorfanger zum Beispiel, wo weidendes Vieh für ausreichend Dung sorgte. Tatsächlich konnte Gembries nach einiger Zeit ein paar Dächer erkennen.
    Wenigstens etwas, hier fanden sie bestimmt ein trockenes Plätzchen zum Übernachten.
    Nervös näherte er sich den Gebäuden. Er hatte in seiner kurzen Zeit als Söldner mehrfach geplünderte Dörfer betreten müssen und noch heute suchte ihn das ein oder andere Bild in seinen Träumen heim.
    Zumindest waren die Schatten keine Brandstifter. Ein Weidezaun war niedergetrampelt, die Weide leer. Undeutlich erkannte der Kesselflicker ein totes Kalb im Dreck einer dieser Riesenfußspuren.
    Die Häuser waren alle noch intakt, in manchen Fenstern sah man Licht, aber außer dem Prasseln des Regens war nichts zu hören.
    Seine Nase vermeldete alarmiert den Geruch von Eisen, der deutlich wahrnehmbar wurde. Hier war eine Menge Blut geflossen, aber er sah keine Leichen. Kurz sah er sich nach dem Jungen um, der nun die Augen weit offen hatte und sehr angespannt wirkte.
    Gembries folgte dem Blutgeruch.
    Es war ein kleines Dorf gewesen, vielleicht zwölf Häuser, die alle in einem großen Kreis gebaut waren. Die Türen standen offen, eine bewegte sich quietschend im aufkommenden, kalten Wind. In der Mitte dieses Kreises häuften sich die Riesenspuren und der Geruch nach Blut war hier am intensivsten.
    Aus dem Schlamm des aufgeweichten Bodens leuchtete ein vom Regen gesäuberter Arm weiß hervor. Er war kurz über dem Ellenbogen abgetrennt worden, die Wunde sah unregelmäßig aus und wies Quetschungen auf. Das war durch keine Waffe verursacht worden.
    Gembries biss die Zähne fest zusammen.
    Hatten die Schatten die Dorfbewohner etwa an ihre Viecher verfüttert?
    Sein Verdacht wurde bestätigt, als er am Rande des Kreises einen großen, sauer stinkenden Klumpen fand, der mit schleimigen, schaumigen Speichel bedeckt war. Gembries sah eine Mistgabel an einer der Hauswände stehen und zerrte mit ihr diesen Klumpen auseinander. Stofffetzen, Schuhe und jede Menge menschlicher Haare, Hörner und Hufe von Rindern in einem wilden Durcheinander.
    Angewidert wandte er sich ab und unterdrückte mühsam seinen Brechreiz.
    Durchschnittlich lebten sieben bis zehn Menschen in solchen Bauernhäusern. Er wollte sich gar nicht genauer vorstellen, was hier passiert war.
    Alastair stand zwischen den inzwischen sehr nervösen Pferden und sah mit verlorenem Blick zur dem schwarz gewordenen Skelett der alten Dorflinde herüber. Am untersten Ast hing eine Schaukel.
    „Pass auf, dass dir die Pferde nicht auf die Füße treten, Junge!“, mahnte Gembries. „Am Besten bringst du sie in einen Stall und versorgst sie dort, ich suche dir in der Zeit ein ordentliches Bett, in das du gehörst.“

    Sie fanden Eliazar in seiner Kammer, wo er sorgenvoll aus dem Fenster blickte. Er hörte sich aufmerksam Nishas kurzen Bericht an und nickte dann langsam.
    „Entweder sind die Schatten schon so nah, dass sie Einfluss nehmen können, oder sie haben uns einen Rufer an die Burg gestellt“, seufzte er. „Lysander, hole doch bitte Zadhac und Vaine zu einer Besprechung im kleinen Kreis.“
    „Ähm, Hüter? Ich würd´Vaine jetzt nicht gern´stören, der is´beschäftigt. Aber ich kann die Heiler holen. Wir können Schattenmagie gut erkennen und die Leute, die befallen sind – äh – wegsperren? Irgendwo einschließen?“
    Eliazar versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.
    „Gut, dann rufe bitte die Heiler zusammen, in den großen Saal“, stimmte er zu und wandte sich dann an an Nisha. „Danke, Nisha.“
    Verblüfft sah sie den Hüter an. Damit war sie wohl entlassen? Unsicher irrte ihr Blick von Eliazar zu Lysander.
    „Soll ich jetzt etwa wieder in die Waschküche gehen?“, fragte sie patzig.
    „Nö, aber es wär´nett, wenn du in der Küche einen neuen Tee für den Hüter machen könntest, dafür hab´ich grad´keine Zeit“, nuschelte Lysander ungerührt. Kaum hatte sie den Raum verlassen, sah sich Lysander mit einem fragenden Blick Eliazars konfrontiert.
    „Also erstens weiß man ja nich´ sicher, wie Vaine auf so einen Schatteneinfluss reagiert, zumal er grad´ Stress mit seiner Holden zu haben scheint, und zweitens hab´ich schon Bedenken, dass er die Schattenopfer einfach alle umbringen wird“, rechtfertigte er seine Intervention. „Er hat Streit mit Nisha?“
    „Na ja, sie hat ihm klar gemacht, dass sie nicht zu seiner uneingeschränkten Verfügung stehen wird. Die beiden essen auch nich´mehr zusammen.“ Betreten sah Lysander zu Boden. „Und was ich auf dem Übungsplatz gesehen habe, lässt nich´gerade darauf schließen, dass Vaine seine Magie nich´mehr benutzt. Er hatte schlechte Laune wegen ihr, dachte ich jedenfalls, und alle Männer auf dem Übungsplatz standen wie Marionetten eindeutig unter seinem Einfluss. Er hat sie weit über das erträgliche Maß hinaus trainieren lassen, erst mein Auftauchen brach diesen Bann. Die Leute waren so fertig, dass sie umgefallen sind oder gekotzt haben.“
    Plötzlich sah der Hüter verärgert aus.
    „Was is´?“
    „Nichts“, wedelte Eliazar mit einer Hand. „Ich stelle nur gerade fest, dass sich meine Fähigkeit, schlechte Nachrichten aufzunehmen, langsam erschöpft. Ehrlich gesagt würde mir der bevorstehende Angriff einer Schattenarmee als Problem absolut ausreichen. Sieh zu, dass du die Heiler versammelt bekommst, Lysander. Ich werde hier auf meinen Tee warten und noch einmal ein ernstes Wort mit Nisha reden, wenn sie ihn bringt. Alleine!“


    „Wir werden niemanden warnen können, wenn wir uns den Hals brechen!“, schimpfte Gembries laut, als sein Pferd im Galopp auf dem morastigen Boden ausrutschte und sich erst im letzten Moment wieder fangen konnte. Alastair wandte sich nur kurz zu ihm um, trotzdem erschrak Gembries, als er das blasse, völlig übernächtigte Gesicht und den trüben Blick des Jungen sah. Alastair brauchte dringend eine Pause. Außerdem regnete es immer noch, und die Vögel zogen es anscheinend vor, bei diesem Wetter nicht zu fliegen, jedenfalls hatte Gembries keinen mehr sehen können.
    „Halte dich einfach nur gut fest!“, rief Alastair ihm mit matter Stimme zu und ließ die Pferde weiter rennen.
    Gembries fluchte in seinen Bart.
    „Weißt du überhaupt noch, wo wir sind?“
    Wer auch immer Zwerge als stur bezeichnete, war noch nie einem Elben begegnet, der sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Seit es hell genug geworden war, um hundert Schritt weit sehen zu können, saßen sie wieder auf den Gäulen und hetzten querfeldein durch eine menschenleere Landschaft. Mehr als einmal hatten sie dichtes Dornengestrüpp oder Sumpfgebiet umrunden müssen, und Gembries hätte noch nicht einmal mehr sagen können, in welcher Himmelsrichtung sie unterwegs waren, denn dazu hätte er die Sonne gebraucht. Unbestritten legte ein eiliger Elb viel Strecke in kurzer Zeit zurück, nur leider ohne Sinn und Verstand. Es hätte Gembries nicht gewundert, wenn sie irgendwann wieder die Stelle erreicht hätten, wo sie in der letzten Nacht Rast gemacht hatten.
    Am liebsten hätte er den Jungen geschüttelt, aber das musste er wohl auf den nächsten Halt verschieben.
    Der kam schneller, als er es erwartet hatte.
    Auf der Kuppe eines Hügels hielt Alastair sein Pferd an.
    Also hatten sie sich doch verirrt und der Junge versuchte, sich zu orientieren.
    Gembries vergaß alles, was er sagen wollte, als er Alastair eingeholt hatte. Eine dunkle Schneise zog vor ihnen durch das Tal. Das Gras, die wenigen Bäume, die kleinen Sträucher, alles war schwarz und tot.
    „Ab hier dürfte es einfach werden, ihrer Spur zu folgen“, murmelte der Junge und trieb sein Pferd wieder an.
    „Warte mal kurz, ich will mir das genauer ansehen“, forderte Gembries, als sie die Schneise erreicht hatten. Steif stieg er von seinem Pferd und nahm die Spuren in Augenschein.
    „Die haben etwa zwei Tage Vorsprung“, sagte er nachdenklich. „Und es ist ein ziemlich großes Heer. Wird schwer werden, daran unbemerkt vorbeizukommen.“ Stirnrunzelnd starrte er auf die vom Regen ruinierten Spuren von mehr als Tausend Füßen. Der Boden war ein aufgeweichtes, schwarzes Chaos, die hinterlassenen Tiefen voll mit Wasser, und trotzdem war da irgendwas, das seine Aufmerksamkeit forderte, aber er konnte es nicht erfassen. Das ärgerte ihn.
    „Können wir jetzt weiter?“ Alastairs Stimme hatte soviel Schwung wie das „Gute Nacht“ eines völlig übermüdeten Kindes, das gerade ins Bett gelegt worden war. Und auch seine Augen sahen nicht viel wacher aus.
    Gembries verkniff sich eine Bemerkung zum Zustand des Jungen. Bei dem Wetter machte es wenig Sinn, jetzt und hier ein Nachtlager vorzuschlagen. Er konnte nur hoffen, dass sie bald einen Unterschlupf finden würden, wo sie wenigstens etwas vor dem Regen geschützt waren, und dann würde er sich einfach weigern, noch einen Schritt weiter zu reiten.
    Mühsam kletterte er wieder in den Sattel und ließ noch einmal seinen Blick über den Boden schweifen. Und jetzt sah er es. In regelmäßigen Abständen waren die Pfützen viel größer und hatten die selbe Form. Vorne breit und nach hinten schmaler werdend. Ungläubig starrte er darauf. Jeder einzelne Abdruck maß gute zweieinhalb Meter. Wenn das ein Tier gewesen sein sollte …
    Gembries tastete nach seiner Kette und zog das Amulett unter seinem nassen Bart hervor.
    „Da, schau es dir an“, murmelte er leise. „Die Schatten sind zurück. Es wäre gut, wenn du jetzt langsam erwachen könntest, denn so, wie es aussieht, können wir deine Hilfe bald sehr gut gebrauchen.“
    Es passierte wie immer nichts. Seufzend folgte er dem Jungen.

    Platsch, platsch, platsch … Einseifen, rubbeln, spülen, einseifen, rubbeln, spülen. Es tat gut, sich mit der anstrengenden, eintönigen Arbeit zu befassen. Man tat wenigstens etwas, auch wenn es sinnlos war.
    Natürlich war die Botschaft von einem bevorstehenden Angriff wie ein Lauffeuer durch die ganze Dorneburg gezogen, obwohl die Heiler es lieber verschwiegen hätten. Eliazar hatte schließlich am Abend eine öffentliche Rede gehalten, in der er zu betonen versuchte, dass die Dorneburg in ihrer langen Geschichte nie feindlich erobert werden konnte.
    Überzeugt hatte er damit niemanden. Sie saßen hier fest wie Tiere in einem Stall beim Schlachter, und jeder wusste das.
    Selbst in der Waschküche war die Stimmung so gedrückt, dass außer den Arbeitsgeräuschen nichts zu hören war, kein gesprochenes Wort, kein Flüstern, gar nichts.
    Nisha biss die Zähne zusammen.
    Heute hätte der geplante Tanzabend, auf den sie sich so gefreut hatte, statt finden sollen. Nicht nur, dass die Stimmung in der Burg keine Vergnügungen mehr zuließ, die Organisatoren hatten es vorgezogen, die Feste in der letzten Nacht heimlich zu verlassen. Eine kleine, wagemutige Truppe junger Menschen, die eine Zukunft für sich suchten in der Hoffnung, sich verstecken und den Feind an sich vorüber ziehen lassen zu können.
    Sie hätte mitgehen können! Man hatte es ihr angeboten! Einfach nur jung sein, überleben wollen und die Zeit genießen, die man noch hatte. Statt dessen schrubbte sie Wäsche wie die niederste Magd und stand bereit, falls ein Schatten mal ihre Hilfe brauchen sollte.
    Falls.
    Seit ihrem gestrigen Streit hatte Vaine sich nicht einmal bei ihr gemeldet. Egal, wie tief sie in sich hineinhorchte, um ihn in irgendeinem stillen Winkel zu erspüren, er war nicht da. Und wenn sie andersherum versuchte, Kontakt zu ihm aufzunehmen, ließ er sie unbeachtet vor einer Wand kalter Gleichgültigkeit stehen.
    Vielleicht hätte sie doch mit der Gruppe mitgehen sollen.
    Nisha knallte ihr tropfnasses Wäschestück ihrer Nachbarin auf den Tisch, einer kräftigen Frau, deren Aufgabe es war, die Wäsche auszuwringen. Der Tisch quoll bereits vor nasser Wäsche über.
    Tranig und ohne Kraft drehte die Frau an einem Laken herum.
    „Hau rein!“, fuhr Nisha sie an.
    Es dauerte Sekunden, bis die Frau langsam ihren Kopf drehte und Nisha mit leerem Blick anstarrte. Sie sah nicht gut aus, irgendwie grau im Gesicht und tiefe Schatten unter den Augen zeugten von einer schlaflosen Nacht.
    „Ist dir nicht gut?“, fragte Nisha etwas freundlicher.
    Wieder dauerte es Sekunden, bis die Angesprochene reagierte.
    „Doch. Es ist alles in Ordnung! Es geht mir gut“, sagte sie lahm.
    Trotz des Klatschens und Platschens um sie herum konnte Nisha das leise Flüstern, dass die Stimme der Frau begleitete, deutlich wahrnehmen. Nisha spürte, wie es sie kalt überlief.
    „Fein. Dann kann ich wohl eine Pause machen, bis du soweit bist.“ Sie trat einen Schritt von ihrem Waschkübel zurück und sah sich unauffällig um.
    Da hinten stand noch eine Frau mit grauem, leeren Gesicht und trödelte herum, und da war noch eine … Nisha zwang sich zu Ruhe und Konzentration. Sechs solcher Frauen konnte sie entdecken.
    „Ich geh mal austreten“, entschuldigte sich Nisha schließlich und verließ fluchtartig den Raum.
    „Vaine!“ Sie schrie es fast in Gedanken, aber er reagierte nicht und sie konnte ihn auch nicht erreichen. „Verdammt, Vaine!“
    Nisha fegte um die nächste Ecke. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie in Lysanders erschrockenes Gesicht, dann knallte sie auch schon mit ihm zusammen. Eine unerträgliche Hitze fraß sich durch ihr Kleid in ihre Brust und floss wie Feuer an ihrem Bauch herunter. Sie hörte, wie das Tablett klappernd zu Boden fiel und die Teekanne zerschellte. Der Schmerz war so heftig, dass sie nicht schreien, sondern nur um Luft ringen konnte.
    „Scheiße“, entfuhr es Lysander, „tut mir leid, das wollt´ich nich´. Wart´ma´ kurz.“
    Lysander legte vorsichtig seine Hand auf ihr Brustbein und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Ein kühles Kribbeln übertrug sich von seiner Handfläche auf ihre schmerzende Haut, folgte den Spuren des kochend heißen Tees und nahm den Schmerz weg. Komplett weg!
    Nisha stand immer noch wie erstarrt und wagte nicht, sich zu rühren, aber der Schmerz kehrte tatsächlich nicht zurück.
    „Danke“, murmelte sie erleichtert und stieß die angehaltene Luft aus. „Ich muss dringend den Hüter sprechen, weißt du, wo er ist?“
    „Klar. Der Tee war für ihn. Aber er is´sehr beschäftigt. Soll ich ihm was ausrichten?“
    „In der Waschküche haben sich sechs Frauen in niedere Schatten verwandelt.“
    Lysanders Augen weiteten sich erschrocken.
    „Biste sicher?“ Nisha nickte. „Das sagste ihm besser selbst. Komm.“

    Abgesehen von zwei viel zu kurzen Pausen ritten sie durch, bis der Mond hinter Wolken verschwand.
    Den ganzen Tag hatte der Junge auf ein harsches Wort gewartet, doch auch jetzt blieb Gembries stumm. Er stieg nur ächzend vom Pferd, verzog sich kurz steifbeinig hinter den nächsten Busch, stopfte wortlos etwas Staubfutter in sich hinein, spülte dies mit einem Schluck Wasser herunter, legte sich auf den Boden und war, nachdem er „Nacht“ gewünscht hatte, sofort eingeschlafen.
    Alastair konzentrierte sich noch einmal und fand einen Uhu, den er losschicken konnte, um die Umgebung auf Gefahren abzusuchen.
    Sie waren sicher.
    Erst jetzt nahm er den Tieren die Sättel ab, rieb sie gewissenhaft trocken, flüsterte ihnen seinen Dank zu und lobte sie ausgiebig, bevor er sich selbst eine bequeme Stelle im weichen Laub suchte, um sich hinzulegen.
    Er hatte den Platz für ein Nachtlager unter einer kleinen Baumgruppe gewählt und genoss das leise Rauschen der Blätter im aufkommenden Nachtwind. Die Bäume standen auf einer saftigen Wiese, so dass die Pferde ausreichend Futter fanden, sogar einen kleinen Bach gab es, der munter vor sich hinplätscherte und an dem sie morgen ihre Trinkflaschen füllen konnten.
    Wider erwarten konnte Alastair lange nicht einschlafen. Vom Zwang der Konzentration befreit, flatterten seine Gedanken los wie ein Haufen aufgescheuchter Hühner.
    Natürlich machte er sich Sorgen um die Menschen in der Dorneburg, aber er machte sich auch Sorgen um Gembries.
    Nachdem alle Merkwürdigkeiten, die er selbst im Laufe der Jahre an sich bemerkt hatte, mit dem Wort Elb zusammengefasst und ausreichend erklärt waren, sprudelten seine Fähigkeiten wie Bier aus einem angestochenen Fass.
    Einige seiner Talente hatten sich zwar schon vorher bemerkbar gemacht, aber sie hatten ihn zu dieser Zeit nur irritiert, da sie seine Normalität in Frage stellten. Jetzt, wo er seine Wurzeln kannte, war es, als wüchsen aus schlafenden Knospen dicke Triebe.
    Sein Großvater hatte recht gehabt.
    Elb sein konnte man nicht lernen, man war es, und sobald man das wusste, entwickelte man sich als solcher fort.
    Und genau diese Entwicklung vermisste er bei Gembries.
    Ihm waren die Unsicherheiten und kleinen Ablenkungsmanöver des Kesselflickers, sobald es um Magie ging, genauso wenig verborgen geblieben wie seine betretene Miene.
    Das Füttern der Alse war toll gewesen, hatte aber nichts mit Zwergenzauber zu tun, sondern mit Mut, Logik und Neugier.
    Gembries hatte viele zwergische Eigenschaften. Er war übermäßig stark, konnte Metalle riechen, Mithril schmieden und gut mit der Axt umgehen. Und er hatte das typisch gestörte Verhältnis seines Volkes zu Pferden. Alastair musste grinsen, als ihm auffiel, dass die Pferde als Erste gewusst hatten, was Gembries war.
    Pferde liebten die Freiheit und den Wind, und Zwerge wohnten in Höhlen. Tatsächlich beschrieb Furcht vor Gefangenschaft in Dunkelheit und Enge die Nervosität der Tiere und die Angst, einen solchen Reiter zu tragen, am Besten.
    Gembries hatte sich überhaupt nicht verändert, seit er wusste, was er war.
    Während Alastairs elbische Fähigkeiten zu sprudeln begannen, konnte er bei seinem Zwergenfreund noch nicht mal ein Tröpfeln wahrnehmen. Und er hatte keine Ahnung, ob und wie er ihm helfen konnte.
    Ein anderes Tröpfeln riss ihn aus dem unruhigen Schlaf, in den er irgendwann gefallen war. Nach seinem Gefühl vor erst fünf Minuten.
    Es regnete. Und es war noch stockdunkel.
    Alastair war so erschöpft, dass er sich kaum rühren konnte. Sein Körper schien schwer wie ein Stein und kalt war ihm auch. Für einen Moment schloss er die Augen und versuchte einfach, wieder in den Schlaf zu gleiten. Doch das Tröpfeln nahm rasch zu. Ein Blitz blendete die Nacht, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donner. Dieser öffnete die Schleusen des Himmels, binnen weniger Sekunden war er vom eiskalten Regen durchnässt bis auf die Haut.
    Kaum waren Gembries und er fluchend hochgefahren, verwandelte sich der eiskalte Regen in Hagelkörner, die groß genug waren, um schmerzhaft aufzuprallen. Erneut zerriss ein vielfach verästelter Blitz die Dunkelheit.
    Gembries packte ihn am Arm und zerrte ihn von den Bäumen weg auf die Wiese.
    „Schöne Scheiße!“, schimpfte der Kesselflicker laut und eilte zurück zu den Bäumen, um die Sättel zu holen.
    Alastair pfiff nach den Pferden.
    Der Hagelschauer verschwand so schnell, wie er gekommen war, und machte erneut Starkregen Platz. Der Boden war jetzt schon weich und matschig, und es war immer noch finster. An Reiten war unter diesen Umständen gar nicht zu denken.
    Seufzend legte sich Alastair seinen Sattel auf den Kopf, um wenigstens diesen vor dem Regen zu schützen, und stolperte vorsichtig auf dem weichen Boden vorwärts. Gembries und die Pferde folgten ihm.

    Genau in dem Moment, als ihm die dralle Kellnerin mit einem Zwinkern einen großen, saftigen Braten auf den Tisch stellte und er die Gabel greifen wollte, hörte er Alastair „Guten Morgen, Gembries!“ sagen.
    Kellnerin und Braten verschwanden zu seinem Bedauern sofort in den Tiefen seines Unterbewusstseins. Ihr Abgang machte einem neuen Gefühl Platz, dem er vorher, durch den köstlich anmutenden Braten vereinnahmt, keine Aufmerksamkeit hatte zukommen lassen.
    Etwas krabbelte über sein Gesicht.
    Direkt über den Wangenknochen unter dem linken Auge in Richtung seiner Haare. Instinktiv zuckte seine Hand hoch, um das Vieh wegzuwischen, was immer es war.
    Jedenfalls war es kein Käfer. Der hätte ihm nicht gleich die Eingeweide ins Gesicht geschmiert.
    „Bist du wach?“
    „Gleich“, brummte der Kesselflicker unwillig und öffnete die Augen. Dunstig, blass und friedlich spannte sich der blaue Morgenhimmel über ihm. Er ließ diesen Anblick ein paar Sekunden auf sich wirken.
    „Die Sonne ist ja noch nicht mal aufgegangen“, beschwerte er sich schließlich und setzte sich träge auf, um mit seinem Ärmel die Überreste des Insekts aus seinem Gesicht zu wischen.
    Verlegen huschte Alastairs Blick zu den bereits gesattelten Pferden.
    „Ja, ich weiß“, murmelte der Junge.
    „Lass mich raten. Du konntest nicht mehr schlafen und dachtest, es ist eine gute Idee, mich aus meinen schönsten Träumen zu reißen, um Gesellschaft zu haben.“
    „Nein.“ Alastair sammelte sich. „Ich habe geträumt, Gembries. Ich habe geträumt, ich würde die Welt von oben sehen und da zog eine breite, schwarze Spur wie eine Straße durch die Lande. Im Traum bin ich der Richtung dieser Spur gefolgt, bis ich die Gegend erkennen konnte. Sie zieht auf den Eingang der Schlucht zu, die zur Dorneburg führt.“
    Gembries warf ihm wieder einen seiner speziellen Blicke zu.
    „Dann hol das Besteck heraus, Fröschlein. Ich habe nämlich auch geträumt, und zwar von einem köstlichen Braten, und den sollten wir erst zum Frühstück verspeisen, bevor wir aufbrechen.“
    „Der Schrei eines Falken hat mich geweckt, Gembries. Es war ein sehr großer Falke mit golden glänzendem Gefieder, und er kreiste über uns, bis ich aufstand und die Pferde sattelte.“
    Alastair hörte seinen Freund tief aufseufzen, doch der befürchtete Spott bliebt aus.
    „Du meinst Elbenkram? Der Falke hat dich im Traum sehen lassen, was er selbst gesehen hat?“
    Alastair nickte.
    „Und du bist ganz sicher mit der Dorneburg?“
    Wieder nickte der Junge.
    „Hast du den Feind sehen können?“
    „Nein, leider nicht. Ich glaube, der Falke ist in einem Bogen um die Schatten herum geflogen.“
    „Und wie schnell ist der Feind?“
    Alastair sah betreten zu Boden und zuckte die Schultern.
    „Ich weiß es nicht, Gembries. Ich habe dir alles gesagt, was ich sehen konnte. Trotzdem sollten wir aufbrechen. Wenn wir uns beeilen, kommen wir vielleicht rechtzeitig, um die Menschen zu warnen, so dass sie vorher evakuiert werden können.“
    „Fein. Auf Beeilen habe ich gerade Lust.“
    Gembries´ Miene zeugte vom Gegenteil.
    „Da ist noch etwas, dass ich dir sagen sollte. Der Falke hat seine Bilder als Warnung geschickt. Damit wir vor den Schatten fliehen können.“ Mühsam stieg Gembries auf sein Pferd.
    „Dein Falke scheint klüger zu sein als wir beide zusammen. Was ist jetzt? Reiten wir los oder willst du weiter Volksreden schwingen?“
    Ein erleichtertes Grinsen machte sich auf Alastairs Gesicht breit.
    „Und ich muss dich gleich noch einmal warnen!“, sagte er, während er mit einem eleganten Satz auf dem Rücken seines Pferdes landete. „Die Reise wird für dich kein Zuckerschlecken werden, Herr Zwerg. Du vertraust dich einem eiligen Elben an. Das wird für dich eine ganz neue Erfahrung werden.“
    „Jaja, ich weiß. Alt wie `ne Kuh und lernt noch dazu. Dann zeig mal, was du drauf hast, Elblein.“
    Das ließ sich Alastair nicht zweimal sagen. Er ließ die Pferde in einem flotten Schritt gehen, bis die Tiere warm geworden waren, und spornte sie dann zu einem leichten Galopp an. Dieses Tempo würden sie stundenlang beibehalten können, ohne dass die Pferde zu schnell ermüdeten.
    Eine Zeit lang folgten sie der schmalen Straße, die durch eine malerische Landschaft mit kleinen Wäldern, bunten Wiesen und Weiden und an einsamen Höfen vorbei führte.
    Verblüfft beobachtete Gembries, dass Vögel, die zufällig über sie hinweg flogen, dazu übergingen, zwei oder dreimal über ihnen zu kreisen und dann die Richtung änderten. Erst hielt er das für einen Zufall, doch dann häuften sich diese Vorfälle zu sehr. Es überraschte ihn nicht, dass Alastair irgendwann die Straße verließ und, ohne das Tempo zu mindern, ihren Weg querfeldein fortsetzte.
    „Sag Bescheid, wenn es zu schwer für dich wird und halte dich gut fest!“, rief Alastair ihm zu.
    Da von seinem Freund kein Wort des Protestes kam, kehrten die Gedanken des Junges schnell zu seiner größten Sorge zurück. Wie ein blasser Schemen legte sich das Gesicht Rebeccas über all die Bilder, die die Vögel ihm sandten. Alastair konzentrierte sich. Er durfte sich jetzt keine Fehler erlauben.

    „Hört endlich auf, euch zu streiten“, fuhr der Hüter dazwischen. „Vorwürfe bringen uns jetzt auch nicht weiter! Die Situation ist schrecklich genug!“
    Zadhac zuckte schuldbewusst zusammen und Vaines Miene kehrte zu völliger Ausdruckslosigkeit zurück.
    „Gibt es eine Möglichkeit, die Dorneburg zu evakuieren? Vielleicht ein Versteck, von dem ich nichts weiß? Ein geheimer Fluchtweg?“, nahm der Schatten das Gespräch wieder auf.
    Zischend zog Zadhac die Luft ein.
    „Nein, gibt es nicht“, musste er zugeben. „Noch nie zuvor hat jemand gewagt, die Dorneburg anzugreifen, auch in den alten Kriegen nicht. Es ist belegt, dass selbst die Schatten dieses Gebiet immer gemieden haben. Und seit der Nutzung der Feste als Zentrum der Heilkunst hatten wir keine Angriffe zu fürchten.“
    „Gibt es vielleicht jemanden, der uns helfen könnte? Der mit einem großen Heer rechtzeitig den Schatten in den Rücken zu fallen in der Lage ist?“
    „Definiere rechtzeitig“, seufzte Eliazar. „Die nächste größere Armee ist die von Vordergarst, sie sichert die Stadt Gersheim. Selbst, wenn Vordergarst dazu bereit wäre, den Schutz seiner Hauptstadt aufzugeben um uns beizustehen, würde er fünf Wochen brauchen, um einzutreffen. Können wir einer feindlichen Belagerung fünf Wochen stand halten?“
    Vaine schüttelte den Kopf.
    „ Ich glaube nicht. Rukas stammen aus der Familie der Echsen. Sie können Mauern erklimmen“, erklärte er sachlich.
    Eliazar und Zadhac wurden blass.
    „Was ist mit diesem Artefakt, dass du besitzt, dem Alsenstein?“, fragte der Hüter schließlich zögernd. „Kann der uns schützen?“
    Vaine wandte den Blick ab.
    „Ich weiß es nicht. Ich habe das Ding selbst gefunden und habe keine Ahnung, wie weit seine Macht geht oder ob ich es aktiv nutzen könnte. Als Schatten möchte ich es auch lieber nicht versuchen. Hinterher ist es kaputt.“
    „Darf ich ihn mir einmal ansehen?“
    Vaine zog den Eiskristall aus seinem Wams und überreichte ihn Eliazar. Fast ehrfürchtig drehte dieser den seltsamen Fund zwischen seinen langen, dünnen Fingern, deren Spitzen schließlich zu leuchten begannen. Nach einer ganzen Weile schüttelte er bedauernd den Kopf.
    „Ich spüre zwar eine Kraft in diesem Stein, aber ich erreiche sie nicht“, murmelte er. „Versuch du es bitte, Zac.“
    Doch auch Zadhac musste nach großer Anstrengung zugeben, dass der Stein sich vor seinem Zugriff verschloss.
    „Nisha hat den Stein nutzen können. Vielleicht wirkt er nur bei Menschen, die selbst keine Magie haben“, vermutete Vaine und steckte den Kristall wieder in sein Wams. „Ich werde ihn Nisha geben.“
    Zadhac räusperte sich.
    „Auch Beihu hat keine magischen Kräfte und könnte den Stein nutzen. Er ist kräftiger als Nisha und als ausgebildeter Kämpfer sicher die bessere Wahl“, merkte er vorsichtig an.
    Sofort schüttelte Vaine den Kopf.
    „Du verstehst nicht, Zadhac. Ich werde die ganze Zeit über mit Nisha in engem Kontakt stehen müssen, wenn die Schatten vor unseren Mauern auftauchen. Sie ist die Einzige, die mich davor bewahren kann, erneut unter den Einfluss Yuruks zu geraten und sie wird diejenige sein, der es als Erste auffällt, wenn ihr das nicht gelingt. Dann wird sie den Stein brauchen, um mich zu töten. Von ihr weiß ich sicher, dass sie ihn nutzen kann. Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet? Ich glaube, wir haben alles Wichtige abgeklärt und ich möchte meine Männer nun lieber auf den bevorstehenden Angriff vorbereiten, als in einer weiteren Versammlung das Ziel für böse Blicke zu werden.“ „Ich kann nicht behaupten, dass ich ihn mag, aber manchmal nötigt er mir tatsächlich Respekt ab“, murmelte Zadhac, nachdem sich die Türe hinter Vaine geschlossen hatte.


    „Was soll ich? Du spinnst doch wohl komplett!“
    In Nishas von der Waschlauge noch weißen und schrumpeligen Hand, lag der Alsenstein, dem sie jedoch keine Beachtung schenkte. Ihr funkelnder Blick lag drohend auf Vaine, ihre Lippen waren vor Wut schmal geworden, die Nasenflügel blähten sich.
    „Es ist nur für den Fall, dass ich Yuruks Einfluss unterliege“, versuchte Vaine, sie zu beschwichtigen.
    „Dann wirst du dich verdammt noch mal gegen Yuruks Einfluss wehren müssen“, sprang Nisha von dem einfachen Holzstuhl, den Vaine ihr angeboten hatte. „Wage dich nicht, ihm nachzugeben, denn ich schwöre dir, ich lasse dich hängen, und wenn es das Letzte ist, das ich in diesem Leben tue. Hast du das verstanden?“
    Vaine machte den Mund auf und tonlos wieder zu, in seinen Augen spiegelte sich erst Verwirrung, dann Verärgerung.
    „Ich brauche dich, Nisha. Du vergisst, dass ich euch alle töten könnte.“
    „Genau das ist der Punkt, Vaine. Wenn, dann tötest du. Du allein, dein Arm, deine Hand, deine Waffe. Du bist verantwortlich für das, was mit dir geschieht und du bist verantwortlich für die Wahl, die du triffst. Ich helfe dir gerne dabei, Yuruks Einfluss zu widerstehen, aber ich verlange von dir, dass du ihm widerstehst. Meinetwegen. Und wenn ich dir so unwichtig bin, dass du mich wegen deines toten, von Hass zerfressenen, geifernden Gottes vergisst und zu einer mordenden Bestie wirst, dann werde ich sterben, und du wirst daran Schuld sein. Aber ich werde mich nicht durch Yuruk zu etwas machen lassen, das ich nicht bin, und das ist die Mörderin meines Gefährten. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“
    Nisha rauschte zur Türe der kleinen Kammer, in die Vaine sie zum Gespräch gebeten hatte, und stieß diese so heftig auf, dass der lauschende Lysander eine Beule auf der Stirn davontrug. Sie warf ihm im Vorbeigehen einen vernichtenden Blick zu und verschwand mit durchgedrückten Rücken Richtung Waschküche, ohne sich noch einmal umzusehen.

    „Hüter? Ich muss dich ma´sprechen!“
    „Jetzt nicht, Lysander, wie du siehst bin ich noch sehr beschäftigt. Heute Abend werde ich dir ein paar Minuten ...“
    „Jetzt!“
    Irritiert ließ Eliazar die Papiere, die er gerade in der Hand hielt, sinken.
    „Was gibt es denn so wichtiges, dass es nicht auch bis heute Abend warten könnte?“
    „Wir werden angegriffen.“
    Der Hüter stutzte einen Moment, dann wandte er sein Gesicht dem offenen Fenster zu, durch das die ganz normalen Alltagsgeräusche in den Raum drangen. Gesprächsfetzen und Schritte waren zu hören, Gelächter und klappende Türen, irgend jemand schimpfte.
    „Ich scheine nicht der einzige zu sein, der diesen Angriff noch nicht bemerkt hat“, sah er seinen Schüler fragend an.
    „Da is´`ne Armee zu uns unterwegs. Das haben drei Flüchtlinge, die heute Morgen hier eintrafen, unabhängig voneinander berichtet.“
    „Zu UNS?“
    Lysander nickte.
    Alles, worüber Eliazar sich bis gerade Gedanken gemacht hatte, verflüchtigte sich in seinem Kopf und hinterließ eine gähnende Leere. „Vielleicht schickt uns ein Herrscher seine Unterstützung“, hoffte er lahm. „ Haben die Männer Fahnen erkennen können?“
    „Fahnen nich´, aber hässliche Viecher sind dabei, die es bei uns gar nicht gibt.“
    „Wie, hässliche Viecher?“
    „Na so wie Drachen ohne Flügel ungefähr. Müssen sehr groß sein und ziemlich eklige Zähne haben. Erst dacht´ ich ja, die Männer spinnen, die war´n völlig außer sich, aber wo sie doch alle das Gleiche berichten ...Ich hab´s schon magisch geprüft, sie sagen die Wahrheit.“
    Eliazar spürte sein Herz stolpern.
    „Wo sind diese drei Männer jetzt?“
    „Im Krankentrakt. Ich hab´ sie in einen Heilschlaf versetzt, bevor sie die anderen verrückt machen können. Vor morgen Mittag wachen die nich´ auf. Ich hab alle Informationen gesammelt, die sie geben konnten. Hier.“ Lysander tippte sich an die Stirn.
    Eliazar schlug die Augen nieder und hoffte, Lysander würde nicht merken, wie hilflos er sich in diesem Moment fühlte.
    „Wie groß ist das Heer?“
    „Da gingen die Meinungen auseinander, der eine sprach von etwa zweitausend, der andere will viertausend gesehen haben, der dritte lag dazwischen. Aber es sind vier Viecher, da waren sich alle einig. Sie werden in zwei bis drei Tagen Thorgards Wacht erreicht haben.“
    Eliazar seufzte tief.
    „Danke, Lysander. Kannst du Zadhac und Vaine zu mir schicken? Und dann rufe bitte die Ratsmitglieder in den großen Saal. So in einer Stunde?“
    „Is´ gut, mach ich.“
    Der Hüter wartete, bis der Junge den Raum verlassen hatte, dann barg er seinen Kopf in den Händen und stöhnte auf, als tausend Gedanken gleichzeitig durch seinen Geist schossen.

    Zadhac war auf alles vorbereitet, aber nicht darauf, dass sein Freund blass und mit leicht zitternden Händen auf seinem Stuhl saß und ihm bei seinem Eintreten einen hilflosen Blick zuwarf. Noch bevor er sich erkundigen konnte, was los war, sah er aus den Augenwinkeln etwas Dunkles an sich vorbeiziehen und zuckte unwillkürlich zusammen.
    „Warum machst du kein Geräusch beim Gehen?“, entfuhr es ihm gereizt.
    „Warum bist du so ein Trampel?“, konterte Vaine gelassen.
    Eliazar holte tief Luft.
    „Es ist eine Schattenarmee auf dem Weg zu uns“, stieß er mit rauer Stimme hervor. Zadhac erstarrte, als hätte ihn der Satz eingefroren. Vaine runzelte nachdenklich die Stirn und nickte dann langsam.
    „Wieso denn zu uns? Hieß es nicht, sie würden Aell zuerst angreifen?“, fand der kleine Heiler schließlich seine Stimme wieder und wirbelte zu Vaine herum. „Hast du nicht gesagt, sie würden den Elbenkönig zuerst angreifen? Und jetzt kommen sie zu uns?“
    Vaine musterte ihn kalt, als sähe er ihn zum ersten Mal.
    „Nein, das habe ich nie gesagt“, antwortete er schließlich gereizt. „ Gembries und Alastair haben gehört, wie der falsche Hüter das sagte. Lies doch einfach die drei Protokolle, die du von unserem Verhör angefertigt hast, wenn dein Gedächtnis schwächelt.“
    „Dann war das mit dem Elbenkönig also eine Finte der Schatten?“
    „Das glaube ich nicht, kleiner Mann. Es ist durchaus logisch, dass sie ihre Pläne geändert haben. Wir haben ihr Tor geschlossen, falls du dich erinnerst. Und wir haben einen der Fürsten, die sie beschworen haben, in die Schatten zurückgeschickt. Was liegt also näher als die Idee, sich ein neues Tor zu besorgen, bevor sie gegen Aell ziehen, hm? Wie groß ist die Armee, die da kommt?“, wandte er sich an Eliazar.
    Der zuckte die Schultern.
    „Der eine will zweitausend gesehen haben, der nächste spricht von viertausend Kriegern. Und sie sollen vier Wesen dabei haben, die aussehen, wie Drachen ohne Flügel.“
    „Ruka Reiter?“ Vaine war unangenehm überrascht. „Der Bann muss mehr Löcher haben als die Decke eines Bettlers, wenn sie Rukas hierher schaffen können. Wann gedenkst du, dich endlich darum zu kümmern?“
    Eliazar wich betreten Vaines Blick aus und Zadhac machte ein erschrockenes Gesicht.
    „So ist das also“, murmelte Vaine abfällig, „du kannst es gar nicht, stimmt´s? Ich frage mich schon seit Wochen, warum du den Bann nicht einfach reparierst und dem ganzen Spuk ein Ende machst, und hier haben wir die Antwort. Du kannst es gar nicht!“
    Zadhac spürte, wie es ihn kalt überlief. Keinesfalls sollte diese Information einem Schatten zugänglich sein.
    „Der Bann kann nur von der Hohen Feste aus repariert werden“, sagte er wütend. „Kümmere du dich lieber um die Verteidigung der Dorneburg als um unsere Angelegenheiten.“
    „Die Verteidigung der Dorneburg? Mit einer Stadtwache?“
    „Womit denn sonst?“, fauchte Zadhac erbost über den Spott in Vaines Worten. „Du hast die sofortige Befugnis, jeden Mann, der halbwegs eine Waffe zu halten imstande ist, in den Dienst zu berufen.“
    Vaines Lächeln war eisig.
    „Das ist natürlich sehr hilfreich“, sagte er sanft, „dann fehlen jetzt nur noch ausreichend Waffen, nicht wahr? Vielleicht könnte ich aus der Küche getrocknete Bohnen oder hartes Brot bekommen, um den Feind damit zu bewerfen, wenn er vor den Mauern steht? Denn wenn ich mich recht erinnere, wurde mein Gesuch um Waffen zu Gunsten der Beschaffung von Lebensmitteln abgelehnt, und zwar von dir persönlich!“

    Moin Jen, Alsen kamen im Grünwald schon mal vor, auf der Lichtung mit dem Feenzauber. Das sind Geisterviecher, die Leuten das Leben aus dem Mund saugen (durch diesen "Ring") - Menschen überleben das nicht. Dass sich in der Nähe der Feen auch immer Alsen herumtrieben, machte die Feen nicht besonders beliebt bei den Menschen. Vaine hatte damals seinen komischen Stein gegen die Alsen eingesetzt, dem sind sie fern geblieben.
    Ich wollte das im Text nicht wieder auffrischen, denn anders als hier liegen in der Geschichte ja nicht bis zu 5 Jahre zwischen den einzelnen Kapiteln :blush: (den Grünwaldkram hab ich tatsächlich 2014 geschrieben).
    Ich freue mich, dass du wieder dabei bist :love:

    Nach einer kurzen Unterbrechung von etwa 3 Jahren geht es jetzt einfach mal weiter... :blush: . Kurze Erinnerung: Gembries und Alastair waren in einem Dorf mit merkwürdig verlangsamten Leuten, die sich zu Schatten wandelten...die Verwandlung normaler Menschen zu Schatten bereitet gerade in der Dorneburg und beim Elbenkönig Kopfzerbrechen. Gembries wollte in dem Dorf übernachten und was futtern und Alastair wollte einfach nur weg :D

    „Den armen Pferden hätte eine Nacht Ruhe sicher auch gut getan!“, nölte Gembries, kaum, dass sie das Dorf verlassen hatten.
    Alastair biss die Zähne fest zusammen. Hier war etwas Böses im Gange, dass sich wie eine klebrige Schicht giftigen Schleims auf all seine Sinne legte und diese alarmierte. Auch die Pferde waren nervös und forderten ihn.
    Das letzte, was er jetzt vertragen konnte, war ein vor sich hin meckernder Gembries, der nichts mitbekam und nur an seine Bequemlichkeit dachte.
    „Außerdem habe ich Hunger, aber nicht auf dein Staubfutter!“, tönte es erneut.
    „Ich nehme zur Kenntnis, dass deine magischen Fähigkeiten und dein Gespür für Magie unterentwickelter sind als mein Bartwuchs“, presste Alastair scharf hervor, „Aber ich bitte dich, einfach genauso zur Kenntnis zu nehmen, dass ich auf Magie offenbar sehr sensibel reagiere und wir befinden uns in einem Gebiet, wo üble Magie wirkt. Mich interessiert dein Hunger gerade weniger als … als ... egal, aber halt einfach die Klappe, bis wir dieses Gebiet verlassen haben, ja?“
    „Oho, der vornehme Elbenprinz vergisst seine guten Manieren? Wenn das der Opa wüsste!“
    „Der vornehme Elbenprinz war sicher zu lange mit einem ungeschliffenen Zwerg zusammen, was seinen Manieren Abbruch getan hat. Mensch, Gembries, lass es jetzt gut sein. Du gehst mir gerade furchtbar auf die Nerven.“
    Aus den Augenwinkeln sah er, wie Gembries sich beleidigt straffte.
    „Hast ja recht, ich geh mir selbst auf die Nerven“, kam es kurze Zeit später leise. „Warum reiten wir eigentlich im Schritt, wenn du es so eilig hast, von dem Dorf wegzukommen?“
    Alastair seufzte.
    „Ich habe nicht das Gefühl, dass es mit zunehmenden Abstand vom Dorf besser wird. Ich fühle mich hier eher mehr bedroht. Du nicht?“ Gembries zuckte unbehaglich die Schultern. Er konnte nichts spüren, und das war ihm als angeblich mächtigster Zauberer sehr peinlich.
    „Mir fällt nur auf, dass das Gras immer welker wird, je weiter wir uns dem Wald nähern“, murmelte er mit Blick auf die Wiesen, die ihren schmalen Weg säumten. „Und ich weiß nicht, ob die beginnende Dämmerung mir einen Streich spielt, aber der Wald sieht auch nicht mehr so gesund aus.“
    Alastair nickte bedrückt. Die vorderen Bäume hatten alle schlaff herabhängende Blätter. Gembries kramte umständlich in seiner Satteltasche und zog die Karte heraus.
    „Wir müssten etwa drei Tage lang zurückreiten, um auf die andere Straße zu kommen, die in die Richtung der Dorneburg führt. Und sie macht einem sehr großen Bogen über sämtliche Käffer des Landes.“
    „Es wäre vielleicht trotzdem der bessere Weg“, erwiderte Alastair.
    Gembries zog die Stirn kraus.
    „Wenn das hier Schattenmagie sein sollte, Fröschlein, dann sollten wir nicht trödeln, denn der Feind trödelt offenbar auch nicht. Erwischen könnten sie uns überall. Der Wald sieht auf dieser Karte nicht sonderlich groß aus. Wenn wir uns beeilen, müssten wir noch vor Einbruch der Dunkelheit durch sein.“
    Er packte die Karte wieder weg. Alastair seufzte erneut.
    „Na gut. Aber tu mir einen Gefallen, Gembries. Spiel nicht den Helden. Gegen Magie kann man mit einer Axt nichts ausrichten. Die Pferde sind noch frisch genug, um zu rennen. Sollten wir also dem Feind begegnen, dann halte dich einfach nur gut am Sattel fest und ziehe den Kopf ein, ja? Und jetzt sollten wir versuchen, das letzte Tageslicht so gut wie möglich zu nutzen.“
    Alastair holte tief Luft und hielt auf den Waldrand zu.
    „Das muss der Rest eines verdammt alten Waldes sein“, murmelte Gembries, nachdem sie den schmalen Buschsaum passiert hatten.
    Die Bäume waren sehr hochgewachsen und standen mit großem Abstand zueinander auf spärlich bewachsenem Waldboden. Da alle Blätter traurig und schlaff herunter hingen, kam jetzt mehr Licht durch die mächtigen Kronen, als es wohl normalerweise der Fall war. Alastair wusste nicht, wer nervöser war, die Pferde oder er selbst. Zögernd setzten die Tiere ihre Hufe vorwärts.
    Es war, abgesehen von den Geräuschen, die sie selbst verursachten, totenstill.
    Aber wenigstens würde der Wald sie nicht auf einer schnellen Flucht behindern. Die Bäume verzweigten sich erst in einer Höhe, die einem Reiter nicht gefährlich werden konnte. Vor ihnen lag, durch die Furchen von Rädern deutlich erkennbar, der Weg.
    „Bringen wir es hinter uns“,sagte Alastair mit mehr Entschlossenheit, als er verspürte, und gab seinem Pferd die Hacken. Je weiter sie in den Wald vordrangen, desto unwohler fühlte sich der Junge. Feiner Schweiß lag auf seinem Gesicht und es fiel ihm immer schwerer, die Tiere dazu zu bringen, auf eine deutlich wahrnehmbare Gefahr zuzureiten, statt vor ihr davonzulaufen.
    Inzwischen ging die Sonne unter, und das rote Licht verlieh den fahlen, dunklen Farben unter den Kronen der alten Baumgiganten ein gespenstisches Aussehen. Etwas Böses störte Alastairs Konzentration immer stärker, der Junge wurde fahrig in seinen Gedanken, sein Herz schlug viel zu schnell und seine Angst wuchs. Hastig schielte er zu Gembries herüber, der mit beneidenswert stoischer Ruhe im Sattel saß und seine Blicke aufmerksam schweifen ließ.
    „Spürst du immer noch nichts?“, flüsterte der Junge heiser.
    „Ich kann jetzt nicht behaupten, dass ich mich gerade wohl fühle, aber wirklich spüren … da!“
    Alastair zuckte zusammen und folgte der Blickrichtung seines Gefährten in schlimmer Vorahnung, aber mehr als eine riesige Esche auf einer kleinen Lichtung konnte er nicht erkennen.
    „Was ist da?“
    „Na, der Baum!“
    „Gembries, hier stehen überall Bäume. Welchen meinst du?“
    „Die Esche da hinten.“
    Hastig suchten Alastairs Augen die Esche ab.
    „Ich sehe da nichts besonderes?“
    „Alle Bäume lassen die Blätter hängen, aber der da sieht wirklich krank aus. Siehst du nicht die schwarzen Schlieren in der Rinde und die schwarzen Blätter in der Krone? Ich glaube, das sollten wir uns genauer ansehen.“
    „Gembries, wir haben mit Verlaub andere Sorgen als einen kranken Baum.“
    „Bring die Pferde dahin, Fröschlein!“
    Etwas in Gembries´ Ton verbot jeglichen Widerstand. Alastair musste seine ganze Kraft zusammennehmen, um den nervös tänzelnden Tieren seinen Willen aufzuzwingen.
    Mit jedem Schritt, den sie der Lichtung näher kamen, verstärkte sich die Angst des Jungen zu einer Übelkeit.
    Das Gras der Lichtung lag schwarz und tot auf dem Boden. Neben dem gewaltigen Stamm der Esche stand eine von einem dunklen Umhang verborgene Gestalt.
    Ganz leise waren widerwärtige, zischende und harte Laute zu vernehmen.
    Ein Rufer.
    Alastair erinnerte sich an diese Wesen, die er schon in der Nähe des Schattenlagers gesehen hatte. Aber er hatte sie noch nie murmeln hören. Das war widerlich. Auch wenn er kein Wort verstand, tröpfelten die Laute wie Säure in seine Seele.
    „Gembries, wir müssen sofort hier weg! Das ist ein Rufer. Er verwandelt Menschen in Schatten.“ Alastairs Stimme war die blanke Panik anzuhören.
    Die von Gembries blieb ganz ruhig. Er erahnte instinktiv, dass dieses Wesen nicht kämpfen konnte und sich seine Macht rein auf die Magie der hässlichen Worte beschränkte, die es von sich gab.
    „Fragst du dich nicht, warum er ausgerechnet hier steht?“
    Verblüfft fuhr der Junge zu ihm herum.
    „Was?“
    „Warum er ausgerechnet hier steht! Mitten im Wald an einer alten Esche, und nicht irgendwo in einem Schuppen, einer Scheune oder einem Dachboden im Dorf!“
    Die Panik in den Augen des Jungen machte einer Verwirrung Platz.
    „Worauf willst du hinaus?“
    „Ich will verstehen, was sich da vor meinen Augen abspielt, Alastair. Irgend einen Sinn wird es schon haben. Der Feind kennt unsere Welt und die Macht der Alten viel besser, als wir selbst. Statt sich also mitten ins Dorf zu stellen und dort seine dreckige Schattenmagie loszulassen, steht dieses Wesen an einer Esche in einem Wald, der alt genug ist, um noch die Feen persönlich gekannt zu haben. Die Menschen sind verlangsamt, die Blätter aller Bäume hängen schlapp und kraftlos herunter, aber diese Esche hat schwarze Schlieren in der Rinde und einige schwarz gewordene Zweige. Wenn du mich fragst, steht dieser Rufer nicht zufällig da.“
    Alastair schluckte.
    „Das können wir dem Hüter erzählen, wenn wir in der Dorneburg sind. Aber um das zu können, sollten wir von hier verschwinden, bevor er uns auch zu Schatten macht.“
    Gembries runzelte die Stirn.
    „Ich wage zu bezweifeln, dass er einen von uns zu einem Schatten machen kann, solange dieser Baum noch lebt. Wir sind keine Menschen, Fröschlein.“
    „Trotzdem bringt es nichts, hierzubleiben, bis der Baum tot ist, Gembries. So ein Wesen kann man nur mit Magie bekämpfen, und so weit sind wir leider noch nicht.“
    Gembries zuckte leicht zusammen.
    „Wer weiß“, murmelte er und griff in sein Hemd, um das Auge Ursas hervorzuholen.
    „Autsch“, rief er erschrocken, als Schmerzen wie tausend Nadelstiche in die Hand fuhren, mit der er das Amulett hochhielt. Hastig verstaute er es wieder ins einem Hemd, bevor er seine Hand ausschüttelte.
    „Naja, einen Versuch war es Wert“, sagte er verlegen. Als er einen abschließenden Blick auf den Rufer werfen wollte, sah er zu seiner Überraschung Nebel am Fuße des Eschenstammes hochsteigen.
    „Warte mal, Alastair!“
    „Nein, bitte, lass uns sofort von hier verschwinden. Ich weiß, was jetzt kommt, und das brauchen wir nicht auch noch.“
    Schon formte sich der Nebel zu einer geisterartigen Gestalt, auch der Ring war bereits zu erkennen.
    „Es ist nur eine Alse, Junge!“
    „Na und? Eine reicht ja wohl!“
    Gembries drückte dem überraschten Alastair seine Zügel in die Hand und sprang von seinem Pferd.
    „Gembries! Was hast du vor? Willst du dich umbringen lassen?“, schrie Alastair erschrocken. Der Kesselflicker ging in die Hocke und sah der Alse zu, wie sie langsam und unsicher auf ihn zuschwebte.
    „Ich werde sie füttern, Junge. Ich will wissen, was dann passiert. Sie ist immerhin alles, was uns die Feen auf dieser Welt hinterlassen haben.“
    Hilflos saß Alastair auf seinem Pferd und spürte, wie ihm Tränen in die Augen schossen.
    „Boah, Gembries, du bist so ein Idiot, ich hasse dich. Und damit du es nur weißt, ich werde nie wieder mit dir in einen Wald gehen, hörst du? Nie wieder!“
    Inzwischen hatte die Alse Gembries erreicht. Der Kesselflicker fühlte ein kühles, nicht unangenehmes Prickeln in seinen Lippen, als sich der weiße Ring auf sie legte, und dann ein leichtes Kribbeln in seinem Körper.
    „Üs üst gor nüscht so schlümm!“, versuchte er, seinen Freund zu beruhigen.
    „Ich werde ich nicht beerdigen, Gembries!“ , schimpfte Alastair von oben auf ihn herunter. „Damit du es nur weißt, ich werde deinen toten Körper einfach hier liegenlassen und der Rufer wird dich in die Ewigkeit singen, das wird sehr hässlich für dich werden!“
    „Nü moch mol holblong. Üch bün ein Zwürg, schon vörgüssen? Üch hob mühr Lübünskraft als olle onderen!“ winkte Gembries ab.
    Die Tränen liefen Alastair nicht nur aus den Augen, sondern auch aus der Nase. Unwillig wischte er sie an seinem Ärmel ab und beobachtete dabei widerwillig, wie die Alse immer größer, ihr Körper immer dichter wurde, und dann begannen kleine, leuchtende Punkte in ihr zu funkeln und zu glitzern.
    Plötzlich löste sie sich von Gembries, schwebte noch einen Augenblick hin und her, und dann versank sie spurlos im Boden.
    „Vom Ergebnis habe ich mir mehr erhofft“, seufzte Gembries und richtete sich wieder auf. „Aber mit meiner Vermutung, dass ich eine Alse nicht zu fürchten brauche, lag ich immerhin richtig!“
    Mühsam stieg er wieder in den Sattel.
    „Das glaube ich jetzt nicht!“, hörte er Alastair ausstoßen.
    Winzige kleine Lichtpunkte leuchteten erst im Erdboden auf und erschienen dann in der Rinde der alten Esche, stammaufwärts, als würde ein Strom leuchtender Energie den Baum hoch wandern. Die schwarzen Schlieren wurden immer kleiner und verschwanden schließlich, und obwohl es windstill war, hörten sie die Blätter in der Krone des Baumes rauschen, als sie sich kraftvoll wieder aufrichteten. Die murmelnde Stimme des Rufers wurde lauter, eindringlicher, doch das Rauschen der Esche nahm seinem Gemurmel die Wirkung. Der Erdboden begann, sich zu bewegen. Wie braune Schlangen krochen Wurzeln am Rufer hoch, nahmen ihn gefangen, und langsam, ganz langsam, wurde seine Gestalt in den Baum gezogen, wo er tief im toten Holz des Stammes verschwand und für immer verstummte.

    @Sakul: und @Maxwell: ja gerade "trödelt" es ein wenig. Grund ist die Entfernung zwischen Danbar und der Dorneburg. Es muss eben etwas dauern, bis es "richtig" weitergehen kann. :pardon:

    Tatsächlich stehe ich damit vor einem kleinen Problem (wie man auch an meinen spärlichen Posts erkennt). Mir ist noch nicht der passende Hammer Lückenfüller eingefallen. Ich muss mal in mich gehen, ob ich die letzten 8 Seiten nicht doch wieder rausnehme und etwas besseres konstruiert kriege. (Riesenseufzer wegen 8 vollen Din A 4 Seiten :dash:;( ).

    Es ist halt noch kein Meister vom Himmel gefallen...

    Ich werde meine grauen Zellen ankurbeln und gucken, ob ich die letzten Teile nicht ganz ändere... :D

    Spoiler anzeigen

    Ein schwaches Lächeln huschte ihr über das Gesicht, als Zandhor einen Strauß Feldblumen in einer Vase ans Bett stellte.
    „Danke“, sagte Rebecca und versuchte, fröhlich zu klingen.
    Ein Versuch, der gründlich misslang, weil ihr direkt Tränen in die Augen traten.
    „Was ist denn los, Rebecca?“, fragte Zandhor besorgt und setzte sich auf die Bettkante.
    Ein Kloß in der Kehle hinderte sie am Sprechen, und so zuckte sie nur hilflos mit den Schultern und wich seinem Blick aus.
    Rebecca wusste selbst nicht, was mit ihr los war.
    Normalerweise war sie nicht nah am Wasser gebaut, doch in den letzten Tagen flossen ihr ständig die Augen über. Jede freundliche Geste brachte sie direkt zum Heulen, jeder weniger schöne Gedanke auch.
    Verlegen wischte sie sich mit den Händen über die Wangen und bemerkte dabei, dass die Anzahl der Erhebungen auf ihrer Haut deutlich zugenommen hatte. Pickel. Sie hatte früher nie Pickel gehabt und sah inzwischen bestimmt aus wie ein Streuselkuchen.
    Sogleich wurden ihre Augen wieder nass.
    Am liebsten hätte sie sich unter Zandhors immer noch forschendem Blick unter die Bettdecke verkrochen.
    Zandhor sah, wie sie mit sich rang. Ein amüsiertes Lächeln erhellte sein Gesicht.
    „Das ist nicht lustig“, schniefte sie beleidigt. „Ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber es ist nicht lustig. Und ich habe Pickel!“
    Mühsam unterdrückte er ein Lachen.
    „Nun ja, als Heiler würde ich sagen, du leidest unter typischen Schwangerschaftssymptomen“, dozierte er leise. „Stimmungsschwankungen, Akne …“
    „Ach so“, flüsterte Rebecca überrascht und wurde rot. Dann hoben sich ihre Mundwinkel zittrig. „Ja, das passt. Ich hätte nur nicht erwartet, dass es mich trifft und dann gleich so stark. Ich muss wegen jeder Kleinigkeit heulen.“
    „Sei gnädig mit dir. Du hast in der letzten Zeit eine Menge durchgemacht, da ist es kein Wunder, dass es dich vielleicht etwas stärker trifft als die anderen.“
    Er reichte ihr ein Taschentuch und sie wischte sich erst das Gesicht trocken, bevor sie laut die Nase schneuzte.
    Zandhor sah sie unverwandt an und wartete, bis sie fertig war.
    „Hast du meinen Vorschlag inzwischen überdacht?“, fragte er dann leise.
    „Das Angebot steht also noch?“
    Er nickte.
    Verlegen starrte sie ihre Hände auf der Bettdecke an. Sie hatte sogar oft über seinen Vorschlag nachgedacht.
    Sie liebte ihn nicht! Aber sie brauchte ihn.
    Ihr war klar geworden, dass sie niemals in Alexanders Wohnung würde zurück kehren können, wo sie alles an die gemeinsame Zeit und sein Ende erinnerte.
    Ihr Zimmer war für das Aufziehen eines Kindes viel zu klein und zudem an Flüchtlinge weitergegeben worden, als sie zu Alexander zog.
    Mit einem Kind konnte sie nicht in vollem Umfang arbeiten gehen und hätte kaum genug Einkommen, um beide zu ernähren und für das Kind zu sorgen.
    Und Zandhor würde ihrem Kind das Stigma des Bastards ersparen und Rebecca helfen, wenn sie mit der Erziehung überfordert war.
    Mit seiner Ruhe und Geduld wäre er bestimmt ein wundervoller Vater.
    Trotzdem plagte sie ein schlechtes Gewissen. Sie liebte ihn nicht! Und er verdiente eine Frau, die ihn liebte.
    „Willst du mich heiraten?“, unterbrach er ihre Gedanken.
    Fast erschrocken blickte sie wieder auf.
    Andererseits, und auch das hatte sie sich oft genug gesagt, wusste Zandhor genau, worauf er sich mit ihr einließ.
    Rebecca bekam keinen Ton heraus.
    Sie nickte einfach.


    „Hey, Wirt!“ Nachdem er diesen solange angestarrt hatte, dass ihm die Augäpfel trocken wurden, ohne, dass der Mann sich bewegte, war Gembries der Geduldsfaden gerissen. Jetzt kam der kleine, alte Kerl mit dem verhutzelten Gesicht müde zu ihrem Tisch geschlurft.
    „Zwei Bier hätten wir gerne. Was hast du an Essen anzubieten?“
    Der Wirt blickte stumpf auf einen imaginären Punkt dicht über Gembries´ Kopf.
    „Nichts. Koch ist nicht da“, nuschelte er schließlich.
    Gembries sah sich im leeren Gastraum um. Das erklärte natürlich einiges.
    „Dann nur das Bier!“
    Mit gerunzelter Stirn sah Gembries zu, wie der Wirt im Schneckentempo hinter seinen Tresen verschwand.
    „Komischer Kerl“, raunte er Alastair zu.
    „Der Stallbursche war auch nicht anders“, flüsterte Alastair nervös. „Und erinnere dich an die Leute, die einfach auf der Straße standen und ins Leere guckten. Hier stimmt etwas nicht.“
    Gembries strich sich nachdenklich über den Bart. Der Junge hatte recht.
    „Vielleicht sind die krank“, mutmaßte er. „Wir sollten aufpassen, dass wir uns nicht anstecken!“
    „Wir sollten hier nicht übernachten“, entgegnete der Junge eindringlich.
    Verdrossen stöhnte der Kesselflicker auf.
    „Ich kann einer weiteren Nacht auf hartem Boden nichts abgewinnen“, sagte er. „Schon schlimm genug, dass ich keinen Braten bekomme.“
    Alastair presste die Lippen fest aufeinander, damit ihm bloß kein unbedachtes Wort entschlüpfte.
    Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie einen großen Bogen um dieses Dorf gemacht. Allein die guten Pferde verrieten schon, dass es sich bei ihnen nicht um gewöhnliche Reisende handeln konnte, und die Zeiten waren zu unsicher, um unnötige Risiken einzugehen.
    Schließlich waren sie nicht mehr irgendwer, sondern wichtig.
    Diese Argumente hatten Gembries jedoch nicht überzeugen können.
    „Wolltest du dir ein Krönchen aufsetzen, damit jeder in dem Kaff weiß, dass du ein wichtiger Prinz bist?“ hatte er gespottet. Und als hätte er Alastair damit nicht schon genug gekränkt, ein „Wenn ich weiterhin nur dieses elbische Trockenfutter zu fressen kriege, werde ich daran ersticken!“ hinterher geschoben.
    Zwei Wochen hatten sie gebraucht, um aus der Steppe herauszukommen, die Danbar umgab. In diesen zwei Wochen hatte Gembries kaum drei Worte mit ihm gewechselt.
    Irgendwie hatte Alastair die Stille in der Hoffnung ertragen, dass Gembries tief in sich gehen, seine zwergischen Wurzeln finden und sich in einen weisen Tonde verwandeln würde.
    Wie sehr man sich doch irren konnte.
    „Was macht der denn da?“, hörte er Gembries überrascht murmeln und folgte seinem Blick.
    Der Wirt hielt den längst vollen Humpen immer noch unter den Zapfhahn. Plätschernd floss das Bier über.
    „Wenn du mich fragst verschwinden wir hier sofort!“, zischte Alastair.
    „Erst nach dem Bier“, knurrte Gembries und schlug die Faust mit lautem Knall auf den Tisch. „Was machst du denn da?“, brüllte er zu dem Wirt herüber. „Das gute Bier! Werd´ endlich wach, du Tranfunzel!“
    Der Wirt wendete langsam den Kopf, sah ausdruckslos zu ihnen herüber und blickte endlich genauso lahm und stumpf auf den vollen Humpen in seiner Hand. Es dauerte noch einen Augenblick, bevor er begriff, diesen wegstellte und den anderen zu füllen begann. Doch beim zweiten passte er auf und stellte den Zapfhahn rechtzeitig ab.
    Alastair hatte gar keinen Durst mehr, aber wenigstens die Zusage, dass sie nach dem Bier verschwinden würden. Dieses Dorf war ihm unheimlich.


    Nisha seufzte. Wie immer stand Vaine mit zwei Portionen Essen wartend an der Wand, und weiter hinten entdeckte sie die Gruppe junger Leute, die schon nach ihr Ausschau gehalten hatte und sie nun zu sich winkte. Tief durchatmend stellte sie sich in der Schlange vor der Essensausgabe an und machte ihren neuen Freunden durch Gesten klar, dass sie gleich zu ihnen kommen würde.
    Wenn Vaine es nach einer Woche noch nicht begriffen hatte, konnte sie ihm auch nicht helfen.
    Sie mochte ihn immer noch und ihr Herz beschleunigte jedes Mal, wenn sie ihn sah, den Puls. Aber sie konnte nicht länger nahezu schweigend mit ihm die Mahlzeiten einnehmen und sich dabei bewusst werden, dass sie sich eigentlich gar nichts zu sagen hatten. Und vor allem konnte sie nicht einfach mit einem Schatten verschmelzen, wenn sie selbst nichts im Leben hatte.
    Sie ging dabei unter.
    Völlig.
    Insofern waren ihre neuen Freunde Notwehr.
    Das hatte sie ihm zwar zu erklären versucht, aber er schien es nicht so ganz begriffen zu haben.
    Darauf konnte sie jedoch keine Rücksicht nehmen.
    Mit ihrem Essen in der Hand machte sie sich auf den Weg zum Tisch, ohne Vaine einen weiteren Blick zu gönnen.
    „Hallo Nisha“, wurde sie laut von einer aufgeregten Betty mit funkelnden Augen begrüßt. „Du hast keine Ahnung, wen ich heute kennengelernt habe …“
    Nisha setzte sich schmunzelnd im Bewusstsein, es als Einzige am Tisch noch nicht zu wissen. Betty schwärmte ihr sofort hingerissen von dem süßen Jungen vor, dem sie zufällig beim Arbeiten begegnet war, und Han, der ihr gegenübersaß, sparte nicht mit trockenen Kommentaren, die alle zum Lachen brachten.
    „Was haltet ihr davon, wenn wir diese Woche noch einen Draufmachen?“, fragte Max vieldeutig in die Runde. „Gestern sind ein paar Spielleute angekommen. Wir können sie bestimmt überreden, einen Tanzabend zu veranstalten.“
    „Ja, das wäre toll“, stieß Betty begeistert aus. „Was meinst du?“
    Nisha errötete unter ihrem fragenden Blick.
    „Ich habe noch nie getanzt“, gab sie verlegen zu, „Aber es hört sich gut an. Ich wäre dabei!“
    „Du hast noch nie getanzt?“, echote Betty bestürzt.
    „Na, ich bange schon um meine Füße“, stöhnte Han.
    „Nein. Es hat sich nie ergeben. Ich habe immer nur gearbeitet“, sagte Nisha. Wenn ich nicht gerade auf der Flucht war oder im Kerker sitzen musste, setzte sie in Gedanken bitter fort.
    „Damit erkläre ich den Tanzabend zur Ehrensache!“, tönte Max. „Unsere Nisha soll wenigstens einmal in ihrem Leben getanzt haben, bevor es knallt!“
    „Ich muss sehen, ob ich irgendwo an Stoffe komme. Vielleicht kann ich unsere Garderobe etwas aufhübschen, im Nähen bin ich nicht ungeschickt“, runzelte Betty die Stirn.
    „Ich kann versuchen, uns etwas zu trinken zu organisieren“, sagte Han.
    Alle begannen zu planen.
    Nisha saß einfach nur lächelnd da.
    Bevor es knallt. Noch nie hatte Nisha ihre neuen Freunde das Wort Schatten aussprechen hören, obwohl sie sich der Bedrohung bewusst sein mussten, schließlich wurde auf der Dorneburg oft darüber gesprochen.
    Es schien, als wollten sie alles, was das Leben zu bieten hatte, mitnehmen, bevor ihnen die Möglichkeit dazu genommen werden konnte.
    Und sie durfte dabei sein.

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    „Schläft er denn niemals?“
    Marie hatte sich nach ihrem Liebesspiel in eine Decke gehüllt und war zum Fenster gegangen, um die Vorhänge von den offenen Fenstern zurückzuziehen. Im Raum stand noch die stickige Hitze des Tages, nun brachte die kühle Nachtluft Linderung.
    Thanar richtete sich halb auf und stützte sich auf einen Ellenbogen, bis auch er die Gestalt hoch auf dem Dach erkennen konnte.
    Ein paar Fackeln erleuchteten die gläserne Kuppel, und davor zeichnete sich schwarz der Umriss Aells ab, ab und zu verdeckt von großen Schwingen.
    „Nach seinen eigenen Angaben kann er lange Zeit mit nur zwei bis drei Stunden Schlaf auskommen“, murmelte Thanar und streckte einladend die Hand nach seiner Frau aus.
    „Wie schlimm ist das mit den Schatten?“, fragte sie ernst, während sie zurück ins Bett kam und sich nackt an ihn schmiegte.
    Thanar legte seinen Arm um ihren Rücken und begann, diesen sanft zu streicheln, während Marie ihren Kopf auf seine Schulter legte. Er war im Zwiespalt.
    Was sollte er Marie darauf antworten?
    Sie hatte keine Schulbildung genossen und wusste nichts über die alten Kriege, aber was war gewonnen, wenn auch sie sich fürchtete?
    „Ich weiß es nicht“, seufzte er schließlich. „Wir werden ihren Angriff abwarten müssen, bevor wir uns da ein Urteil erlauben können. Aber ich denke, bis jetzt sieht es ganz gut für uns aus. Wir haben ein sehr starkes Heer und Danbar gilt als eine der am besten befestigten Städte der Welt. Wahrscheinlich ist es hier drin sicherer als draußen.“
    „Kümmert sich Jiron überhaupt um den Angriff? Ich habe den Eindruck, er ist den ganzen Tag nur mit den Vögeln zugange, während er die Verteidigung deinem Vater überlässt. Das finde ich etwas seltsam“, sagte Marie und errötete, als Thanar zusammenzuckte.
    Wahrscheinlich hatte sie wieder etwas Dummes gesagt.
    Thanar küsste sie erheitert auf die Stirn.
    „Jiron lässt nicht nur Vater, sondern auch die Vögel für uns arbeiten“, schmunzelte er. „Die Rückkehr der Schatten ist für alle von Bedeutung und die Welt sollte vorgewarnt sein. Danbars Verteidigung aufstellen kann jeder, der mit der Stadt vertraut ist. Aber Nachrichten in tausende von Städten und Dörfer schicken, ohne dass dafür ein Mann aus dem Tor reiten muss, kann nur er.“
    „Oh!“
    „Es sind mehr als zwanzig Schreiber den ganzen Tag zugange, die Nachrichten zu verfassen und zu siegeln. Er schickt sie fast schneller raus, als die Männer sie schreiben können.“
    „Oje, ich komme mir gerade so richtig dumm vor - da wohne ich im Hause eines Elben und weiß gar nicht, was er alles kann und macht!“, jammerte Marie mit verlegenem Lachen.
    Thanar sah sie liebevoll an.
    „Das ist nur der beschämende Beweis, dass du den ganzen Tag mit den Kindern allein bist und ich dich sträflich vernachlässige“, flüsterte er und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht, bevor er es zu küssen begann.
    Ihre Hand wanderte langsam über seinen Bauch bis zu seinem Gemächt, dessen Zustand ein wissendes Lächeln auf ihre Lippen zauberte.
    „Wir sollten das Licht jetzt ausmachen, sonst kann er uns zusehen“, hauchte sie.
    Erst viel später, als Marie schon fest eingeschlafen war, verblasste das Lächeln auf Thanars Gesicht.
    Noch schien alles so weit weg zu sein. Die Schatten saßen immer noch in der Hohen Feste und stellten ihr Heer auf, und dieses musste erst einmal die gewaltige Entfernung nach Danbar zurücklegen, bevor es zum Kampf kam.
    Damit versuchte er sich zu trösten.
    Doch der Anblick der großen Karte, die in Jirons Arbeitsraum hing, verursachte ihm Magengrimmen.
    Auf ihr waren unzählige kleine Gebiete mit weißer Kreide markiert.
    Jiron tat mehr, als die Vögel mit Botschaften loszuschicken. Er las in deren Köpfen, wenn sie nach Danbar kamen. Und über die weiß markierten Gebiete hatte er keine Information erhalten.
    „Ich kann euch natürlich nicht sagen, was da vor sich geht, aber ich weiß, dass Vögel die Anwesenheit von Schatten spüren und fliehen. Für mich sind alle diese Gebiete schattenverdächtig, bis ich einen Beweis des Gegenteils habe.“
    Thanar ließ seinen Blick zu den Sternen schweifen und schickte in Gedanken ein Gebet zur Ewigen.


    Seufzend legte Eliazar das Dokument zur Seite und fuhr sich mit einer Hand über die Augen. Endlich hatte er eine ganze Kiste mit alten Schriften über die Schattenkriege gefunden, aber er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen und auch wenn er begriff, dass manche Text wichtige Erkenntnisse enthielt, so erreichten ihn diese nicht wirklich.
    Das Papier landete auf dem Stapel, den er Zadhac zu lesen geben wollte.
    Schwerfällig erhob er sich von seinem Stuhl und schritt Richtung Türe.
    „Ich brauche mal frische Luft“, murmelte er zu den wenigen, die sich nach ihm umdrehten.
    Doch als er, aus dem kühlen Keller kommend, in den sonnenüberfluteten Hof trat, empfing ihn die Hitze mit einem Faustschlag.
    Kinder spielten und lärmten und der Hof war so überfüllt wie die ganze Dorneburg.
    Eliazar spürte eine leichte Gereiztheit in sich aufsteigen.
    Dreimal wurde er versehentlich angerempelt auf seinem Weg zur Aroya, in deren Schatten er sich ein wenig entspannen wollte, und beim dritten Mal entfleuchte ihm ein harsches „Pass doch auf!“, das ihn selbst mehr erschrak als das Kind, dem es gegolten hatte.
    Seine Nerven waren einfach herunter.
    Vielleicht wurde er zu alt, um seiner Aufgabe als Hüter in diesen schweren Zeiten noch gerecht zu werden.
    Müde sah er auf all die Menschen und spürte die Pflicht, sie vor den Schatten zu schützen wie einen schweren Stein auf seinem Gemüt.
    Es hatte ihm nicht gut getan, die alten Schriften über die Schattenkriege zu lesen. In allen stand das selbe: Man hatte nichts gegen die Invasoren ausrichten können.
    Und genau das wollte er nicht lesen.
    Aufseufzend ließ er sich auf den Boden nieder und lehnte sich dabei mit dem Rücken an den Stamm des Baumes. Bemüht, die fragenden, unsicheren Blicke von den Menschen auf der Bank zu ignorieren, die ihm einen Sitzplatz anbieten wollten, schloss er die Augen.
    Er brauchte einfach nur Ruhe.

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    Bisher hatte Lysander nie die Zeit gefunden, sich an den Übungsplätzen der Wache herumzutreiben. Umso interessierter trat er jetzt an den Zaun und nahm verblüfft wahr, dass eine große Gruppe Männer an der Außenseite des Platzes im Kreis lief, während eine andere Gruppe in der Mitte der Fläche Liegestützen machte.
    Kampftraining hatte er sich irgendwie anders vorgestellt.
    Die Läufer kamen nun an Lysander vorbei und versperrten ihm die Sicht auf das Feld.
    Und wie sie vorbeikamen.
    Er hatte noch nie Menschen so schmerzhaft nach Luft ringen gehört. Die Gesichter waren allesamt rot und schweißnass und an den Augen konnte der junge Scholar erkennen, dass diese Männer längst am Ende waren, trotzdem hielten sie das Tempo.
    Als die Läufer vorbei waren gaben sie erneut den Blick auf die Mitte frei, wo die Männer immer noch Liegestützen machten. Viele waren bereits so überanstrengt, dass sie am ganzen Körper zitterten und die Gesichter schmerzverzerrt waren, aber auch sie ließen nicht nach in ihrem auf und nieder.
    Seltsam.
    Ob er hier Zeuge einer Strafaktion wurde?
    Schließlich entdeckte er den Schatten. Dieser stand auf einer freien Fläche, starrte mit leicht zusammengepressten Lippen ins Leere und sah hochkonzentriert aus.
    Lysander nahm Daumen und Zeigefinger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus, der Vaine aus seiner Versunkenheit riss.
    In dem Moment, in dem der Schatten zu ihm herüber sah, brachen die Männer einfach zusammen und blieben vor Erschöpfung hilflos japsend liegen. Einige erbrachen sich sogar.
    Vaine schenkte ihnen keinen Blick, während er auf Lysander zueilte.
    „Denen haste´ aber ganz schön übel mitgespielt”, deutete Lysander mit einer Kopfbewegung auf den Übungsplatz.
    Irritiert drehte Vaine kurz seinen Kopf und sah stirnrunzelnd auf seine Opfer nieder, dann zuckte er nur flüchtig mit den Schultern.
    „Keine Kondition“, murmelte er abfällig.
    So konnte man das natürlich auch nennen, wenn man ohne jegliches Mitgefühl war. Lysander verkniff sich einen Kommentar, nahm sich aber vor, später mit dem Hüter darüber zu sprechen.
    „Zadhac und Eliazar wollen dich sehen“, nuschelte er. „In ihrem Zimmer. Sofort.“
    Vaine rutschte eine Augenbraue hoch.
    „Wenn´s geht“, setzte Lysander schnell hinterher. „Deine Männer sind eh fertig, gönn´ denen die Pause.“
    „Was gibt es denn so dringendes?“
    „Weiß nich´“, murmelte Lysander und machte sich lieber auf den Weg.
    Vaine folgte ihm schweigend.


    Eliazar hatte sich auf einen Stuhl fallen lassen und beobachtete Zadhac, der aufgeregt und wütend im Raum herumlief. Einen Teil der Wut seines Freundes führte der Hüter auf seine eigene Verzagtheit zurück, die nicht von ihm weichen wollte.
    Dreitausend Seelen in Schatten verwandelt, einfach so. Und sie konnten nichts dagegen tun.
    Er kam nicht darüber hinweg.
    Als sich die Türe öffnete, blieb Zac wie angewurzelt stehen und sobald Vaine im Türrahmen erschien, glomm Hass in den Augen des kleinen Heilers auf. In diesem Moment war Vaine für ihn nichts weiter als der Feind.
    „Uns wurde von einem Dorf berichtet, in dem sich die Menschen in Schatten verwandeln, ohne, dass ein Feind zu sehen ist“, stahl Eliazar dem Heiler das erste Wort. „Es liegt weit ab von der Hohen Feste und wir fragen uns natürlich, wie so etwas passieren und vor allem, wie man diesen Prozess rückgängig machen und zukünftig unterbinden kann. Setz dich doch.“
    Mit einem befremdeten Blick auf Zadhac ging Vaine um den Heiler herum und nahm Platz.
    „Es scheint dich ja nicht im Geringsten zu beunruhigen, was deine Brüder da machen“, zischte Zadhac ihn an.
    „Willst du von mir wissen, was dort vor sich geht oder willst du nur von mir wissen, wie ich das finde?“, erwiderte Vaine gereizt.
    „Beides!“
    „Dann solltest du besser aufhören mich anzustarren, als sei ich persönlich für die Vorgänge verantwortlich, kleiner Mann.“
    Zadhacs Nasenflügel blähten sich, als er tief die Luft einzog. Steif schritt er zum Fenster und zwang sich, einer kleinen Wolke am Himmel nachzusehen.
    Vaine blieb stumm.
    „Ich entschuldige mich für meinen Freund, er ist ziemlich gereizt“, lenkte Eliazar ein. „Wir hatten mit so etwas nicht gerechnet.“
    „Nein, natürlich nicht, wie konntet ihr auch?“, spottete Vaine. „Hast du wirklich geglaubt, meine Brüder sitzen tatenlos auf der Hohen Feste herum, während ihr eure Schriften studiert, bis ihr eine Lösung des Problems gefunden habt?“
    Eliazar zuckte leicht zusammen, während Zadhac herumwirbelte.
    „Auf unserer Seite zu stehen sollte mehr bedeuten als nur unser Brot zu fressen, in unseren Betten zu schlafen und einer unserer Frauen schöne Augen zu machen. Es war deine Entscheidung, dein Volk zu verlassen. Ein Volk, das wir nicht kennen und über das wir kaum etwas wissen, da stehst du in der Pflicht!“
    „Weshalb ich als Berater und Kenntnisträger bei allen wichtigen Entscheidungen stets anwesend bin und meine Vorschläge immer berücksichtigt werden, nicht wahr?“
    Peinliche Stille breitete sich aus.
    „Seid ihr eigentlich alle bekloppt? Wenn ich gewusst hätte, was hier abgeht, hätte ich Vaine nich´ gefunden“, tönte plötzlich Lysanders Stimme von der Türe. „Könnt ihr euch vielleicht endlich auf die Probleme konzentrieren, die wir wirklich haben, anstatt noch welche zu machen? Ich geh jetzt einen Tee holen, solange solltet ihr in euch gehen. Danach könnt ihr weiterreden, aber erst, wenn ich wieder zurück bin. Ich will nix verpassen!“
    Verblüfft sahen ihm drei Augenpaare nach. Zwei wandten sich schließlich beschämt dem Fußboden zu, nur Eliazar lächelte still in sich hinein. Lysander sollte trotz seiner ungeschliffenen Ausdrucksweise später sein Nachfolger werden, und einmal mehr sah er sich in einer Auswahl bestätigt.


    Vaine verrührte einen Löffel Honig in seinem Tee und nahm einen Schluck.
    „Die eine Möglichkeit, eine Welt zu erobern ist, möglichst schnell einen hohen Schatten durch ein Tor zu entsenden, der seine Kräfte dann dazu einsetzen kann, seine Gefolgsleute herüber zu holen. Diese Möglichkeit haben wir ihnen genommen. Die andere Möglichkeit ist, für eine schnelle Vermehrung der niederen Schatten zu sorgen. Wenn ein ausreichend großes Gebiet zu Schattenland geworden ist, brauchen wir keine Tore mehr. Die erforderliche Größe des Gebietes wird bestimmt durch die magischen Kräfte der Gegenseite. Konntet ihr mir soweit folgen?“
    Drei Köpfe nickten.
    „Es gibt bei euch Orte mit mehr und Orte mit weniger magischem Schutz. An den Orten mit geringem Schutz kann man Rufer einsetzen, um das Land und nicht magisch begabte Menschen in Schatten zu verwandeln.“
    „Was sind Rufer?“
    „Überbleibsel aus der Priesterschaft Yuruks. Ihre Seelen können nicht auf die andere Seite, nachdem der Gott fehlt, der sie aufnehmen würde. Das Wort Untote würde sie ganz gut beschreiben. Mumien. Durch einen Runenzauber ist es möglich, sie überall dort erscheinen zulassen, wo wenig bis gar kein magischer Schutz besteht. Dort tauchen sie auf und tun nichts weiter, als den ganzen Tag still zu Yuruk zu beten in der Hoffnung, ihn wieder zum Leben zu erwecken und endlich auf die andere Seite zu können.“
    Vaine nahm noch einen Schluck Tee.
    „Die Priester waren zu Lebzeiten magisch stark begabt. Seit ihrem Tode können sie diese Kraft nur noch verwenden, um die Erinnerung an Yuruk wachzurufen. In Gebieten ohne Schutz wirken diese Erinnerungen wie eine Hypnose auf das umliegende Gebiet. Es gestaltet sich um zu Schattenland.“
    Vaine ließ seinen Zuhörern etwas Zeit, das Gehörte zu verarbeiten.
    „Yuruk war arrogant und faul“, fuhr er dann leise fort. „Bei der Erschaffung seiner Welten hat er sich nicht gerade viele Gedanken gemacht. Stärke war das einzige, was für ihn zählte. Er verachtete eure Ewige für das Erschaffen von Blümchen und dem ganzen Grünzeug, auf so einen Mist hat er einfach verzichtet, das war in seinen Augen schwacher Weiberkram.“
    Verstört blickte Eliazar auf.
    „Aber …“
    Vaine lächelte bitter und nickte.
    „Bei uns gibt es nur Fleischfresser. Und genau das ist unser Problem. Nur bringt es nichts, daran etwas ändern zu wollen, denn Yuruks Arm reicht weit. Wo immer wir auftauchen, geht das Grünzeug ein und mit ihm alles, was sich davon ernährt. Yuruks Stärke ist unser Fluch. Fressen oder gefressen werden, eine Alternative gibt es nicht.“
    „Du meinst, wir sind … nur Futter?“, entfuhr es Lysander entgeistert.
    „Im Gegensatz zu unseren Tieren seit ihr wehrlos und schwach, und ihr seid leicht zu vermehren. Ein Mann kann viele Frauen schwängern. Einen Teil der Frauen und ganz wenige Männer ziehen wir auf, um weiterhin für Nachwuchs zu sorgen, der Rest ist Fleisch, das man von den Brühen aus ausgekochten Knochen leicht heranziehen kann“, bestätigte Vaine. „Zurück zum Thema. Der Wirkungskreis von Rufern wird am Sterben der Pflanzen ersichtlich, der menschliche Geist wird unterdrückt und von Schattengedanken beherrscht. Rufer kann man nicht töten. Man kann ihren Geist nur mit Magie bezwingen, aber die sollte ausreichend stark sein. Ist sie das nicht, wird aus eurem Magier ein Tor. Die von Rufer verwandelten Menschen kann man natürlich töten, aber damit begibt man sich in das Schatteneinflussgebiet und läuft Gefahr, selbst verwandelt zu werden. Krieger, die dort angreifen, sollten deshalb ausreichend innerlich gefestigt sein.“
    Vaine stoppte, als er merkte, dass ihm niemand mehr wirklich zuzuhören schien.
    Eliazar war blass geworden. Zadhacs Gesichtsfarbe schimmerte leicht ins grünliche und Lysander kratzte nachdenklich an einem Pickel herum.
    „Aber is´es nich´ Schwachsinn, was die Schatten da vorhaben? Wär´s nich´ viel einfacher, wenn sie mit uns handeln würden? Unser Essen wächst nach, davon können wir abgeben. Ich mein´, so lösen die ihre Probleme doch nie.“
    Vaine lächelte nachsichtig.
    „Du darfst nicht von mir auf andere Schatten schließen. Wie sehr ich mich verändert habe, vermag niemand von euch zu beurteilen. Ich benutze meine Magie nicht mehr. Die anderen Schatten müssen diese ständig benutzen, da sie sonst selbst zu Futter werden. Ein Schatten fühlt nicht wie ihr, das verhindert Yuruk. Er verhandelt auch nicht, allein schon aus religiösen Gründen. Niemals würde man beim Volk der Möderin Yuruks um Zugeständnisse bitten. Die Schatten arbeiten darauf hin, dass einer von ihnen selbst zum Gott wird, denn neue Götter sind mächtig. Ein frisch erwachter Gott hat Schöpfungskraft und kann diese einsetzen. Die wollen wir haben, nichts weiter. Warum bei euch um etwas bitten, dass man aus eigenen Reihen schaffen kann? Hier geht es um Macht. Wer seine Anhänger gut füttert, wird unter den Schatten mächtiger und rückt der Göttlichkeit näher.“
    „Es sieht nicht so aus, als würden wir das Problem grundsätzlich lösen können, Lysander“, meldete sich Eliazar zu Wort. „Es sieht sogar so aus, als würden wir es noch nicht einmal für unsere Welt lösen können. Wir sind magisch nicht mehr stark genug.“
    Resigniert ließ Eliazar den Kopf hängen.
    Alarmiert sah Zadhac auf seinen Freund.
    „Willst du etwa aufgeben, noch bevor es begonnen hat?“
    „Die Macht der Ewigen wirkte durch die Feen, und wir haben keine Feen mehr!“, warf Eliazar die Hände in die Luft. „Die Schatten können also überall eindringen. Ich wüsste nicht, was wir mit unserem bisschen Gnomenmagie gegen sie ausrichten könnten!“
    „Die Ewige ist ja nicht der einzige Gott eurer Welt“, warf Vaine mit amüsiertem Lächeln ein. „Welch Ironie, dass ich euch daran erinnern muss.“
    „Nicht?“ Lysander stand vor Überraschung der Mund offen.
    Vaine grinste.
    „Die Ewige erschuf die ganze Natur und die Feen“, sagte er. „Damit war ihre Schöpfungskraft verbraucht. Die elementaren Völker stammen nicht von ihr. Sondern, wenn ihr so wollt, von den Kindern der Ewigen. Neuen Göttern, die durch den Segen der Ewigen zum Leben erwacht sind. Den Elementaren.“