Kallithea, sinistrer Beistand
Auf einmal war der Druck weg und ein weiterer brennender Schmerz an meinem verwundeten Arm, zwang mich die Augen zu öffnen. Meine Wut wollte sich gerade ihre Bahn brechen, als sie vor Verwunderung in sich zusammenfiel, wie ein Feuer, dem man auf einmal sämtlichen Sauerstoff genommen hatte.
Ich sah mich hinter dem umgekippten SUV in relativer Deckung.
Moment: Umgekippt?
Erst jetzt bemerkte ich die Blechflasche, die ich krampfhaft in den Fingern hielt und deren Inhalt immer noch stoßweise in mein Gesicht floss. Wasser, ganz sicher, aber Wasser mit Macht.
Hastig trank ich den Rest leer und ich konnte förmlich dabei zusehen, wie die letzten dämonischen Schwaden aus meiner Aura flüchteten, als wären die sieben Erzengel hinter ihnen her.
Meine Schulter schmerzte zwar immer noch furchtbar und meine Sicht verschwamm eins um andere Mal, aber wenigstens konnte ich mich halbwegs sicher wieder auf den Beinen halten.
Ich hörte einen gewaltigen Knall, als ob jemand eine kleine Kanone abgefeuert hätte, ein Aufschrei und gleich nochmal einen Knall. Vorsichtig schaute ich an der nun vertikalen Monsterstoßstange des SUVs vorbei und sah gerade noch einen Kleinwagen einen grausamen Feuertod sterben.
Wieder hörte ich diesen Knall, nun eindeutig ein Schuss, und instinktiv ging ich wieder in Deckung.
Schnelle Schritte liefen weg und noch schnellere folgten ihnen.
Ein weiterer Schuss fiel und mir stieg wieder dieser grauenhafte dämonische Gestank in die Nase. Ich widerstand meinem Instinkt noch mehr in Deckung zu gehen und linste todesmutig über den Wagen.
Ein Tor hatte sich aufgetan, eindeutig mit dämonischer Unterstützung, und zwei dunkel gekleidete Frauen mit Köchern auf dem Rücken stolperten hindurch, die eine von der anderen mehr geschleppt als gestützt.
Eine unglaublich schnelle weitere Frau überwand die Entfernung zwischen sich und den Verfolgten innerhalb eines Wimpernschlags und gab, vor dem Portal stehend, drei weitere Schüsse aus einer riesenhaften Handfeuerwaffe ab. Das Portal schluckte die Geschosse wie ein Moorloch einen Stein und die Schwarzhaarige ließ die leer geschossene Waffe fallen.
»Ihr dämonischen Miststücke. Ihr könnt weglaufen, aber nicht verstecken!«
Sie zückte zwei Krummdolche, deren Auren allein schon mehr Macht zeigten, als es den meisten lebendigen Zauberkundigen gegeben ist und machte Anstalten, hinterher zu springen.
Obwohl ihre Augen golden zu glühen schienen, rief ich erschrocken: »Nicht! Nur nicht da durch. Das überlebst Du nicht!«
Ihr Kopf ruckte herum, ihr Blick fixierte mich und für einen Moment hatte ich den Eindruck, jemand wäre über mein Grab gelaufen. Dann fiel das Portal zum Glück in sich zusammen und auch die Frau mit den Dolchen schien sich zu entspannen. Wenigstens schloss ich das aus den Augen, die jene tiefblaue Farbe annahmen, die oft ein Hinweis auf Magiewanwender ist, die ihre Kraft weder von Gaia, noch von anderen externen Quellen beziehen.
»So eine Kacke. Als ob ein Rudel beschissener Orthos-Hundchen nicht genug wären. Wo zum Geier kommen denn diese Dämonenschlampen auf einmal her?«
Sie sprach Englisch mit mir, wenn ich wetten müsste, Ostküste der USA.
Ich grinste tapfer, auch wenn mir wirklich eher nach einem langen,komatösen Schlaf war.
»Das kann ich Dir nicht genau sagen, aber sie sind eindeutig hinter mir her.«
Der Boden neigte sich unvermittelt und plötzlich fühlte ich mich von einem starken Arm aufgefangen. Die Schwarzhaarige mit dem sagenhaft weißen Teint war auf einmal neben mir aufgetaucht.
»Wie hast Du …?«
»Echt jetzt, das ist momentan Deine größte Sorge?« Ihre blauen Augen blitzen schalkhaft.
»Naja, jetzt wo Du es erwähnst. Würdest Du mir ein Stück Erde suchen, in das ich meine Hand oder einen Fuß hineinstecken könnte, das wäre wirklich super hilfreich.«
Sie brummte etwas, was ich nicht verstand und dann hob sie mich einfach auf beide Arme, als wäre ich ein Kind. Diese Frau war ja stark wie ein Oger?
Bei einem verwilderten Vorgartenrasen ließ sie mich zu Boden und buddelte sogar ein kleines Loch, in das sie die Hand meines gesunden Arms steckte und mit Erde bedeckte. Gaias Hilfe kam sofort und mit Macht. Die Schmerzen verblassten zu einer fernen Erinnerung, die Löcher, welche die Dämonenkraft in meine Aura gerissen hatte, verschwanden innerhalb von Sekunden, mein Arm heilte ebenso schnell.
Interessiert wollte ich die Reaktion meiner Retterin beobachten, aber die war bereits wieder zum SUV gegangen, lehnte sich gegen ihn und stemmte ihn wieder auf seine Räder. Warum ich erleichtert war, dass sie immerhin dabei leise stöhnte, kann ich nicht sagen. Vermutlich tut es einer kleinen Druidin auch ganz gut, dass selbst Wonderwoman offenbar ihre Grenzen hatte.
Als der Wagen wieder stand, sammelt sie so beiläufig, als pflückte sie eine alte Bierdose von der Straße, ihre Miniflak ein und ließ sie in dem schmalen Rucksack verschwinden, der mir bisher noch gar nicht aufgefallen war. Ihre Messer waren vermutlich ebenfalls bereits dort wieder verstaut.
Wer sie nun zurückkommen sah, musst sie für eine wohlhabende Touristin halten, denn ihre Jeans, als auch die dunkelgraue Bluse waren Markenprodukte, die ich bestenfalls für einen Besuch bei der Queen, oder beim Geburtstag von Mum – was irgendwo denselben Stellenwert hat – anziehen würde.
»Hey«, hob ich dankbar an, als sie sich neben mir aufs Gras setzte. »Danke, Du hast mir eindeutig die Haut gerettet, vielleicht nicht nur das.«
Sie winkte ab. »Vergiss es. Nur eines würde mich interessieren. Wohin hat sich Dein Partner so schnell verpisst?«
Erstaunt musterte ich sie erneut. »Hast Du mich beschattet?« Mein Argwohn kam wieder hoch.
»Unsinn. Ich hab da oben gesessen und auf Dich gewartet.« Sie deutete ungenau irgendwo auf die Dächer einiger Häuser auf der anderen Straßenseite. »Meine Partnerin hatte Euch schon auf dem Radar, kurz nachdem ihr den Flugzeugabsturz irgendwie überlebt hat.«
»Deine Partnerin?« Klar, ich kam mir gerade ziemlich blöd vor, aber was sollte ich machen?
Sie deutete auf einen Ohrstöpsel, der mir sonst nie im Leben aufgefallen wäre. »Klar, wenn ich eine Operation hier habe und zeitgleich plumpst ein Flugzeug ins Meer und keiner hat dabei auch nur eine Schramme bekommen, dann fällt ihr sowas auf.«
»Ok, aber warum interessiert Dich das?«
Sie hob eine Schulter, als wäre es ihr beinahe peinlich: »Ich hatte so ein Gefühl, dass die ersten, die vom Unfallort klammheimlich verschwinden, irgendwie an der ganzen Sache zumindest Mitschuld sind. Hatte ich Unrecht?«
Nun war es an mir, verlegen in Gras zu reiben. »Naja, der andere, der verschwunden ist, wollte mich erpressen. Lange Geschichte.«
Schmunzelnd winkte sie ab: »Später. Sag mir lieber, was zum Geier Dämonen hier zu suchen haben und wo ich sie finden kann.«
»Finden? Du willst allen Ernstes Jagd auf Dämonen machen?«
»Das waren gar keine wirklich echten Dämonen. Ein bisschen besessen, schätze ich. Echte Dämonen laufen nicht weg.«
»Du kennst Dich aus, wie?«
»Ein bisschen.«
»Bist Du eine Art Polizist?« Natürlich kannte ich auf Übernatürliches spezialisierten Sondereinheiten, besonders beim britischen MI5.
Sie grinste wölfisch: »Im sehr freischaffenden Sinne, ja.«
»Amerikanerin?«
Sie nickte. »Und Du, Britin?«
Ich lächelte »Waliserin« und stand auf, sie ebenso. »Ok, ich muss mal weiter. Ich sollte den Amazonen nicht zuviel Vorsprung lassen.«
»Amazonen? Ich glaube, mit denen hatte ich noch nie zu tun. Endlich mal jemand, der echte Kampfkunst zu schätzen weiß, wenn man den Legenden glaubt.«
Ich hielt inne: »Heißt das, Du kommst mit?«
Sie lachte und es dauerte etwas, bis ich merkte, dass es eine Reaktion auf die Stimme in ihrem Ohr sein musste.
»Ja, sie ist eine Blitzmerkerin. Aber sie hat einen tollen Hintern. Den rettet man doch gerne.«
»Hey, ich stehe direkt neben dir!« Beinahe hätte ich sie gegen die Schulter geboxt, aber irgendwas in mir hielt mich davon ab.
»Wow, Du hilfst mir. Cool. Toll, Juhu. Also ich will wirklich nicht meckern, aber warum das denn?«
»Komische Frage. Die haben sich mit mir angelegt. Das kann ich denen unmöglich durchgehen lassen.«
Verwirrt schüttelte ich den Kopf und sah zu, wie sie einen Schlüssel aus der Hosentasche zog und den schwarzen SUV entriegelte.
»Das ist Dein Auto?« Ich weiß, ich verdiente mir den Spitznamen Blitzmerker inzwischen redlich.
»Klar. Und wer auf mein Auto schießt, schießt auf mich. Hilf mir mal die Karre aufzubocken, ich muss einen Reifen wechseln.«
»Ok. Ähm, ich bin Sam.« Gerade noch rechtzeitig verkniff ich es mir, ihr die Hand hinzuhalten.
»Das ist schön für Dich. Kannst mich Sin nennen.«
Fünf Minuten später waren wir auf den Weg nach Athen.