Beiträge von Klimbim im Thema „Ightris“

    Hallo alle :)

    Ich sags mal direkt: Ich habe mich entschlossen, diesen Thread zu schliessen. Ich arbeite (oder, im Moment, denke) noch immer an meinen Geschichten weiter, aber merke, dass die einzelnen Geschichten zu gross werden für das Format, das ich hier aufgesetzt habe, und die Sache zu unübersichtlich wird.

    Ich habe vor, meine verschiedenen Storylines zu überarbeiten und sie euch dann als einzelne, "richtige" Geschichten nach und nach, möglichst komplett ausgearbeitet, vorzustellen; Sprich, Irion, Thanye, die Irren-Truppe, Elodie und Mortimer bekommen ihre eigenen Threads oder "Bücher".

    Ich möchte mich hier aufrichtig bei allen bedanken, die bisher mitgelesen und mir so viel Mut gemacht und motiviert haben <3 Ich glaube nicht, dass ich ohne euch so weit gekommen wäre ^^

    Selbiges übrigens auch für meinen Weltenbau-Thread, den ich aber ganz löschen werde, da ohnehin nicht allzu viel drin steckt und ich auch den mit etwas mehr Besonnenheit neu eröffnen möchte.

    Danke euch allen, hab euch lieb :)

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    Sooooo ^^ Irion. Den ersten Teil dieses Parts existiert schon ne ganze Weile. Ich finde es nicht ganz einfach, "Zeit vergehen zu lassen", und hoffe, es einigermassen ok gelöst zu haben.
    Die Idee ist, dass Irions Geschichte hier langsam an Fahrt gewinnt und er endlich zu seinen Waldläufern darf, um seine Spezialausbildung fortzuführen.
    Der Link zum letzten Irion-Part, für die die froh sind: *klick* :) Viel Spass ^^

    Nicht ganz ein Jahr, nachdem sich Risher Irion als neuen Schüler ausgesucht hatte, stellte er ihm und Sofi einen Jungen namens Malik vor. Sohn eines Handwerkers irgendeines Kaffs, grossgewachsen, breitschultrig, mit freundlich blickenden Augen. Sofi war dankbar um eine weitere helfende Hand in der Bibliothek, denn Irion hatte sich nach einigen Wochen wie besessen auf seine Bücher gestürzt, trainierte täglich doppelt, manchmal auch dreimal so lange als Risher es eigentlich verlangte, nur um sich sofort wieder hinter irgendwelche obskure Bücher zu verkriechen, die er weiss der Himmel wo herhatte. Selbst beim Essen steckte seine Nase in Dokumenten und einzelnen Buchseiten, und Risher… Nun, ihn freute der Lernwille Irions natürlich. Er bürdete ihm lediglich ein Minimum an Bibliotheksarbeit auf und tat Sofis Einwände freundlich, aber bestimmt ab. Sie arbeitete sich zu Tode und wurde auf ihren Wanderschaften durch die Bibliothek oft einsam.
    Umso erfreuter war sie, dass sich Malik als netter, warmherziger Kerl herausstellte, der Sofi und ihr inzwischen immens grosses Wissen offen bewunderte und sie behandelte wie eine Königin. Obwohl er eigentlich der “Anführer” in Rishers Ausbildungsprogramm sein sollte, unterstützt von Sofi als Beraterin und Irion als Krieger. Sie konnte nur hoffen, dass letzterer sich von Maliks charmanter Art schlussendlich auch noch zur Besinnung bringen lassen würde. Immerhin würde Irion ihm eines Tages folgen müssen. Wohin auch immer.
    Manchmal ärgerte sich auch Sofi über Rishers Geheimnisse.

    Zeit verging. Ein kleinerer Zivilkrieg erschütterte Rhoqvar, Folge einer grösseren Dürre, die das Land heimsuchte. Viele Bauern und Grundbesitzer sandten Bedienstete oder kamen sogar selbst zu den Ordensbrüdern, um um Rat zu fragen, wie man mit der Notsituation umgehen sollte, und einige hoch geachtete Steinmönche wurden geschickt, um dafür zu sorgen, dass in Rhoqvar wieder Frieden einkehren konnte.
    Zwei lange gesuchte maleter Mörder, die versucht hatten, sich nach Norden Richtung starrer Klamm durchzuschlagen, wurden gefasst und bei der Knochenebene von Morgath vor hunderten von Schaulustigen hingerichtet.
    Der König von Standorn starb, um den Thron für seinen Sohn freizumachen- eine aussenpolitisch nicht sehr relevante Position, umso mehr für das standorner Volk, dass sich in Scharen in Eisenhal einfand und die Krönung feierte.
    Forscher kamen mit grossen Neuigkeiten einer neu entdeckten, von Menschen bewohnten Insel im Osten von ihrer Reise zurück, was allerdings auf mässiges Interesse stiess- lediglich ein paar sehr reiche und sehr gelangweilte Edelleute gründeten eine Art Forschungsinstitut und legten so Geld für eine zweite Reise zusammen.

    Risher begann, sich Sorgen zu machen. Irions Besessenheit mit dieser Ausbildung entsprach so gar nicht dem starrköpfigen Jungen, der den Ausbildungsvertrag unterschrieben hatte. Der ehemals eher dünne Irion hatte durch intensives Training breite Schultern und recht beeindruckende Oberarme bekommen. Ein blonder Flaum spross auf seinen Oberlippen, aber wenn er darauf angesprochen wurde, meinte er jedes Mal, er wäre zu beschäftigt für eine ordentliche Rasur. Und er las ununterbrochen. Er bewegte sich im Wirrwarr der Bibliothek mit blinder Sicherheit, welch seltenen Titel Risher oder sonst ein lernwilliger verlangte- Irion fand ihn innert kürzester Zeit.
    Aus reiner Neugier gab Risher seinen drei Schülern ungefähr anderthalb Jahre nach Irions Ausbildungsbeginn einen schriftlichen Test, in dem er Fragen stellte, die kaum zu beantworten waren, selbst für Sofeles, die doch immerhin schon im vierten Jahr ihres Studiums steckte.
    Irion absolverte den Test fast gelangweilt, schrieb mit absoluter Sicherheit Antwort für Antwort nieder und legte das Ausgefüllte Pergament lange vor den anderen vor Risher hin.
    Fehlerfrei. Um wieder in seiner Ecke zu verschwinden und zu lesen.
    Der alte Mann hatte fast ein schlechtes Gewissen wegen seines Misstrauens und des Unbehagens, das der Junge ihm manchmal bereitete. Was war es, was nicht stimmte? Der Eifer? Die Ausstrahlung? Er konnte es beim besten Willen nicht benennen. Vielleicht war Irion einfach klüger, als Risher ursprünglich angenommen hatte. Sehr hohe Intelligenz kann bei weniger klugen Menschen durchaus Unbehagen hervorrufen.
    Und vielleicht war er einfach alt und müde und überfordert von so viel wildem Eifer.
    Risher beliess es dabei, hin und wieder verständnislos den Kopf zu schütteln.

    Malik tat sich anfangs etwas schwer mit seinem Lehrplan. Hauptsächlich Geschichte und Politik, Diplomatie und Sprachen. Auch ihm gegenüber wahrte Risher seine Geheimnistuerei, aber das störte ihn weit weniger als die anderen beiden. Neugierde war kein grosser Bestandteil seines Charakters. Sein Gemüt war eher ruhig. Er war nachdenklich und gutherzig, und auch wenn er manchmal etwas langsam wirkte, alles andere als dumm.
    Er verstand sich vom ersten Moment an mit Sofi und genoss die langen Stunden mit ihr bei der Arbeit zwischen alten Buchrücken. Beide sprachen sie nur wenig, und keiner hatte mehr Worte nötig. Er hörte stets aufmerksam zu, wenn sie etwas sagte, egal, ob sie eine einfache Geschichte erzählte oder ob sie ihm etwas neues beibrachte.

    Risher indes bereitete für Irion und Sofeles die zweite Phase ihrer Ausbildung vor. Er war hochzufrieden mit Sofis Fortschritten. Ihre Intelligenz wurde nur noch von ihrer Sanftheit übertroffen, und diese würde in ihrer Stellung als Ratgeberin sehr wichtig sein. Sie war eine grosse Logikerin, aber nicht kalt, und ihre weitere Ausbildung würde im Gerichtssaal von Tir-Agal stattfinden.
    Die Stadt Tir-Agal ist wohl so etwas wie das kulturelle Zentrum von Rhoqvar. Jeder rhoqvarer Philosoph, Maler, Steinhauer, Mathematiker, Astronom oder sonst irgendwie Gelehrter, der etwas auf sich hielt, musste in seiner Karriere einmal in Tir-Agal gewesen sein, um seine Erkenntnisse weiterzugeben und von Berufskollegen selbst weiter ausgebildet zu werden. Es gab Vorstösse, eine Bibliothek zu erbauen, um all dieses Wissen aufzunehmen, aber die Stadt wimmelte stets von Steinmönchen, die mit gespitzten Ohren und griffbereiten Schreibutensilien neue Informationen für ihre Bibliothek sammelten, sodass eine weitere im Reich völlig überflüssig war.
    Sofi sollte hier im Gerichtshof eine zweijährige praktische Ausbildung erhalten. Dieser Schritt war nicht ungewöhnlich für einen Novizen. Das Tir-Agaler Gericht wurde bis auf wenige Ausnahmen von Steinmönchen geführt, die ihre Aufgabe als unbestechliche (und teure) Richter des Reiches sehr ernst nahmen. Es war wichtig, hier stets für Nachwuchs zu sorgen, weshalb geeignete Schüler hierher gesandt und oft direkt da behalten wurden.
    Sofi sollte hier über Gerechtigkeit und Rechtsprechen lernen, und die Dilemmas, die letzteres mit sich bringen konnte. Zudem musste sie mehr Erfahrung im Umgang mit Schuldigen und Unschuldigen, sowie Freunden und Fremder sammeln. Tir-Agal war dafür wie geschaffen.
    Irions Weg sollte ihn in die westlichen Wälder zu den Waldläufern führen, wo er eine ebenfalls zweijährige, explizit kämpferische Ausbildung durchmachen würde. Man würde die passende Waffe für Ihn ermitteln und in intensiv damit schulen. Es hatte Risher viel gutes Zureden und die Ausreizung einiger guter Bekanntschaften gekostet, das so zu arrangieren. Aber wenn Irion sich dort so gut schlug wie in der Bibliothek, würde er keine Mühe haben, die hoch gesetzten Ziele zu erreichen.
    Risher selbst würde sich in dieser Zeit intensiv Malik widmen. Seine Aufgabe würde die wichtigste sein von den dreien.
    Der alte Mann seufzte, als er eines kühlen Abends in eine Decke gewickelt vor seinem Kamin sass und zum hundertsten, tausendsten Male die ganze Sache überdachte. War das, was er hier tat, das Richtige? Seltsamerweise war er sich dessen seit dem Moment, da das Trio komplett war, überhaupt nicht mehr sicher. Hatte er die richtigen Schüler ausgewählt? Tater überhaupt das Richtige hier?
    Und was zum Kuckuck war das Ziel, wenn sie hier fertig sein würden?
    Risher seufzte erneut und zog die Decke noch etwas enger.
    Er wünschte sich sehnlichst Antworten.
    Doch es herrschte schon lange eisiges Schweigen.

    Zitat von Phi

    Der Vorgang war seltsam unangenehm gewesen, irgendwie… gruselig. Welcher Vorgang? Oder meinst du den ÜBERgang von Nacht zu Tag?

    Neee die Sache mit den Vögeln ^^

    Zitat von Phi

    Winston strahlte wie ein Honigkuchenpferd, während Yolanda still wie immer nur wenige Bissen zu sich nahm. Sanders würde dafür sorgen, dass sie mehr essen würde, nahm er sich vor. Hier wirkt ser Satzbau merkwürdig.. vielleicht "Sanders nahm sich vor dafür zu sorgen, dass sie mehr essen würde"?

    Is wirklich n Gebastel :S danke!

    Ich weiß grade nicht mehr, wie es bis jetzt war, aber kannst du die Antworten der Wand vielleicht kennzeichnen mit kursiv oder so? So musste man immer überlegen, ob das jetzt die Antwort der Wand war oder der Erzähler ist.

    Ist es ursprünglich auch, ich vermute, das hats i-wie gelöscht, als du den Text kopiert hast :hmm:


    Danke dir und @Kyelia ! Ich weiss eure Treue wirklich zu schätzen :) <3

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    Sodele. Mein Schreibverhalten bei Ightris ist so... alle Jubeljahre hab ich Bock auf eine meiner Figuren/Storys und produzier was ^^ Naja, das Projekt soll mir Freude machen und kein Muss sein, also...

    Die Chaostruppe! Unsere vier Irrenhausflüchtlinge und ihre erste Nacht in Rexas Friedhof. In dieser Geschichte habe ich recht genaue Vorstellungen, wie die Geschichte für jeden Einzelnen ausgehen soll. Ziel ist, das irgendwie interessant rüberzubringen. Für die die mögen, hier der Link zum letzten Part :) Have Fun ^^


    [font='Georgia, serif']Es gab keine Betten für sie alle. Rexa schien fest entschlossen gewesen zu sein, sein Leben allein zu leben und ebenso zu beenden. Sie fanden seine Überreste tatsächlich in der Küche, wo er wohl friedlich in einem Schaukelstuhl vor dem inzwischen lange erkalteten Kamin verstorben war. Sanders und Richard kümmerten sich darum, den Leichnam in einer Truhe zu verstauen, die sie gefunden hatten und begannen, in einer Ecke im Garten ein Loch zu buddeln, während Yolanda und Winston im heimelig eingerichteten, wenn auch ziemlich verstaubten Wohnzimmer eine Schlafstatt für die kommende Nacht einrichteten.
    Sie gingen ohne ein Abendessen zu Bett und verbrachten eine unruhige erste Nacht im Wohnturm von Rexas Friedhof. Der Garten, der tagsüber so geisterhaft still dagelegen hatte, erwachte in der Dämmerung zu einem seltsamen Leben. Fremdartige Nachtvögel sangen ein unbekanntes Lied, und der Wind, der sich den ganzen Tag nicht geregt hatte, pfiff umso lauter durch den Wald aus Zierpflanzen, um die zerbrochenen Statuen und Brücken und über den leise gluckernden Bach.
    Sanders erwachte alle paar Stunden und nutzte die Zeit, die er sich auf seiner Schlafstätte hin und her warf, um einen groben Plan für die nächsten paar Tage zurechtzulegen. Besonders die Frage nach dem Essen bereitete ihm Kopfschmerzen, und er hoffte inständig, dass eine Durchsuchung der Küche etwas brauchbares zu Tage brachte. Vielleicht gab es im Wald ja auch Pflanzen mit essbaren Früchten. Yolanda sollte sich morgen danach umsehen.

    Sie erwachten alle sehr früh davon, dass die Vögel draussen einen Mordsradau veranstalteten. Der Blick aus dem Fenster zeigte Sanders, dass sie im wirren Zickzack kreuz und quer durch den Garten jagten, förmlich schrien, als würde sie etwas verfolgen, und nach und nach verschwanden. Als die Morgensonne über die Mauer schien, herrschte wieder die schwere Stille des gestrigen Tages. Kein Lüftchen regte sich, und kein Geräusch ausser das des Wassers liess sich vernehmen.
    Der Vorgang war seltsam unangenehm gewesen, irgendwie… gruselig. Irgendwie hatte Sanders das Gefühl, dass da unten nun alles mit kleinen, leblosen Vogelleibern übersät sein musste.
    “Ich hab Hunger.” Das kam von Winston. Sanders wandte sich vom Fenster ab.
    “Ich auch. Wir sollten uns heute nach Essbarem umsehen und uns überlegen, wie wir hier längerfristig leben wollen. Wir machen das erst einmal so…”

    Kurze Zeit später wanderte Yolanda mit Körben bewaffnet Richtung Garten, in Begleitung von Winston, der ihr assistieren sollte. Sanders würde sich gründlich in Küche und Vorratskammer umsehen und, wenn möglich, schon mal etwas zu essen zubereiten. Vielleicht liess sich irgendetwas sehr, sehr lange haltbares finden. Richard grub derzeit das Grab fertig, und am Nachmittag würden sie die Kiste mit dem toten Zauberer so zivilisiert wie möglich beerdigen. Dieser Punkt bereitete dem ehemaligen Buchhalter doch einiges Kopfzerbrechen.
    “Rexa?”, fragte er nach einigem Zögern in den Raum.
    Schräg über dem Kamin tauchte die Schrift wieder in glänzendem Schwarz auf der Steinmauer auf.
    Ja?
    “Wie beerdigt man einen Zauberer?”
    Wieso fragst du?
    “Weil wir deinen Meister heute Nachmittag beerdigen wollen und… naja, ich weiss nicht. Was soll man sagen, gibt es sowas wie eine spezielle … Formel oder so?”
    Ich bin froh, dass du die Frage stellst. Sie zeigt, dass ihr tatsächlich zivilisiert seid.
    Sanders wartete kurz höflich. Als nichts mehr kam, wiederholte er seine Frage.
    “Und? Wie sieht eine Zaubererbeerdigung nun aus?”
    Keine Ahnung.
    In Sanders keimte der Verdacht, dass Rexa- also, der Zauber an der Wand- weitaus weniger hilfreich war, als man das hätte annehmen können.
    “Na, uns wird schon was einfallen.”
    Er mochte die Gedichte von Des Gerdenes.
    “Ich kenne keine Gedichte von Des Gerdenes.”
    Er müsste eigentlich einige Bände im Schlafzimmer haben.
    “Hm.”
    Vielleicht würde er sich später danach umsehen. Etwas mutlos fuhr er damit fort, alte Säcke und Kisten aus einem Vorratsschrank zu räumen, in denen sich Lebensmittel befanden, die das Stadium von “getrocknet”schon seit Äonen überschritten hatten und sich langsam, aber sicher Richtung “mumifiziert” zubewegten.
    “Ach, verdammt”, murmelte er vor sich hin. Wäre ja noch schöner, hier am Ziel zu verhungern. Das Knistern von der Wand liess ihn seine Tätigkeit unterbrechen.
    Kann man irgendwie helfen?
    Sanders seufzte. “Ja. Weisst du, ob sich hier drin noch was essbares befindet? Uns ergeht es sonst noch wie Wanda.”
    Es scheint mir, dass du fleissig dabei bist, die Vorräte meines Meisters zu plündern. - Aber da er ohnehin nicht mehr viel damit anfangen kann… - Links von mir müsste eine Tür sein. Also, von dir aus rechts.
    Dem war tatsächlich so. Sanders erhob sich ohne weitere Fragen und öffnete sie neugierig. Nachdem er den feinen Schauer aus Staub und Spinnweben weggehustet hatte, er ihn begrüsste, erkannte er im schummrigen Licht, das durch die Tür hereinfiel, Regale mit hunderten von Gläsern und Dosen. Hoffnung keimte in ihm und er nahm sich eines.
    “Schweine-Pflaumen-Pastetenfüllung”, las er auf einem sorgfältig beschrifteten Ettikett. Hm.
    “Äh… Rexa?”
    Ja?
    “Wie lange halten eingemachte Lebensmittel so?”
    Oh, normalerweise so zwischen fünf und zehn Jahre.
    “Mist.”
    Allerdings hat mein Meister diese Methode entwickelt, die Haltbarkeit zu verzehnfachen. Im Regal in - der Ecke müsste er alles in einem Buch aufgeschrieben haben. Er hat sich alle paar Jahre einen- gigantischen Vorrat angelegt, um die restliche Zeit in Ruhe arbeiten zu können.
    Sanders betrachtete das Glas in seiner Hand argwöhnisch. Naja.
    Er löste die Schnur, die ein Stück Stoff festhielt, das wohl als Staubschutz oder so diente, und öffnete vorsichtig den Verschluss.
    Es machte “Plopp!”
    Anstatt dass, wie befürchtet, sich ein grausiger Gestank nach Fäule und Verwesung ausbreitete, geschah gar nichts weiter. Also nahm Sanders den Deckel und die Verschlussvorrichtung aus Metall vom Glas und roch am Inhalt.
    Es roch nach Schweinefleisch und süssen Pflaumen. Die Farbe war gräulich-braun mit dunkleren Flecken, aber Sanders konnte beim besten Willen nicht beurteilen, ob das so sein sollte oder nicht.
    Na, was solls.
    Er steckte den Finger hinein und probierte.

    Zwei Stunden später kamen Yolanda und Winston zurück, kurz darauf Richard. Die beiden hatten ein paar Sträucher gefunden, an denen essbare Beeren wuchsen, sowie einen sehr fruchtbaren Aprikosenbaum. Rich war verschwitzt und dreckig, hatte aber, wie Sanders bemerkte, zumindest die Hände gewaschen.
    Winston jubelte, als er die reich gedeckte Tafel sah. Sanders hatte ein grosses kaltes Buffet angerichtet, Früchte, Gemüse, Fleisch, Bohnen und Kartoffeln lagen einladend auf dem Küchentisch in Tellern und Schüsseln bereit.
    Sie hielten ein Mahl, das Königen gerecht worden wäre. Rexa hatte nicht übertrieben, die Vorratskammer war überfüllt mit konserviertem Essen, sodass sie sich das nächste halbe Jahr darum keine Sorgen machen brauchten. Und bis dahin würden sie hoffentlich auch in der Lage sein, sich selbst zu versorgen.
    Winston strahlte wie ein Honigkuchenpferd, während Yolanda still wie immer nur wenige Bissen zu sich nahm. Sanders würde dafür sorgen, dass sie mehr essen würde, nahm er sich vor. Auch Rich glänzte mit Schweigen, aber wenigstens knurrte er den Narren für dessen Fröhlichkeit nicht ständig an.

    Und Sanders? Sanders fand, dass er hier vielleicht, vielleicht glücklich werden könnte.

    @Kyelia Nein, Ilas wird hier das erste Mal vorgestellt. Zwei drei Mal wurde seine Existenz angedeutet, aber nichts, woran man sich auf lange Sicht erinnern kann/muss ^^

    Dir und @Phi und allen, die bis hierher durchhalten mal wieder n fettes Dankeschön <3

    Gegen den frühen Abend traf dann die Kutsche in der vorübergehenden Residenz des jungen Brautpaares ein. Res sprang aus dem einfachen Fahrzeug, um ihrem Gatten so schnell wie möglich die freudige Nachricht zu überbringen, dass sie Moyra als Geldgeber für ihren Plan gewonnen hatten. Etharas sprach ein kurzes Dankgebet an alles, was gut war, bevor er sich vor Überraschung fast verschluckte, als Lady Moyra Res langsameren Fusses folgte.
    «Lady Moyra wird heute Abend und heute Nacht unser Gast sein. Ich habe ihr versprochen, dass sie Mak beim Geschichtenerzählen zuhören darf. Und Nebel beim Singen!»
    Etharas runzelte die Stirn und sah fragend zu Moyra.
    Diese zwinkerte. «Nein, ich bin freiwillig hier und habe fest vor, den Abend am Lagerfeuer zu verbringen.»
    Kurz sah es aus, als wollte Ehtaras etwas sagen, verkniff es sich aber und verliess kopfschüttelnd den Raum.
    Res besorgte ein paar warme Decken und führte Moyra dann zusammen mit Mak nach draussen Richtung Wald, wo man durch die Bäume schon den Feuerschein flackern sah.
    «Also, ich muss dich vorwarnen. Du stellst für dich so etwas wie ein eigener Clan, eine eigene Spielfigur in dieser Partie dar, darum wird Mak dich gross der Allgemeinheit vorstellen. Das gehört sich in solchen Kriegsräten und Bündnissen, da ist Transparenz alles.»
    «Gross angekündigt würde ich auf all den Hoffesten, die ich nicht besuche, wohl ebenfalls.»
    «Genau.» Res kicherte. «Setz dich danach einfach neben mich und geniess alles. Wenn die Männer frech zu dir sind, sei nicht zu schüchtern, denen ordentlich eins auszuwischen. Wenn sie zu grob werden, werde ich eingreifen.»
    Es rührte Moyra, wie besorgt Res um ihr Wohlbefinden war, doch sie winkte ab. «Mach dir um mich keine Sorgen. Ich werde mich vielleicht ein wenig an den … offenen Umgang deiner Leute gewöhnen müssen, aber so schlimm wie das politisch-wirtschaftliche Schlangennest in Solenin wird es kaum sein.»
    Und sie hatte Recht. Die Männer kannten Res, und die betagte Dame, die sich hier stolz, aber auch neugierig umherblickend neben ihre Prinzessin setzte, erhielt tatsächlich den Respekt der Männer, als sie einen anzüglichen Spruch von Roag schlagfertig konterte.
    Einer der Alphas sang ein ziemlich trauriges Lied über den Winter und den Tod- die zwei beliebtesten Themen der Ilitri-Lieder, und dann begann Mak mit den Geschichten.


    «Dies ist ein Abenteuer einer Legende. Ein Mann wie der Winter selbst- ein Geheimnis jedem, der ihm begegnet, ein Name, der Furcht sowie Hoffnung bedeutet für jeden Ilitri, der seinem Volk treu ist. Eine Stimme, deren Klang kein Ohr je vernahm. Bereits in den Zeiten der Ahnen erzählte man sich von dem Geist, dessen Stindar sie hinwegführte von der alten Heimat, wo Unterdrückung und Gewalt das unser stolzes Volk unterdrückten.»
    «Was ist ein Stindar?», fragte Moyra Res flüsternd.
    «Ein altes Wort in einem Dialekt. Es bedeutet Stimme und ist unser Wort für diese Aura oder Ausstrahlung, von der ich dir erzählt habe.»
    «Doch all dies war vor langer, langer Zeit. Wir bekamen edle Herrscher, die uns die Freiheit gewährten, die ein wahrer Ilitri braucht.» Die Männer unterbrachen mit einem kurzen Jubeln. «Unsere Weiber gebaren starke Kinder, die zu grossen Helden heranwuchsen. Unsere Töchter wurden schön und wild, unsere Söhne stolz und furchtlos. Wir, Männer, Ilitri, können zurückblicken auf eine lange Geschichte voller Ehre, voller stolzer Freiheit!» Wieder lautes Gejubel. «Doch!», übertönte Maks Stimme von Neuem den Radau. «Doch über allem wachte der Winter! Ilas, in der Stille, und verteidigte unsere Freiheit, unseren Stolz, gegen alles und jeden, der eine Bedrohung werden wollte.»
    «Ilas bedeutet also Winter?», erkundigte Moyra sich wieder.
    «Nicht direkt. Es ist eine etwas seltsame Wortkombination und lässt sich mit ‘Winterfeuer’ übersetzen. Hitze und Kälte zugleich sozusagen.»
    «Dies, Männer, Krieger der Ilitri, stolze Anführer! Dies ist das Lied des Morgenmoors!» Offenbar eine beliebte Geschichte, die Männer jubelten schon wieder. Vielleicht waren sie auch bereits zu betrunken, um nicht zu jubeln.
    «Sehr poetisch», kommentierte Moyra trocken.
    «Ja. Besonders wenn man bedenkt, dass, rein historisch gesehen, die ganze Geschichte weder am Vormittag noch bei oder in einem Sumpf stattfand. Aber poetisch ist es auf jeden Fall.»
    «Heiss war der Tag, und feucht der Nebel, der aus dem Boden stieg. Still lag es da, das Lager des Koiro-Clans.»
    «Die Koiros sind ein Rothirsch-Clan», erklärte Res flüsternd.
    «Unwissend waren sie von der Fehde der Wölfe von Frimos mit den niederen Menschenvölkern des Südens. Die stolzen Krieger der Koiro waren ausgezogen, um den Weg zu ebnen für die Frauen, die nachfolgen sollten, und ungeschützt blieben sie mit den Jungen zurück. Die menschlichen Narren, zu taub, die Stimmen zu hören, die röhrten und nicht heulten, zu blind, die Spuren zu sehen, die Hufe und keine Tatzen waren, zu dumm», wieder wurde Mak durch entrüstetes Gebrüll unterbrochen, «zu dumm, zu erkennen, dass Frimos Volk keine Zelte errichet, wie dies die Koiro tun, lagerten sie in der Nähe, um sie alle niederträchtig zu ermorden- Frauen, Kinder, Alte, Trächtige- keiner sollte überleben! Ein kleiner Haufen von vierzig Koiros gegen eine Streitmacht von hundertfünfzig bewaffneten Männern!»
    Für Moyra klang es seltsam, wie Mak Begriffe aus der Tier- und Menschenwelt so selbstverständlich mischte, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen.
    «Laut wurde das Geschrei, die Frauen befahlen den Kitzen, zu fliehen, und näher kamen die feigen Soldaten der Südländer. Das Geschrei! Der Gestank der Furcht! Hirsche, Ilitri, alles floh wild, in Panik, hinfort, doch sie waren überrascht worden.» Das unwillige Gemurmel der Zuhörer wurde wieder immer lauter.
    "Doch da erklang ein Brüllen. Lauter. Tiefer. Tödlicher, als alles, was ihr in euren Leben bisher vernehmen konnten, Brüder! Hervor aus dem Wald kam er, mit Feuer und Eiswind! Ilas, Tod der Bedränger, Rächer der…”
    “Schutzlosen!”, unterbrach einer der Zuhörer lautstark. Was einen wahren Sturm an bekannten Titeln auslöste.
    “Reiter der Winde!”
    “Bezwinger der Berge!”
    “Vater der Waisen!”
    “Mutter der Unbemutterten!”
    “Ficker des Feuers!”, schrie Hack und lachte selbst am lautesten darüber. Die Männer, Häuptlinge wie einfache Krieger, versuchten, sich mit immer kreativeren und schmutzigeren Titeln zu überbieten, johlten und jubelten bei besonders bildhaften Redewendungen. Res sah entschuldigend zu Moyra und zuckte etwas hilflos mit den Schultern, aber die schien sichtlich Spass an der Sache zu haben.
    Da trat plötzlich Totenstille ein, als eine massive Silhouette zwischen den Bäumen hervortrat. Etharas kam ruhigen Schrittes auf die Menge zu, die teils aus Schreck, teils aus Überraschung und teils sogar aus Furcht schweigend abwartete. Der Ruf von Res’ Gatte hatte bei den Ilitri nicht Halt gemacht. Ausserdem war sein Sintar für einen Menschen gerade ungewöhnlich stark.
    Er verneigte sich vor den beiden Damen und setzte sich dann zu Erestes Linken. Blickte in die trüben Augen der Betrunkenen um sich und sagte dann:
    “Besteiger der Basilisken.”
    Die darauf folgenden Jubelrufe waren ohrenbetäubend, ein Bierhumpen wurde ihm gereicht, und Mak verneigte sich übertrieben vor dem Sotami, bevor er die Geschichte von der Rettung der Koiros zu Ende erzählte, in er Ilas wohl mit wenigen Streichen hunderte von Gegnern niedermachte, die Häuptlingstöchter samtsonders schwängerte und dann auf einem Drachen in den Sonnenuntergang ritt. Manche sangen, besonders Nebels Auftritt wurde mit Vorfreude erwartet. Er spielte eine begnadete Mönchsflöte und hatte eine Stimme, die ebenso warme Sommertage wie eisige Winterstürme bringen konnte. Ereste und Moyra wurden beide aufgefordert, ebenfalls ihr Können darzubieten, doch beide lehnten höflich ab. Res war ein musikalischer Reinfall, und Moyra kannte nach eigener Aussage keine guten Lieder.
    Etharas hingegen erhob sich nach einigem gutem Zureden, forderte Nebel auf, die Melodie eines alten Nordmannlieds zu singen. Eine gute Wahl. Die Nordmänner waren die Urväter sämtlicher Völker des heutigen Nordens, und sowohl Sotami als auch Ilitri kannten die Worte der alten Lieder und achteten sie gleichermassen.
    Als Res’ Gatte sang, verschwanden die Kälte und Abgeklärtheit aus seiner Stimme und machte echten Emotionen Platz. Er sang ein altes Lied über Verluste eines Krieges, und selbst die vom Alkohol getrübten Augen der Männer wurden feucht.
    Moyra stiess Res an und flüsterte: “Klingt fast, als wäre er nicht völlig hoffnungslos.”
    Res konnte nicht anders als schniefend zu nicken.

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    *hat grad echt Spass an Res' Story*



    Res’ Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie bereits einen Tag später, kurz vor Mittag, an dem schweren Türklopfer zog und das massive Metall hart gegen die Tür prallte. Wie ihr Gatte Tags zuvor wurde sie in den Salon geführt. Ging im Kopf noch einmal die Punkte durch, die Renron ihr am Frühstück hastig eingetrichtert hatte. Zeig keine Emotionen. Gib keine Information preis, ohne selbst welche zu erhalten. Bleib höflich, aber hart. Lüg nicht, sondern stell die Wahrheit etwas anders dar. Versuch nicht, klüger zu sein als Moyra.
    Das wird ein einziges Desaster, dachte Ereste und setzte sich auf den ihr zugewiesenen Platz. Mak hatte sie gebeten, draussen zu warten. Dies war nicht der Moment für Drohspiele, hatte sie entschieden.
    Wie ihr Gatte gestern erhob sie sich, als Moyra den Raum betrat. Das war eigentlich nicht die höfische Sitte, aber Res hatte fest vor, der Edeldame auf einer Augenhöhe zu begegnen. Nach dem, was sie von Renron und ihrem Gatten gehört hatte, würde Moyra auch keine Mühe damit haben.
    Die beiden Frauen knicksten voreinander. Setzten sich. Bekamen Tee serviert. Res trank aus Höflichkeit ein wenig, aber konnte das Gebräu kaum schlucken. Kurz rang sie mit sich, aber dann bat sie den Diener um Wasser.
    «Ihr mögt keinen Tee?» Moyra schien überrascht.
    «Nein. Ich kenne Tee erst, seit ich in Solenin bin, und habe mich noch immer nicht daran gewöhnt. Ich finde ihn stets schrecklich… bitter. Und kraftlos. Ich finde, nichts geht über klares Quellwasser nach einer langen Reise. Ob zu Pferd oder zu Fuss.»
    «Oder mit der Kutsche.»
    «Äh… Genau.»
    «Ich muss Euch Recht geben. Dennoch ist Tee meiner Meinung nach durchaus nicht kraftlos und, richtig zubereitet, auch nicht bitter. Aber das mag auch an meinem Alter liegen.» Sie lächtelte.
    Res war überrascht. Moyra wirkte so gar nicht wie die abgebrühte Geschäftsfrau, als die sie beschrieben wurde.
    «Lady Moyra- mit Eurer Erlaubnis- in meinem Volk ist diese umständliche, übertrieben höfliche Andrede äusserst unüblich. Meint Ihr, wir könnten uns auf das ‘du’ einigen? Schon mein Gatte beharrt auf möglichst viel Abstand und allmählich macht mich das wahnsinnig.»
    Moyra war überrascht. Das war also die Frau, die bereit war, die Verantwortung für das Geschick des gesamten Nordens auf sich zu nehmen? Vor ihr sass ein Mädchen, ein Kind, das irgendwie … verloren wirkte.
    «Nun… Ja. Warum nicht? Das letzte Mal, dass ich das gefragt wurde, war ich zwanzig Jahre jünger und er hatte mich soeben geheiratet.» Sie lachte. «Nun gut- Ereste.»
    «Oder Res.»
    «Oder Res. Kürz meinen Namen bitte nicht ab, er gefällt mir so, wie er ist.»
    «In Ordnung. Äh… Danke.»
    «Gleichfalls.» Eine Spannung fiel von den beiden Frauen ab, und sie lächelten sich zu- noch etwas schüchtern, wie kleine Mädchen, die ein Geheimnis teilen. Res bekam ihr Wasser, beide nahmen sie sich einen Keks.
    «Und», begann Moyra dann, «wie ist Euer… dein Gatte so?»
    «Schweigsam. Zurückhaltend. Ich weiss nicht. Wir haben auch nicht wirklich die Zeit, uns richtig kennenzulernen- die Vorbereitungen laufen und wir sind beide stets unterwegs oder schreiben Briefe. Im Grossen und Ganzen scheint er nicht wirklich begeistert von allem. Aber ich glaube nicht, dass er überhaupt Begeisterung zeigen kann, also versuche ich, das nicht allzu persönlich zu nehmen.»
    Moyra nickte. «Ich verstehe. Meine erste Ehe war ebenfalls arrangiert. Mein Gatte war gute dreissig Jahre älter als ich und bevorzugte es, in seinem Schreibzimmer zu sitzen und Met zu trinken. Ich tat mir schliesslich einen Geliebten zu», Moyra zwinkerte Res zu, «aber so wie ich das sehe, kannst du dir das nicht erlauben.»
    «Nein. Und solange er noch ein oder zwei Worte am Tag mit mir wechselt, halte ich die Situation nicht für verloren.»
    Verwundert registrierte Moyra, wie sich etwas an Res änderte. Ganz subtil, die Art, wie sie dasass, wie sie die rohe Steinwand betrachtete. Selbst wie sie sprach. Sie merkte, dass sie trotz allem vorsichtig sein musste.
    «Naja, seis drum.» Res befreite sich aus ihren Gedanken und wandte sich wieder ihrer Gastegeberin zu. «Du sagtest, du willst mich kennenlernen. Hier bin ich, also … frag!» Sie grinste fröhlich und Moyra glaubte zu sehen, dass die Veränderung von eben wieder rückgängig gemacht wurde. Sie spielt mit mir, schoss es ihr durch den Kopf. Und sie ist gut. Verdammt gut.
    «Was mich am neugierigsten gemacht hat, war die Sache mit diesem Helden. Lord Etharas hatte etwas erwähnt…»
    «Oh, Ilas, Niemandes Sohn!» Res setzte sich aufgeregt um und zog ein Bein hoch, wobei sie zerkratze Waden und einen schmutzigen Saum entblösste, wie Moyra mit Wohlwollen feststellte. «Er ist eine uralte Ilitri-Legende. Es gibt hunderte Geschichten über ihn, und niemand weiss, wer er ist und woher er kommt. Darum Niemandes Sohn. Er ist sozusagen ein Mann ohne Vergangenheit.»
    «Was macht ihn so besonders? Seine Taten?»
    «Nun… Bis vor Kurzem hielt ich ihn noch für eine Legende, eine Kindergeschichte, etwas, was sich Krieger abends ums Lagerfeuer erzählen. Aber vor ein paar Tagen hat Mak- mein engster Vertrauter- jemandem vorgestellt, der sich selbst Ilas nennt. Natürlich war ich skeptisch und habe kein Wort geglaubt, aber als ich dann mit ihm sprach… Ich kann das schlecht beschreiben. Es ist so eine Ilitri-Sache.»
    «Was meinst du damit?»
    «Weisst du, was Ilitri sind?»
    «Kinderfresser? Blutsauger?»
    «Tiermenschen. Wir können uns in Tiere verwandeln.»
    «Tatsächlich?»
    «Ja. Und als solche haben wir eine Art, zu kommunizieren, die Menschen fehlt. Wir… fühlen andere Ilitri. Wir können praktisch auf diese Art reden. Manche Menschen haben das auch ein bisschen, aber sie können es nicht steuern. Nenn es Aura oder Ausstrahlung. Verstehst du?»
    «Ich glaube schon.»
    «Also- wenn man gut ist, kann man das beeinflussen. Es ist ein Indikator der Macht. Alphawölfe haben viel solche Ausstrahlung, sodass ein leises Knurren reichen kann, um Aufmüpfige auf ihren Platz zu verweisen.»
    «Und dieser Ilas…»
    Res’ Blick glitt in die Ferne. «Ich habe das noch nie erlebt. Es war… Es war… Als wir an diesem Treffpunkt eintrafen, einige Minuten zu früh, und er dann aus dem Wald trat, vermummt und ohne ein Wort zu sagen und… Er hat etwas ausgestrahlt, mächtiger, als ich es jemals wahrgenommen habe. Der Drang, mich niederzuwerfen, oder gar zu fliehen, war überragend. Es sagte nur eins aus: ‘Du befindest dich hier unter meiner Herrschaft, so lange ich das will. Versuch gar nicht, dich zu wehren.’ Ich glaube, es war eine Art Test- ob wir die Willenskraft aufbringen konnten, dieser Aura zu widerstehen. Was uns beiden auch gelang. Aber ich weiss, dass ihn das keine Anstrengung gekostet hat, ich weiss, dass er, wenn er es wollte, eine ganze Armee in die Schlacht führen könnte, einfach so. Ich weiss, dass wenn jemand Ilas ist, wenn er existiert, ist es dieser Mann. Und ich weiss, dass wir ihn brauchen. Wir haben ihm die Situation und unseren Plan dargelegt, und seine Rolle in alledem, und er ging einfach und wir wussten, dass wir zu warten hätten, was wir taten, und vier Stunden später stand er plötzlich wieder vor uns und gab uns zu verstehen, dass er dabei wäre, und dann verschwand er wieder. Und er hat dabei nie ein Wort geredet.» Res’ wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Moyra zu. «Ich glaube, dass er der ist, den wir gesucht haben. Der Mann ohne Vergangenheit.»
    «Du machst mich Neugierig auf die Legenden, die man sich von ihm erzählt.»
    «Oh, sie sind fantastisch. Aber ich bin eine schreckliche Erzählerin. Wenn du willst, kannst du dich gerne heute Abend dazusetzen, wenn meine Leute Lagergeschichten erzählen. Mak ist ganz wundervoll im Erzählen, und wir haben grossartige Sänger… ich glaube, das könnte dir gefallen.»
    «Wirklich?»
    «Ja. Mak hat ein paar Häuptlinge und Alphas verschiedener Ilitri-Clans zusammengerufen, deren Unterstützung wir brauchen. Da gibt es Feuer und Festessen und Lieder und Geschichten, und ich möchte dich hiermit einladen.»
    «Zu all den Kriegern und Soldaten? Ich glaube nicht, dass diese Leute mich bei sich haben wollen.»
    «Solltest du dich endgültig bereit erklären, dich mit uns zu verbünden, gehörst du voll und ganz dazu. Wer dann etwas dagegen hat, kann sich gerne an mich wenden.»
    Moyra konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das Mädchen hatte Feuer, das musste man ihr lassen. Moyra mochte sie, auch wenn sie bezweifelte, dass Res die Zukunft, die sie sich gerade zusammenschusterte, richtig einschätzte. Ob sie dem gewachsen war?
    «Wie stellst du dir die Sache mit diesem Plan genau vor?»
    Res holte Luft.

    Soooo *hat was produziert* Diesmal geht es ein Stück mit Ereste weiter. Ich hoffe, dass ihr den Faden einigermassen schnell wiederfindet - Zur Auffrischung: Res hat Etharas geheiratet und befindet sich nun in der Flitterwoche, wo sie mit Mak, ihrem besten Freund und Vertrauten, einen Plan zur Rettung des Nordens ausgeheckt hat, der jetzt ausgeführt werden muss.


    Während Rina sich also dem Schneidern widmete und sich dazu Hilfe von der Bauerntochter holte, Res mit Mak planend und diskutierend durch das Landgut eilten, immer wieder Boten empfingen und weitersandten, reiste Etharas mit seinem Vertrauten Renron gen Südosten, um seinen Teil des Planes auszuführen. Es war bei einem leichten Trab eine halbe Tagesreise, die die beiden so schnell wie möglich zurücklegen wollten – die Woche war bei Weitem zu kurz für grössere Pausen. Ereste hatte nicht untertrieben, es gab eine Menge zu tun.
    Unterwegs dachte Etharas daran, dass er dem Plan noch immer skeptisch gegenüberstand. Zudem vertraute er seiner Gattin nicht. Noch nicht. Er konnte nicht genau benennen, warum, aber etwas störte ihn an ihr. Er konnte sie nicht einschätzen, sein Wissen über ihre… Art war da auch nicht direkt hilfreich. Ihr Verhalten konnte innert kürzester Zeit völlig umschlagen, was er nur zum Teil der Tatsache zuschreiben wollte, dass sie eine Frau war. Dann wiederum waren seine Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht äusserst begrenzt. Er hatte nie viel Zeit darin investiert, hätte sie auch gar nicht aufbringen können. Es hatte ihn viel Arbeit und Kraft gekostet, um sich diese Reputation des unnahbaren, undurchsichtigen Generals aufzubauen, und regelmässige Bordellbesuche hätten diese arg angeschlagen. Ein Opfer, das gebracht werden musste.
    Nach wenigen Stunden erreichten die beiden Krieger den Fluss Stingard, dem sie einige Meilen stromaufwärts folgten, bis sie zum Landgut von Lady Moyra kamen. Etharas hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache.
    Lady Moyra- kinderlos, zweifache Witwe, mit ihren dreiundfünfzig Jahren eine der ältesten Frauen des Reiches und aufgrund von Erbschaften, zwei günstigen Heiraten sowie einem ausgeprägten Handels- und Geschäftssinn eine der reichsten Edeldamen des Nordens. Und die Frau, mit der Etharas ursprünglich eine Hochzeit arrangiert hatte. Er brauchte das Geld. Immer noch.
    Das Gut war ernüchternd ländlich und es fehlte diese Aura des Luxus und Reichtums. Die kleine Kutsche, die im Hof stand, war schmucklos, die Flaniergärten, die in den hohen Klassen so in Mode waren, fehlten gänzlich und waren durch Gemüsebeete ersetzt. Dies war das Haus einer Person, die wusste, dass einem im Leben nichts geschenkt wurde und man sich besser nicht darauf verliess, dass die Dinge blieben, wie sie waren.
    Schon damals, als Etharas Lady Moyra das erste Mal aufgesucht hatte, war er zutiefst beeindruckt gewesen von ihrer resoluten, abgeklärten Art und der Lebhaftigkeit, die ihre Augen trotz des hohen Alters noch aussprühten.
    Ein Diener- neben dem Koch, einer Zofe und dem Pferdejungen der einzige Bedienstete hier, wie Res’ Gatte wusste, öffnete die Haupttür und bat die beiden in den Salon. Ein Bote hatte sie gestern bereits angekündigt, und ihre Ladyschaft würde sie bald aufsuchen.
    Sie lehnten das angebotene Getränk ab und warteten schweigend auf das Erscheinen von Moyra. Etharas hasste solche Momente. Er war nicht in der Lage, die Reaktion der Dame einzuschätzen, wusste nicht, wie er ein Gespräch beginnen sollte. Wie die Situation darzulegen war. Moyra war Meisterin darin, nicht zu zeigen, was in ihr vorging, und machte sich oft einen Spass daraus, Bittsteller auf die falsche Fährte zu locken.
    Ausserdem widerstrebte ihm der Gedanke, ein Bittsteller zu sein. Doch er hatte keine Wahl.
    Etharas und Renron erhoben sich und neigten höflich den Kopf, als sich kurze, knallende Schritte nährten. Moyra hielt nicht viel von Teppichen in Räumen, die sie nur aufsuchte, um Schnorrer zu empfangen.
    «Mylady», grüssten die Männer unisono.
    Lady Moyra knickste. Das lange, graue Haar war lediglich zurückgesteckt und nicht, wie bei Hofe üblich, in kunstvolle Türme geflochten. Die silbernen Strähnen flossen über ihre Schultern und liessen sie seltsam jugendlich erscheinen. Die Augen leuchteten in hellwacher Aufmerksamkeit, ihre Kleidung war zweckmässig und am Saum schmutzig von ihrem alltäglichen Spaziergang und der Arbeit im Gemüsebeet. Etharas hatte sich schon vor langer Zeit genauestens über ihren Tagesablauf informiert.
    «Meine Herren», begann die Dame und setzte sich mit geradem Rücken und stolz vorgerecktem Kinn in einen Sessel. «Lord Etharas, mein nicht mehr Verlobter, wie ich höre.» Res’ Gatte hielt ihrem Blick stand.
    «Ja, Mylady. Ich wollte mich vor allem für diese… Missverständnisse entschuldigen und sämtliche offenen Fragen klären.»
    «Ihr lügt», winkte Moyra ab. «Und ich denke, es gibt weitaus weniger Missverständnisse, als Ihr glaubt, mein Lieber. Lasst mich raten: Hatemos hat euch überrumpelt und keine Wahl gelassen. Mein Ranghöchster Bittsteller kann eine harte Nuss sein, wenn er einen guten Tag hat.»
    Oh ja. Diese Frau beeindruckte ihn.
    «Nun, wie gesagt- das Geschehene tut mir ausserordentlich leid. Meine Pläne mussten höchst kurzfristig verworfen werden, und mir blieben sämtliche Möglichkeiten verwehrt, mich mit Euch, Mylady, in Kontakt zu setzen.»
    «Natürlich. In meinem Alter macht man sich nicht allzu viele Illusionen mehr, Mylord. Ihr habt eine Ilitri geehelicht, wie ich höre. Ein hübsches junges Ding, eine Prinzessin gar. Dass ich derart enttäuscht seid, um die Ehre einer Hochzeitsnacht mit mir zu kommen, wage ich zu bezweifeln.»
    «Dennoch möchte ich diese leidige Situation aufklären.»
    «Unsinn. Ihr braucht Geld. Was auch der vorrangige Grund für Euer Interesse an mir war. An meiner jugendlichen Schönheit kann es kaum gelegen haben.»
    «Mylady, Ihr seid eine schöne Frau.» Was er auch genau so meinte.
    Moyra schwieg einen Moment und betrachtete ihn. «Wisst Ihr… Euch glaube ich das sogar. Doch nun Schluss mit dem Süssholzgeraspel. Kommen wir zum Geschäft. Euer Begleiter beginnt bereits, sich zu langweilen.»
    Renron zog schuldbewusst den Kopf ein, während die Lady bei ihrem Diener Tee und Gebäck bestellte und sich eine Mappe bringen liess, in der sie Dokumente aufbewahrte. Die sie aber zuerst einmal beiseitelegte.
    «Nun denn, meine Herren», begann sie, als eine Tasse dampfend neben ihr stand. «Warum sollte ich Euch von meinem Geld geben?» Ihr Gesichtsausdruck war nun ganz Geschäftsfrau.
    Renron beugte sich vor. Dies war sein Part. Er hatte ein besseres Gefühl für Menschen und die Wortgewandtheit eines wahren Politikers.
    «Um einen Krieg im Norden zu vermeiden, Mylady.»
    «Krieg?» Moyra gab sich irritiert. «Wir haben eine der längsten Friedenszeiten seit Jahrhunderten.»
    «Dennoch vermute ich, dass Ihr von den Gerüchten vom Hofe wisst. Hatemos hat grosse Pläne für den Norden.»
    «Oh ja, da bin ich überzeugt. Er macht ganz den Eindruck eines Visionärs. Mit einer leichten Prise Grössenwahnsinn.» Sie erlaubte sich ein kleines Lächeln. «Aber für irgendetwas muss er ja das ganze Geld verschwenden, dass er sich regelmässig von mir leiht und das ich mit Sicherheit nicht wiedersehen werde. Dafür werde ich zu jedem Hoffest eingeladen und ich glaube, irgendein Adelstitel steht mir auch zu.»
    «Ihre Majestät plant etwas, was er ‘die Einigung des Nordens’ nennt.»
    «Klingt vernünftig.»
    «Vordergründig, ja. Darf ich Euch die Folgen für das Reich, seine Städte und, natürlich, Euch darlegen?»
    «Folgen? Was meint Ihr? Ein geeintes Reich, das Hatemos mehr Macht und Einfluss verleihen wurde, als es im Norden je ein König hatte? Die Handelsstädte, die ihre Autonomie verlieren und der Handel, der durchgehend kontrolliert werden würde? Ein neues Steuersystem, das zwar den Staatshaushalt reparieren, aber die Wirtschaft des Nordens in ein Chaos stürzen würde? Meint Ihr das?»
    Renron nickte ernst. «Exakt. Doch da endet es nicht. Ich meine eine Macht, die es Hatemos erlauben würde, ganze Gesetze neu zu schreiben und euch zu enteignen. Ich meine eine Macht, die euer Handelsimperium schlicht dem Erdboden gleichmachen könnte, ob auf eine subtile oder gewalttätige Weise, ist nicht relevant. Ich meine mehr Einfluss, als es je ein Mann im Norden je hatte, Mylady. Oder eine Frau.»
    «Versucht Ihr, mir Angst einzujagen, mein Herr?»
    «Nein, Mylady. Das ist nicht nötig. Ihr geltet als eine der klügsten Frauen der Welt, und ich bin sicher, dass Ihr bereits vor Langem in der Lage wart, eins und eins zusammenzuzählen. Euer Reichtum ist begehrt in der ganzen Welt, und ihr verdankt seinen Erhalt nicht zuletzt der Tatsache, dass Ihr Eure Güter in all den verschiedenen unabhängigen Häfen und Handelsstädten verteilen konntet. Es ist bekannt, Lady Moyra, dass euch faktisch die Hälfte des Nordens gehört. Dieser Zustand wird sich drastisch ändern, wenn Hatemos’ Pläne aufgehen.»
    Moyra griff nach ihrer Tasse, trank einen langen Zug, stellte sie mit einem kaum hörbaren Klirren wieder auf den Glasteller zurück und betrachtete die Männer. Renron hatte sich zurückgelehnt und bereitete sich auf den Gegenangriff vor.
    Doch dieser blieb aus.
    «Ihr habt Recht.» Moyra sprach mit Renron, blickte aber zu Etharas. «Mir ist bewusst, dass mir die Optionen ausgehen. Meine Pläne, Lord Etharas zu heiraten, waren, wie Ihr euch denken konntet, ebenso wenig romantischer Natur wie die Euren. Ich schwor mir vor einiger Zeit, dass ich mein Leben, mein Imperium, bis zum letzten Atemzug verteidigen würde. Ich bedachte nicht, dass ich keine Verbündeten habe. Lediglich Bittsteller. Und gekaufte Freunde sind schneller verloren als Schneeflocken im Sommer.» Ihr Ausdruck wurde lauernd. «Doch warum sollte ich Euch unterstützen? Warum Euch als Verbündete wählen? Noch habe ich Einfluss- noch kann ich handeln. Warum also Ihr? Überzeugt mich.»
    Renron sah zu Etharas. Dies musste er erklären.
    «Nun, Mylady. Die Sache ist fast lächerlich einfach.»


    Knapp zehn Minuten später atmete Moyra tief durch. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert. Sie dachte nach.
    «Wenn ich das richtig verstehe, steht und fällt der Plan hauptsächlich mit einer Person- Eurer Gattin, Prinzessin Ereste, Tochter des Dranog.»
    Aus diesem Blickwinkel hatte Etharas die Sache noch nicht betrachtet. Verdutzt musste er Moyra Recht geben. «Ja, Mylady.»
    «Dann, meine Herren, will ich, nein, muss ich sie persönlich kennenlernen, bevor ich irgend eine Entscheidung treffe.»


    Die Männer lehnten das Angebot, auf Moyras Gut zu übernachten, höflich ab und machten sich bald wieder auf die Rückreise.
    «Was hältst du davon?», unterbrach Renron nach einer Weile das Schweigen seines Freundes.
    «Ich weiss es nicht. Ich verstehe Moyras Intention, doch ich befürchte, dass Lady Ereste dieser Herausforderung nicht gewachsen ist. Dann wiederum… sie ist ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Ihr Verhalten irrational, ich kann nicht einschätzen, wann sie wie reagierten wird. Sie könnte völlig überfordert mit einer Konfrontation mit Moyra sein. Oder aber sie erweist sich als Politisches Genie und zieht sie direkt auf unsere Seite.»
    «Ich könnte versuchen, sie etwas vorzubereiten.»
    Etharas dachte kurz darüber nach. «Tu das. Aber nicht zu ausführlich. Sie muss natürlich wirken, jede Schauspielerei würde Moyra sofort durchschauen. Erklär Lady Ereste die Grundlagen der Rethorik, was sie auf keinen Fall sagen darf und so. Du weisst, worauf es ankommt.»
    «Gut.» Renron liess einige Zeit verstreichen, bevor er fragte: «Warum bestehst du eigentlich auf diese Förmlichkeit?»
    «Was?»
    «Du nennst deine Gattin selbst dann ‘Lady Ereste’, wenn du nur mit mir redest. Warum?»
    Etharas schwieg eine Weile. «Ich weiss es nicht. Doch sie nur ‘Ereste ‘ oder gar ‘Res’ zu nennen wäre wohl kaum angemessen.»
    Renron schnaubte. «Lass mich dir einen Blick in die Zukunft zeigen, mein Freund. Sollte euer Plan aufgehen, solltet ihr es tatsächlich schaffen, die Machtverhältnisse im Norden auf diese Weise zu stabilisieren, werdet ihr beide eine wichtige Aufgabe im ganzen Spiel haben. Und glaub nicht, dass es mit einem netten Friedensvertrag getan sein wird. Ihr werdet mehr sein als lediglich Schlüsselfiguren. Ihr werdet zu Sinnbildern. Einer Bedrohung. Einer lebenden Legende. Und das werdet ihr nur zu zweit aufrechterhalten können. Wie lange willst du also darauf bestehen, dich emotional von deiner Ehefrau abzukapseln? Glaubst du wirklich, ihr beide werdet in der Lage sein, ein solches Bündnis allein auf einer Notsituation wie der jetzigen aufzubauen? Vertrau mir, wenn ich dir sage, dass das allein mit Freundschaft gehen wird. Du musst sie nicht lieben. Du musst nicht das Bett mit ihr teilen. Doch erlaube dir, erlaube ihr, eine engere Bindung zu dir aufzubauen. Lerne, ihr zu vertrauen und sorg dafür, dass sie dir vertraut. Werdet … Freunde.»
    Etharas kommentierte dies nicht. Darüber musste er zuerst nachdenken.

    So. Mit Elodie und Mortimer sieht es ähnlich aus. Jetzt muss etwas Zeit vergehen, also schliesse ich diesen Abschnitt mit einem letzten Teil und einem Lebewohl ab.


    Mit der Zeit lebte Elodie sich ein. Fand in ihren Zimmergenossinnen die Freundinnen, die ihr im letzten Jahr so gefehlt hatten. Bald hätte sie sich blind in den Gebäuden der Schule bewegen können und begann, ihren Lehrerinnen und Erzieherinnen zu vertrauen. Besonders Miss Ódhaire, einer der Lehrerinnen für Sport und Tanz. Sie erkannte schnell, dass Elodie eine begnadete Tänzerin und, infolgedessen, Fechterin ist, und sie hat nun im Sinn, das Mädchen als Mentorin und Lehrerin persönlich zu fördern.
    Miss Ódhaire ist eine bekannte Feministin, eine der ersten Frauenrechtlerinnen von Standorn. Mit einigen wenigen, höchst enthusiastischen Gleichgesinnten kämpft sie verbissen für Rechte und Freiheiten der Frauen in Eisenhal und dem gesamten Reich. Sie wird in ihrer beruflichen Tätigkeit auf der Schule scharf von der Rektorin beobachtet, die zwar nicht Teil dieser Bewegung ist, allerdings glaubt, dass junge Menschen von Anfang an möglich sein sollte, beide Seiten eines Problems kennenzulernen, um sich auf dieser Basis eine eigene Meinung bilden zu können. Und da dies eine Diskussion ist, die besonders Frauen angeht, hat sie sich dafür eingesetzt, Miss Ódhaire auf der Schule anzustellen. Dass diese auch eine brilliante Sportlerin, Taktikerin und Rednerin ist, waren schliesslich ausschlaggebende Argumente. Dennoch wird jedes ihrer Worte auf die Goldwaage gelegt, denn wenn die Schulleiterin eines nicht ausstehen kann, ist das Manipulation Minderjähriger. Noch schlimmer- Manipulation ihrer Schützlinge. Ódhaire wusste das, und die beiden respektierten sich und ihre Ansichten. Andernfalls hätte dieses Arrangement auch nicht lange angehalten.

    Elodie verehrt ihre neue Mentorin. Wenn in den ersten Wochen die Bibliothek ihr meistbesuchter Aufenthaltsort gewesen war, wurden es bald die Trainingsräume der Schule, wo sie mit ernstem Blick unter Anleitung von Ódhaire wieder und wieder bestimmte Bewegungen, Schritte und taktische Überlegungen übt. Ich bin froh, achtet Elodies Mentorin darauf, dass sie auch den restlichen Unterricht nicht zu kurz kommen lässt. Elodie blüht so innert kürzester Zeit sichtlich auf. Es ist das erste Mal, dass sie auf diese Weise gefordert und herausgefordert wurde. Ich erkenne in ihr einen Kampfgeist, der ihr ganzes behütetes Leben versteckt blieb, doch nun… Sie will zeigen, was sie kann. Will es selber herausfinden.
    Abends wärmt mir ihr Kichern mit ihren Mitbewohnerinnen das Gemüt, und obwohl sie sich noch immer weigert, mich in ihre Gedankenwelt zu lassen, glaube ich zu wissen: Sie ist glücklich.

    Glücklich. Und sie braucht mich nicht mehr. Diese Erkenntnis, eben so simpel wie schrecklich, trifft mich mit voller Wucht. Ich denke lange und intensiv über sie nach, versuche, Gründe dafür zu finden, hierzubleiben. Doch alles weist darauf hin, dass ich überflüssig bin. Ihre Sorgen bespricht sie mit ihren Freundinnen, die ihr auch antworten können. Fragen stellt sie ihren Lehrerinnen und Erzieherinnen.
    Und ich … Fasse einen Entschluss. Leihe mir den Körper einer Elster (etwas, was ich nur ungern tue. Die völlig verängstigten Geister der Tiere bescheren mir stets ein schlechtes Gewissen. Doch dies ist ein Notfall). Ich fliege los und stehle in der nächsten grösseren Ortschaft beim Goldschmied eine Kette mit einem blauen Edelstein. Ich lege es mit einer ebenfalls blauen Feldblume auf ihr Kopfkissen und lasse den Vogel draussen wieder frei.
    Und dann gehe ich und kann nur hoffen, dass sie mich nicht vergisst.

    ***


    Liebes Tagebuch

    Heute hat mich Mortimer verlassen. Ich fühle es. Ich fühle, dass er weg ist, und weiss nicht, wieso.

    Elodie sieht von ihrem Tagebuch auf und starrt unglücklich in den Frühsommertag hinaus. Sammelt ihre Gedanken und schreibt dann weiter.

    Obwohl… vielleicht weiss ich es doch. Ich glaube, seine Aufgabe ist getan. Über fast vier Jahre hat er mich in meiner Einsamkeit begleitet und sie, so gut er konnte, gefüllt. Und nun… gibt es keine Einsamkeit mehr.
    Ein Schriftsteller hat mal gesagt, dass grosse Freude oft mit dem Preis eines Verlustes kommt. Ich glaube, er hat recht. Auch wenn Mortimer stumm war und körperlos, hatte er dennoch einen Platz in meinem Herzen. Er war mein Geheimnis, mein stiller, geduldiger Freund. Dieser Platz wird immer ihm gehören.
    Er liess mir ein Geschenk da.

    Elodie betrachtet den kleinen Edelstein, und zieht sich dann die Kette an. Die Blume hat sie sich sofort ins Haar gesteckt.

    Ein Schmuckstück. Damit ich mich stets an ihn erinnere. Und das habe ich auch vor.

    Ein Kloss bildete sich in ihrem Hals und heisse Tränen brennen plötzlich. Schnell schriebt sie noch:

    Er wird mir fehlen.

    Dann schlägt sie das Buch zu, um die Seiten vor den Tränen zu schützen. Es fühlt sich an, als wäre ihr etwas genommen worden. Etwas teures. Und so sitzt sie da und weint mit leisen Schluchzern vor sich hin.
    Ich bin einige Meilen entfernt, doch ich kann sie hören, wenn ich das möchte. Und das tue ich. Ach wenn sie es nicht wissen wird, irgendwo werde ich immer sein und ich werde stets einen kleinen Teil meines Bewusstseins auf sie konzentriert haben. Und auch wenn ich nicht fähig bin, echte Gefühle zu empfinden… sie wird mir fehlen.

    Seufz... habt ihr das manchmal auch? Ihr kommt beim besten Willen nicht weiter an dieser einen Stelle oder wüsstet zwar, wo es hingehen soll, aber wie ihr diese Szene darstellen wollt, steht irgendwo in den Sternen? ... So gehts mir grade mit Irion. Ich habe sein Manuskript mal seit laaaaangem wieder hervorgekramt und gelesen und wollte weitermachen und blieb an genau derselben Stelle hängen.
    Naja. Also hab ich sie einfach beendet :D Cut und jetzt wird es bei Irion einen Zeitsprung geben, weil ehrlich - wen interessieren die ganzen ollen Details seiner Ausbildung ^^


    Dies ist ein Aufsatz über die Geschichte des namenlosen Ordens. Da mir keine Richtlinien auferlegt wurden, was den Stil anbelangt, werde ich ihn völlig frei schreiben.

    Irion sah einen Moment auf das Papier. Frech. Aber warum nicht? Er kannte Risher noch nicht besonders gut, aber er glaubte zu wissen, dass der Alte ein wenig Unverfrorenheit zu schätzen wusste. Hoffentlich.

    Bekanntlich beginnt sie vor gut fünftausend Jahren, darin stimmen alle Quellen überein, deshalb gehe ich von der Richtigkeit der Annahme aus. Hinzu kommt, dass nach spätestens tausend Jahren die Geschichte ohnehin zu sehr verschwimmt, um genaue Angaben machen zu können. Halten wir uns also im Groben an die allgemein gültigen Zeitangaben.

    Man mag sich über meine Wortwahl wundern. Ich schreibe „allgemein gültig“, da ich guten Grund zur Annahme habe, dass die „allgemein gültige“ Übertragung der Herkunft unseres Ordens eine stark romantisierte, wenn nicht gar völlig falsche Geschichte handelt.

    Irion zögerte. Noch immer war er sich nicht ganz sicher, ob er nicht doch lieber brav eben einen solchen normalen, allgemein gültigen Aufsatz schreiben sollte. Was erwartete sein Meister? Wieviel wusste er? Irion seufzte. Er mochte diese Geheimniskrämerei nicht. Wenn es denn eine war. Aber er konnte sich kaum vorstellen, dass Risher, der sein ganzes Leben in den Mauern der Bibliothek verbracht hatte, nichts von dem gruseligen Geschichtsraum wusste.
    Er tunkte die Feder wieder in die Tinte.

    Ob es vorsätzliche Änderung der Tatsache war oder schlicht schlampige Buchführung ist an dem Punkt zweitrangig. Ich

    Wieder stockte der Junge. Schnaubte und zerknüllte das Papier. Verdammt. Nahm sich einen neuen Bogen und schrieb den Aufsatz. In der allgemein gültigen Version. Irion konnte es sich nicht verkneifen, alles mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus zu würzen und das Heldenpaar so unelegant wie möglich dastehen zu lassen. Als persönliche Note, sozusagen. Sogar einige längst vergessen geglaubte, auswendig gelernte Liebesbriefpassagen konnte er einbringen. Sowas machte sich immer gut.
    Innerhalb von nicht ganz zwei Stunden war er fertig. Sah auf sein zugegebenermassen nicht sehr sorgfältig verfasstes Werk und blähte trotzig die Nasenflügel. Er wusste, Risher spielte mit ihm. Er wusste, dass sein Lehrer ihm nicht alles sagte und Geheimnisse hatte. Es war sehr unwahrscheinlich, dass er sich nur aus gutem Willen an die Sonderausbildung von drei speziell ausgewählten Novizen wagte. Solange Irion nicht wusste, was vor sich ging, würde er niemandem vertrauen. Solange er nicht wusste, auf welcher Seite Risher stand…
    Seite? Was für Seiten? Und auf welcher Seite stand Irion?

    Er legte seinen Aufsatz auf Rishers Tisch- der Alte sass schnarchend in seinem Sessel- und ging Richtung seiner Ecke. Dass er dem Bibliothekar nicht vertraute, war einer der Gründe gewesen, dass er seine neuen Erkenntnisse von letzter Nacht nicht in den Text hatte einfliessen lassen. Der zweite war, dass die beiden Bücher mehr Fragen als Antworten geliefert hatten. Er wollte noch einmal zurück und nach weiteren Informationen suchen.
    Das Papierbündel hatte sich bei näherer Betrachtung und besserem Licht als mehrere Karten herausgestellt. Uralte Karten. Irion hatte Schwierigkeiten, die Schrift zu lesen und den verblassten Linien zu folgen. Auch das musste noch erledigt werden.

    So stapfte er später entschlossen durch den Feuerraum und riss die Obstraumtüre auf. Und stand im Obstraum. Ordentlich in die Regale geräumt standen Rücken an Rücken die Bücher über Wurzeln, Nüsse und Beeren. Einen Moment lang dachte Iron gar nichts. Dann verliess er den Raum, langsam rückwärtsgehend. Wandte sich zur Nadelbaumtüre. Öffnete sie mit geschlossenen Augen. Hob die Lider langsam; dasselbe Bild wie eben. Regale mit Büchern über Fichten, Föhren, Eiben und Tannen. Irion schenkte sich den Schusswaffenraum.

    Der Junge stand eine ganze Weile draussen und starrte die Schilder an, als könnte er die Räume so dazu zwingen, das preiszugeben, was sie gestern beinhaltet hatten. Was hatte er gestern getan? War hereingekommen und hatte die Türen geöffnet. Ganz einfach. Hing es von der Uhrzeit ab? Irion graute bei dem Gedanken an kommende Abende, die er, auf einen Chronometer starrend, vor den Räumen verbrachte. Schon jetzt forderten die vergangenen Nächte, die er lesend statt schlafend verbracht hatte, ihren Tribut.
    Falls es also an der Uhrzeit läge, würde er heute Nacht nochmals wiederkommen. Vielleicht hatte er gestern auch einfach Glück gehabt, und heute war die Magie der Bibliothek auf immer verflogen oder so.
    Allerdings glaubt Irion das kaum. Er wusste nicht viel von Magie, doch soweit er davon gehört hatte, brauchte es jemanden, der sie verursachte.
    Was seiner Fantasie wieder ganz neue Eindrücke verschaffte.
    Also … er hoffte, dass es sich nicht um Magie handelte.
    Er rief sich den gestrigen Abend noch einmal in Erinnerung, um sich von dem Gedanken abzulenken. Ging Schritt für Schritt den Ablauf durch. Ist es möglich…?
    Irion zögerte nur kurz, bevor er laut und deutlich sagte: “Ich muss in den Raum über Ordensgeschichte.”
    Geister oder fallende Regale oder geheimnisvolle Geräusche hinter den Mauern blieben enttäuschenderweise aus. Nach den gesprochenen Worten wirkte die Stille sogar bedrohlich. Dunkel starrten ihn die Türen an, verhöhnten seine Furcht.
    Irion schüttelte das aufkommende Schaudern ab und griff beherzt nach der Türfalle zu den Feuerwaffen. Knarzend gehorchte das alte Holz seinem Befehl. Irion atmete tief durch und leuchtete in die Dunkelheit.

    Sodeley. Mal wieder was kleines von mir. Es ist völlig unabhängig von den anderen Storylines. Mehr eine kleine Nebeninfo, Weltenbauen quasi. Eventuell hab ich später vor, dass etwas mit den Laternen geschieht, aber wie weit ich das treibe, weiss ich noch net. Bis dahin wird es einfach ... da sein :D Bis mich die Muse küsst und ich wieder richtig anfange :rolleyes:

    Eisenhal wird manchmal von Dichtern „Stadt der ewigenNacht“ genannt. Nun, wer sie schon einmal besuchte, weiss warum. Der Sonne wird keine Chance gelassen. Wersich frühmorgens von Sonnenstrahlen wecken lassen kann, ist zweifellos einfeiner Pinkel. Das Fussvolk wohnt in der Dunkelheit.
    Fragt mich nicht, warum unsere Arbeit so geächtet undschlecht bezahlt ist. Verdammte Ungerechtigkeit, jawohl.
    Ja, was glaubt ihr denn? Dass die Laternen von selberleuchten, weil ihnen danach ist? Trottel. Die Laternen, jedes einzelne ein Meisterwerk.Ich weiss noch, wie einmal dieser edel gekleidete Kerl daher kam und uns nachunserer Arbeit und der Funktionsweise der Laternen ausfragte. Ich war damalsnoch Lehrling meines Vaters. Wir hatten eigentlich keine Zeit, aber der feineHerr versprach meinem Vater Geld, also schickte er mich alleine los und gabAuskunft. Soviel ich weiss, hat er einige Wochen später ein Volksliedgeschrieben. Oder ein Gedicht. Irgend so etwas. Es geht um das „Eins von Naturund Technik“ oder so. Ich habs mal gehört. Aber nichts kapiert.

    Ich kapiere allgemein nicht sehr viel. Aber von denLaternen, da versteh ich was von. Ich weiss alles, was man über die Laternenwissen muss.
    Ich bin ein Laternenmeister. Zuvor war ich Lehrling, dannGeselle. Inzwischen ist mein alter Vater tot, und ich habe sein Quartierübernommen. So funktioniert es in der ganzen Stadt. Wenn es nicht funktionierenwürde, würde die Stadt nicht funktionieren. Ohne uns ist die Stadt nichts alsein dunkles verdammtes Loch.
    Oh, wir riechen nicht sehr angenehm. Ich weiss das. Wirsehen auch seltsam aus. Viele Leute fürchten sich vor uns.
    Ich hatte damals meinen alten Vater gefragt, warum. Fandes ungerecht. Wollte nicht mehr. Er meinte, es diene alles der Stadt. Und dassei unser Schicksal, der Stadt zu dienen. Er meinte, die wenigsten Leute hätteneine Ahnung, was ihr Schicksal sei, und ich solle verflucht nochmal dankbarsein, dass ich es schon immer wusste.
    Ja, ich würde seltsam aussehen, anders. Ja, ich würde dieLeute abstossen. Doch ich hätte ein ordentliches Zuhause, das mir keiner nehmenkann. Ich hätte eine wichtige, eine grosse Arbeit. Und jedes Jahr bekäme icheinen Brief vom König persönlich, in dem er sich bedankt, und mit dem Brief einnagelneues blaues Band, das ich mir um den Arm binden kann, damit jeder sieht,dass meine Arbeit wichtig ist und der König dankbar dafür.
    Mehr darf kein Mensch erwarten. Auch wenn ich in denBriefen nur noch mit meinen Familiennamen angesprochen werde, weil die da obennicht mehr wüssten, welche Generation grade dran ist. Aber das ist nichtwichtig.

    Laternenmeister wird man bereits in der Wiege. Einer, dernicht in einer Laternenmeisterfamilie aufgewachsen ist, kann keinLaternenmeister sein. So einfach ist das.
    Es liegt an den Algen. Sie leuchten blau und geben dereisenhaler Dunkelheit ihr gespenstiges, lebenswichtiges Licht.
    Ein Laternenmeister wandert den ganzen Tag in seinemQuartier die Laternen und die Rohre ab, über die jede Laterne mitNährflüssigkeit versorgt wird, damit die Algen immer fleissig leuchten. Er mussschweissen können, um kaputte Rohre reparieren zu können. Niemand anders kanndas tun, weil das Zeug giftig ist. Genau wie die Algen. Man muss nur die Dämpfeeinatmen oder zu viel davon auf die Hautkriegen. Tot.
    Darum werden schon neugeborene daran gewöhnt. Man gibtihnen Tee, dem wenige Tropfen Nährflüssigkeit beigemischt werden. Je älter dieKinder, desto mehr kriegen sie. War bei mir so, bei meinem Vater und bei dessenVater vor ihm. Auch mein Sohn, ein starker Junge von inzwischen fünf Jahren,muss täglich seinen kleinen Becher mit Algenmilch trinken.
    Es ist ein Opfer, dass schon seit JahrhundertenGeneration um Generation bringt.

    Das Zeug macht Dinge in unserem Körper. Lässt sich nichtvermeiden. Unsere Augen sind alle blau, ein schreckliches, helles, eistkaltesblau, das bei älteren Laternenmeistern sogar leuchtet in der Dunkelheit. UnserBlut nimmt viel von dem Algentrank auf und die Adern scheinen weiss unterunserer Haut, und man sieht jede einzelne von ihnen, wenn wir draussen in derDunkelheit unterwegs sind. Auch wenn wir stark sind wie jeder andere Mensch,werden unsere Glieder lang und dünn, während der restliche Körper eher rundbleibt. Dabei werden die wenigsten grösser als anderthalb Meter. Die Haut wirktwie Papier und unser Gesicht ist eingefallen, und die Leute gehen uns aus demWeg, wenn sie uns auf der Arbeit begegnen.

    Das ist unser Schicksal und unsere Bestimmung. Frauenfinden wir unter den Töchtern anderer Laternenmeister, niemand sonst würde einender unseren zum Mann nehmen. Die Menschen halten uns für niedriger, wertloser,als sie es sind. Manche meinen sogar, wir wären keine Menschen, sondern eineAbart, die dankbar sein darf, dass sie in Eisenhal bleiben darf.

    Doch wir wissen es besser. Eisenhal ohne Laternenmeisterwäre dem Untergang geweiht. Der König weiss es auch. Und so bekommen wirjährlich unseren königlichen Dankesbrief. Binden uns das neue blaue Band um undlegen das alte sorgsam zu den hunderten anderen, die im Laufe der Zeit inunsere Familien kamen und uns stets daran erinnern, dass unsere Arbeit wichtigist.

    Eisenhal ohne Laternenmeister? Der Tod hätte keine freieMinute mehr…

    Ich hoffe, es gefällt :) langsam kommt der Fortschritt hier ^^

    Irion 2.6

    Das konnte doch nicht wahr sein!
    Wieder ging Irion langsam die starren Bücherreihen ab und las sorgfältig die Titel. Zog wieder ein Buch hervor und überflog den Inhalt. Nein. Auch nicht.
    Er machte ein paar Schritte zurück und betrachtete noch einmal das Regal in seiner Gesamtheit, in der Hoffnung, irgendwo doch noch eine Art … naja, vielversprechendes Glitzern oder so zu sehen. Wie man das eben so kennt.
    Natürlich war da nichts. Vor ihm nichts als Versionen und Interpretationen, alternative Übersetzungen und Interpretationen davon. Bücher mit Hintergrundgeschichten. Historien. Politik. Biografien.
    Alles nicht das, was er suchte. Er wollte wissen, ob es noch mehr gab. Eine ganz andere, weniger romantisierte Geschichte des Steinordens. Nicht, dass Politik und Fremdworterklärungen besonders romantisch wären, aber... Irion hatte gehofft, hier etwas zu finden, in dem sich nicht alles um die beiden Wunderhelden und tragischen Liebenden Buchenherz und Rubinauge drehte. Oder zumindest etwas, in dem sie nicht so… hoch gelobt wurden.
    Gab es nicht. Zumindest nicht hier in der Haupthalle. Vielleicht- nein, wahrscheinlich überhaupt nicht.
    Irion konnte das nicht glauben. Befürchtete im Inneren aber, dass das allein sein Stolz war, der es nicht glauben wollte. Die immer noch tief sitzende, leise schwelende Wut in ihm, die es nur gesehen hätte, wenn es etwas gäbe, das den Orden etwas von seinem hohen Ross herunterholen konnte.
    Er wandte sich von den Büchern ab. Falls es so etwas gab, lag es irgendwo in den Tiefen der Bibliothek. Mit etwas Glück war es vielleicht sogar schon katalogisiert und Sofi oder Risher wussten, wo sich der Raum befand. Aber Irion wollte eigentlich vermeiden, sie in seine Studien mit einzubeziehen. Das war irgendwie … sein Ding. Sein Geheimnis.
    Es war schwer zu beschreiben, aber es war irgendwie etwas in ihm, sehr tief, das wissen wollte. Und es hätte sich falsch angefühlt, das zu teilen.
    Also wandte er sich seufzend Richtung Schlafplatz. War ja nicht so, dass er nicht genügend anderes zu lesen hätte.

    Doch es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Die Zeilen huschten an seinem Blick vorbei, verhöhnten ihn. Er schlug das Buch über Holzbau nach wenigen Seiten zu. Das hatte keinen Zweck.
    Einige Minuten sass er einfach da und rang mit sich. Schliesslich fasste er einen Entschluss.
    Er würde das Innere der Bibliothek schliesslich sowieso kennenlernen müssen.
    Bewaffnet mit einer Fackel und dem Notizbuch stieg er von seinem Plateau – verdammt, er brauchte eine Treppe! – und trat vor die Tür mit dem Schild „Feuer“. Er zögerte nur kurz, bevor er die Klinke betätigte.
    Er würde die Fackeln auf seinem Weg anzünden, um so den Weg zurück auf jeden Fall wieder zu finden. Er hatte ohnehin nicht vor, sich allzu weit vorzuwagen. Und ganz bestimmt hatte er nicht vor, sich zu verirren.

    Bücher über Feuerwerk. Bücher über Brände und wie man sie löscht. Bücher über das Seefeuer, Bücher über trinkbares und Bücher über heilendes Feuer. Bücher über Brandwunden und Bücher über das Feuer, das im Innern der Welt schlummert. Legenden und Sagen, Technik und Wissenschaft. Still riefen sie alle: Lies mich!
    Nicht heute. Vielleicht morgen. Heute steht Ordensgeschichte auf dem Lehrplan.
    Irion schüttelte den Kopf, als er realisierte, dass er das soeben vor sich hin gemurmelt hatte. „Idiot. Redet schon mit Büchern. In wenigen Wochen bist du so verrückt wie der Alte. Ständig am Kichern. Genau.“
    Auch wenn er aufhören wollte, redete er doch weiter. In der drohenden Stille sorgten die Worte dafür, dass ein anderes Geräusch als die wispernden Flammen und seine Schritte die Dunkelheit füllten.
    Am anderen Ende des Raumes senkten sich seine Schultern entmutigt. Drei Türen mit Schildern. „Obst der Südländer“, „Nadelbäume“ und „Schusswaffen“. Nichtssagend.
    Unentschlossen öffnete er die Tür zu den Schusswaffen. Er wurde von Chaos erwartet. Dasselbe hinter den beiden anderen Türen. Staub und haufenweise brüchiges Pergament.
    „Ich sollte umkehren“, sagte Irion zu sich, während er lustlos tiefer in die Nadelbäume vordrang. Im Vorbeigehen nahm er sich ein Dokument aus einem unordentlichen Stapel. Es war eine Rolle. Irgendeine Pflanzenfaser. Er zog sie auf und las den Titel.
    Er stand eine ganze Weile so da und starrte auf die Buchstaben.

    Der Orden – Eine kurze Historie
    Von Serna von Dineriso


    Serna von Bjan war die Schwester von Buchenherz gewesen. Er hatte sie damals in den Revolten ebenfalls retten können und man sagt, dass sie sich sehr ähnlich gestanden wären.
    Irion blickte auf die Handschrift. Nicht ungläubig, vielmehr … misstrauisch. Dann löste er den Blick und liess ihn über die anderen Dokumente schweifen. Ein Zufall. Chaos eben. Nächstes Dokument. Ein nachlässig zusammengebundenes Papierbündel. Die Linien darauf sahen überhaupt nicht nach Früchten aus. Sie waren verblasst, teils durch Flüssigkeiten zerstört und zerrissen und ungewöhnlich zerknüllt. Die alte Schrift war im Fackellicht kaum zu lesen, also klemmte Irion sich das Bündel mit der Rolle unter den Arm.
    Das nächste Buch. Fast wünschte er sich, dass es von gebogenen Früchten und süssen Wurzeln handelte. Die wichtigsten Gebete der ersten Steinmönche. Eine Übersetzung.
    Fast panisch griff der Novize nach weiteren Schriften, bis er sich eingestehen musste, dass es in dem Raum wohl nicht um fremdes Obst ging.
    Langsam trat er rückwärts aus dem Zimmer, zurück zu den geordneten Reihen des Feuerraumes. Sah sich um. Kein Streich, nein. Wie auch? Er war allein.
    Wirklich? Plötzlich schien in jedem Schatten irgendwas zu lauern. Wurde er beobachtet?
    „Ha-Hallo?“ Es klang mickrig. Kindisch. Ängstlich. Doch es füllte die Stille.
    „Gut. Also. Ich bin allein. Alles in Ordnung. Ich kann“, schnell drehte er sich zur Kontrolle zur Hauptsaaltüre um, „jederzeit zurück.“
    Irion atmetet tief durch. „Chaos in der Bibliothek. Das ist alles.“ Dennoch hatte er nicht mehr wirklich das Verlangen, den Obstraum noch einmal zu betreten. Nadelbäume. Mal sehen.
    Türangeln quietschten leise. Schritte. Stille.
    Irion verliess den Raum sofort wieder.
    Ein Dejà-vu? Nein. Oder doch? Oh Götter… Das konnte doch nicht…?
    Wut regte sich in ihm und vertrieb die lauernde Furcht, was Irion nur zu gerne zuliess. Er schlug die Tür so laut zu, wie es ging, was bei den rostigen Angeln nicht allzu laut war, und ging mit stampfenden Schritten zu der Schusswaffen-Tür. Riss sie auf.
    Unmöglich. Er betrat den Raum, nahm wieder wahllos Dokumente. Einen der Titel hatte er sogar im Obstraum schon in der Hand gehabt.
    „Das kann nicht sein“, flüsterte Irion ständig vor sich hin. Keiner der Räume beinhaltete, was das Schild aussagte. Jeder der Räume war genau gleich. Oder vielleicht der gleiche Raum. Denn das Bündel und die Rolle waren nicht mehr da. Alles andere schon.
    Raus hier.
    Er wollte soeben gehen, als ein kleiner Band von einem Stapel rutschte und wenige Schritte vor ihm landete. Entgegen aller Annahmen war oben kein kleines Männchen, das fröhlich winkte, um dann zu verschwinden. Nur Staub.
    Irion bückte sich knurrend, schob das Buch zu den beiden anderen Dokumenten, erhob sich und schrie in den Raum: „NA SCHÖN! UND JETZT LASS MICH!“, und ging. Schnellen Schrittes.

    Hastig durchquerte er den Feuerraum, liess sich von seinem Gewissen dennoch zwingen, die Fackeln zu löschen, und kletterte auf das Plateau.
    Endlich. Unter der Decke fühlte er sich weitaus wohler. Er starrte auf die Dokumente vor sich. Nahm den kleinen Band und drehte ihn, um den Titel zu lesen.

    Tagebuch.

    @Dinteyra :D ohja ^^ Ich bin nur immer neugierig, wie die verschiedenen Protas bei den Lesern ankommen. Welche Story am meisten Interesse weckt. Einfach so. Neugier halt :P

    Tjaja.. ich war net sooo fleissig in letzter Zeit, hatte Arbeit und Ferien und sollte echt öfter mal hier sein X/ jedenfalls hat ich schon länger was von Res auf der Festplatte :P


    Ereste 2.1

    „Rina? Ich muss etwas mit dir besprechen.“ Ereste klopfte ungeduldig an die Kammertür ihrer Zofe und Dienerin und vermutlich auch Spionin von König Hatemos.
    Endlich öffnete sich die Türe und die recht grosse und massive Gestalt von Rina verhinderte neugierige Blicke hinein.
    „Ja, Mylady?“ Sie knickste unsicher. Normalerweise wechselte die junge Braut so wenige Worte wie möglich mit ihr.
    „Es geht um ein besonderes Kleid, dass du mir nähen musst. Du hast drei Tage. Sagen wir, vier maximal. Und es muss perfekt sein.“ Erestes Augen leuchteten, was die Zofe nur noch misstrauischer machte. Die Wochen, die Res bereits in Solenin, der Hauptstadt, verbracht hatte, war sie eigentlich immer schrecklich gelaunt gewesen und hatte selten gelacht. Irgendetwas führte sie im Schilde.
    „Drei Tage müssten reichen, wenn ich ansonsten nicht allzu viel zu tun habe. Was ist so besonders daran?“
    „Komm mit!“ Res packte Rina kurzerhand am Arm und zog sie in den grossen Salon des kleinen Landgutes, in dem sie mit Etharas zusammen die Flitterwochen verbrachte. Hier hatte Mak, ihr Freund, Leibwächter und Vertrauter, eine grosse Auswahl an schwarzen Stoffen aller Art zusammengetragen. Er war gestern deshalb den ganzen Tag unterwegs gewesen. Deshalb und … aus anderen Gründen.
    Skeptisch befühlte Rina einige davon.
    „Schwarz ist nicht wirklich in Mode, Mylady. Das Grün, das ihr bei Eurer Hochzeit getragen habt, kann ich sehr empfehlen. Oder Türkistöne…“
    „Nein“, unterbrach Res entschieden, „es muss Schwarz sein. Das Kleid hat einen bestimmten Zweck zu erfüllen, der nicht ganz einfach zu erreichen ist, vermute ich mal…“
    Stolz streckte Rina das Kinn vor. „Mylady, vor Euch steht die beste Schneiderin von ganz Solenin, wenn nicht gar von ganz Sotam.“
    Res lächelte. „Ich hatte gehofft, dass du das sagst. Nun denn. Ich brauche ein Kleid, das mir eine grosse Bewegungsfreiheit gibt, mich aber dennoch begehrenswert erscheinen lässt. Es sollte schlicht und praktisch sein, aber trotzdem nicht einfach oder billig wirken. Ich will beeindruckend daherkommen. Mein Gatte soll ähnliche Kleidung erhalten, die seine Vorzüge betonen, ihn stark und mächtig wirken lassen.“
    Liebe Güte, dachte Rina bei sich. Was hat sie vor?
    „Wir wollen damit … Eindruck schinden. Genau. Um mir den Einzug ins Hofleben und so zu erleichtern.“
    Wers glaubt, Prinzesschen. Du lügst zu schlecht für das Hofleben. Macht dich sympathisch, ja, aber zu einem leichten Opfer.
    „Was meinst du? Bekommst du das hin?“
    „Nun…“, Rina machte eine Pause und sah zu dem Mann, dem Vertrauten der Prinzessin. Im Gegensatz zu Ereste war sein Blick lauernd. Wie ein Raubtier, das nur auf den kleinsten Fehler seines Opfers wartete. Das hättest du wohl gerne, du Barbar. So leicht würde sie sich von einem Wilden aus dem Norden nicht unterkriegen lassen.
    „Das müsste machbar sein. Gebt mir eine Stunde, und ich werde Euch etwas aufzeichnen.“
    Erfreut klatschte Res in die Hände. „Wunderbar!“ Fast hüpfend verliess sie beschwingt den Salon und liess die beiden zurück.
    Rina und Mak starrten sich eine Weile lang drohend an.
    Mak war der erste, der wegsah. Die Zofe erlaubte sich ein winziges, triumphierendes Hochzucken der Mundwinkel und ging an eine Kommode, in der sich Papier und Graphitschreiber befanden und begann, herumzuskizzieren.
    Mak war etwas verdutzt, da er normalerweise solche Starr-Kämpfe gewann. Spätestens, wenn er seine Augen allmählich in die Augen eines Wolfes verwandelte, wandten viele entsetzt den Blick ab. Nicht, dass er es wirklich nötig gehabt hätte.
    Er musste vorsichtig sein.
    Er setzte sich lässig in einen der grossen Sessel und flegelte absichtlich etwas übertrieben darin herum, legte die ziemlich staubigen Stiefel auf den zerbrechlichen Tisch und beobachtete jede von Rinas Bewegungen aufmerksam.
    Die sass in einer recht angespannten, aber damenhaften Position auf dem Liegesofa, das zurzeit sehr modern war, und bemühte sich, den jungen Mann nicht anzusehen.
    Natürlich tat sie es schliesslich doch.
    Natürlich ertappte er sie dabei und grinste.
    Ärgerlich fuhr sie ihn an: „Hast du Wilder eigentlich nichts besseres zu tun, als hier mit deinen widerlich schmutzigen Schuhen das Haus zu versauen? Du…“, sie suchte nach einem angemessenen Wort. „Flegel!“
    Mak lächelte sein überlegenes Lächeln, das eigentlich niemand ausser er wirklich leiden konnte. „Oh, meine liebe Rina“, antwortete er in übertriebener Höflichkeit, „glaub mir- wenn du dich als vertrauenswürdig erweisen würdest, wär ich längst meilenweit weg und würde wirklich interessante Dinge tun. Leider bist du mit fast absoluter Sicherheit eine Spionin von Hatemos und glaube mir, ich werde nicht zulassen, dass du auch nur das Geringste ausplapperst, während wir hier sind.“
    Sie wirkte nur einen winzigen Moment lang überrascht, dann hatte sie ihre Miene wieder im Griff.
    „Als würde ein wilder Nordling wie du auch nur Bruchsstücke von sotamischer Politik verstehen“, konterte sie verächtlich. „Was denkst du, wie glücklich ich sein werde, wenn ich meinen Dienst bei der Lady quittieren kann?“
    „Was du tust, wenn du uns verlässt, könnte mir gleichgültiger nicht sein.“ Mak sprach im galantesten Tonfall. „Solange du und Res sich unter einem Dach befinden, ist dein Leben täglich in Gefahr. Bei der kleinsten Spur von Verrat wirst du bezahlen. Und es wird aussehen wie ein Unfall. Mein Spezialgebiet.“ Er grinste ein … nun, wölfisches Grinsen.
    Rina lachte. „Ich sähe zu gerne, wie du es versuchst … Junge.“ Ihr Blick war der eines Pelzhändlers, der endlich Hand an diesen einen, ganz speziellen Wolf legen konnte…
    Mak kniff die Augen zusammen. Diese kleine … Und jetzt zwinkerte sie ihm zu! Verflixt. Sie wusste, dass sie diese Runde gewonnen hatte. Schon wieder.
    Mak ärgerte sich, musste aber gleichzeitig zugeben, dass er sich herausgefordert fühlte. Auf eine Art, die er schon lange nicht mehr erlebt hatte. Diese Frau hatte es faustdick hinter den Ohren. Genau wie er.

    Als Res knapp eine Stunde später wieder zurückkam, lümmelte Mak dösend im Sessel, während Rina inzwischen mit verzeichneten Blättern umgeben war. Ihr anfängliches Misstrauen war schlussendlich doch der Begeisterung für Mode und Schneiderei gewichen, und Erestes Freund wurde bald von den aufgeregten Diskussionen der beiden Frauen geweckt.
    Als Mak merkte, dass dieses Gespräch wohl noch ewig dauern würde, und er sich dabei wahrscheinlich zu Tode langweilen würde, verliess er sie schliesslich, um sich draussen etwas Bewegung zu verschaffen. Kurz darauf machte sich Rina daran, die richtigen Stoffe auszusuchen. Später würde sie noch Etharas‘ Masse nehmen müssen- die von Res hatte sie noch von der Hochzeit.
    Und währen die Zofe sich also schwungvoll ans Schneidern machte, überlegte sie kurz, dass sie wahrscheinlich dem König Bescheid geben sollte. Auf dem Bauernhof wartete ein Bote nur darauf, dass sie ihn aufsuchte und eine Nachricht übergab.
    Doch dafür war noch Zeit. Ereste würde bestimmt Verdacht schöpfen, wenn sie jetzt plötzlich ausging. Das Kleid hatte Priorität. Und was für ein Kleid es werden würde.

    Heeey ^^ hach was hab ich mich über eure Kommis gefreut :D Vielen Dank! Und ganz besonders auch @Dinteyra :) dass du dich daran gewagt hast ist hammer ^^ (Könntest du mir noch sagen, welche Storylines genau dir gefallen und welche weniger? nur aus Neugierde ^^ )

    Jedenfalls hab ich noch bissi gewütet und Irion hat nun eine recht wichtige Fortsetzung mit Erklärungen etc gekriegt :) Besonders die Geschichte hat enorm Spass gemacht :D Hoffe der Part ist euch net zu lange ..


    Irion 2.5

    „Irion.“
    Stille.
    „Irion.“
    Stoffrascheln.
    „Irion! Aufwachen!“ Endlich, als Sofi begann, ihn zuschütteln, öffnete Irion die Augen. Der einzige Hinweis auf die Tageszeit wardas wenige Licht, das durchs Fenster fiel, doch es lag auf der Westseite derBibliothek und da die Sonne erst dabei war, aufzugehen, war es nicht mehr alsein Schimmer in der dunklen Wand.
    Grummelnd setzte der Junge sich auf.
    „Irion, du hast noch zehn Minuten. Ich dachte mir schon,dass du wahrscheinlich verschlafen würdest, und da ich neugierig auf deinenSchlafplatz war, bin ich einfach hergekommen.“ Sie lachte und warf ihm seineKleidung an den Kopf. „Los, auf mit dir!“
    Irion widerstand der Versuchung, sich unter der Bettdeckezu verkriechen. Auch wenn Risher um einiges umgänglicher war als die anderenMagister, hatte er keine Lust, schon am ersten Tag in ein Fettnäpfchen zutreten. Ausserdem wäre es gelogen gewesen zu sagen, dass er sich nicht aufdas freute, was der alte Mann für ihnbereithielt.
    Also schlüpfte er, nachdem Sofi sich höflich umgedrehthatte, in den einfachen Überwurf und zog die Lederschuhe über die Füsse. Danngriff er nach dem Notizbuch und nahm sich vor, sich einen Gürtel zu machen, mitTaschen, in denen er es mit Tinte und Feder verstauen konnte.
    Es brauchte etwas Überwindung, so früh im Halbschlaf denSprung aufs Regal zu wagen. Er brauchte eine Treppe. So bald wie möglich.
    Sofi folgte ihm und gemeinsam gingen sie zügig durch denSaal zu Rishers Reich. Der Alte erwartete sie bereits ungeduldig.
    „Na endlich! Aufgewacht? Na, gut geschlafen? Auf, auf,jetzt machen wir … Übungen!“
    Irion schloss die Augen. Entweder, der Mann schliefunglaublich gut. Und war ein absoluter Morgenmensch. Da Irion aber ausschloss,dass man ein Morgen-, Mittag-, Abend undNachtmensch sein konnte, und Risher sich immer so vierhielt, vermutete er eher,dass der Bibliothekar überhaupt nicht schlief. Und seine Energie aus … werweiss was bezog. Büchern vielleicht. Der Essenz des Wissens.
    „Los los, nicht träumen, Junge! Ich werde dir nun deinetägliche Morgenroutine vor dem Essen zeigen!“ Die diebische Freude war so garnicht vertrauenserweckend.
    Die nächste halbe Stunde verbrachten sie damit, dassRisher auf dem Sessel sitzend Anweisungen gab und Irion ihnen missmutignachkam. Muskelaufbau. Schon nach wenigen Minuten zitterten seine Arme, undseine Toga klebte ihm am Rücken. Was den Meister nur noch mehr zu motivierenschien.
    „Abends wirst du dann jeweils laufen gehen. Ebenfallseine halbe Stunde.“ Irion, soeben in Liegestützeposition, liess sich zu Bodenfallen. Bei allen guten Geistern…
    „Hopp, weiter, du fauler Hund du!“ Eine Stimme in Irionrief ihm zu, liegen zu bleiben und diesen bescheuerten Mist nicht mehrmitzumachen. Die andere war die Stimme des Stolzes und des Ehrgefühls. Es gabeinen Vertrag. Und er würde eher sterben als vor dem alten Schwäche zuzugeben.
    Also weiter.
    Dankbar brach er zwanzig Minuten später die Übungen ab,als die Glocke zum Frühstück läutete. Risher liess es ihm durchgehen, wies aufeinen Eimer mit Wasser, zum „frisch machen“, und ging bereits zum Essenssaalvor. Ein Spruch wie „Ich sage, wann wir hier fertig sind“ hätte Irions Respektvor dem Mann sofort frappant gemindert. Lehrer und Schüler, ja, aber dennochbeides gleichwertige, denkende Personen. Irion hasste es, anders behandelt zuwerden.

    Der Saal war fast voll, als Irion ihn endlich betrat. Erbegann bereits die ziemlich hoffnungslose Suche nach einem freien Platz, als erSofi bemerkte, die wild winkend versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erringen.Risher und sie sassen, bereits mit gefüllten Tellern, an einem Tisch und hattenihm ebenfalls etwas geholt.
    Bemüht, seine Dankbarkeit nicht allzu sehr zu zeigen,setzte er sich also zu ihnen. Und ihm wurde bewusst, dass er wahrscheinlich niewieder allein essen musste. Nicht hier im Orden. Und auch wenn Sofi ein stillesMäuschen war und Risher ein plappernder, ständig mit den Händen fuchtelnderGreis, auch wenn er die beiden nicht als „Freunde“ bezeichnet hätte, er gehörtedazu.
    Manchmal muss man wo dazu gehören, um zu merken, dass maneinsam war.

    Der heutige Tag sollte der erste einer langen Reihe vonTagen sein, die Teil der ersten Phase waren. Sie alle würden wie folgtablaufen: Nach den Übungen und dem Frühstück gings ans Lernen. Risher meinte,er würde die Themen bestimmen, war aber bereit, dabei auf die Wünsche seinesSchülers Rücksicht zu nehmen. Doch nicht jetzt. Zuerst sollte Irion alles überdie Geschichte des Ordens lernen. Diese Studienzeit dauerte bis zumMittagsmahl, und danach war Arbeit in der Bibliothek angesagt.
    Neben dem Katalogisieren galt es auch, die Räume sauberund ordentlich zu halten. Neue Erkenntnisse und Informationen, die dem Ordenfast täglich zugesandt wurden, mussten sortiert und die bestehenden Werkeergänzt oder korrigiert werden. Kaputte und fast nicht mehr leserlicheDokumente galt es zu kopieren, und, wenn sich tatsächlich mal jemand in dieBibliothek verirrte, hatte man ihn zu beraten und die entsprechenden Regale zuzeigen.
    Irion hatte Risher bereits am ersten Tag gefragt, ob ernicht eine kleine Karte des Hauptsaales anlegen dürfe. Dieser wareinverstanden, und so verbrachte Irion den Nachmittag damit, durch die Gänge zuwandern und alles in sein Notizbuch einzutragen. Hin und wieder fand er einThema, das ihn ansprach, und nahm dann jeweils ein Buch mit, das er abends imBett lesen wollte. Schon bald bereute er, keinen Wagen oder Schubkarre dabei zuhaben. Und er würde auf seinem Plateau definitiv Ablagen und Regale benötigen.
    Selbstverständlich vergass Risher auch nicht, Irionabends hinaus zu scheuchen und mit einem selbstgefälligen Grinsen den Dauerlaufzu beaufsichtigen, den der Junge unter viel Gekeuche in der kühlen Abendluftabsolvierte.
    Wieder stand ihm ein Eimer Wasser zur Verfügung, undjemand, wahrscheinlich Sofi, hatte ihm frische Kleidung besorgt. Wo sie war,wusste der Himmel. Risher hatte erklärt, dass auch sie sich noch in Phase einsbefand, aber mit etwa anderthalb Jahren Vorsprung. Und da sie die „Ratgeberin“werden sollte, war körperliche Ertüchtigung zwar auch ein kleiner Teil derAusbildung („Sport ist gesund, mein Junge!“), aber längst nicht so sehr imFokus wie das pure Wissen.
    Irion erlaubte sich nur kurz, sie zu beneiden. Denneigentlich musste er sich eingestehen: Das war das, wovon er immer geträumthatte. Wäre sein Meister ein Waldläufer, hätte er die Übungen mit Begeisterungabsolviert. Ihm war das nur zu bewusst, und er schämte sich sogar etwas dafür.Risher, wenn auch alt und ein schadenfreudiger Schinder, wusste, wovon ersprach. Vor jeder Übung erklärte er Irion kurz den Sinn und welche Muskeln wiegestählt wurden. Der Junge war sich nicht sicher, ob es seinem Lehrer bewusstwar, aber er schätzte es enorm, in dieser Form für voll genommen zu werden.
    Wie anzunehmen, war er am ersten Abend furchtbar müde.Doch seine gesammelten Bücher riefen lautlos, verlangten seine Aufmerksamkeit.
    Irion, der mit neu aufgefüllter Lampe im Schneidersitzvor seinen Schätzen sass, fuhr unschlüssig mit den Fingerkuppen über dieRücken, die sich wild abwechselten und mal Seidig glatt, mal rau und rissig undmal gar nicht vorhanden waren und einen direkt auf den holperigen Bund derSeiten leitete. Dann griff er nach dem Buch über Landwirtschaft. Nicht, dass esihn noch brennend interessiert hätte – die zweite Hälfte war mehr Listen undDiagramme als tatsächlicher Text. Aber es hätte sich wohl falsch angefühlt, denTeil auszulassen. Es schien wichtig. Und irgendwie riefen ihm die Seiten zu,dass sie ganz gelesen werden wollten. Und wer war Irion schon, sich dem zuwidersetzten?
    Also las er das Buch zu Ende. Klappte den Buchdeckel zuund schlief mit dem Gedanken ein, dass er Morgen die Bücher über dieOrdensgeschichte studieren wollte, die Risher ihm nicht gegeben hatte.

    Am nächsten Tag weckte ihn wieder Sofi. Irion nahm sichvor, schnellstmöglich ein Wecksystem zu entwickeln, doch zurzeit hatte er keineAhnung, wie das gehen sollte. Er kam sich schrecklich dumm vor. Und sein Willezu lernen verstärkte sich nur noch.
    Übungen, Waschen, Frühstück.
    Und dann wieder in Rishers Reich an den Tisch. Heute sassauch Sofi hier und las mit ernstem Blick in einem Buch, dessen Titel Irionnicht sehen konnte. Hin und wieder machte sie sich Notizen oder blätterte ineinem anderen, kleineren Buch. Sie war eigentlich ein ganz hübscher Anblick.Das kindliche, naive war aus ihrem Gesichtsausdruck verschwunden und machteganz der ernsten Aufnahme des Wissens Platz.
    Er schlug sein Buch ebenfalls auf – ein enormer Schinkenvon einem Epos, den ihm Risher gebracht hatte mit dem Auftrag, genauestens zustudieren und dann einen Aufsatz darüber zu schreiben. Der morgen fällig seinwürde. Risher war kein Freund von Schonfristen.
    Irion überflog noch einmal das, was er gestern bereitsgelesen hatte. Eigentlich die ganz normale Ordensgeschichte, wie sie jedemNovizen bereits im ersten Jahr beigebracht wurde. Vielleicht etwasumständlicher und ausführlicher geschrieben.
    Kurz zusammengefasst, wurde der Orden vor Jahrtausendengegründet, wenn auch damals zu einem völlig anderen Zweck. Damals war der Ordennoch Teil der damaligen Religion, die die Welt als Gottheit anbetete. Diebeiden Fraktionen- Stein und Wald- waren dazu da, beiden Inkarnationen zudienen: Dem wilden, weiblichen, aber auch weisen Aspekt, dem Wald, sowie demväterlichen, männlichen und höchst mächtigen Aspekt, dem Fels. Irgendwannverlief sich die Religion- die Steine antworteten nicht, man verlegte sich vomanbeten der Bäume lieber zum Bauen von stabilen Holzhäusern, anstatt inLederzelten oder so zu wohnen. Und da sich offenbar keiner der Götterbeschwerte, ging diese Kultur immer mehr in Vergessenheit.
    Nicht aber der Orden. Er passte sich an. Und da beideSeiten des Ordens schon immer Traditionsbewusst waren, hielten sich dieWaldläufer ans Kämpfen und die Natur, während die Steinflüsterer sich demWissen und eher der Technik verschrieben. Auf ihre eigene, ganz neue Artdienten sie ihren alten Göttern immer noch. Was wohl auch der Grund war, dassdieser Übergang relativ reibungslos und ohne viel Blutvergiessen geschah. Dieganz konservativen hatten nicht viel, über das sie sich beschweren konnten.
    Dennoch brauchte der Orden neue Ziele, oder hätte siegebraucht. Da die ehemaligen Priester und Geweihten besonders in Roqhvar einhohes Ansehen genossen, breiteten sie sich im Land immer mehr aus. DieMitgliederzahl schrumpfte stark- viele von ihnen gründeten neue Siedlungen, dieheute stolze Städte sind, und vergassen ihre Wurzeln immer mehr. Und da es keinZentrum mehr gab, schien der Orden kurz vor seiner Auflösung zu stehen.
    Dann aber kam es zum Kampf. Die einstmaligen Ordensbrüderhatten nämlich, auch wenn sie faktisch keine Bindung mehr hatten zu ihrerZunft, den Einfluss des Namens immer noch nur zu gerne Missbraucht und sich soin hohe Positionen gebracht. Diese Praktiken gingen sehr lange sehr gut für dieeinstmaligen Waldläufer und Steinflüsterer. Sie wurden extrem reich undmächtig, einige der Roqhvarer Königshäuser haben ihren Ursprung immer noch imOrden. Doch irgendwann gab es einen Meuchelmord an einem überauseinflussreichen Monarchen.
    Die Reaktion darauf? Gar keine. Es gab keinen Orden mehr,der seine Brüder geschützt hätte.
    Als die Restlichen Bewohner von Roqhvar das realisierten,brach eine blutige Zeit an. Viele waren unzufrieden mit der Herrschaftslagegewesen, doch der Legendäre Name des Ordens war Abschreckung genug gewesen. Undsie verblasste.
    Einige waren klug genug gewesen, die Vorzeichen zuerkennen. Sie flohen rechtzeitig mit ihren Reichtümern. Reichtümer, die denGrundstein für den Neuen Orden, den man heute kennt, legten. Eine heutelegendäre Figur in Person des edlen Waldläufers Berwin Buchenherz kam insSpiel, Sohn eines Machthabers, der den Aufruhr nicht überlebt hatte. Er mussteein ziemlicher Romantiker gewesen sein, hatte die Ordensgeschichte studiert undwar voller Ideale und ehrenhaften Ideen. Er rettete eine ganze Mengegefährdeter Familien (und sein und ihr Vermögen) und nahm sie alle mit nachWesten, wo er, nach diversen Abenteuern und grossen Herausforderungen zusammenmit Meradia Rubinauge (Irion hoffte inständig, dass der Barde, der den beidenderart bescheuerte Beinamen verpasst hatte, bei lebendigem Leibe verbranntworden war), einer Erbin der Steinflüsterer und Berwins tragische grosse Liebe(natürlich. Was sonst?), die neuen Ordensstatuten festlegte. Leider (bei demTeil der Erzählung hatten die Mädchen immer geschluchzt und Irion die Augenverdreht) konnten die beiden nicht zusammen sein, aus Gründen, die dem Jungenimmer noch konfus und unlogisch erschienen. Aber da Barden und Liederschreibernicht unbedingt für ihren Sinn für Logik bekannt waren, war es nun einmal so.
    Und da war er also, der Orden. Berwin und Meradia hattendie ehemaligen Könige und Machtträger bestraft, indem sie ihnen sämtliches Geldwegnahmen, den Haufen halbierten und je eine Hälfte den Steinflüsterern undeine den Waldläufern zusprachen. Mit diesem beachtlichen Vermögen bauten sieihre neuen Ordenshäuser- da, wo sie noch heute sind. Sie sollten sich niewieder sehen, aber noch je ein gutes Dutzend schnulzige Liebesbriefe schreiben,die gerne von den Magistern als Auswendiglern-Texte verwendet wurden. Noch einGrund, die beiden zu hassen.
    Das war vor etwa zweitausend Jahren gewesen. Zuersterfuhr man natürlich nichts als Misstrauen und Ablehnung, doch die neuenRichtlinien wurden sehr ernst genommen; man wurde grosszügig, gerecht und edel,und auch wenn es einige Jahrhunderte dauerte, fasste das Volk von Roqhvar undschliesslich die ganze Welt Vertrauen in die Ordensbrüder und –schwestern, undbald galt es als grosse Ehre, dort ausgebildet zu werden. Das blieb so bisheute.

    Seufzend schlug Irion das Buch zu. Eine gute Geschichte,ja, aber er wusste, dass es nicht die einzige war. Oft hatte er am Mittagstischgelauscht, wenn die Magister und ältere Schüler darüber debattierten, welcheVersion wohl mehr stimmte und warum. Oft unterschieden sich diese nur inDetails, aber wenn es solche Detailunterschiede gab, mussten auch ganz andereVarianten existieren. Irion hatte fest vor, sie zu finden und zu lesen. Nur alsVergleich. Auch, weil ihm die Geschichte um Buchenherz und Rubinauge überhauptnicht gefiel, ganz abgesehen von der Verehrung, die die beiden heute noch vonden Brüdern beider Orden erhielten.
    An solchen Dingen musste eigentlich immer irgendetwasfaul sein. Und Irion war zu neugierig darauf, ob er es wohl herausfindenkönnte.

    EDIT: Bitte verzeiht den Mist mit den Abständen ... ich werd das jetzt net durchkorrigieren :huh:

    Suche nach Legenden 2.5

    Keine zwei Personen passten zwischen die warmen Wände, die wohl ebenfalls aus fugenlosem Stein bestanden. Zögernd ging Sanders voran, in der Hoffnung, irgendwo im immer tiefer werdenden Dunkel eine Fackel oder Laterne zu ertasten. Irgendetwas schien das Licht zu verschlucken, denn obwohl von draussen die Nachmittagssonne hereinscheinen sollte, herrschte bereits nach wenigen unsicheren Schritten tiefe Finsternis. Sanders verzichtete darauf, die Tür nach dem Grund zu fragen, da er ohnehin keine Buchstaben hätte entziffern können.
    Und dann, als Richard als letzter das Tor passiert hatte, fiel es zu. Und nun umgab sie absolute Finsternis.
    Rich fuhr herum und schlug wild brüllend gegen die Tür, Winston begann zu heulen, und Sanders, der auch sonst keine engen Räume mochte, musste sich zwingen, nicht ebenfalls in den Lärmeinzustimmen. Benommen vom Schreck torkelte er weiter vorwärts – und fiel gegendas Ende des Ganges. Schnelles Tasten fand eine recht grob gezimmerte Holztürmit einem runden, offenbar reich verzierten Metallknauf. Sanders drehte ihn.
    Eine Line kalten, weissen Lichts durchbrach die Schwärze und erhellte die teils wütenden, teils ängstlichen und teils entsetzten Gesichter der vier. Sanders blickte in Mienen, diegleichzeitig „ja“ flüsterten und „nein“ schrien.
    Seis drum. Alles oder nichts.
    Er drückte gegen den Türflügel.

    Entsetzt fuhr er zurück. Yolanda schrie auf, Winston weinte erneut los, als sie direkt vor sich die gewaltigen Zähne der Bestie sahen.
    „Ach du heilige…“, begann Sanders mit einem atemlosen Flüstern.
    „Ihr verdammten Idioten.“ Richard schob sich an ihnen vorbei. „Das Viech ist tot. Hier“, sagte er und trat zum Beweis gegen den Eckzahn, der- bei näherer Betrachtung- tatsächlich schon einen gewissen Grünstich aufwies und in einem bleichen Schädel endete statt hinter sabbernden Lefzen.
    „Oh.“ Viel mehr wusste Sanders nicht zu sagen.
    Richard ging um das verfallene Skelett herum und murmelte vor sich hin. Yolanda trat mit Winston neben Sanders und flüsterte: „Fragt sich nur, was ihn getötet hat.“
    Sanders nickte. Sie würden vorsichtig sein müssen. Er versuchte, ihr aufmunternd zuzulächeln, was nurhalbwegs gelang. Der Schreck sass ihm immer noch in den Knochen. Dann folgte erRich um die weissgelben Überreste.
    Er war kein Biologe. Seiner Ansicht nach hätte das Biest ein Drache sein können, aber ebenso gut ein gigantischer Hund oder eine riesige Raubkatze. Oder irgendein magisches Wesen, von dem er nichts wusste. Er war nur froh, dass sie nicht mehr von ihm gefressen werden konnten.
    Wenige Meter hinter dem Skelett erhob sich ein Wald. Rich stand vor den Stämmen, die im Kampf um das Sonnenlicht sehr lang und gerade gewachsen waren und sich erst oberhalb der Mauer zu den Baumkronen weiteten.
    Auch wenn sie recht weit voneinander entfernt standen, drang kaum Sonnenlicht auf den Waldboden, und nur schummrige Düsternis wartete lauernd hinter der Rinde.
    Als Richard bemerkte, dass seine Begleiter neben ihm standen, ging er entschieden voran. Ein ziemlich verwilderter Kiesweg mit weissen Steinen führte hinein in das warmgrüne Dunkel,und die vier folgten ihm.
    In schweigendem Staunen durchquerten sie den Forst, der in seltsamer Stille da lag. Auch wenn keiner ausser Yolanda jemals einen Wald gesehen hatte, vermissten sie den Gesang von Vögeln. Das Rauschen der Blätter. Irgendetwas. So wirkte alles seltsam … tot. Wie eingefroren in der Zeit. Sanders schauderte.
    Immer wieder lenkte rechts und links am Wegesrand etwas ihre Aufmerksamkeit auf sich. Manchmal waren es ungezähmte Gestrüppe und Gebüsche mit seltsamen Blüten und Früchten, hin und wieder eine traurig dreinblickende Statue aus weissem Marmor, meist mit abgefallenen Körperteilen und bewachsen mit Moos und verschiedenen Kletterpflanzen. Einmal sogar einen Springbrunnen, der sich über drei Becken ergoss,von denen das unterste aber zerstört war. Das immer noch sprudelnde Wasserhatte im Laufe der Jahre einen kleinen Bach gegraben, der quer über den Kieswegfloss und auf der anderen Seite irgendwo zwischen Farnen verschwand.
    Und schliesslich eine geschwungene Brücke mit einem kunstvoll verschnörkelten Geländer aus grün überzogenem Eisen.Sie führte über einen Bachlauf, der im Gegensatz zu dem vorhin absichtlich angelegt worden war und in einem perfekten Kreis um eine Art Terrasse mit schwarz-rot-weissem Mosaikboden floss.
    In der Mitte dieser runden Terrasse befand sich ein ebenso runder Pavillon, in dem um einen runden Tisch sechs elegante Stühle platziert waren. Alles war im selben Stil wie die Brücke ausgeführt worden, inzwischen aber mit Schmutz und Grünzeug überzogen.
    Da standen sie also. Der Bach leise plätschernd, wofür Sanders sehr dankbar war. Und dahinter die Bäume.
    „Meint ihr, dass das hier die Mitte von Rexas Friedhof ist?“ Yolanda brach das Schweigen.
    „Gut möglich.“ Sanders fand, dass seine Stimme sich seltsam anhörte. Irgendwie fühlte es sich falsch an, diese sakrale Ruhe zu stören.
    „Ja, ist so“, kam es von Richard,der zu dem Tisch getreten war und auf die Buchstaben auf der Fläche sah, die sich soeben wieder auflösten, um neue Worte zu bilden, die diesmal auf dem ursprünglich schwarzen Metall golden waren.

    Mein alter Meister pflegte hier zu speisen.
    Yolanda wandte sich von den Baumstämmen ab und trat ebenfalls zum Tisch. „Das hier war nicht immer ein Wald, stimmts?“
    Wald?Ich muss doch sehr bitten. Dies war des Meisters kunstvoller – Garten.
    „Wie wir vorhin schon feststellten,dein Meister ist schon eine ganze Weile lang tot, Rexa. Der Garten ist verwildert.“
    „Woher weisst du das?“, erkundigte sich Sanders.
    „Die Bäume. Waldbäume sehen nicht so aus. Ihre Borke ist rauer, die Stämme stärker und näher beisammen. Dies waren einst kleine, exotische Bäume, solche, die das Auge und die Sinne erfreuen.“ Sie klang, als läse sie aus einem Lehrbuch vor. „Sie sind teuer in der Anschaffung und aufwendig im Unterhalt. Doch einige Sorten haben trotz mangelnder Sorge überlebt und so diesen Wald gebildet. Auch die fremden Büsche und Farne sprechen dafür. So etwas findet man bei uns eigentlich nicht.“

    Korrekt. Der Meister war leidenschaftlicher Gärtner. Er importierte – viele Pflanzen und unterhielt sie sorgfältig. Als Ablenkung von seiner sonstigen Forschung. –Manche züchtete er gar zu neuen Sorten weiter.
    „Wirklich?“ Fasziniert drehte sich die junge Frau um. „Welche denn?“
    Was bin ich? Bauer? Er hat bestimmt irgendwo ein Gärtnertagebuch. Er hat – über alles Tagebuch geführt.
    „Was heisst das, über alles?“, hakte nun Rich nach.
    Über alles eben. All seine Forschungen, Erfolge, Niederlagen, Fehlschläge… wie man das eben so – macht. Auch privat hatte er eines, soviel ich weiss.
    „Wo findet man die?“
    In seinem Büro wahrscheinlich. Oder seinem Schlafzimmer.
    „Schlafzimmer“, nahm jetzt Sanders das Stichwort auf. „Wo können wir schlafen?“
    Wo immer ihr wollt.
    „Am liebsten an einem Ort, wo wir nicht von irgendwelchen Viechern im Schlaf gefressen werden.“
    Was für Viecher?
    „Wie dieses Biest am Eingang. Gross, riesige Zähne, ziemlich tot…“
    Oh. Eines der Experimente.
    „Was soll das heissen?“

    Mein Meister war Meister vieler Fächer. Neben neuen Pflanzensorten erschuf er auch –neue Tiersorten.
    „Unter anderem ein Monster?“
    Monster? Wanda? Aber doch nicht Wanda!
    „Wer zum Teufel ist Wanda?“ Die Frage kam von Richard
    Na, das tote Tier am Eingang. Dass sie tot ist, habe ich inzwischen aus den Aussagen – von Yolanda geschlossen. Ich dachte zuerst, sie wäre ebenfalls einfach auf Reisen.
    „Du meinst, sie ist kein Monster?“

    War, mein Freund. Nein. Obwohl sich selbst der Meister vor ihr fürchtete. Ich – habe keine Augen, weiss nicht, wie sie aussieht, aber ihre Ausstrahlung war stets freundlich.
    Sanders blickte seine Begleiter an.
    „Gibt es noch mehr … Tiere?“

    Absolut. Doch nicht hier im Garten. Ich schätze, Wanda hat sie nach und – nach gefressen,als sie nicht mehr gefüttert wurde.
    Die Buchstaben verschwanden und eine Weile lang kam nichts.
    Das macht es irgendwie nachvollziehbar, dass sie gefürchtet wurde.
    „Wo denn dann?“
    Was? Ach, die Tiere! In der Bio- und Zoologischen Abteilung im Studienturm.
    „Welches ist der Studienturm?“
    Der rechts vom Eingang. Von innen gesehen. Der linke ist der Wohnturm.
    „Gibt es da Betten für uns alle?“
    Woher soll ich das wissen?

    :D der Teil hat übelst Spass gemacht beim Schreiben :) ich hoffe, beim Lesen nicht minder!

    Suche nach Legenden 2.4

    Und da standen sie schliesslich. Schweigend starrten die vier die Mauer empor, die sich direkt vor ihnen aus dem Nichts der Steppe erhob.
    Sie schien rechts und links kein Ende zu haben, bestand aus glattem, fugenlosen, hellgrauen Stein, als wäre sie aus dem Boden gewachsen. Darüber zu klettern war definitiv keine Option. Gut zwanzig Meter über ihnen war der Wall fertig, soweit man das von unten feststellen konnte.
    Schliesslich brach Yolanda die staunende Stille. „Ist es das?“
    Sanders brauchte einige Sekunden, um sich zu sammeln und seine Gedanken zusammenzukratzen. „Äh, ja … also, im Buch wurde es als kreisrunder Wall beschrieben. An der südlichen Seite sind zwei Türme, zwischen denen sich der einzige Ein- und Ausgang befindet.“
    „Suchen“, gab Rich einsilbig den Ton an. Sanders nickte und blickte zu Winston, der aussergewöhnlich still war. Der Narr blickte müde die nicht wirklich spektakuläre Wand an, die die letzte Barriere zwischen ihnen und ihrem Ziel darstellte. Sanders hoffte inständig, dass sie sie auch überwinden konnten.
    Richard, der seit dem Morgen die Karte bei sich hatte, marschierte bereits Richtung Südosten, der Mauer im Uhrzeigersinn entlang. Yolanda schenkte Sanders so etwas wie ein Lächeln und nahm Winston an der Hand, um ihn sanft dazu zu bringen, mitzukommen.
    Sie sollten gut dreissig Minuten unterwegs sein, bevor die graubraune Eintönigkeit der simplen Mauer endlich durch die angekündigten Türme unterbrochen wurde. Sie waren nicht unbedingt interessanter als das Mauerwerk. Rund und schwerfällig flankierten sie den gut zehn Meter breiten Mauerabschnitt, in dem sich das ziemlich klein und verloren wirkende Tor bestand. Eine Prüfung mit der Hand ergab, dass sie aus Eisen bestand – die rötliche Farbe der Oxidation bestätigte das. Sanders konnte keinen Rost erkennen, was auf Eisenhaler Handwerk hinwies, das “Korrosion“ gänzlich aus dem Stondarner Wortschatz vertrieben hatte. Die Schmiedekunst der restlichen Welt war im Vergleich …
    Sanders zuckte zusammen, als Rich ruppig an der Türfalle rüttelte und dann, als sie sich als verschlossen herausstellte, heftig gegen das Metall klopfte. „Hallo!“, schrie er, „Aufmachen, verdammt, mir scheissegal ob du tot bist oder nicht!“
    Erleichtert atmeten die drei anderen auf, als eine Antwort aus dem Inneren ausblieb. Zornig wollte Rich bereits anfangen, die Tür mit der Schulter aufzurammen, als Schriftzeichen plötzlich in glänzendem Schwarz auf dem samtenen Rostrot erschienen. Verblüfft hielt er inne, während die drei anderen neugierig näher kamen.
    Herzlich willkommen, Fremde!
    Nach einigen Sekunden verblassten die Buchstaben wieder.
    „Öh…“, setzte Richard an, „was zum Teufel…?“
    Nicht Teufel. Rexa. Dies ist, zumindest im Volksmund, Rexas Friedhof. Und ich bin
    Der Text brach ab und verschwand.
    „Du bist wer?“, hakte nun Sanders nach. Was ging hier vor sich?
    Eine Art magisches Nachrichtensystem in Rexas Namen. Verzeiht die abrupten Unterbrüche, der
    „Was?“
    Platz ist beschränkt. Rexa zog es vor, diese Vorrichtung nur punktuell anzubringen.
    Auflösen, neues Erscheinen. Mir wäre es anders auch lieber.
    „Wie soll das den funktionieren?“ Rich klang verächtlich.
    Woher soll ich das wissen? Ich bin kein Zauberer, sondern ein Zauber. – Ich mach nur, wozu ich erschaffen wurde.
    „Und das wäre?“
    Meister Rexa zu ersetzen, wenn er unabkömmlich ist. Er hat mir – seine Persönlichkeit gegeben, mehr oder weniger. Nun kann ich in seinem Namen – reden.
    „Und das tust du jetzt?“
    Bis er wiederkommt, korrekt.
    „Rexa ist tot“, bewies Richard sein Feingefühl. Die Tür schwieg einen Moment lang.
    Oh. Das ist ungelegen. Sanders bemerkte, dass die Buchstaben ein kaum hörbares, leicht knisterndes Geräusch machten, wenn sie erschienen und sich wieder auflösten.
    „Wieso meinst du ungelegen?“
    Ich habe also keinen Meister mehr. Goldener Goblin! Was mach ich nur?
    „Wie wärs, wenn du uns reinlässt?“ Richard verlor langsam die Geduld.
    „Kannst du das überhaupt?“, nahm Sanders den Faden auf.
    Oh, durchaus! Aber ich darf nicht.
    „Warum nicht?“
    Weil Meister Rexa verbot, fremde Banausen reinzlassen.
    „Ich geb dir gleich Banausen, du verfluchte Scheisshauspforte!“
    „Richard, warte bitte.“ Wütend funkelte der Mann Sanders an. Dieser musste alle seine Selbstbeherrschung aufbringen, nicht wegzusehen. „Lass es uns erst mit Reden versuchen.“ Er erhielt als Antwort ein Schnauben, doch Rich trat zurück und begann, seine Wut am Gras und Steinen am Boden auszulassen.
    „Also. Tür. Mein Name ist Sanders, und das eben war Richard. Dann sind da noch Yolanda und Winston.“ Unsicher brachte die Frau ein kleines Hallo hervor, Winston schwieg.
    Höchst erfreut. Und bitte nennt mich Rexa. Auch wenn mein Meister tot – ist, lebt zumindest seine Persönlichkeit in mir weiter. Sozusagen. – Tür ist nicht wirklich ein angemessener Name.
    „Einverstanden. Rexa.“
    Er hat mir nie einen Namen gegeben.
    „Nein? Wie hat er dich dann genannt?“
    Gar nicht. Wenn er sprach, eigentlich nur zu mir. Gab ja sonst niemand, - der zuhörte.
    „Du warst also sein Türsteher?“
    Ja. Aber oft hat er einfach vor sich hingeredet und war dann - wütend, wenn keine Antwort an der Wand stand.
    „Oh. Verstehe.“
    Man könnte sagen, er sprach gern mit sich selbst. Hihihihi. Die letzten Buchstaben verursachten ein etwas lauteres Schaben. Sanders war fasziniert.
    „Das ist erstaunlich …“
    Findest du?
    „Aber ja! Er hatte wohl nicht oft Besuch?“
    Nun, am Anfang nicht. Dann aber immer mehr. Es – kamen irgendwann immer mehr Leute, die rein wollten. Nicht sehr höfliche.
    Yolanda schaltete sich ein. „Du meinst, Banausen?“
    Exakt. Wie ihr. Obwohl ihr weniger herumschreit.
    „Die Banausen schrien?“, blieb die Frau beim Thema und machte zu Sanders eine Bewegung, dass er still sein sollte.
    Ja. „Lass uns rein“ oder „komm heraus“. Der Meister hat mich beauftragt, ihnen – höflich zu sagen, dass das nicht in seinem Sinne sei.
    „Und wie reagierten sie?“
    Gar nicht. Schrien immer weiter. „Hexer“, nannten sie ihn, „Dämon“ und so.
    „Aber sie kamen nicht herein.“
    Wenn das Tor zu ist, bleibt es zu. Ich bin nicht der einzige Zauber hier.
    „Und Rexa? Wo ist er jetzt?“
    Er hat sich verabschiedet und war weg. Ich hab keine Augen. – Nur einen Weg zu fühlen, wo sich gerade jemand befindet. – Dann lasse ich in diesem Raum die Antworten erscheinen.
    „Wo hat er sich denn verabschiedet?“
    Interessante Frage. In der Küche.
    „Rexa, dein Meister ist gestorben. In der Küche.“
    Unmöglich.
    „Du fühlst keine toten Wesen, oder?
    Nein.
    „Und um zu verschwinden, hätte er zum Tor hinaus gemusst.“
    Nun, ich denke nicht, dass Der Text brach ab und verblasste. Einige Augenblicke geschah nichts.
    Meinst du?
    „Es tut mir leid, aber ja. Das meine ich.“
    Ach du goldener Goblin.
    „Ich kann dir auch sagen, wer die Banausen waren, die vor uns hereinkommen wollten.“
    Wirklich? Damit nahm die Tür- Rexa- Sanders das Wort aus dem Munde.
    „Es waren die Bauern aus der Umgebung. Vor vielen Jahren war hier die Zeit des Hexenfeuers. Jeder Magier wurde von abergläubischen und ängstlichen Menschen gejagt, getötet und verbrannt.“
    Bei allen neun Norden, das ist ja furchtbar!
    „Sie wollten auch deinen Meister holen, doch er war hier drin sicher. Darum haben sie dir auch nie geantwortet. Sie konnten nicht lesen.“
    Wie schrecklich … kein Wunder ging er in letzter Zeit kaum aus dem Haus.
    „In letzter Zeit? Das ist nun schon Jahrzehnte her!“
    Wirklich? Interessant. Ist das viel? Ich habe kein Zeigefühl.
    „Es ist viel, ja“, antwortete Yolanda. „Zumindest für Menschen. Doch da wir lesen können, sollte es dir zeigen, dass wir keine Banausen sind.“
    „Ich kann aber nicht lesen.“ Winston schob sich schüchtern nach vorn.
    Dann ist er also ein Banause und ihr nicht?
    „Winston kann wunderbar lesen. Nicht in Türen, aber in Menschen“, sagte Yolanda schnell und drückte dem Jungen den Arm. „Das macht ihn zum allerkultiviertesten von uns.“
    Nun … Wie auch immer man das sehen will. – Was genau wollt ihr eigentlich hier, wenn nicht den Meister besuchen oder töten?
    „Wir…“, hob Yolanda an und brach dann ab.
    „Wir haben kein Zuhause mehr und suchen hier ein neues.“ Sanders atmete tief durch.
    Hier?
    „Ja.“
    Warum?
    „Nun … Ich weiss nicht… Wir hatten nichts mehr. Kein Ziel, keine Familie. Und dann las ich von Rexas Friedhof und dachte mir … warum nicht?“
    Und ihr habt keine Angst?
    „Doch. Natürlich. Wir wissen nicht, was uns erwartet. Aber…“
    Ja?
    „Ich glaube, wir erleben lieber ein Abenteuer gemeinsam, hier in Rexas Friedhof, anstatt allein und einsam irgendwo zu sterben, ohne jemand, der sich an einen erinnert.“
    Schön gesagt.
    „Danke.“
    Nicht wie die Dinge, die die Banausen dauernd riefen.
    „Äh… Danke.“
    Also. Ihr wollt hier einfach leben. Einfach so.
    „Ja“, sagten Sanders und Yolanda unisono.
    Na schön. Es ist sowieso todlangweilig. Hihihi. 'Tod'langweilig. – Aber nur unter einer Bedingung.
    „Die da wäre?“
    Vergrabt die Überreste meines alten Meisters, wenn ihr sie findet.
    „Einverstanden. Machen wir.“
    Und geht respektvoll mit allem um, was sich hier drin befindet – Wie ich schon sagte: Ich bin nicht der einzige Zauber hier.
    „Gut.“
    Banausereien können euch teuer zu stehen kommen.
    „Verstanden.“
    Nun denn. Hereinspaziert!
    Die Tür öffnete sich knarzend, Staub rieselte dem Metall entlang. Ein enger, düsterer Gang lud sie ganz und gar nicht dazu ein, herein zu spazieren.
    „Was, wenn es Monster da drin hat?“, frage Winston ängstlich und klammerte sich an Yolandas Hand. Sanders beugte sich zur Seite, um den jetzt verdeckten Text von Rexa lesen zu können.
    Lasst euch überraschen.

    Suche nach Legenden 2.3

    Keiner von ihnen schlief wirklich gut. Sanders erwachte regelmässig, geweckt durch Geräusche, Tierschreie, schlechte Träume und fremde Gerüche. Und wirre Gedanken hinderten ihn daran, schnell wieder einzuschlafen.
    So waren sie bereits wach, als die aufgehende Sonne durch die zahlreichen Ritzen und Löcher in der Wand schien. Sie schüttelten die geliehenen Decken aus und falteten sie ordentlich, bevor sie sich zum Haus ihrer Gastgeber aufmachten.
    Diese waren auch bereits wach, ein halbes Dutzend kleiner Kinder rannte schreiend und spielend über den Hof, eine ältere Frau fütterte die Hühner, und da war der Bauer, zusammen mit einem etwa gleichaltrigen, grobschlächtigen Kerl, der gerade einen Ochsenkarren bespannte. Wahrscheinlich würden sie gleich aufs Feld gehen oder so. Was Bauern halt so machen.
    Sie hielten inne, als die vier zu ihnen traten.
    „Geht sie?“, fragte ihr Gastgeber, ohne sich mit einer Begrüssung aufzuhalten.
    Sanders nickte. „Ja. Vielen Dank für das Essen und so …“ Er kramte nach der Karte und seinem letzten Geld. Grosszügig. Er hoffte das Beste.
    „Könntet Ihr mir sagen, wo genau wir uns auf der Karte hier befinden?“
    Der Bauer betrachtete die Münzen und dann das Papier. Dann schüttelte er den Kopf.
    „Nein.“
    „Aber … welches ist euer Hof?“
    „Nein. Weiss nicht.“
    Rich schaltete sich ein. „Er kann keine Karten lesen. Lass mich.“
    Dankbar überliess Sanders dem Mann das Reden. Dieser zeigte mit dem Finger auf die Karte. „Strasse.“ Zur Verdeutlichung wies er hinter sich, in die Richtung, aus der sie gestern gekommen waren.
    Der Bauer studierte die Karte. Dann Richards Gesicht. Nicken.
    Rich drehte das Papier so, dass die Himmelsrichtungen stimmten. Er erklärte in einzelnen Worten das Prinzip. Wieder nickte ihr Gastgeber.
    „Hof?“
    Stille. Konzentrierte Blicke auf die Zeichnung. Kopfschütteln.
    Rich knurrte. Sanders fürchtete bereits, dass er die Geduld verlieren würde, aber dann wich die Sorge der Überraschung.
    Richard deutete auf das Zentrum der Karte, den grossen Kreis, der ihr Ziel markierte. „Zauberer. Rexa. Friedhof. Wo lang?“
    Endlich zeigte der Gesichtsausdruck des Bauern einen Funken des Verstehens. Und des Misstrauens. Dennoch zeigte er Richtung Nordwesten. Rich nickte und suchte auf der Karte die Punkte, die demnach den Hof darstellten und machte dem Mann klar, dass das das „hier“ war. Für ein nächstes Mal.
    Das vermochte das Misstrauen nicht gänzlich zu tilgen. Aber der Friedhof war der einzige klare Anhaltspunkt für sie. Richard erklärt dem Bauern noch, wo die nächstgrössere Stadt liegen musste und wie das auf der Karte aussah, doch dieser schien sich nicht mehr dafür zu interessieren. Er starrte Sanders fordernd an, bis dieser ihm die letzten Münzen überreichte. Er nickte lediglich zum Abschied und wandte sich dann abrupt ab, um seiner Arbeit weiter nachzugehen.
    Sanders drehte sich zu seinen Freunden um.
    „Weiter?“
    „Weiter“, antwortete Yolanda, während Richard bereits losmarschierte. Winston warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die Kinder. Die junge Frau nahm ihn an der Hand.
    „Komm, Falke. Wir werden bald da sein.“

    Eine furchtbar langweilige Reise durch das Flachland folgte. Sie waren alle müde und sprachen so wenig wie möglich, hingen ihren Gedanken nach und freuten sich, bald am Ziel anzugelangen. Richard ging mit der Karte voraus, murmelt unverständlich vor sich hin und erweckte immerhin den Anschein zu wissen, wo es langging, wofür Sanders sehr dankbar war.
    Es war gegen Mittag, sie waren gut fünf Stunden unterwegs gewesen, als Rich anhielt und auf den kleinen Bachlauf zeigte, der ihren Weg plötzlich kreuzte.
    „Jetzt bachabwärts. Ich schätze, noch etwa zwei Stunden zu gehen.“
    Sanders blickte in die Runde. „Sollen wir eine Mittagspause machen? Oder direkt weiterlaufen?“
    „Weiter.“ Für Rich war der Fall klar.
    „Ich möchte auch endlich ankommen“, stimmte Yolanda schüchtern zu. Sanders nickte- es ging ihm ähnlich.
    „Winston? Kannst du noch?“
    „Sind wir bald da?“
    „Wir denken es, ja. Möchtest du jetzt essen oder sollen wir bis zum Friedhof durchlaufen?“
    Winston runzelte die Stirn. „Wir haben doch gar nichts zu essen.“
    Das stimmte. Sie hatten etwas Wasser dabei, aber keine sonstigen Vorräte.
    „Du hast Recht.“ Sanders nahm den Lederschlauch vom Rücken und gab ihn dem Narren.
    „Ich denke, wir alle sollten noch einen Schluck nehmen. Dann wandern wir bis ans Ziel. Einverstanden?“ Die Frau und Rich nickten, Winston tat es ihnen gleich, als er getrunken und den Schlauch weitergereicht hatte.
    „Danke, Sanders“, sagte er leise.
    „Wofür?“
    „Dass du mich auch gefragt hast.“

    Ok, ich muss gestehen, ich liebe diesen Part ^^ die Gruppe kommt ihrem Ziel näher und näher :)

    Suche nach Legenden 2.2
    Die Gebäude standen weiter weg, als man es von Auge vermutet hatte. Winston hatte sein Jammern inzwischen auf ein leises Wimmern und Vor-sich-her-Schimpfen reduziert, sei es aus Müdigkeit, Dehydrierung oder weil er von allen ignoriert wurde.

    Die Sonne war kurz davor, den Horizont zu berühren, als sie endlich ankamen. Die drei Silhouetten stellten sich am Ende als eine Gruppe von fünf kleinen Gebäuden heraus, ein Stall, ein Lagerhaus, zwei Wohngebäude sowie ein ziemlich mitgenommenes Gebäudegerippe, das allmählich zur Ruine verfiel.
    Begrüsst wurden sie von einem recht grossen Hütehund, der die Ankömmlinge zornig anbellte. Es roch nach Kühen und Heu, im Stall muhte es und frei herumlaufende Hühner scharrten in der Erde oder flohen vor dem Lärm. Winston versteckte sich ängstlich hinter Sanders, der auch nicht unbedingt der grösste Hundefreund war und hoffte, dass dieser hier sich auf das Bellen beschränken würde.
    Doch schon ging eine der Türen auf und eine Stimme rief: „Skelam, alite!“
    Der Hund gehorchte sofort und zog sich zu dem Mann zurück, der ihm einen Platz zuwies und befahl, da sitzen zu bleiben. Dann wandte er sich an die Ankömmlinge.
    „Wer sind ihr?“
    Ahja. Sanders erinnerte sich, davon gehört zu haben. In den Grenzgebieten sprachen die Menschen auf den abgelegenen Gehöften oft eine Art Mischdialekt von Caar-stele, der Landessprache von Caar-il, und Standornisch. Hoffen wir das Beste.
    „Guten Abend, wir sind Reisende und hatten gehofft, hier etwas Wasser bekommen zu können.“ Als er den finsteren Blick des Bauern sah, fügte er schnell hinzu: „Wir können auch bezahlen!“
    Das schien dem Mann schon besser zu gefallen. Er machte eine einladende Bewegung. „Kommt herein ins Haus. Wir essen jetzt, gibt für euch auch noch was.“
    So sassen sie Minuten später mit der sechsköpfigen Familie – Grossvater, Vater, Mutter und drei Kinder – am Tisch und löffelten still die Suppe, die anständig mit Fleisch und Bohnen bestückt und gut gewürzt war. Die Leute hier schienen nicht unbedingt am Hungertuch zu nagen.
    Nach einer Weile erhob der Grossvater, ein dünner, sehniger Mann mit langem, allmählich weiss werdendem Haar, das Wort. Wortwörtlich das Wort.
    „Wohin.“
    Es klang nicht wirklich nach einer Frage. Sanders hob gerade trotzdem zu einer Antwort an, als Rich ihm zuvorkam.
    „Norden.“
    „Warum.“
    „Ist unsere Sache.“
    Der Grossvater quittierte das mit einem Brummeln, akzeptierte es aber.
    „Wer sind ihr.“
    „Von Eisenhal.“
    „Beruf.“
    Richard zeigte nacheinander auf seine Begleiter und zuletzt auf sich. „Gärtnerin, Buchhalter, Narr, Rausschmeisser.“
    Wieder Grummeln aus den Tiefen des buschigen Bartes. Dann eine etwas unangenehme Stille, begleitet vom Schaben der Löffel auf den Holztellern. Als alle Teller lehr waren, erhob die Bauersfrau das Wort.
    „Sie kann hier schlafen. Drüben.“
    Wie, „sie“? Yolanda? Nur sie? Verwirrt folgte Sanders dem Bauern, der seiner Frau zugenickt hatte, sich erhob und mit einer Geste, ihm zu folgen, das Haus verliess. Es dämmerte ihm, dass sie wohl alle gemeint waren, als eines der Kinder mit vier Decken und einem Besen folgte. Sein Vater machte eine die Ruine umfassende Geste.
    „Hier. Diese Nacht. Bis morgen.“
    Seltsam verdattert von dieser selbstverständlichen Gastfreundlichkeit, die schon fast feindselig gelebt wurde, standen die vier einen Moment still. Schliesslich griff die junge Frau nach dem Besen und begann, eine Ecke vom gröbsten Staub und Hühnerdreck zu befreien. Es wurde bereits dunkel, doch sie wagten nicht, ein Feuer zu machen, und Laternen besassen sie keine. So legten sie sich einfach hin, auf die geliehenen Decken, und warteten still auf den Schlaf.
    Winston wurde fast sofort von ihm übermannt.
    „Sanders“, begann Richard nach einer Weile.
    „Ja?“, antwortete dieser überrascht.
    „Sag den Leuten nicht, wo wir hin wollen, verstanden? Sie sind abergläubisch und dumm. Sie werden uns für Hexer halten und vertreiben. Frag morgen nur, wo auf der Karte wir sind, nicht mehr. Und bezahle grosszügig. Wir brauchen hier nicht unnötige Feinde.“
    Etwas verdutzt betastete Sanders den kläglichen Rest seines Ersparten.
    „In Ordnung“, sagte er, auch wenn er sich gar nicht so fühlte. Was, wenn sie es später brauchten? Für Essen und Utensilien zum Überleben? Was würden sie vorfinden? Er atmete schwer, langsam, gleichmässig, als er versuchte, mit Gewalt die Furcht zu unterdrücken. Nein nein nein nein. Nicht jetzt. Nie wieder. Bitte.
    Er fühlte, wie Yolanda ihn schüchtern an der linken Hand nahm.
    „Scht … Alles in Ordnung“, flüsterte sie in die Schatten.
    Und dann fühlte er, wie sich eine weitaus schwerere Hand auf seine rechte Schulter legte, kurz zudrückte und wieder verschwand.
    Er war nicht allein.

    So. Und grade hatte ich Lust auf meine Verrückten Irrenhausflüchtlinge :love: Und hab jetzt eben gut 3.5 A4 Seiten mit denen gefüllt :huh: erklär mir mal einer meine Schreiblaunen ... Also, hier der erste Teil des zweiten Irrenkapitels ^^

    Suche nach Legenden 2.1

    Ein Zuhause. Wie gut sich das anhörte. Wie gut es sich anfühlte. Sanders hatte ein Zuhause gehabt, in Eisenhal. Doch zynische Münder betitelten die Stadt gerne als grosse Maschine, die Menschen frass und ausspuckte, was nicht gut genug war. Nur die starken überleben.
    Sanders hatte sich immer für einen dieser Starken gehalten. Bis die Ordnung seiner Welt zerbrach. Bis die Arbeit, der Lärm und die Hast ihren Tribut forderten.
    Zynische Münder bezeichnen Eisenhal gerne als Weltenbühne, auf der die Schauspieler ihre Maske ablegen müssen. Irgendwann muss jeder seine Maske ablegen und sein wahres Ich erkennen, zu erkennen geben.
    Und wer schliesslich als nicht stark genug befunden wird, kann alles verlieren.
    Das zivilisierteste Volk der Welt und doch so gnadenlos.
    Es waren düstere Gedanken, die Sanders die nächsten Tage begleiteten. Gedanken über sich und seine persönliche Maske. Sein ganzes Leben hatte er sie getragen, war etwas gewesen, was sogar er selber für wahr und echt hielt. Die Enthüllung war nicht nur gesellschaftlich und beruflich sein Untergang gewesen, sondern auch ganz persönlich. Er war nicht, was er zu sein glaubte. Er wusste nicht, wer oder was er war. Als hätte man ein misslungenes Bild mit weisser Farbe übermalt. Nicht gut genug.
    Sanders hätte sich gern jemandem anvertraut. Früher wäre das seine Verlobte Christina gewesen, doch die hatte ihn verlassen und war ziemlich kurz nach seiner Einweisung in der Anstalt einem anderen versproche. Sanders hatte darauf verzichtet, sich nach seinem Namen zu erkundigen. Es war nicht wichtig. Nicht mehr.
    Die Gruppe reiste ohne Eile Richtung Norden, nahm sich die Zeit, an besonders hübschen Plätzen länger zu verweilen und Umwege zu gehen, wenn abseits des Weges etwas interessant Wirkendes lockte. Mit jedem Tag lebte Yolanda etwas mehr auf, Selbst Richard blickte nicht mehr immer ganz so finster wie sonst, auch wenn er prinzipiell schwieg.
    Winston genoss jede Sekunde. Irgendwann betitelte Sanders ihn im Scherz als Wanderfalken, und nachdem sie tatsächlich einen solchen Vogel am Himmel entdeckten, bestand der junge Mann darauf, nur noch bei seinem ‚Kriegernamen‘ genannt zu werden.
    Die Nächte waren warm und klar, und der Saft einer ungeniessbaren Beere schreckte die Mücken ab, wenn man ihn auf der Haut verrieb, wie Yolanda ihnen verriet.
    Nach drei Abenden um das Lagerfeuer überraschte Richard die anderen mit jeweils einem Löffel und einem Teller aus Holz, die er während jeder Marschpause geschnitzt hatte. Besonders Winston – äh, Wanderfalke – war begeistert und bat den Mann sofort, ihm das Handwerk beizubringen. Natürlich erntete er nicht mehr als ein Knurren und einen bösen Blick, aber als Sanders sich erbarmte und versprach, ihm ein Muster in sein Geschirr zu machen, war der Narr wieder mit der Welt versöhnt.
    Es waren friedliche, erholsame Tage, und das Düsterste daran waren allein Sanders Gedanken. Damit würde er zurechtkommen.
    Die Landschaft ging am fünften Tag von den Hügeln des Grenzgebietes allmählich ins Grasland über. Auf Yolandas Ratschlag hin begannen sie, wilde Kartoffeln und sonstiges Wurzelgemüse zu sammeln und in improvisierten Säcken aus den Decken mitzunehmen, da die Pflanzenvielfalt da wahrscheinlich stark eingeschränkt sein würde.
    Die Sorge war nicht ganz unbegründet, an essbaren Pflanzen mangelte es in der hiesigen Gegend tatsächlich. Nicht aber an Kaninchen, und es stellte sich heraus, dass Richard sein Messer ausserordentlich gut zu werfen verstand. Alle waren dankbar für diese Abwechslung im Speiseplan, selbst Winston, für den der Anblick der toten Tiere scheusslich war. Das zubereitete Fleisch schien er nicht mehr mit Richards Beute in Verbindung zu bringen, und ganz allgemein galt bei ihm die Regel: Aus dem Auge, aus dem Sinn. Kaum waren die Kadaver verschwunden, hatte er sie schon vergessen.

    Die Reise ging jetzt etwas zügiger voran. Die Umgebung war nicht mehr so einladend und friedlich, sondern wirkte mit jedem Kilometer öder und erdrückender. Sanders fragte sich, ob es nicht doch das Beste wäre, umzukehren und sich irgendwo zwischen den Hügeln eine dauerhafte Bleibe zu suchen. Einen verlassenen Bauernhof vielleicht. Vielleicht waren sie sogar in der Lage, sich selber ein Häuschen zu bauen. Denn auch wenn der Horizont hier weiter war als dort, wirkte es, als wäre der Himmel direkt über ihnen und warte nur darauf, auf die Gruppe hinabzufallen. Die Trockenheit in den letzten Wochen hatte den Boden rot und das Gras gelbbraun werden lassen, und Wolken schützten die vier kaum vor der brennenden Sonne.
    Bald fing Winstons Geflenne wieder an. Richards Blick wurde wieder finster. Yolanda sprach wieder kaum ein Wort. Und Sanders suchte die Landschaft verzweifelt nach den kleinen Gehöften ab, die laut Karte hier irgendwo sein sollten. Falls sie überhaupt stimmte.
    Er hatte sie aus einem Buch in der Anstalt. Man sah es da gerne, wenn Patienten lasen, und Sanders hatte ein kleines Werk über die Folklore von Caar-il entdeckt, in dem die wichtigsten Legenden des Landes sowie die tatsächlichen Fakten über und um diese Geschichten geschrieben waren. Dieses Buch hatte ihn auch auf die Idee gebracht, auszureissen und nach Rexas Friedhof zu suchen. Der Autor, ein renommierter Historiker, schrieb, dass jene kleine Festung des Zauberers tatsächlich existiere und, soweit bekannt, leer da stünde. Die Leute in der Umgebung zu abergläubisch, um sie sich anzusehen, und für die Wissenschaftler nicht interessant genug. Auch wenn die Aufzeichnungen über Rexa nur Bruchstückhaft waren, schien es sich bei ihm um einen Zauberer zu handeln, der zwar nicht dumm, aber auch nicht mehr ganz richtig im Oberstübchen gewesen war. Und da Magie in Stondarn prinzipiell verpönt war und sich neben dem florierenden Handel und den technischen Errungenschaften nie richtig etablieren konnte, waren keine Ambitionen da gewesen, dem, was innerhalb dieser Mauern wartete, auf die Spur zu kommen.
    Für Sanders ein Abenteuer. Er war Romantiker. Irgendwie bekam sogar die Vorstellung, beim Eintreten in dieses fremde Reich von einem gigantischen Monster zerrissen zu werden einen seltsam angenehmen, bittersüssen Beigeschmack. Alles war besser, als in der Klinik in Eisenhal zu verkommen und unter dem Einfluss der Traumkräuter vor sich hin zu vegetieren.
    Zwei Tage vergingen. Sie wurden von mehreren Ochsenkarren überholt, und zum Schrecken von Winston waren sie sich die anderen drei einig, die wohl gutgemeinten Angebote der Fuhrleute auszuschlagen.
    Die heisse Sonne drückte, das Wasser wurde knapp, von Kopfschmerzen und verbrannter Haut gequält wanderten sie weiter, den jammernden Narren im Schlepptau, immer langsamer.
    Häuser, Gebäude, Höfe! Hier musste es doch Menschen geben!
    Richard fluchte leise vor sich hin und drohte, jeden Moment umzukehren, Yolanda schwieg inzwischen völlig und sah unglücklich vor sich auf den Boden.
    Verdammt. Alles fühlte sich an wie ein herber Schlag ins Gesicht. Er hatte gedacht, dass sie Fortschritte gemacht hätten. Zusammengewachsen wären. Vielleicht sollten sie wirklich umkehren. Sanders wünschte sich wirklich, dass alles wieder wäre wie vor ein paar Tagen. Wahrscheinlich ist es das Beste, zu …
    „Sanders?“
    Er schreckte aus seinen Gedanken auf.
    „Winston? Was ist?“ Dank dem Himmel, er hatte mit dem Geflenne aufgehört.
    „Da!“ Ein dicklicher Zeigefinger wies Richtung Osten. Sanders Blick folgte ihm. Sieh mal einer an!
    „Sehr gut, Falke! Gut gemacht!“ Silhouetten von drei Gebäuden hoben sich dunkel vom blauen Himmel und dem braungelben Boden ab. Sanders kramte die Karte hervor.
    „So … wo könnten wir sein …“ Er suchte das zerknitterte Papier nach den Punkten ab, die für diese Häuser stehen konnten. Es standen einige zur Auswahl. Sanders seufzte und sah sich nach weiteren Anhaltspunkten um. Doch die Gegend war eintönig und die Karte ziemlich ungenau- Steilhänge und ähnliche Landschaftsformen waren gar nicht verzeichnet. Das einzige, woran man sich orientieren konnte war die Strasse, die sich aber ohne markante Kurven geradlinig durch das Grasland zog.
    „Ich glaube, wir sollten zu den Häusern da drüben gehen und fragen, wo es langgeht und wie lange es noch dauert. Ausserdem haben die bestimmt Wasser.“
    In Winstons Augen keimte Hoffnung auf, auch Yolanda nickte und Rich marschierte bereits Richtung Osten.

    Ein etwas längerer Irion-Teil :) Zu sagen, dass mir der Junge keinen Spass macht, wäre schlicht gelogen :D hach, und Ideen gabs auch wieder ^^

    Irion 2.4

    „So!“ Breitbeinig stellte sich Risher vor seinen Schüler. „Auf geht’s!“
    Irion fühlte sich nicht ganz so enthusiastisch. Er schwieg und beobachtete seinen Ausbildner, wie er sich abrupt umdrehte, zu einer schweren Kommode huschte und begann, darin herumzuwühlen. Einige Minuten lang hörte man nervöses Papierrascheln und leise gezischtes Fluchen. „Wo hab ich … Es muss doch irgendwo …“
    Schliesslich, mit einem triumphierenden „A-ha!“, zog er aus einem reichlich staubigen Wirrwarr ein ziemlich mitgenommen wirkendes Buch mit einem einfachen, braunen Ledereinband, der mit einer Kordel zugebunden war. Er legte es auf den Tisch und begann sorgfältig, den zerfransten Verschluss zu öffnen. Irion blickte ihm über die altersgezeichneten Schulter.
    „Was ist das?“
    „Das, mein Junge“, sagte Risher und schlug die erste Seite auf, „ist der Lehrplan.“ Stolz liess er Irion auf genau diese Worte blicken, die dort prangten.
    Als die Stille langsam unangenehm wurde, machte der Novize „Aha.“
    „Aha. Aha“, äffte ihn sein Meister nach, „ist das alles? Aha?“
    „Naja, ich …“
    „Verstehst du denn nicht, was das bedeutet?“
    „Nun, es ist die Planung meiner Ausbildung, oder?“ Risher liess seinen Ellenbogen nach hinten schnellen und traf den Jungen in die Magengrube. Dieser keuchte auf, mehr vor Schreck als vor Schmerz.
    „Sei nicht dumm, Junge! Sieh es dir an! Das Buch ist alt. Nicht ganz so alt wie ich, zugegeben, aber alt genug, um es zu bemerken.“
    „Ja?“ Irion wusste nicht, worauf Risher hinauswollte. Vorsichtshalber machte er einen Schritt zur Seite.
    „Ich habe dieses Werk vor über vierzig Jahren geschrieben. Für den Schüler, den ich eines Tages ausbilden sollte. Für dich!“
    „Wie, für mich?“
    „Ohja! Ich sollte drei Novizen ausbilden, wenn die Zeit gekommen ist. Einen Anführer, einen Ratgeber und einen Kämpfer. Der Kämpfer bist du, der Ratgeber ist Sofeles. Auf den Anührer warte ich noch.“
    „Und wer sagt das?“
    Risher lächelte. „Alles zu seiner Zeit, Junge, alles zu seiner Zeit. Ich bestimme, wann was gelernt wird. Ich habe das Ganze in Phasen aufgeteilt, und so beginnen wir mit der ersten. Wir …“
    „Moment. Langsam. Wozu sollst du diese drei Leute ausbilden? Warum du? Wo soll das hinfühen? Wer soll wen anführen? Und wozu ein Krie-“
    „Irion!“ Die Stimme des Alten schnitt hart durch die Fragen. „Hör mir genau zu. Diese Ausbildung ist ein Auftrag, den ich vor langer Zeit bekommen habe. Über die genauen Umstände werde ich dich zu einem späteren Zeitpunkt aufklären, denn sie benötigen viel Vorwissen und einige Erfahrungen, die du noch nicht machen kannst. Und jetzt unterbrich mich nicht mehr, verstanden?“
    Der Junge antwortete nicht und starrte seinen Meister trotzig an.
    „Gut. Danke. Wo war ich?“ Risher blätterte eine Seit um. „Ach ja. Erste Phase. Leider eine sehr trockene und theoretische Angelegenheit. Du sollst die Grundlagen jedes Faches lernen. Dass Wissen Macht ist, hast du bestimmt schon einmal gehört, und dieses Wissen wirst du dir die nächsten Monate intensiv einverleiben. Nebenher wirst du mit körperlichen Übungen beginnen, zu Zeiten, die ich bestimmen werde, und weiterhin in der Bibliothek aushelfen. Regelmässige Prüfungen sollen deinen Stand aufzeigen, und zwar was deine Bildung und deine sportlichen Fähigkeiten angeht. Für heute aber, “ er sah zum offenen Fenster hinaus, „für heute werden wir es dabei belassen, dir einen Schlafplatz einzurichten, hier in der Bibliothek. Ich will nicht, dass die anderen Novizen und besonders die Novizinnen eine zu grosse Ablenkung für dich werden. Du kennst den Hauptsaal ohnehin noch nicht gut genug. Geh, sieh dich um, und such dir eine Ecke aus, in der wir dir ein Quartier einrichten sollen. Nein, warte!“ Von fern klang ein Läuten in den Raum. „Mittagessen. Das wollen wir nicht verpassen!“ Risher klatschte sich in die Hände und kicherte erfreut. „Wir kümmern uns heute Nachmittag darum. Los, komm!“
    Irion seufzte. Es würde sehr, sehr lange dauern, bis er sich an die Stimmungsschwankungen seines Meisters gewöhnen würde. Langsam folgte er dem alten Mann, der schon fast an der Ausgangstür angelangt war und ungeduldig rief. Das konnte ja heiter werden.

    Er war froh, dass er am Nachmittag Ruhe hatte von den Magistern, von den anderen Novizen und von Risher. Sogar die stille Sofi konnte ihm zurzeit gestohlen bleiben. Er wanderte durch den Hauptsaal und nun fiel ihm erst auf, wie gross er wirklich war. Es war meistens düster, da Fackeln an den Wänden die einzige Beleuchtungsmöglichkeit darstellten, und da Besucher und Wissbegierige selbst ein Licht dabei hatten, blieben sie unberührt.
    Er hatte sich vorgenommen, erst einmal um den Raum zu gehen, den äusseren Wänden entlang. Er hatte beim Haupteingang begonnen und war inzwischen bestimmt fünfzehn Minuten unterwegs. Ihm kam der Gedanke, dass es wahrscheinlich keine dumme Idee wäre, eine Karte des Raumes, oder, noch besser, der Bibliothek zu zeichnen. Oder ein Lichtsystem einzuführen. Er hatte einmal von den blauen Laternen in Eisenhal gehört, die angeblich ständig leuchteten. Oder wenn man Ölleitungen verlegen würde, mit denen man kontrollieren könnte, wann wo die Lampen leuchteten? Vielleicht mit Hebeln verschliessbar. Oder Gas. Das brennt auch, unter Umständen. Doch wie gewinnt man Gas? Wie bewahrt man es auf, macht es sich zu untertan? Vielleicht musste er wirklich mal nach Eisenhal. Die Ingenieure waren bekannt für ihre Liebe für ungewöhnliche Ideen.
    Allerdings war da immer noch die Brandgefahr. Obwohl – Irion griff als Kontrolle zum nächsten Regal. Stein. Wieso Stein? Wäre es für die Erbauer nicht einfacher gewesen, Regale aus Holz zu zimmern statt sie aus Gestein zu hauen? Auch wenn sie sich Steinflüsterer nannten, die Liebe zu diesem Element hatte bestimmt Grenzen. Immerhin wurde ironischerweise kaum über Stein geredet. Sie lebten in den Bergen, das war alles. Zwar über der Baumgrenze, aber Irion war ziemlich sicher, dass es weniger Mühselig wäre, Bäume zu fällen und nach oben zu schleppen, um sie dort zu verarbeiten, anstatt sich mit Hammer und Meissel an die Arbeit zu machen.
    Die Fragen in ihm häuften sich an, und er bereute, kein Notizmaterial dabei zu haben, um sie niederzuschreiben. Nein, das durfte er, wollte er nicht vergessen. Verflixt! Hmmm. Vielleicht …
    Er nahm eine der Fackeln von der Wand und entzündete sie an seiner eigenen. Ja! Er warf seine alte auf den Boden, froh, dass dieser feuerfest war, und trat sie aus. Mit dem so entstanden Kohlestummel kritzelte er die Stichworte an die Wand.
    Karte.
    Beleuchtung.
    Gasgewinnung?
    Stein und Orden?
    Holzverarbeitung.
    Er betrachtete die Liste und fügte dann ‚Ackerbau und Landwirtschaft‘ hinzu. Gut. Wo war er überhaupt? Hoffentlich waren die Regale beschriftet, aber notfalls würde er einfach wieder der Wand entlang gehen… Ah, hier. Metallurgie. Metalle? Wirklich? Was kann da schon dran sein?
    Wie konnte es möglich sein, dass allein ein Wort ihn so neugierig machen konnte? Er verspürte den Drang, sich sofort an diese Bücher zu setzen und Metallurgie zu studieren. Und danach wollte er alles über Bäume erfahren. Und Ackerbau. Gase. Licht! Es gab so vieles, das er nicht wusste. Und er konnte es lernen. Hier, jetzt, heute.
    Nein, nicht heute. Jetzt musste er einen Platz zum Schlafen finden. Risher hatte gleich nach dem Essen ein paar Novizen beauftragt, Irions Schlafstatt vor die Bibliothek zu schaffen, während sich der Junge um seine wenigen eigenen Habseligkeiten kümmerte. Sie warteten jetzt am Eingang darauf, dass er sie holte und einem neuen Platz zuwies. Morgen. Morgen würde er sich Lektüre zusammensuchen. Vielleicht erlaubte ihm Risher ja, sich einige Themen selber auszusuchen.
    Irion ging weiter. Etwas weiter vorne gab es ein Fenster, durch das matt das Nachmittagslicht schien. Der Staub auf dem Boden war hier noch dichter als sonst, und als der Junge in einen der Gänge leuchtete, sah er, dass die Regale leer waren. Und dann waren da keine Regale mehr, nur noch rohes Gestein. Es wirkte, als wäre in den Raum hinein ein gewaltiger Felsbrocken gebracht worden, der in der Höhe den Regalen entsprach und offenbar, wenn der Hauptsaal voll wäre, behauen und zu weiteren Gestellen gemacht werden sollte. An der Wand neben Irion war eine Tür mit der Überschrift „Feuer“. Aus Neugier öffnete er sie kurz und streckte die Fackel in die Dunkelheit, aus dem ihm- nicht sehr überraschend- Regale entgegenstarrten, nummeriert, ordentlich bestückt und offenbar bereits von Sofi oder Risher katalogisiert.
    Er schloss die Türe wieder und blickte auf die rohe, etwa zwei Meter hohe Wand vor sich, über der sich die Decke des Hauptsaals in der Dunkelheit verlor.
    Hm. Vielleicht konnte er …
    Kurzerhand schnappte Irion sich noch eine Fackel aus einem Halter an der Wand, entzündete sie und warf sie nach oben. Anscheinend war er nicht so tief, wie es ohne Licht gewirkt hatte, aber von hier unten war nichts sicher. Er liess die andere Fackel auf den Boden fallen und machte sich daran, an dem leeren Gestell, das gut einen Meter vom Felsbrockten entfernt stand, hochzuklettern. Es bereitete ihm einige Mühe, sich über die Kante auf das Regal zu ziehen, doch schliesslich konnte er in diese erhöhte Nische blicken.
    Nische war wohl das falsche Wort, denn noch immer war die Decke mindestens zwei Meter über ihnen. Es war mehr ein … Plateau. Genau. Vielleicht vier auf fünf Meter gross. Dann kam die Raumecke. Irion drehte sich um und sah links von sich, auf der anderen Seite des Saales, weit weg in der Dunkelheit, Rishers Reich schimmern. Die Leuchten bei der Eingangstür waren nur kleine Flecken in der Düsternis weiter rechts.
    Eine Schande sowas, fuhr es Irion durch den Sinn. Kein Wunder kommt hier keiner freiwillig her. Das mit dem Lichtsystem musste sich irgendwie durchsetzen lassen.
    Kurz entschlossen liess sich Irion wieder vom Regal herab. Er brauchte noch eine Idee, wie er sein Bett da hochkriegen sollte. Und eine Leiter. Vielleicht liesse sich längerfristig auch eine kleine Treppe in den Fels hauen. Ausserdem konnte er sich Ablagen in die Wand schlagen oder so. Und er brauchte dringendst ein Notitzbuch!
    Den Kopf voller Gedanken und aufkeimender Ideen, folgte der Novize der Saalwand wieder Richtung Ausgang.
    Es hatte tatsächlich fast den gesamten restlichen Nachmittag und zwei weitere Paar helfende Hände benötigt, um das Bett durch die Bibliothek zu buxieren und dann auf das Plateau zu hieven. Die beiden Helfer, zwei Schüler, die im selben Jahrgang waren wie Irion, hatten sich zuerst über die Möglichkeit, den Schulräumen zu entkommen, gefreut. Diese Freude war dann aber rasch in Fluchen und Schimpfen über die unmögliche Standortwahl Irions übergegangen. Dieser liess sich davon nicht beeindrucken, und auch Risher liess Irions Entscheidung unkommentiert und rief lediglich Befehle, wo man wie anzupacken hatte. Er war der Bitte seines Schülers um ein Notizbuch gerne nachgekommen und war mit einem handlichen, neuen, ledergebundenen Büchlein aufgetaucht, hatte seinem Novizen ausserdem Feder, Tinte und eine Öllampe in die Hand gedrückt und ihm befohlen, am nächsten Morgen eine halbe Stunde vor dem Frühstück in seinem Refugium zu stehen. Dies wäre ab jetzt seine reguläre Tagwache, Verspätungen würden unter keinen Umständen, ausser dem Todesfall des Schülers, akzeptiert.

    Irion lag unter seiner Bettdecke und las in „Die wirtschaftlichen Aspekte des Mehrfruchtanbaus“. Es war ziemlich trocken geschrieben, aber er fürchtete, dass ihm etwas entgehen könnte, wenn er nicht jedes einzelne Wort sorgfältig studierte. Er kam bis zur Hälfte, als das Öl in der Lampe ausging. Auf den ersten Seiten seines neuen Buches prangten erste Notizen. Er hoffte, dass die erste Glocke ihn wecken würde. Hoffentlich tönte ihr Schall überhaupt bis hierher. Ob man wohl eine Art verstärkten Schall, etwas, das den Klang weiterleiten würde, einrichten könnte? Ob es wohl Bücher über das Tönen gab? Er würde fragen. Morgen.

    @Miri :P nanana ^^ laut Jahrestafel ist Elodie 6313 geboren, also ist sie in diesem Jahr 12. Beim Schreiben des Tagebuchs aber noch elf, wie der Beobachter gleich darlegt ^^

    Kapitel 2 mit Elodie und Mortimer soll so ein hin und her ihrer Gedanken sein, bei ihr im Tagebuch, bei ihm wie gewohnt. So sieht man beide Aspekte und ich hoffe, man lernt sie auch noch besser kennen :)

    Mortimer Kapitel 2.2
    Elodie war inzwischen elfjährig, würde in einigen Monaten zwölf werden und war daher im Alter, die renommierte Reckardshal-Schule, für junge Adelige und Kinder wohlhabender Geschäftsleute, im Prinzip jeder, der es sich leisten konnte.
    Ich war bei ihr, als sie ihr Tagebuch schrieb. Natürlich war ich das. Immer. Es hinterlässt immer einen etwas bitteren Nachgeschmack, ihr beim Niederschreiben ihrer Gedanken zuzusehen und sich selbst nie erwähnt zu finden, doch ich wusste, wieso: Ihre Mutter hatte vor einigen Jahren das Tagebuch gelesen und die immer wiederkehrende Erwähnung von mir, dem Geist, gefunden. Man kann sich denken, dass die kleine Elodie zur Rede gestellt wurde und es schliesslich ein ziemliches Donnerwetter gab, als sie weiter auf meiner Existenz beharrte.
    Es war kein guter Tag gewesen, sie hatte sich geweigert, ein Wort mit mir zu wechseln, schliesslich gab sie mir unter anderem die Schuld am Ganzen. Auch, als ich mit Jacks Körper zu ihr ging und versuchte, sie irgendwie aufzumuntern, schickte sie mich lediglich davon.
    Manchmal denke ich, dass sie wohl an diesem Tag einen Teil ihrer Kindheit verloren hat. Dass ihr klar wurde, dass sie, um zu überleben, weitaus vorsichtiger sein musste und nicht mehr jedem vertrauen durfte, auch oder vor allem nicht ihren Eltern. Sie war zehn. Ein letztes Jahr zu Hause. Ein letztes Jahr in Eisenhal, bevor sie zur Schule geschickt werden sollte.
    Es tat sich nicht sehr viel in diesem Jahr. Melanie kündete ihre Stelle, um zu heiraten und mit ihrem Mann auf dem Land zu leben. Sie hatte eine Anstellung als Privatlehrerin für die Kinder eines Gutsherrn. An ihrer statt kam Roxanne, deren Aufgabe es war, Elodie bestmöglich auf die Schule vorzubereiten. Schönschrift, Mathematik, Geschichte, Kunst und Knigge. Vor allem Knigge. Und Tanzunterricht. Elodie beschwerte sich zwar regelmässig über diesen, doch stand sie erst einmal auf der Tanzfläche und folgte Roxannes Anweisungen, war sie wie ein Frühlingswind, leicht wie eine Feder, elegant wie ein Schwan. Ich liebte diese Stunden, wenn ich in Jacks Körbchen sass und das Mädchen beobachtete, mit einem Ausdruck ernster Konzentration, manchmal mit geschlossenen Augen. Dann sagte Roxanne: „Vergiss nicht zu lächeln!“, und dann öffnete Elodie die Augen und strahlte die Welt an.
    Jedes andere Wesen konnte ich lesen, kannte die Gedanken hinter der Fassade, aber Elodie … Elodie musste ich kennenlernen. Und ich genoss jeden Moment dieses Vorgangs, hoffte, dass er nie zu Ende gehen möge. Heute ist mir klar, dass das stets der Fall ist. Der Prozess des Kennenlernens endet nie. Und ich bin sehr dankbar dafür.
    Dieses eine Jahr verging also recht schnell. Ich hätte mir mehr solche Zeit gewünscht, doch ich war froh für Elodie. Sie war schrecklich einsam. Man hatte sie aus der Kinderschule genommen und ihr somit praktisch jeden Kontakt mit gleichaltrigen verwehrt.
    Abends, wenn das Mädchen schlief, ging ich zu ihren Eltern, die dann im Salon sassen, oft mit Gästen. An jenen Abenden, an denen sie allein waren, unterhielten sie sich über ihre Tochter. Schmiedeten Pläne, sprachen über vielversprechende Söhne adliger oder reicher Familien (oder adliger und reicher Familien) und ganz allgemein Elodies Zukunft.
    Ich sah ihre Gedanken und ich sah die Liebe für ihre Tochter, die sie anders nicht auszudrücken wussten, doch ich sah auch, dass das Mädchen das einzige war, über das sie sich unterhalten wollten. Herr und Frau Darden waren beide strikt nach einem „so macht man es, so gehört es sich, und nicht anders“-Prinzip erzogen worden. Es gehört sich, abends als Ehepaar im Salon zu sitzen und zu reden. Es gehört sich als Mann, in seiner freien Zeit Billard zu spielen, mit Freunden teuren Alkohol zu trinken und sich über Politik zu unterhalten. Als Ehefrau gehört es sich, stets perfekt aufzutreten, perfekt auszusehen, eine gute und grosszügige Gastgeberin zu sein und an der Seite des Ehegatten die Familie angemessen zu repräsentieren.
    Sie betrog ihn mit einem jungen Künstler und Intellektuellen, den sie vor etwa zwölf Jahren auf einer Party kennengelernt hatte. Er beeindruckte sie mit seinem Freigeist, seinem rebellischen Denken und seiner Virtuosität am Pianoforte. Sie fühlte sich bei ihm wieder jung, frei und begehrt, genoss seine Poesie, seine Musik und seine Philosophien. Oft unterstützte sie ihn mit Geldgeschenken und bezahlte ihm auch seine kleine, aber luxuriös eingerichtete Wohnung.
    Er hatte eine Liebschaft mit einer fünfzehn Jahre jüngeren, hübschen Fischerstochter, die er auf dem Fischmarkt angerempelt hatte. Es war leicht gewesen, sie mit ein, zwei teuren Geschenken herumzukriegen. Ihre offene Bewunderung, die Hingebung und die unverhohlen zur Schau getragene Liebe gaben ihm Gefühle, die er schon Jahrzehnte nicht mehr gekannt hatte. Wichtig zu sein. Stark. Gebraucht. Ein echter Mann.
    Hinzu kamen bei ihm regelmässige Besuche in einem der Edelbordelle, die sehr diskret agieren und wahrhaft horrende Preise verlangten.
    Selbstverständlich wussten es beide voneinander. Das mit dem oberflächlichen Geheimhalten … nun, das gehörte sich eben so.
    Also vermieden sie bei Gesprächen jedes Thema, das sie persönlich betreffen könnte, und unterhielten sich über das, was sie gemein hatten- ihre Tochter. Man kann sich leicht denken, dass sich die Unterhaltungen normalerweise im Kreis drehten, immer wieder wurde derselbe Ablauf durchgekaut, der nach Jahr und Tag genau festgelegt war, bis zu zehn Jahre in die Zukunft – dann wäre Elodie zwanzig und sie sollte allerspätestens in diesem Jahr verheiratet werden, um Gerüchte zu vermeiden.
    Wie bitter die beiden waren. Dies ist wieder so etwas an den Menschen, das ich nicht begreife. Dass sie sich von ihrem Reichtum und ihrer gesellschaftlichen Stellung so gefangen nehmen lassen können.
    Ich weiss nicht, wie es dem Mädchen bei allem geht und wie viel sie weiss und begreift. Meistens ist sie einfach Kind, so gut sie es sein kann. Sie verliert nie ein schlechtes Wort über irgendjemanden, auch nicht mir gegenüber, denn das gehört sich nicht. Ihre Sorgen betreffen ihre Mutter, wenn diese krank ist, oder den Unterricht, wenn sie etwas beim besten Willen nicht begreifen kann und Roxanne sie darum tadelt, oder die Puppe, deren Kleid zerrissen ist und auf keinen Fall von ihrer Mutter gefunden werden darf, da diese sich sehr darüber ärgern wird.
    Es war immer wieder niederschlagend, wie wenig ich wirklich helfen konnte. Selbst wenn ich hätte reden können, wäre es mir unmöglich gewesen, ihr Ratschläge zu geben, die Situation war so vielschichtig und kompliziert, so … menschlich.
    Also hoffte ich wie Elodies Eltern nur das Beste für ihren baldigen Aufenthalt in Reckardshal. Sie würde Freunde finden, neue Menschen kennenlernen, vielleicht eine etwas bessere, wärmere Welt als die, die sie mit ihrem Zuhause verliess.
    Nach einer Woche hier sieht es nicht wirklich so aus. Sie zieht sich zurück, ist überfordert von all den fremden Menschen, den fremden Räumen und den fremden Umständen.

    Ich hoffe, dass sie wenigstens durch mich etwas freundliches und bekanntes hat, das ihr ein wenig Mut geben kann.