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Also hier der nächste Teil ...
Eins
Montreal, Kanada, 2015
Tamsyn stieß mit aller Kraft die riesigen Türen zu der Villa auf, in der sie zusammen mit dem restlichen Klan der Vampire, die sich unter dem Befehl von Therrie befanden, wohnte.
Sie hasste es, wenn sie von einer Nacht der Jagd zurück kam und schlechte Neuigkeiten an ihren Meister richten musste. Sie lief mit schnellen Schritten durch die Eingangshalle, von der eine große, breite Treppe in die oberen Etagen führte, in denen sich die Schlafräume der einzelnen Klanmitglieder befanden. Die oberste Etage des Hauses war komplett für Therrie reserviert.
In der Eingangshalle befanden sich auf zwei Sofas sitzende Vampire, die Tamsyn mit einem einfachen Kopfnicken begrüßten und bei ihrem Anblick die Stirn runzelten.
„Wo ist er?“, wandte sie sich fragend an die anderen, wobei sie sich durchaus bewusst war, dass ihr Tonfall alles andere als nett und freundlich war, sondern herrisch und barsch.
Mittlerweile färbten die eher schlechten Umgangsformen von Marcel deutlich auf sie ab. Sie wurde immer schlecht gelaunter, wenn eine Nacht nicht so verlief wie sie es eigentlich sollte und ihre miserable Stimmung wirkte sich dann negativ auf ihre soziale Kompetenz aus. Was dazu führte, dass einige der Vampire schon deutlichen Abstand von ihr genommen hatten, weil diese sie nicht sonderlich mochten. Aber das war für Tamsyn zweitrangig. Sie machte Nacht für Nacht ihren Job und das sehr gut. Allerdings war heute wirklich alles schief gegangen, was nur schief gehen konnte.
„Er nährt sich“, gab einer der Sitzenden zurück und wandte sich dann wieder dem Gespräch mit seinem Gegenüber zu und ignorierte Tamsyn weiterhin. Allerdings war ihr nicht sein angewiderter Blick entgangen, der sich förmlich an ihren blutdurchtränkten Klamotten für einen Moment fest gesogen hatten, bevor er seine Augen blitzschnell von ihr abgewandt hatte. Er wollte anscheinend keine unsichtbare Grenze überschreiten und ihr nicht den gebührenden Respekt zollen, den ihre Abstammung verlangte und ihre Position im Klan gebot.
Wenn sie an seiner Stelle gewesen wäre, würde sie einen ebenso angewiderten Blick von sich geben. Es wusste bis jetzt ja auch noch niemand, dass sie gerade in die Fänge von Jägern geraten war und dabei ihre beiden Wachen verloren hatte. Sie war nur um Haaresbreite aus der ganzen Sache herausgekommen, in dem sie selbst begonnen hatte zu kämpfen.
Seit sie vor zirka neunzig Jahren in diesem dämlichen Jazzklub fast umgebracht worden war, hatte sie sich von Therrie, Ridley und Marcel im Kampf unterrichten lassen. Mit jeder beliebigen Waffe, aber auch mit ihrem eigenen Körper konnte sie sich nun problemlos verteidigen. Deshalb hatte sie die heutige Nacht auch überlebt, aber ihr stand noch bevor, dass sie Therrie beichten musste, dass ihre beiden Leibwachen das Zeitliche gesegnet hatten.
Dieses Mal hatte sie insofern Glück gehabt, als dass Ridley und Marcel beide viel zu beschäftigt waren, um sie in dieser Nacht zu begleiten. So hatte es zwei von Therries besten Männern erwischt, aber eben nicht die besten. Das hätte er ihr wirklich übel genommen und sie wahrscheinlich auch noch dafür bestraft, dass sie so sorglos mit dem Leben zweier seiner Klanmitglieder umgegangen war, über die er geschworen hatte zu wachen. Er hasste es diese Pflicht zu vernachlässigen.
Tamsyn trottete die große, marmorne Treppe hinauf, bis sie sich in der zweiten Etage befand. In diesem Stockwerk war ein Raum, in dem die Vampire ihre blutige Nahrung zu sich nehmen konnten. Dass besondere, ob nun auf perverse oder voyeuristische Weise, an diesem Raum war eine Trennscheibe, welche denen ähnelte, die sich in Polizeirevieren befanden. Von der einen Seite konnte man alles sehen und erkennen was sich in dem Zimmer abspielte, aber die Personen im Inneren wussten zu keiner Zeit ob sich jemand in dem kleinen Vorraum befand. Was einen gewissen Reiz ausmachte, aber eigentlich hatte Therrie diesen Raum einrichten lassen, um ungestört speisen zu können. Allerdings war es ihm auch gegen den Strich gegangen, wenn Tamsyn sich von Ridley oder Marcel nährte. Er wusste besser als jeder andere welche Nebenwirkungen mit dem Bluttrinken einherging. Lust. Begierde.
Um sicher zu stellen, dass keiner der beiden sich an ihr vergriff, hatte er diesen Vorraum einrichten lassen, um jeder Zeit sicherstellen zu können, dass ihr nichts passierte.
Zwar war das gesamte Haus Video überwacht, aber diese Art der Nahrungsaufnahme war viel zu intim, als das eine Kamera mitlaufen durfte. Zudem es sich dabei nicht nur um die normalen Vampire handelte, die diesen Raum benutzen, sondern auch Therrie, Marcel, Ridley und Tamsyn.
Allerdings hatte er dabei außer Acht gelassen, dass die anderen jeder Zeit hereinkommen und die jeweiligen beiden Trinkenden begutachten konnten und sich damit selber zum Voyeur machten.
Genau das stand Tamsyn jetzt auch bevor. Schließlich kannte sie Therrie gut und lange genug um zu wissen, dass er sich mit irgendeiner Frau vergnügte, die offensichtlich nicht sie war. Es war absolut dämlich, dass Therrie auch nach so vielen Dekaden immer noch mit zweierlei Maß misste. Er durfte sich durch alle möglichen Betten von Montreal vögeln, während Tamsyn selber sich nicht einmal einem anderen Mann nähern konnte, ohne das seine beiden Wachhunde an ihrer Seite waren und den Mann vertrieben.
Das nervte sie maßlos, aber für den Moment konnte sie sich nur wappnen und darauf hoffen, dass Therrie noch nicht mitten drin steckte, sonst bekam sie etwas zu sehen, dass sie heute Nacht wirklich nicht mehr sehen wollte. Wie er es mit einer anderen Frau trieb. Dabei war es ihr fürchterlich egal, ob die besagte Dame nun eine Sterbliche oder eine Vampirin war. Das Stechen in der Brust, nahe ihres Herzens, war trotzdem da. Sie hasste es, dass sie ihn teilen musste.
Wenn man als Vampir das Blut eines anderen Vampirs trank, ging das nur wenn ein Mann von einer Frau trank, oder umgekehrt. Da Therrie, Ridley, Marcel und sie selber das reinste Blut des Klans und der Vampirrasse hatten, galt für sie besondere Regeln. So durfte Tamsyn nur von einem der drei trinken. Ridley und Marcel nur von ihr. Allerdings konnte Therrie, als einer der Vampire aus der ersten Generation, von jedem beliebigen Vampir trinken. Natürlich konnten sie sich auch noch von Menschen nähren, aber das taten sie nur im äußersten Notfall.Denn sie wollten vermeiden, dass der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt wurde, dass es wirklich Vampire gab und diese nicht nur irgendwelchen Hollywood Streifen entstammten.
Tamsyn blieb vor der Tür zum Vorraum stehen und atmete tief durch, bevor sie diese öffnete und sich in das Zimmer begab. Tragischerweise bekam sie genau das zu sehen, auf das sie am liebsten verzichtet hätte. Therrie, der in wilder Manie seine Hüften bewegte und sich in den weichen, warmen und von lustgebeutelten Körper einer Vampirin trieb, die Tamsyn auf den Tod nicht ausstehen konnte, weil er sie attraktiv fand und immer zu ihr griff, wenn sie gerade nicht zur Verfügung stand.
Der Vorraum hatte nicht nur diese absolut nette Scheibe, durch die Tamsyn alles verfolgen konnte, was Therrie mit Sandra anstellte, sondern auch noch eine Gegensprechanlage für den Notfall, um die jeweiligen Vampire im Fall eines Angriffes aus diesem Raum herauszuholen, ohne Gefahr zu laufen, von dem trinkenden Vampir umgebracht zu werden, wenn man einfach in den Raum hineinlief, und die beiden störte.
Deswegen hallte nun über die Lautsprecher lautes Stöhnen und Schreien, bei dem Tamsyn innerlich zusammenzuckte. Sie hasste das, was er gerade tat. Aber noch viel mehr hasste sie, dass sie ihn unterbrechen musste und er dann nur umso wütender auf sie war, wenn er nicht bekam, was er wollte. Davon abgesehen, dass sie ihm beichten musste, das zwei Klanmitglieder in dieser Nacht ihretwegen gestorben waren. Das machte ihr seinen vorwurfsvollen Blick und sein Missfallen zu schaffen, aber das in seinen Augen und Gesichtszügen sehen zu müssen, konnte sie nur schwer ertragen. Zumal es innerhalb der letzten fünf Jahre mehr als nur einmal vorgekommen war.
Sie biss sich auf ihre vollen, roten Lippen, schloss die Augen für einen Moment und drückte dann auf den Knopf für die Gegensprechanlage, sodass die Geräusche aus dem Raum ausgeschlossen waren und Therrie und Sandra ihre Stimme hören konnten.
„Ich störe nur ungern, aber ich muss mit dir sprechen, Therrie“, wandte sie sich entschuldigend, aber auch bestimmend an den Mann, der gerade begann zu Knurren und zu Fauchen, als er seinen Kopf ruckartig zur Trennscheibe herumwirbeln, seine blutbefleckten, ausgefahrenen Fangzähne aufblitzen ließ und ihr einen finsteren Blick zuwarf.
Er war definitiv nicht erfreut über diese Unterbrechung!
„Das muss warten, Liebes“, fauchte er mit rauer und tieferer Stimme als sonst.
Tamsyn stöhnte innerlich auf, dass sie das nun mit ihm diskutieren musste, wo sie eine Zuhörerin hatten, die sie nicht ausstehen konnte. „Es kann nicht warten, Meister“, hallte ihre Stimme wieder durch die Sprechanlage, wobei sie seinen Titel verwendete, was sie nur tat, wenn sie Mist gebaut hatte und besonders unterwürfig erscheinen wollte.
Das wusste abgesehen von ihr und Therrie nur noch Ridley und Marcel, weil die Dynamik zwischen den vieren anders war, als unter den anderen Vampiren. Sie kannten sich länger und besser als alle anderen und das hatte sie zusammengeschweißt, sorgte aber auch für größere Probleme und Streitereien, wenn etwas schief lief, wie in diesem Fall.
Mit einem wütenden Knurren riss sich Therrie von Sandra los, die wimmerte empört, als er sich aus ihr zurückzog, bevor sie zum Höhepunkt gekommen war und nun unbefriedigt zurückgelassen wurde.
Während Therrie sich von dem überdimensionalen Bett zurückzog und nach seinen Kleidungsstücken suchte, hatte Tamsyn einen wunderbaren Blick auf seinen unverhüllten Körper und konnte dabei alles in Ruhe betrachten. Es war nicht so, dass sie ihn noch nie nackt gesehen hatte, aber es war immer wieder ein erstaunliches Erlebnis seinen fast makellosen Körper ohne Kleidung bewundern zu können. Hätte sie nicht solch schlechte Nachrichten für ihn, würde sie kein schlechtes Gewissen dabei haben, dass ihr das Wasser im Mund zusammenlief, während sie seinen Körper ungeniert betrachtete.
Schneller als gedacht und ihr lieb war, hatte Therrie sich angezogen und kam jetzt in einem schicken maßgefertigten Anzug aus dem Raum. Er trat in den Vorraum hinaus. Er blickte sie wütend an, und warf dann einen Blick auf ihre ruinierten Klamotten, die immer noch mit Blut beschmiert waren.
„Was ist geschehen?“, verlangte er von ihr zu wissen, während er einen Schritt auf sie zutrat, seinen Zeigefinger unter ihr Kinn legte und es anhob, sodass sie ihm ins Gesicht sehen musste. Sie konnte seinem scharfen Blick nicht ausweichen und wurde der Intensivität seiner funkelnden dunkelblauen Augen hilflos ausgeliefert. Seine Augen erinnerten sie immer wieder an den klaren Nachthimmel, wenn vereinzelt Sterne leuchteten, aber im Moment waren keine Sterne in seinen Augen zu sehen, sondern Sturmwolken, die von seiner Wut und Sorge, um sie, herrührten.