Beiträge von Tom Stark im Thema „Noch mehr Sinistre Stories“

    Wie selbstverständlich folgen wir der Vampirin und ich muss selbst erstaunt feststellen, wie gut sie die Fähigkeiten und Nichtfähigkeiten unsrer kleinen Truppe in ihr Planen miteinbezieht.
    Natürlich könnte sie in Nullkommanichts an der ersten Stellung unserer Gegner sein, aber Dan und Duke würden da niemals mithalten können. Also führt sie uns in einer Art Slalom zwischen Fahrzeugen, Zäumen und Mauern entlang. Nur selten müssen wir uns vor Beschuss verstecken. Es ist vielmehr so, als ob sich uns die schützenden Schatten entgegen dehnen.
    »Bleibt einen Moment zurück. Ich spähe die genauen Standtorte des Feindes aus.« Kaum gesagt, ist Angel verschwunden, als wäre sie nie hier gewesen. Die Schatten wirken mit einem Male bei Weitem nicht mehr so tief und sicher.
    Dan beugt sich zu mir: »Eine Schattenhexe, heilige Scheiße!«
    Alarmiert schaue ich mich um, die Dolch bereit, doch Dan schüttelt den Kopf. »Deine Vampirfreundin. Hatte gehofft nie wieder einer zu begegnen, aber zum Glück gehen nicht alle Hoffnungen in Erfüllung. Nun kämpft sogar eine auf unserer Seite. Sie ist doch auf unsrer Seite, Partner?«
    »Angel ist ein Vampir. Die stehen primär erst einmal auf ihrer eigenen Seite. Aber wie geht das? Ich dachte Vampire könnten keine Magie wirken.« Kalter Schweiß läuft mir auf einmal den Rücken hinab. »Es sei denn …«
    »Es denn was? Lass mich nicht dumm sterben!« Auch Duke macht große Ohren. Das Vertrauen zwischen Werwölfen und Vampiren ist selbst im besten Fall dünn wie ein Gespinst.
    »Es sei denn, ein Vampir ernährt sich regelmäßig von Arkanisten.«
    Dukes Kraftausdruck bringt sogar Dan zum Schweigen, der gerade selbst lautwerden wollte.
    »Scht! Seid Ihr irre? Regt Euch gefälligst leise auf!«, herrsche ich sie an.
    Einen Moment schweigen wir. Ich gehe im Geiste die sehr gute Frage hinsichtlich Angels Loyalitäten durch. Wie es aussieht, habe ich in all den Jahren unsrer Bekanntschaft nicht einmal an ihrer Oberfläche gekratzt. Kein einziges Mal hat sie Fähigkeiten wie diese demonstriert. Musste sie aber auch nicht, wenn ich da war. Dann habe ich Probleme beseitigt, das war mein Job und ich war verdammt gut darin. Vielleicht etwas zu gut, wie ich mir nun zweifelnd eingestehe.

    »Hallo Jungs, alles klar bei Euch beiden? Ihr wirkt verkrampft.«
    Dan und Duke fahren zusammen, ich nur deswegen nicht, weil ich viel zu sehr mit meinen Gedanken woanders war, um Angels Rückkehr überhaupt zu bemerken und dann war ich auch schon über den Schockmoment hinweg.
    Dichter Schatten umfängt uns wieder.
    »Ich sage das nur einmal, und ich fordere, dass das unter uns bleibt. Wer dem nicht zustimmen kann, der möge nun umkehren, der Weg zur Villa ist inzwischen frei.«
    Da bemerke ich den Geruch frischen Blutes, den Duke schon gleich wahrgenommen hat, wie ich an seiner Reaktion nun entnehme.
    »Ich bleibe!«, sagt er betont rau. Klar, er vertritt gerade das Rudel.
    »Diese Bleiche ist mein Partner, auch wenn ich furchtbar unterbezahlt bin! Aber ich bleibe auch.« Immerhin verkneift sich Dan die üblichen Kraftausdrücke.
    Ich verdrehe die Augen und Angel zwinkert mir so zu, dass nur ich es sehen kann. Beinahe könnte man denken, sie steht auf Dans freche Art. Angel, die sonst nichts so sehr hasst, wie Respektlosigkeit? Es muss sich wohl noch herausstellen, ob das für Dan gut oder schlecht ist.
    Mich scheint sie gar nicht erst zu fragen, also spare ich mir die Antwort.

    »Sin ist Mitglied meines Clans. Ich habe sie weder verstoßen, noch habe ich die Absicht. Die Tatsache, dass sie inzwischen keine Vampirin mehr ist, ändert daran nichts. Was immer ihr von anderen, meist neuen Clans zu wissen glaubt, mag davon abweichen. Doch der Clan der Rosen beschützt seine Mitglieder. Ohne Ausnahme!«
    Duke lässt widerwillig ein zustimmendes Grollen hören. Als Teil eines Rudels ist das Wasser auf seine Mühlen.
    »Wenn eines davon bestraft werden muss, tun wir das selbst. Ich bin Gast in dieser Stadt. Der ansässige Clan wurde über mein Kommen und meine Absichten informiert. Daher achte und respektiere ich die Bündnisse in dieser Stadt und bin, bis ich es offen widerrufe, an mein Wort gebunden. Kein Vampir der Vampdrakes noch ein anderer Bewohner New Yorks ist durch mich unmittelbar bedroht. Selbstredend verteidige ich mich und meine Schützlinge.«
    Groß, fast übergroß wirkt sie in diesem Moment. Nunja, wenigstens für die beiden Männer. Hey, es immerhin Angel. Ich habe schon hunderte ihrer Ansprachen gehört. Als ob ich mich davon noch beeindrucken lasse …, also echt jetzt.
    Dann geht sie neben Dan in die Hocke. Etwas verunsichert schaut er sie an.
    »Ich würde gerne ein bisschen Magierblut kosten. Es ist so süß und berauschend und ich kann sehr, sehr dankbar sein.« Sie leckt sich über die Lippen und das Erschauern, welches durch Shepherds Körper geht, hat so ganz und gar nichts von Furcht.
    »Aber für meine Magie brauche ich es nicht. Es gibt andere Methoden, gleichhin, sie sind finster genug.« Scheinbar unbeabsichtigt berührt sie mit ihrer Hüfte das Knie des Magiers, während sie aufsteht.
    Dan wischt sich die Stirn ab. Armer Kerl, Angel hat Dich ja sowas von am Haken!

    Sie führt uns wieder an und wir kommen gut voran. Immer wieder treffen wir verstörte Anwohner, die wir mit dem Hinweis auf Duke in seinem SWAT-Anzug in die Häuser zurückschicken. »Suchen Sie einen Raum ohne Fenster auf und warten Sie, bis es hell wird. Begeben Sie sich nicht in Gefahr, die Polizei ist bereits vor Ort.«
    »Ha, da wo ich herkommen, hätte nun mindestens jeder zweite eine Flinte und würde darauf bestehen mitzuhelfen.« Dan grinst breit.
    »Oh, unterschätz uns New Yorker nicht. Wir haben auch unsre Knarren, wir zeigen sie nur nicht offen.« Duke weiß ja, wovon er spricht.
    Die Wenigen, die zögern, werden von mir mit einem suggestiven Blick bedacht, oder Angel winkt sie einfach majestätisch, sich jetzt zu verpissen. Da ist kein Zwang, kein Zauber dahinter. Die Leute gehorchen einfach.
    Je länger ich sie beobachten kann, umso größer wird mein Respekt. Meine frühere Königin besitzt Macht, echte Macht. Und wie die ganz wenigen Mächtigen, die ich bisher kennengelernt habe, setzt sie diese kaum ein. Selbst wenn sie ärgerlich wird, droht sie nicht, sie schaut nicht einmal böse. Sie beginnt sich nur vermehrt für eine Situation zu interessieren oder das genaue Gegenteil, und schon handeln die Leute instinktiv so, wie es für beide Seiten vermutlich am besten ist.

    Wir begegnen dem ersten Körper, einer Vamprin genauer gesagt. Ob ihr Unleben beendet wurde, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, aber sie liegt starr mit offenen Augen herum. Drei Augenpaare treffen die Vampirin, die nicht einmal so tut, als wäre sie daran unschuldig.
    »Sie griff mich an, ebenso wie ihre ganze Gruppe.«
    Als wir uns umsehen, finden wir weitere starre Vampirkörper.
    »Die leben alle noch?« Duke schnüffelt mehrfach und winkt angewidert ab. »Lasst Sie uns erledigen.« Schon hat er ein großes Kabar Marine Allzwecksmesser in der Hand, was für normale Leute durchaus als Kurzschwert durchgehen würde.
    »Warte, Wolfmann.«
    »Was?!« Dukes Reaktion ist heftig und ich sehe, wie er bereits gegen den Verwandlungsreflex ankämpft. Die Nähe zu so vielen Feinden, macht seine Reaktion ganz natürlich und wer Werwölfe kennt, muss anerkennen, dass der Mann sich wirklich zusammenreißt.
    »Sie werden in Starre bleiben, auch wenn die Sonne hervorkommt. Sofern der örtliche Clan sie überhaupt so lange überdauern lässt. Wir müssen keine Zeit mehr an sie verschwenden.«
    Ohne abzuwarten schreitet sie weiter.
    Duke schaut mich an und ich hebe die Arme: »Kumpel, falls Du es noch nicht bemerkt hast, im Moment ist ihre Majestät der Boss. Mach einfach, was sie sagt.«
    Angel streift mich mit einem Blick, der mich vermutlich einschüchtern soll. Aber ich stelle mich ja so schnell auf neue Situationen ein. Also schiele ich nur betont in ihre Richtung und hoffe, dass niemand unseren nonverbalen Schlagabtausch bemerkt. Kacke, sie mag vielleicht gerade die königliche Supervampirin herausgeholt haben, aber das hier ist meine Stadt. Meine! Für ein paar Minuten hat sie mich auf dem falschen Fuß erwischt, aber sie muss nicht glauben, dass ich mich nun zu ihrem Minion machen lasse. Ich bin schließlich weder gelb, noch habe ich eine blaue Latzhose an.

    »Da vorne. Da haben sie ihren Stützpunkt.«
    Wir sind fast eine Meile gegangen und beinahe würde ich wieder respektvoll dazu nicken, wie schnell Angel das Gebiet aufgeklärt und nebenher gesäubert hat.
    Ohne Vorwarnung tritt eine Drei-Vampir-Patrouille in unser Gesichtsfeld. Die uns umgebenden Schatten haben uns so gut verborgen, dass sie gar nicht erahnen, wie ihnen geschieht. Duke und ich machen sie nieder, bevor sie auch reagieren. Angel hält sich vornehm zurück und Dan hat gerade ein Messer gezückt, was ich sofort als Fleischmesser aus dem Messerblock meiner Küche wiedererkenne, als auch schon der letzte der Drei seinen Kopf verliert. Seufzend steckt er es wieder weg und applaudiert, vielleicht einen Hauch zu ironisch, wie ich finde.
    »Sag mal, Angel, findest Du nicht auch, dass das viel zu viele fremde Vampire sind? Ich meine, ein halbes Dutzend, wegen mir ein Dutzend, dass lasse ich mir irgendwo noch einreden, aber wir sind mittlerweile bei wie viel?«
    »Bullenscheiße, zweiundzwanzig, Anwesenden nicht mitgezählt.«
    Auch wenn es eine rhetorische Frage ist, nicke ich Dan zu.
    »Viel zu viele.« Sie lächelt mich an, als ob sie stolz darauf wäre, dass ich endlich den Schluss gezogen habe, auf den sie schon vor zehn Minuten gekommen ist.
    »Hallo?«, merke ich auf. »Wenn ich sie hätte alle nacheinander oder auch auf einem Haufen fertigmachen dürfen, wäre ich früher darauf gekommen. Ich bin Taktiker, kein Stratege.«
    Die beiden Männer drehen sich weg, um ihr Grinsen zu verbergen. Alles Idioten!

    Wir stehen vor einem Bauhof. Ein abgeriegeltes Terrain mit wenig Deckung und einem großen Gebäude, stabil und wenig Fenster, direkter Zugang zum Hudson River. Auf dem Fluss kommt man hunderte Meilen, relativ unbemerkt, vom Landesinneren hierher.
    Ja, wenn ich eine Vampirarmee irgendwo unterbringen müsste, dann hier.
    »Ich denke nicht, dass sie schon hier sind. Sin. Das hier ist nur ein Voraustrupp. Sie sollten vermutlich schon einmal die gefährlichsten Feinde im Handstreich ausschalten.«
    Was Angel sagt, ergibt Sinn. Tief in mir erwacht die Erinnerung, dass ich selbst diverse solche Kommandounternehmen angeführt habe. Früher, sehr viel früher.
    Ärgerlich wische ich die Gedankenfetzen fort. Gerade nicht hilfreich.
    »Ja, das macht Sinn. Sauger denken natürlich erst mal, dass nur andere Sauger für sie gefährlich werden, arrogante Bande.«
    Angel quittiert Dukes verächtlichen Ausbruch mit einem leisen Lächeln.
    Der Werwolf knurrt. »Diese Blutsauger würden sich freiwillig auf die Sonnenbank legen, wenn sie wüssten, wer in New York wirklich das Sagen hat.
    Ich bin nicht die Einzige, die Duke nun erstaunt anschauen. Angel und Ella, gut, mich auch auszuschalten, wäre schon ein echter Coup gewesen. So spontan fällt mir niemand ein, der … oh, Kacke! Doch, natürlich!
    Ich sehe Duke an, er sieht mich an und wir nicken beide. Die beiden Nicht-New-Yorker schauen fragend, aber von uns werden sie da keine weiteren Informationen bekommen. Sollen sie doch von selbst darauf kommen, wer noch weiter oben in der Hackordnung stehen könnte, dass selbst eine Vampirkönigin und ein erfahrener Magier zu Sekundärzielen werden.
    Zum Glück betreten nun zwei Vampirinnen den großen Hof. Zwillinge, ganz offensichtlich. Sie hübsch zu nennen, wäre richtig und falsch zugleich. Es ist eine Schönheit, die wie gemeißelt wirkt. Neben den Beiden wirken die Botox-Beauties der Klatschpresse, wie oskarverdächtige Mimenwunder. Die Eine hat ihr Haar schwarz gefärbt und einen weißen Bodysuit an und hält locker zwei gezackte Kurzschwerter in den Händen. Die Andere hat ihr Haar so platinblond gefärbt, dass es fast gläsern wirkt und trägt einen schwarzen Bodysuit. Sie ist mit zwei Stäben bewaffnet, die im Dunkeln immer wieder ganz schwach blaue Blitze von sich geben.
    »Wenn das mal kein Ablenkungsmanöver ist?« Duke ist natürlich ein erfahrener Soldat, aber wir sind alles Krieger und natürlich dachten wir dasselbe.
    »Der Arkanist mit der elektromagnetischen Welle. Im Gebäude. Er braucht ja nur Sichtlinie.«, stellt Dan fest. Aha, das war das also. Wieder etwas gelernt.
    »Um den kümmern wir uns, ihr zwei müsst die Blutzwillinge übernehmen. Bekommt ihr das hin?«
    Duke knurrt empört auf Angels Frage, hörbar in seiner Ehre gekränkt, und zückt zu seinem Ka-Bar noch einen guten altmodischen Polizeischlagstock. Ich habe meine Krummdolche bereits in den Händen. Wir schauen uns an und wortlos nicken wir uns zu. Ich halte mich rechts, die Schwarzhaarige mit den Schwertern scheint zu mir passen. Duke lockert seine Schultern, während er die linke Seite abdeckt und die Platinblonde ins Visier nimmt.

    »Wir beide werden nun durch die Schatten reisen, Magier. Vertraust Du mir?«
    Dan will ihr gerade antworten, als beide auch schon von einem Schatten verschluckt werden.

    »Ich bin Kali, die Vernichterin des Lebens. Wer wagt es, sich mir entgegenzustellen?«
    Ich verdrehe die Augen. Wie pathetisch.
    »Und ich bin Duke vom Clan des Kupferpelz. Können wir uns das alberne Geschwätz sparen und gleich zur Sache kommen?«
    Mein leises Lachen erzürnt offenbar meine direkte Gegnerin. Sie schüttelt wütend ihr schwarzes Haar und geht fauchend in Angriffsstellung. Oha, wir beide stellen uns also nicht vor? Irgendwie schade, mir ist gerade ein netter Spruch eingefallen.
    Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Kali auf Duke losgeht. Kacke, ist die schnell. Aber Duke ist nicht nur ein erfahrener Werwolf, er ist ein SWAT, einer von New Yorks Besten, wie es unsre Bürgermeister bei ihren Ansprachen so gerne hervorheben. Allerdings zeigt er nun, dass das in seinem Fall kein leeres Geschwätz ist. Die viel leichtere Vampirin läuft in einen blitzsauberen Konter und prallt von der puren Masse und Kraft ihres Gegners förmlich ab.

    Nun habe ich aber genug mit meiner eigenen Feindin zu tun. Hel, wenn es stimmt, was ich annehme, und auch sie ist irre schnell, welch ein Wunder.
    Bevor ich auch nur richtig reagieren kann, hat sie mir die Jacke aufgeschlitzt, aber meine Weste lässt die Klingenspitze wirkungslos abgleiten.
    »Verdammt,« murre ich, »ich hasse es so, wenn ich den Einsatz verpenne.«
    Hel ist so schnell zurückgesprungen, wie sie angegriffen hat. Sie scheint etwas irritiert, dass ich den ersten Treffer so ungerührt akzeptiere. Instinktiv will ich in meine Jackentasche fassen und meine Ohrstöpsel herausholen, aber der EMP hat wahrscheinlich auch mein I-Pad gegrillt.
    Sie sieht mir wohl an, dass gerade mein Grad des Angepisst-Seins einen neuen Höchststand erreicht.
    »Ist euch verdammten, verblödeten Kack-Ärschen denn gar nichts heilig?« Ich bin ein wenig stolz auf mich, weil es fast so überzeugend klingt, wie bei Dan.
    »Habt Ihr überhaupt eine Ahnung, was für eine Mordsarbeit es ist, eine Playlist zusammenzubasteln, die nahezu für jede Situation passt?«
    Als ich angreife weicht Hel erst einmal drei große Sprünge zurück. Ich muss wohl annähernd so sauer aussehen, wie ich gerade bin. Vielleicht bringen sie auch meine, für sie sicherlich sinnlosen Anklagen aus dem Konzept. Womöglich gewinnt sie gar den Eindruck, dass ich die Lage nicht völlig ernst nehme? Aber da irrt sie sich. Mit meiner gelöschten Playlist spaße ich nicht!

    Die Vampirin runzelt die Stirn und kommt wohl zum Schluss, dass ich geistig nicht ganz auf ihrem Niveau bin. Bei Vampiren ist das allerdings nicht ungewöhnlich und kein Grund nachzulassen. Und sie kennt mich.
    »Ich werde Dich zur Hölle schicken, Du verrücktes Rosenmiststück. Im Höllenfeuer sollst Du brennen!«
    Grüßend hebe ich die Klingen. »Sehr nett aufgesagt, besonders die Anspielung auf Deinen Namen, wirklich nicht übel. Kein Klassiker, aber gar nicht schlecht. Das mit dem Feuer ist übrigens eine prima Idee, danke dafür!«
    Bevor das Ganze noch in einem Tratsch ausartet, immerhin hört Duke das ja auch alles und ich hab einen Ruf zu verteidigen, fange ich an zu singen:
    »Oh, would you like to dance with a fire. You need passion as well as desire.«
    Ich gehe tief in die Hocke und kreisle dreimal um den Abstand zu Hel zu verringern. Erwartungsgemäß wartet sie ab und springt hoch, als ich heran bin, um von oben zuzustoßen.
    Viele denken, dass eine erhöhte Position im Kampf von Vorteil ist. Für eine Schlacht der fünf Heere mag das wohl auch stimmen. In einer Messerstecherei jedoch …
    »Remind that flesh is on to burn.«
    Kreiselbewegung umkehren, mit dem linken Dolch das rechte Schwert abwehren, mit dem rechten den Oberschenkel des Gegners anritzen.
    Kaum ist Hel auf dem Boden gelandet, als sie auch schon wieder wegspringt. Sie ist wirklich, wirklich schnell, vielleicht schneller als ich es je war. Aber ich bin nicht neidisch. Denn sie zieht ihr Bein schon nach. Meine Klinge ist alles andere als normal und für die schnelle Regeneration, egal ob Vampire oder Werwölfe, echt abträglich.
    »Keep your mind and welcome the turn.«
    Ich richte mich auf und weiche ebenfalls zwei Schritt zurück, bis die Entfernung passt. Dann mache ich auf Bruce Lee und winke ihr, mich doch anzugreifen.
    Misstrauisch hält sie sich zurück. Klar, sie gehört zur Elite, auch wenn sie sich wohl gerne reden hört.
    »Du bist ja doch besser, als zunächst gedacht.«
    Ein Lob aus Feindesmund tut selten Gutes Kund. Keine Ahnung warum mir die Redewendung in den Sinn kommt, warum zum Teufel sie wie das mystische Gebrabbel von Imhotep aus Die Mumie klingt und vor allem, warum ich sie so locker übersetzen kann. Aber ich werfe mich instinktiv zur Seite.
    Das eine Schwert zischt so schnell durch die Luft, wo eben noch mein Kopf war, dass ich nur den Luftzug spüre, es aber nicht einmal sehen kann. Wow. Krass!
    »If you are a man, who is out for a wife.«
    Ich suche nach dem Schwert, um Hel den Weg dorthin zu verstellen, doch schon höre ich ihre Schritte.
    »Better take all your mood and don‘t waste your life.«
    Während ich hochkomme, höre ich ein Schaben über das Kies und sehe mit großen Augen, wie Hels Schwert ihr wieder in die Hand fliegt, kaum langsamer, als sie es geworfen hat.«
    Kacke, wie cool ist das denn? Ein Thors Hammer-Schwert?
    »Go right to her and be the man.«

    Ich blinzle und tauche hinter Hel auf.
    »Take her heart before another can.«
    Mit aller Kraft ramme ich der Vampirin meinen Dolch zwischen die Schulterblätter. Besser gesagt, das ist der Plan.
    Sie taucht bereits ab, und nur der Umstand, dass meine Klinge gebogen ist, verhindert, dass sie völlig fehlgeht. Ich erwische ihren Nacken und die Spitze schlitzt ihre rechte Schulter bis zum Knochen auf, aber dafür muss ich ebenfalls einen Preis bezahlen.
    Hel hat das frisch gefangene Schwert nun mit der Klinge nach unten und sticht sie mir geradewegs unter der Schutzweste in den Unterleib.
    Ich lasse meinen Dolch los und packe den Schwertgriff. Dann blinzle ich wieder. Viel weiter als gedacht, tauche ich wieder auf. Ich halte zwar das Schwert weiterhin fest, aber es ruckt und zuckt, will sich losreißen und verschlimmert meine Wunde dadurch weiterhin.
    Mir wird die Luft knapp vor Schmerz und ich taumle kurz, bis ich den inneren Schalter finde, um ihn abzustellen.
    Dennoch ist mir klar, dass meine Uhr nun tickt. Bauchwunden sind immer übel, und meine Regeneration ist nicht mehr, was sie einst war.
    »Oh, would you like to dance with a fire.«
    Ich packe das Schwertheft noch fester und ziehe die Klinge mit einem schnellen Ruck heraus. Die Waffe ruckt noch einmal, und ich meine einen herrischen, mentalen Befehl zu hören. »Regresa!«
    Mein Spanisch ist zwar eher geeignet um Bier zu bestellen und zu versichern, dass ich nur ganz wenig Spanisch kann, aber meine Phantasie reicht locker aus, um den Befehl zu übersetzen: Komm zurück!
    »You need passion as well as desire.«
    Instinktiv versuche ich es mit einer anderen Taktik. Statt des harschen Tonfalls, verwende ich Respekt, anstatt des Befehls, eine Einladung. »Quédate conmigo, camarada. – Bleib bei mir, Kameradin.«
    Man frage mich nicht warum, aber etwas in mir erinnert sich an ein magisches Schwert: Ein starker Wille, konnte es unterwerfen, es in seinen Dienst zwingen, aber Achtung und Freundschaft konnten es zu Deinem Partner machen. Wenn eines in meinem Wesen jedoch sicher ist, dass es dort nirgendwo Platz für Unterwerfung gibt, nicht für geforderte, schon gar nicht für geleistete.
    Ich fühle, wie mich die magische Waffe sondiert, die Wahrhaftigkeit meiner Absichten prüft … und mit fliegen Fahnen zu mir überläuft.
    »Remind that flesh is on to burn.« Mir geht beinahe Luft aus, und ich stöhne mehr, als dass ich singe.
    »Sorry, Kameradin,« übermittle ich mein Bedauern an die beseelte Klinge. »Kann sein, es wird ein recht kurzes Gastspiel.« Auf einmal geht es ganz leicht, als hätte wäre es nie anders gewesen.
    Das Schwert heult wütend auf. Wütend, weil es an meiner Verletzung Schuld trägt, wütend, weil es um nichts in der Welt zu Hell zurück will. Es signalisiert mir, dass ich loslassen soll.
    Zögern.
    »Keep your mind and welcome the turn.«
    Vertrauen.
    Ich lasse es los.
    Das Schwert zischt davon auf eine triumphierend lachende Hel zu. An ihrer ausgestreckten Hand fährt es vorbei, direkt in ihr Herz.
    Fassungsloses Erstaunen macht Hels Gesicht für einen Moment beinahe menschlich, bevor sie zu Staub zerfällt. Meine Güte, hatte die ihr Verfallsdatum schon überzogen!
    Ich höre noch die Stimme der Waffe in meinem Geist, als meine Beine bereits nachgeben:
    »Tyrfing bin ich. Vom Zorn gezückt, muss ich morden!«

    Das nächste was ich sehe, ist ein eingestürzter Bauhof, eine sehr ramponierte Angel und einen schwer schnaufenden aber regenerierenden Werwolf, der neben mir auf dem Boden liegt. Teile der Umgebung haben offenbar wieder Strom und ich höre überall Sirenen.
    Ich habe eine Hand auf Tyrfing gelegt und fühle, wie ein Strom Lebenskraft in meine Finger geleitet wird.
    »Cooles Teil. Svafrlam scheint Dich echt zu mögen.« Dan deutet auf das Schwert.
    »Sie heißt Tyrfing.« Widerspreche ich, doch der Magier winkt ab.
    »Andere Sage, dasselbe Schwert. Gratuliere, du hast da das Excalibur der nordischen Götterwelt erobert.«
    »Soso? Und woher weißt Du das?« Ich erspare es mir, ihn lange darauf hinzuweisen, dass Tyrfing sich wohl eher eine Ex-Vamprin zugelegt hat, als umgekehrt.
    »Machst Du Witze, es redet wie ein Wasserfall. Hat wohl ein paar tausend Jahre Nachholbedarf. Man muss nur zuhören können.«
    »Na toll, muss ich jedes Mal einen Magier als Übersetzer holen?«
    Angels Lachen unterbricht uns. Sie sieht wirklich mitgenommen aus, wirkt aber irgendwie entspannt, aber nicht auf die raubtierhafte, gefährliche Weise, wie sonst.
    »Du bist eine Arkanistin, Sin. Wer auch immer Dich verwandelt hat, der hat auch das verursacht.«
    »Und warum sollte er mich zum Zauberer machen? Ich wollte das nie.«
    Dan und Angel schauen sich an. Es ist irgendwie seltsam, wie lange sie das tun.
    »Vielleicht hat derjenige einfach nicht ganz genau gewusst, was er tun muss, um aus einem Vampir einen Menschen zu machen und von sich selbst auf fehlende Teile geschlossen?« Irgendwie klingt Dan gerade besonders nachdenklich.
    Ich seufze. Ja, das macht irgendwie Sinn.
    Ganz selbstverständlich strecke ich meine Gedanken aus. Ich bin viel zu müde, um mich nun auch deswegen noch zu wundern.
    »Ella, alles gut bei Euch?«
    »Alles Bestens, Sin. Sir Drago ist inzwischen angekommen. Er meinte, das heute Nacht war nur das Vorspiel.«
    »Ganz toll!«

    Ziemlich fix und alle lege ich meinen Kopf noch einmal zurück. Irgendwer hat mir eine Jacke untergelegt, bemerke ich nicht undankbar. Bevor ich meine Augen schließe, fällt mir ein Detail auf, über das ich aber jetzt wirklich nicht nachdenken will:
    Dans und Angels Fingerspitzen berühren sich und es wirkt viel zu vertraut, um zufällig zu sein.

    »Willkommen auf der Kreuzung.« Mein Ton ist ein wenig sarkastisch, denn was ich sonst als beschaulichen Rückzugsort empfinde, ist gerade das reinste Tollhaus.
    Irgendwer aus der Nachbarschaft muss wegen der Kleinigkeit einer zersplitterten raumhohen Scheibe, sofort an die Jungs und Mädels und Blau gedacht haben. Da einer der Besitzer unsrer kleinen Villa ein Multimilliardär ist, mit Verträgen bei der NASA, USAF, DEA und was weiß ich noch welchen Buchstabenkombinationen, wäre es ja ein Skandal gewesen, wenn nicht innerhalb von neun Minuten ein Vollaufgebot von vier Streifenwagen samt SWAT-Einheit vor Ort gewesen wäre.
    Nicht, dass Samuel Ghost sich je beschwert hätte. Vermutlich hätte der dem NYPD extra Spenden zukommen lassen, wenn sie sein Haus in Ruhe lassen und seinen gepflegten Garten nicht so gnadenlos zertrampeln würden. Ein Problem, mit welchem ein Magier, der unter König Salomon sein Diplom bekommen hat – ja genau, DER König Salomon – überfordert ist, die Polizei aber die beste Lösung ist, das kann vermutlich nicht einmal er herbeizaubern.

    Wir treten an das obligatorische gelbe Absperrband heran.
    »Kein Durchgang, das ist ein Tatort!« Der junge Officer tritt uns freundlich aber bestimmt entgegen.
    Ich erschrecke etwas. Ella wird doch nichts passiert sein?
    »Das wird er sicher sein, wenn Du mich nicht sofort rein lässt!« Das kommt vielleicht etwas aggressiver rüber, als beabsichtigt, aber an der rapide abnehmender Gesichtsfarbe des Polizisten sehe ich, dass die Botschaft angekommen ist.
    Ein sanftes, beruhigendes Lächeln, streift mein Bewusstsein und ich entspanne mich sofort. Ella geht es gut.
    Der junge Officer greift unsicher zu seinem Funkgerät, doch da ist schon Dan heran.
    »Verzeihen Sie den barschen Ton meiner Partnerin. Aber sie wohnt hier und macht sich verständlicherweise Sorgen um das Wohlergehen der anderen Bewohner.«
    Ein wenig beruhigt, gewinnt der junge Mann wieder an Sicherheit. Als er Dan sieht fällt sein Blick auf etwas, was ich nicht sehen kann und er wird beinahe locker. »Na, wenn das so ist. Der Leutenant will sicher mit Ihnen sprechen.«
    Er betrachtet uns, wie wir ziemlich angekokelt, nicht gerade die beste Figur machen. Wenn er eine gute Nase hat, kann er sogar noch den Geruch von frisch verbranntem Fleisch riechen. Aber dann erinnert er sich rechtzeitig, zu welchem Haus wir gehören. Solchen Schwerreichen stellen einfache Bullen keine Fragen, denn für den Ärger ist ihre Soldstufe zu niedrig.
    Er winkt uns also durch.
    »Komisch, er hat Dir einfach so geglaubt. Wollte nicht einmal unsre Ausweise sehen?«
    Dan lacht leise: »Hättest Du denn Deinen dabei gehabt?«
    » …, nein, natürlich nicht.«
    »Eben.«
    »Kumpel, das macht die Sache eher schlimmer als besser!«
    Er tippt auf eine kleine Gürteltasche für ein Taschenmesser oder einen Leatherman, wie sie tausende tragen. »Kann sein, das Ding wirkt manchmal wie ein Dienstausweis, wenn man ihn unbedingt dort sehen will.«
    Ich sehe die letzte Reste eines blauen Scheins verblassen und schüttle deprimiert den Kopf.
    »Magier müsste man sein.«
    Erstaunt bleibt er stehen. »Du bist doch Magier?«
    Ich lache. »Das wüsste ich aber.«
    »Ohne Scheiß, Du bist ein verfluchter Arkanist und noch ein paar Sachen mehr, die ich beim Willen nicht erkenne. Aber du produzierst genug Arkana, um mehr als nur einen Trick pro Tag raushauen zu können. Scheiße, jetzt wo genau hinsehe, rein vom Potential müssten sich diverse Zaubererärsche, die sich ziemlich wichtig nehmen, sogar vor Dir einscheißen!«
    Ich schmunzle. Auch wenn ich diese deftige Ausdrucksweise eher nicht bevorzuge, zu Shepherd passt sie einfach. »Du auch?«
    »Was, ich auch?«
    »Na, einscheißen?«
    »Verdammt, Captain, wenn ich auf der Gegenseite wäre, da kannst Du aber deinen bleichen Arsch drauf verwetten, dass ich das würde. Keine zehn verkackten Gäule würden mich dazu bringen, mich freiwillig mit Dir anzulegen.«
    Ich grinse und überlege mir, ob ich das Kompliment nicht zurückgeben soll. Aber seine Reflexe sind nicht die besten, im Nahkampf ist er vermutlich eine Niete. Ja, besser ist das, wenn er sich nicht mit Leuten wie mir anlegt. Aber dafür hat er ja mich. Allerdings wette ich ohne zu zögern jeden Betrag, dass Dan mit einer „verbesserten“ Knarre, nicht nur Angel voll erwischt, sondern auch mich und Ella gleich mit über den Jordan geschickt hätte.
    »Keine Gegenseiten, wenn es sich vermeiden lässt.«, stelle ich daher fest.
    »Worauf Du einen lassen kannst, Captain.«

    Als wir zur Tür kommen, geht die bereits auf und Ella fliegt mir in die Arme. »Oh, Sin! Es war ja so schrecklich!« Sie birgt ihren Kopf an meiner Schulter und der Detective, der neben ihr zur Haustür kommt, muss das Zittern wohl für Schluchzten halten. Ich hingegen weiß, dass Ella alle Mühe hat, nicht laut loszulachen bei ihrem bühnenreifen Auftritt.
    »Alles wird wieder gut …«, zugegeben, ich bin etwas lahm und im Moment ist es mir auch überhaupt nicht nach einem Narrenstück.
    »Guten Abend, Miss Alabastra. Ich bin Leutenant Filmore vom Dreiundzwanzigsten. Vielleicht können Sie ja etwas Licht in diese Angelegenheit bringen?«
    Gerade will ich antworten, als mein neues Handy und das Baugleiche von Dan, anfangen zu brummen. Wir haben es natürlich beide auf stumm geschaltet. Immerhin sind wir Profis.
    Und das beweisen wir auch sofort allen Anwesenden.
    »Deckung!«, rufen wir zeitgleich. Ich werfe mich mit Ella hinter die kleine Ziermauer nahe den Mülltonnen, Dan packt den Leutenant am Kragen und wirft ihn mit einem gekonnten Hebelwurf ebenfalls zu Boden. Soweit meine Theorie zur Nahkampfniete.
    Beide Schüsse pfeifen über uns hinweg und reißen faustgroße Löcher in die Eingangstür.
    Automatisch registriere ich, dass der Knall leicht nach dem Einschlag eintrifft.
    »Kacke, jetzt haben sie Explosivmunition geladen.«
    »Daher auch keine Schalldämpfer.«, stimmt er mir zu.
    Die umstehenden Polizisten reagieren nun auch und gehen in Deckung. Nur die Jungs vom SWAT erwidern bereits das Feuer. Die habe ich ja fast vergessen. Gute Männer!
    »Unten bleiben, Süße.« Ich kann einfach nicht anders. Sie verdreht die Augen. Als ob ich das extra sagen müsste!
    Filmore schiebt Dan zur Seite und zückt seine Waffe, bleibt aber klugerweise auch so tief am Boden wie möglich. »Wer zur Hölle ballert herum, wenn SWAT vor der Tür steht?«
    Ich nicke ihm zu. Eine Reaktion wie Valium, aber er stellt die richtigen Fragen.
    »Habe da so eine Idee. Ich gehe mal nachsehen.«
    Meine Idee bleibt aber vorerst auch eine, denn weitere Schüsse zwingen mich wieder zurück in Deckung.
    »Das sind verdammte Sturmgewehre und einer hat sogar eine SMG dort hinten!«
    Dan zeigt in die Richtung, bevor er sich auch wieder flach auf den Boden wirft. Besagtes schweres MG nimmt gerade die Polizeifahrzeuge unter Feuer und es sieht nicht so aus, als ob es lange braucht um diese völlig zu zerlegen. Selbst die SWAT-Jungs verschanzen sich nun hinter allem, was sich gerade auftreiben lässt.
    »Scheiße, Captain, ich bin echt unterbezahlt!«
    »Captain?« Leutenant Filmore schaut fragend und Shepherd grinst grimmig. »Später. Boss, wenn wir hier bleiben, erwischen die uns über kurz oder lang. Oder bringen einen Raketenwerfer in Stellung.«
    Nun reißt sogar Ella die Augen auf. »Die werden doch nicht ernsthaft mit Raketen schießen?«
    Dan lächelt ihr zu, aber es ist eher grimmig als beruhigend. »Vertrau mir, junge Frau. Ich war schon in ein paar Kriegen mehr, als mir lieb ist. Wenn die Leute vollautomatische Scheiße am Start haben, dann haben die auch irgendwo verfluchte Granaten und verdammte Raketenwerfer.«
    Schlagartig legt sich Dunkelheit über das Viertel. Alle Lichter gehen auf einmal aus, Häuser, Fahrzeuge, Straßenlaternen.
    »WTF …« Filmore spricht mir aus dem Herzen.
    »Meine Waffe klemmt … ,meine auch. Meine Taschenlampe geht auch nicht …«
    Ratlose Rufe kommen von überallher aus der mondlosen Dunkelheit.
    »Zauberei …«
    »Bullenscheiße, und keine Kleine!«
    Ella und Dan sind sich einig.
    »Magie? Nun übertreiben Sie es mal nicht, Miss McElroy«, will Leutenant Filmore beschwichtigen, bekommt aber große Augen, als Ella ihre Hand auf den Boden legt, ein paar Worte spricht und sich von ihr aus ganz schwach leuchtende Linien ausbreiten, sodass man wenigstens den Weg und die größten Hindernisse in der Nähe erahnen kann.

    »Kannst Du einen Schild vor dem Haus errichten?«
    Ella nickt mir zu. »Ich weiß aber nicht wie lange ich so einen großen aufrechterhalten kann. Aber für ein paar Minuten sollte es gehen.«
    »Schild, welcher Schild?« Filmore zweifelt offensichtlich entweder an seinem eigenen, unserem oder unser allem Verstand. Vermutlich letzteres.
    »Das ist jetzt völlig irrelevant, Leutenant. Rufen Sie Ihre Leute, die sollen sich im Haus verschanzen!«
    Als der Detective meiner Aufforderung nicht nachkommt, schiebe ich eine Doppelportion Suggestion hinterher. Vielleicht muss er später zum Psychiater, aber auf seine engstirnige Weltsicht kann ich beim besten Willen keine Rücksicht nehmen.
    Ella springt auf und ich unterdrücke alle Reflexe sie wieder zu Boden zu reißen. Mit ausgebreiteten Armen steht sie da und bewirkt, dass aus der Dunkelheit ankommende Geschosse abdrehen, ohne uns zu schaden.
    »Alle ins Haus!«., ruft Filmore. »Verfluchte Scheiße, Bewegung! Alle Mann rein ins Haus!«, unterstützt ihn mein Partner, der die ersten Polizisten aus ihrer Deckung zieht und sie zum Haus stößt.
    Ich blinzle und tauche neben dem Anführer des SWATS auf. Er schrickt nur unmerklich zusammen. Ich wittere den Wolfsgeruch aus seinem geschlossen Helm heraus. Ah, darum!
    »Der Boss hat uns gesagt wir sollen uns bereithalten. Sorry, hat etwas gedauert.« Kopfschüttelnd winke ich ab. Ich hatte ja keine Ahnung, dass die Werwölfe im SWAT drinstecken, andererseits, der perfekte Job für sie. Sie können jagen, im Team arbeiten und ganz nebenbei ihr Revier schützen.
    »Geht auch ins Haus. Das ist weitaus sicherer, als es aussieht. Welcher Arkanist hier auch immer am Werk ist, wenn er die Schwelle zum Grundstück übertreten will, dann macht Ella ihn fertig.«
    Als er fragend schaut, zucke ich die Schultern. »Hausrecht oder etwas in der Art, frag mich doch nicht.«
    »Und Du? Du wirst Dich nicht verstecken, oder?«
    Ich grinse breit.
    »Verdammt, Leeland wird mich kreuzigen, wenn ich Dich alleine losziehen lasse.«
    Oh, er nennt den Boss der Werwölfe sogar beim Vornamen? Eine große Nummer also.
    »Ok, wie heißt Du?«
    »John Watts. Meine Freunde nennen mich Duke. Elias ist mein Großvater.«
    »Verstehe. Gut, halte Dich bereit, aber Deine Jungs verziehen sich in Sicherheit. Gleich geht’s los.«
    »Wir zwei alleine?« da bekommt sogar der große böse Wolf Bedenken.
    »Nicht alleine, zu dritt.« Es ist Dan, der neben uns auftaucht. »Alle drin, deine Ella auch. Musste sie etwas anstupsen. Das sture Mädel wollte glatt mit auf die Jagd.«
    Ich grinse stolz.
    »Zu viert.« Nicht nur Duke bekommt große Augen, als Angel aus einem Schatten tritt, den sie eigentlich gar nicht ungesehen hätte betreten können.
    »Hey, Captain. Hast Du noch mehr Supermodels in Deinem Haus, und kann ich vielleicht bei Euch einziehen?«
    Angels Blick hätte jeden anderen zusammenschrumpfen lassen, Dan grinst nur begeistert zurück.
    Sie verengt die Augen noch etwas mehr und wendet sich dann leise an mich. »Shao und ihre Leute sind bereits unterwegs. Sie kommen von Westen.«
    Ich nicke. Das habe ich selbst schon vermutet.
    »Gandpa hat schon vorher den Boss verständigt. Habe aber keine Ahnung, wie viele er auf die Schnelle zusammentrommeln kann.« Mit einem Blick auf die Vampirkönigin fühlt Duke sich verpflichtet hinzuzufügen: »Die Meisten von uns haben normale Jobs und Familie.«
    Angel ignoriert die Rechtfertigung nonchalant und macht gleich noch einmal ein paar Punkte indem sie dem Wolfling zunickt: »Wir vier sind schon mehr, als der Feind verkraftet. Was stehen wir also hier noch herum?«
    Ganz Anführerin, die sie nun mal ist, geht sie voran. Die bewundernden Blicke von Duke und Dan – die von Dan hauptsächlich im Bereich ihres Hinterns - nimmt sie als völlig natürlich hin.
    Ich mache grinsend das Schlusslicht.

    Ein Anruf bei Elias informiert mich, dass es zwei Attentäter sind, zwei Vampire sogar. Sie versuchen ihn abzuschütteln, indem sie Stinkbomben und sogar eine falsche Fährte legen, aber man hat nicht irgendwen als Wachposten hier eingesetzt. Elias Watts ist schon seit beinahe 300 Jahren ein Wer und nur deshalb nicht Leiter seines eigenen Rudels, weil er einfach mehr der Teamplayer ist, als der Cheftyp. Wenn man ehrlich ist, sind solche Leute das Rückgrat jeder größeren Organisation, nicht die Bosse. Als Fährtensucher ist er sogar mir ein Begriff.
    Er hat die Anweisung mit mir zu kooperieren, sollte so ein Fall eintreten, ich denke aber, das hätte er auch so gemacht. Intelligente Leute neigen dazu, mir nicht unnötig im Weg zu stehen.
    »Ich habe so etwas noch nie erlebt. Die beiden arbeiten so gut zusammen, als wären sie geistig verbunden. Beinahe hätte ich sie gehabt, sie wenigstens gesehen, aber dann hat mich der Eine, der weiter weg war, genau in der Sekunde mit einem Sprengsatz abgelenkt, als ich den Anderen erwischt hätte. Unheimlich!«
    Ich brumme nachdenklich.
    »Vielleicht sind sie es sogar. So langsam meine ich, ich erkenne ihre Handschrift. Und Du bist Dir sicher, dass sie sich in diese Richtung halten?«
    Er nickt. »Könnte aber eine Finte sein, die Zwei sind raffiniert.«
    »Und genau deswegen, musst Du zurück auf Deinen Posten bei meinem Haus. Ich brauche ein paar erfahrene Augen und Ohren dort.«
    Der alte Werwolf nickt und macht sich ohne weitere Bemerkung auf den Rückweg.
    Das wäre mal ein Partner nach meinen Geschmack, geht es mir durch den Kopf, während ich Shephards Nummer wähle.
    »Hey, Dan. Ich weiß wo die beiden lang sind. Die rechnen aber mit Verfolgern. Zudem bin ich mir fast sicher, dass es sich um Kali und Hel handeln. Schon von den Beiden gehört?«
    Er räuspert sich. Ich höre das schwere Motorengeräusch meiner Harley. An seinem Geschmack für fahrbare Untersätze gibt es jedenfalls nichts auszusetzen.
    »Hätte wohl lieber den Jaguar als Bezahlung nehmen sollen …« Ok, er kennt sie also auch. Sehr gut. »Wo fangen wir sie ab?«
    Für einen Moment zögere ich. Ich kenne New York inzwischen ziemlich gut, aber die Stadt ist etwas zu groß, um zwei gerissene Killer irgendwo punktgenau abzupassen.
    »Du hast keine Idee?« Dans Frage rüttelt ein wenig an meinem Selbstvertrauen, aber ich habe mehr als genug davon um genervt zu stöhnen und es zuzugeben: »Keine echte.«
    »Was hättest Du getan, ich meine zu Deiner aktiven Zeit?«
    »Bei einem Ziel in diesem Umfeld? Nicht danebengeschossen!«
    Er lacht: »Davon abgesehen.«
    »Ich wäre hinter den Nebel gewechselt. Da wäre ich wenigstens vor schnellen Fahrzeugen in Sicherheit und es ist weniger los, also sehe ich die Verfolger schneller.«
    »Da ich sonst gerade keine Elitevampirkiller nach einer Zweitmeinung fragen kann, würde ich mal Deiner Expertise folgen.«
    »Der nächste Übergang ist erst bei Wu’s and Wu in der 67th Straße. Bis wir da sind, haben die uns längst abgehängt. Kacke!«
    »Hm, abwarten, Captain. Bleib wo Du bist, bin gleich bei Dir.«
    Ich schenke mir die Frage, woher er so genau wissen, will wo ich gerade bin, immerhin sitze ich auf einem dreistöckigen Gebäude einer chemischen Reinigung und suche die Umgebung ab. Schon höre ich das tiefe Blubbern der Harley Davidson hinter mir. Auf dem Dach des Gebäudes. Auf das gerade mal eine wacklige Feuertreppe führt!
    Ich runzle die Stirn, als Dan das Motorrad mit sanft blau glühenden Reifen neben mir aufsetzt.
    »Im Ernst, du lässt mein Motorrad fliegen?«
    »Mein Motorrad, Captain.« Er grinst. »Sagte Dir doch, dass ich Dinge verbessern kann.«
    Dazu fällt mir nichts mehr ein. Noch vor fünf Minuten war ich mir sicher, dass Ella mit ihrer Magie Dan haushoch überlegen ist, aber nun schlage ich mir geistig selbst vor die Stirn. Ich lebe einfach schon viel zu lange mit gleich zwei Magiern unter einem Dach und habe daher schon ganz die oberste Wahrheit über Magier verdrängt: Sie sind alle mächtig und im Zweifelsfall alle mächtig gefährlich. Aber so ist das nun mal bei Menschen. Da treffen sie im Leben auf vier Magier und drei davon sind zufällig nett, schon lässt man nach, in seiner Wachsamkeit.
    »Was ist jetzt, steigst Du auf?«
    Zwei Minuten später, selbst mit Highspeed hätte ich zehn gebraucht, setzen wir hinter den Asia-Restaurant auf, was vor und hinter dem Nebel fast gleich aussieht, wohl auch deswegen, weil der Übergang sich dort im Keller befindet.
    Als wir absteigen verblasst das blaue Glühen, was nun fast das ganze Motorrad erfasst hat.
    »Du kennst Dich aber verdammt gut in New York aus, dem Dialekt nach bist Du aber nicht von der Ostküste?«
    »Mittlerer Westen.«, grinst er. Dann deutet er auf das Motorrad. »Aber das Bike kennt sich aus.«
    Ich schaue verblüfft, aber er schüttelt nur den Kopf. »Verbessert.«
    Schulterzuckend nehme ich das hin. Wir haben Wichtigeres zu tun.
    Dan will schon die nächste Tür nehmen, aber ich halte ihn zurück und ziehe ihn hinters Bike und hinter mich. Es ist weniger, dass ich etwas gehört hätte, aber mein Instinkt rät mir dazu.
    Kaum habe ich den Mund geöffnet, um Shepherd zu erklären, warum ich ihn bremse, fliegt uns die Tür mit Kawumm um die Ohren und wir finden uns drei Meter weiter hinten wieder, wo uns eine halbhohe Hofmauer aufhält.

    »Verfluchte Bullenscheiße!«, flucht der Magier und ich sehe, wie er etwas Blut spuckt, während er versucht sich aufzurappeln.
    Zu seinem Glück haben die schwere Harley und ich das Meiste abgefangen. Wie schon zuvor hat meine Weste wirklich viel abgehalten und mein Kopf wurde diesmal verschont. Leichte Prellungen und Brüche heilen nach wie vor sofort und daher stehe ich bereits, als die beiden Vampire durch die Tür kommen, oder vielmehr dem Loch in der Wand, welches die Sprengfalle übrig gelassen hat.

    Es sind zwei Männer und noch ehe sie den Mund aufmachen, schließe ich schon aus, dass es sich hier um die erste Garde handelt. Sie verteilen sich so im Hof, dass sie uns den Zugang zur Tür blockieren. Ziemlich idiotisch. Wir würden sie auf keinen Fall im Rücken haben wollen und sich selbst halten sie so die meisten Fluchtwege verschlossen.
    »Das ist also der gefürchtete Dorn der Rosen. Schnell, ja, aber sonst sind Deine Fähigkeiten ja maßlos übertrieben.«
    Nun bin ich ganz sicher, dass das angeheuerte Hilfskräfte sind. Kein Profi vergeudet wertvolle Zeit mit Gelaber, während sein Gegner sich gerade neu sortiert.
    Also spiele ich mit. Ich stöhne und halte mir die Seite, als hätte ich dort einiges abbekommen. Hilfe bekomme ich von Dan, der ebenfalls hustet, was in meinen Ohren aber viel zu überzeugend klingt.
    »Wer seid Ihr. Wo sind Kali und Hel?« Ich versuche meiner Stimme mit heiserem Rasseln noch etwas mehr Armseligkeit zu verleihen.
    Die beiden lachen und zeigen offen ihre Fangzähne. Ich mustere sie dabei eingehender. Nein, keine Vampire aus der Gegend. Die Handvoll Nichtasiaten kenne ich, und die Vampdrakes, der derzeit dominierende Clan, sind vielleicht nicht meine Busenfreunde, aber so etwas wie vorsichtig geachtete Nachbarn. Keinesfalls würden die sich von auswärtigen Vampiren anheuern lassen.
    »Ihr habt Euch wie Narren verleiten lassen. Sie sind zurück um die Rosenschlampe endgültig zu erledigen.«
    Seltsamerweise mache ich mir keine Sorgen. Ella ist auf der Hut, Angel wahrscheinlich stinksauer und die Werwölfe inzwischen sicher informiert. Wenn Shao Sato ihre Vampdrakes immer noch so straff führt, wie die letzten Jahre, sind sie auch schon längst auf dem Kriegspfad. Fremde Vampire in der Stadt, die uneingeladen auch noch Krieg gegen Verbündete führen, das kann kein Vampir auf sich sitzen lassen. Nicht, wenn man derart territorial eingestellt ist. Ich muss es wissen, ich war lange genug so. Kacke, ich bin eigentlich immer noch so. Schlechte Angewohnheiten und so.
    Entspannt verschränke ich meine Arme. Die beiden Typen fahren alarmiert ihre Klauen aus. Wenigstens sind ihre Instinkte intakt, wenn schon sie schon in ihrem Kopf hauptsächlich Matsch mit sich herumschleppen.
    Da höre ich Dan neben mir leise lachen. »Oh, Mann, seid ihr zwei dämlichen Wichser bescheuert.«
    Sie fauchen wütend, aber völlig verunsichert zögern sie mit einem Angriff.
    »Ihr seid verfluchtes Kanonenfutter. Entbehrlich, wie man so sagt. Was denkt Ihr eigentlich, wie das hier ausgeht? Nein, sagt nichts. Was dagegen, wenn ich mir eine Zigarette anstecke, während ich Euch Hirnärsche ins Bild setze?«
    Er zückt eine Schachtel aus der Brusttasche und schüttelt einen Glimmstängel heraus. Mit entsetztem Unglauben sehe ich, wie er mir ebenfalls eine anbietet und die beiden Vampire es einfach so geschehen lassen. Das sanfte Leuchten, welches die Schachtel umgibt, fällt mir nur auf, weil ich in die hohle Hand des Magiers sehen kann, der sie hält. Automatisch schüttle ich den Kopf.
    »Danke, ich rauche nicht.«

    Wie hypnotisiert folgen die Augen der Vampire der Spitze der Zigarette, selbst als Dan diese, ohne die Hilfe einer Hand, von einem Mundwinkel zum anderen wandern lässt. Ich kann gar nicht anders, als mental Beifall zu klatschen. Selbst der gute Clint hätte das zu seinen besten Zeiten nicht besser hinbekommen.
    »Seht mal, ihr Volltrottel. Ihr kommt hier nicht wieder weg. Hättet Ihr Euch informiert, wie echte Profis, dann wüsstet Ihr, dass in New York eine ganz andere Dynamik herrscht, als in anderen Großstädten. Selbst wenn die New Yorker Schatten unter sich ihre Kleinkriege führen, aber es gibt gewisse Dinge, die man einfach nicht ungestraft macht, niemand, und schon gar keine Fremden!«
    Ich kann nur den Kopf schütteln, als die beiden auch noch zusehen, wie Dan seelenruhig sein Feuerzeug zückt.
    »Noch irgendwelche Fragen?«
    Die beiden Vampire starren mit einer Mischung aus Wut, Unglauben und Ratlosigkeit in unsre Richtung, aber mir ist klar, dass eigentlich mir die Frage gilt.
    »Jede Menge«, antworte ich ehrlich. »Aber die können bis später warten.«
    »Gut, ich habe noch eine Bitte.«

    Die Vampire scheinen aus ihrer seltsamen Starre zu erwachen und so langsam wieder zu begreifen, dass sie eigentlich jene sein sollten, die das Geschehen diktieren.
    »Ja?«
    »Gib mir gleich einen guten Schluck aus dem Flachmann in meiner Jackentasche. Ich werde ihn brauchen.«
    Dann sind die beiden heran. Längst habe ich meine Dolche in der Hand, aber eine Ahnung lässt mich zur Seite ausweichen. Da höre ich das Feuerzeug.
    Die Flamme, die weit eher aus einem Flammenwerfer, als von einem Feuerzeug stammen muss, erfasst die beiden Amateurattentäter und lässt in weniger als drei Sekunden nur noch zwei verkohlte Haufen übrig, die vage an nach hinten gefallene, humanoide Körper erinnern. Selbst ich habe ein paar angesengte Haare, doch die sind mir egal.
    Mein Partner verdreht nämlich gerade die Augen und rutscht bewusstlos zur Seite. Das entschwindende plasmablaue Aufleuchten des Feuerzeugs überrascht mich schon gar nicht mehr.
    So langsam steige ich hinter das System und taste bereits nach dem erwähnten Flachmann, dessen blaues Glühen mir die Suche erleichtert.

    Obwohl ich wie von einer Kanone abgeschossen unterwegs bin, fühle ich, wie etwas glühend heiß über meinen Kopf hinweg schrammt. Daher bin ich nicht unglücklich, als ich erst in der schmalen Gasse zwischen dem Haus und den Garagen des Grundstücks gegenüber zum Halten komme.
    Ich versuche mich einen Moment krampfhaft zu erinnern, wie die Namen unserer Nachbarn hier lauten. Ella weiß so was, aber ich? Ich kenne Julie Baron die Straße runter, weil ich sie morgens beim Joggen treffe und Dan Dudley, weil er mir immer wieder ein Bier anbietet, wenn ich frühmorgens von meinen Nachtschichten heimkomme. Keine Ahnung, was er so früh immer mit einem Bier auf der Bank vor seinem Haus macht, habe die zweimal, wo ich es angenommen habe, nicht gefragt. Geht mich schließlich auch nichts an. Und das war es schon. Den Rest der Bewohner kenne ich vom Sehen oder vom Hören. Oder riechen.
    Irgendwo lebt ein Ehepaar, was oft streitet. Früher kam es danach immer mal wieder zu Versöhnungssex, inzwischen weniger. In einer der Wohnungen der Mehrfamilienhäuser hat eine Frau ein privates Asyl für Kleintiere. Es ist Illegal und sie lebt in ständiger Angst vorm Vermieter. Dann gibt es eine Waschbärenfamilie, die sich irgendwo hier eingenistet hat und immer wieder bekomme ich den Geruch eines erfahrenen Werwolfs in die Nase, kein Alpha, aber wenigstens ein Beta-Mann. In einem der Häuser rechts von mir lebt ein Leichenbestatter, ich kann die Balsamierungflüssigkeit an seiner Arbeitskleidung riechen, wenn er sie über Nacht raushängt. Irgendwo in der Seitenstraße muss ein Autobastler wohnen, weil ich ihn oft bis spät in die Nacht herum schrauben höre und in derselben Richtung gibt es einen Polizisten des NYPD. Habe mehrfach gesehen, wie ein Streifenwagen dort mit einer Person hin und mit zwei Personen wieder weggefahren ist, ungefähr zu der Zeit, zu der eine Schicht beginnt.
    Wie man also sieht, ich kenne meine Nachbarn, habe nur keine Namen. Schlimm genug, was man alles mitbekommt, wenn man sensible Sinne hat. Nicht auszudenken, was ich alles erfahre, wenn ich auch noch mit ihnen aktiven Kontakt habe.
    Ich halte inne und horche. Die ganz normalen abendlichen Geräusche. Angel kam recht früh zu Besuch, für ihre Verhältnisse. Sie scheint keine Probleme damit, wobei mir gerade auffällt, dass ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht habe. Erstaunlich, wie wenig ich über sie weiß, oder habe ich schon so viel vergessen?
    Da. Es wird ganz leise eine Tür geöffnet. Wer sollte schon so leise sein? Die Schüsse waren schallgedämpft, hat also niemand gehört. Dann schon eher das gesplitterte Fenster. Das zweimal gesplitterte Fenster! Und richtig, mehrere Fenster werden nun aufgemacht, fragendes Gemurmel kommt aus allen Richtungen.
    Kacke. In dem aufkommenden Geräuschpegel entwischen mir die Schützen vielleicht sogar. Außerdem beginnt mein Schädel zu brummen. Vielleicht sollte ich mich hinsetzen, nur ganz kurz. Nur einen kleinen Moment.
    Ich taste nach meinem Kopf. Mist, ich blute doch mehr, als gedacht. Ganz kurz schließe ich die Augen, um meine Lage zu überdenken.
    Als ich sie wieder öffne, beugt sich jemand zu mir hinab und drückt meine Hand mit einem Tuch gegen meinen Kopf. »Gleich geht’s wieder, Frau Nachbarin.«
    Der Brummschädel ist zu einem Rauschschädel abgeklungen und auch das Rauschen wird immer weniger. »Hey, Dan. Was zur Hölle machst Du hier? Du musst hier weg. Hier rennen echt üble Typen rum.«
    Er lacht kurz. »Hier trink mal einen Schluck. Und keine Sorge. Elias hat bereits die Fährte. Aus irgend einem Grund sind sie zu Fuß geflüchtet.«
    Automatisch nehme ich die Dose, erwarte Bier, aber da ist etwas drin, was ich nicht identifizieren kann. Es ist mir aber egal, es schmeckt erfrischend und meine Kehle ist ausgedörrt. Schon nach wenigen Schlucken geht es mir besser.
    »Langsam. Das Zeug wirkt bei jedem unterschiedlich. Nicht, dass Du high davon wirst.«
    Tatsächlich fühle ich einen leichten Anflug davon, aber der Kopf ist erst einmal wieder klar. Damit es so bleibt, setze ich ab. Dann holt mich mein gesundes Misstrauen endlich ein und ich mustere die Dose. Da steht eindeutig eine Biermarke drauf.
    Dan setzt sich neben mich auf die Treppe. »Bullenscheiße, die haben uns genau im Wachwechsel erwischt, diese elenden Arschgesichter!«
    Ja, so kenne ich Dan. Ich grinse. Nie um einen unflätigen Ausdruck verlegen.
    »Wachwechsel?«, frage ich daher.
    Erstaunt schaut er mich an und zuckt die Schultern. »Ich dachte, Du weißt ohnehin Bescheid? Na, wenn die Katze nun aus dem Sack ist, kann ich sie Dir ja auch vorstellen. Er reicht mir die Hand: Daniel Shepherd.« Ich runzle die Stirn, schüttle ihm aber die Hand automatisch. Der Mann ist mir immerhin so sympathisch, dass ich mit ihm Bier getrunken haben. Zweimal. Das kommt derart selten vor, dass ich nicht bereit bin, aus so einer Kleinigkeit, wie etwa einer falschen Identität, jetzt ein großes Drama zu machen.
    »Also Dan stimmt, nur nicht Dudley?«
    Er grinst. »Hatte echt nicht gedacht, dass mir jemand den Dudley abkauft. Aber der Boss bestand auf diesen verdeckten Mist. Habe ihm gesagt, dass ich das für beschissenen Unfug halte, aber er zahlt, was soll man da machen?«
    Ich atme tief durch. Mein Kopf ist zwar wieder klar, aber so ganz auf der Höhe bin ich noch nicht. Als ich das Tuch senke, sehe ich, dass die Blutung aufgehört hat.
    »Was war das für ein Bier?«
    »Eine Art Heiltrank. Ich kann Dinge bis zu einem gewissen Grad verbessern, oder verschlechtern. Meine Art der Magie.«
    Ich betrachte Dan noch einmal. Er ist vielleicht eins achtzig, eins fünfundachtzig, wirkt aber kleiner. Braune Haare, braune Augen, eher Kampftrinker als Kampftaucherfigur. Einer der netten, aber unauffälligen Typen, die man schon vergessen hat, sobald man sich umdreht.
    »Magier also?«
    Er nickt einfach.
    Wir sitzen eine ganze Minute einfach nebeneinander. Er sagt nichts, ich sage nichts. Ich erinnere mich, dass es genau das war, was mir an ihm gefallen hat. Man kann mit ihm prima ein Bierchen trinken und das Leben vorbeitreiben lassen, ohne dass dabei gequatscht wird.
    »Wer ist Elias?«
    »Oh, der? Das ist mein Partner. Naja, eigentlich bin ich sein Boss, so will es unser Boss. Aber ich bin ein beschissener Boss. Und weil ich ja schlecht meinem Boss sagen kann, wohin er sich seine saublöde Idee stecken soll, dass ausgerechnet ich einem Werwolf sagen soll, was er zu tun und zu lassen hat, bleibt das bitte unter uns, klar?«
    Nun nicke ich, verdaue die Infos. »Der Werwolf verflogt also gerade die Attentäter?«
    Nicken.
    »Und ihr zwei wart engagiert um hier Wache zu halten?«
    Erneutes Nicken.
    »Wen bewachen? Ella? Mich?«
    Er schnaubt: »Elias war vor mir hier. Das Rudel hat ihn hier postiert, ihn und seinen Cousin. Seit Du den Frieden vor dem Nebel diktiert hast, war Rotpelz der Meinung, dass man Dein Haus besser im Auge behält, falls ein Depp auf die hirnverseuchte Idee kommt, Dich oder einen Deiner Leute zu belästigen.«
    Ungläubig schaue ich nach rechts. »Ich habe was diktiert?!«
    Er zieht langsam beide Schultern hoch. »Du hast den Frieden zwischen Wölfen und Saugern angeleiert, oder?«
    »Ja, ich habe die Parteien zusammengebracht, aber diktiert habe ich gar nichts.«
    Er grunzt, was auch eine Art unterdrücktes Lachen sein kann. »Du hast ihnen gesagt, dass New York vor dem Nebel nun unter Deinem Schutz steht, und Du jeder Seite, die genug Ärger macht, dass er Dir vor die Füße fällt, höchstpersönlich besuchen wirst.«
    »Na und?«
    Er schaut nun mich an, zieht beide Augenbrauen hoch. »Du wohnst hier mit zwei Magiern. Und falls sie vor denen nicht die schon Buchsen voll haben, dann ist da noch der goldene Greif. Und am Ende warst Du es, die einen verdammten scheißalten Nekromanten und nebenbei den Chef der Vampirmafia umgelegt hast. Alles in einer verfluchten Nacht! Die wären doch bekloppt, wenn sie es darauf ankommen lassen, dass Du sie angepisst besuchst, weil sie ihre Stadt nicht im so im Griff haben, wie sie es ohnehin sollten.«
    »Also wenn wir ehrlich sind, haben die Magier den Nekro erledigt. Und ohne den Greifen und einen anderen Kumpel, wäre ich nicht so leicht an Maricano herangekommen.«
    »Womit Du also sagst, dass die Magier, der Greif und sogar noch jemand, der nichts lieber macht, als sich mit einem verschissenen Vampirclan anzulegen, nicht zögern werden, wenn du Sie rufst?«
    Ich hebe die Schultern. Was soll ich auch sagen? Bisher habe ich das so nie gesehen.
    »Na also. Du siehst, die Vamps und die Wers haben ein verfluchtes Vollinteresse daran, dass man Dich in Frieden lässt.«
    »Ok,«, meine ich nach einer Weile, »aber Du kamst erst später dazu?«
    »Ich bin nicht unbedingt günstig, meine Tarife sind nicht für jeden etwas.«
    Ich grinse, wenn ich ihn mir so ansehe. »Und wer hat Dich angestellt?«
    »Irgendwer hat den Kronprinzen des Steinbrenner-Clans gerettet. Und da derjenige nicht einmal VIP-Logen-Tickets haben wollte, sind sie auf mich gekommen.«
    Kopfschüttelnd kann ich nur erwidern: »Du bist quasi ein Präsent?«
    »Yep, nur keine Schleife, dafür mit Bier. Die reichen Herrschaften stehen wohl nicht gerne in Deiner Schuld.«
    »Und jetzt?«
    »Hm, habe vermutlich Deinen hübschen bleichen Arsch gerettet. Nehme an, die hätten Dich mit Freuden noch abserviert, als Du Dein kleines Nickerchen gemacht hast. Denke also, die Steinbrenner sind mit Dir quitt. Mein Job ist beendet.«
    Ich erhebe mich, und siehe da, es geht ohne, dass die Welt mit mir Karussell fährt.
    »Dann sollte ich mal Elias hinterher. Eine Idee, wie ich ihn finde?«
    Er wirft mir wortlos ein Prepaid-Handy zu. Ich öffne die Liste und sehe genau zwei Nummern.
    »Die Obere.«
    Dankend nicke ich. »Und die Untere?«
    »Ist meine.«
    »Du bist vorbereitet.«
    »Logo, bin Profi.«
    Schon will ich anrufen, als mir eine Idee kommt. »Du bist Doch jetzt im Moment frei, richtig?«
    Er nickt.
    »Ich könnte Rückendeckung brauchen. Wie hoch sind denn Deine Gebühren?«
    Er grinst: »Nehme an, Du sprintest jetzt gleich los, wie vom verdammten wilden Mongo gebissen?«
    Nun nicke ich grinsend. Darauf kann er aber einen lassen.
    »Bin nicht ganz so gut zu Fuß. Gib mir einfach genug Geld fürs Taxi und genug Trinkgeld. Werde den Fahrer vielleicht ganz minimal die Geschwindigkeit übertreten lassen müssen.«
    Automatisch greife ich dorthin, wo ich normalerweise meine Geldbörse habe, aber die liegt ja noch im Haus. Ich habe nur den Schlüssel für die Garage dabei. Kurzentschlossen werfe ich den ihm zu.
    »Sorry, habe keine Kohle dabei. Aber geh einfach zur Garage und such Dir was aus. Schlüsseltresor ist neben der Tür, Code ist NCC-1701.«
    Er stutzt, schaut auf die Schlüssel. »Enterprise, echt? Du bist ein verdammter Trekkie?«
    »Was dagegen?«
    »Scheiße, nein, Captain. Ich geh dann mal den Delta-Flyer holen!«

    »Und Du hast alle fünf Ninjas gleichzeitig ausgeschaltet?«
    Ellas Augen glänzen begeistert und ich kann sehen, wie sie Angel bereits völlig um den kleinen Finger gewickelt hat. Selbst die Meisterin der Manipulation und in Mysterien verpackten Geheimnisse hat gegen fröhliche Freundlichkeit und gnadenlose Herzlichkeit keine Chance.
    Zuerst hatte ich Befürchtungen die beiden Frauen zusammenzubringen, die mich am besten kennen. Hatte sogar etwas Zickenkrieg befürchtet, können doch beide, die eine mit mehr Recht, als die andere, Ansprüche auf mich erheben. Doch das genaue Gegenteil ist eingetreten und ich kann nicht umhin die beiden so völlig unterschiedlichen Frauen zu beobachten, wie sie beim Mitternachtsdrink sitzen und miteinander schwatzen.
    Und ja, ich meine Schwatzen. Angel schwatzt sonst nie, also zumindest habe ich sie noch nie einfach nur locker ein Gespräch führen sehen, und wir kennen uns immerhin schon ein oder zwei Jahrhunderte, oder etwas länger, wer zählt das schon mit? Ich war sogar überrascht, dass sie meine Einladung für das kommende Wochenende angenommen hat, nachdem wir Hidoshi bei R.E.D. abgeliefert hatten. Als Sir Drago in die Zelle gekommen war, wo der Japaner gerade kunstgerecht zusammengeflickt wurde, war ich schnell verschwunden. Das ist erst einmal eine Sache zwischen den Beiden. Meinen Bericht kann man am Montag lesen, oder Dienstag, vielleicht eher am Mittwoch.
    Hey, ich bin auch verletzt und brauche Erholung. Muss ja keiner wissen, dass Samuel Ghost, unser sehr magischer Mitbewohner und beinahe schon so etwas wie mein persönlichen Hausheiler, mich buchstäblich im Handumdrehen wieder hinbekommen hat.
    »Das war nicht so schwer. Ich bin einfach kurz vor meinem Dorn, verzeih, ich meine, kurz vor Sin, in die Halle. Da ich ja Hidoshi im Auge behalten wollte, und der die Falle vorbereitet hatte, konnte ich auch sofort sehen, wo er seine Verbündeten wähnte.«
    Falls Ella sich an der etwas antiquierten Ausdrucksweise stört, zeigt sie es nicht. Aber ich nehme sogar an, sie findet es »abgefahren«, was übrigens der erste Kommentar war, als sie Angel gesehen hat. Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht, dass das erste Gespräch der beiden über die Schwierigkeit handelt, teure Seidenblusen im Einsatz nicht zu ruinieren.
    »Danach war es nur noch eine Sache von Sekunden in ihre Geister zu einzudringen und ihre Absichten zu erkunden.«
    »Aber sie alle so lautlos auszuschalten war doch sicher nicht so leicht?« Ein wenig verwundert über Ellas Versessenheit auf die blutigen Details, bin ich schon. Aber es ist schließlich Ella, die Frau, die irgendwie immer einen Draht zu den Mächtigen findet. Quasi im Handumdrehen. Sogar schneller, als ich sie mir zu Feinden machen kann, und ich habe darin viel Talent und eine Menge Übung.
    Angel lächelt zögernd, offensichtlich ebenso so erstaunt wie alle anderen vor ihr, dass die junge Magierin offenbar weder Angst vor irgendwelchen Themen und schon gar keine Furcht vor ihrem Gegenüber zu kennen scheint.
    »Ich habe ihnen einfach befohlen zu sterben, während ich ihnen ihren Tod durch meinen Biss versüßt habe. Du würdest Dich wundern, wie viele bereitwillig ihr Leben aufgeben, wenn sie währenddessen die Ekstase eines Blutkuss fühlen.«
    Ich schlucke unwillkürlich, wenn ich mich selbst daran zurückerinnere. Zum Glück habe ich guten Ersatz für dieses Gefühl gefunden. Aber es verlockt mich immer noch, wie der Alkohol einen Süchtigen. Nur gut, dass ich inzwischen die Fähigkeit dazu vollkommen verloren habe. Wenn ich heute jemand beiße, dann um ihm etwas abzubeißen, oder aus deutlich sanfteren Gründen.
    »Du kannst jemand einfach so befehlen zu sterben? Ich wusste nicht, dass so etwas überhaupt möglich ist?«
    Angel mustert mich prüfend, beinahe kann ich sehen, wie ihr Blick versucht meine Gedanken zu erreichen. Dann lacht sie leise, erleichtert, würde ich sogar sagen. »Dir kann das keiner, vorher müsste man Deinen Geist zerbrechen und nehme an, allein bei dem Versuch würden die Allermeisten schon aufgeben und andere Alternativen suchen, Dich zu bezwingen. Dein Geist ist wie eine Inselfestung inmitten einer tosenden See, umgeben von scharfen Klippen.«
    Grinse ich gerade selbstgefällig? Kann schon sein.
    »Und wie ist es bei mir?« Ella schiebt ihren Kopf nach vorne, als ob sie Angel auffordern will, es bei ihr zu versuchen. Doch diese weicht erschrocken zurück. »Nicht einmal, wenn Du es mir gestattest, meine Liebe, würde ich es wagen. Den Verstand eines Magier kontrollieren zu wollen, ist als ob man in einem Hurrikan voller Rasierklingen versuchen würde, eine Nadel auf der Spitze einer anderen zu balancieren.«
    Ich runzle die Stirn ob des seltsamen Vergleichs, aber Ella scheint ihn zu verstehen.
    »Auch Du könntest mit Deinen Suggestionen weit mehr erreichen, Sin.« Angels Blick ist beinahe vorwurfsvoll. »Du hast außerordentliches Talent. Nur Deine Skrupel hielten Dich davon ab, damit wahrscheinlich die tödlichste Assassine überhaupt zu werden.«
    »Habe immer mein Ziel bekommen, oder?«, brumme ich etwas eingeschnappt. »Aber manche Leute können selbst an Perfektion herum meckern, stimmt‘s?«
    Mein Kommentar, eigentlich recht ernst gemeint, wird mit doppeltem Gelächter aufgenommen. Irgendwie bekomme ich das Gefühl, die beiden verschwören sich gerade gegen mich.
    Ich winke ab. »Angel. Als Hidoshi Dich beleidigt hat«, ich habe echt gedacht, sie schlägt ihm dafür die Rübe ab, doch sie hat den Ausdruck Blutsaufende Schlange erstaunlich gelassen hingenommen, »und Du ihm eine gescheuert hast …?«
    »Ja?«
    »Du hast Dir das Blut von der Hand geleckt und dann entsetzt ausgespuckt. Warum?«
    Angel grinst geheimnisvoll. »Du hast wirklich keine Ahnung, wer der Kerl ist, oder? Seit wann überprüfst Du Deine Ziele nicht mehr anständig? Edgerton wäre enttäuscht.«
    Ich schnaube. »Wenn Edge deswegen in Tränen ausbricht, weil seine Schülerin scheinbar nachlässt, dann kann ich damit leben. Aber Hidoshi ist schon von R.E.D. überprüft. Wir nehmen nicht jeden. Und immerhin ist er sogar Sir Dragos Protegé in Japan.«
    »Dann ist es ja gut, dass Edgerton sich im Vorfeld informiert und mich umfassend eingewiesen hat. Und ich bin dankbar deswegen, sonst wären wir wohl in echten Schwierigkeiten.«
    »Sagst Du mir jetzt endlich, was Du weißt, oder spielen wir Scharade und ich muss es erraten?«
    Ella und Angel tauschen wieder diesen Blick, als wüssten sie etwas, was ich nicht weiß. »Nach wie vor die Geduld eines gereizten Tigers?«, kichert Angel.
    Die gereizte Tigerin ist kurz davor aufzustehen und die beiden albernen Gänse alleine sitzen zu lassen. Wobei, ich schmunzle nun ebenfalls, weil ich etwas habe, was wohl sonst keiner auf der Welt hat: Ich habe das Privileg eine Vampirkönigin und eine Magierin in Freundschaft, lachend bei einander sitzend in meiner Küche zu bewirten und darf sie beide als blöde Gänse bezeichnen. Straflos und mit Recht!
    Ich lehne mich entspannt zurück und mein noch breiteres Grinsen lässt die beiden Frauen stutzen.
    Schade, noch breiter kann mein Grinsen nicht werden.
    »Also gut.«, gibt Angel ihre Geheimniskrämerei endlich auf. »Hidohsi ist in Japan ein ähnlicher Star, wie Du hier.« Beinahe will ich Einspruch erheben. Ich bin doch kein Star. Andererseits, wenn Angel mich so bezeichnen will, wer bin ich, meiner Ex-Königin darin zu widersprechen?
    »Und sein Blut schmeckt eindeutig nach … Drachenvorfahren.«
    Ich blinzle, Ella blinzelt und fast gleichzeitig schlagen wir uns die Hand vor die Stirn. »Na klar. Eigentlich war es doch immer direkt vor unsrer Nase!« Ungläubig über mich selbst, schüttle ich den Kopf.
    »Wie Clark Kent mit Brille!«, stimmt mir Ella zu. »Den erkennt auch niemand als Superman.«
    Angel kann, wie nicht anders zu erwarten, mit der Anspielung auf die moderne Superheldenlandschaft nichts anfangen und schaut nur amüsiert zwischen mir und Ella hin und her.
    »Drago! Scheiße, er heißt sogar Ryutan!« Ella klatscht lachend auf den Küchentresen, an dem wir uns versammelt haben.
    »Ryutan?«, frage ich.
    Sie seufzt: »Wenn Du endlich mal zuhören würdest, wenn wir japanische Animes schon mit Untertitel schauen, und nicht nur die Kampfschreie versuchen würdest, zu imitieren!«
    Ich schaue peinlich berührt zu meiner Ex-Clan-Chefin, aber die versteht zum Glück nun gar nichts mehr. Vermutlich stehen Popkultur und Serienjunkie-Ismus nicht sehr weit oben auf der Nachtliste einer Vampirkönigin.
    »Ryu heißt Drache und Tan ist die Farbe Rot. Drago heißt Roter Drache mit Vornamen!«
    »Scheiße, echt wie im Comic!«, stimme ich zu. Mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen.
    Angel will gerade etwas fragen, als sie zeitgleich mit mir reagiert. Ich werfe mich vor das raumhohe Fenster. Angel tritt Ellas Stuhlbeine weg und schleudert zugleich meinen Becher mit Kakao, den sie ganze Zeit immer wieder misstrauisch betrachtet hat, gezielt zur Deckenlampe und sorgt damit fast sofort für eine dunkle Küche.
    Der Treffer in die Seite raubt mir für einen Moment den Atem, aber außer den Aufprallschmerz spüre ich nichts. Weder blute ich, noch haben meine Knochen Schaden genommen.
    »Was ist los?« Ella klingt zwar verwirrt, aber nicht verängstigt, was ich mit Stolz bemerke.
    »Ich hörte, wie nicht sehr weit entfernt eine Mechanik einrastete und ein Glas zerbrach.«, erklärt Angel der Magierin. Ich kann Ellas Gehirn beinahe denken sehen, so hell flitzen die Neutronen darin. »Oh, ein Gewehr, das durchgeladen wurde, klar!«
    »Deine Freundin ist wirklich so klug, wie man sagt, Sin.«
    »Hey, ich liege direkt neben Dir, Angie, rede nicht über mich, als wäre ich nicht da!«
    Ich finde weder Ellas Empörung noch Angels Verwunderung, über den unerwartet verliehenen Kosenamen, gerade angebracht.
    »Konzentriert Euch gefälligst, man beschießt uns gerade, falls Ihr das schon vergessen habt.«
    »Oh, ja, richtig.« Ella spricht ein paar Worte und unser zersplittertes Fenster setzt von selbst zusammen. Die nächsten beiden Einschläge treffen dann auf etwas, was ich in Ermangelung besseren Wissens als fluktuierendes Gravitationsfeld bezeichne. Ich weiß, das klingt wie aus Star Trek und sagt genauso viel aus. Aber ich habe mich längst abgefunden damit, dass wenn Ella, meines Wissens die einzige Gravitationsmagierin weltweit, anfängt ihre magischen Muskeln spielen zu lassen, die Dinge scheinbar vergessen, wo vorne und hinten, oben oder unten ist. Und so beschreiben die beiden Geschosse eine superenge , aber astreine parabolische Flugbahn, die sie wenige Zentimeter vor dem Fenster umkehren lässt.
    Ich bin nicht überrascht, als ich zwei Aufschreie von weiter weg höre. Auf Ella zu schießen, wenn sie es weiß, heißt auf sich selbst zu schießen. Ziemlich fies und verdammt genial. Ich bin wirklich froh, dass ich auf meine eigenen Regeln höre und mich nie mit Drachen und so gut wie nie mit Magiern anlege. Mein Leben ist ohnehin gefährlich genug. Andere scheinen weniger an ihrem zu hängen, wie ich immer wieder erstaunt feststellen muss.

    »Ella, du musst für mich auf Angel aufpassen!« In der Hoffnung, dass ich Ellas Zauber richtig verstehe, springe ich geradewegs durchs Fenster. Und richtig, kaum hindurch, packt mich eine Kraft und schleudert mich weiter, als würde ich gerade von einem Hochhaus stürzen. Woher ich weiß, wie sich das anfühlt? Na ratet mal! Aber das ist eine andere Geschichte.
    »Sin, warum soll ich auf Angel aufpassen?« Anders als Angel hat Ella keine Probleme in meinen Kopf zu kommen. Für sie ist es, so hat sie es einmal beschrieben, wie sich nachts im Halbschlaf umzudrehen und mich neben sich zu fühlen. Ich muss zugeben, dass ich dieses Bild liebe.
    »Weil die erste Kugel ein Silbersplittergeschoss war, was sich an meiner Wunderweste einfach plattgedrückt hat. Angel hätte es vermutlich lahmgelegt und die nächsten Treffer waren Brandmunition. Ich kann das Phosphor immer noch riechen! Der Anschlag gilt ihr, nicht einem von uns.«
    Ella schickt mir das mentale Gegenstück eines erhobenen Daumens und ich kann noch erahnen, dass sie wieder an einem Zauber bastelt. Gnade den Idioten, die jetzt auch nur in ihre Nähe kommen. Fluktuierende Schwerkraft und so.
    Ich zücke meine Dolche und fliege nicht nur metaphorisch auf die andere Straßenseite.
    Warum ich meine Dolche und die Panzerung trage?
    Ihr glaubt nicht im Ernst, ich würde Angel, ohne entsprechende Ausrüstung, in Ellas Nähe bringen!

    Wow, soviele Fragen. Dann mal los:

    Es fühlt sich irgendwie so an, als ob du die alle abarbeiten willst.

    Jetzt, wo Du es sagst ..., anderseits ist das auch die Natur einer Kurzgeschichtenserie. Ich habe aber schon versucht,die Partner nicht so beliebig darzustellen.

    dem seal. Welcher superausgebildeter Soldat läuft bitte so in einen Raum und ballert da um sich?

    Hm, das ist wohl wahr. Da habe ich wirklich ordentlich dramatisiert. Andererseits war er ja auch als erster und totaler Fehlschlag in der Partnerwahl gedacht. Da muss etwas Drama drin sein.

    Der gefahrengutwagen... hats den nicht zerfetzt, als Sin da die ganzen Sachen in die Luft gesprengt hat?

    Nein, da war zwar giftiges Zeug drin, aber nichts Explosives. Zudem explodieren solche Tanklaster nicht so schnell, die sind sogar verdammt stabil. Natürlich will uns Hollywood da etwas anders suggerieren ..., aber solche Bomben auf Rädern dürften sonst nie im normalen Verkehr fahren. Die Benzinkanister waren auch eher Brandsätze und keine Granaten, naja, und außerdem habe ich dramatisiert! Nun schaut mich nicht so an!

    Ich hoffe die eine, die mit Josh zusammen ist/sein will. Kommt wieder.

    Ich will ja nicht spoilern, aber ja, sie taucht wieder auf. Wurde auch langsam Zeit, dass es in New York ein zweites, nicht gesichtsloses Team gibt, auf das ich zurückgreifen kann.

    Die Bewegungsmuster erscheinen mir hier unnatürlich

    Zugegeben, das schrieb sich schon gleich seltsam, aber ich dachte mir auch, dass ein Körper der aus 12 Metern runter geworfen wird, nicht einfach so PLATSCH aufschlägt und dann sofort liegenbleibt. Gebe aber zu, da fehlten mir schlicht die Erfahrungswerte. In den Szenen in den Filmen kommt ja da meist ein Schnitt - wer will schon den Stuntman sehen, der im weichen Sturzkissen landet?

    Angel ist

    Klar schickt Edge seine Ur-Ur-Ur-...enkelin ^^ , außerdem muss ich ja den Grundstein für einen zukünftigen Handlungsbogen legen., Ups, Spoileralarm!

    Vielleicht kannst du den Kerl ja läutern, Tom?

    Der Wunsch meiner Leserschaft ist mir ... willkommener Wegweiser, den ich wohlwollend in Betracht ziehe! Anders gesagt: Gute Idee, mal sehen, was meine Muse mir eingibt und ob/wie es in den weiteren Plot passt.

    Sin ja unmöglich sicher sein konnte, dass sie alle Leute da unten raus hatten, als sie das Ding zündete. Hat sie Kollateralschaden eingeplant?

    Eingeplant wäre ein zu hartes Wort. Sagen wir einfach, Carmichael regt sich nicht umsonst auf. Aber zu denken, sie würde bewusst den Tod Unschuldiger in Kauf nehmen, wäre schon sehr unverschämt. ^^ Einigen wir uns darauf, dass sie manchmal vergisst, dass nicht alle so schnell und robust sind, wie sie selbst, besonders, wenn ihr gerade die Hutschnur reißt?

    Das Langschwert des Japaners ist auf dem Weg zu meinem Kopf, bevor ich auch nur einen halben Schritt machen kann. Also tue ich das, was man als Messerkämpfer niemals gegen ein Schwert macht: Ich halte meine kleine Klinge zur Parade leicht nach vorne gekippt und stoße sie der großen Klinge entgegen.
    Der Treffer erschüttert meinen Arm, meine Hand wird fast taub dadurch, aber meine winzige Parierstange hat gehalten. Schnell wechsle ich den Dolch in die Rechte, bevor er mir entgleitet.
    Mitleidig tritt der Japaner einen Schritt zurück. »Ich habe mehr erwartet, und Dich nennen die Alten die unbesiegte Kriegerin.« Verächtlich nimmt er wieder Grundstellung ein.
    Ich huste überrascht einmal, aber dann habe ich mich wieder im Griff. »Deine Alten haben wohl nicht ganz so genau mitgezählt.«
    »Du wirst sie nicht schmähen. Nicht die Alten!«
    Mit diesem, mir völlig unverständlichen Satz, springt er auf mich zu, das Schwert hoch erhoben. Ich gehe leicht in die Hocke und kreisle einmal um mich selbst und zur Seite. Als der Hieb wie erwartet fehlgeht, stoße ich zu. Treffer.
    Ich habe die Rippengegend des Japaners erwischt, aber ich bin auf massiven Widerstand gestoßen. Der Arsch trägt doch tatsächlich eine Art Kettenhemd? Mit einem Knurren, eher empört als schmerzlich, weicht Hidoshi zurück, denn mein Dolch zuckt schon wieder. Klar, ein Kettenhemd ist übel, aber mein Dolch ist spitz.
    Erstaunt sehe ich, wie geschmeidig er immer noch agiert. Wenigstens seine Rippen sollten geprellt sein, vielleicht sogar angebrochen. Und noch etwas fällt mir auf. Die Wärmeverteilung in seinem ganzen Körper ist seltsam, überaus seltsam. Viel Zeit mir darüber Gedanken zu machen, bleibt mir aber nicht. Denn nun macht er ernst. Hat er zuvor den schnellen Sieg gesucht, treibt er mich nun vor sich her, seine gewaltige Schlaglänge nutzend.
    Ich habe alle Hände voll damit zu tun, um außer Reichweite zu bleiben und muss zusätzlich auf dem unbekannten Terrain aufpassen, nicht zu rutschen oder gar zu straucheln.
    Normalerweise ermüden Schwertschwinger viel schneller als Dolchkämpfer, aber auch nach einem guten Dutzend Schwüngen geht dem Japaner nicht einmal im Ansatz die Puste aus. Ich bin bereit darauf zu wetten, dass sogar sein Puls eher wegen des Zorns auf mich, als wegen der körperlichen Anstrengung so hoch ist. Und er nutzt seine Ortskenntnis gnadenlos aus. Immer mehr treibt er mich in die Enge und ich finde einfach keine Lücke, in die ich stoßen kann. Ich spüre wie meine Muskeln vorzeitig ermüden, kein Wunder, ich komme einfach nicht in den Kampf. Kein Rhythmus, kein Auf und Abwallen von Angriff und Verteidigung, nur Flucht vor dem scheinbar unbezwingbaren Großschwert.

    Natürlich ist mir klar, dass sich eine Niederlage zuerst im Kopf abspielt. Und genauso selbstverständlich kenne ich meine große Stärke: Meine grandiose Siegesserie. Über die Jahrhunderte glaube ich nicht nur, ich weiß, dass ich am Ende einen Weg finde zu siegen. Immer. Nun ja, fast immer. Ein ganzes Gräberfeld könnte ich alleine füllen, voller Toter, die meine Klingen am Ende doch noch gefressen haben, obwohl es zu Beginn ganz und gar nicht danach aussah.
    Ein weiterer Schwinger, verdammt tief angesetzt und ich weiche aus, zu kurz! Ich spüre einen brennenden Schmerz an der Hüfte. Beinahe will so etwas wie Panik in mir aufkommen.
    Doch dann ist da diese Musik. Ganz leise nur, der Japaner hört sie offensichtlich nicht. Er ist zwar schneller als ich, vielleicht, kräftiger ganz bestimmt, aber meine Sinne sind seinen immer noch weitaus überlegen.
    Zwei Takte des bekannten Bass-Riffs, der von Smoke on the Water über I will rock you bis Highway to Hell eine Menge der besten Hits untermalt, dann hat der Beat meine Beine erreicht.
    Wie von selbst finden meine Füße ihre Stellung, meine Arme bringen den Körper zurück ins Gleichgewicht, meine Schultern wippen leicht im Takt. Die Hüfte brennt weiterhin, aber kein Grund deswegen das Handtuch zu werfen, nur eine nachdrückliche Mahnung, etwas besser aufzupassen.
    »Oh, would you like to be in charge, don‘t wait for troops and march.«
    Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus. Hidoshi verzögert misstrauisch seinen nächsten Schwung.
    »There will be many open doors. You just have to looking for.«
    Ohne zu zögern werfe ich meinen Dolch. Es ist dieser Unterarmwurf, den wirklich wenige perfekt beherrschen. Zu meinem Glück gehörte ich noch nie zu den Vielen.
    Automatisch reißt der Japaner seine Klinge zur Parade hoch, und ich muss wieder einmal seine Schnelligkeit bewundern. Eigentlich hätte der Dolch seinen Hals, direkt beim Schlüsselbein treffen sollen, wo in der Regel kein Kettengeflecht Schutz bietet, man will sich schließlich nicht den Hals wund scheuern. Ihm gelingt es, die Klinge abzulenken und so fügt sie ihm nur einen Schnitt über die komplette linke Wangenseite zu, bevor sie im Dunkel der Halle verschwindet.
    »Black Rain is falling, black pain is calling!« , singe ich etwas übermütig meinen Lieblings-Hass-Song mit, als ich auch schon nach vorne schieße. Noch während ich springe, ziehe ich den anderen Dolch.
    Schwer treffe ich mit der Schulter die Oberschenkel des Samurais. Auch der brutal in meinen Rücken gehämmerte Schwertgriff kann nicht verhindern, dass wir beide zu Boden gehen. Physik ist Physik ist eben Physik, da hilft nicht einmal Magie – einer von Ellas Lieblingssprüchen, nicht meiner. Auf solche tiefsinnigen Weisheiten käme ich nie im Leben von alleine.
    Noch einmal stößt er mit seinem Schwertgriff in meinen Rücken, doch natürlich bin auch ich gepanzert. Ganz besonders im Rücken. Wenn man mir schon sagt, ich soll ganz besonders auf ihn achten!
    »Black Raiiiin, black paiiiin!«, singe ich herausfordernd zu dem unmöglich schrillen Gitarrensolo, was mir auch heute in den Ohren schmerzt. Es ist so Nerven zerfetzend, so aufwühlend, so arrhythmisch, so bekannt!
    Mein Krummdolch findet dieselbe Stelle, die ich bereits getroffen habe, wie von selbst. Natürlich, tut er das. Gab es daran jemals Zweifel? Zwei harte Stöße und ich bin durch die Panzerung. Der dritte Stoß bringt selbst den zähen Japaner dazu, endlich mit den nervigen Schlägen auf meinen Rücken aufzuhören.
    Er weicht zurück und tritt mit beiden Beinen aus. Dem kann ich unmöglich ausweichen, also tue ich das nächstbeste und kassiere den Treffer bewusst und mit Anstand.
    Drei Meter weiter hinten lande ich auf meinem Hinterteil und krümme mich vor Schmerz. Solche Tritte in den Unterleib schmerzen nicht nur Männer. Dieser verdammte Japaner muss ein Maultier in der Ahnenreihe haben!
    »When faith comes to you
    Japsend komme ich auf die Beine.
    Stöhnend erhebt sich der Samurai.
    »You know, what do to!«
    Und wie ich das weiß:
    Ich blinzle!
    »Black rain!« Ich tauche hinter dem Japaner auf, der sich gerade über sein Schwert rollen will um es dabei aufzunehmen. Beinahe will ich sehen, ob ihm das irre Kunststück mit dem Anderhalbmetersäbel gelingt. Aber da der Junge womöglich im Stande ist, das tatsächlich fertigzubekommen, trete ich ihm kompromisslos die Beine mit einer blitzsauberen Beinsichel weg.
    Zum zweiten Mal heute Nacht kracht der Japaner ziemlich unelegant zu Boden.
    Ich tänzle zurück, mustere ihn.
    »Black pain!«
    In den Ohren das grauenhafte kratzende Gequietsche des Solos, fallen mir noch einmal die ungewöhnlichen Wärmemuster des Japaners auf. Manchmal scheinen sie an bestimmten Stellen heller zu werden, manchmal wirkt er fast wie ein gewöhnlicher Mensch. Zum Beispiel jetzt, während er sich aufrappelt, wirkt er beinahe tapsig, im Vergleich zu seiner sonstigen Eleganz. Als er endlich steht und die Kampfstellung eines Karate-Kämpfers eingenommen hat, blinken bestimmte Muskelgruppen auf, als wären sie Leuchtdioden.
    Ich stelle mich ebenfalls leicht versetzt auf, eine Grundstellung jeder Nahkampftechnik, sieht man von den verschiedenen Arten des Ringens ab. Aber obwohl er kräftiger ist, als ich, spielt er diesen Vorteil nicht völlig aus. Ich beginne mich zu fragen, warum.
    Da ich nun mal nicht aus meiner Haut kann, hebe ich die immer noch etwas taube Linke an und winke ihm mit den Fingern zu, doch anzugreifen.
    Was denn? Wenn man schon nicht Bruce Lee sein kann, dann kann man wenigstens so tun, als ob!
    Der Japaner sucht meinen Blick. Zu seinem Zorn und seinem moralischen Überlegenheitsdünkel hat sich ein weiter Kampfgenosse hinzugesellt, den ich auch nach hunderten Kämpfen immer mit Befriedigung bemerke: Zweifel.
    Seine Muskeln beginnen im Infrarotbereich zu blinken, hauptsächlich in seinen Beinen. Einer Ahnung folgend gehe ich tief in die Hocke und entgehe so beinahe lässig dem Roundhouse-Kick, von Fachleuten auch Chuck-Norris-Giri genannt. Nein, ich habe so gut wie keine Ahnung vom Karate, aber ich fände den Namen einleuchtend.
    »In the darkest hours night
    Ich stütze mich seitwärts auf meinen Armen auf und trete nun ebenfalls aus. Der Volltreffer gegen Knie und Schienbein wird von einem vernehmlichen Knirschen gefolgt.
    Er taumelt, das verletzt Bein versagt und knickt ein.
    »You die or have to fight. Black Rain …« Die Musik wird leiser, fast unhörbar.
    Langsam erhebe ich mich und schaue den Japaner ruhig an. Er weiß es, ich weiß es. Er hat verloren, ich habe gewonnen, mal wieder. Das muss ihn ja gewaltig anpissen.
    Doch warum sieht er nicht so aus, als wäre er geschlagen? Ich meine, klar, ich schätze Mut und Kampfgeist, aber er ist ein Profi, so wie ich. Kein Grund auch noch seine Würde zu verlieren.

    Er lacht mir ins Gesicht, immer noch kniend, mühsam seinen Schmerz in Zaum haltend.
    »Du denkst, Du hast gewonnen. Du denkst, die Untoten triumphieren erneut?«
    Ich seufze. Manchen kann man einfach Nichts beibringen, auch nicht mit einer heftigen Tracht Prügel.
    »Hidoshi«, wage ich einen letzten Versuch. »Du blutest aus der Seite, wahrscheinlich habe ich deine Lunge erwischt. Dein Knie ist hin und egal, wie schnell und stark Du bist,« Ich blinzle und tauche zwei Meter hinter ihm auf und stelle demonstrativ meinen Fuß auf sein Dotanuki. »ich mache Dich in diesem Zustand fertig, wann und wie ich es will. Gib auf.«
    Er ruft etwas auf Japanisch, denke ich jedenfalls. Dann schaut er mir direkt in die Augen. Weg ist der Zweifel und hat einer schon irren Gewissheit Platz gemacht. »Aber auch Du bist geschwächt. Du hast Deinen einzigen Zauber schon zweimal genutzt. Wie oft noch, bis es Dich umbringt? Einmal, zweimal?«
    Erstaunt und ein winziges Bisschen besorgt, runzle ich die Stirn. So ganz unrecht hat er nicht, aber viel Wichtiger, woher weiß er davon?
    Noch einmal ruft er, wieder auf Japanisch. Sein Blick geht zur Hallendecke und auch ich sehe dort hoch. Es ist unter der Decke so dunkel, dass selbst mein Restlichtsehen nichts erkennt. Wärmequellen hat es dort oben jedenfalls … oh?
    Etwas fällt von der Decke. Eine schwarz gekleidete, vermummte Gestalt. Sie schlägt auf den Boden auf und wird, wie eine Puppe, einige Male herumgeschleudert und bleibt in einiger Entfernung liegen. Ein metallisches Klappern folgt eine halbe Sekunde später.
    Der Japaner und ich schauen verblüfft dem einschneidigen, völlig geraden Kurzschwert nach, was schon provozierend langsam ins Dunkel kullert.
    Ich schaue mir den Toten an, die Wärmesicht zeigt mir erstaunlich wenig Blut für einen Absturz aus zwölf Metern, aber er ist definitiv noch nicht sehr lange tot.
    »Wie konntest Du? Und die Anderen?« Der Japaner hat seinen Schmerz völlig vergessen und steht fassungslos auf einem Bein und starrt den Toten an.
    Dann fallen weitere Körper von der Decke. Eins, zwei, drei und noch einer. Alle gleich gekleidet. Ninjas.

    »Ninjas? Echt jetzt? Du hast Dir tatsächlich eine Mörderbande mitgebracht. Arbeiten wir nicht beide für dieselbe Firma? Was würde Sir Drago davon halten, dass Du Dich mit Meuchlerabschaum abgibst? Immerhin hat er mich persönlich eingestellt, das sollte Dir doch etwas sagen.«
    »Du weißt nichts über meinen Herrn, blutleere Schlange.«
    Ich verzichte darauf ihn erneut darauf hinzuweisen, dass ich genauso sterblich bin wie er. Gut, im Moment vielleicht nicht, da er dem Sterben deutlich näher ist, so wie in mir langsam die kalte Wut hochkommt.
    »Seine Weisheit ist aus einer Zeit, die manchmal der modernen Welt nicht gerecht wird.«
    Ich zucke die Schulter. Ausreden. Ich erkenne Ausreden. Ich hasse sie bei Anderen. Ich hasse sie bei mir selbst.
    Beinahe ist nun an mir, auszuspucken. Aber ich bin ein Profi. Es persönlich zu nehmen, ist nicht hilfreich. Schon gar nicht, wenn ich die Informationen bedenke, die mir Hidoshi unabsichtlich hat zukommen lassen.
    Ich hebe das Schwert auf, schaue den Japaner einen langen Moment an, und schlage es dann mit aller Wucht seitwärts gegen einen Stahlträger. Beinahe höre den Todesschrei der Seele in der alten Klinge als sie zerbricht, aber das wäre nun wirklich sehr gefühlsduselig, oder?
    Der Blick des Japaners wird stumpf.
    Da endlich, er hat aufgegeben.
    »Wie hast Du das gemacht?«, Er schaut wieder zu den Toten.
    Ich schaue zur Decke. »Edge, Du kannst rauskommen. Die Sache ist gelaufen!«

    Mit offenem Mund sehe ich, wie unfassbar elegant eine Frau eher herunter schwebt, als dass sie springt. Ganz in Rot und Schwarz, ganz in Kunstleder und Seide, die hellbraunen Haare zu einem straffen Zopf gebunden, das helle Gesicht vornehm geschminkt, ganz wie eine Königin. Eine Königin der Vampire!
    Beiläufig wischt sie einhändig eine App vom Schirm ihres Smartphones. Die Musik verstummt nun völlig, als sie das Gerät nonchalant in der Gesäßtasche verschwinden lässt.
    »Edge schickt Grüße, meine Liebe. Aber er kann keine Mitarbeiter von R.E.D. umbringen. Er hat seiner einstigen Schülerin dahingehend sein Wort gegeben, wie Du vielleicht vergessen hast? Also hat er mich gebeten, an Seiner Stelle zu kommen. Und wie Du siehst, ich bin da.«

    »Sin, Hidoshi. Das Werrattenrudel ist definitiv in dieser Lagerhalle.«

    Wenn Josh das sagt, stimmt es wohl auch, auch wenn ich mir trotzdem lieber selbst ein Bild gemacht hätte. Aber er ist ein Virtuose mit seinen Drohnen und mittlerweile sind wir viel zu eingespielt, als dass ich sein Urteil oder gar seine Fähigkeiten ohne guten Grund in Frage stelle.
    »Drei Eingänge.«, stellt der Japaner knapp fest und nickt mir zu, während er sich schon in Bewegung setzt.
    Es ist unser dritter Einsatz. Bisher verlief alles gut, sogar besser als gut. Mit seinem Dotanuki, einer alten, schweren Version des viel bekannteren Katanas, ist er ein echter Künstler, der sogar mir Respekt abnötigt. Zudem ist er unglaublich schnell und, wenn ich die Wucht seiner Treffer mit meinen vergleiche, vielleicht sogar stärker als ich. Wie er das schafft, ist mir bisher ein Rätsel. Reines Training kann es wohl nicht sein, obwohl, wann immer ich ihn außerhalb eines Einsatzes treffe, er in irgendeiner Weise damit beschäftigt ist, sein Können zu vervollkommnen. Bisher war er allen Kampfsituationen ebensogut gewachsen wie ich, nur an seinem sozialen Umgang muss er noch arbeiten. Aber ich nehme an, in Japan wäre ich es, die sich erst noch einfinden müsste.
    Er ist still und fokussiert und lässt mich mein Auto fahren. Smalltalk ist nicht seine Sache und bislang hat er so gut wie nie über sich gesprochen oder mich ausgefragt. Wäre da nicht Carmichaels Warnung, Hidoshi wäre der perfekte Partner.
    Während der Japaner zum Hof mit der Laderampe eilt, begebe ich mich zur großen zweiteiligen Schiebetür an der Front der Halle. Der stille Japaner bevorzugt es lautlos einzudringen und sich in Position zu bringen. Ich bin zwar auch nicht unbedingt die Frau, die durch die Vordertür marschieren muss, aber es macht mir auch nichts aus.
    Daher schiebe ich das eine Tor soweit auf, dass ich gut darin stehen kann und das Mondlicht im Rücken einen langen Schatten in die Halle werfe.
    Betont langsam ziehe ich meine beiden Krummschwerter aus den Rückenscheiden. Erschrockenes Gemurmel quittiert meinen Auftritt als hinreichend eindrucksvoll.
    Schon höre ich die ersten Quiek-Geräusche, wie ich sie von verwandelten Werratten kenne. Ich mache mich bereit. Werratten sind einzeln keine Gefahr für mich. Selbst drei oder vier nehme ich nicht als echte Bedrohung wahr. Doch hier sollen es angeblich über ein Dutzend sein, einige davon noch ganz frisch verwandelt und daher vermutlich hungrig.
    Man darf mich nicht falsch verstehen. Ich habe nichts gegen Werwesen im Allgemeinen, und selbst die etwas widerwärtigen Werratten dürfen von mir aus leben und lieben, wie es ihnen Spaß macht. Wo ich ins Spiel komme ist, wenn sie Leute verwandeln, die gar nicht verwandelt werden wollen, einfach um ihre Rudel aufzufüllen. Dass bei Werratten, anders als zum Beispiel bei Werwölfen, nahezu jeder die Verwandlung überlebt, ist dabei keine Grund Gnade walten zu lassen.
    »Ok. Mein Name ist Sinistre. Ich gehe davon aus, dass mich zumindest die Älteren kennen. Ich sage das hier nur einmal. Ich will den Idioten haben, der seit letztem Vollmond haufenweise Leute verwandelt. Wenn der Rest mir verspricht, brav wieder im Untergrund zu verschwinden, muss das hier kein Schlachthaus werden!«
    Natürlich rechne ich nicht wirklich damit, dass man mir den Schuldigen ausliefert. Er ist vermutlich der Boss oder einer seiner Günstlinge im Rudel. Aber man muss es zumindest versuchen. Viele der versammelten Werratten haben ihr Schicksal nicht freiwillig gewählt, aber sie müssen dem Ruf des Rudels trotzdem folgen und ich werde keine Wahl haben und sie dann abschlachten.
    Stille schlägt mir entgegen. Ich erwarte zwar keine Antwort, aber wenigstens einen Angriff und sei es einen geworfenen Stein. Aber gar keine Reaktion ist schon enttäuschend.
    Ich konzentriere mich.
    »Du hast gesagt, sie kommt herein und fällt über uns her. Dass wir Pitfuzz ausliefern können, hast Du gar nicht gesagt?«
    Ich runzle die Stirn. Was soll denn das?
    »Halt den Mund, abscheuliche Kreatur. Sie hat doch ein hervorragendes Gehör! Begebt Euch gefälligst in Stellung.«
    Obwohl er flüstert, erkenne ich den Japaner.
    »Josh …?«, versuche ich meinen Operator zu erreichen, aber der Kontakt zu ihm ist unterbrochen. So ein Zufall!
    »Hey, Hidoshi. Was ist mit der vielgerühmten Ehre der Samurai? Hast Du nicht den Mut, Dich mir zu stellen. Musst Du Helfershelfer anstellen, um Deine Kämpfe zu führen?« Meine Stimme hallt laut und deutlich durch die Lagerhalle.
    Ich trete zwei weitere Schritte hinein, auch wenn ich mir fast sicher bin, was dann passieren wird.
    Und richtig, ein Motor wird in Gang gesetzt und das Tor schließt sich hinter mir. Mit einem schweren metallischen Geräusch, rasten Schlösser am Boden und nahe der Decke ein: Falle zugeschnappt.
    Ich grinse.
    »Du meine Güte. Soll ich es wirklich sagen, oder wäre das Zitat nur Perlen vor die … Ratten?«
    Das Licht ist schummrig, beinahe zu dunkel für mich, aber ich habe inzwischen natürlich an diesem Defizit gearbeitet, was mich seit Kurzem ein wenig behindert.
    » Vidu en la mallumo.« - im Dunkel Sehen -, sage ich halblaut. Vermutlich kann ich den Trick auch bald, ohne dass ich die Worte brauche, bei meinem Kurzteleport geht das ja auch. Aber Ella hat darauf bestanden, dass ich fürs Erste diese Krücke benutze. Als Sprache habe ich mir Esperanto ausgesucht. Kennt kaum einer, ist aber vielen Sprachen, die ich schon kenne, ziemlich ähnlich. Latein war mir zu albern, klingonisch wäre zwar cool, aber ich kann keinen Zungenbrecher bei einer ohnehin nicht ganz leichten Sache brauchen. Sam hat mir sogar grinsend Sindarin vorgeschlagen, da habe ich ihm auch etwas vorgeschlagen, nämlich wohin er sich ihn stecken kann, seinen Vorschlag.
    Sofort ändert sich meine Sicht grundlegend. Nicht ganz so natürlich wie früher, dafür um etliche Grade besser, erkenne ich nun Wärmestrahlung und das restliche Licht ist mehr als ausreichend um alle Konturen in deutlichen Grauabstufungen zu erkennen.
    Ich zähle acht Wärmequellen, die auf vier Beinen gehen, vier weitere aufrecht. Drei davon stehen dichter zusammen, der Vierten zugewandt. Das muss Hidoshi sein.
    »Ok, Leute. Damit es auch ist, wie es sein soll, hier kommt es:«
    Sogar das leise Streitgespräch der Werratten mit Hidoshi unterbricht.
    »Ihr denkt vielleicht, ich wäre hier mit Euch eingesperrt. Falsch! Ihr seid hier mit MIR eingesperrt!«
    Ich verneige mich leicht, bin aber enttäuscht ob der mangelnden Begeisterung, die man meiner Darbietung als Jackie Earle Haley alias Rohrschach entgegenbringt.
    »Ach, kommt schon Leute, so schlecht war ich auch nicht! Kein Applaus, kein Lacher? Na schön, kommen wir zum ernsten Teil der Nacht.«
    Ich stelle mich in die Mitte der Halle, deute mit meinem linken Dolch der Reihe nach auf jeden Einzelnen, damit auch jeder genau weiß, dass ich ihn sehen kann.
    »Wer in zwanzig Sekunden noch in der Halle ist, überlebt die Nacht nicht. Zwanzig, Neunzehn, Achtzehn, Siebzehn …«
    Ich bin noch nicht einmal bei Sechzehn angekommen, als alle Wärmequellen bis auf eine über die Laderampe verschwunden sind.

    »Du bist jetzt sicher sehr zufrieden mit Dir, Vampirin!«
    Der Japaner tritt ebenfalls in die Mitte der Halle, sein schweres Schwert locker über der Schulter.
    »Für Dich ist das alles nur ein Witz, oder? Wir Sterblichen, ein Witz. Unsere Kämpfe, ein Witz. Unsre Werte, ein Witz!«
    Ich lockere meine Schultern. Er will zuerst reden? Gut, reden wir eben, bevor wir uns umbringen. Darauf wird es hinauslaufen. Also stecke ich meine rechte Klinge weg und finde dann in meiner Jackentasche das kleine Gerät, was ich nun einschalte.
    »Und jetzt kommt wieder das albernen Ritual. Du nimmst einen zufällig ausgewählten Song, um deinen Spaß am Töten noch zu erhöhen?«
    So langsam geht der Kerl mir aber auf den Geist.
    »Zufällig? Du Kretin, das ist eine Best-Of-Sammlung. Zufällig! Tztz.«
    Er knurrt. »Schon wieder Spott? Nimmst Du überhaupt irgendetwas ernst, Vampirin? Wirst Du immer noch grinsen, wenn ich Dich in Stücke schneide und die Reste in den Sonne verbrennen lasse?«
    »Jetzt mach mal einen Punkt, du dämlicher Möchtegernrächer der Menschheit. Ich bin schon eine Weile kein Vampir mehr. Nur weil ich die Nachtschicht bevorzuge, heißt das nicht, dass mich die Sonne erschreckt. Es ist einfach nur so, dass ich Nachts viel besser bin, als die Meisten anderen, die R.E.D. schicken kann.«
    Er lacht verächtlich. »Einmal Vampir, immer Vampir, egal mit welchen Tricks Du es verstecken willst. Willst Du leugnen, dass Du Dutzende Menschen auf dem Altar Deines Blutdurstes geopfert hast?«
    Unwillkürlich muss ich ihm applaudieren, für diese Wortwahl. Er hat seine Rede wohl schon lange einstudiert, immerhin ist Englisch nicht seine Muttersprache. Es ist zwar Unsinn, was er da redet, aber eine gute Vorbereitung weiß ich zu würdigen.
    »Duzende? Das dürfte nicht einmal nahe dran sein. Wohl eher Hunderte.«
    »Du gibst es also selbst zu, dass Du ein Monster bist?«
    Ich zeige meine Zähne. »Aber meine Opfer, die ich für Blut umbrachte, waren Kinder- und Frauenschänder, Massenmörder und im Allgemeinen solche Arschlöcher, ohne die die Welt besser dran war. Ich sage nicht, dass ich nicht ab und zu mal einen Unschuldigen erwischt habe, aber ich habe es vermieden. Leute, die ich nicht ausdrücklich töten will, sterben auch nicht durch meine Hand. Das ist eine Frage der Professionalität. Sag mir, Samurai. kannst Du das auch von Dir sagen. Wie viele Kollateralschäden hat es bei Dir schon gegeben, wie viele Leute sind schon unter deinem Schwert gefallen, nur weil Du sie als Opfer mit den Tätern zusammen angetroffen hast?«
    Das Schwert schnellt von der Schulter, als der Samurai sich in Stellung begibt. Ich habe da wohl einen Nerv getroffen? Oh ja, darin bin ich ziemlich gut, dafür gibt es viele Zeugen.
    »Ich morde nicht, Vampirin. Ich erlöse. Anders als Dich, leiten mich ehrbare Ziele.«
    Ich lache, doch ehrlich, ich lache lauthals. Wenn die Sache nur nicht so furchtbar traurig wäre.
    »Weißt Du, Japaner, ich habe mal eine Weile ein paar Idioten gejagt, weil sie in mein Territorium eingedrungen sind. Im Nachhinein schäme ich mich fast, dass das der Grund dafür war. Aber diese Trottel dachten ganz genau wie Du. Sie erlösen die Welt.«
    Er starrt mich wütend an.
    »Es waren Spinner, die an eine Reinheit des Volkes glaubten, hatten zwei S auf ihren Schulterklappen und einen Totenkopf auf dem Mützchen. Hielten sich doch tatsächlich für ein Geschenk an die Welt. Ich glaube, zu denen hättest Du gut gepasst. Anders als denen gebe ich Dir aber noch eine Chance.«
    Hidoshi spuckt mir vor die Füße. »Spar Dir Deine vorgetäuschte Moralität. Alle anderen kannst Du täuschen, aber nicht einen Samurai!«
    Ich seufze. »Junge. Ich werde Sir Drago sagen, er soll Dich wegsperren. In einen Raum mit freundlichen, gedeckten Farben und dicken, gummiverkleideten Wänden. Und er soll Dich erst wieder raus lassen, wenn die Zombie-Apokalypse über uns hereinbricht. Mit den entsprechenden Drogen kannst Du dort ein tolles Leben in Deiner eigenen kleinen Nazi-Welt führen. Oder aber, wir fangen jetzt endlich an. Mir wird nämlich langsam kalt, ich will nach Hause und nach dem ganzen Gesülze brauche ich etwas Geistvolleres, wie einen Late-Night-Porno oder sowas.«
    Ohne ein weiteres Wort geht der Japaner auf mich los.

    Kacke, ist der schnell!

    »Agent Alabastra, Sie bleiben bitte noch einen Augenblick. Agent Hidoshi, bereiten Sie sich schon einmal auf den Einsatz vor.«
    Carmichael entlässt den Japaner und ich registriere Erleichterung in der Haltung meines Einsatzleiters. Fragend schaue ich ihn an. Es ist kein Geheimnis, dass wir zwei nicht die besten Freunde sind, aber auch wenn ich den Bürokratenhengst oft liebend gerne zu Salami verarbeiten möchte, achte ich doch seine Professionalität.
    Er macht mir die Geste, mich noch einmal zu setzen, was insofern schon seltsam genug ist, da ich mich sonst nie setze, und er das genau weiß. Gespannt nehme ich Platz.
    Der Ex-NSAler drückt eine verborge Taste am Rand seiner Schreibtischplatte. Nun sind sämtliche Vorkehrungen, magischer wie technischer Art, gegen das ungewollte Mithören Dritter aktiviert.
    Unwillkürlich horche ich auf Beast in meinem Innern, obwohl ich eigentlich wissen sollte, dass er schweigt. Doch Jahrhunderte der Gewohnheit lassen sich nur schwer ablegen und ich muss zugeben, mir fehlt der emotionale Rat sehr, den ich so oft erhalten habe. Ich weiß, man glaubt es kaum, aber in gewissen zwischenmenschlichen Dingen bin ich nicht besonders gut. Gerade, was das Deuten von Gefühlen meines Gegenübers betrifft, fehlt mir dieser Instinkt, den zum Beispiel Ella überreichlich mitbringt. Mir hilft also nur sorgfältiges Beobachten und das Lesen der Mini-Zeichen im Gesicht.
    Eugene Carmichaels Falten um die Augen werden etwas weniger tief und sein Kinn ist nicht mehr so hervorgestreckt, als wäre der Mann bereit, jede Herausforderung entschieden anzunehmen. Er legt nun sogar beide Hände auf den Tisch übereinander. Mir fällt auf, wie alt diese Hände wirken, im Vergleich zum Rest. Die straffe Haltung und der harte Blick verbergen Carmichaels wahres Alter sonst recht gut. Ich muss bei Gelegenheit Ella fragen, wie alt unser Einsatzleiter eigentlich ist.
    »Sie haben es auch bemerkt, oder, Sin?«
    Beinahe verschlucke ich mich. Carmichael hat mich so gut wie noch nie mit meinem Vornamen angesprochen. »Ich fürchte nicht.«, antworte ich ehrlich. »So ein zwischenmenschliches Gefühlsdings, richtig?«
    Er atmet tief durch, seufzt aber nicht, was ich ihm hoch anrechne.
    »Das habe ich beinahe befürchtet.« Er reibt sich seine Hände und seine Augen schauen sich unwillkürlich im Zimmer um, als suche er nach einer Bedrohung.
    »Was ist los, Eugene!« Ich benutze absichtlich auch seinen Vornamen. Der Mann ist so nervös, beinahe ängstlich, wie ich ihn nie erlebt habe.
    »Es ist Agent Hidoshi. Dieser Mann hat keinerlei Moralempfinden.«
    Ich runzle die Stirn. »Soweit ich weiß, ist Hidoshi ein Samurai der alten Schule. Sagte nicht sogar Sir Drago beim letzten Meeting, dass seine Ehrbegriffe eisern seien und er daher glaubt, dass der Japaner mit mir perfekt harmonieren würde? Er hat ihn doch extra deswegen aus unserem Asian-Büro einfliegen lassen.«
    »Ehre, das ist so eine Sache, Sin.« Er beugt sich etwas zu mir hin. »Was wissen Sie eigentlich genau über Sir Drago?«
    Ich schüttle überrascht den Kopf. Wo kommt denn die Frage nun wieder her?
    »Ich bin nicht von der NSA zu R.E.D. gewechselt, wie alle glauben und das ist ganz gut so. Ich wurde als Verbindungsmann hierherbeordert. Inzwischen bin ich schon viele Jahre hier, doch ich will, dass Sie wissen, dass ich schon der vierte Regierungsbeamte bin, der diesen Posten ausfüllt.«
    Ich wünsche mir in diesem Moment, noch mehr als sonst, Ella an meiner Seite.
    »Ok, Drago ist also etwas älter, als er wirkt. Aber warum erzählen Sie mir das?«
    Er lacht, aber es ist freudlos. »Drago ist einer der Guten, nach allem, was ich inzwischen weiß. Ich schätze ihn sehr, mag ihn sogar, aber ich kenne auch die Grenzen, die uns und ihn trennen. Eine davon ist die Sicht auf die Loyalität eines Mitarbeiters.«
    »Zu mir war er nie illoyal. Ich finde sogar, dass er ausgesprochen fair ist. Geben wir es für einen Moment ruhig zu, ich bin bestimmt nicht die einfachste Angestellte der Welt.«
    Sein Lachen ist nun echt. »Gut gesagt, warum habe ich nur kein Aufzeichnungsgerät mitlaufen? Doch Spaß beiseite. Er schätzt Loyalität über alles. Für einen loyalen Mitarbeiter würde er seine ganze Macht in die Waagschale werfen, um ihn zu schützen.«
    »Und das ist schlecht, weil …?« Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo Carmichaels Problem liegt.
    »Weil er Leuten vertraut, nur weil diese loyal sind.«
    »Ok, das ist natürlich furchtbar. Wie kann er nur!« Ich schüttle noch verwirrter den Kopf. Was ist nur in meinen Einsatzleiter gefahren? Ich verstehe ihn noch weniger als sonst.
    Nun seufzt er doch und knetet erneut seine Hände. »Hidoshi ist seinem Kodex treu und R.E.D., insbesondere Drago. Aber er hat kein echtes Mitgefühl. Sie erinnern sich sicher, wie ich Sie wiederholt dazu aufgefordert habe, die Gefühle ihrer Mitmenschen zu achten und dass sie versuchen sollen, guten Willen und gute Absichten anzuerkennen, auch wenn die Resultate daraus oft alles andere als gut sind?«
    Ich nicke einfach und befolge dabei seinen Rat. Zwar hat er es mir immer wieder vorgebetet, aber es war eher Ella, im gewissen Maße auch unsere Mitbewohner Sam und Moses die mir wirklich beigebracht haben, um was es genau dabei geht. Dabei habe ich ganz nebenbei gelernt, dass zu wissen, wie etwas sein sollte, noch lange nicht bedeutet zu wissen, wie man das auch hinbekommt. Aber es schadet vermutlich nicht, wenn Carmichael meine Bemühungen in der Richtung als seinen Erfolg verbucht.
    »Gut. Und hier unterscheiden Sie sich grundlegend von Hidoshi. Der verneigt sich dann immer leicht und behält seine neutrale Mine bei. Aber ich sehe doch, was er dabei denkt!«
    »Sie können Gedanken lesen?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber ich kenne diese Art von Haltung. Ich habe viel zu oft mit solchen Leuten zu tun gehabt. Das sind Leute, die man schickt, wenn eine Sache getan werden muss, weil sie solche Dinge tun, wenn man ihnen sagt, dass es notwendig ist.«
    »Ok, und nun nochmal: Das ist schlecht, weil …? Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, was ich früher getan habe. Sie könnten also sagen, dass ich auch diese Art Leute bin, die man schickt.«
    Er schüttelt den Kopf. »Oh nein. Nicht einmal zu ihren schlimmsten Zeiten, und glauben Sie mir, Ihr Akte nimmt drei Schubladen in unsrem Archiv ein. Es war nicht leicht, aber unsre Analysten haben Einiges über Sie und Ihre Taten in den letzten Jahrhunderten zusammengetragen. Niemand kann sie irgendwohin schicken, ohne dass Sie es wollen.«
    Da kann ich nur grinsen. Er hat so verdammt recht.
    »Sie sind der schlechteste Soldat der Welt, Sin, sie sind überhaupt kein Soldat. Befehle sind für Sie doch bestenfalls richtungsweisende Anregungen.« Er schnaubt, aber ich meine zu hören, dass das eher gewohnheitsmäßig, als aus tiefstem Herzen ist.
    »Und, warum bin ich dann überhaupt hier?«
    »Weil Sie ein Krieger sind, Sin. Sie kennen den Hauptunterschied zwischen einem Soldaten und einem Krieger?«
    Ich hebe eine Schulter.
    »Der Soldat hat einen Auftrag, der Krieger eine Mission.«
    Nun seufze ich. »Na schön, ich bin also ganz toll.« Er verdreht die Augen, ich verdrehe die Augen. Und schon wieder einmal sind wir uns einig. Das wird langsam zu einer beängstigenden Angewohnheit.
    »Und worauf genau wollen Sie nun hinaus. Soll ich Hidoshi im Auge behalten, dass er nicht das Korn mit dem Unkraut herausreißt?«
    Ich sehe seinen überraschten Blick. Was? Natürlich kenne ich die Bibel auch! Kacke noch eines, das war lange das einzige Buch, das man überall bekommen konnte! Wo soll Frau denn sonst das Lesen lernen?
    Er lächelt knapp. Ihm wird wohl gerade wieder bewusst, dass ich in einem völlig anderen Zeitalter meine Grundbildung erworben habe.
    »Nein, Sin. Ich will, dass Sie auf sich selbst aufpassen. Haben sie Augen im Rücken, besonders wenn sie denken, Hidoshi deckt ihn.«
    Nun bin ich wirklich alarmiert. »Aber Sie sagten doch, er wäre Drago loyal. Und Drago ist mir gegenüber loyal. Warum sollte Hidoshi mich hintergehen?«
    »Weil, Agent Alabastra, «, ah, wir werden also wieder förmlich, »die Samurai Vampire als Verstoß gegen die Ordnung der Welt ansehen und gnadenlos ausmerzen. Daher gibt es in Japan nahezu keine, dafür aber sehr mächtige Vampire. Man könnte fast sagen, die Samurai züchten unabsichtlich nur die stärksten Exemplare heran.«
    »Ich bin aber keine Vampirin mehr. Diese Zeiten sind vorbei.«
    »Und da, Agent, unterscheiden Sie Ihre Ansichten noch einmal grundlegend von denen Agent Hidoshis. Die Taten als Vampirin lastet er Ihnen weiterhin an, vermutlich glaubt er nicht einmal daran, dass Sie tatsächlich wieder vollkommen menschlich sind.«
    Womit der Samurai vollkommen richtig liegt, aber ich unterbreche Carmichael nicht.
    »Er hat zwar die Anweisung mit Ihnen zu arbeiten, aber es mag gut sein, dass seine Loyalität und Ehre es ihm gebietet, seinem Herrn Drago dieses Geschwür vom Hals zu schaffen … und gegebenenfalls dann demütig die Strafe dafür zu empfangen. Was Ihnen natürlich dann wenig nützt, und Miss McElroy genauso wenig.«
    Zuerst will ich die Schulter zucken, denn mit einem Samurai werde ich doch wohl noch fertig. Aber als er Ella ins Spiel bringt, verenge ich die Augen.
    »Er würde Ella nichts tun!«
    »Das wohl nicht, aber was würde aus Miss McElroy, wenn Sie nicht mehr da sind?«
    Mein Mund wird trocken. »Was sagen Sie da?«
    »Natürlich sind da noch ihr Lehrer Mr. Ghost und sein Partner, Mr. Moses. Sie würden selbstverständlich versuchen, Ihre Aufgabe zu übernehmen, Agent. Aber wir wissen beide, dass Miss Ella zu Ihnen eine ganz, sehr besondere Beziehung hat, und das nicht erst, seit sie zusammen sind.«
    Ich schieße vor, packe seinen Kragen und ziehe sein Gesicht ganz nahe an meines.
    Erstaunlicherweise bleibt er ruhig, obwohl ich sicher bin, dass meine Augen gerade bösartig leuchten, wie die des Terminators im Rage-Modus.
    »Woher!?«, mehr muss ich gar nicht fragen.
    »Sie kennen die Wächter, oder?«
    Verärgert lasse ich ihn los und wir setzen uns beide wieder. »Sie gehören also auch zu diesen selbsternannten Guardians of the Galaxy?«
    Er hebt amüsiert beide Augenbrauen. »So nennen Sie uns? Irgendwie bin ich fast geschmeichelt.«
    Ich frage mich, ob er tatsächlich die Filme kennt, auf die ich mich beziehe, aber behalte meinen fragenden Blick bei.
    Er nickt schließlich. »Ja, ich gehöre zu denen, welche die Mächtigen im Auge behalten.«
    »Und«, stelle ich die entscheide Frage, »warum sagen Sie mir das?«
    »Weil Sie auch eine von uns sind.«
    Ich lache verächtlich. »Oh nein, ich gehöre nicht zu Eurem Verein. Nur weil ich Euch machen lasse und ab und zu helfe, gehöre ich noch lange nicht dazu. Ich kenne ja nicht einmal den geheimen Handschlag!«
    Nun schüttelt er den Kopf: »Es ist nicht so, als dass es bei uns Aufnahmeriten gibt. Wir haben auch keine Satzung oder einen Codex. Nun ja, der innerste Kreis vielleicht, aber da haben Leute wie wir ohnehin nichts verloren.«
    »Ich.Bin.Kein.Wächter!« Langsam werde ich ernsthaft wütend. Diese Knilche haben die schwarzen Männer auf meinen Liebhaber gehetzt. Diese Kerle haben mich beinahe auf dem Gewissen. Der einzige Grund, warum ich nicht auf sie Jagd mache ist, dass sie tatsächlich versuchen die Welt vorm magischen Kollaps zu bewahren. Vincent hat mir viel darüber erzählt. Ich kann akzeptieren, dass es dabei mitunter zu Fehlentscheidungen kommt. Ich bin zum Glück nicht lange nachtragend. Aber zu denen gehören? Im Leben nicht!
    »Ich habe mich wohl falsch ausgedrückt. Es ist nicht, als ob man in einem Club eintritt, keine bewusste Entscheidung. Es ist eine bestimmte Grundhaltung.«
    »Das könnt Ihr aber nicht machen! Ihr könnt nicht einfach beschließen, dass jemand zu Euch gehört!«
    »Sin …«, aha, wir sind wieder beim Du? »Das hat nur ein Einziger beschlossen: Du selbst.«
    So ein Schwachsinn! Wütend stürme ich aus seinem Büro.
    Draußen wartet mein neuer Partner. Sollte der sich nicht fertig machen? Hat er was mitbekommen?
    »Was hatte Superintendant Carmichael noch zu sagen?«
    Ah, das ist also sein Titel? Oh, stimmt ja, steht sogar an der Tür. Gut, dass ich erst acht Jahre hier arbeite. In zehn wäre es mir bestimmt aufgefallen.
    »Was? Schwachsinn natürlich, völlig abgedrehter Bullshit! Wie es zu erwarten war!« Ich schimpfe und es kommt aus tiefstem Herzen.
    Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich der Japaner entspannt. Nun erst bemerke ich, wie er seine linke Hand zeigt, die zuvor sorgsam verdeckt war.
    »Geh schon mal vor … Partner. Ich muss noch Ella anrufen!«
    Er mustert mich noch einmal prüfend, wie ich mein Smartphone zücke.
    »Hey, Ella. Süße, ich wollte mich nur noch schnell bei Dir melden. Nacht? Ja klar, es ist Nacht. Du weißt doch, dass ich fast immer die Nachtschicht mache …«
    Als Hidoshi endlich um die Ecke verschwunden ist, betreibe ich noch etwas Smalltalk und mache damit sogar beinahe Ella sauer. Schließlich höre ich den Japaner, wie er mit Miller von der Waffenwartung spricht.
    »Schatz, hör mir bitte genau zu. Du musst für mich zu jemand Kontakt aufnehmen …«

    Ich war immer der Meinung, dass sie nie erfahren hat, was wirklich mit ihm geschehen ist. Nur, dass sie ihm eben unerwartet wiederbegegnet ist.

    Ups! Da hast du voll einen Logik-Bug entdeckt, der mir vor lauter Herzschmerz-Schau gar nicht aufgefallen ist!
    Das muss ich echt abändern. Das erfährt sie alles erst noch!

    Hm ... oder auch nicht. Ich suche heute Abend mal die Stellen raus. Bin jetzt auch unsicher!

    Die Sonne versinkt ganz langsam und der Wasserfall leuchtet in einem magischen Licht, als berge er mysteriöse Geheimnisse, die vor der Welt verborgen bleiben sollen.

    So oder so ähnlich würde Ella die Szene wohl beschreiben. Sie hat diese poetische Ader, die mir abgeht.

    Wir sitzen auf einer Picknickdecke in der Nähe des kleinen Sees in den North Woods des Central Parks und beobachten in einer versteckten Ecke schon eine Weile ein junges Liebespaar, das herum macht. Ella wollte ja zuerst zusammenpacken und gehen, aber ich habe sie einfach in meinen Armen festgehalten und mich nicht gerührt.
    Meine Welt ist im Moment genau perfekt. Die beiden jungen Menschen, die enthusiastisch aber mit wenig Ahnung ihrer Begierde nachgeben stören mich nicht. Warum sollte es, solange die beiden es nicht stört, dass sie ihre Decke genau neben einem Ameisenhügel hingelegt haben?
    »Keine Bange, die verschwinden bald von selbst.«, raune ich meiner Süßen ins Ohr. Sie dreht sich halb um und schaut in mein Gesicht. Meine arglose Mine macht sie allerdings misstrauisch, also runzelt sie ihre Augenbrauen, wie nur sie es kann.
    Ich gebe ihr einen Kuss auf die Stirn und schüttle still den Kopf. Nein, ich habe rein gar nichts damit zu tun. So gut wie fast nichts.
    Also warten wir und genießen die letzten freien Stunden, die wir noch haben. Mir wurden zwei Tage Erholung zwangsverordnet, um irgendwelche Traumata von meinem letzten Einsatz zu überwinden. Sowohl Carmichael als auch Josh haben gegrinst, als die neue Teampsychologin das bei der letzten Sitzung vorgeschlagen und auch durchgesetzt hat. Irgendwie scheint unsre Versicherung zu denken, unser Job wäre extrem stressig und genau dieser Stress würde dazu führen, dass ich mich und meine Umgebung unnötigen Risiken aussetze. Darauf haben Carmichael und Josh sogar lauthals gelacht.
    Ich selbst habe heldenhaft dem Impuls widerstanden der Psychotante eine Suggestion für ihren ganz persönlichen Stresstest einzupflanzen. Aber als ich herauskam, dass ich so bezahlten Urlaub bekomme und Ella sich auch ein paar Tage freinehmen kann, habe ich sehr zerknirscht zugegeben, dass ich vermutlich wirklich etwas überspannt bin und es unverantwortlich wäre, wenn man mich ohne geistige Regeneration wieder auf die Welt loslässt.
    Und daher regeneriere ich nun ausgiebig. Anweisung der Ärztin.
    Genau jetzt fängt die junge Frau an zu kreischen. Er meint, er hat ihr wehgetan und tut sich dabei weh, als sie aufspringt und ihm dabei ihr Knie auf die Nase rammt. Was sie im Einzelnen genau gerade gemacht haben, damit es zu diesem Unfall kommen konnte, überlasse ich euren kreativen Geistern.
    Ella jedenfalls kichert leise und murmelt irgendetwas. Eine kühle Brise kommt auf und ich sehe, wie die Bewegungen der jungen Frau ruhiger werden, während die kleine Biester auf ihrer nackten Haut, und davon hat sie gerade sehr viel, von etwas geheimnisvoll Mysteriösem, was vermutlich vor der Welt verborgen bleiben soll, beruhigt werden und sie sich ohne weitere Bisse zurückziehen.
    Trotzdem scheint die Aussicht auf weitere Bisse dem unmittelbaren Liebesglück im Weg zu stehen, denn sie besteht darauf, jetzt zu gehen. Einen lustigen Hüpftanz vollführend, kleiden die Beiden sich wieder an.
    »Du hast gewusst, dass dort ein Ameisenhaufen ist?« Ella grinst mich an und ich hebe eine Schulter.
    »Die kleinen, fiesen Roten, ja, weiß ich. Genau deswegen sitzen wir auf dieser Seite des Wasserlaufs.«
    Sie lehnt ihren Kopf gegen meine Schulter. »Du kennst Dich hier aber echt gut aus, wie kommt’s?«
    Ich brumme etwas, aber wie so oft genügt ihr diese Antwort nicht. »Na schön, das hier ist unser Platz. Ab und zu komme ich hier vorbei und sehe zu, dass er in Ordnung ist. Kein Müll, keine mordlustige Nymphe, die sich im Teich niedergelassen hat, solche Sachen eben. Kann sein, dass ich den roten Biestern manchmal eine Tube Sirup mitbringe.«
    Sie lacht überrascht. »Echt? Du fütterst sie auch noch?»
    Ich grinse. »Aber sicher doch. Sie sind nützlich. Halten die Gegend von lästigem Ungeziefer und lästigem Geziefer frei, wie Du siehst.«
    »Ich glaube nicht, dass es das Wort Geziefer gibt.«
    »Aber in dem Kontext hast Du verstanden, was gemeint ist, oder?«
    Sie lacht wieder.
    Wir sitzen wieder eine Weile einfach so da. Mehr brauchen wir auch gar nicht, also ich nicht. Während sie sich gegen mich lehnt, kann ich ihren Herzschlag fühlen, sogar hören, wenngleich es nicht das dominierende, fordernd lockende Pochen ist, mit dem ich als Vampirin dieses Geräusch wahrnahm. Im Nachhinein bereitet mir nur der Gedanke daran, dass jemand Ellas Puls so hört, einen festen kalten Knoten im Magen.
    Doch dann fühle ich die Macht, diese arkanistische Energie, welche durch ihren ganzen Körper pulsiert. Sie ist wieder angewachsen und ich habe gesehen, wie beiläufig sie ihr Zauberkunstück veranstaltet hat, um jemand, den sie in der Dämmerung nicht mehr gut sehen konnte, gegen etwas zu helfen, was sie ganz sicher nicht gesehen hat. Nicht mit ihren menschlichen Sinnen.
    »Du kannst ihre Aura sehen, richtig? Die vielen kleinen roten, hinterhältigen Auren der kleinen Biester dort drüben.«
    Ihre blauen Augen schauen zu mir auf. »Ist es so offensichtlich?«
    Ich verkneife mir das Schulterzucken, ruht doch gerade ihr Kopf darauf. »Ich kenne Dich einfach ein bisschen besser, als die anderen.«
    »Die Untertreibung des Jahrhunderts!«
    Wir schweigen wieder minutenlang. Es ist kein peinliches Schweigen. Es geht ohne Reue jeder seinen eigenen Gedanken nach. Es ist diese Art von Synchronschweigen, welches den Teilnehmern Kraft verleiht.
    Dann wird mir bewusst, dass dieser Gedanke nicht nur metaphorisch gilt. Da ist tatsächlich ein Kraftfluss, der zwischen mir und Ella besteht, wie ein unsichtbares Band.
    »Du kannst es fühlen, stimmt’s«, flüstert sie, selbst für meine Ohren kaum hörbar. Ich fühle eher die Vibrationen in ihrer Kehle, als dass ich die Worte höre. Womöglich hat sie sie auch gar nicht gesprochen?
    Ich brumme zustimmend und fragend. Ich weiß, dass sie das versteht. Niemand sonst versteht Sin-Wookie so gut.
    »Das habe ich herausgefunden, als du innerlich verletzt warst. Ich kann Dir Kraft von mir zukommen lassen, wie früher über das Blut. Zuerst musste ich Deine Hände berühren. Seitdem Du wieder gesund bist, reicht schon die Nähe zu dir.«
    Ich kann die Macht richtig fühlen, wie sie ein Reservoir in mir auffüllt, das schon seit vielen Jahren existiert. Vincent hat es damals angelegt, denke ich jedenfalls. Oder er hat es wenigstens begünstigt. Ich hatte viel Zeit, mir darüber Gedanken zu machen und mit Sam, unserem Mitbewohner, vielleicht der älteste Magier unsres Planeten, darüber zu sprechen.
    Lange hatte ich Angst, dass irgendjemand herausbekommt, wie ich das mache, wie Vincent und dann Ella ihre Energie zu mir transferieren konnten. Nicht auszudenken, wenn das Schule macht. Kein Magier wäre mehr sicher. Vor allem nicht die Schwachen. Man würde sie jagen, wie Vampire ihre Opfer, nur dass die ganze Welt die Jäger wären. Keine guten Zahlen. Aber endlich sind wir zum Schluss gekommen, dass es eine einmalige oder zumindest sehr seltene Fähigkeit ist, die soweit uns bekannt, nur ich besitze. Vielleicht, weil ich selbst ein latenter Arkanist bin, obwohl das bei einem Vampir unmöglich sein sollte.
    Was aber niemand weiß, nicht Sam, nicht Drago, auch nicht Ella, ich wurde als Vampir vernichtet. Wurde vollkommen verbrannt, durch eine der mächtigsten Feuerquellen, die diese Welt zu bieten hat. Und ich wurde neu geschaffen, neu erschaffen. Von Vincent, meinem magischen Liebhaber. Der sterben musste, weil sein Körper seine Macht schließlich nicht mehr halten konnte. Der neu geboren wurde. Der nun Ella heißt, die ich nur noch fester an mich drücke.
    Ich fühle, wie ich langsam aber sicher high werde. Magie-Energie hat Ähnlichkeit mit der Lebensenergie im Blut, nur dass sie viel reiner und stärker ist. Ein normaler Menschenkörper wird von ihr zerstört, weswegen sie normalerweise aus ihm einfach abfließt. Vincent erklärte mir damals, dass das Magiergen eigentlich ein Gendefekt sei. Ein toller Defekt. Ein Defekt, der die Erdachse neigen kann, wenn er ausgeprägt genug ist. Viele Magier finden Mittel und Wege mit dem Defekt zu überleben, manche können sogar ganz gut damit leben. Aber manche sind einfach zu stark. Ihre Zeit läuft ab, egal was sie anstellen. Außer, man ist so clever wie Vincent und findet einen neuen Weg.
    Ella fühlt, wie ich sie betrachte. Ist sie auch bedroht? Sie ist sehr stark, das kann ich fühlen. Was sie mir von sich gegeben hat, war bestimmt nur ein Bruchteil. Droht ihr dasselbe Schicksal wie Vincent? War mein ach so schlauer Freund am Ende doch nicht schlau genug, sein eigenes Schicksal zu überwinden? Schnell verberge ich meine Sorge tief im Inneren.
    Für einen Moment gestatte ich mir, ihre Aura zu sehen. Mit genug arkanistischer Energie kann ich das schon lange. Kein schwerer Trick, aber ich bekomme sofort Kopfschmerzen von den zusätzlichen Eindrücken. Wie Magier das auf Dauer aushalten, ist mir ein Rätsel.
    Was ich sehe, ist meine Ella, meine wundervolle, liebenswerte, freundliche und kluge Gefährtin. Eigentlich ist in jedermanns Aura mindestens ein Schatten. Bei vielen ist er wie ein Pilzgeflecht über die ganze Aura verteilt, steckt in jeder einzelnen Nuance, bei manchen sind es kleine Flecken oder sogar nur Punkte. Ich wette, bei mir sind es große Flecken, wie bei einem Jaguar, aber man kann seine eigene Aura nicht sehen. Vielleicht ist das ganz gut so, man könnte es vielleicht nicht ertragen, was man da sieht. Aber Ella braucht sich da nicht zu fürchten. Wenn sie solche Flecken hat, habe ich sie bislang nicht finden können, und ich habe ernsthaft danach gesucht.
    Ich liebe sie und es wird mich umbringen, vermutlich nicht nur metaphorisch. Aber ich werde mein Wort halten, was ich Vincent gab, was ich damit auch ihr gegeben habe. Mein Wort gilt. Sollte sie zu einer Gefahr werden, wie es Vincent am Ende wurde, dann ziehe ich die Reißleine.
    Aber es wird mich ganz sicher umbringen, daran gibt es gar keinen Zweifel.

    »Hör auf damit!«, holt sie mich aus meinen trüben Gedanken.
    Oh ja, das sollte ich, das kann ich! Kein Schatten weit und breit. Und schließlich ist das hier Ella.
    Mit Vinnie hat mich die Abenteuerlust verbunden, unser wildes Wesen. Er konnte es mit der dunklen Vampirin aufnehmen, mit ihr mithalten, wenn sie es mit der Welt aufnahm. Scheiß auf die Konsequenzen, zur Hölle mit Konventionen und zum Teufel mit dem bösartigen Monster, was in jedem Vampir haust. Ich wollte leben, nicht einfach die Jahrhunderte überdauern. Und mit Vincent war das möglich.
    Aber das hier ist Ella.
    Heute will ich nicht einfach leben. Heute will ich lieben, geliebt werden. Ich will mit ihr leben. Ihr denkt vielleicht, als Vampirin war ich besser dran. Unsterblich, fast unverwundbar, schnell und stark und vor allem nicht durch so lästige Gedanken behindert, wie sie mir gerade durch den Kopf gehen.
    Das denken viele. Deshalb entscheiden sich Narren sogar freiwillig für den Weg in den Untod.
    Ihr irrt euch alle! Ich war nie stärker als heute, nie motivierter, wusste mehr, warum ich aufstehe und warum ich mich auf den nächsten Tag freuen soll. Aber vielleicht muss man auch tot gewesen sein, um das Leben richtig schätzen zu können.

    »Drei Stunden, Agent. Drei ganze Stunden hat das NY Fire Department gebraucht, um sicherzugehen, dass keine weiteren Brände aufgetreten sind.«
    Carmichael mal wieder, wer sonst? Da schafft man es, durch eine gezielte Explosion wirklich jeden Schrat zu erwischen und durch einen weiteren kleinen Knall, die ganze Bande vor Panik in den East River springen zu lassen, und dann wird herumgekritelt, auf welche Art und Weise, man das schier Unmögliche hinbekommen hat.
    »Agent Alabastra hat aus einer üblen Situation das Beste rausgeholt, Sir. Sie musste etwas unternehmen, immerhin war Agent Voltaire verletzt.«, kommt Beistand aus nicht völlig unerwarteter Richtung. Joshua Jameson ist zwar beinahe einen Kopf kleiner als ich, dafür zwanzig Kilogramm schwerer, aber er besitzt ein natürliches Maß an Eigensinnigkeit und vor allem Stehvermögen, das sich Ella damals erst aneignen musste, als wir gemeinsam hier anfingen. Allerdings ist Josh auch schon Mitte vierzig und sein Leben war bislang alles andere als gradlinig und einfach verlaufen.
    »Nur durch ihr entschlossenes Eingreifen wurde verhindert, dass die Schrate noch mehr Leute verletzt haben.«
    Eugene Carmichael, unser Einsatzleiter, sieht sich nun einer recht neuen Situation gegenüber. Normalerweise gibt es niemand, der für mich Partei ergreift. Sir Drago selten, weil er nur bei ganz Wichtigen Debriefings anwesend ist – kluger Mann – Ella selten, weil sie weiß, dass ich es nicht leiden kann, wenn sie meine Kämpfe für mich austrägt - kluge Frau.
    »Mister Jameson, zu Ihnen komme ich gleich noch.«
    Bei Josh bin ich mir noch nicht sicher, ob ich es akzeptiere, oder ob es mich stört. Eigentlich müsste es mich nerven, andererseits ist mir sehr wohl bewusst, dass nicht ich es bin, die er versucht zu beschützen. Ich hebe die Hand und beide verstummen in ihrem aufkommenden Streitgespräch.
    Beide schauen mich erwartungsvoll an, aber ich grinse nur und verlasse den kleinen VIP-Warteraum im Mercy- General, welchen wir uns organisiert haben.
    »Was ist los?« , fragen beide. »Hast Du etwas gehört?« Das ist Josh. Er sitzt wie auf glühenden Kohlen, seitdem man Nikkie in den OP gebracht hat. Ohne zu antworten, gehe ich weiter und nach einigen Sekunden verstörten Zögerns, was die Streithähne auf wundersame schneller wieder vereint als es ein Donnerwetter von Sir Drago gekonnt hätte, folgen sie mir.
    »Oh, Sie wissen es schon?« Die Frau im weißen Kittel sieht fix und fertig aus. Kein Wunder. Sie war schon ziemlich erschöpft, als Nikkie eingeliefert wurde.
    »Die OP ist gut verlaufen«, antworte ich an ihrer Stelle. »Nikkie ist im Aufwachraum und je einer von uns kann zu ihr. Damit sie ein freundliches Gesicht sieht, wenn sie aufwacht.«
    Die Ärztin blinzelt ungläubig. »Woher? Wie? Das habe ich vor nicht einmal einer halben Minute mit dem Pfleger besprochen.
    Ich zucke eine Schulter. »Ausgezeichnetes Gehör, und ich musste mich ja sonst auf nichts Wichtiges konzentrieren.« Ohne auf Carmichaels sich verengende Augen zu reagieren, schiebe ich Josh zum entsprechenden Raum. Er will zuerst widersprechen, sein Blick geht zu Boden, weil es ihm offenbar peinlich ist. Noch so eine Reaktion, die in mir Unbehagen auslöst, weil ich sie nicht recht nachvollziehen kann.
    »Sie sagte ausdrücklich ein freundliches Gesicht.« Ich zeige in mein Gesicht und deute zu Carmichael, der wie auf Kommando gerade aussieht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. »Freundlich, kapiert?«
    Erleichtert lächelt mein Operator und betritt nach mehrmaligem Durchatmen den Raum. Warum machen sich die Leute das Leben auch immer so verdammt schwer? Ist das Leben nicht schon kurz genug, ohne sich Gedanken über Dinge zu machen, die vielleicht sein oder nicht sein könnten?
    Carmichael schaut mich zuerst prüfend an, dann fällt auch bei ihm der Penny. »Jameson und Voltaire …?«
    Ich grinse kurz und hebe beide Schultern. »Sie werden doch nicht ernsthaft jetzt mich wegen zwischenmenschlicher Beziehungen fragen wollen?«
    Er grinst zurück. »Natürlich nicht. Ich gebe die gute Nachricht an Sir Drago weiter.« Ob er nun meint, dass Nikkie über den Berg ist, oder das sie und Josh eine Liaison haben, ist mir nicht ganz klar. »Aber wir beide reden noch ausführlich über Ihre Aktion auf der Brücke.«
    »Na sicher.«, stimme ich zu, aber wir beide wissen auch, dass hauptsächlich er reden wird und ich dabei mehr oder weniger aus Höflichkeit oder Professionalität im selben Raum bleibe.
    Während er in den VIP-Raum zurückkehrt, zücke ich mein Smartphone auf dem Gang. Gleich zwei Pfleger kommen vorbei, während ich es ans Ohr halte und starren vielsagend hinter mir an die Wand.
    Dort hängt ein stilisiertes Bild von einem Mann, der telefoniert. Das ganze Bild ist von einem Roten Kreis und einem ebenso roten Kreuz darüber überlagert. Ich seufze leise, während ich auf den Aufbau der Verbindung warte und stelle mich drei Meter weiter an dieselbe Wand. Ich sehe zwar wirklich keinen Grund, warum telefonierende Leute dort hinten nicht herumstehen sollten, aber ich habe auch keine Lust mich deswegen zu streiten. Vielleicht ist der Platz ja für etwas Wichtiges reserviert. Wer versteht schon Krankenhäuser?
    »Sin? Weißt Du eigentlich wie spät es ist?« Ella hört sich an, als ob ich sie gerade aus einem Traum gerissen hätte. Vermutlich hat sie, schlaftrunken, wie sie noch ist, vergessen, dass sie ihr Tablett nie außer Reichweite hat und sie daher leicht selbst die Uhrzeit nachschauen kann. Also halte ich eine durchgehende Person auf, frage sie nach der Zeit und antworte dann: »Es ist 4.37 Uhr, Süße. Und jetzt wach mal ganz auf, ich brauche Deine Hilfe.«
    Ich höre sie irgendwie verzweifelt auflachen, aber dann ist sie auch schon bei der Sache. Gutes Mädchen!
    »Also, ich brauche eine Zusammenfassung einer Personalakte, und alles, was Du sonst noch herausfinden kannst. Wie? Ja, klar jetzt. Ich rufe doch nicht um diese Zeit an, wenn ich es erst in drei Stunden brauche. Ich weiß doch, dass Du um diese Zeit sonst schläfst ...«
    Warum sie nun wieder laut seufzt verstehe ich auch nicht.

    Als Josh eine Stunde später endlich den Aufwachraum verlässt, fange ich den Pfleger ab, der Nikkie in ihr Zimmer für die Nacht verlegen will. »Gib mir Fünf Minuten.«
    Er schaut mich an, als wäre würde ich vom Mars kommen. »Bitte.«, füge ich daher nach einem Geistesblitz hinzu und taxiere seinen müden Blick. »Mach doch eine kurze Kaffeepause, Du scheinst es bitter nötig zu haben.
    Der Pfleger blinzelt zweimal. »Ich geh mir mal einen Kaffee holen, bin in etwa fünf Minuten zurück.«
    »Gute Idee«, stimme ich zu, und betrete den Aufwachraum.
    Nikkie sieht irgendwie geschrumpft aus, wie sie im Bett liegt. Aber ihr Blick ist voller Leben und sie scheint trotz frisch überstandener OP am Rücken, ganz guter Laune. Ja, so mag ich meine Partner. Gut drauf und unverwüstlich, wenn schon nicht mit ihren Körpern, so aber wenigstens im Kopf.
    »Hi, Partner.«, grüße ich.
    »Hi, Partner«, grüßt sie zurück. »Josh hat gesagt, Du hast die Schrate im East River versenkt?«
    »Er übertreibt. Das Wasser war ruhig und die Schrate treiben. Wahrscheinlich wurden sie ans Ufer gespült und sind jetzt längst über alle Berge. Könnte mir gut denken, dass sie sich hinter den Nebel zurückgezogen haben, jetzt wo sie gelernt haben, dass New York vor dem Nebel kein gutes Schratgebiet ist.«
    Sie grinst und klopft neben sich aufs Bett. Ich schüttle den Kopf, weil ich die Kuhle gut erkenne, die mein Vorgänger auf dem Platz hinterlassen hat. Eigentlich will sie gar nicht mich dort sitzen haben.
    »Du und Josh also.«
    Nikkie zuckt ein wenig zusammen, aber ich hebe beruhigend die Hand. Dann hole ich das Smartphone und rufe die Zusammenstellung auf, die Ella mir gemacht hat.
    »Joshua Jeremy Jameson, von seinen Freunden meistens Three-J oder Jay genannt. Dreiundvierzig Jahre alt, keine Frau, keine Kinder. Wie es aussieht, schon ewig keine Freundin mehr gehabt. Keine nennenswerte Verwandtschaft. Alle Arbeitgeber haben ihn bislang als zuverlässigen Team-Spieler beschrieben, aber keine Führungspersönlichkeit. War früher Netzwerk-Software-Entwicklungs ... Dingens, bis er mit Kobolden in Berührung kam. Er wollte seinem Therapeuten partout nicht glauben, dass es eine Halluzination war, die seine Serverfarm zerstört hat und ist schließlich bei R.E.D. gelandet. Zuvor hat er alles, was er hatte verloren, weil er arbeitslos geblieben ist und sich der Suche nach weiteren Unnatürlichen Wesen gewidmet hat. Er arbeitet methodisch, ist aber leicht reizbar, allerdings auf die gute Art, weil er sich dann noch mehr einsetzt. Zudem ist er jemand, der mir nicht genug auf den Keks geht, als dass ich es rundweg ablehne, mit ihm zu arbeiten. Ella sagt, das wäre ein Qualitätssiegel, warum auch immer sie das so betont.«

    Nikkie schweigt, schaut mich betroffen an.
    »Was? Dachtest Du, ich werfe nicht einen genaueren Blick auf den Kerl, der offensichtlich meine Partnerin flachlegt, sobald die beiden es auf die Reihe bekommen, dass sie aufeinander stehen?«
    Mit offenem Mund formt sie stumm das Wort flachlegt, dann fängt sie sich wieder. Hat ja lange genug gedauert. Sonst ist sie fixer. Vermutlich die Nachwirkungen der Narkose.
    »Das geht Dich überhaupt … und außerdem ist es verboten. Beziehungen zwischen Agenten und ihren Operatoren sind nicht erwünscht!«
    Ich wische das Gerede einfach zur Seite. »Partner, Du bist ja immer noch halb unter Drogen, wenn Du so einen Stuss redest. Josh wäre beinahe durch den Ohrstöpsel gekommen und hätte mich am Kragen gepackt, als ich seiner Meinung nach, nicht schnell genug zu Dir unterwegs war. Ihr seid ja verrückt, wenn ihr der Sache nicht wenigstens eine Chance gebt. Zudem fällst Du ja jetzt ohnehin eine Weile vom aktiven Dienst aus, oder?«
    Sie verzieht das Gesicht. »Ja, noch einige Wochen hier. Streckverband und so was. Dann Reha. Keine Ahnung, wie lange das gehen wird. Sorry, Partner. Es lief gerade so gut mit uns an.«
    Ich nicke. »Stimmt, aber mach Dir darum jetzt keine Gedanken. Mich wird’s noch geben, wenn Du wieder fit bist, keine Sorge.«
    Ihr Lächeln ist irgendwie ironisch. »Davon gehe ich stark aus.«

    Als ich das Krankenhaus verlassen will, höre ich an der Pforte, wie ein Bericht bei Roxx-News läuft:
    »In den frühen Morgenstunden kam es auf der Queensboro-Bridge zu einem folgenschweren Zusammenprall eines Gefahrenguttransporters mit einem Langholzwagen. Das Holz entzündete sich und musste zum Schutz der Brücke ins Meer geräumt werden. Es kam zu massenhaften Auffahrunfällen, zu leichten Verletzungen und vereinzelten Halluzinationen wegen des austretenden Gases. Eine gesundheitliche Bedrohung für die Bevölkerung besteht aber, laut NYFD, nicht mehr. Die Aufräumarbeiten dauern an. Die Autofahrer werden gebeten, über den Queens-Midtown-Tunnel und die R.F.K- Brücke auszuweichen …«

    »Okay, bin da. Viel Geschrei, heilloses Chaos und vor lauter Hupen von weiter hinten, kann ich mein eigenes Wort nicht verstehen!«
    Selbst mit meinem Batmonster-Gehör verstehe ich nur teilweise, was Josh mir da antwortet.
    »… … … … … or Ort. Kannst Du … … … hen?«
    Man wirft mir mitunter Phantasielosigkeit vor, aber ich beweise das Gegenteil, indem ich erahne, was mein kleiner Mann im Ohr mir sagen will.
    »Sehr gut, die Kollegen in Blau und Rot-Gelb. Nein, bisher sehe ich Nikkie noch nirgends, aber hier ist es entweder schlagschattendunkel oder grellhell, weil man in Scheinwerfer schaut. Unsere schratigen Kameraden sehe ich aber sehr gut. Die spielen gerade Capture the Flag auf einem Tanklaster. Ich gehe da mal mitspielen.«
    »Nimm … … ache … ster. … … lie …er, ob … …wo …kie … fi…t!«
    »Spinnst Du? Ich nehme keine Rache am Laster und singe bestimmt auch keine Lieder, wo man einen Trekkie findet. Echt Dick, nimm die Sache gefälligst ernst!«, gebe ich zurück. Mein Grinsen kann er ja zum Glück nicht sehen! Ich und phantasielos, ha!
    Wie ein Parcours-Läufer turne ich über Motorhauben, mache einen Bocksprung über einen Kleinbus und hangle mich ein Dutzend Meter an der Decken-Verstrebung entlang, bis ich beim umgekippten Tanklaster bin. Von oben sieht die Sache leider gar nicht mehr spaßig aus. Gefahrengut Klasse 4, lese ich da. Kacke zum Quadrat. Wenn das hier im Tunnel hochgeht …
    »OB ICH SPINNE?! BEWEG DEINEN BLASSEN ARSCH UND SUCH GEFÄLLIGST AGENT VOLTAIRE, HIMMEL, ARSCH UND ZWIRN!«
    Ob das Hupkonzert leiser geworden ist, weil hier im Umkreis gar keiner mehr hupt, oder Josh gerade eine Selbstmord-Attacke auf meinen Hörnerv gestartet hat, werde ich später klären. Jedenfalls klingelt mir das Ohr gewaltig, doch angesichts der neuen Lageanalyse bleibe ich ruhig.
    »Durchatmen, Josh. Ich mache meinen Job, Du Deinen. Sag dem FD, dass hier ein Klasse 4 Gefahrenguttanker umgekippt ist. Noch sehe ich kein Leck. Ich sehe zu, dass ich die Schrate von hier weglocke.«
    Ich höre ihn durchatmen. Guter Junge. Habe ihn wohl etwas zu sehr genervt. Würde mir vermutlich leidtun, wenn ich wüsste, wie das geht.
    »Alles klar, mach ich. Und entschuldige, wegen eben.«
    »Vergiss das erst mal. Ich lege gleich los. Sind acht Schrate, wenn ich es richtig gezählt habe. Gib mir was zum Tanzen auf die Ohren.«
    »Was? Jetzt? Hast Du sie denn nicht mehr al… «
    Ich ziehe meinen Ohrstöpsel heraus und verstaue ihn in der Jackentasche. Noch mehr Genöle kann ich wirklich nicht brauchen. Während ich auf einem Bus hockend versuche einzuschätzen, wo ich am besten angreife, krame ich nach den Stöpseln für den MP3-Player.
    Da sehe ich Nikkie. Direkt hinter dem Gefahrengut-Truck haben sich zwei Autos verkeilt. Das eine ist leer, doch im anderen, irgend so eine französische Kompaktklasse, sind zwei kleine Jungs und ihre Mutter eingeklemmt. Die Frau versucht die Windschutzscheibe einzutreten. Nette Idee, sieht im Film aber viel einfacher aus, als es ist. Meine Partnerin versucht die Jungs zu beruhigen und den Kofferraum zu öffnen, der halbwegs unverbeult aussieht. Leider kann sie den fünf Meter großen Schrat nicht sehen, der sich gerade umdreht, weil ihn das Rufen und Schreien der Autoinsassen irgendwie dazu anregt. Da ich stark bezweifle, dass ein Schrat irgendeine philanthrope Ader besitzt und nur helfen will, vergesse ich meine Musik und springe mitten zwischen die Baumwesen und lenke ihre Aufmerksamkeit auf mich.
    »Hallo, werte Mobilgewächse. Dürfte ich die edlen Grünwesen höflichst dazu auffordern …«
    Ein astartiger Arm von gut drei Metern Länge und acht Zentimetern Durchmesser hätte mich glatt per Homerun von der Brücke gefegt, aber ich ducke mich schnell zwischen Tank und Kabine.
    Ich darf also nicht. Vielleicht darf ich ja etwas Anderes? Sobald der nächste Arm auf mich zukommt, drücke ich den reversen Todmannschalter und die Schweißflammen meiner Stäbe glühen weiß auf, als ich sie in die holzartige Haut ramme. Schrate haben keine Stimmbänder, also hört man den Schrei nicht, aber die Reaktion ist eindeutig. Das tat weh!
    Mit einem Sprung verlasse ich den Truck und biete mich auf dem Autodach eines verlassenen Prius als Ziel dar, beide Fackeln hoch erhoben, wie dereinst Stanley Goodspeed auf The Rock.
    »Hier bin ich, hirnloses Nachtschattengemüse!« Ich hüpfe und wedle mit den Armen, aber die Reaktion ist nicht ganz jene, die ich erwartet habe. Der Plan war, sie folgen mir in planloser Verfolgungsjagd und ich fliehe in heilvoller, geplanter Flucht.
    Dass tatsächlich jemand einen Austin Mini nach mir wirft, daran habe ich wirklich keinen Augenblick geglaubt! Diese verdammten Schrate beweisen leider gerade, dass sie im Baseball sowohl als Schlagmänner, wie auch als Werfer, eine echte Bereicherung für die New York METs wären.
    Dem Mini weiche ich gerade noch durch gekonntes Mich-Fallenlassen aus, dem GMC-PickUp, der als nächstes auf mich zufliegt, kann ich nur mit großen Augen entgegen starren.
    Da trifft mich etwas von der Seite, stößt mich vom Autodach und gemeinsam landen wir hart zwischen den Fahrzeugen.
    »Au, Scheiße. Ich glaube, ich habe mir gerade den Rücken verrenkt!«
    So sanft ich kann, hebe ich Nikkie von mir herunter, denn niemand anders hat mich gerade davor bewahrt, die nächste Sonderbriefmarke der Monsterjägeredition zu werden.
    »Uff, danke Partner.« Ich hebe kurz den Kopf zwischen den Wagen hoch. Gut, die Schrate sind unschlüssig, was sie nun machen sollen. Vermutlich ist ihr Erfahrungsschatz im Agenten per Autoweitwurf zu jagen noch nicht sehr reichhaltig.
    »Jetzt bin ich aber ernstlich sauer. Das hätte echt schief gehen können!«
    Nikkie grinst mich tapfer an, aber ich sehe, sie geht heute nirgendwo mehr hin.
    »Gut gemacht, Partner.« Ich grinse sinister. » Seitenwechsel - jetzt bin ich auf dem Wurfhügel!«
    Im halboffenen Kofferraum des Wagens, der uns gerade Deckung gibt, sehe ich zwei Benzinkanister. Kurzes Schütteln verrät mir: Beide fast voll.
    Ich schaue auf meine beiden Fackeln, die inzwischen ausgegangen sind, weil ich den Schalter losgelassen habe und dann auf die Kanister.
    Nikkie schüttelt entsetzt den Kopf, aber ich nicke nachdrücklich.
    »Fastball-Time. Warte hier, bin sofort wieder da! Heute gibt's kein Extra-Inning!«
    Während ich in jeden Kanister eine meiner Schweißfackeln versenke, trete ich zwischen den Wagen hervor. »Ihr wollt also die ganz harte Tour?«, schreie ich den Baumwesen entgegen. »Verdammt, warum habt Ihr das nicht gleich gesagt!«
    Ich schwinge den ersten Kanister.

    Wie war das noch gleich: Uuuuund der Pitcher wirft eine Granate. Die Menge ist aus dem Häuschen ...

    »Es mir völlig egal, was er getan hat. Sie können doch ihren Partner nicht in einen Sarg sperren und den Deckel dann abschließen!«
    Carmichaels Adamsapfel hüpft, als wolle er jeden Moment aus seinem Hals springen.
    »Und wie kommen Sie überhaupt dazu Agent Quinland einfach stehen zu lassen und alleine loszuziehen? Ist Ihnen denn nicht klar, was Ihnen ohne Ihren Partner alles zustoßen kann?«
    Ich grüble über diverse Möglichkeiten.
    Ich könnte nicht beschossen werden, weil unsere Monster ganz selten schießen.
    Ich könnte nicht vorwurfsvoll von Dr. Elisabeth angestarrt werden – ja, das ist die Frau, die wie ein Gargoyle aussieht, die KANN starren – weil ich mich habe anschießen lassen.
    Ich könnte vielleicht auch einfach entspannt meinen Job machen, während ich am Steuer meines eigenen Wagens ins angemessener Geschwindigkeit zu einem Auftr …

    »Glauben Sie vielleicht, Agent Quinland legt noch irgend einen Wert darauf, wieder mit Ihnen zu arbeiten?«, unterbricht Carmichael meine Überlegungen. Ich vermute daher, es war eine rhetorische Frage. Womöglich sind alle Fragen bisher solcher Art?
    Ich hebe meine Augenbraue und mustere zum ersten Mal das Gesicht meines Einsatzleiters. Er sieht irgendwie müde aus, denke ich. Ich suche seinen Blick und als ich ihn habe, schicke ich ihm den freundlich gemeinten Rat, ein Nickerchen zu machen.
    Jetzt gleich.
    Sofort.
    Wegen mir, am Schreibtisch.
    Aber er soll auf jeden Fall aufhören, mich anzubrüllen, weil nämlich ich so langsam aufhöre, die ganze Situation von der absurd komischen Seite zu nehmen.

    Ich wurde nicht zum ersten Mal verletzt, ich kann das ab. Tatsächlich wurde ich schon mehrfach angeschossen, obwohl ich da meist ein Vampir war und es mich fast nicht gejuckt hat.
    Sogar von einer Partnerin, bin ich schon versehentlich beschossen worden. Von Ella, mit einer Harpune im Urlaub. Zum Glück konnte ich das Ding abfangen, bevor es mich gepikst hat. Blut beim Tauchen im Great Barrier Reef kann schnell Haie anlocken. Die richtig großen. Selbst mit Beasts Hilfe, hätte Sinistre gegen weißer Hai kein schönes Urlaubsfoto ergeben.
    Es ist mir aber echt noch nie passiert, dass ein Profi, der mir den Rücken decken sollte, mich angeschossen hat, und dabei nicht einen einzigen verdammten Treffer beim Feind gelandet. Nicht einen!
    Nein, ich bin nicht sauer auf Quinland, weil er mich versehentlich erwischt hat. Schlechter Start, kann vorkommen, kein Ding. Aber wie man nach zweiundreißig abgefeuerten Schüssen nicht nur keinen einzigen Treffer am Feind landen kann, sondern sich dabei von hinten beinahe noch aufschlitzen lässt, das kann ich einfach nicht nachvollziehen. Will ich auch gar nicht.
    Anders gesagt, Quinland ist raus, aber so was von.

    Ich blicke auf den friedlich, auf seinen Akten eingeschlummerten Carmichael. So mag ich meinen Einsatzleiter am liebsten: Ruhig, entspannt und im Besitz aller relevanter Informationen.
    Vorsichtig ziehe ich die Akte einer der anderen Kandidaten unter seinen Armen hervor. Mal sehen, wen ich erwischt habe:
    »Nicole Voltaire, 33. Ex-Cop aus Chicago. Zwei Einsätze in Afghanistan. Kam dort mit einer Sphinx in Kontakt. Seit drei Jahren bei R.E.D. . Nicht verheiratet, keine Kinder, einen Bruder, der in New Jersey wohnt. War letztes Jahr beim Einsatz gegen die Werraten in der U-Bahn dabei, ah ja, ich erinnere mich dunkel.«
    Ich schaute mir das Bild an. Sie sieht nett aus, etwas verkniffen vielleicht, aber wer sieht auf solchen Fotos schon gut aus? Bis auf Ella natürlich.
    »Voltaire? Ich kenne einen Voltaire aus Paris. Hieß eigentlich François Arouet. War so ein Dichter Schrägstrich Philosoph. Ob die eine Nachkommin ist?« , frage ich mich halblaut.
    Ein Lachen antwortet mir von der Tür. Es ist Sir Drago. Beinahe unheimlich, wie sich ein so beleibter Mann wie er, leise wie eine Katze bewegen kann. »Ich nehme nicht an, dass Ihre Bekanntschaft aus der französischen Revolution, den Künstlernahmen an seine Nachkommenschaft vererbt hat.«
    Ich grinse und nicke zustimmend. »Aber ich mochte den Kerl. Hatte schlaue Ideen, aufklärerische Ideen. In der Art, dass es Monster wie Vampire gar nicht gibt. Hatte daher auch keine Angst vor mir und man konnte echt vernünftig mit ihm reden. Kam selten vor zu jener Zeit, echt. Diese Voltaire nehme ich jedenfalls heute Abend mit, wenn das ok ist.« Ich tippe auf die Akte.
    Drago wirft einen Blick auf den schlafenden Carmichael, sagt aber weder etwas, noch unternimmt er etwas, ihn zu wecken. Habe ich auch gar nicht erwartet. Wir wissen beide, was wir an einem entspannten Einsatzleiter haben.
    »Ich nehme an, sie verständigen Miss Voltaire persönlich.« Es ist eigentlich keine Frage, da er schon das Büro wieder verlässt. Deswegen kommen wir auch so gut klar. Ich weiß immer genau, ob er wirklich eine Antwort von mir erwartet.

    ---

    »Dick wir haben ihn verloren. Siehst Du Ihn mit der Drohne?«
    Ein leises Knurren kommt aus meinem Ohrstöpsel. »Mein Name ist Josh, nicht Dick, Mick oder gar Trick. Bitte merken Sie sich das doch bitte endlich, Agent Alabastra.«
    Unser neuer Operator klingt ziemlich genervt. Wenn er wegen so etwas schon gestresst ist, du liebe Güte!
    Ich tausche einen Blick mit Nicole, alias Nikki, meiner neuen Partnerin. Es ist unser dritter Einsatz und bisher kommen wir ganz gut klar. Sie lässt mich mein eigenes Auto fahren, akzeptiert meine größere Erfahrung, sowohl als Monster, wie auch als Monsterjägerin und außerdem kennt sie die besten Diner in unsrem Einsatzgebiet. Es tut wirklich gut jemand um sich zu haben, der gutes Essen so zu schätzen weiß wie ich.
    Meine liebste Ella liebt zwar auch meine Küche, aber ich habe den Verdacht es spielen gewisse erotische Aspekte beim gemeinsamen Kochen eine bedeutendere Rolle, als meine Fähigkeit Essen zuzubereiten, was den Namen auch verdient.
    Ich glaube manchmal, es ist ihr genau so recht, wenn wir uns etwas bestellen und es dann wie die Barbaren vor dem Fernseher lümmelnd mit Plastikgabeln aus der Tüte futtern. Aber vielleicht muss man auch ein halbes Jahrtausend mit einem fast abgestorbenen Geschmackssinn verflucht gewesen sein, um gutes Essen wirklich würdigen zu können.
    Nikki hebt grinsend beide Hände in meine Richtung. »Komm, Joshua, sei lieb. Siehst Du etwas per Wärmebild?« , bezirzt sie ihn.
    »Klar, Moment, lass mich die Drohen auf Wärmekamera umschalten.«
    Sie kann einfach viel besser mit Rick umgehen als ich.
    Wir kurven schon eine ganze Weile in Queens herum. Wir verfolgen einen Schwarm Nachtschrate. Die Biester leben normalerweise in Grüngebieten, noch lieber in Wäldern. Im Baumstaat Maine, Ella hat glaube ich mal erwähnt, dass dort um die 90% der Fläche bewaldet sind, sollen bis zu anderthalb Millionen Baumschrate leben, aber ein paar Unterarten haben es auch von Neu Amsterdam (New York hinterm Nebel!) ins New York vor dem Nebel geschafft. Und dort sind sie eine echte Plage, weil sie da so gut wie keinen Lebensraum vorfinden und einfach überall ihre Kolonien versuchen zu gründen. Wenn also in Deiner Nähe irgendwo aus dem Nichts ein kleines Wäldchen von zehn bis fünfzehn seltsamen Bäumen über Nacht entstanden ist, sei vorsichtig. Schrate haben leider so fast überhaupt nichts von den sanftmütigen Ents aus dem Herrn der Ringe, außer ihrer Durchschlagskraft, die kommt in etwa hin. Ein Auto durchbohren sie mal nebenbei, einen Truck können sie umkippen und ich habe selbst gesehen, wie sie ganze Straßen bis zu den Wasserohren aufgerissen haben, im Versuch dort zu wurzeln.

    »Sie sind auf der 59th Street Bridge. Oh, Scheiße!«
    Da kann ich unsrem Operator nur zustimmen. Zum Glück ist zwar Nacht, aber die Queensborobrücke, wie sie in echt heißt, ist die wichtigste Verbindung nach Manhattan über den East River.
    »Und wo genau da?«, frage ich angespannt, während ich den Mauler zur Auffahrt lenken.
    »Kann ich nicht genau sagen! Die Drohne kann dort nicht fliegen.«
    »Was? Die beiden Decks sind groß genug um Vierzigtonner dort fahren zu lassen. Früher lief sogar der Güterzug dort durch. Mick, wie viel Platz braucht deine Minidrohne denn noch?« Ich bin mehr verwundert als sauer. Er ist zwar zickig, aber er war bislang immer sehr kompetent. Kein Wunder, Ella hätte mir nie einen Trottel als Vertretung organisiert.
    »Josh, Himmel noch eins, ich heiße Josh! Äh … ich hab mich wohl falsch ausgedrückt. Ich könnte dort schon fliegen, aber wir hätten dann schneller Ärger am Hals, als ich Homeland sagen kann. Seit dem 9.11. sind doch alle Brücken Flugverbotszonen.«
    Ich fluche lautlos.
    »Wir müssen uns wohl aufteilen, Sin.«
    Nikki sagt es, und sie hat recht. Zwei Decks, zwei Jäger. Aber wohl ist mir bei der Sache überhaupt nicht.
    »Gut«, sage ich entschlossen und fahre rechts ran, hinter mir wieder ein Hupkonzert. Wie lange wohne ich jetzt schon in New York, und die Leute haben es immer noch nicht gerafft, dass ich mich weigere, zu blinken?
    »Du nimmst den Dodge.« Schon steige ich aus. Da Nikki keine Trantüte ist, rutscht sie auch sofort auf den Fahrersitz und packt den Griff der Tür.
    »Und was machst Du?«, fragt sie stirnrunzelnd.
    »Natürlich laufen, was sonst?«
    »Die Brücke ist zwei Meilen lang!«
    »Na und, die zwei Meilen laufe ich in drei Minuten, in zwei, wenn keiner im Weg steht.«
    Nikki schaut mich kurz groß an und schlägt sich dann mit der Hand an die Stirn. »Na klar, sorry, hab für einen Moment vergessen, wer mein Partner ist!« Sie zeigt mir den erhobenen Daumen und ich erwidere die Geste. Dann schert sie wieder in den nächtlichen Verkehr ein, ganz langweilig mit Warten, Blinken, Schulterblick – ich seufze leise.
    Als ich sehe, wie sie die Rampe aufs untere Deck hochfährt, springe ich auf die Feuerleiter der Tankstelle neben mir, von dort auf die Überdachung der Zapfsäulen und von da direkt zum Geländer von Deck zwei. Wenigstens eine Minute bevor Nikki ihr Deck erreicht, bin ich schon auf meinem und sprinte den Radweg hinunter. Ich kann nicht so schnell machen, wie ich will, immerhin muss ich nach einer möglicherweise marodierenden Pseudo-Baumgruppe Ausschau halten, aber ich komme weitaus schneller vorwärts, als jedes Fahrzeug.

    Schon mal die Serie Sherlock gesehen, als der Detektiv zu Fuß ein Auto in London verfolgen kann, weil er alle Abkürzungen und Baustellen kennt? Ich bin vielleicht nicht so clever, wie der britische Kollege aus der Literatur, muss ich aber auch nicht sein, denn ich bin dafür deutlich schneller. Oder wie es Ella ausdrücken würde: Was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben.
    Ich habe schon die halbe Brücke hinter mir, als ich ein Hupkonzert, dann eine schwere, tiefe Truckerhupe und schließlich das unverkennbare Geräusch eines Massenunfalls im Deck unter mir vernehme. »Kacke! Und Nikki ist da unten mittendrin…«, entfährt es mir.
    »Sin, schnell Du musst da runter!« Die Stimme aus meinem Ohrstöpsel klingt mir einen Tick zu aufgeregt, aber dazu ist jetzt nicht die Zeit. »Bin schon unterwegs, Chick.«
    »Es sollte alle 100 Fuß eine Nottreppe geben.« Ich nicke zustimmend, auch wenn er das nicht sehen kann. Man könnte auch alle 33 Meter sagen, wenn man mit dem metrischen Maß aufgewachsen ist, wie ich. Aber ich habe es längst aufgeben, darüber nachzudenken, warum ein so fortschrittliches Land wie Amerika, an so überkommenen Maßeinheiten festhält.
    »Brauche ich nicht, aber gut zu wissen.«
    Ich springe über die Brüstung, was mir den entsetzen Ruf eines älteren Mannes mit Hund einbringt. »Kindchen, tu das nicht, das Leben hat in Deinem Alter doch erst angefangen!« Lächelnd nicke ich dem Alten zu, tippe grüßend an die Stirn und stürze mich in die Tiefe.
    Aber schon nach sieben Metern sehe ich eines der zahllosen Spannseile, packe zu und nehme den Schwung mit, um mich ins untere Deck zu katapultieren.
    Dort herrscht ein heilloses Chaos. In der Mitte des ganzen Tumultes liegt ein umgekippter LKW. Um den herum und auch darauf hat sich ein höchst mobiles Wäldchen versammelt.
    In Panik schlagen die Schrate mit ihren langen astarmigen Fortsätzen nach allem, was in Reichweite kommt: Autos, Busse, Personen.
    »Josh, NYPD verständigen, R.E.D. Code Orange.«, verlange ich von meinem Partner im Ohr.
    »Geht klar, und was genau erwartet Du von denen?«
    Inzwischen sind wir offenbar beide beim Du angekommen. Ich habe die Förmlichkeiten ja gleich abgelegt, aber Josh meinte irgendwas von professioneller Distanz.
    »Brückeneingänge dichtmachen, aber die Ausgänge offen halten. Und sie sollen auf keinen Fall fliehende Bäume aufhalten. Achja, und verständige das NYFD, kann sein, wir haben demnächst einige kleine Brände auf dem Unterdeck zu bekämpfen.«
    Ich schnappe mir die ersten zwei Schweiß-Fackeln aus meiner Body-Bag und reiße sie an.
    Was mit meinen üblichen Waffen ist?
    Ich bekämpfe doch keinen Wald mit Dolchen oder Kugeln, für wie bescheuert haltet ihr mich denn?

    Spoiler anzeigen

    »Ich brauche keinen Partner, ich habe Ella!«
    Immer wieder gehe im Geiste dieses Gespräch mit Sir Drago und Eugene Carmichael durch.
    »Ella ist für ein Jahr an ihre Alma Mater berufen worden. Sie ist immerhin stellvertretende Leiterin des Teams, welches die Weltraum-Experimente für Gravitationswellen auswertet. Sie wollen Ihr doch diese Chance nicht verwehren. Doch seit Ihrem letzten Trauma brauchen sie auf jeden Fall einen Partner.«
    Ich hatte geseufzt: »Na schön, dann gebt mir halt einen neuen Operator.«
    »Der wird Ihnen ohnehin zugewießen, Agent.« Carmichael hatte diesen Tonfall drauf, für den ich ihn am liebsten einmal quer durch sein Büro geworfen hätte, nur ihm zu demonstrieren, dass ich wieder fit war.
    Aber da war ja noch Sir Drago. Warum weiß ich immer noch nicht, aber er erkennt nahezu immer, wie es wirklich um meine Einsatzfähigkeit steht. Zudem ist er, aus Gründen, die ich immer noch nicht festmachen kann, der Einzige bei R.E.D. den ich wirklich als Boss ansehe. Alle anderen lasse ich das gerne glauben, zumindest manchmal. Aber Drago hat irgendetwas. Es ist nicht, dass ich Angst hätte, das Gefühl kenne ich ohnehin eher passiv. Dennoch respektiere ich Dragos Autorität, wenigstens auf seinem Territorium.
    »Das ist mein letztes Wort, Miss Alabastra! Sie werden diverse Kandidaten bekommen und haben die freie Auswahl.«

    Tja, und nun sitze ich hier im Dodge und lasse mich von meinem neuen Partner herumkutschieren.
    Er heißt Harry Quinland und sieht aus, als könnte er mit seinem Kinn Steine zermahlen. Mit seinen fast zwei Metern, wirke ich neben ihm schon fast schmächtig, seine breiten Schultern und der Stiernacken tun ihr Übriges. Dann hat er mehr Tatoos als Dwayne »The Rock« Johnson und zugegeben etwas mehr Haare.
    Obwohl ich ihn nicht wollte, und meiner Ansicht nach auch nicht brauche, hat er eine Eigenschaft, die mich begeistert, leider eine Andere, die mich fast irre macht.
    Das Gute an ihm ist, er redet nicht gerne. Damit harmonieren wir extrem vorteilhaft, weil ich anderen nicht gerne zuhöre. Meine Zeit mit Ella verführt mich beinahe zu sagen, dass ich niemand zu nahe treten will,aber das, was die meisten Leute sagen haben, zu 90% ohnehin nur Floskeln und heiße Luft sind. Und gerade meine Aussage beweist das. Ich will jemand zu nahe treten, der mich damit nervt. Ich will ihm, verdammt noch mal, in den Arsch treten, damit er aufhört meine Zeit und Geduld zu verschwenden! Jedenfalls, das ist nicht mein Problem mit Harry.
    Harry ist ein SEAL, Ex-SEAL oder im Ruhestand, keine Ahnung, wie man das beschreibt und so fit wie zwei normale Menschen. Aber er ist immer noch ein Normalo. Egal wie gut ausgebildet sie sind, egal wie viel Training sie in den R.E.D.-Camps sie hinter sich haben, wenn es hart auf hart kommt, passe ich auf ihren Arsch auf, wenn ich womöglich besser auf meinen eigenen achten sollte. Ganz so unzerstörbar wie zu Untot-Zeiten ist der nämlich nicht mehr.
    Und seit den kleinen Veränderungen der letzten Monate durch das, was Dr. Elisabeth so hochtrabend Metamorphose nennt – und nein, ich verwandle mich nicht in einen Schmetterling! – gefällt mir mein Arsch sogar ganz gut. Eigentlich hat Ella es zuerst bemerkt, klar, ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich oft im Spiegel ansehen. Kommt wohl davon, dass ich beinahe fünfhundert Jahre lang gar kein Spiegelbild hatte. Man lernt es mit der Zeit, seine Fliege auch ohne Spiegel gerade zu binden!
    Aber seitdem ich meine körperlichen Vorzüge nicht mehr von Beast beziehe und noch etwas mehr trainiere, schlägt sich die Fitness auf mein Aussehen nieder. Das ist mitunter lästiger, als man denken mag. Meine Lieblingslederjacke, die ich jetzt schon seit dem zweiten Weltkrieg trage, beginnt um die Schultern herum zu spannen. Und Kacke, meine Oberweite hat sich auch etwas vergrößert. Seit wann vergrößern sich die Brüste, wenn man Muskeln zunimmt?! Ich dachte immer, man baut dann zeitgleich Fett ab, nicht dass ich davon allzu viel mitbringe. Egal, interessiert vermutlich auch keinen.
    Jedenfalls muss ich auf meinen Partner immer ein Auge haben. Seine komischen Soldatenmacken machen es mir nicht gerade leichter. Irgendwer hat ihm zum Beispiel erzählt, wie wären gleich berechtigt.
    Wenn ich jemals herausfinde, wer das war, zwinge ich ihn beim nächsten Bürofest unten ohne Makarena zu tanzen. Einfach als anschauliches Beispiel dafür, was mit jenen passiert, die glauben, nicht auf mich hören zu müssen, oder schlimmer noch, das anderen weißmachen.

    Wir sind auf dem Weg zu einem Einsatz, wie mein neuer Partner das so hochtrabend ausdrückt. Wo ich mir Jacke,Waffengurt und den Rucksack mit den Spielzeugen geschnappt habe und los wollte, hat der erst einmal auf Rambo gemacht, sich umständlich die Stiefel gebunden, sein wahnsinniges Arsenal an Waffen durchgecheckt und ist tatsächlich nochmal auf die Toilette, bevor er loskonnte.
    Als er schließlich ankam, wartete ich schon zehn geschlagene Minuten im Dodge. Und dann hat der Typ sich geweigert mich fahren zu lassen. Weil ich angeblich kein Sicherheitsfahrtraining hatte! Ich war kurz davor aufs Gas zu treten und ihm seine übergroßen Latschen platt zu fahren. Kein Sicherheitsfahrtraing! Ich fahre, seit es Autos gibt, du liebe Güte. Ich bin früher nachts, ohne Licht, mit Bleifuß gefahren, tue ich heute noch.
    Ok, mein letzter Lambo hat so in der Wüste von New Mexico das Zeitliche gesegnet und das halten mir nun alle vor.
    Jedenfalls habe ich ihn dann an Steuer gelassen. Das, oder ihn ausweiden, eine andere Alternative wollte mir nicht einfallen.
    Das Ausweiden könnten aber unsere nächsten Kunden für mich erledigen. Kann man es mir vorwerfen, wenn die Ghule hungrig sind und ich meine Augen nicht überall haben kann?

    Endlich sind wir da. Harrys defensiver Fahrstil hat uns mindestens acht Minuten gekostet, wenn nicht sogar zehn.
    Genervt steige ich aus und hätte beinahe die Tür zugeworfen, aber ich höre, wie er seine ganz vorsichtig und leise zudrückt. So, er ist also professionell. Na gut, das kann ich auch.
    Wir nähern uns dem Rest In Peace Crematorium, kein Scherz und ganz sicher nicht mein Einfall, zu dem uns das NYPD gerufen hat.
    Zwei Streifenwagen stehen mit blinkendem Blaulicht an den Enden der Straße und verhindern so, dass weitere Fahrzeuge hineinfahren. Eine Beamtin versucht gerade eine Reihe Schaulustiger abzuwimmeln, erntet aber nur Hohngelächter und Handy-Photos.
    Ein weißköpfiger Sergeant tritt mit seinem jungen Partner zu uns.
    »Sergeant Boyle und Office Blunt«, stellt der Veteran sich vor. Während der jüngere Blunt mich anstarrt, als hätte er noch nie eine blasse Schwarzhaarige mit zwei Messern im Schulterhalfter gesehen, wendet sich Boyle eindeutig an Quinland. Er erklärt ihm, warum man die Polizei gerufen hatte und warum die Polizei sich schnellstmöglich aus dem Gebäude verpisst hat und man uns vom R.E.D. gerufen hat. Mich ignoriert er dabei völlig.
    Ich bin mir noch im Zweifel, ob ich angepisst sein soll, weil der alte Cop mich übersieht, oder weil der junge Cop gleich anfängt zu hecheln während er mir mit Blicken das Tanktop unter der Jacke auszieht, als ich ein Geräusch aus dem Gebäude aufschnappe.
    Ein Blick in die Runde zeigt mir, dass es sonst keiner mitbekommen hat. Aha, noch so ein Metamorphosending. Besseres Gehör. Kenne ich noch von früher, hat seine Vorteile, aber man hört auch jede Menge Scheiß, auf den man getrost verzichten kann.
    Zuerst will ich Quinland Bescheid geben, aber der ist gerade dabei, irgendwelchen Dienstellenmist mit Boyle abzuklären, Zuständigkeiten und all den Kram. Die beiden wirken schwer beschäftigt und haben mir auch die Rücke zugekehrt. Es ist offensichtlich, dass man durch mich nicht in seiner Wichtigkeit gestört werden will.
    Also sprinte ich los. Es ist seltsam ohne, die Vampirkräfte, die sich aus der Lebensenergie meiner Opfer gespeist hat, oder ohne Beasts Hilfe, von Null auf Warpgeschwindigkeit gehen zu können, aber es fühlt sich irgendwie noch natürlicher an.
    Bevor noch jemand etwas bemerkt, bin ich an der Tür des Krematoriums. Es ist der Haupteingang, nicht da wo die Särge angeliefert werden, sondern wo man die trauernden – oder feiernden? – Hinterbliebenen empfängt.
    »Ey, was macht Ihre Partnerin denn da? Sie kann doch nicht so einfach …« , höre ich Boyle noch, als ich auch schon drin bin.
    Und wie sie kann, Du Obertrottel. Was glaubst Du denn, warum wir hier sind?
    Dann höre ich erneut das Geräusch, nun deutlicher. Es ist das ängstliche Wimmern einer Frau. Definitiv noch lebendig, aber nicht mehr lange, wenn ich den steigenden Panikgrad in ihrer Stimme richtig deute.
    Ich dringe tiefer ins Gebäude ein und wundere mich, wie dunkel es hier ist. Oh, kein Licht? Komisch, das hat mich sonst noch nie gestört. Das verlangsamt mich etwas, immerhin will ich ja in keinen Hinterhalt laufen.
    Die Situationsanalyse hat immerhin Ghule als wahrscheinlichste Ursache ausgemacht. Reine Leichenfresser, aber sie brauchen das Fleisch nicht angefault. Das bedeutet, sie müssen aus lebend nur tot machen und schon taugt es als Nahrung. In der Regel kein Problem für die kräftigen, krallenbewehrten Biester.
    Als ich die Haupthalle durchquert habe und in einen Art Ausstellungsraum für Särge komme, kann ich sie auch schon sehen. Drei Ghule, ich würde schätzen noch recht jung und verspielt, kreisen eine Dame mittleren Alters ein. Man sagt doch mittleren Alters, wenn sie über Vierzig sind und man das Alter beim besten Willen nicht mehr erkennt?
    Nun ist es nicht so, das Guhle völlig bescheuert und rein instinktgesteuert sind. Je älter sie werden, umso cleverer sind sie eigentlich. Die Meisten denken ja, man wird zum Ghul, wenn man gebissen wurde. Das ist Blödsinn, man verreckt höchstens qualvoll an dem Biss, wenn man keine Tetanus-Impfung bekommt. Guhle legen Eier, bzw. sie hängen sie auf. Wie genau sie sich fortpflanzen oder paaren, sorry, da muss ich passen. So intim ist mein Verhältnis zu keinem Guhl je geworden.

    »Was steht heute auf der Playlist?«. frage ich leise und bemerke, dass ich mein Headset im Wagen gelassen habe. Nick, Mick, Dick, Trick oder Track, irgendwie so heißt Ellas Nachfolger, hat von ihr ausdrückliche Instruktionen bekommen, welche Musik ich wann am liebsten habe. Tja, heute nicht.
    Zum Glück bin ich mit dem Wichtigsten Dingen meist doppelt ausgestattet. Redundanz, sagt meine Süße immer dazu, und ich muss sagen, mir gefällt der Klang des Wortes. Also hole mir meine Ohrstöpsel meines MP3-Players aus der Jackentasche und werfe den Shuffle-Mode an.
    Die ersten Takte von »I’m a Zombie« von Sinful Death« laufen an. Ich mag diese Indi-Band, auch wenn der Leadsänger mehr kreischt als singt. Aber die E-Gitarre-Solos und der starke Bass-Riff sind spitzenmäßig.
    Ich springe in die Mitte und remple die Frau um, so dass sie auf dem Boden liegt und unter einen der Sargausstellungstische kriechen kann, was sie dankenswerter Weise sofort macht.
    »As I was an human, I hate it day by day«
    Ich zücke meine Krummdolche und gehe leicht die Hocke. Die Guhle erkennen mich sofort als die eigentliche Gefahr und vergessen ist die Mittlerejahres-Lady.
    »Every minute was to breath, every second was the heart to beat.«
    Eine schnelle Täuschung nach rechts und ich kreise über meinen linken Fuß. Die Guhle ziehen mit und sie sind gar nicht langsam oder schwerfällig.
    »Now I’m a Zombie and wanna sayyyyyyyyy:«
    Ich verharre kurz, kehre meine Bewegung um, und schon ist der erste Ghul in Reichweite. Ein schneller Stoß, nicht mehr ganz so schnell wie ich es gewohnt bin, aber dafür mit mehr Power und Gefühl, und der erste Ghul besieht sich entsetzt, wie die getroffene Stelle an der Hüfte anfängt abzusterben.
    »I like hearts and love stealing breath and I‘m addicted to fresh meat!«
    Der Gegenangriff des Ghuls kommt prompt, aber viel zu langsam.
    Ich tanze einen Schritt nach hinten, drehe mich etwas nach links, und schon kommen sich zwei in die Quere.
    »As I was an human, I worked so I could live.«
    Die beiden schlagen tatsächlich nacheinander und knurren sich an.
    Einmal mit Profis kämpfen, ehrlich!
    »The days were grey and I had no joy«
    Wenn sich zwei Guhle streiten, freut sich Ex-Vampirin. Ich trete nach ihren Beinen, erwische einen und der zieht erwartungsgemäß den anderen mit zu Boden. Viel zu einfach!
    »Well, as I’am a Zombie now, I take what life me giiiiiiiives:«
    Ich hechte nach vorne, rolle zwischen ihren ungeschickten Klauenhieben durch und komme zwischen Ghul Eins und Zwei zu liegen. Der linke Krummdolch trifft mitten in Brust von Eins, rechte erwischt eher seine Magengegend. Einen Moment ärgere ich mich über die mangelnde Präzision. Die neuen Muskeln. Das andere Körpergefühl. Womöglich ein neuer Schwerpunkt wegen mehr Oberweite? Gibt es so was überhaupt!
    Bevor ich noch mehr ins Grübeln komme, rolle ich ein weiteres Mal durch, außer Reichweite, bevor mich die Ghule erwischen können.
    »I eat fresh meat every day!«
    Zufrieden sehe ich, wie die Magie meiner Dolche ihre Arbeit macht und die beiden Kadaverfresser zu Kadavern zerfrisst. Sie versuchen noch einmal auf alle Viere zu kommen, aber meine Treffer, auch wenn nicht alle perfekt, waren ziemlich gut. Ich sehe nach der Frau und sehe nur ihren voluminösen Allerwertesten – habe ich nett ausgedrückt, oder – unterm Tisch hervorgestreckt.
    Ich nehme an, sie ist irgendwie besonders gläubig, denn unter der Musik hörte ich undeutlich, wie sie etwas stammelt, wo recht häufig die Floskel Oh Gott drin vorkommt. Nunja, jeder wird mit Stress eben anders fertig, wer bin ich, das zu beurteilen?
    »I’m a Zombie and I like it!«
    Langsam erhebe ich mich, immerhin habe ich Ghul Nummer Drei nicht vergessen.
    Da verdunkelt ein gewaltiger Schatten in der Tür den ohnehin dunklen Raum noch mehr.
    »The undeath makes me fit!«
    Ich sehe noch, wie der große Schatten zwei Deagles Magnum zückt und schon brüllen die Kaliber 12,7 los.
    Spannlange Feuerblumen kommen aus den Läufen und instinktiv suche ich Deckung.
    Auf was genau der Schatten schießt, kann ich nicht sagen, aber er sieht offensichtlich noch weniger als ich, denn er trifft alles andere, nur keinen Ghul.
    »I`m a Zombie and it’s awesooooome«
    Als ich sehe, wie die Schüsse sich dem Tisch nähern, unter dem die Dame mit dem eindrucksvollen Gesäß Deckung gesucht hat, reagiere ich bereits.
    »Agent Alabastra, wo sind Sie?«, höre ich Quinland rufen, ohne dass er dabei das Dauerfeuer einstellt.
    Ich hechte auf die Frau zu, reiße sie vollends zu Boden und spüre, wie etwas an meiner Schulter zupft. Die Frau unter mir kreischt wie am Spieß und ich fühle, wie mir ein Monstergeschoss vermutlich die halbe Schulter weggerissen hat. Dann sehe ich wie hinter Agent »Ich baller einfach mal wie ein Irrer um mich« Quinland, der ein paar Schritte in den Raum hinein getan hat und das tut, was man vor dem Rumballern eigentlich macht, nämlich sich umschaut, der dritte Leichenfesser im hellen Viereck der Tür auftaucht und sich anschickt, Seal-Bashing zu betreiben.
    Ich reiße mir die Ohrstöpsel heraus und schieße unter dem Tisch hervor. Ich bin gerade so was von angepisst!
    Zuerst lasse ich das am Guhl aus, dann an Quinland.

    »Friendly fire, wie? Ich gebe Dir friendly fire, … Partner!«

    Ich finde du postest unglaublich schnell. Zu schnell (für meinen Geschmack). Ich weiß nicht, ob ich das schaffe hier mitzuhalten.

    schau mal das Datum von Post 4 (Teil 2) und Post 7 (Teil 3) an :whistling:

    Keine Bange, ich lege immer wieder "kleine" Pausen ein.

    Aber klasse, wenn es dich irgendwie doch anspricht!

    @Tariq so viele Fragen und einige darunter sogar ziemlich zentral für den bisherigen (und auch zünftigen) Handlungsstrang :whistling:
    Ich versuche mal ein paar Antworten zu geben, ohne zu spoilern:

    Hier zum Beispiel weiß ich nicht, wer das ruft. Sin oder Beast? Und wieso "Michael"? Der ist doch gar nicht dabei, oder?
    Für wen kämpfte Beast? Wer sind die "viele"?
    Woher kennt Sir Draco denn Michael?

    Einige der "Vielen" hast Du ja bereits kennengelernt:
    1. Echnaton (btw: der Erste historisch halbwegs belegte Herrscher, der einen Ein-Gott-Kult eingeführt hat - jaaa, ich weiß, weiß kaum einer und es ist fies, dass man mache meiner Anspielungen nur erkennt, wenn man etwas Geschichts/Film/Literatur-Wissen hat ...)
    2. Atalante, die Amazone. In der klassischen griechischen Sagenwelt des Altertums ist die Dame als eine Art weiblicher Herkules bekannt, natürlich viel weniger göttlich usw. Echte griechische SuperheldINNen gibt's leider erst seit Xena. Was erwartet man auch aus einer Zeit, wo Frauenrollen sogar noch von Männern gespielt wurden ...
    3. Wolfhard von Boullion, der Templer, der im "heiligen Krieg" dabei war (und der auf jeden Fall noch einmal Thema sein wird.)
    4. Antilles, der freigelassen Sklaven und "Neu"Spartaner
    5. Sara, eine der 5 Überlebenden beim Untergang von Masada.
    6. Sishin, der Geist, der bei der Verteidigung der Bibliothek von Alexandria mithalf, als man sie niederbrannte.

    Warum Beast das ausruft? Weil sein "Bruder" Michael ihn zwar deutlich mehr unterstützt, sich sogar für ihn freut, einen Sonderweg eingeschlagen zu haben - im Gegensatz zu seinem "Bruder" Samael, der ihn am liebsten als Waffe in seinem Arsenal haben will. Aber auch Michael begreift nicht wirklich, wie sehr Sowanestreel sich verändert hat und das, was er als Zersplitterung dessen Wesens wahrnimmt, in Wirklichkeit ein Entwicklungsprozess ist.
    Da Michael Ella der Zauberspruch verraten hat, mit dem man Sin/Beast/Sowanestreel angeblich wieder hinbekommt, ist es nur logisch, dass Beast sich aufregt, über die (zwar wohlmeinende) Inkompetenz seines "Bruders".
    Nichts desto trotz irrt sich Michael nicht völlig. Durch den doppelten Tod Sins (1.Vampirwerdung, 2. Verbrennen bei der Verteidigung Vincents) gab es einen gewaltigen Bruch und ein Trauma, vom dem sich sowohl Sin als auch Beast gerade erst erholten. Ein ganz klein bisschen (sogar ziemlich viel!) ist Vincent/Ella daran Schuld. Das dämmert Sin schon seit einiger Zeit und sie sieht nicht zu Unrecht düstere Wolken am Horizont aufziehen ^^ - Mist, doch etwas gespoilert.

    Ob Beast oder Sin ruft, nunja, in dem Fall Beast, aber ich hoffe es wird so langsam klar, dass der Unterschied zwischen den beiden eher temporal und nicht lokal zu suchen ist. Den Einen würde es ohne den Anderen SO nicht geben, ebenso wenig ohne die "Vielen" die vorher kamen, wovon die 6 oben genannten nur ein (prominenter) Ausschnitt sind.

    Woher Sir Drago Michael kennt?
    Ella und Sin müssen Berichte schreiben. Ja, auch Sin, auch wenn ihre Berichte maximal 2 Seiten umfassen. Sie hat ihre eigene Einstellung dazu, wie viel Schriftmüll man produzieren darf. Zudem hatte Drago schon vorher gewusst, dass jemand Ganz Besonderer den Stab "stehlen" wird. Woher? Das bleibt vorerst sein Geheimnis.

    st der Stab derselbe, der aus dem Museum entwendet wurde?

    Ja, es ist der Stab der "Mumie". Sin hat sich natürlich für die Historie nicht interessiert, aber die Mumie ist angeblich Amothep, auch Echnaton genannt.

    Wen meint Michael, wenn er von "denen" spricht, die ihn hindern ...

    Tja, gute Frage. Vielleicht sollte man den Typen mal ausquetschen, wenn man ihn wieder mal in die Finger bekommt - sofern er sich ausquetschen lässt!

    Was ist diese Metamorphose und was bewirkt sie bei Sin?

    Was bisher feststeht ist, dass ihr Körper gerade eine Art Captain America - Kur erfährt, aber was genau passiert, muss man wohl abwarten. Sie selbst vergleicht den Zuwachs an Kraft und Schnelligkeit mit dem, was sie sonst durch Beasts Hilfe bei Bedarf zulegen konnte. Zufall?


    So, alle Klarheiten beseitigt. Unsicherheit und Verwirrung wieder auf Maximum?
    Sehr gut.

    Bin mal gespannt, wie Euch die nächste Kurzgeschichte gefällt. Sins Begeisterung darüber ist schier grenzenlos. Denn sie bekommt nun einen

    ... Partner.

    »Sin. SIN. Bitte sag etwas. Irgendwas!«
    Ich starre geradeaus, sage nichts, antworte nichts. Es gibt nichts zu sagen.
    »Schatz, Du musst endlich aufhören damit! Es sind schon zwei Monate. Sogar Sam hat gesagt, dass Beast nicht wirklich weg ist, er schläft nur tief, in einem regenerativen Koma.«
    Warum fühle ich mich dann so leer, so unvollständig?
    »Körperlich geht es Dir sogar blendend. Dr. Elisabeth kann gar nicht aufhören über deine Metamorphose zu schwärmen!«
    Als ob ich von der Raupe zu einem Schmetterling werde! Dabei habe ich mich äußerlich fast gar nicht verändert. Etwas mehr Farbe im Gesicht vielleicht, aber das kann auch Wunschdenken sein. Ich fühle, wie meine Grundstärke und Grundschnelligkeit zugenommen haben, aber bisher war immer Beast der Motor, wenn ich mehr brauchte, als der menschliche Körper hergeben wollte. Aber er ist nun weg. Sie sagen er schläft nur, aber warum spüre ich dann diese Leere?
    Ella, die gute Ella. Sie greift mir unter die Arme, zieht mich zurück ins Haus. Ich sitze schon seit Stunden hier draußen. Es regnet. Es ist mir gleich.

    »Weißt Du schon das Neuste? Der Polizeichef persönlich wird dir eine Medaille verleihen, für Deine Verdienste um die Stadt und ihre Bürger. Natürlich stecken die Steinbrenner dahinter. Ich habe mit Hank gesprochen, ja stell Dir vor, er hat mich nun wirklich mehr als eindringlich aufgefordert, ihn beim Vornamen zu nennen. Ich glaube, wenn ich nicht mit Dir zusammenwäre, würde er mich mit seinem Sohn verkuppeln. Als ob ich und Jack irgendetwas gemeinsam hätten …«

    Sie plappert und plappert. Es ist wie ein Wasserfall, oder der Regen. Es ist da, die Worte sind da, aber sie bedeuten mir nichts. Schon seit der zweiten Woche ist sie so. Zu Beginn war sie still, stumm. Das war mir lieber, aber mir fehlt die Energie, es ihr zu sagen. Überhaupt nur den Kopf zu heben, ist so unendlich schwer.
    Nun setzt sie mich an den Tisch. Sie hat gekocht. Es schmeckt nicht übel, ich sollte ihr das wirklich sagen. Das würde sie freuen. Aber es bedeutet nichts.

    Wie viel Zeit ist vergangen?
    Sir Drago ist zu Besuch. Ich fühle, wie seine Aura versucht mich aufzurütteln. Er provoziert mich, nimmt mein Territorium ein. Es ist mir einerlei, soll er meinetwegen, wenn es ihn glücklich macht.
    Dann hört es auf. Er redet mit Ella.
    »Es braucht Zeit, Miss McElroy.«, sagt er.
    »Es ist nicht ihre Schuld, Miss McElroy.«, versichert er ihr.
    »Sie haben in bestem Glauben gehandelt. Wenn sich jemand Vorwürfe machen sollte, ist es Michael. Jemand wie er sollte es besser wissen!«
    Drago hat Recht. Es ist nicht Ellas Schuld. Falls es überhaupt einen Schuldigen gibt, dann bin ich es selbst und natürlich Michael … mein Bruder?
    Nein, das klingt falsch. Ohne Beast ist die brüderliche Verbundenheit verschwunden. Michael ist ein Fremder. Einer mit guten Absichten, vielleicht. Aber ein Fremder. Nicht einfach fremd, im Sinne, dass wir ihn nicht gut kennen. Er ist ein Fremder in dieser Welt. Er mag sie beobachten, vielleicht auf gewisse Weise beschützen, aber er ist nicht wirklich ein Teil davon. Nicht wie ich es bin, nicht wie Beast es war, es ist, es beschlossen hat, zu sein.

    Es ist Abend. Ist es gestern, heute oder schon morgen? Die Tage gehen vorbei. Meine Transformation ist fast abgeschlossen. Ich kann es fühlen. Was immer Michaels Kräfte in mir ausgelöst haben, es hat beinahe das Endstadium erreicht.
    Ich sollte mich wirklich darum kümmern. Aber Ella kümmert sich um mich. Das sollte mir Trost geben. Ich bin nicht alleine. Warum fühle ich mich dann nur so allein?

    Es ist wieder Tag.
    Oh, ich sitze in der Sonne, eingepackt in eine Decke. Es ist frischer Schnee gefallen. Das ist etwas Besonderes, oder nicht?
    Sam und Moses sind da. Sam untersucht mich. Schon wieder. Selbst der nie alternde Magier wirkt ratlos.
    Moses schaut mit mir Football. Ich weiß, er mag den Sport nicht besonders. Er mag lieber Baseball und Basketball. Er findet, dass Sport nichts mit Nahkampf zu tun haben sollte. Kampf sollte gar nicht Teil des Sports sein. Früher hat mich das zum Widerspruch angestachelt. Sport ist Kampf, nur mit mehr Regeln und mit spielerischen Mitteln. Aber nun ist es mir einerlei.

    »Sin. Süße, Schatz.« Es ist Ella. Ihr tränenüberströmtes Gesicht taucht aus dem Nebel vor mir auf.
    »Ich ertrage das nicht mehr, hörst Du?«
    »Ich liebe Dich, und es zerstört mich zu wissen, dass ich Schuld bin an Deinem Zustand.«
    Mein Blick wird klarer. Ich konzentriere mich. Es fällt mir schwer, aber ich bringe die Energie auf. Es ist immerhin Ella.
    Sie sieht schlimm aus. Fettiges, dünnes Haar, was an ihren Kopf klebt. Ihre Augen haben tiefe schwarze Ringe. Ihre sonst makellose Haut hat Flecken.
    Ihre Augen! Das strahlende Blau ist matt und glanzlos. Selbst die Tränen bringen nicht das übliche Glitzern zurück, können es nicht einmal andeuten.
    »Vergib mir. Bitte, bitte vergib mir!« Sie murmelt es, schluchzt es vielmehr.
    Ich sehe, wie sie zusammensackt.

    Etwas in mir ruft aus der Tiefe.
    »Steh auf, kämpfe. Eine Amazone geht manchmal zu Boden, aber sie steht wieder auf!«
    Ich kenne die Frauenstimme. Es ist Atalantes, es ist meine Stimme.

    »Erhebe Dich. Ein Pharao zeigt keine Schwäche. Er ist von göttlichem Geblüt. Er kauert nicht matt im Dunkeln, während seine Pflicht brachliegt!«
    Ich kenne die Stimme. Es ist Echnaton. Das bin ich!

    »In Gottes Namen, auf die Beine, Ritter! Was du spürst sind nur die Versuchungen des Fleisches, vom Teufel gesandt Dich zu prüfen!«
    Ich kenne diese Stimme, die mich mit heißerem Tonfall auf die Beine treibt, verhindert, dass ich im Wüstensand dieses fremden, gottlosen Landes zugrunde gehe. Es ist Wolfhard von Boullion, ein Krieger des Tempels. Das bin ich.

    »Ein Spartiate kehrt nur auf oder mit seinem Schild zurück. Also nimm deinen Schild auf oder stirb gefälligst, aber bleib nicht liegen, wie ein feiger Perser!«
    Ja, Antilles, das ist sein Ruf. Ich bin es, der ruft!

    »Es ist Ella, Du Närrin, Sie zerbricht. Und es ist Deine Schuld!«
    Diese Stimme macht mir Angst. Sie ist unnachgiebig und furchtbar wütend. Sie ist wütend auf mich.
    Das ist Sinistre, den Namen gab sie sich selbst. Ein Wortspiel, der hochgestreckte Mittelfinger, der in die Finsternis zeigt, bereit allem in den Arsch zu treten, was sich dort herauswagt.
    Das bin ich.
    Das BIN ich!
    DAS BIN ICH!

    Ich ergreife Ellas Hände. Die sonst so zarten Finger sind knochig geworden. Du lieber Himmel, isst sie denn gar nichts mehr?
    Ich ziehe sie auf meinen Schoß, nehme ihren mageren Körper in die Arme, lege meine Stirn gegen ihre. »Süße. Es gibt gar nichts zu vergeben. Jedenfalls nicht von meiner Seite. Aber verzeih‘ Du mir, dass ich so lange weg war.«
    Schluchzend umarmt sie mich nun auch. Sie klammert sich vielmehr an mich, als habe sie Angst zu fallen. Ich halte sie fest, nehme sie auf meine Arme. War sie schon immer so leicht, oder liegt es an mir?
    »Sin. Endlich. Endlich …«
    »Na, na.«, brumme ich. Es gibt nur ein gewisses Maß an Rührseligkeit, das ich ertrage, aber da muss ich jetzt wohl durch. Es ist schließlich meine Schuld. Also ignoriere ich Ellas Tränen, die mir unter dem schlabbrigen T-Shirt die Brust hinabrinnen.
    Stirnrunzelnd betrachte ich mich selbst, extrem lockeres T-Shirt, Trainingshose, Hausschuhe … Hausschuhe!? Entsetzt schleudere ich die pelzgefütterten Dinger von mir und trage Ella in die Küche.
    Du liebe Güte, wann hat hier zum letzten Mal jemand aufgeräumt? Und sauber gemacht!
    Meine arme Küche ist zu einer Müllhalde verkommen.
    Ich setze Ella energisch auf einen der Stühle am Tresen.
    »So, meine Liebste. Jetzt ist es aber gut. Wisch Dir die Tränen weg, dann gehst Du ins Bad und machst Dich zurecht. Ich dachte immer ich lebe mit einer Magierin und nicht mit einer Hexe zusammen. Solange bringe ich hier Ordnung ins Chaos und danach wird gegessen.«
    Ich zwicke Ella in den Hintern während sie davonschlurfen will. Sie quiekt empört und schaut über die Schulter zurück. Zum ersten Mal lächelt sie ein wenig.
    Obwohl es draußen gerade dämmert, geht in unsrer Küche die Sonne auf.

    Auf der Heimfahrt ist Ella auffällig zugeknöpft.
    Da ich am Steuer sitze, meinen Dodge Mauler hat man erfreulicherweise abgeholt und sich um die ungewöhnliche Ladung gekümmert, verzichte ich darauf Zwiesprache mit Beast zu halten. Weitere Schocks will ich erst wieder einstecken müssen, wenn ich irgendwo sitze, was nicht Gefahr läuft, gegen die nächste Wand zu krachen, wenn ich beschließe für ein paar Sekunden eine geistige Auszeit zu brauchen.
    Ich weiß, viele New Yorker Taxifahrer scheinen permanent so zu fahren – nahezu unfallfrei im Großen und Ganzen - ,aber selbst denen würde ich den Hals umdrehen, wenn sie das riskieren, während Ella mit im Fahrzeug sitzt.

    Als wir schließlich an der Kreuzung ankommen, unsre beschauliche Villa, die so genannt ist, weil sie auf der Überschneidung der fünf größten magischen Kraftlinien der ganzen Ostküste liegt, stelle ich den Mauler auf seinem Parkplatz unsrer hauseigenen Tiefgarage ab. Zufrieden registriere ich, dass ihn sogar jemand gewaschen hat. Das nenne ich mal Service.

    Ich öffne schon den Mund, aber Ella ist schon ausgestiegen und stürmt geradezu die Treppe zum Wohngeschoss hinauf.
    Das wird ja immer besser.
    Ich stürme hinterher, und hole sie beinahe noch ein. Gerade sehe ich, wie sie einen mir durchaus bekannten Stab in der Linken und einen Zettel in der Rechten hält. Dieses Stück Pergament, ja es ist tatsächlich Pergament oder sogar Papyrus, wer kennt sich da schon so genau aus, will Ella schnell in ihrer Hosentasche verschwinden lassen.
    »So nicht, meine Süße. Wenn jemand sinistre Geheimnisse von uns beiden hat, dann ja wohl ich.«
    Ergeben seufzend überlässt sie mir den Wisch und ich lese, was da in gestochen scharfer Schrift mit Tinte aus einem schillernden Silberton geschrieben steht:
    »Sei mir gegrüßt, Ella McElroy, Herz und Licht meines Bruders in seiner Dunkelheit.«, lese ich vor.
    Ich hebe eine Augenbraue und blicke zu Ella, die wenigstens den Anstand hat, zu erröten.
    »Ich fühlte Deinen formenden Willen an seinem zersplitterten Geist sofort, als ich Dich besuchte.«
    Ein halb vorwurfsvoller Blick trifft Ella, aber die gibt sich betont unschuldig, also lese ich weiter.
    »Dies ist der Stab von Echnaton, der erste Sterbliche, den mein Bruder einst besuchte. Ich war der Einzige, der davon wusste und bis heute habe ich dieses Wissen, meinem Wort gemäß, mit niemandem geteilt. Doch die Notwendigkeit und die gute Absicht jenem zu helfen, dem ich mein Wort gab, entbindet mich, so hoffe ich wenigstens teilweise meines Versprechens.«
    »Hä?« Ich halte Ella den Zettel hin, doch sie zuckt nur die Schulter. »Alles habe ich auch nicht verstanden, aber ließ ihn zu Ende.«
    Also fahre ich fort: »Der Stab ist das, was Du einen Zauberstab nennst, doch eigentlich ist er nicht mehr als ein Kraftspeicher, Er kann aufgeladen werden durch seinen Träger und bei Bedarf für eine einzige Wandlung genutzt werden, entweder Zerstörung einer Seele oder die Rettung derselben. Ich darf anmerken, dass sowohl ich, als auch der Erschaffer, die zweite Variante favorisieren.«
    Ich grunze: »Soso. Das behaupten sie am Anfang alle.«
    »Fürderhin …«, echt jetzt, der Typ hat das tatsächlich geschrieben, »erlaubte ich mir, den Stab ein wenig mit meiner Kraft zu laden. Nicht zu viel, denn sonst bemerkten es genau jene, die es auch verhindern, dass ich selbst für die weitere Genesung meines Bruders Sorge tragen kann. Ich fühle, dass meine Liebe zu ihm und Deine Liebe zu ihm von ähnlicher Art und Gewaltigkeit sind. Daher vertraue ich Dir den Stab an. - M«

    Völlig verwirrt schüttle ich den Kopf. M ist Michael, auf den Trichter bin ich schon gekommen, ich bin zwar manchmal langsam, aber nicht total verblödet.
    »Gewaltigkeit? Der hat sie doch nicht mehr alle. Und er schreibt, er hat Dich besucht? Wann, wo, warum?«

    Ella hat inzwischen ihren magischen Tee gemacht, nein nicht herbeigezaubert und er ist auch nicht wirklich magisch, aber sie bekommt ihn einfach perfekt so hin, wie ich und Beast ihn mögen. Zudem hat er eine entspannende Wirkung auf mich. Vielleicht war ich ja in einem früheren Leben Engländer?

    »Ok, Schatz. Zuerst einmal das Wesentliche. An was Du Dich von letzter Nacht erinnert, ist nie passiert.« Sie mustert mich ein wenig besorgt.
    Aber zum einen ist das hier Ella, die vor mir sitzt, und zum anderen ist bei mir nach ihrer Eröffnung ohnehin der Penny gefallen. Michael zieht hier eine Art Verschwörungsnummer ab, das geht aus den Zeilen klar hervor. Und dann kann ich mich ums Verrecken nicht an den Song erinnern, zu dem ich heute Nacht getanzt haben soll. Vier Vampire, ganz für mich alleine und ich erledige die ohne Musik? Nie im Leben!
    »Ich verstehe.« Ihr Gesicht ist einfach zu süß, wenn ich sie mal wieder auf dem falschen Fuß erwische. »Irgendein Gedanken-Blitz-Veränderungs-Dings, wie? Jetzt schau nicht so überrascht, hast Du etwa das Einhorn vergessen, was so etwas Ähnliche mit mir schon gemacht hat?«
    Ich tippe zuerst mir und dann ihr gegen die Stirn. »Und ich wette jede Summe, dass in Deinem hübschen Kopf nun etwas drin ist, was eigentlich in meinen sturen Schädel gehört, richtig?«
    Da fällt mir Ella um den Hals und ich drücke sie begeistert an mich. Sogar Beast schnurrt. Er steht mindestens so auf Ella, wie ich, zum Glück kein Grund für mich, eifersüchtig zu werden.
    »Ich bin ja so erleichtert! Ich hatte echt Angst Du bist mir jetzt böse, weil ich daraus so ein Geheimnis gemacht habe.«
    »Hey«, ich zwicke sie in den Hintern und sie quietscht empört auf. »Ich weiß niemand, bei dem meine Erinnerungen besser aufgehoben sind, als bei Dir, Süße.«
    »Ja, das hat Michael auch gesagt.«
    Ich brumme, noch nicht sicher, ob ich gnädig oder unwillig auf dessen Einmischung reagieren soll. »Ganz dumm scheint er nicht zu sein, der Schönling. Also, was hat er Dir erzählt?«

    Sie schiebt mich sanft von sich weg und ich gebe dem nach einem kurzen Augenblick des Bedauerns nach.
    »Erzählt hat er mir gar nichts, also nicht wirklich. Er hat immer von seinem Bruder gesprochen, aber ich weiß, dass er irgendwie Dich gemeint hat, aber nicht nur Dich. Gibt das einen Sinn?«
    »Sicher. Ich nehme an, er meint Beast. Wir rätseln doch schon ewig herum, wo er herkommt, seitdem klar ist, dass er nicht dasselbe ist wie die Bestie, die in mir lauerte, als ich noch …, du weißt schon, zum bleichen Beiservolk gehörte.«
    Sie lächelt nicht einmal über meinen kleinen Scherz und nickt völlig konzentriert.
    »Michael sagte auch, ich habe seinen Bruder einstmals vor dem Verblassen gerettet. Eine Ahnung, was er gemeint haben könnte?«
    Nun bin ich es, die zögert. Es gibt da etwas, was ich Ella schon eine ganze Weile sagen will, sagen muss. Aber das wird schlichtweg der Hammer und ich bin mir überhaupt nicht sicher, was das bewirkt, ob es ihr nicht sogar gewaltig schadet, und das leider mehr als nur in einer Hinsicht.
    Ich sehe, wie sie mein Minenspiel genau beobachtet. Ihr könnt mir glauben, ich habe das perfekte Pokerface, wenn ich etwas für mich behalten will, nur leider wirkt das so gut wie nie bei Ella.
    »Süße, ich will nicht lügen. Ja, ich glaube ich weiß in etwa, worauf er anspielt. Und ich würde ihn treten, wenn er jetzt hier wäre, weil er es angesprochen hat! Glaubst Du mir, wenn ich sage, das ist hier wahrscheinlich überhaupt nicht von Bedeutung?«
    Ihr Blick wird sanft.
    »Der Grund, warum Du damals ausgerechnet zu mir gekommen bist? Es hat etwas damit zu tun, wovor Du mich beschützt, nicht wahr? Es ist etwas so Großes und Schlimmes, dass Du davor eine unglaubliche Angst hast. Etwas so Gefährliches, dass Du sogar denkst, dass es selbst mit Sams und Moses Hilfe nicht aufgehalten werden kann.«
    Zuletzt sind es keine Fragen, es sind Feststellungen. Manchmal hasse ich Ihren unglaublichen Verstand.
    »Es ist gut. Du sagst es mir, sobald Du die Zeit dafür gekommen siehst. Ich habe Dir mein ganzes Leben vertraut, warum auch immer. Schon vom ersten Augenblick war mir instinktiv klar, dass Du der Dunkle Ritter im Schatten bist, der mich beschützt und wenn es nötig ist, sogar … vor mir selbst?«
    Ich zucke zusammen. Verdammt. Viel zu clever für mich!
    Sie lächelt und winkt ab. »Natürlich glaube ich Dir. Zudem haben wir noch etwas vor.«
    Zum einen erleichtert, zum anderen gespannt, schaue ich, wie sie den Stab der Mumie anhebt und auf mich zeigt.
    »Keine Angst, Michael hat gesagt, es tut nicht weh.«
    Ich schnaube. »Na, wenn ER das so gesagt hat …«
    Ella spricht eine Formel in einer Sprache, die ich nicht kennen kann, nicht kennen sollte. Doch ich verstehe den altägyptischen Zauber sehr gut: »Was verwundet, heile, was zersplittert, werde zusammengefügt, was in Teilen, sei nun ein Ganzes!«

    Beast in mir bäumt sich auf.
    »Nein! Michael, er versteht es nicht. Das ist nicht der Weg!«
    Ich spüre, wie er kämpft, fühle, dass es ein Kampf ist, den er nicht um seinetwillen führt, nicht einmal um meinetwillen. Er kämpft für viele und ohne zu zögern leihe ich ihm meine ganze Kraft.

    Von wegen, es tut nicht weh, mein Bewusstsein entgleitet mir und ich versinke in tiefer Schwärze.
    Das Letzte, was ich noch höre, ist der entsetzte Schrei meiner Liebsten.