Wie selbstverständlich folgen wir der Vampirin und ich muss selbst erstaunt feststellen, wie gut sie die Fähigkeiten und Nichtfähigkeiten unsrer kleinen Truppe in ihr Planen miteinbezieht.
Natürlich könnte sie in Nullkommanichts an der ersten Stellung unserer Gegner sein, aber Dan und Duke würden da niemals mithalten können. Also führt sie uns in einer Art Slalom zwischen Fahrzeugen, Zäumen und Mauern entlang. Nur selten müssen wir uns vor Beschuss verstecken. Es ist vielmehr so, als ob sich uns die schützenden Schatten entgegen dehnen.
»Bleibt einen Moment zurück. Ich spähe die genauen Standtorte des Feindes aus.« Kaum gesagt, ist Angel verschwunden, als wäre sie nie hier gewesen. Die Schatten wirken mit einem Male bei Weitem nicht mehr so tief und sicher.
Dan beugt sich zu mir: »Eine Schattenhexe, heilige Scheiße!«
Alarmiert schaue ich mich um, die Dolch bereit, doch Dan schüttelt den Kopf. »Deine Vampirfreundin. Hatte gehofft nie wieder einer zu begegnen, aber zum Glück gehen nicht alle Hoffnungen in Erfüllung. Nun kämpft sogar eine auf unserer Seite. Sie ist doch auf unsrer Seite, Partner?«
»Angel ist ein Vampir. Die stehen primär erst einmal auf ihrer eigenen Seite. Aber wie geht das? Ich dachte Vampire könnten keine Magie wirken.« Kalter Schweiß läuft mir auf einmal den Rücken hinab. »Es sei denn …«
»Es denn was? Lass mich nicht dumm sterben!« Auch Duke macht große Ohren. Das Vertrauen zwischen Werwölfen und Vampiren ist selbst im besten Fall dünn wie ein Gespinst.
»Es sei denn, ein Vampir ernährt sich regelmäßig von Arkanisten.«
Dukes Kraftausdruck bringt sogar Dan zum Schweigen, der gerade selbst lautwerden wollte.
»Scht! Seid Ihr irre? Regt Euch gefälligst leise auf!«, herrsche ich sie an.
Einen Moment schweigen wir. Ich gehe im Geiste die sehr gute Frage hinsichtlich Angels Loyalitäten durch. Wie es aussieht, habe ich in all den Jahren unsrer Bekanntschaft nicht einmal an ihrer Oberfläche gekratzt. Kein einziges Mal hat sie Fähigkeiten wie diese demonstriert. Musste sie aber auch nicht, wenn ich da war. Dann habe ich Probleme beseitigt, das war mein Job und ich war verdammt gut darin. Vielleicht etwas zu gut, wie ich mir nun zweifelnd eingestehe.
»Hallo Jungs, alles klar bei Euch beiden? Ihr wirkt verkrampft.«
Dan und Duke fahren zusammen, ich nur deswegen nicht, weil ich viel zu sehr mit meinen Gedanken woanders war, um Angels Rückkehr überhaupt zu bemerken und dann war ich auch schon über den Schockmoment hinweg.
Dichter Schatten umfängt uns wieder.
»Ich sage das nur einmal, und ich fordere, dass das unter uns bleibt. Wer dem nicht zustimmen kann, der möge nun umkehren, der Weg zur Villa ist inzwischen frei.«
Da bemerke ich den Geruch frischen Blutes, den Duke schon gleich wahrgenommen hat, wie ich an seiner Reaktion nun entnehme.
»Ich bleibe!«, sagt er betont rau. Klar, er vertritt gerade das Rudel.
»Diese Bleiche ist mein Partner, auch wenn ich furchtbar unterbezahlt bin! Aber ich bleibe auch.« Immerhin verkneift sich Dan die üblichen Kraftausdrücke.
Ich verdrehe die Augen und Angel zwinkert mir so zu, dass nur ich es sehen kann. Beinahe könnte man denken, sie steht auf Dans freche Art. Angel, die sonst nichts so sehr hasst, wie Respektlosigkeit? Es muss sich wohl noch herausstellen, ob das für Dan gut oder schlecht ist.
Mich scheint sie gar nicht erst zu fragen, also spare ich mir die Antwort.
»Sin ist Mitglied meines Clans. Ich habe sie weder verstoßen, noch habe ich die Absicht. Die Tatsache, dass sie inzwischen keine Vampirin mehr ist, ändert daran nichts. Was immer ihr von anderen, meist neuen Clans zu wissen glaubt, mag davon abweichen. Doch der Clan der Rosen beschützt seine Mitglieder. Ohne Ausnahme!«
Duke lässt widerwillig ein zustimmendes Grollen hören. Als Teil eines Rudels ist das Wasser auf seine Mühlen.
»Wenn eines davon bestraft werden muss, tun wir das selbst. Ich bin Gast in dieser Stadt. Der ansässige Clan wurde über mein Kommen und meine Absichten informiert. Daher achte und respektiere ich die Bündnisse in dieser Stadt und bin, bis ich es offen widerrufe, an mein Wort gebunden. Kein Vampir der Vampdrakes noch ein anderer Bewohner New Yorks ist durch mich unmittelbar bedroht. Selbstredend verteidige ich mich und meine Schützlinge.«
Groß, fast übergroß wirkt sie in diesem Moment. Nunja, wenigstens für die beiden Männer. Hey, es immerhin Angel. Ich habe schon hunderte ihrer Ansprachen gehört. Als ob ich mich davon noch beeindrucken lasse …, also echt jetzt.
Dann geht sie neben Dan in die Hocke. Etwas verunsichert schaut er sie an.
»Ich würde gerne ein bisschen Magierblut kosten. Es ist so süß und berauschend und ich kann sehr, sehr dankbar sein.« Sie leckt sich über die Lippen und das Erschauern, welches durch Shepherds Körper geht, hat so ganz und gar nichts von Furcht.
»Aber für meine Magie brauche ich es nicht. Es gibt andere Methoden, gleichhin, sie sind finster genug.« Scheinbar unbeabsichtigt berührt sie mit ihrer Hüfte das Knie des Magiers, während sie aufsteht.
Dan wischt sich die Stirn ab. Armer Kerl, Angel hat Dich ja sowas von am Haken!
Sie führt uns wieder an und wir kommen gut voran. Immer wieder treffen wir verstörte Anwohner, die wir mit dem Hinweis auf Duke in seinem SWAT-Anzug in die Häuser zurückschicken. »Suchen Sie einen Raum ohne Fenster auf und warten Sie, bis es hell wird. Begeben Sie sich nicht in Gefahr, die Polizei ist bereits vor Ort.«
»Ha, da wo ich herkommen, hätte nun mindestens jeder zweite eine Flinte und würde darauf bestehen mitzuhelfen.« Dan grinst breit.
»Oh, unterschätz uns New Yorker nicht. Wir haben auch unsre Knarren, wir zeigen sie nur nicht offen.« Duke weiß ja, wovon er spricht.
Die Wenigen, die zögern, werden von mir mit einem suggestiven Blick bedacht, oder Angel winkt sie einfach majestätisch, sich jetzt zu verpissen. Da ist kein Zwang, kein Zauber dahinter. Die Leute gehorchen einfach.
Je länger ich sie beobachten kann, umso größer wird mein Respekt. Meine frühere Königin besitzt Macht, echte Macht. Und wie die ganz wenigen Mächtigen, die ich bisher kennengelernt habe, setzt sie diese kaum ein. Selbst wenn sie ärgerlich wird, droht sie nicht, sie schaut nicht einmal böse. Sie beginnt sich nur vermehrt für eine Situation zu interessieren oder das genaue Gegenteil, und schon handeln die Leute instinktiv so, wie es für beide Seiten vermutlich am besten ist.
Wir begegnen dem ersten Körper, einer Vamprin genauer gesagt. Ob ihr Unleben beendet wurde, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, aber sie liegt starr mit offenen Augen herum. Drei Augenpaare treffen die Vampirin, die nicht einmal so tut, als wäre sie daran unschuldig.
»Sie griff mich an, ebenso wie ihre ganze Gruppe.«
Als wir uns umsehen, finden wir weitere starre Vampirkörper.
»Die leben alle noch?« Duke schnüffelt mehrfach und winkt angewidert ab. »Lasst Sie uns erledigen.« Schon hat er ein großes Kabar Marine Allzwecksmesser in der Hand, was für normale Leute durchaus als Kurzschwert durchgehen würde.
»Warte, Wolfmann.«
»Was?!« Dukes Reaktion ist heftig und ich sehe, wie er bereits gegen den Verwandlungsreflex ankämpft. Die Nähe zu so vielen Feinden, macht seine Reaktion ganz natürlich und wer Werwölfe kennt, muss anerkennen, dass der Mann sich wirklich zusammenreißt.
»Sie werden in Starre bleiben, auch wenn die Sonne hervorkommt. Sofern der örtliche Clan sie überhaupt so lange überdauern lässt. Wir müssen keine Zeit mehr an sie verschwenden.«
Ohne abzuwarten schreitet sie weiter.
Duke schaut mich an und ich hebe die Arme: »Kumpel, falls Du es noch nicht bemerkt hast, im Moment ist ihre Majestät der Boss. Mach einfach, was sie sagt.«
Angel streift mich mit einem Blick, der mich vermutlich einschüchtern soll. Aber ich stelle mich ja so schnell auf neue Situationen ein. Also schiele ich nur betont in ihre Richtung und hoffe, dass niemand unseren nonverbalen Schlagabtausch bemerkt. Kacke, sie mag vielleicht gerade die königliche Supervampirin herausgeholt haben, aber das hier ist meine Stadt. Meine! Für ein paar Minuten hat sie mich auf dem falschen Fuß erwischt, aber sie muss nicht glauben, dass ich mich nun zu ihrem Minion machen lasse. Ich bin schließlich weder gelb, noch habe ich eine blaue Latzhose an.
»Da vorne. Da haben sie ihren Stützpunkt.«
Wir sind fast eine Meile gegangen und beinahe würde ich wieder respektvoll dazu nicken, wie schnell Angel das Gebiet aufgeklärt und nebenher gesäubert hat.
Ohne Vorwarnung tritt eine Drei-Vampir-Patrouille in unser Gesichtsfeld. Die uns umgebenden Schatten haben uns so gut verborgen, dass sie gar nicht erahnen, wie ihnen geschieht. Duke und ich machen sie nieder, bevor sie auch reagieren. Angel hält sich vornehm zurück und Dan hat gerade ein Messer gezückt, was ich sofort als Fleischmesser aus dem Messerblock meiner Küche wiedererkenne, als auch schon der letzte der Drei seinen Kopf verliert. Seufzend steckt er es wieder weg und applaudiert, vielleicht einen Hauch zu ironisch, wie ich finde.
»Sag mal, Angel, findest Du nicht auch, dass das viel zu viele fremde Vampire sind? Ich meine, ein halbes Dutzend, wegen mir ein Dutzend, dass lasse ich mir irgendwo noch einreden, aber wir sind mittlerweile bei wie viel?«
»Bullenscheiße, zweiundzwanzig, Anwesenden nicht mitgezählt.«
Auch wenn es eine rhetorische Frage ist, nicke ich Dan zu.
»Viel zu viele.« Sie lächelt mich an, als ob sie stolz darauf wäre, dass ich endlich den Schluss gezogen habe, auf den sie schon vor zehn Minuten gekommen ist.
»Hallo?«, merke ich auf. »Wenn ich sie hätte alle nacheinander oder auch auf einem Haufen fertigmachen dürfen, wäre ich früher darauf gekommen. Ich bin Taktiker, kein Stratege.«
Die beiden Männer drehen sich weg, um ihr Grinsen zu verbergen. Alles Idioten!
Wir stehen vor einem Bauhof. Ein abgeriegeltes Terrain mit wenig Deckung und einem großen Gebäude, stabil und wenig Fenster, direkter Zugang zum Hudson River. Auf dem Fluss kommt man hunderte Meilen, relativ unbemerkt, vom Landesinneren hierher.
Ja, wenn ich eine Vampirarmee irgendwo unterbringen müsste, dann hier.
»Ich denke nicht, dass sie schon hier sind. Sin. Das hier ist nur ein Voraustrupp. Sie sollten vermutlich schon einmal die gefährlichsten Feinde im Handstreich ausschalten.«
Was Angel sagt, ergibt Sinn. Tief in mir erwacht die Erinnerung, dass ich selbst diverse solche Kommandounternehmen angeführt habe. Früher, sehr viel früher.
Ärgerlich wische ich die Gedankenfetzen fort. Gerade nicht hilfreich.
»Ja, das macht Sinn. Sauger denken natürlich erst mal, dass nur andere Sauger für sie gefährlich werden, arrogante Bande.«
Angel quittiert Dukes verächtlichen Ausbruch mit einem leisen Lächeln.
Der Werwolf knurrt. »Diese Blutsauger würden sich freiwillig auf die Sonnenbank legen, wenn sie wüssten, wer in New York wirklich das Sagen hat.
Ich bin nicht die Einzige, die Duke nun erstaunt anschauen. Angel und Ella, gut, mich auch auszuschalten, wäre schon ein echter Coup gewesen. So spontan fällt mir niemand ein, der … oh, Kacke! Doch, natürlich!
Ich sehe Duke an, er sieht mich an und wir nicken beide. Die beiden Nicht-New-Yorker schauen fragend, aber von uns werden sie da keine weiteren Informationen bekommen. Sollen sie doch von selbst darauf kommen, wer noch weiter oben in der Hackordnung stehen könnte, dass selbst eine Vampirkönigin und ein erfahrener Magier zu Sekundärzielen werden.
Zum Glück betreten nun zwei Vampirinnen den großen Hof. Zwillinge, ganz offensichtlich. Sie hübsch zu nennen, wäre richtig und falsch zugleich. Es ist eine Schönheit, die wie gemeißelt wirkt. Neben den Beiden wirken die Botox-Beauties der Klatschpresse, wie oskarverdächtige Mimenwunder. Die Eine hat ihr Haar schwarz gefärbt und einen weißen Bodysuit an und hält locker zwei gezackte Kurzschwerter in den Händen. Die Andere hat ihr Haar so platinblond gefärbt, dass es fast gläsern wirkt und trägt einen schwarzen Bodysuit. Sie ist mit zwei Stäben bewaffnet, die im Dunkeln immer wieder ganz schwach blaue Blitze von sich geben.
»Wenn das mal kein Ablenkungsmanöver ist?« Duke ist natürlich ein erfahrener Soldat, aber wir sind alles Krieger und natürlich dachten wir dasselbe.
»Der Arkanist mit der elektromagnetischen Welle. Im Gebäude. Er braucht ja nur Sichtlinie.«, stellt Dan fest. Aha, das war das also. Wieder etwas gelernt.
»Um den kümmern wir uns, ihr zwei müsst die Blutzwillinge übernehmen. Bekommt ihr das hin?«
Duke knurrt empört auf Angels Frage, hörbar in seiner Ehre gekränkt, und zückt zu seinem Ka-Bar noch einen guten altmodischen Polizeischlagstock. Ich habe meine Krummdolche bereits in den Händen. Wir schauen uns an und wortlos nicken wir uns zu. Ich halte mich rechts, die Schwarzhaarige mit den Schwertern scheint zu mir passen. Duke lockert seine Schultern, während er die linke Seite abdeckt und die Platinblonde ins Visier nimmt.
»Wir beide werden nun durch die Schatten reisen, Magier. Vertraust Du mir?«
Dan will ihr gerade antworten, als beide auch schon von einem Schatten verschluckt werden.
»Ich bin Kali, die Vernichterin des Lebens. Wer wagt es, sich mir entgegenzustellen?«
Ich verdrehe die Augen. Wie pathetisch.
»Und ich bin Duke vom Clan des Kupferpelz. Können wir uns das alberne Geschwätz sparen und gleich zur Sache kommen?«
Mein leises Lachen erzürnt offenbar meine direkte Gegnerin. Sie schüttelt wütend ihr schwarzes Haar und geht fauchend in Angriffsstellung. Oha, wir beide stellen uns also nicht vor? Irgendwie schade, mir ist gerade ein netter Spruch eingefallen.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Kali auf Duke losgeht. Kacke, ist die schnell. Aber Duke ist nicht nur ein erfahrener Werwolf, er ist ein SWAT, einer von New Yorks Besten, wie es unsre Bürgermeister bei ihren Ansprachen so gerne hervorheben. Allerdings zeigt er nun, dass das in seinem Fall kein leeres Geschwätz ist. Die viel leichtere Vampirin läuft in einen blitzsauberen Konter und prallt von der puren Masse und Kraft ihres Gegners förmlich ab.
Nun habe ich aber genug mit meiner eigenen Feindin zu tun. Hel, wenn es stimmt, was ich annehme, und auch sie ist irre schnell, welch ein Wunder.
Bevor ich auch nur richtig reagieren kann, hat sie mir die Jacke aufgeschlitzt, aber meine Weste lässt die Klingenspitze wirkungslos abgleiten.
»Verdammt,« murre ich, »ich hasse es so, wenn ich den Einsatz verpenne.«
Hel ist so schnell zurückgesprungen, wie sie angegriffen hat. Sie scheint etwas irritiert, dass ich den ersten Treffer so ungerührt akzeptiere. Instinktiv will ich in meine Jackentasche fassen und meine Ohrstöpsel herausholen, aber der EMP hat wahrscheinlich auch mein I-Pad gegrillt.
Sie sieht mir wohl an, dass gerade mein Grad des Angepisst-Seins einen neuen Höchststand erreicht.
»Ist euch verdammten, verblödeten Kack-Ärschen denn gar nichts heilig?« Ich bin ein wenig stolz auf mich, weil es fast so überzeugend klingt, wie bei Dan.
»Habt Ihr überhaupt eine Ahnung, was für eine Mordsarbeit es ist, eine Playlist zusammenzubasteln, die nahezu für jede Situation passt?«
Als ich angreife weicht Hel erst einmal drei große Sprünge zurück. Ich muss wohl annähernd so sauer aussehen, wie ich gerade bin. Vielleicht bringen sie auch meine, für sie sicherlich sinnlosen Anklagen aus dem Konzept. Womöglich gewinnt sie gar den Eindruck, dass ich die Lage nicht völlig ernst nehme? Aber da irrt sie sich. Mit meiner gelöschten Playlist spaße ich nicht!
Die Vampirin runzelt die Stirn und kommt wohl zum Schluss, dass ich geistig nicht ganz auf ihrem Niveau bin. Bei Vampiren ist das allerdings nicht ungewöhnlich und kein Grund nachzulassen. Und sie kennt mich.
»Ich werde Dich zur Hölle schicken, Du verrücktes Rosenmiststück. Im Höllenfeuer sollst Du brennen!«
Grüßend hebe ich die Klingen. »Sehr nett aufgesagt, besonders die Anspielung auf Deinen Namen, wirklich nicht übel. Kein Klassiker, aber gar nicht schlecht. Das mit dem Feuer ist übrigens eine prima Idee, danke dafür!«
Bevor das Ganze noch in einem Tratsch ausartet, immerhin hört Duke das ja auch alles und ich hab einen Ruf zu verteidigen, fange ich an zu singen:
»Oh, would you like to dance with a fire. You need passion as well as desire.«
Ich gehe tief in die Hocke und kreisle dreimal um den Abstand zu Hel zu verringern. Erwartungsgemäß wartet sie ab und springt hoch, als ich heran bin, um von oben zuzustoßen.
Viele denken, dass eine erhöhte Position im Kampf von Vorteil ist. Für eine Schlacht der fünf Heere mag das wohl auch stimmen. In einer Messerstecherei jedoch …
»Remind that flesh is on to burn.«
Kreiselbewegung umkehren, mit dem linken Dolch das rechte Schwert abwehren, mit dem rechten den Oberschenkel des Gegners anritzen.
Kaum ist Hel auf dem Boden gelandet, als sie auch schon wieder wegspringt. Sie ist wirklich, wirklich schnell, vielleicht schneller als ich es je war. Aber ich bin nicht neidisch. Denn sie zieht ihr Bein schon nach. Meine Klinge ist alles andere als normal und für die schnelle Regeneration, egal ob Vampire oder Werwölfe, echt abträglich.
»Keep your mind and welcome the turn.«
Ich richte mich auf und weiche ebenfalls zwei Schritt zurück, bis die Entfernung passt. Dann mache ich auf Bruce Lee und winke ihr, mich doch anzugreifen.
Misstrauisch hält sie sich zurück. Klar, sie gehört zur Elite, auch wenn sie sich wohl gerne reden hört.
»Du bist ja doch besser, als zunächst gedacht.«
Ein Lob aus Feindesmund tut selten Gutes Kund. Keine Ahnung warum mir die Redewendung in den Sinn kommt, warum zum Teufel sie wie das mystische Gebrabbel von Imhotep aus Die Mumie klingt und vor allem, warum ich sie so locker übersetzen kann. Aber ich werfe mich instinktiv zur Seite.
Das eine Schwert zischt so schnell durch die Luft, wo eben noch mein Kopf war, dass ich nur den Luftzug spüre, es aber nicht einmal sehen kann. Wow. Krass!
»If you are a man, who is out for a wife.«
Ich suche nach dem Schwert, um Hel den Weg dorthin zu verstellen, doch schon höre ich ihre Schritte.
»Better take all your mood and don‘t waste your life.«
Während ich hochkomme, höre ich ein Schaben über das Kies und sehe mit großen Augen, wie Hels Schwert ihr wieder in die Hand fliegt, kaum langsamer, als sie es geworfen hat.«
Kacke, wie cool ist das denn? Ein Thors Hammer-Schwert?
»Go right to her and be the man.«
Ich blinzle und tauche hinter Hel auf.
»Take her heart before another can.«
Mit aller Kraft ramme ich der Vampirin meinen Dolch zwischen die Schulterblätter. Besser gesagt, das ist der Plan.
Sie taucht bereits ab, und nur der Umstand, dass meine Klinge gebogen ist, verhindert, dass sie völlig fehlgeht. Ich erwische ihren Nacken und die Spitze schlitzt ihre rechte Schulter bis zum Knochen auf, aber dafür muss ich ebenfalls einen Preis bezahlen.
Hel hat das frisch gefangene Schwert nun mit der Klinge nach unten und sticht sie mir geradewegs unter der Schutzweste in den Unterleib.
Ich lasse meinen Dolch los und packe den Schwertgriff. Dann blinzle ich wieder. Viel weiter als gedacht, tauche ich wieder auf. Ich halte zwar das Schwert weiterhin fest, aber es ruckt und zuckt, will sich losreißen und verschlimmert meine Wunde dadurch weiterhin.
Mir wird die Luft knapp vor Schmerz und ich taumle kurz, bis ich den inneren Schalter finde, um ihn abzustellen.
Dennoch ist mir klar, dass meine Uhr nun tickt. Bauchwunden sind immer übel, und meine Regeneration ist nicht mehr, was sie einst war.
»Oh, would you like to dance with a fire.«
Ich packe das Schwertheft noch fester und ziehe die Klinge mit einem schnellen Ruck heraus. Die Waffe ruckt noch einmal, und ich meine einen herrischen, mentalen Befehl zu hören. »Regresa!«
Mein Spanisch ist zwar eher geeignet um Bier zu bestellen und zu versichern, dass ich nur ganz wenig Spanisch kann, aber meine Phantasie reicht locker aus, um den Befehl zu übersetzen: Komm zurück!
»You need passion as well as desire.«
Instinktiv versuche ich es mit einer anderen Taktik. Statt des harschen Tonfalls, verwende ich Respekt, anstatt des Befehls, eine Einladung. »Quédate conmigo, camarada. – Bleib bei mir, Kameradin.«
Man frage mich nicht warum, aber etwas in mir erinnert sich an ein magisches Schwert: Ein starker Wille, konnte es unterwerfen, es in seinen Dienst zwingen, aber Achtung und Freundschaft konnten es zu Deinem Partner machen. Wenn eines in meinem Wesen jedoch sicher ist, dass es dort nirgendwo Platz für Unterwerfung gibt, nicht für geforderte, schon gar nicht für geleistete.
Ich fühle, wie mich die magische Waffe sondiert, die Wahrhaftigkeit meiner Absichten prüft … und mit fliegen Fahnen zu mir überläuft.
»Remind that flesh is on to burn.« Mir geht beinahe Luft aus, und ich stöhne mehr, als dass ich singe.
»Sorry, Kameradin,« übermittle ich mein Bedauern an die beseelte Klinge. »Kann sein, es wird ein recht kurzes Gastspiel.« Auf einmal geht es ganz leicht, als hätte wäre es nie anders gewesen.
Das Schwert heult wütend auf. Wütend, weil es an meiner Verletzung Schuld trägt, wütend, weil es um nichts in der Welt zu Hell zurück will. Es signalisiert mir, dass ich loslassen soll.
Zögern.
»Keep your mind and welcome the turn.«
Vertrauen.
Ich lasse es los.
Das Schwert zischt davon auf eine triumphierend lachende Hel zu. An ihrer ausgestreckten Hand fährt es vorbei, direkt in ihr Herz.
Fassungsloses Erstaunen macht Hels Gesicht für einen Moment beinahe menschlich, bevor sie zu Staub zerfällt. Meine Güte, hatte die ihr Verfallsdatum schon überzogen!
Ich höre noch die Stimme der Waffe in meinem Geist, als meine Beine bereits nachgeben:
»Tyrfing bin ich. Vom Zorn gezückt, muss ich morden!«
Das nächste was ich sehe, ist ein eingestürzter Bauhof, eine sehr ramponierte Angel und einen schwer schnaufenden aber regenerierenden Werwolf, der neben mir auf dem Boden liegt. Teile der Umgebung haben offenbar wieder Strom und ich höre überall Sirenen.
Ich habe eine Hand auf Tyrfing gelegt und fühle, wie ein Strom Lebenskraft in meine Finger geleitet wird.
»Cooles Teil. Svafrlam scheint Dich echt zu mögen.« Dan deutet auf das Schwert.
»Sie heißt Tyrfing.« Widerspreche ich, doch der Magier winkt ab.
»Andere Sage, dasselbe Schwert. Gratuliere, du hast da das Excalibur der nordischen Götterwelt erobert.«
»Soso? Und woher weißt Du das?« Ich erspare es mir, ihn lange darauf hinzuweisen, dass Tyrfing sich wohl eher eine Ex-Vamprin zugelegt hat, als umgekehrt.
»Machst Du Witze, es redet wie ein Wasserfall. Hat wohl ein paar tausend Jahre Nachholbedarf. Man muss nur zuhören können.«
»Na toll, muss ich jedes Mal einen Magier als Übersetzer holen?«
Angels Lachen unterbricht uns. Sie sieht wirklich mitgenommen aus, wirkt aber irgendwie entspannt, aber nicht auf die raubtierhafte, gefährliche Weise, wie sonst.
»Du bist eine Arkanistin, Sin. Wer auch immer Dich verwandelt hat, der hat auch das verursacht.«
»Und warum sollte er mich zum Zauberer machen? Ich wollte das nie.«
Dan und Angel schauen sich an. Es ist irgendwie seltsam, wie lange sie das tun.
»Vielleicht hat derjenige einfach nicht ganz genau gewusst, was er tun muss, um aus einem Vampir einen Menschen zu machen und von sich selbst auf fehlende Teile geschlossen?« Irgendwie klingt Dan gerade besonders nachdenklich.
Ich seufze. Ja, das macht irgendwie Sinn.
Ganz selbstverständlich strecke ich meine Gedanken aus. Ich bin viel zu müde, um mich nun auch deswegen noch zu wundern.
»Ella, alles gut bei Euch?«
»Alles Bestens, Sin. Sir Drago ist inzwischen angekommen. Er meinte, das heute Nacht war nur das Vorspiel.«
»Ganz toll!«
Ziemlich fix und alle lege ich meinen Kopf noch einmal zurück. Irgendwer hat mir eine Jacke untergelegt, bemerke ich nicht undankbar. Bevor ich meine Augen schließe, fällt mir ein Detail auf, über das ich aber jetzt wirklich nicht nachdenken will:
Dans und Angels Fingerspitzen berühren sich und es wirkt viel zu vertraut, um zufällig zu sein.