Königsstolz
von Tika444
Ungebändigt! Unaufhaltsam! Unvergänglich! Die Schreie dröhnten und Männer fielen. Tod, ein reger Gast heute, strich durch die Reihen und nahm scheinbar wahllos arme Seelen an sich. Hier ein Pfeil, da ein Schwert und dort ein Feuerball, der von den Magiern auf den Bergen herunter aufs Feld geschleudert worden war. Nur er allein mochte ein Muster in diesem sinnlosen Gemetzel sehen. Von irgendwo her erklang ein Horn. Stiefel stampften auf dem von Blut und Schweiß durchweichten Boden. Neue Männer, neue Opfer, neue Seelen für den Tod. Simutril stand in der Mitte. Nun, ob es wirklich die Mitte war, konnte er nicht erkennen, aber es fühlte sich an als wäre es die Mitte. Überall um ihn herum war nur Geschrei, Kampf und Metall, soweit das Auge reicht. Das Auge reicht jedoch nicht sehr weit, wenn man von hunderten Reitern umgeben war. Er stand also in der vermeintlichen Mitte und atmete. Dies mag nicht besonders außergewöhnlich, nicht besonders heldenreich erscheinen, aber hier, zwischen all dem Morden und dem Tod, der einem über die Schulter schaut, die Sense stets erhoben, war es unbezahlbar. In seinen Händen ruhte ein Schwert, ruhte, weil es bereits so schwer von Blut war, dass man es kaum noch heben konnte. Das Gewicht der Rüstung, die im Sonnenlicht funkelte, war kaum einer Erwähnung wert dagegen. Er strich sich die schweißnassen Strähnen seiner Haare aus dem Gesicht, die der Helm nicht mehr im Mindesten bändigen konnte, und sah sich um. Das Bild war unverändert. Immer noch Blut, Schreie und hier und da Feuer, doch nun mischten sich vermehrt die Farben Rot und Grün darunter. Die Farben, die auch er selbst trug. Das neue Regiment hatte ihm und seinen Kameraden ein bisschen Erleichterung gebracht, auch wenn er sich sicher war, dass die frische Kraft bald erlahmt und der Vorstoß bald zurückgedrängt sei. Und dann würde er sein schweres Schwert wieder heben müssen und es noch schwerer machen. Was gäbe er darum es abzulegen und nie mehr anzuheben. Lächerlich, hier in der Schlacht.
Am Abend, da die Sonne mit dem Horizont verschmolz und ihr Licht mit sich nahm, stand Simutril in einem Zelt. Die Rüstung hatte er abgelegt, nur das zentnerschwere Gewicht des Schwertes hing noch immer an seinem Gürtel. Der Boden war die grasbewachsene Erde und nur ein dünnes Stück Stoff trennte sie vom Himmel. Auch wenn er ihn nicht sah, war er sich sicher, dass er blutrot war. „Was soll dieses Gemetzel“, fragte er und hieb mit einer Hand auf den großen langen Tisch, der den größten Teil des Zeltes einnahm, „Was soll das Sterben, das Morden, dieses Fest für Tod. Haben wir ihm nicht schon genug gegeben.“ „Unsere Haltung steht nicht zur Diskussion“, empörte sich der König, der sich Mühe gab wahrhaft königlich zu wirken, „Wenn wir uns jetzt zurückziehen, haben wir diesen Krieg verloren.“ Die übrigen Männer, allesamt Ritter, Adlige und Hofangehörende – Die meisten hatten kaum einmal selbst zur Klinge greifen müssen. Dafür hatte man schließlich Soldaten -, nickten zustimmend. „Dieser Sohn einer Hündin muss fallen“, rief ein besonders betrunkenes Exemplar ihrer laut aus. Damit spielte er höchstwahrscheinlich auf König Lein an, ihren Gegner auf dem Schlachtfeld und früherer Verbündeter, auch wenn Simutril nichts einfiel was dieser mit einer Hündin gemein haben mochte. Die Speisen und der Trank waren wohl zum Überfluss vorhanden, nicht umsonst hungerten die Krieger, die ihr Schwert in frenetischer Treue für diese Herren hier schwangen, da draußen. „Haltet lieber den Mund und sieht zu, dass ihr nicht an eurem Schwein erstickt“, wies er den Rufer an, der daraufhin empört die Backen aufblies bis sie ganz rot anliefen. Während er damit beschäftigt war nach einer passenden Antwort zu suchen, richtete Simutril erneut das Wort an den König. „Es gibt keinen Grund dafür“, behauptete er kühn, „Er will nicht euren Thron oder euer Leben. Er will einfach nur Genugtuung für eure Worte und ihr Genugtuung für die seinen. Geht zu ihm, gesteht eine Schuld ein und er wird abziehen. Das Verspreche ich euch.“ Noch nie hatte er so offen mit seinem König gesprochen. Noch nie hatte irgendjemand dies getan. Dementsprechend groß war die angestaute Menge an unterdrückter Wut, die man nicht herauslassen konnte, wenn man nicht offen antworten durfte, und dementsprechend laut war die Stimme des Königs als er schließlich offen antwortete. „Mich entschuldigen“, donnerte er, „Wie kommst du darauf, dass ich Schuld habe. Dieser Mistkerl, hat mich doch einen Narren genannt.“ „Weil ihr ihm zuvor jegliche Kompetenz abgesprochen habt“, antwortete Simutril mit versucht beruhigender Stimme. Der Vergleich mit einem wutschnaubenden Kind drängte sich ihm unwillkürlich auf, als er den König mit seinen bebenden Lippen und den rot angelaufenen Wangen betrachtete. „Es geht hier nicht um Zwist oder beleidigte Gemüter, euer Majestät“, führte er weiter aus, „Da draußen sterben Menschen. Für euch.“ „Und sie tun gut daran“, behauptete ihre Majestät bereits halb aus dem Sessel, den er Thron nannte, erhoben, „Denn ich bin ihr König.“ „Doch hat ein König nicht die Pflicht sein Volk zu schützen?“, fragte Simutril, der noch bevor er die Worte aussprach wusste, dass er zu viel gesagt hatte, „Selbst vor seinem eigenen Gemüt.“ Einen Moment herrschte eisige Stille. Sie hatte sich leise in den Raum geschlichen, immerhin hörte sie keiner, und im Nu alle Geräusche aus dem Zelt, selbst das unbeugsame Rauschen des Windes von draußen, vertrieben. „Diese Beleidigung muss ich mir nicht bieten lassen“, antwortete der König schließlich gefährlich leise und zerriss damit die Stille in tausend Stücke. Sie starb ohne einen Laut des Bedauerns, denn sie war still. „Wachen!“ Lange nachdem er das Zelt verlassen hatte und wieder Ruhe eingekehrt war antwortete der Mann mit den aufgeblasenen Wangen schließlich. „Sieh lieber zu, dass ich nicht dich mit ihm ersticke“, stieß er hervor und schlief – zufrieden einen grammatikalisch korrekten Satz unbeachtet seines fehlenden Sinnes formuliert zu haben – an Ort und Stelle, den Kopf auf seinem Teller gebettet, ein.
Als Simutril erwachte, tat er das nicht etwa, weil er wollte – Keiner würde mit solchen Kopfschmerzen aufwachen wollen -, sondern vielmehr, weil er es musste. Helles Klimpern von Metall auf Metall, das für seine Ohren eher wie Schwerter klang, die sich in seinen Kopf bohrten, ließ ihn hochschrecken. „Wo bin ich?“, kam ihm der erste Gedanke und gleich darauf die Einsicht. Sie wetteiferte an verursachtem Schmerz mit den Kopfschmerzen, verlor aber in diesem Moment knapp. In einem anderem würde es sicherlich anders ausgehen. „Und jetzt“, schlich sich die zweite Frage in sein Hirn. Um sich von den Schmerzen abzulenken und nicht zuletzt auch um sich vor weiteren Fragen wie dieser zu bewahren, schlug er die Augen auf. In dem Leben, was er kannte, war stets alles voller Farben gewesen. Das Rot in den Schlachten, das Grün in dem Wappen des Königs. Selbst das Sterben hatte für ihn immer eine Farbe gehabt, sie war blau. Wobei er auch nicht sagen konnte weshalb dem so war. Doch hier in dieser neuen Welt gab es keine Farben mehr. Alles war schwarz oder zumindest in Schattierungen von Schwarz. Auch die goldenen Punkte, die er am Himmel zu sehen erwartet hatte, waren schwarz und damit selbstverständlich in dem ebenso schwarzen Himmel nicht zu erkennen. Das Klingeln verklang und ein metallenes Quietschen ertönte. Das dies die Gelenke einer Tür oder eines Tors sein mussten, erkannte er erst nach kurzem nachdenken, kurz bevor sich eine Hand mit um seinen Arm legte. „Ihr müsst mitkommen“, zischte eine Stimme vor ihm. Sie war weiblich und erklang ein weiteres Mal. Diesmal jedoch in Worten, die er nicht kannte, und eine kleine Flamme loderte vor Simutril in einer Hand auf. Erleichtert bemerkte er das Licht, dass von ihr ausging und seinen Schatten auf einen lehmigen Boden und Gitterstäbe warf, welche wiederum Schatten auf weiteren lehmigen Boden warfen. Doch Schatten waren auch dunkel und eigentlich, überlegte er, war Licht doch nur eine hellere Variante von Schwarz. Simutril brauchte jedoch keine Farben um die Frau vor ihm zu erkennen. Loral oder so ähnlich lautete ihr Name und sie war Magierin. Was wollte eine Magierin bei ihm, wo diese doch umso mehr auf die Gunst des Königs angewiesen waren, da dieser sich verständlicherweise schwertat sie nach ihrem für ihn unverständlichen Können zu bewerten. Er dagegen war in diesem Moment offensichtlich so weit von einer Person, der zu helfen das Wohlwollen des Königs erwecken würde, entfernt wie ein Misthaufen von einer Karriere als Raumerfrischer. „Ich habe euch gehört und ihr hattet Recht. In allem was ihr sagtet“, beantwortete sie seine gedankliche Frage liebenswürdigerweise sofort. Ob Gedankenlesen wohl auch zu ihren Fähigkeiten gehören mochte. Wäre dem so, hätten seine ihr in diesem Moment wohl wenig Freude bereitet, da sie sich einzig darum drehten wie seine Zukunft aussähe und wie er schnellstmöglich etwas zu essen bekäme. Beide boten wenig erfreuliche Voraussichten. Sein Magen knurrte ausdruckverleihend. „Ihr müsst jetzt gehen“, riss ihn die Frau aus seinen Vorstellungen an all die Gerichte, die er im Zelt des Königs nicht gegessen hatte, und zehrte ihn aus der Zelle. Weit kamen sie freilich nicht, man musste sich darauf gefasst machen in einem Lager voller Soldaten irgendwann einmal auf einen Soldaten zu treffen, und so standen sie kaum dreißig Schritt von der Zelle entfernt inmitten eines Kreises aus Schwertern, Hellebarden und Fackeln, welche Unmengen an hellerem Schwarz verbreiteten, die von Männern getragen wurden, welche sich mit verlegenen Blicken dafür entschuldigten ihn, ihren Hauptmann, an der Flucht zu stören. Simutril sah ihnen allen in die Augen, auch Loral, deren Gesichtsausdruck ein unverwechselbares „Mist, da war ja noch was“ ausdrückte, und hob dann beruhigend die Hände. „Haltet ein“, rief er und kletterte auf einen Wagen, der, weil nun mal in jedem ordentlichen Armeelager überall ein Versorgungskarren herum zu stehen hat, zufällig in der Nähe stand. „Ich weiß. Ihr wollt mich nicht töten“, behauptete er, „Und auch nicht die Frau. Ihr wünscht euch nicht mal mehr das Blut weiterer Feinde zu vergießen. Wenn es nach euch ginge würdet ihr nie wieder Leben auslöschen.“ Vereinzelte Stimmen erklangen. Einzelne stimmten ihm zu, andere nicht. Die Ehre spielte dabei wie immer im Leben eines Soldaten eine beträchtliche Rolle. „Ist es gegen die Ehre zu verschonen“, antwortete Simutril, „Haben diese Männer oder ich oder diese Frau euch in irgendeiner Weise beleidigt. Was sollt ihr morden für einen Mann, der einzig aus verletztem Stolz handelt und nicht mal aus Notwendigkeit. Ich weiß der Krieg zwingt euch dazu, aber ohne Soldaten gibt es keinen Krieg. Ohne Soldaten war das Gestern die letzte Schlacht, die ihr je geschlagen haben würdet. Befreit euch von euren Schwertern wie ich von meinem befreit wurde. Ihr könnt mir glauben, dass mir damit eine gewaltige Last genommen wurde. Der Krieg mag ungebändigt, unaufhaltbar und unvergänglich scheinen. Aber nur weil es noch niemand versucht hat.“ Er atmete schwer. Die Worte waren einfach so aus ihm herausgeströmt wie schon in dem Zelt des Königs. Damals hatten sie ihm kein Glück gebracht. In diesem Moment ging die Sonne auf und warf ihre ersten Strahlen hellstem Schwarz auf die grasbewachsene Ebene inmitten des zerklüfteten Gebirges und in diesem Moment kehrten die Farben zurück.