Elbenfeuer
von Tika444
„Ich bin das Feuer. Ich bin die Luft.“ Die Stimme tönte über das weite Seeareal. „Ich bin das Wasser. Ich bin der Tod.“ Überall war sie zu hören. In derselben Lautstärke, scheinbar ohne bestimmten Ursprung. Shandir wusste, dass es anders war, doch sein Wissen konnte seine Gefühle nicht beirren. Und diese Gefühle waren geprägt von Entsetzen. „Ich bin wie Eisen und wie Samt. Wie Gift und Lebenselixier.“ Die Stimme war rau, tief und scharf. Sie peitschte durch die Leere und grub sich tief in sein Inneres. „In meiner grausamen Güte werden meine Feinde brennen, bis sie mir zu dienen lernen, oder sterben.“ Voller Wut und trotzdem amüsiert. Amüsiert über seine Versuche. Voller Vorfreude auf das was kommen würde. „Und in meinem vergebenden Zorn frage ich dich, Shandir: Was wagst du es, mich herauszufordern.“ Mit den letzten Worten war die Stimme lauter und noch erhabener geworden. Grobe Hände drückten seine Arme auf seinem Rücken noch fester zusammen und ihn auf den Boden. Es kostete ihn einige Mühe den Blick zu heben, doch er ließ sie sich nicht anmerken, spuckte trotzig das Blut in seinem Mund auf den Sand. „Mein Körper mag vor euch knien“, erwiderte er leidenschaftlich, „Mein Geist nicht.“ „Fürwahr“, antwortete die allgegenwärtige Stimme, der Mann der vor ihm stand, „Noch nicht… Aber ihr habt mir meine Frage nicht beantwortet.“ Shandir beschloss mit offenen Karten zu spielen. Man würde ihn foltern um diese Antwort zu bekommen, vielleicht würde er schneller sterben, wenn er sie gleich jetzt gab. Allem Trotz und Stolz zuwider. „Wegen ihr“, rief er, so dass alle ihn hören konnten, und sah die Frau, die neben dem König stand, an. Dessen Augen, die bisher weiß wie Edelsteine geschienen hatten, wechselten Augenblicklich zu schwarz. Die leuchtend hellen und abgrunddunklen Adern, die sich ohne erkennbares Muster durch seine ansonsten makellose bleiche Haut zogen, prägten sich weiter aus und die spitzen Ohren, die von seinem elbischen Ursprung zeugten, richteten sich auf. Selbst die Krone auf seinem goldblondem Haupthaar saß schien zu glühen.
„Meine Tochter“, rief der König erbost, „Was willst du von meiner Tochter.“ Wellen erhoben sich plötzlich aus der spiegelglatten Wasseroberfläche und brandeten auf den Strand der Insel. Der Himmel verdunkelte sich und aus der sanften Brise wurde ein launiger Wind. Die Wachen sahen sich um, schienen verunsichert von der Wut ihres Gebieters. Nur die Frau, die neben dem König stand, blickte starr in dieselbe Richtung und erwiderte Shandirs Blick. In ihren smaragdfarbenen Augen lag Entsetzen und Überraschung. Sie war bei seinen Worten zusammengezuckt, aber jetzt war sie wie versteinert. Einzig ihre eschenbraunen Haare und die Schärpe ihres dunkelgrünen Kleides wirbelten im Wind. Trotz der leuchtenden Adern, trotz der glühenden Krone, strahlte sie in den Augen Shandirs weit helleres Licht aus als ihr Vater. „Ich kenne sie nicht“, gab Shandir zu, „Aber ein Blick auf sie genügte.“ „Genügte für was“, fragte der Elb hämisch, „War er den Tod wert.“ „Die Hoffnung auf ein Wort aus ihrem Munde“, erwiderte Shandir, „… auf ein Lächeln, war es.“ Es krachte, als ein Baum in dem Wind, der mittlerweile zu einem Sturm geworden war, mit einer einzigen Böe entwurzelt wurde und über den Boden peitschte. Wachen stoben auseinander um sich in die Sicherheit der nahen Mauern zu begeben, nur die drei in der Mitte blieben reglos stehen. Kein Ast, kein Baumstamm, noch nicht mal ein Blatt kam ihnen zu nahe. Der Sturm selbst schien in ihrer Nähe schwächer, wie sonst sollten sie sich auf den Beinen halten können. Offenbar wollte der Elb es ihm nicht zu einfach machen. „Du verdienst sie doch gar nicht“, brüllte Shandir über das Rauschen des Sturmes hinweg und erhob sich von den Knien, „Behandelst sie mehr wie eine Sklavin, als eine Tochter. Duldest sie, ohne sie zu lieben, nur wegen dem Zweck, den sie innehat. Wehe denn sie trägt nicht dein Wort auf der Zunge und deine Überzeugung im Herzen.“ So erzählte man es sich zumindest im Dorfe. An warmen Feuern, die die Kälte abhielten. „Du hast kein Recht mich in Frage zu stellen“, donnerte die Stimme und als sei die Welt verkehrt folgte diesem Donnern ein Blitz, der mit einem unbarmherzigen Krachen nicht weit von ihnen in einen der wenigen noch stehenden Bäume einschlug. Flammen loderten auf. „Was ich tue ist das Richtige, denn ich bestimme was richtig ist und was falsch.“ Zorn funkelte in seinen mittlerweile blutroten Augen als er die Arme hob. „Illyana ist mein.“ „Wenigstens“, dachte Shandir, „Kenne ich ihren Namen jetzt, da ich sterbe.“ Kein Mensch durfte den Namen eines Elben wissen, geschweige denn den der Tochter des Königs. Allein das war es wert gewesen. „Brenne“, grollte der König und die Erde erbebte unter seiner Stimme, „Brenne bis nur noch Asche bleibt. Du verdienst es nicht mir zu dienen.“ Er streckte die Hände in seine Richtung, wie es Shandir schon unzählige Male bei Hinrichtungen erlebt hatte. Innerlich wappnete er sich auf das Flammenmeer. Auf die Hitze, auf den Schmerz, auf die gähnende Einsamkeit des Todes. Ordnete seine verwirbelten Gedanken, leerte seinen Kopf, bis nur noch der an Illyana blieb. Groß war die Sehnsucht sie ein letztes Mal anzusehen bevor er starb, doch noch größer war die Angst nichts als Gleichgültigkeit in ihrem Blick zu erkennen. Eine helle Stichflamme loderte auf. Roter als die Sonne im Moment des Untergangs entbrannte sie und zerbarst in einem gleißendem Inferno.
Einen Moment lang war alles von Rauch verdeckt, dann wehte der Sturm ihn hinfort. Der König lag auf dem Boden, neben ihm Illyana. Regungslos. In ihrer Hand ein schwarzer Dolch. Fassungslos starrte Shandir sie an. Ihr Brustkorb hob und senkte sich nicht, die Augen blieben verschlossen. Sie musste den König im letzten Moment zur Seite gestoßen haben und dafür das Schicksal erhalten, das ihm zugedacht war. Das hatte er nicht gewollt. Nie beabsichtigt. Der König hustete und begann sich aufzurappeln. Wut, Angst und Hilflosigkeit breiteten sich in Shandir aus. Breiteten sich aus wie ein Flammenmeer, heißer noch als die Stichflamme, die ihm das Leben hätte nehmen sollen. Mit einem Brüllen rannte er los. Beugte sich nieder um den Dolch zu greifen. Seine Hand streifte die ihre, die sich widerstandslos um den Griff öffnen ließ. Die Berührung ließ grellen Schmerz von seiner Hand mitten in sein Herz schießen. Er nährte nur die Flammen in Shandirs Innerem. Der König hatte sich bereits wieder zur Hälfte aufgerichtet. Er war ein Elb. Tausendmal stärker als jeder Mensch und mit keiner gewöhnlichen Waffe zu verletzen. Doch das in seiner Hand fühlte sich nicht wie eine gewöhnliche Waffe an. Der Blick des Mannes, der ihm mit einem Mal mehr genommen hatte, als jeder Mensch ihm je hätte nehmen können hob sich. Streifte über seine Tochter, blieb dort noch nicht einmal einen Augenblick verharren, erspähte Shandir, der mit erhobenem Dolch auf ihn zu rannte. Die Augen weiteten sich, dann hatte der Mensch ihn erreicht. Der Mensch der ihm in nichts gleich war, in nichts ebenbürtig, stieß die Waffe mit einem letztem Aufschrei in seine Brust. Mitten ins Herz. Der Schrei des Königs, des Feuers, der Luft, des Wassers, des Todes, vermischte sich mit dem des minderwertigen Menschen und das letzte was die nun wieder in strahlendem Weiß leuchtenden Augen sahen waren dessen Wutverzerrten Gesichtszüge. Beide Schreie verblassten.
Augenblicklich war jegliche Kraft aus Shandir gewichen und er stürzte zu Boden. Dort neben den König, dessen Blut, das genauso rot wie das jedes Menschen war, den Sand färbte. Der Sturm war verklungen, ebenso wie das Rauschen der Wellen. Auch die Sonne schien wieder ungehindert auf den goldenen Sand. Nur die Spuren der Verwüstung blieben. Mühsam kroch er zu Illyana, beugte sich über sie. Zitternd. Seine Hände umfassten ihre Wangen. Was mochte sie in ihm gesehen haben, dass sie ihn gerettet hatte. Dass sie ihr Leben für das seine hergeschenkt hatte. Eine Träne löste sich von seiner Wange, fiel durch die Luft und zerplatzte auf ihrer Wange. Augenblicklich stieß sie Luft aus, und atmete sogleich wieder tief ein. Ihre Augen öffneten sich, sahen ihn und sie lächelte. Es fuhr ihm mitten ins Herz.