Beiträge von Chaos Rising im Thema „Auf der Suche nach der Schatulle von Daris“

    Mit zusammengebissenen Zähnen starrte Daryk durch das Visier seines Helmes Cecil an. Der Mann der einst sein Leben zerstört hatte, stand vor ihm und auch, wenn er nun mit Daphne ein neues gefunden hatte, schrie sein Körper nach Rache. Nun beschimpfte der Mann auch noch seine Verlobte und er musste all seine Willenskraft aufbringen, den Mann nicht augenblicklich umzubringen. Noch fuchtelte er nur wild in der Gegend herum, aber der König war unberechenbar.
    „Ihr tut jetzt gefälligst, was ich verlange!“, schrie er Daphne an. „Dies sind meine Gewässer, Ihr unterliegt meinen Gesetzen!“
    „Ihr seid in keiner guten Verhandlungsposition, meint ihr nicht?“, erwiderte die Prinzessin trocken und deutete auf die letzten Reste des einst stolzen Schiffes, die in den Fluten versanken. „Ohne uns kommt ihr schließlich nicht nach Hause!“
    Daryk erkannte das Grinsen, dass sich über das Gesicht seines einstigen Herrschers legte sofort und trat vor Daphne.
    Die junge frau wollte erstaunt seinen Namen rufen, unterbrach sich aber rechtzeitig und sagte:
    „Dar…ren?“
    „Was wollt Ihr?“, fuhr der König den schwarzen Ritter an. „Geht mir aus dem Weg, wenn ich mit dem Weib rede!“
    „Dem Weib?!“, empörte sich Daphne hinter ihm und streckte ihren Kopf hinter dem Hünen vor. „Ich bin die Prinzessin Delyveihs und das ist mein Schiff!“
    „Nicht mehr lange!“, meinte Cecil und deutete mit der Hand auf Daryk. „Schafft dieses Tier aus dem Weg und bringt sie mir!“
    Sofort zogen die Soldaten Lycs ihre Waffen und näherten sich dem Ritter, blieben aber augenblicklich stehen, als dieser in Flammen aufging.
    „Es ist genug … mein König“, knurrte Daryk durch seinen Helm.
    Er spürte die Hand der Prinzessin, die von seinem Feuer nicht angegriffen wurde, an seinem Arm.
    „Es ist mein Schiff!“, beharrte sie weiter. „Das ist ein Geschenk meines Vaters ... Wenn Ihr nicht davon ablasst, wird mein Anverlobter hier, auch Euch zu Brennholz verarbeiten. Er hat allen Grund dazu und ich werde ihn bei Rhenus nicht daran hindern.“
    „Euren was?!“, keifte Cecil. „Was wollt ihr mit diesem Kerl, dessen Magie offensichtlich nur fauler Zauber ist?“
    Er schien bemerkt zu haben, dass Daphne von den Flammen unbeeinträchtigt ließen. Wütend, dass seine Männer nicht mehr auf ihn hörten, machte der König einen Schritt nach vorn und versuchte Daphnes Arm zu packen.
    Mit einem raschen Griff fing Daryk den Arm ab und drehte ihn herum. Schreiend und fluchend ging Cecil in die Knie und sah dann zum Hünen auf, der seinen Helm verschwinden ließ und dem Mann sein Gesicht offenbarte.
    Einen Augenblick schien die Zeit still zu stehen, als der König entsetzt in Daryks Gesicht starrte.
    „Nein…“, stotterte er. „Das kann nicht sein!“
    Wortlos griff der Ritter seinem Opfer ins Gesicht und nahm bald darauf den Geruch verbrannten Fleisches wahr.

    Tief atmete Daryk durch, als er die Flagge in den Händen des Schattenmagiers erkannte. Er kannte sie. Es war die Flagge des Mannes, der ihm seine Familie einst genommen hatte. Das weiße Kreuz stand für den Schnee, der über Lyc herrschte, während der schwarze Hintergrund für die Erze stand, die das Land am Leben hielten. Der Handel mit ihnen erlaubte, die benötigten Rohstoffe und Nahrungsmittel einzukaufen, die das karge Land so dringend benötigte. Die goldene Krone im Zentrum der weißen Balken wiesen aber noch auf etwas Anderes hin.
    „Du hältst sie verkehrt herum!“, rief er Theical zu. „Der lange Balken des Kreuzes gehört nach rechts!“
    „Du kennst die Flagge?“, fragte Aras neben ihm, während der Mann im Krähennest den Stoff umdrehte.
    Er nickte nur und sah dann zu Aras hinab.
    „Das ist die Flagge meiner Heimat.“
    „Lyc?“
    Wieder nickte er.
    „Es ist keine Überraschung, die hier zu sehen“, merkte der Magier an. „Immerhin sind wir auf dem Weg dorthin.“
    Der Ritter lachte und stimmte seinem Gesprächspartner zu. Es war auch mehr die Krone, die ihn überraschte.
    „Er ist hier“, murmelte er vor sich hin, wandte sich ab und lies den fragend dreinblickenden Herzog stehen.
    „Wer ist hier?“, rief er ihm nach, aber bekam keine Antwort.
    Daryk eilte zurück in die Kabine, wo Daphne an ihrem Tisch saß und ein Buch las.
    „Er ist hier“, wiederholte er seine Worte von eben.
    Überrascht hob die junge Frau ihren Kopf und blinzelte ihn fragend an.
    „König Cecil. Der Mann, wegen dem ich hier bin“, erklärte er. „Sein Schiff kommt uns entgegen.“
    Ungläubig riss sie die Augen auf. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und kam zu ihm herübergelaufen.
    „Mit einem Schiff? Wie ... Was hast du jetzt vor?“, wollte sie wissen.
    Was sollte er vorhaben? Es gab nur eine Sache, die dieser Mann verdient hatte.
    „Ich werde ihn töten“, verkündete er bestimmt, woraufhin Daphne sofort den Kopf schüttelte.
    Du bist meine Leibwache, also ein Mann Delyveihs!“ erinnerte sie ihn. „Das wäre ein Kriegsakt!“
    Er brummte verärgert. Daphne hatte recht und er wollte keinen Krieg auslösen, nur um seine persönliche Rache zu haben. Mit gesenkten Blick nickte er, ehe er sie wieder ansah und meinte:
    „Er wird sich ohnehin auf dieses Schiff einladen. Dieses Recht hat der König von Lyc in seinen Gewässern. Er wird erwarten, bewirtet zu werden und mit der ranghöchsten Person zu speisen.“
    Er nahm die Hand seiner Verlobten und sah ihr in die Augen.
    „Das bist du. Er wird mit dir an einem Tisch sitzen und wenn er irgendetwas tut, was dich bedroht …“
    „… geben wir Aras als Ranghöchsten aus?“, fragte sie scherzhaft und umarmte ihn. „Keine Sorge ... dann essen wir eben alle mit ihm. Mein Schiff, meine Regeln. Tristan sollte auch dabei sein. Ein Schwertarm mehr kann nicht schaden!“
    Ihre Worte beruhigten ihn etwas, aber da war noch eine Sache.
    „Er kennt mein Gesicht“, erzählte er. „Ich kann nicht mit euch essen. Ich werde die Leibwache spielen.“
    „Du bist die Leibwache“, lächelte Daphne von unten. „Aber nicht nur.“
    Mit diesen Worten streckte sie sich nach oben, um ihm einen Kuss zu geben. Anschließend beschlossen die beiden, dem Rest Bescheid zu sagen und machten sich auf den Weg.

    Ein Lächeln eroberte sein Gesicht, als Daryk merkte, wie viel besser es seiner Prinzessin ging. Sanft nahm er ihre Hand und sah sie an.
    „Du bist erschöpft“, flüsterte sie. Es war keine Frage, mehr eine Feststellung.
    Erst jetzt, wo sie es sagte, spürte er, wie ausgelaugt er sich fühlte. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen und ihr Zustand hatte ihn kaum schlafen lassen. Auch jetzt saß er an ihrer Bettkante und war dort kurz eingenickt. Zögerlich nickte er.
    Sie setzte sich auf und legte ihre kleine Hand auf seine Wange. Sofort spürte er, wie die Erschöpfung schwand und neue Energie seinen Körper belebte.
    „Das bin ich dir wohl schuldig“, meinte sie leise. Dann umfasste sie auch seine andere Wange und zog ihn zu einem Kuss heran. Ohne zu zögern erwiderte er die Zuneigung und zog sie näher zu sich.
    Er musste nichts sagen, sie schien zu spüren, was er sagen wollte und was er für sie empfand. Für einen Moment ließen sie voneinander ab, was sie nutzte, um auf seinen Schoß zu klettern.
    Kurz lächelte sie ihn an, bevor sie sich an ihn drückte.
    „Ich kann alles kurieren, aber dein Herz schlägt immer noch, als seist du erschöpft“, stellte sie fest, als sie sich an seine Brust presste.
    „Das … liegt an dir“, gab er mit einem Lächeln zu.
    Sie sah zu ihm auf. Mit einem traurigen Ton in der Stimme sagte sie:
    „Es tut mir leid, wenn ich dir so viel Kummer bereite. Als sei das mit Calypso nicht genug gewesen, musste noch das mit dem Biss kommen. Wir haben kaum Zeit uns zu erholen, da ereilt uns die nächste …“
    Sanft legte er ihr den Finger auf die Lippen und unterbrach sie so.
    Dann nahm er ihre Hand und legte sie auf seine Brust. Er wusste, dass sie seinen Herzschlag spürte.
    „Das ist kein Kummer“, versicherte er ihr.
    Nun lächelte auch Daphne wieder und wurde rot.
    „Ich weiß“
    Erneut zog der Ritter die Prinzessin zu sich. Er wollte ihr sagen, was er fühlte. Er wollte, dass sie es wusste, es hörte.
    „Ich liebe dich“ flüsterte der Hüne der kleinen Frau in seinen Armen zu.
    Einen endlosen Moment war es still, als sie ihn überrascht ansah, als hätte sie nicht erwartet das zu hören. Dann brach sie das Schweigen:
    „Ich liebe dich auch!“
    Es folgte ein weiterer, inniger Kuss, bevor sie sich von ihm löste und ihn von unten anlächelte.
    „Was ist?“, fragte er, wohl wissend, dass es nichts wirklich Schlimmes sein konnte.
    Daphne deutete mit ihrem Kopf zum Eingang in ihre Kajüte.
    „Die Tür!“
    Grinsend erwiderte Daryk:
    „Bleibt zu.“
    Bereits während sie noch geschlafen hatte, hatte der Hüne die Tür abgeschlossen. Hauptsächlich, damit die Prinzessin ungestört schlafen konnte – redete er sich jedenfalls ein.
    Diese legte den Kopf schief und senkte kurz lachend den Kopf, bevor sie ihm ins Ohr flüsterte:
    „Nach all den Zerwürfnissen, den Kämpfen, Schlachten und dem Tod, sollten wir die Zeit nutzen, die uns dazwischen bleibt.“
    Leise stimmte er ihr zu, woraufhin sie sich aufrichtete und ihn –jetzt größer als er – von oben herab küsste. Erneut war der Kuss fordernder als die zuvor und er konnte spüren, wie sich ihr Atem beschleunigte. Wie in der Grotte öffnete sie sein Hemd und streifte es ihm über die Schultern. Einen Moment wanderten ihre Augen zu den Narben auf seinen Schultern. Schnell legte er ihr die Hand auf die Wange und drehte ihren Kopf zärtlich wieder zu sich und schüttelte den Kopf. Sie verstand es. Es war nicht ihre Schuld. Ihr Blick sagte ihm nun ganz klar, was sie wollte. Vorsichtig nahm sie seine Hände und führte sie zum Saum ihres Nachthemds. Vergessen waren seine Zweifel, sie wäre die Tochter eines Herzogs und er nur ein Ritter. Vergessen war die Tatsache, dass er sie eigentlich verteidigen sollte – vor fremden Männern.
    Sanft strich er über ihre Oberschenkel und sie ließ es zu. Er spürte ihre Wärme und ließ die Hände langsam nach oben wandern. Daphne zuckte unter seinen Berührungen zusammen und biss ihm liebevoll in die Lippe, was ihm ein Grinsen entlockte. Es machte nicht den Eindruck, als wollte sie, dass er aufhörte. Nur kurz lösten die Beiden den Kuss, sodass Daryk ihr das Nachthemd über den Kopf ziehen konnte. Achtlos warf er es zur Seite und nutzte den Augenblick, den sie so dasaß, um ihre Schönheit einmal zu bewundern. Sie war vollkommen. Mit einem schüchternen Lächeln presste sie ihren Körper an den seinen und behutsam fanden seine Hände ihre Taille. Sie kicherte leise, als er sie hochhob und neben sich auf das Bett legte. Schnell landete auch der Rest seiner Kleidung neben dem Bett, bevor er der Frau, die sein Leben so verändert hatte, endlich die Liebe schenkte, die sie verdiente.

    „Sie können es nicht wissen“, flüsterte Daphne in Daryks Ohr, bevor sie ihm noch einen kleinen Kuss auf die Wange gab und sich verflüssigte.
    Eine Mischung aus Enttäuschung und Wut vertrieb die angenehmen Gefühle aus seinem Geist, als Daphne in seinen Armen zu Wasser zerfloss. Langsam kam es dem Ritter so vor, als würden die anderen nur darauf warten, zum schlechtest möglichen Zeitpunkt aufzutauchen.
    „Daryk?“, konnte er Thyras Stimme hinter sich hören.
    Die Jägerin kam zusammen mit ihrem Ehemann die Treppe zur Grotte hinunter, welcher meinte:
    „Da ist er ja.“
    Fieberhaft versuchte Daryk, sich eine Ausrede einfallen zu lassen, warum er hier ohne Hemd im Wasser saß, als Thyra ihn genau das auch schon fragte.
    Und wo ist Daphne?“, fügte sie noch hinzu.
    „Schwimmen“, antwortete er, was ja sogar irgendwie der Wahrheit entsprach, „sie ist aufgewacht.“
    Noch immer saß er mit dem Rücken zu den Besuchern, weshalb er nur die Schritte der beiden wahrnahm. Da sie verstummten, sie waren wohl am Rand des Beckens angekommen.
    „Und du sitzt im Wasser, weil … ?“, wiederholte Thyra die Frage, die Daryk nicht beantworten wollte.
    Stumm saß er im Wasser, ignorierte die Frage und wünschte sich, die beiden würden einfach wieder verschwinden.
    Kurz war es still, während die Frage noch im Raum hing, bevor Jaris die Ruhe durchbrach:
    „Ich glaube ich weiß, warum“
    Jetzt drehte Daryk sich herum und blickte in das grinsende Gesicht des Söldners. Scheinbar hatte er die herumtreibende Kleidung gesehen und seine eigenen Schlüsse gezogen.
    „Ich glaube, unser Ritter hat sich mit seiner Schwäche auseinandergesetzt!“, mutmaßte er richtig.
    Daryk öffnete den Mund um etwas zu sagen, aber brachte nur ein „ähm“ heraus.
    Sehr hilfreich.
    „Du meinst er übt schwimmen?“, fragte Thyra blinzelnd.
    „Nein, eigentlich meine ich…“, fing Jaris wieder an, wofür Daryk ihn am liebsten ins Wasser gezogen hätte. Da seine Ehefrau ihn aber gar nicht erst ausreden ließ, erübrigte sich das.
    „Das muss dir nicht peinlich sein, Daryk!“, versicherte sie ihm lächelnd, „Es schadet nicht, das zu können, wenn wir auf einem Schiff sind.“
    Noch immer wusste er nicht, was er darauf sagen sollte, also nickte er nur, was Jaris dazu veranlasste, ein Lachen zu unterdrücken.
    „Naja, wie auch immer“, meinte Thyra, nun ebenfalls grinsend, „kommst du essen?“
    Der „Schwimmende“ zog eine Augenbraue hoch.
    „Essen?“, fragte er unsicher nach.
    „Ja essen“, wiederholte Thyra, „du weißt schon, unmenschliche Mengen an Nahrung in dich hineinschaufeln? Deine Lieblingsbeschäftigung?“
    Daryk schüttelte den Kopf:
    „Ich habe keinen Hunger“ Und gerade etwas Besseres zu tun!
    „Keinen Hu … bist du krank?“, hakte sie erstaunt nach.
    „Nein, ich …“
    Ich glaube wir sollten ihn alleine lassen, Thyra“, warf Jaris mit einem vielsagenden Lächeln ein.
    Die Frau verschränkte ihre Arme vor der Brust und schüttelte vehement den Kopf.
    Innerlich seufzte Daryk, denn er wusste, dass sie nicht lockerlassen würde, bis er mitkommen würde.
    „Er hat schon viel zu lange nichts gegessen! Er kommt mit! Daphne wird den Weg auch alleine finden.“
    Alleine … gerade hatte er noch gesagt, er würde sie nicht mehr alleine lassen.
    „Jetzt komm, Herr Ritter!“, befahl die Jägerin, was ihr Ehemann mit einem entschuldigenden Schulterzucken kommentierte.
    Daryk spürte, wie Daphne in Wasserform ihn sanft in Richtung des Beckenrandes schob, wohl um ihm zu zeigen, dass es in Ordnung wäre.
    Zögerlich machte er einen Schritt zur Treppe und da Daphnes Ansporn nicht stoppte den nächsten.
    Zufrieden nickte Thyra und Jaris schüttelte leicht den Kopf. Das Ehepaar ging voraus, während der Ritter widerwillig folgte.
    Unterwegs ließ Daryk noch seine Rüstung erscheinen, um nicht ohne Hemd beim Essen aufzutauchen.
    Zu seinem Erstaunen führte das Ehepaar ihn nicht zurück ins Schloss, sondern zum Strand, wo sie, unweit der Stelle, an der Calypso angegriffen hatte, ein Lagerfeuer errichtet hatten.
    Thyra schien seinen Blick zu bemerken und meinte:
    „Daphne hat uns doch erzählt, dass sie ihre Toten verbrennen. Auch wenn von den Sirenen nicht viel übriggeblieben ist, nachdem du … fertig warst, wollten wir dennoch zumindest ein Feuer entzünden.“
    Daran hatte er nicht gedacht. Es war eine schöne Geste, die Daphne bestimmt freuen würde. Wortlos nickte er der Jägerin zu.
    Wie unzählige Male zuvor kam er bei den anderen am Feuer an. Diesmal ruhten die Blicke aller auf ihm und den neuen Narben in seinem Gesicht.
    „Daryk!“, rief Aras ihm entgegen, „wie geht es Daphne?“
    „Gut“, beantwortete der Hüne die Frage knapp.
    Der Rest akzeptierte die Wortkarge Antwort, als wüssten sie, dass sie nicht mehr aus ihm herausbekommen würden.
    „Und dir?“, wollte Theical wissen, „Was macht dein Auge?“
    „Es sieht“, meinte er ebenso knapp. Daphne hatte seine Funktion wiederhergestellt und die Narben störten ihn nicht. Er war schlimmeres gewohnt.
    „Wo ist Daphne denn?“, bohrte Zacharas weiter.
    „Kommt gleich nach“, rettete der grinsende Jaris den Ritter, „sie war noch eine Runde schwimmen nach dem Aufwachen.“
    Der Ritter konnte im Gesicht von Thyra sehen, dass es ihr sehr schwer fiel, nichts über seine „schwimmversuche“ zu sagen, aber sie schwieg tapfer.
    Theic schlug vor, mit dem Essen noch auf sie zu warten, was allgemeine Zustimmung fand.
    Daryks Blick fiel auf das unbekannte Gesicht des jungen Mannes, der still und unauffällig am Feuer saß.
    „Wer ist das?“, fragte der Ritter, ohne jemanden bestimmtes anzusprechen.
    „Ich bin Tristan“, antwortete der Unbekannte selbst, „ich möchte mit euch nach Lyc fahren. Ich kann auch bezahlen!“
    Daryk musterte den Mann stumm. Er selbst konnte nicht entscheiden, wer auf Daphnes Schiff durfte, aber so wie er sie kannte, würde sie den Namensvetter ihres Bruders mitnehmen. Auch wenn er nicht begeistert davon war, nickte er.
    Wieder ein Grund mehr für die Leibwache, nicht von der Seite der Prinzessin zu weichen.
    Tristan schaute ihn an, als erwartete er noch eine Antwort vom Hünen. Da aber keine mehr folgte blickte er etwas unsicher zwischen den anderen hin und her.
    „Denk dir nichts weiter“, meinte Theical, „der redet nur unter Androhung von Gewalt.“
    „Erfahrungsgemäß nicht einmal dann“, hörte Daryk die Stimme seiner Prinzessin hinter sich, was ihm ein leichtes Lächeln entlockte.
    Sie wurde von allen begrüßt und näherte sich zögerlich dem Feuer, als ob sie Angst hätte, die anderen würden sie verstoßen.
    „Jetzt komm schon her“, forderte Thyra sie sanft auf, „wir wissen, dass du nicht du selbst warst.“
    Lächelnd ging Daphne an Daryk vorbei, wo sie für einen kurzen Augenblick zögerte und dann weiter Richtung Thyra ging.
    Nein. Er hatte keine Lust mehr, es zu verheimlichen. Oft genug hatte er sie in den letzten Wochen beinahe verloren. Schnell griff er nach ihrer Hand und hielt sie fest, woraufhin sie kurz stehen blieb und ihn etwas verunsichert ansah. Daryk sah ihr in die Augen, lächelte und zog sie sanft zu sich.
    Sie war wohl zum selben Schluss gekommen, wie er und folgte seiner Hand. Deutlich war die röte in ihrem Gesicht zu erkennen, als sie sich auf seinen Schoß setzte, sich anlehnte und ins Feuer starrte. Das tat sie wohl, um den Blicken der anderen zu entgehen, die das Paar erwartungsvoll anstarrten.
    „Ich hab‘s gewusst!“, riefen Thyra und Theical nach einem kurzen Moment der Stille.
    Jaris sagte gar nichts, sondern schaute breit grinsend zu Daryk.
    Zacharas schaute betont desinteressiert, und verwies darauf, dass er ja auch mit einer Person niederen Standes in einer Beziehung war.
    Daryk verkniff sich eine Bemerkung und ignorierte die unterschwellige Beleidigung einfach.
    „Moment mal“, warf die Jägerin plötzlich ein, „ihr habt nicht wirklich schwimmen geübt, oder?“
    Der Ritter konnte förmlich spüren, wie Daphne noch roter wurde und versuchte im Boden zu versinken.
    „Schwimmen geübt“, meinte Theical mit einem Grinsen, woraufhin Thyra die ganze Geschichte erzählte, welche alle lachend verfolgten. Sogar Tristan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
    Schön, dass ihr alle was zu lachen habt.
    Nachdem sich die Aufregung etwas gelegt hatte, begann die Gruppe mit dem Abendessen und Daphne rollte sich auf Daryks Schoß ein. Nach dem Essen fragte Tristan erneut, ob er mitfahren könne.
    „Je mehr, desto lustiger“, bestätigte die Prinzessin die Anfrage, „nur leider werden die Mannschaftsquartiere ausreichen müssen, da niemand „Fremdes“ die oberen Kajüten betreten darf. Wenn das in Ordnung ist, könnt Ihr gerne mitkommen. Für mich ist ohnehin meine „wortkarge“ Leibwache zuständig.“
    Lachend sah sie zu ihm auf und drückte seine Hand und Tristan nahm das Angebot dankend an.
    „Ja, ich kann mir schon vorstellen, wofür er alles „zuständig“ ist“, frotzelte Thyra, wofür sie einen „bösen“ Blick von Daphne erntete.
    Beim Essen hatte die Gruppe beschlossen, die Nacht bereits im Schiff zu verbringen, um sich schon einmal an das Schwanken zu gewöhnen.
    Die Umrisse der „Calypso“ waren vom Lagerfeuer aus zu sehen und Daryk fragte sich, ob er wirklich mehrere Wochen auf einem Schiff verbringen wollte, das noch dazu so hieß wie die Meerhexe, die ihm beinahe Daphne genommen hatte.
    Er konnte spüren, wie die Heilerin auf seinem Schoss zitterte und merkte, wie heiß sie war.
    „Ist alles in Ordnung?“, flüsterte er ihr beunruhigt zu, da er wusste, dass sie eigentlich nicht krank werden konnte.
    „Nein“, gab sie leise zu, „mir ist kalt.“
    Kurz sagte sie nichts, bevor sie etwas lauter ergänzte:
    „Bringst du mich ins Bett?“
    Thyra hatte das wohl gehört und kicherte:
    „Müsst ihr was nachholen?“
    Als sie den Blick bemerkte den der Ritter ihr zuwarf, vergewisserte auch sie sich, ob alles in Ordnung war. Nach einer kurzen Erklärung von Daphnes zustand war es den beiden auch gestattet, ohne weitere Sticheleien zu gehen.
    Nachdem die kleine Frau sehr unsicher auf den Beinen war, nahm Daryk sie kurzerhand auf und trug sie zu ihrem Schiff.

    Die Diskussion der Anderen Interessierte Daryk nicht. Er wollte nur zu Daphne, welche wild fauchend zwischen den anderen Sirenen stand und mit ihren Tentakeln um sich schlug. Mühsam erkämpfte er sich jeden Meter. Beinahe war er in Reichweite ihrer Stränge, nahm sich also in Acht. Eine der Sirenen tauchte im Kniehohen Wasser vor ihm auf und schlug nach ihm. Der schwarze Stahl der Rüstung wehrte den Angriff mühelos ab und er enthauptete das Wesen mit einem schnellen Schlag seiner Waffe. Sein Blick wanderte zu Jaris, welcher sich Daphne von der Seite näherte und ihm mit einer Geste bedeutete, dass er sie festhalten wollte. Ein gefährlicher Plan, aber was hatten sie für eine Wahl?
    „Daphne!“, rief er erneut über das Tosen des Kampfes und des Meeres, was sie tatsächlich dazu veranlasste, ihren Blick auf ihn zu richten. Kurz war Hoffnung in ihm aufgekeimt, sie wäre zu sich gekommen, aber ihre Augen sagten etwas Anderes. Gerade, als sie zum Angriff ausholte, griff der Halbelf nach ihren Armen. Ein schriller Schrei entfuhr ihr, als eine gewaltige Welle die beiden Männer und die neue Meerhexe überrollte und von den Beinen riss.
    Schnell rappelte sich Daryk wieder hoch und sah noch, wie Daphne auf der sich zurückziehenden Welle davonschwamm und im tieferen Wasser untertauchte.
    Da ging sie hin. Alleine.
    „Und weiter geht’s“, hörte er Jaris auffordernd rufen, während dieser sich wieder den Sirenen widmete.
    Nachdem Daryk keine Ahnung hatte, was er sonst tun sollte, folgte er dem Söldner.

    Die Klinge der Waffe glitt durch das Fleisch von Calypsos Sklavinnen und beendete ihre verfluchten Leben schnell. Daryk hatte das Gefühl, jeden einzelnen Tod um ihn herum wahrzunehmen, selbst die, die er nicht sah oder hörte. Es war, als würde er den Herzschlag spüren, der plötzlich verstummte.
    Mit einem Ruck zog er seine Waffe aus der Brust eines der Wesen. Ein Pfeil zischte vor seinem Gesicht vorbei und erlegte ein weiteres Monster, das sich ihm von der Seite genähert hatte. Ohne große Hektik wandte er sich der nächsten Sirene zu, die sich auf ihn stürzen wollte und rammte ihr sie Runenklinge tief in den Bauch. Fauchend fiel sie auf die Knie und griff mit ihren klauenbewähren Händen nach dem Schaft der Waffe. Schwarzes Blut quoll aus der Wunde als sie sich an Seelenspalter festkrallte. Die Waffe im Bauch seiner Gegnerin fixiert Griff er einer weiteten mit bloßer Hand ins Gesicht und lies das Höllenfeuer kurz aufflammen. Kreischend kratzte die Untote an seiner gepanzerten Hand herum und versuchte sich zu befreien. Der Geruch ihres verbrannten Fleischs stieg ihm in die Nase, während die Gegenwehr langsam erschlaffte. Als der Todesritter spürte, dass nur noch sein Griff das Wesen auf den Beinen hielt lockerte er diesen und lies den nun leblosen Körper mit der eingebrannten Hand im Gesicht zu Boden fallen. Mit beiden Händen nahm er wieder seine Waffe und zog sie schlagartig zur Seite, was auch die Aufgespießte von ihrem Leid erlöste.
    Ein kurzer Moment der Ruhe erlaubte es ihm, seinen Blick aufs Meer zu richten. Daphne war nirgends mehr zu sehen. Er hatte sie allein gelassen und nun musste sie vermutlich den Preis dafür zahlen. All diese Wesen, die hier zerschnitten, verbrannt und von Pfeilen durchbohrt wurden waren einst Prinzessinnen gewesen. Die verschwundenen Töchter der Herzogsfamilie, dazu verdammt auf ewig als Sklavinnen zu dienen.
    Die Explosion eines Feuerballs schleuderte Sand und einige der Sirenen durch die Luft. Daryk ließ seinen Blick über das Schlachtfeld schweifen und erkannte, dass der Rest der Truppe momentan gut zurechtkam.
    Der Zacharas Zauber flogen herum und erledigten einige der Biester. Der Ritter hatte keine Ahnung, warum der Mann vorhin beinahe ertrunken war, denn er hatte nur Wasser gesehen. Aber er ging davon aus, dass es schon seinen Sinn gehabt hatte.
    Jaris tanzte beinahe durch die Reihen und fällte mit großen kreisenden Schnitten Feind um Feind.
    Theical stand am Rande des Schlachtfelds und versuchte die Sirenen zu kontrollieren. Es war nicht zu erkennen, ob es ihm gelang oder nicht, aber er tat, was er konnte.
    Daphnes Brüder waren am ganzen Strand verteilt und Thyra stand neben Theical. Lediglich ihre Pfeile sausten durch die Luft.
    „Daryk!“, hörte er Thorvid rufen und wandte sich ihm zu. Der ausgestreckte Arm des Barden bedeutete dem Ritter sich umzudrehen.
    Dort sah er Daphne, wie sie bis zu den Oberschenkeln im Meer stand. Der kurze Moment der Freude wurde sofort von Sorge verdrängt. Mit hängenden Schultern und zur Seite geneigtem Kopf stand sie da und hielt sich den Nacken. Ihre grell blau leuchtenden Augen starrten schwach und ziellos auf die Wasseroberfläche. Seetang hing ihr von der Schulter und in den Haaren, welche sich nass und dunkel deutlich gegen ihre blasse Haut abzeichneten.
    „Lass sie nicht alleine“, erinnerte er sich und begann sofort, in ihre Richtung zu eilen. Sobald er einen Fuß ins Wasser gesetzt hatte spürte er, wie etwas seine Beine festhielt. Ein Blick nach unten verriet ihm, dass es dicke Algenstränge waren, die an ihm nach oben krochen.
    Daphne rührte sich nicht sondern stand einfach da und starrte ins Nichts.
    Mit einem Schnitt der Runenklinge versuchte er, sich aus dem Griff der Wasserpflanzen zu befreien. Schneller, als er sich befreien konnte wuchsen die Stränge nach. Gerade als er sich entschlossen hatte, einfach sein Feuer zu entzünden um alles zu verbrennen, was ihn aufhalten konnte, hörte er eine Stimme:
    „Zeit, mal wieder etwas Spaß mit einem Mann zu haben!“
    Er schreckte hoch und erkannte die Frau neben Daphne, die er bereits auf dem Gemälde im Archiv gesehen hatte.
    Franziska Murchadh, war ihr Name, oder auch…
    „Calypso!“, sagte er leise, aber sicher.
    Ein Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht, als sie mit ihren Krallen an Daphnes Hals entlangfuhr.
    „Wenn ich du wäre, würde ich das lassen“, meinte sie hämisch und blickte auf seine Beine, welche immer fester von Algen umschlungen wurden.
    Er gab es auf, sich zu befreien und wartete ab, was sie von ihm wollte.
    Lachend machte sie mit der freien Hand eine ausladende Geste, woraufhin sich sofort eine Wand aus Wasser um die drei bildete und von den anderen abschloss. Keine Hilfe zu erwarten.
    „Was willst du?“, knurrte der Ritter die viel zu junge Frau durch seinen Helm an, während er noch immer spürte, wie Herzschläge hinter der Wassermauer verstummten.
    „Du bist also derjenige welcher“, antwortete sie abfällig, „War auch nicht anders zu erwarten.“
    Er nahm seine Waffe wieder in beide Hände, bereit einen eventuellen Angriff abzuwehren und musterte sie kurz.
    „Welcher… was?“, fragte er dann.
    „Zwar kein Nordmann, aber genauso primitiv, protzig und der größte Muskel befindet sich sicherlich nicht auf dem Hals“, ignorierte sie seine Frage, „die Frauen dieses Landes hatten schon immer einen sehr eigensinnigen Geschmack, aber das nenne ich mal eine Herausforderung.“
    Ein tiefes Brummen entkam seiner Kehle, als er erkannte, dass sie wusste, was zwischen ihm und Daphne wirklich war.
    „Was. Willst. Du“, stellte er seine Frage noch einmal energischer.
    Elegant zog sie ihre Hand von Daphnes Hals weg und schwebte durch das Wasser zu ihm herüber. Irgendetwas sagte ihm, dass er sie nicht angreifen durfte, wenn er Daphne retten wollte.
    „Ich bin ja kein Unmensch“, behauptete sie und strich mit der krallenbewährten Hand über sein Visier, „Ich will euch eine faire Chance lassen, mich zu besiegen. Ich, die ich die Mutter all jener hier bin!“
    Daryk drehte den Kopf zur Seite und überlegte kurz.
    „Tante“, verbesserte er sie dann, denn er wusste, dass Calypso kinderlos gestorben war und ihre Schwester die Erblinie fortgeführt hatte.
    Mit einem wütenden Schrei fuhr die Meerhexe zu ihm herum und schlug mit der Hand nach ihm.
    Ein stechender Schmerz durchzuckte sein Gesicht und sein rechtes Auge, als ihre Klauen den Helm des Todesritters mühelos durchdrangen und tiefe Kratzer in seinem Fleisch hinterließen. Dunkelheit war alles, was ihm der Rest seines Auges noch zeigte, als er seinen offensichtlich nutzlosen Helm verschwinden ließ. Warmes Blut lief ihm über die Wange und durch den Bart und tropfte vor ihm ins Wasser, während er seine Waffe fallen ließ, sich beide Hände vors Gesicht hielt und einen kurzen Schmerzensschrei losließ. Da wo sein rechtes Auge hätte sein sollen war nichts mehr dergleichen. Nur eine blutige Masse, die aus der Augenhöhle quoll.
    „Sie hätten meine Kinder sein sollen!“, kreischte Calypso ihn an und er konnte ihren Atem an seinem Ohr spüren.
    „Und jetzt“, flüsterte sie ihm zu, „hole ich sie mir, eine nach der anderen!“
    „Du kannst sie nicht haben“, keuchte er durch seine Hände, „niemals!“
    Die verdorbene Herzogin lachte auf.
    „Sie gehört mir bereits!“, verkündete sie siegessicher, „Mein Gift arbeitet sich durch ihre Venen und wird sie in einer meiner Töchter verwandeln!“
    Er nahm die Hände aus seinem Gesicht und richtete sein verbliebenes Auge auf die selbsternannte Mutter der Sirenen.
    Sie erwiderte seinen Blick und führte ihre Hand, rot von seinem Blut, zu ihrem Mund und leckte sich über die Finger.
    „Das Blut eines Mannes schmeckt… hervorragend“, raunte sie zufrieden, bevor sie kurz inne hielt und ihre Hand ansah. Sie verzog den Mund zu einem vielsagenden Lächeln, fixierte ihn wieder und kicherte:
    „Aber das weißt du ja selbst.“
    Überrascht zog der Ritter die Augenbraue hoch, was einen brennenden Schmerz durch sein blutiges Gesicht sandte und besonders sein zerstörtes Auge schickte eine Welle der Pein durch seinen Schädel.
    Ohne den Blick von ihm zu lassen, stolzierte sie wieder hinüber zu der kleinen Frau.
    „Deine Tochter hatte recht, Ritter, du bist ein Monster! Wann wolltest du Daphne deine kleinen, schmutzigen Geheimnisse anvertrauen?“, fragte sie höhnisch, „Ich denke das ist ein guter Zeitpunkt, meinst du nicht?“
    Mit diesen Worten hielt sie die blutverschmierte Hand an Daphnes Mund.
    „Koste sein Blut, Kind. Erfahre, was er versucht hat, vor dir zu verbergen!“, wies sie die vergiftete Prinzessin an.
    Diese folgte dem Befehl und fuhr, ohne sich groß zu bewegen, ebenfalls mit der Zunge über die Klauen der Hexe. Kurz leuchteten ihre Augen auf, bevor sie wieder in ihre alte Starre verfiel.
    „Du machst es mir so einfach“, verspottete sie Daryk, „sie wird eine mächtige Dienerin sein!“
    „Nein“, meinte dieser ungläubig, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass Daphne zu schwach war um Calypso zu wiederstehen, „sie wird nicht als deine Sklavin leben!“
    Ein teuflisches Grinsen breitete sich auf ihrem Antlitz aus.
    „Es gibt einen Weg es zu verhindern!“, erwähnte sie beiläufig, „töte sie!“
    Erschrocken zuckte sein Blick zur Prinzessin und er erkannte, dass sie immer noch genauso dastand, wie zuvor.
    War der Tod nicht wirklich ein besseres Schicksal, als ewige Versklavung? Daphne hatte aus dem Totenreich berichtet. Etwas in seinem inneren schrie ihn an, dass er seine Prinzessin nicht mehr retten konnte, aber noch wollte er es nicht wahrhaben. Er spürte, wie die Schlingen um seine Beine ihren Griff lockerten. Wie in Trance griff er nach dem im blutrot verfärbten Wasser liegenden Sponton und nahm ihn wieder auf. Calypso hatte sich auf einen Berg von Wasser zurückgezogen und war längst aus seiner Reichweite. Zögerlich machte er einen Schritt nach vorne, näher an Daphne heran. Dicke Blutstropfen rannen ihm immer noch durchs Gesicht und tropften auf seine Brust und ins Wasser.
    Langsam aber stetig näherte er sich der kleinen Frau, die er um nichts in der Welt verlieren wollte. Aber ewiges Leid konnte er ihr auch nicht antun. Fest hielt er den Schaft seiner Waffe umklammert, als er bei ihr angekommen war. Gerade einen halben Meter vor ihm stand die Frau, die ihm ein neues Leben geschenkt hatte. Leblos verharrte sie in gleicher Haltung, mehr wie eine Statue, als die lebensfrohe Prinzessin, die er kannte.
    „Daphne“, flüsterte er mit gebrochener Stimme, und strich ihr sanft über die Wange „komm zu mir zurück!“
    Sie reagierte nicht, starrte einfach weiter aufs Wasser.
    Er hörte Calypsos schrilles Lachen und wusste, wie sehr sie sich an seiner Verzweiflung erfreute.
    „Ist es nicht Ironie des Schicksal, dass alle deine Frauen sterben?!“, höhnte sie von ihrer sicheren Position aus, „tu es!“
    Daryk verdrängte alle Zweifel, er wusste was er tun musste.
    Das Feuer brannte um ihn herum und er spürte die Hitze der Flammen, als er seine Waffe und Rüstung verschwinden ließ.
    „Nein!“, sagte er leise, „ich werde sie nicht verletzen.“
    Stille kehrte kurz ein, als das Lachen der Meerhexe verstummte. Plötzlich stand sie wieder neben ihm.
    „Tue nicht so, als würdest du etwas für sie empfinden. Das ist eine Lüge!“, warf sie ihm wütend vor.
    Der Ritter ignorierte den Schmerz in seinem zerstörten Auge, als er den Kopf schüttelte.
    „Ist es nicht“, stellte er klar.
    „Du wolltest sie gerade töten!“, klagte sie weiter an, „Ist doch so? Wer tut denn so etwas, wenn er jemanden liebt?“
    Daryk schwieg kurz. Was sollte er darauf antworten? Manchmal war der Tod die bessere Lösung, aber er konnte es nicht tun. Er konnte sie nicht töten. Wie sollte er auch?
    Calypso wartete seine Antwort nicht ab.
    „Wie erbärmlich ihr Männer seid“, lachte sie voller Hass, „große Kriege könnt ihr schlagen, aber wenn es um das Herz geht, seid ihr schnell am Boden.“
    Dem konnte Daryk nichts entgegen setzen. In der Tat würde er lieber eine Schlacht gegen tausende Feinde führen als diesen Moment erleben zu müssen.
    „Aber freu dich ... wir Frauen sind da anders“, schnurrte sie ihm ins Ohr, bevor sie sich an Daphne wandte.
    „Töte ihn“, befahl sie ihrer neuen Sklavin gelangweilt.
    Kaum hatte sie ausgesprochen erwachte Daphne aus ihrer Starre. Sie riss den Kopf herum und ihre blau leuchtenden Augen fixierten Daryk.
    Einen winzigen Moment hatte er Hoffnung, sie wäre wieder sie selbst, aber ihr schriller Schrei zerstörte jeden Rest davon.
    Bevor er eine Chance hatte noch etwas zu sagen, hatten ihre Wasserstränge schon seine Schultern durchbohrt und hoben den einäugigen Ritter ohne Gegenwehr in die Höhe.
    Noch einmal ertönte die spöttische Stimme der gefallenen Herzogin:
    „Hast du gedacht, sie ersetzt dir deine süße, aber tote Familie? Welch ein Witz ... eine Tochter des Rhenus mit einem ... Was bist du? Bückling des Todes? Leben und Tod verstanden sich noch nie. Das wirst du alsbald feststellen.“
    Die Worte bohrten sich in Daryks Geist, so wie Daphnes Tentakel sich in seine Schultern bohrten.
    Ein letztes Mal blickte er seiner Prinzessin in die kalten Augen, die jede Liebe vermissen ließen, und akzeptierte sein Ende durch die Frau die er liebte.

    Er würde also seine Heimat wiedersehen. Beinahe sechs Jahre war es her, dass Daryk aus Lyc geflohen war und dabei alles verloren hatte, was sein Leben damals ausgemacht hatte. Jetzt würde er mit einem neuen Leben in das ewige Eis zurückkehren. Einige Dinge waren dort noch ungeklärt und er nahm sich vor zumindest das für ihn wichtigste zu erledigen. Noch wollte er den anderen nichts davon erzählen. Zum einen, weil er nicht wusste, wie er so etwas ansprechen sollte, zum anderen aber auch, da er sich noch nicht sicher war, ob die anderen ihn überhaupt begleiten würden.
    Ein kurzes Kopfschütteln vertrieb den Gedanken und holte ihn zurück in die Gegenwart.
    „Also morgen früh?“, fragte Theical noch einmal nach, „Morgen früh geht’s los?“
    Allgemeine Zustimmung machte sich breit, wobei sogar Aras hellauf begeistert von der Idee war.
    „Ich habe gehört, es gibt dort mächtige Magie?“, wollte er von Daryk wissen, welcher es mit einem Nicken bestätigte. Der Ritter wusste nicht, warum die Magier in seiner Heimat so viel mächtiger waren, als andernorts, aber er nahm an, dass der Herzog es schon herausfinden würde. Anscheinend genügte Aras die Aussicht auf neues Wissen und seine Abenteuerlust um der Reise zuzustimmen.
    Innerlich musste Daryk grinsen, als er daran dachte, dass Zacharas noch keine Ahnung davon hatte, welche Kräfte Xhar ihm verliehen hatte. Natürlich waren ihm die schwarzen Zeichnungen auf Daryks Haut aufgefallen, aber Tätowierungen waren in Devyleih normal und Daryk hatte erzählt, dass er eine für den Sieg über den Oger verdient und sich auch abgeholt hatte.
    „Daryk du kommst ja sowieso mit oder?“, fragte Theic mit schelmischem Grinsen.
    „Was macht dich da so sicher?“, hakte Jaris nach, auch wenn Daryk wusste, dass auch der Halbelf mehr zwischen Ritter und Prinzessin vermutete, als nur Freundschaft.
    „Weil ich ihre Leibwache bin“, beschloss Daryk, die Diskussion zu beenden. Dafür erntete er verständnislose Blicke, weshalb Daphne die ganze Geschichte erzählte. Ein leises Kichern von Thyra folgte. Ihre verweinten Augen machten es Daryk schwer, es ihr nicht zu gönnen.
    „Dann pass mal gut auf sie auf“, neckte sie ihn lachend.
    Einige Witze später trennte sich die Gruppe dann vorerst wieder um noch etwas Schlaf zu bekommen, bevor der Tag der Abreise anbrach.
    Daryk allerdings wollte sich nicht von seinem Plan für die Nacht abbringen lassen.

    Vorsichtig drehte Daryk am selben Abend den Schlüssel in dem kleinen Loch in einem der Mauersteine. Wie von Thorvid versprochen drehte der Stein sich mit, die Holzvertäfelung der Wand schwang auf und offenbarte den geheimen Gang aus Daphnes Gemächern. Zufrieden grinsend steckte er den Schlüssel wieder in seine Tasche und machte einen Schritt zur Seite.
    „Nach dir, Prinzessin“, meinte er und wies mit der Hand auf die Öffnung.
    „Zu höflich“, entgegnete sie mit einem übertriebenen Knicks und ging hindurch.
    Daryk folgte ihr und schloss den Geheimgang hinter sich und entzündete eine kleine Flamme in seiner Hand um sie nicht im Dunkeln stehen zu lassen.
    Trotz der Finsternis sah er Daphne an, dass sie nicht, wie im Tempel, ängstlich durch den Gang irrte, sondern sich fröhlich umsah und ihn wie ein kleines Mädchen an der Hand durch den Gang zerrte.
    Er wunderte sich noch, warum sie auf einmal so furchtlos war, aber bevor er sie stellen konnte beantwortete sie die Frage bereits indirekt.
    „Ich war noch nie in diesem Gang“, erklärte sie, „aber ich wusste immer, dass er in die Freiheit führt.“
    Nachdem sie aufgehört hatte, ihn zu ziehen, ging er nun neben ihr und geleitete sie in ebendiese Freiheit.
    „Es war seltsam, zu wissen, dass immer einer meiner Brüder hier drin war“, flüsterte sie noch.
    Innerlich freute sich der Ritter, dass die Prinzessin sich so für den kleinen Ausflug begeisterte und führte sie weiter.
    Langsam veränderte sich der Pfad und nahm wieder mehr natürliche Formen an. Die großen Pflastersteine auf dem Boden wichen dem grob behauenen Fels der Höhle und bald war keinerlei Menschliche Architektur mehr zu erkennen.
    „Wie weit noch?“, wollte Daphne ungeduldig wissen.
    Leise lachend zeigte Daryk nur nach vorne wo bereits der Ausgang zu erkennen war. Das durchscheinende Mondlicht ließ den Felsspalt beinahe leuchten und die frische Meeresluft drang langsam zu ihnen durch. Der Geruch von Salz und Wasser drang in Daryks Nase, wobei er sich fragte, ob so für Daphne die Freiheit roch.
    Der tiefe Atemzug, den sie kurz darauf nahm und mit einem zufriedenen Seufzer quittierte, bestätigte diese Vermutung.

    Kaum waren sie durch die Spalte geklettert, gluckste die Heilerin fröhlich. Sie hatte Daryks Hand keine Sekunde losgelassen und zog ihn nun wieder hinter sich her zum Wasser. Gemeinsam schlenderten sie im Mondschein über den menschenleeren Strand. Er ließ den Blick über das ruhige Wasser schweifen. Irgendwo hinter diesem Gewässer lag seine Heimat, wo es noch etwas zu erledigen gab. Aber das hatte Zeit. Jetzt wollte er erst einmal die Zeit mit seiner Prinzessin genießen. Er sah zu ihr hinunter und musste lächeln, als er bemerkte, wie glücklich sie aussah. Strahlend sah sie zu ihm auf.
    „Wenn man keine Prinzessin ist, ist es hier gar nicht so übel“
    , freute sie sich.
    Fragend zog er eine Augenbraue hoch.
    „Keine Prinzessin?“, fragte er verwirrt.
    Kurz blinzelte sie ihn an, bis sie seine Verwirrung verstand und ergänzte kichernd:
    „Ich meinte, wenn man nicht wie eine behandelt wird.“

    Der Leibwächter blieb stehen und verschränkte grinsend die Arme vor der Brust und meinte gespielt beleidigt:
    „Ich behandle dich also nicht wie eine Prinzessin?“
    Mit einem Lächeln boxte sie ihn in die Seite.
    „Du behandelst mich wie eine andere Art Prinzessin“, stellte sie schnell klar, woraufhin er wieder ihre Hand nahm.
    „Wie du es verdient hast“, versicherte er ihr und setzte den Spaziergang fort.
    Sie lächelte, aber irgendwas in ihrem Blick verriet ihm, dass etwas nicht stimmte. Nachdenklicher als zuvor stapfte sie mit kleinen Schritten neben ihm her. Kurz überlegte er, ob er einfach so fragen sollte, was sie hatte, kam dann aber zu dem Schluss, dass es keinen Grund gab, es nicht zu tun:
    „Was ist los?“
    Daphne blieb stehen und wandte sich ihm zu.
    „Verdient ... Ich erinnere mich bruchstückhaft an meinen Tod. Mein Leben wurde gemessen an dem, was ich tat und es war wirklich hart an der Grenze“
    , erzählte sie mit unsicherer Stimme „mein Wandel zur Schurkin hatte damit viel zu tun. Zu stehlen war nicht die ehrenhafteste Weise, an Geld zu kommen. Deswegen wollte ich mich ändern und zog es vor zu helfen, anstatt weiter Schlösser zu öffnen.“
    Man sah ihr an, dass sie dieses Wissen schon lange mit sich herumgetragen hatte und sich darüber mehr Gedanken gemacht hatte, als sie zugeben wollte.
    Wortlos schloss Daryk seine Prinzessin in die Arme und drückte sie an sich. Eine ganze Weile hielt er sie einfach fest, bevor er schließlich flüsterte:
    „Du hast mir mehr geholfen, als du dir vorstellen kannst. Und vielen anderen ebenso. Warum solltest du nicht auch etwas Schönes haben?“
    Etwas entspannter lehnte sie sich an ihn an. Erneut war eine kurze Pause, in der beide nur den Moment genossen bevor sie mit einem Skeptischen Blick wieder nach oben sah.
    „Ich frage mich nur, ob wir nicht ab und an absichtlich in eine Richtung gelenkt werden. Hätte ich nach der Rückeroberung nicht beschlossen mich mit Heilkräutern und Medizin auseinanderzusetzen, hätte ich dir niemals helfen können. Und nach meinem Ableben kehre ich zurück und kann es ohne Bücher und Messer“, meinte sie leise.
    Daryk lächelte zu ihr hinunter und nickte. Diese Frage hatte er sich auch schon gestellt
    „Das kann ich dir auch nicht sagen“, gab er zu, „aber ich bin froh das es so ist.“
    Wieder lehnte sie sich, scheinbar zufrieden mit der Antwort, an ihn an.
    Scheinbar hatte sie dann genug von diesem trüben Thema und führte ihn an der Hand zum Ufer.
    „Halt mal“, wies sie ihn an, während sie ihre Stiefel auszog und ihm in die Hand drückte, „ich will ein bisschen ins4 Wasser gehen.“
    Mit stummer Zustimmung nahm er die Schuhe entgegen und sah ihr zu, wie sie sich die Hose bis über die Knie hochkrempelte und anschließend ins Wasser stapfte.
    Das Wasser plätscherte um ihre Waden, während sie mit dem Rücken zu ihrem Beschützer im Meer stand und die Arme ausbreitete. Die schwarzen Haare fielen über ihren Rücken und reichten beinahe bis an die Wasseroberfläche. Erneut seufzte sie zufrieden und starrte an den Horizont.
    Vorsichtig näherte er sich ihr von hinten und stellte sich hinter sie. Er legte seine Hände auf ihre Schultern und begann sie leicht zu massieren. Daphne legte den Kopf auf die Seite und summte behaglich vor sich hin. Mit geschlossenen Augen lehnte sie ihren Kopf an seiner Brust an und schien seine Berührung zu genießen.
    Kurz stoppte er seine Behandlung, um ihr eine Strähne aus dem Gesicht zu wischen.
    „Nicht aufhören“, schnurrte sie und öffnete die Augen, die ihn blau anleuchteten.
    Der Anblick überraschte den Ritter und ließ ihn ein Stückchen zurückweichen, was genügte, um im schlammigen Untergrund den Halt zu verlieren. Wasser spritzte auf, als der Hüne sich unsanft ins Meer setzte. Verdutzt drehte Daphne sich um und fing an zu lachen.
    „Willst du baden oder schwimmen üben?“, neckte sie ihn.
    Ihm hingegen war nicht nach Lachen, als er in die unnatürlich blauen Augen der Heilerin blickte.
    „Deine Augen…“, setzte er an, „sie sind…“
    „Blau?“
    , unterbrach sie ihn lächelnd, „ja, das ist normal, wenn ich Energie aus dem Wasser gewinne.“
    Sie kam auf ihn zu und kniete sich, ohne Rücksicht auf ihre Kleidung vor ihn ins Wasser.
    „Das hättest du mir ja auch früher sagen können!“, merkte er beruhigt an.
    Lachend meinte sie, dass es ihr leidtäte und entschuldigte sich mit einem Kuss. Dann lehnte sie sich wieder an ihn an und blickte auf das Meer hinaus.

    „Hörst du das?“, fragte sie plötzlich.
    Skeptisch drehte Daryk den Kopf und versuchte ein verdächtiges Geräusch auszumachen, konnte aber nur das sanfte plätschern der kleinen Wellen am Ufer vernehmen.
    „Was denn?“, erwiderte er, „ich höre nichts.“
    „Genau“
    , bestätigte sie, „kein Tier, das Laute von sich gibt, sogar die See ist ungewöhnlich ruhig heute.“
    Daryk wusste nicht, was er darauf antworten sollte, daher nahm er diese Aussage einfach hin und nickte leicht. Sein Blick folgte dem der kleinen Frau und er meinte am Horizont etwas zu sehen, aber beim zweiten Blick war es verschwunden. Ohne sich weiter etwas dabei zu denken legte er die Arme um Daphne und spürte, wie sie sich entspannte.
    Nach kurzer Zeit wanderte sein Blick erneut über den Horizont und wieder glaubte er, etwas wahrzunehmen – näher als zuvor.
    Vorerst konnte er das Gefühl der Unruhe in seinem Inneren unterdrücken, aber als Daphne fragte, ob er das auch gesehen hätte, wurde er hellhörig.
    Er nickte und erhob sich aus dem Wasser, um sich besser umsehen zu können.
    Wieder tauchten die Schatten an der Oberfläche auf, wieder schienen sie näher zu sein und Daryk war sich sicher, dass es auch mehr geworden waren.
    „Sind das Fische?“, fragte er unsicher. Er kannte sich mit dem Meer nicht aus, aber eine andere Erklärung wollte ihm nicht einfallen.
    „Könnte sein“, antwortete Daphne, die sich ebenfalls erhoben hatte, nachdenklich.
    Das Wasser kräuselte sich an den Stellen, an denen die Fische die Oberfläche durchbrachen und mit jedem Mal wurden es mehr. Langsam begann der Ritter an daran zu zweifeln, dass es sich um Fische handelte und auch Daphne wich langsam rückwärts aus dem Wasser.
    „Was ist hier los?“, flüsterte sie, eher zu sich selbst, als zu ihm.
    Die Wesen auf dem Wasser wurden immer Zahlreicher und kamen dem Ufer immer näher. Plötzlich erfüllte eine Melodie die Luft und die beiden blickten sich mit großen Augen an.
    „Ist das… Gesang?!“, wollte Daphne mit zittriger Stimme wissen.
    Nickend bestätigte Daryk dies und stellte fest:
    „Fische singen nicht.“
    Beide waren inzwischen aus dem Wasser gewichen und starrten ungläubig das Schauspiel darauf an.
    Die erste der Figuren war am seichten Ufer angekommen und platzte durch die Oberfläche.
    Im Licht des Mondes war sie nicht genau zu erkennen, aber ihr schrilles Fauchen in der Stille der Nacht dafür umso besser zu hören.
    „Bring mich hier weg“, wimmerte die Prinzessin leise, was von Daryks „wir gehen!“ aber deutlich übertönt wurde.
    Er ergriff ihre Hand und zog sie zügig hinter sich her. Bemüht, sie nicht zum Stolpern zu bringen, eilte er zum Eingang der Grotte, die zum Geheimgang führte.
    Daphne in der einen und einen kleinen Feuerball in der anderen Hand hastete er durch den Gang.
    Diesmal war sie wieder angespannt und beinahe panisch, wie sie es im Tempel gewesen war. Schnell entzündete der schwarze Ritter sein ganzes Feuer, was den Tunnel in deutlich mehr Licht tauchte, als die kleine Flamme in seiner Faust.
    Erschrocken zog Daphne ihre Hand zurück, aber er griff wieder nach ihr und erklärte:
    „Keine Angst, das Feuer wird dich nicht verletzen!“
    Sie brachte nur ein unsicheres „Warum?“ hervor.
    „Weil ich es nicht will“, antwortete er knapp und wahrheitsgemäß, was sie ihm scheinbar glaubte und ihm widerstandslos folgte.
    Bald waren sie an der Wendeltreppe angekommen und erklommen sie so schnell es ihnen möglich war.
    Oben angekommen fummelte Daryk den Schlüssel in das dafür vorgesehene Loch und öffnete den Geheimgang.
    Erleichtert atmete Daphne aus, als die Tür sich hinter ihnen schloss und die Wesen nach draußen verbannte. Sofort begann sie, alle Lampen in ihren Wohnräumen zu entzünden und stellte sich anschließend ans Fenster. Vorsichtig schob sie den Vorhang zur Seite und schaute auf den Strand hinaus.
    „Was waren das für Dinger“, hauchte sie zitternd.
    Daryk fragte sich, ob sie der Grund waren, dass Prinzessinnen das Schloss nicht verlassen durften, hütete sich aber, etwas davon zu sagen und zuckte nur die Schultern.
    Die Heilerin, streifte die Nassen Klamotten ab und zog ihr Nachthemd an. Dann setzte sie sich auf ihr Bett und starrte ihren Beschützer an.
    „Lass mich nicht allein, bitte“, forderte sie leise.
    „Niemals“, beruhigte er sie, zog sich ebenfalls um und setzte sich neben sie.
    Sie nahm seine Hand und rollte sich mitsamt dieser auf ihrem Kissen ein.
    Noch immer zitterte sie, weshalb er mit der freien Hand erneut begann, ihre Schultern zu massieren. Er hoffte, es würde sie beruhigen, was es nach kurzer Zeit auch tat. Das Zittern verschwand und sie entspannte sich wieder ein wenig.
    Erleichtert nahm er seine Hand wieder zu sich, was sie aber erneut mit „nicht aufhören!“ unterband.
    Leise lachend und erfreut, dass es ihr gefiel, widmete er sich wieder seiner Aufgabe.
    „Das waren Menschen oder?“, fragte sie nach kurzer Zeit mit einer Stimme, als würde sie sich selbst nicht trauen.
    Leise bestätigte er ihre Vermutung. Selbst im Zwielicht des Mondes waren die weiblichen Formen und langen Haare der Gestalten gut erkennbar gewesen.
    Kurz überlegte er, ob er, wenn sie eingeschlafen war, noch einmal rausgehen sollte, um nachzusehen, was das für Wesen waren.
    Als ob sie es ahnte meinte sie:
    „Geh da nicht nochmal raus!“
    Er senkte lächelnd den Kopf. Scheinbar kannte sie ihn langsam besser als er selbst.
    „Ich habe geschworen dich zu beschützen“, erklärte er, „eigentlich müsste ich.“
    Nun wandte sie sich ihm wieder zu, sah ihm in die Augen und sagte bestimmt:
    „Es ist mir egal, welchen Eid du nun abgelegt hast, dein Leben ist nicht weniger wert als meines. Ich will nicht, dass dir wegen mir etwas geschieht!“
    Der Ritter erwiderte den Blick der Prinzessin und entgegnete ebenso bestimmt:
    „Es ist dein Leben, das meinem einen Sinn gibt. Eher sterbe ich, als dich zu verlieren.“
    Ehrliche Besorgnis machte sich in ihrem Blick breit.
    „Das waren zu viele“, stellte sie leise klar, „wir sagen es morgen gleich den anderen, damit sie auch nicht dort rausgehen. Was immer diese Dinger waren, sie waren nicht sonderlich freundlich und deshalb bleibst du hier!“
    Zustimmend nickte er und legte sich neben sie, woraufhin sie sich, wie schon die beiden Nächte zuvor, auf seine Brust legte und begann, nachdenklich mit dem Linien auf seiner Haut zu spielen.
    Daryk dachte nicht daran, zu schlafen, solange seltsame Wesen vor dem Schloss ihr Unwesen trieben. Still saß er am Kopfende und spürte, wie Daphnes Finger auf seiner Haut immer langsamer wurde. Es dauerte deutlich länger als noch die letzten beiden Tage und erforderte weiteres Massieren ihres Nackens und ihrer Schultern, aber irgendwann schlief die kleine Frau endlich ein.
    Ihre Leibwache hingegen verbrachte die Nacht wach, ans Kopfende des Bettes gelehnt und mit entschlossenem Blick zur Tür.

    „Lass mich nicht allein, bitte“, wiederholte sein Geist Daphnes Worte immer wieder. Warum kamen sie ihm so bekannt vor? So, als hätten sie eine tiefere Bedeutung?
    Dann fiel es ihm ein. Die Nacht als er sich mit Yorick und Thorvid in der Taverne betrunken hatte. Danach war er zu Daphne gegangen und wollte mit ihr reden, hatte aber eine Wasserleiche, die den Kreaturen am Strand viel zu ähnlichgesehen hatte um es einen bloßen Zufall sein zu lassen, neben ihr stehen sehen.
    Nun konnte er sich auch an Ihre Worte erinnern:
    „Lass sie nicht alleine, die anderen waren es und verloren den Kampf.“
    Welche anderen? Welcher Kampf? Waren diese Wesen aus dem Wasser der Kampf? Oder was von den „anderen“ übrig war, nachdem sie ihn verloren hatten?
    Die Worte von Daphnes Vater krochen in sein Bewusstsein. Etwa einhundert Prinzessinnen waren wohl im Lauf der Zeit verschwunden. Waren sie das?
    Willfred hatte auch erwähnt, dass Aufzeichnungen existierten. Daryk nahm sich vor, am nächsten Tag mehr darüber herauszufinden. Neben ihm murmelte Daphne im Schlaf etwas vor sich hin, aber er konnte nicht ausmachen, was. Unruhig rollte sie hin und her, weshalb er ihre Hand ergriff und sanft festhielt. Dies schien zu helfen und sie beruhigte sich ein wenig.
    Den Rest der Nacht verbrachte Daryk reglos ins Nichts starrend und in Gedanken versunken, nur gelegentlich vom unruhigen Schlaf der Prinzessin unterbrochen.

    Der nächste Morgen kam schnell und als die ersten Sonnenstrahlen durch den Vorhang schienen, sah Daryk es als Sicher an, sie alleine liegen zu lassen. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, stand er vom Bett auf und lies den Kopf kreisen. Das knacken seiner Halswirbel verriet ihm, dass er zu lange reglos dagesessen hatte. Es war ihm egal.
    Er zog sich wieder an, ging zum Fenster und zog den Vorgang zurück. Sonne schien ihm ins Gesicht und fiel auf das Bett. Daphne grummelte kurz als die Strahlen ihr Gesicht erreichten, drehte sich um und schlief weiter. Lächelnd sah der Ritter ihr dabei zu und wandte sich wieder dem vergitterten Fenster zu. Tatsächlich erinnerte dieser Raum eher an eine Zelle, als an das Gemach einer Prinzessin. Leise drehte öffnete er die Verriegelung und zog den Flügel nach innen. Zusammen mit der frischen Luft erwartete er, dass auch das zwitschern der Vögel und die Schreie von Möwen in das Zimmer drangen. Nichts davon geschah. Lediglich das leise Rauschen der sich brechenden Wellen war zu hören. Verwundert lies er seinen Blick über den Strand schweifen, konnte aber nichts Außergewöhnliches erkennen.
    Langsam ging er zurück zum Bett und strich Daphne über die Wange.
    Blinzelnd öffnete sie die Augen und sah ihn zerknittert an.
    „Ich bin gleich wieder da“, versicherte er ihr leise.
    Ein müdes Lächeln und ein kurzes Nicken war alles, was sie von sich gab, bevor ihre Lider wieder zufielen.
    Daryk ging still zur Tür und als er sie gerade öffnen wollte vernahm er nochmal ihre Stimme:
    „Bleib nicht so lange weg!“
    Lachend versicherte er ihr, dass er nur ein paar Minuten bräuchte und verlies das Schlafzimmer.

    Schnell hatte er den Mann gefunden den er suchte. Thorvid saß an einem kleinen Tisch und schmierte sich Honig auf ein Brot. Daryk brachte sein Anliegen schnell hervor, was Thorvid dazu veranlasste sich zu erheben und seinem Frühstück einen wehmütigen Blick zuzuwerfen.
    Wie erwartet wortlos führte der Barde den Ritter zu einem Archiv. Dort hingen eine ganze Reihe Bilder von jungen Frauen, allesamt mit dunklem Haar.
    „Alle, die verschwunden sind“, erklärte Thorvid knapp, als er Daryks schweifenden Blick bemerkte. Es waren viel zu viele um sie auf einen Blick zu zählen, aber er schätze auf über einhundert.
    Das allererste Portrait in der Reihe schien auch gleichzeitig das älteste zu sein. Das lebensgroße Portrait einer schwarzhaarigen Frau, die mit überschlagenen Beinen und strengem Blick auf einem goldenen Thron saß und in das Zimmer starrte, vermittelte einen erhabenen Eindruck. Die mächtigen Säulen im Hintergrund des Gemäldes und das ausladende rote Kleid der Frau ließen keinen Zweifel daran, dass es sich um eine Herzogin von Devyleih handeln musste. „Franziska Murchadh“ stand in großen Lettern auf dem goldenen Rahmen.
    „Sie nennen wir heute Calypso“, fuhr Thorvid leise fort und zeigte auf das Bild, „Sie war die erste, die verschwunden ist und auch die einzige verheiratete.“
    „Es verschwinden nur unverheiratete Frauen?“
    , hakte Daryk nach.
    Thorvid nickte bestimmt.
    „mit dunklen Haaren“, ergänzte er noch.
    Irgendwas sagte Daryk, dass es weniger die Hochzeit, als vielmehr die Hochzeitsnacht die Frauen beschützte. Darum war also „Einsamkeit“ eine größere Bedrohung als er. Er zog eine Augenbraue hoch und sah Thorvid an, der dem Blick des Ritters aber gekonnt in seine Kapuze auswich.
    „Wir wissen nicht, was mit ihnen geschieht, aber sie verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen“
    , lenkte er ab.
    Nachdenklich kratzte Daryk sich am Kopf und überlegte was das alles zu bedeuten hatte.
    „Calypso sucht sie sich aus, immerhin scheint sie genug Zeit zu haben. Das geht seit Jahrhunderten so.“, erzählte der Barde weiter, „dass sich ihr Mann einst von ihr ab und ihrer Schwester zugewandt hat, hat sie zu einem Monster werden lassen. Wie wissen wir nicht, aber was würde das auch für einen Unterschied machen?“
    „Lass sie nicht alleine“, murmelte er vor sich hin und langsam aber sicher ergab sich ein Bild in seinem Kopf.
    „Die Prinzessinnen wissen nichts davon und das sollte auch so bleiben. Es reicht eingesperrt zu sein, sie sollen nicht noch unter Albträumen leiden“, forderte Thorvid ihn indirekt auf.
    Abwesend nickte Daryk zustimmend, obwohl er sich nicht sicher war, dass Daphne es nicht erfahren sollte.
    „Lass sie nicht alleine“, wiederholte die Stimme in seinem Kopf immer wieder. In Gedanken suchte er den Schlüssel zum Geheimgang in seiner Tasche und fand – nichts. Er riss die Augen auf, als er erkannte was das zu bedeuten hatte. Sofort drehte er sich um und verließ das Archiv.
    „Hol die anderen und komm mit ihnen zum Strand“, rief er dem Namenlosen im Gehen noch zu, „beeilt euch!“
    So schnell er konnte, rannte er durch das Schloss und bahnte sich seinen Weg durch die Gänge.
    „Lass sie nicht alleine“, brüllten ihn seine Gedanken jetzt an, „Lass sie nicht alleine!“

    Nachdenklich ins Nichts starrend ritt Daryk mit den anderen weiter zu Daphnes Schiff. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen und die dicken Tropfen prasselten auf seine Rüstung.
    Immer noch überlegte er, was der Vater der kleinen Frau von ihm wollte.
    „Kommt heute Abend mit meiner Tochter in den Thronsaal“, hatte der ehemalige Herrscher über Devyleih gesagt, „wir haben etwas zu besprechen!“
    Was könnte der Mann zu sagen haben? Auf Abhieb fiel Daryk nur eine Sache ein, zu der Daphnes Vater etwas sagen könnte, und das war die Beziehung seiner Tochter zu einem mittellosen Ritter. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Willfred besonders begeistert sein würde, sollte er davon erfahren haben. War die „Flucht“ aus Daphnes Zimmer heute Morgen doch nicht so geglückt wie es zunächst den Anschein gehabt hatte?
    Daphne hatte ihn leicht panisch geweckt und ihm bedeutet keinen Ton von sich zu geben. Deutlich war die Stimme ihrer Mutter im Zimmer zu hören gewesen:
    „Kind, steh endlich auf! Du kannst hier nicht den halben Tag verschlafen, wie du es vielleicht die letzten sieben Jahre getan hast! Stell dir vor, ein Bewerber kommt zu Besuch und du siehst aus wie eine Hafendirne!“
    Dann war sie, mit unterdrücktem Fluch, aus dem Bett geklettert und hatte Maria abgefangen, bevor sie die Vorhänge zum Bett zur Seite ziehen konnte.
    Reglos war Daryk im Bett liegen geblieben und hoffte, niemand käme auf die Idee, das Bett zu richten.
    Er hatte zugehört, wie Daphne weiter beleidigt und eingekleidet wurde und wie sie von der Herzogin anschließend an der Hand aus dem Gemach gezerrt wurde.
    Gerade als er sich dann überlegt hatte, wie er, an den Wachen vorbei das Zimmer verlassen sollte, war Thorvid wiedergekommen und hatte ihn durch den Geheimgang nach draußen geführt.
    Auf die Frage, warum Thorvid Daryk geholfen hatte, hatte der nur „nicht jede Bedrohung ist physischer Natur“ geantwortet und darauf verwiesen, dass Einsamkeit schon so manche Prinzessin zerstört hatte.
    Der Ritter bemühte sich, seine innere Unruhe nicht nach außen zu zeigen, als Daphne zu ihm aufschloss.
    „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie leise, als ob diese Frage den anderen zu viel verraten könnte.
    Da er sich nicht sicher war, was die Antwort war, meinte er nur:
    „Dein Vater will uns heute Abend sehen. Er meint, wir hätten etwas zu besprechen.“
    Sie konnte den leichten Anflug von Panik in ihrer Stimme nicht verbergen.
    Uns?!“, vergewisserte sie sich mit unruhigem Blick.
    „Uns“, bestätigte er mit einem kurzen Nicken.
    „Na klasse…“, meinte sie leise, warf ihm noch einen vielsagenden Blick zu und trieb dann Avalon an schneller zu traben.
    Daryk wunderte sich kurz warum sie ihn so stehen lies, bis er Yorick bemerkte, der sich von hinten näherte.
    „Ogerschlächter!“, rief er ihm zu, „wie ich sehe, habt Ihr gerade Zeit für ein Gespräch.“
    Warum wollten heute alle mit ihm reden?
    „Scheint so“, bestätige er die Aussage von Daphnes Bruder.
    Innerlich hoffte Daryk, Yorick würde nicht auch noch mit Daphne anfangen. Immerhin wusste der Mann deutlich mehr, als er eigentlich wissen sollte.
    Zunächst schien es, als würde Daryks Hoffnung wahr.
    „Ihr seid ein gefährlicher Mann“, stellte der Prinz fest was der Ritter mit einem Schulterzucken quittierte.
    „Nur für meine Feinde“, stellte er klar und versuchte damit direkt alle Bedenken, er könnte eine Gefahr für Daphne sein, aus der Welt zu schaffen.
    Grinsend sah Yorick ihn an.
    „War Heinrich Euer Feind?“, fragte er herausfordernd.
    Mit hochgezogener Augenbraue erwiderte Daryk den Blick.
    „Wie kommst du darauf?“, wollte er wissen, denn soweit er wusste hatte Yorick nur erfahren, dass Heinrich an einer Herzattacke verstorben war.
    Der blonde Prinz musterte Daryk einige Sekunden bevor er antwortete.
    „Die Blicke Eurer Freunde sagen mehr, als ihre Worte.“
    Also doch. Daryk hatte schon begonnen, sich zu fragen, ob tatsächlich niemand bemerkt hatte, wie alle Augen mehrmals zu ihm gewandert waren beim Essen.
    Trotzdem beschloss er, vorsichtig zu sein, denn immerhin war Heinrich Daphnes – wenn auch unerwünschter – Verlobter gewesen.
    „Ich kann keine Herzattacken herbeizaubern, falls du das meinst.“
    Lachend schüttelte Yorick den Kopf.
    „Irgendwas sagt mir, dass sein Herz höchstens vor Angst vor einem gewissen Ritter stehen geblieben ist.“
    Ebendieser Ritter musste in diesem Moment einsehen, dass Daphnes Bruder die Wahrheit kannte.
    „Und wenn?“, fragte er, noch immer vorsichtig.
    Yorick sah diese Aussage wohl als Eingeständnis an und wurde hellhörig.
    Dann wäre ich diesem Ritter zu großem Dank verpflichtet, Ser Daryk“, meinte er nur und sah Daryk von der Seite an.
    Nachdem er Daryks fragenden Blick bemerkte ergänzte er:
    „Es ist mir egal, was mit ihm geschehen ist. Ich weiß nur, ich hätte ihn eigenhändig erwürgt, wenn ich es hätte tun können, ohne einen Krieg heraufzubeschwören. Für das, was er meiner Schwester angetan hat, hat er den Tod verdient. Und so wie es aussieht, hat er ihn bekommen. Ich bin dem Mann, der uns von ihm erlöst hat einen Gefallen schuldig und könnte ruhiger schlafen, wenn ich ihm in die Augen sehen könnte.“
    Ohne eine besondere Gefühlsregung zu zeigen, drehte Daryk den Kopf und sah Yorick in die Augen.
    Der Prinz erkannte, was das zu bedeuten hatte und lies ein Lächeln über sein Gesicht huschen.
    „Wusste ich’s doch“, stellte er zufrieden fest, „Ich kann mir zwar vorstellen, was Ihr wollt, aber dennoch: was wollt ihr?“
    Der Ritter wusste nicht, was Yorick meinte und zog eine Augenbraue hoch.
    „Der Prinz von Devyleih schuldet Euch einen Gefallen, Ritter. Trefft Eure Wahl.“
    Mit diesen Worten trieb auch er sein Pferd an, schneller zu laufen und ließ Daryk ebenfalls im Regen stehen.
    Nun schlossen Jaris und Thyra zu ihm auf und ritten links und rechts neben ihm her.
    „Was wollte er?“, fragte Jaris, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.
    „Er weiß es“, war Daryks knappe Antwort.
    Was weiß er?“, hakte die Jägerin nach und hoffte wohl ein Geständnis zu seiner Beziehung zu Daphne zu hören.
    „Die Wahrheit über Heinrichs Tod“, stellte er schnell klar, „und er sagt er schuldet mir einen Gefallen.“
    „Oh“
    , war Thyras fast schon enttäuschte Antwort, „und wofür wirst du den nutzen?“
    Ihr schelmisches Grinsen entging Daryk nicht, aber er beschloss es zu ignorieren.
    „Mal sehen“, meinte er, „weniger neugierige Freunde vielleicht.“
    Jaris lachte auf, als Daryk grinsend zur Ehefrau des Söldners blickte.
    Diese setzte einen Schmollmund auf und streckte ihm die Zunge heraus.
    Ich wüsste, was ich an deiner Stelle fordern würde!“, konterte sie.
    Er wusste, was sie meinte und nickte unbewusst.
    „Wir werden sehen.“

    Schweigend folgten Daryk, Thyra Jaris und Theic nach dem Essen dem Hausdiener, der sie durch die geräumigen Gänge des Schlosses führte. Im Vorbeigehen betrachtete der Ritter die gewaltigen Säulen die das Gewölbe trugen. Selbst er fühlte sich klein und unbedeutend während er durch diese Hallen schritt und er fragte sich, wie es wohl Daphne gehen musste, wenn sie durch ihr ehemaliges Gefängnis wandelte. Die Gruppe wurde von zwei Wachen verfolgt, deren Blicke Daryk selbst durch ihre Visiere hindurch in seinem Rücken spüren konnte.
    „Also Daryk, was läuft da?“, fragte Thyra unvermittelt in die Stille hinein.
    Einen Seufzer unterdrückend antwortete Daryk nur: „Wo?“
    Auch wenn er es bezweifelte, hoffte er dennoch, dass er dem Gespräch so entkommen konnte.
    „Na bei dir und…“, fing sie an, wurde aber von Theics Ellenbogen in ihren Rippen unterbrochen. Sie erkannte, dass Daphne in diesem Zusammenhang anzusprechen keine gute Idee war und fuhr mit „…deiner Ärztin“ fort.
    Daryk fühlte sich wieder wie in einem Verhör, merkte aber, dass es ihm deutlich schwerer fiel diese Wahrheit für sich zu behalten.
    „Sie ist Heilerin, was soll da laufen“, fragte er deshalb und bemühte sich beiläufig zu klingen.
    Theical schloss zu ihm auf und meinte, nun neben Daryk laufend: „Sie hat drei Tage quasi deine Hand gehalten! Ich kenne keine normale Heilerin die das tut.“
    „Sie ist auch keine normale Heilerin!“,
    entgegnete der Ritter, „sie ist… besonders.“
    Das Grinsen des kleinen Mannes und der Jägerin zeigten ihm deutlich, dass sie seine Aussage nicht in der Weise, dass sie eine vom Gott des Lebens gesegnete Heilerin war, interpretierten, sondern eher so, dass sie für ihn besonders war. Auch wenn in diesem Fall beides stimmte, ergänzte er schnell: „Ihr wisst genau was ich meine!“
    „Oh ja“
    , stimmte Thyra ihm zu, „das tun wir!“
    Daryk verdrehte die Augen und meinte nur: „Denkt was ihr wollt, das macht es noch lange nicht wahr!“
    Darauf schienen die beiden keine Antwort zu haben denn sie sagten nichts weiter. Obwohl Daryk genau wusste, dass dieses Thema noch lange nicht beendet war, war er zunächst froh, in Ruhe gelassen zu werden. Es fiel ihm schwer genug, zuzusehen, wie Daphne wieder eingesperrt und von allen anderen getrennt wurde, da wollte er nicht auch noch dauernd darüber reden müssen und so tun, als wäre es ihm egal.

    Eine ganze Weile wanderten sie dann stumm durch das Schloss, bis der Diener schließlich vor einer Türe stehen blieb.
    „Für das Ehepaar“, verkündete er mit einer kleinen Verbeugung und öffnete die Tür, durch die selbst Daryk mit erhobenen Armen hätte gehen können.
    „Vielen Dank“, antwortete Thyra höflich und ging zusammen mit Jaris, der sich ebenfalls kurz bedankte hinein.
    Der Diener schloss die Tür hinter ihnen und ging weiter durch den Gang. Theical und Daryk folgten dem älteren Herrn weiterhin durch das Gebäude. Nur eine Tür weiter wiederholte sich das Ganze und Theical bekam ebenfalls ein Schlafzimmer zugewiesen. Nun wurde der Todesritter alleine weitergeführt. Nachdem er an der nächsten Tür vorbeiging wunderte er sich kurz, nahm dann aber an, dass das das Zimmer für Aras war.
    Daryks schwere Schritte hallten durch die Gänge und obwohl Daryk prinzipiell in der Lage war, sich leise fortzubewegen, wurde jeder solcher Versuch vom Echo des kleinsten Geräuschs unterbunden. Es war eine interessante Sicherheitsmaßnahme, jedwedes Anschleichen schon im Keim zu ersticken.
    Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der kleine Mann vor ihm tatsächlich vor der nächsten Tür stehen blieb und öffnete.
    „Für den Krieger“, sagte er mit einer weiteren Verbeugung, „ich hoffe es ist alles zu Eurer… Zufriedenheit.“
    Das unterdrückte Grinsen im Gesicht des Mannes entging dem Hünen nicht, aber er dachte sich nichts dabei, nickte dankend und betrat das Zimmer. Sofort wurde die Türe hinter ihm wieder geschlossen, was Daryk an einen Kerker erinnerte. Er sah sich um und erkannte, dass er sich wohl in einem Vorraum befand. Außer einem Tisch mit zwei Stühlen, einem bequem aussehenden Sessel und einem Kleiderhaken befand sich nichts in dem kleinen Zimmer. Links von Daryk führte eine offenstehende Türe offensichtlich in ein Badezimmer. Demnach würde die andere vermutlich zum Bett führen. Nach dem Abendessen war Daryk nicht nach Alpträumen, aber seit dem Tempel hatte er nicht mehr schlecht geträumt und er hoffte, dass sein erleichtertes Gewissen ihm nun ruhige Nächte verschaffen würde. Er beschloss, schlafen zu gehen, ließ seine Rüstung im Höllenfeuer verschwinden und rieb sich die brennenden Augen, als er die Türe öffnete und hindurchging. Hinter sich hörte er die Tür ins Schloss fallen und öffnete die Augen wieder.
    Wie erwartet sah er vor sich ein großzügig bemessenes Bett. Entgegen seinen Erwartungen waren aber die beiden nackten Frauen, die sich auf ebendiesem Bett räkelten.
    „Hallo, starker Mann!“, flötete die blonde, während sie sich vom Bett erhob und auf ihn zukam.
    Daryk erkannte die zwei als die Zofen, die Daphne vor der Schlacht bemalt hatten und ihm damals noch weitaus weniger freundlich gesinnt waren.
    Unsicher, was das zu bedeuten hatte, zog er eine Augenbraue hoch und versuchte einen Schritt zurück zu machen, stieß aber gegen die Tür.
    „Hast du Angst, mein großer?“, fragte nun auch die Brünette, die noch auf dem Bett saß und mit ihren langen Haaren spielte, „gefällt Svenja dir nicht?“
    Schweigend betrachtete Daryk das Schauspiel und begann sich unwohl zu fühlen. Schon in seiner Heimat wollte er keine zweite und dritte Frau haben und das würde sich jetzt nicht ändern.
    Svenja war bei ihm angekommen und strich mit der Hand über seine Brust. Sie blickte zu ihm auf und sah ihm in die Augen. Zärtlich nahm sie seine schwarze Hand und fuhr, wie Daphne, die Runen nach.
    „Ein mächtiges Tattoo für einen mächtigen Krieger!“, flüsterte sie beeindruckt.
    „Du hast keine Ahnung, was diese Zeichen bedeuten, oder?“, brummte Daryk und starrte ihr ebenso in die blauen Augen.
    „Oh er kann ja doch reden“, kicherte Svenja, „nein, das weiß ich nicht, aber du kannst es mir ja erklären.“ Sanft versuchte sie ihn in Richtung des Bettes zu ziehen.
    Keinen Millimeter bewegte er sich von seinem Platz weg, was die Blonde mit einem vielsagenden Grinsen bedachte.
    „Kassandra, ich glaube du musst mir beim Überzeugen helfen!“, meinte sie dann, ohne dem Blick aus Daryks Augen zu nehmen.
    Die angesprochene hörte auf, sich eine Haarsträhne um die Finger zu wickeln und erhob sich nun ebenfalls vom Bett. Mit langsamen und eleganten Schritten näherte sie sich den beiden und ließ ihre Hand im Vorbeigehen über Svenjas Schulter wandern. Dann nahm sie Daryks andere Hand und legte sie auf ihren Bauch.
    Er zog die Hand zurück und blickte sie emotionslos an.
    „Wir sind heute aber beherrscht“, lobte Kassandra, immer noch lächelnd, während Svenja sich verführerisch auf die Unterlippe biss.
    Scheinbar waren die beiden es nicht gewohnt, abgewiesen zu werden und waren fest entschlossen den Ritter für diese Nacht zu erobern.
    Er überlegte, wie er aus dieser Situation entkommen sollte, ohne die Nordmänner aus dem Süden zu beleidigen. Allerdings war er sich nicht sicher, ob das Ganze eine Art Gastgeschenk darstellen, oder eine Prüfung für ihn sein sollte. Innerlich fragte er sich, was wohl unhöflicher wäre: Das Geschenk abzulehnen oder eine eventuelle Prüfung nicht zu bestehen.
    Er hoffte, auf die Prüfung, da er nicht vor hatte, den beiden nachzugeben, auch, wenn ihm inzwischen klar war, dass die beiden ein „nein“ nicht akzeptieren würden.
    Abgelenkt von seinen Gedanken, war ihm entgangen, dass Svenja begonnen hatte sein, von Daphne genähtes Hemd aufzuknöpfen. Kurz starrten die beiden Frauen die Muster auf seiner Brust an, bevor sie mit ihrer Arbeit fortfuhren und wieder versuchten ihn mit sich zum Bett zu führen.
    Erneut ließ er sich nicht vom Fleck bewegen, was die zwei Zofen nur noch weiter anspornte.
    „Vielleicht möchte er lieber stehen?“, raunte Svenja ihrer Freundin zu.
    „Finden wir es heraus“, schlug Kassandra frech grinsend vor und kniete sich hin.
    Jetzt wurde es Daryk langsam zu blöd und er überlegte, ob er nicht einfach seine Rüstung beschwören sollte um dem Ganzen ein Ende zu setzen. An der würden sich selbst die beiden Raubtiere vor ihm die Fangzähne ausbeißen.

    Bevor irgendetwas weiteres passieren konnte, spürte er einen Schlag in seinem Rücken. Nach kurzer Verwirrung erkannte er, dass jemand die Türe hinter ihm hatte öffnen wollen. Schnell machte er einen Schritt nach vorn und drehte sich herum. Kassandra war von seiner Bewegung überrascht worden und fiel nach hinten um, während Svenja versuchte sie zu fangen. Jetzt sahen die beiden gar nicht mehr so elegant aus wie zuvor, stellte Daryk belustigt fest und richtete seinen Blick wieder zur Tür.
    Erneut versuchte jemand sie zu öffnen, was diesmal auch gelang und Thorvid kam herein. Wortlos rieb er sich die Stirn und warf Daryk einen bösen Blick zu, als ob dieser etwas dafürkonnte, dass Daphnes Bruder gegen die Tür gelaufen war. Der Ritter zuckte mit den Schultern und deutete mit einer Bewegung seines Kopfes auf die Zofen die sich wieder aufrappelten.
    Thorvid nickte, als wüsste er, was Daryk meinte.
    „Mein Lord, wie können wir…“, begann Kassandra zu reden, wurde aber von Thorvids Geste unterbrochen, welcher nur auf das Bett deutete.
    Erneut zeigte sich ein Grinsen in der Gesichtern der beiden und sie fügten sich dem Befehl nach einer kurze Verbeugung. Sie lagen wieder auf dem Bett, wie sie es getan hatten, als Daryk den Raum betreten hatte.
    Immer noch wortlos verlies Thorvid das Zimmer wieder und bedeutete dem Ritter kurz ihm zu folgen.
    Daryk knöpfte sein Hemd wieder zu, während er dem Namenlosen folgte. Er hatte keine Ahnung wohin Thorvid ihn führen würde, oder was er vorhatte. Er schätzte Thorvid nicht so ein, dass er einen offenen Kampf mit ihm suchen würde. Zudem hatte er bereits genügend Nächte in dessen Nähe verbracht, um dem Barden die Chance zu geben Daryk im Schlaf zu töten, weshalb er nicht annahm, dass Thorvid etwas in dieser Richtung vorhatte.
    Stumm folgte er dem Mann und war überrascht, als sie das Schloss verließen und sich in Richtung Strand bewegten. Thorvid führte den Ritter zum Eingang einer kleinen Grotte, welcher kaum zu finden war, wenn man nicht wusste, dass er dort war. Er schlüpfte hindurch und Daryk folgte ihm. Der Felsspalt war eng, aber erlaubte es auch dem Hünen die Grotte zu betreten.
    Das wenige Licht, das durch den Eingang schien reichte nicht weit in die Höhle, zeigte aber einen kleinen Bach, der aus dem inneren herausströmte. Der Namenlose schritt voran und war bald in der Dunkelheit verschwunden. Daryk ging hinterher und ließ eine kleine Flamme in seiner Hand aufflammen, um nicht in ein Wasserloch zu fallen. Er spürte, wie Xhars Höllenfeuer seine Kraft aus seiner eigenen Lebensenergie zog. Mit der Zeit würde es ihn schwächen aber er war sich sicher, dass er sich auch wieder erholen würde. Die kleine Flamme in seiner Hand konnte Daryk sogar unbegrenzt brennen lassen, ohne spürbar schwächer zu werden.
    Überrascht starrte Thorvid das Feuer in seiner Hand und die glühenden Runen auf seiner Haut an.
    „Lange Geschichte“, meinte Daryk knapp und erinnerte sich daran, dass diese Geschichte Details enthielt, die der Barde besser nicht erfuhr.
    Kurz nickte Thorvid, bevor er sich wieder dem Weg zuwandte. Nach wenigen Metern kamen sie an einem Fackelhalter vorbei, dessen Fackel Daryk entzündete und die magischen Flammen wieder erlöschen ließ. Er reichte die Fackel an Thorvid weiter, welcher kurz nickte und dann weiter in die Höhle marschierte.
    Je weiter sie vordrangen, desto mehr menschliche Bauelemente stützten die Wände und Decken. Nach kurzer Zeit war die natürliche Umgebung einem gemauerten Gewölbe gewichen und die beiden ähnlich gesprächigen Männer wandelten durch einen Gang, der sich ebenso im inneren des Schlosses hätte befinden können.
    Abrupt endete der Weg und eine steile Wendeltreppe schraubte sich nach oben.
    Ohne stehen zu bleiben begann Thorvid die Stufen zu erklimmen und Daryk tat es ihm mit einem inneren Seufzer gleich.

    Oben angekommen standen sie in einem scheinbar leeren Raum. Verwundert blickte der Hüne sich um und sah Thorvid, wie er etwas in einer Nische herumfummelte.
    Plötzlich schwang ein Teil der Wand auf und offenbarte einen Raum im Schloss. Offensichtlich hatte Thorvid Daryk durch einen Geheimgang geführt. Er schob den Ritter durch die Öffnung in das Zimmer, welches neben einer Badewanne eine ganze Reihe Kleiderschränke aufwies. Der Namenlose ging zu einer Blumenvase, welche auf einer Kommode stand und nahm drei Rosen heraus. Eine davon drückte er Daryk mit den Worten „wir waren nie hier!“ in die Hand und nahm die verbleibenden zwei mit sich durch den Geheimgang, dessen Türe sich hinter ihm schloss.
    Verdutzt blinzelte Daryk die Rose in seiner Hand an, während er versuchte, zu verstehen, was soeben geschehen war. Wie sollte er hier wieder herauskommen? Er hatte keine Ahnung wie der Gang zu öffnen war.
    Sanfte Klänge unterbrachen seine Gedanken und er folgte dem Geräusch bis zu einer Türe. Noch mit der Rose in der Hand öffnete er diese vorsichtig und spähte hindurch.
    Er konnte es fast nicht glauben, als er Daphne sah, wie sie in ihrem Nachthemd an einem Cembalo saß und ein Lied spielte.
    Im Gegensatz zu den Gängen des Schlosses waren die Räume durch die Möbel und Teppiche nicht so hallend, sodass Daryk sich ihr nähern konnte, ohne dass sie ihn bemerkte. Als er direkt hinter ihr stand lauschte er ihrem Spiel noch ein paar Sekunden, bevor er ihr rasch die Hand über den Mund legte, um ihren Schrei der Überraschung zu unterdrücken, welcher mit Sicherheit Wachen angelockt hätte.
    Sie griff an seine Hand, um sich von ihrem Griff zu lösen, erkannte sie aber scheinbar als Daryks und nuschelte ungläubig seinen Namen.
    „Schönes Lied“, erwiderte er ehrlich lächelnd und nahm die Hand aus ihrem Gesicht.
    Sie wandte sich ihm zu und auch im Halbdunkel des Musikzimmers, in dem sich auch noch eine Harfe und Violine befanden erkannte er, dass sie errötete.
    „W-Wie…?“, stotterte sie ihn mit einer Mischung aus Unglauben und Freude in der Stimme an.
    Daryk reichte ihr die Rose und erklärte: „Thorvid hat mich vor deinen Zofen ...gerettet und mir einen Geheimgang gezeigt“
    „Zofen?“
    , fragte sie vorsichtig nach und spielte nervös mit der Rose in ihren Händen.
    Er nickte kurz und antwortete: „ja, deine Zofen... die waren in meinem Zimmer“
    Eine kurze Pause erlaubte er sich, bevor er sich wahrheitsgemäß zu „…Bett“ korrigierte.
    Daphne ließ die Rose fallen und zwang sich leise zu reden als sie ein leicht entsetztes „Bett?!“ zischte.
    Schnell hob Daryk die Rose wieder auf und reichte sie ihr erneut.
    „Bett“, bestätigte er nickend und fügte nach einer kurzen Pause ich habe sie da nicht hingebracht!“ hinzu.
    Sie legte die Rose auf das Cembalo und fuhr sich durch die Haare
    „Ich weiß, das sind ... Gastgeschenke“, erklärte sie, „mein Vater muss angenommen haben, dass ihr Kriegsgebeutelten etwas Ablenkung gebrauchen könnt.“
    Belustigt zog er eine Augenbraue nach oben und meinte grinsend: „Sehr Gastfreundlich.“
    Ob diese Gastfreundschaft wohl nur ihm zuteilwurde oder auch Theical und später dem Herzog?
    Leise lachend nickte Daphne.
    „Ja, aber nicht ohne Hintergedanken“, führte sie aus, „die Frauen werden einem starken Krieger auch zur Verfügung gestellt, um sich seiner Nachhaltigkeit zu bemächtigen. Seine Stärke und Kampfkraft soll im Volk … fortgeführt werden.“
    „Auf meine… Nachhaltigkeit müssen sie wohl verzichten“
    , versicherte der Ritter seiner Prinzessin.
    Mit einem frechen Grinsen im Gesicht stand sie auf und stellte sich vor ihn.
    „Ist dem so?“, fragte sie herausfordernd und legte den Kopf schief.
    Daryk verschränkte die Arme und sah zu ihr hinunter.
    „Deine Zofen meinte ich, nicht dein Volk“, entgegnete er bestimmt.
    Ein ehrliches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie seine Hand aus der Verschränkung löste. Wie zuvor Svenja es getan hatte, hielt sie seine Hand und sah ihm in die Augen. Diesmal allerdings fühlte er sich deutlich wohler dabei und lächelte zurück.
    „Darüber bin ich sehr froh“, flüsterte sie mit rotem Kopf „dass nur die beiden auf deine Anwesenheit verzichten müssen.“
    Ohne Widerstand ließ sie sich zu ihm ziehen und in den Arm nehmen. Kurz genossen beide den Moment, bevor Daryk sich im Zimmer umsah. Es war ein großer Raum mit mehreren Türen, die vermutlich zu angrenzenden Räumlichkeiten wie dem Ankleidezimmer mit dem Geheimgang führten. Daphnes Wohnbereich war schöner eingerichtet und weitaus geräumiger und heller als der Kerker in Lyc, aber dennoch genau das – ein Gefängnis.
    „Hier hast du gewohnt?“, wollte er schließlich wissen ohne sie loszulassen.
    „Gelebt!“, verbesserte sie ihn traurig, „verlassen durfte ich diese Räumlichkeiten selten. Mit fortschreitendem Alter immer weniger.“
    Daryk konnte spüren, wie Daphne sich näher an ihn heranzog und ihre Wange an seine Brust presste, als wollte sie den Erinnerungen an früher entfliehen.
    Sanft streichelte er ihr über den Kopf und sagte leise: „Ich kann verstehen, warum du weggelaufen bist.“
    Sie lockerte ihren Griff etwas und sah zu ihm herauf.
    „Und bleiben werde ich jetzt auch nicht“
    , stellte sie bestimmt fest, „Es beginnt von vorne, wie du gesehen hast!“
    Ein leises Lachen entfuhr ihm, woraufhin sie ihn verwirrt anstarrte.
    „Wo ich herkomme sind die Frauen froh, wenn sie das Haus nicht verlassen müssen und müssen es trotzdem tun“, erklärte er sich rasch und mit nachdenklicher Stimme, „und hier ist es genau anders herum.“
    Nun lachte auch die Heilerin und zog ihn an der Hand hinter sich her.
    „Bei dem Wetter verständlich“, meinte sie, als er widerstandlos zu einem bequem aussehenden Sessel folgte, „aber als Ehemalige Königswache… frag die Prinzessinnen.“
    Sie wies mit der Hand auf den Sessel. Gern folgte er der Einladung und setzte sich.
    Die mussten nicht raus…“, gab er zu und wusste auch, dass er das „mussten“ ebenso gut durch „durften“ hätte ersetzen können. Auch wenn diese Tatsache in Lyc aufgrund des dort herrschenden Klimas nicht ganz so schwer wog, wie hier in Devyleih.
    „Wählen oder entscheiden dürfen sie auch nicht“, merkte Daphne noch zusätzlich an, was Daryk mit einem Kopfschütteln bestätigte.
    Kurz schaute er die kleine Frau vor sich an und nahm dann ihre Hand.
    „Darfst du jetzt?“, fragte er leise.
    Ihr Blick wurde traurig und nachdem sie sich kurz umgesehen hatte fragte sie mit einem bedauernden Unterton: „Sieht es so aus?“
    Daryk ahnte, was das für ihn als mittellosen Ritter bedeutete und blickte mit einem weiteren Kopfschütteln zu Boden.
    Vorsichtig kletterte Daphne auf seinen Schoß und saß ihm zugewandt da. Wie schon nach dem Tempel legte sie ihre Hand auf seine Wange und hob seinen Kopf wieder an. Ihre braunen Augen schauten ihm entschlossen in die seinen, als sie sagte: „Aber ich werde mir nichts mehr nehmen lassen!“
    „Nichts?“
    , fragte er fordernd und blickte ihr wieder in die Augen.
    Daphne schüttelte den Kopf.
    „Nichts!“, bestätigte sie ohne zu zögern und küsste ihn.
    Eine ganze Weile saßen sie danach einfach nur da und Daphne begann, sich auf seinem Schoß einzurollen. An seine Brust gekuschelt lag sie da und schien langsam einzunicken.
    „Willst du schlafen?“, fragte er vorsichtig.
    Mit müden Augen blinzelte sie ihn an. „Ich glaube schon, es war ein langer Tag.“
    Daryk nickte lächelnd.
    „Soll ich gehen?“
    , fragte er unsicher.
    Die Prinzessin schaute ihn überrascht an. Willst du gehen?“
    Mit einem schnellen schütteln des Kopfes verneinte er diese Frage.
    „Dann bleib“, verlangte sie freundlich und legte ihren Kopf wieder auf seine Brust, „abgesehen davon stehen zwei meiner Brüder vor meiner Tür und so wie ich Thorvid kenne hat er bestimmt „vergessen“ dir zu sagen, wie der Geheimgang von dieser Seite aufgeht.“
    Leise lachend musste Daryk ihr zustimmen und noch bevor er fragen konnte fügte sie hinzu, dass sie es auch nicht wusste und es ihm auch nicht sagen würde wenn sie es wüsste.
    Zufrieden lächelnd gab er auf und lehnte seinen Kopf am Sessel an.
    Es gab wahrlich schlimmeres, als die Nacht bei Daphne zu verbringen, zumal er ein Gefühl hatte, dass sein eigenes Bett diese Nacht anderweitig benutzt werden würde.
    „Komm mit“, meinte Daphne plötzlich und erhob sich von seinem Schoß. Wieder nahm sie seine Hand und zog ihn sanft durch das Zimmer. Die Prinzessin stapfte auf die Schlafzimmertür zu und führte Daryk an der Hand mit hinein.
    Wortlos ging sie zu dem großzügigen Himmelbett, kletterte hinein und nahm ihn mit sich.
    Als er neben ihr auf dem Bett saß zog sie die Vorhänge der Schlafstatt zu und meinte: „Muss ja nicht gleich jeder sehen, dass ich nicht alleine hier bin.“
    Zustimmend nickte Daryk ihr zu, zog sein Hemd aus und legte sich hin. Sie kam zurückgekrabbelt, warf die Decke über sich selbst und ihn und küsste ihn noch einmal.
    Dann legte sie sich wieder auf seine Brust und fuhr wieder über die schwarzen Linien auf seiner Haut. Mit der Zeit wurden ihre Berührungen immer langsamer und bald konnte er den regelmäßigen Atem der schlafenden Frau spüren. Ihre Wärme und Nähe beruhigten ihn und er merkte wie er auch langsam in den Schlaf abdriftete.

    Nach nur wenigen Schritten durch den Torbogen zum hinteren Teil des Tempels war von dem bisschen Licht, dass die Hallen des Lebens erleuchtet hatte nichts mehr zu sehen und Daryk stand in der Finsternis. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Angst vor der Dunkelheit hatte er nicht, aber das war noch kein Grund gegen eine Wand zu laufen, oder eine Fallgrube zu übersehen. Schritt für Schritt schob er sich durch den finsteren Gang vorwärts, die Arme nach vorn gestreckt, um Hindernisse zu ertasten.
    Nach einiger Zeit wusste er nicht mehr, wie lange, oder wie weit er schon gegangen war, aber ein Blick über die Schulter zeigte den Rest des Lichts dass durch den Torbogen fiel. Klein und unbedeutend schien der Eingang zu Xhars Tempel nun zu sein, war er doch vorhin noch so imposant.
    Unvermutet trafen die Hände des Ritters auf etwas Festes. Sofort blieb er stehen, zog den rechten Handschuh seiner Rüstung aus und strich mit der Hand über die Fläche, die sich vor ihm aufgetan hatte. Holz. Daryk führ am hölzernen Hindernis entlang und stellte bald fest, dass es eine Tür war, welche allerdings keine Klinke besaß. Mit einem kurzen Rütteln bestätigte der Hüne seine Vermutung, dass sie sich nicht ohne weiteres öffnen lassen würde. Im Zentrum der Pforte ertastete er einen schweren, metallenen Ring. Ohne zu zögern hob er ihn an und lies ihn dreimal gegen die Türe krachen. Kaum war der Türklopfer das dritte Mal an das Holz geschlagen, entzündete sich ein kleines Kohlebecken rechts neben der Türe und das blutrote, schwarz durchzogene Höllenfeuer des Herrn des Todes tauchte den Gang in ein unnatürlich dunkles Licht. Ebenso blutrote Runen erschienen auf der Tür und Daryk erkannte sie sofort. Es waren die Zeichen für „Feuer“, „Blut“, und „Opfer“. Lächelnd zog er den Dolch aus seinem Stiefelschaft. Er wusste was zu tun war.
    Da die übliche Stelle für den Schnitt von seiner Rüstung verdeckt war, nahm er den Dolch in die linke Hand und führte die Klinge über den Ballen der rechten. Schnell hielt er die verletzte Hand über das Kohlebecken und lies einige Tropfen in hineinfallen. Mehrmals öffnete und schloss er die blutende Hand um seine Opfergabe darzubringen.
    Als die ersten Tropfen im Höllenfeuer verdampften ertönte ein tiefes Dröhnen aus dem inneren des Tempels und die hölzerne Türe zitterte. Nach einigen weiteren Tropfen schwang sie plötzlich auf und gab den Weg frei. Daryk ließ die Hand sinken und schritt hindurch.
    Sofort knallte die Tür hinter ihm wieder ins Schloss und sperrte das bisschen Licht, welches das Kohlebecken gespendet hatte wieder aus. Die Finsternis im Tempel war unbeschreiblich. Beinahe greifbar war sie, ebenso wie die Stille.
    Einen Schritt tat Daryk nach vorne und der Klang seines Stiefels auf dem steinernen Boden schallte durch die Luft. Dem Echo nach zu urteilen, befand er sich in einem riesigen Raum und er ahnte, dass das Herz des Tempels noch eine Überraschung für ihn bereithielt.
    Vorsichtig machte er einen zweiten Schritt und prüfte den Untergrund, bevor er sein Gewicht auf den Fuß verlagerte.
    Plötzlich entzündeten sich mehrere Fackeln und Kohlenbecken mit Xhars unheiligem Feuer und erleuchteten den Tempel. Das Gewölbe war in der Tat riesig und wurde von sechs mächtigen Säulen getragen, jeweils drei auf jeder Seite. Ein einzelner, etwa zwei Meter breiter Steg führte von der Plattform auf der Daryk gerade stand zu einer zweiten im hinteren Drittel des Raumes, auf welcher ein riesiges Kohlebecken vor einer Statue Xhars stand. Zögerlich trat Daryk an den Rand des Stegs und sah hinab in den Abgrund. Wenige Meter weit reichte das Licht der Fackeln, bevor die Dunkelheit wieder die Oberhand gewann und den Weg ins Nichts verschleierte. Er hatte keine Ahnung, wie tief es da hinunterging, oder was dort unten war, aber er hatte nicht vor, es herauszufinden. Schnell machte er einen Schritt zurück und bemühte sich, in der Mitte des Stegs zu bleiben. Mit bedächtigen Schritten ging er auf die Statue seines Gottes zu, welche die Arme, wie zum Empfang, ausgebreitet hatte. Je näher er kam, desto imposanter ragte die Statue vor ihm in die Höhe. Als er am Kohlebecken angekommen war, hob er wieder die verletzte Hand und hielt sie über die Flammen. Bereits der erste Tropfen seines Blutes genügte, um das Erscheinen des Herrn des Todes einzuläuten.
    Wie einst in Habgers Haus erwuchs eine Feuerkugel aus dem Flammen, welche aber zu einer ungeahnten Größe Anwuchs. Erneut pulsierte der Feuerball und Xhars schattenhafte Gestalt erwuchs aus ihr. Gewaltig, wie ein Berg über das Tal, ragte der brennende Körper des Gottes über der Plattform in das Gewölbe. Ehrfürchtig betrachtete Daryk das Spektakel und kniete nieder. Mit gesenktem Kopf wartete er, bis Xhar sich seiner annahm.
    „Erhebe dich, Todesritter“, sprach er mit seiner dämonischen Stimme, die trotz allem irgendwie schön klang.
    Schweigend folgte der Ritter dem Befehl seines Herrn und blickte hinauf in das Antlitz des Todes.
    „Die Zeit ist gekommen“, meinte Xhar und mit einer kleinen Bewegung seiner Hand ließ er Seelenspalter in seiner Hand erscheinen. Auch wenn die Waffe in den Fingern des Gottes wie ein Spielzeug aussah, konnte Daryk die Macht, die in dieser Waffe steckte, spürten. Langsam schwebte der Sponton zu Boden und blieb vor dem Ritter in der Luft stehen. Andächtig musterte dieser die blutrot leuchtenden Runen, die in dem schwarzen Stahl der Klinge eingraviert waren. „Feuer“, „Tod“, „Feind“ und „Seele“ stand dort geschrieben. Xhars unheiliges Feuer loderte um die Klinge herum und Daryk spürte die Hitze, die von ihm ausging.
    Als er nach dem schwarzen Schaft der Waffe greifen wollte, erlosch das Feuer und das Leuchten der Runen plötzlich und Daryk zog die Hand zurück. Irgendetwas stimmte nicht.
    „Die Macht über Feuer und Tod hat ihren Preis!“, mahnte Xhar seinen Auserwählten, „eine Seele muss geopfert werden um die Waffe zu entzünden!“
    Verwirrt blickte Daryk zu seinem Gott auf und fragte: „Welche, Herr?“
    „Das ist deine Entscheidung, Todesritter“
    , erwiderte Xhar, „triff deine Wahl und bring mir, was mein ist!“
    Der schwarze Ritter richtete seinen Blick auf den Boden. Xhar konnte nur Daphne meinen, denn sie war gestorben und damit rechtmäßig „sein“. Dass sie noch im Reich der Lebenden wandelte, kam einer Beleidigung des Herrn des Todes gleich.
    „Nein“, flüsterte er, „das darf nicht sein!“
    Fieberhaft überlegte er, suchte nach einer Möglichkeit, es zu verhindern und dachte an die Worte, die Rhenus in der Schlacht an ihn gerichtet hatte. „Enttäusche meinen Bruder nicht. Aber vor allem, enttäusche mich nicht!“, hatte der Gott des Wassers und des Lebens gefordert. Nachdenklich kratzte Daryk sich am Kopf. Beides gleichzeitig zu erfüllen war unmöglich, denn er glaubte nicht, dass es im Sinne von Xhars Bruder war, Daphnes Seele zu opfern. Oder hatte er sie etwa genau deshalb zurückgeschickt? Nein, das machte auch keinen Sinn. Die Wasserleiche in Daphnes Zimmer hatte ihm gesagt, er solle sie nicht alleine lassen und dass ihr ein Kampf bevorstünde. Das machte ebenso keinen Sinn, wenn er sie nun opfern sollte. Es blieb also nur eine Möglichkeit: Daphne war nicht gemeint.
    Doch eine andere Seele war hier nicht und Daryk blickte seinen Herrn erneut fragend an. „Hier ist keine Seele, die in Frage kommt, Herr“, flüsterte er unsicher.
    Xhars lachen erfüllte den Raum. „Gut erkannt, Todesritter“, lobte er und warf eine Nebelwolke neben Daryk auf den Boden. Wenige Sekunden später standen Khyla und Lyenne neben ihm und lächelten ihn an. Mit offenem Mund starrte er seine Familie an und fragte sich, ob er schon wieder träumte. Wie versteinert stand er da und wartete ab, was geschehen würde.
    „Hallo, Liebster“, flüsterte Khyla schließlich, aber er konnte noch immer nicht glauben, dass sie vor ihm standen. Erst, als Lyenne zu ihm gelaufen kam und sein Bein umklammerte, wie sie es immer getan hatte, wenn er nach Hause gekommen war, löste er sich aus der Starre. Vorsichtig, als wäre sie zerbrechlich, streichelte er ihr über den Kopf und langsam begriff er, dass Xhar ihm wirklich gestattete seine Familie zu sehen. Seine Tochter lies sein Bein los und er kniete sich zu ihr hinunter und nahm sie in den Arm. Stumm stand sie da, erwiderte die Umarmung und Daryk spürte eine Hand auf seiner Schulter. Khyla stand lächelnd neben ihm und er erhob sich wieder, um sie ebenfalls in die Arme zu schließen.
    Nach all der Zeit war er wieder mit ihnen vereint, aber dennoch spürte er, dass dies nicht so bleiben würde.
    „Triff deine Wahl!“, forderte Xhar erneut und Daryk sah zu der brennenden Gestalt auf, „Leben oder Tod?“
    Khyla sah ihm in die Augen und meinte sanft: „Du weißt, wohin du gehörst!“
    Sofort wurde er an den Alptraum zurückerinnert, in dem seine Tochter gefordert hatte, dass er zu seiner Familie kommen sollte.
    „Nein“, hauchte das kleine Mädchen mit einem Kopfschütteln, „deine Zeit mit uns ist vorüber!“
    Es schien fast, als wüsste sie, was er dachte, aber wie konnte sie? Allerdings stand sie auch vor ihm, was ebenso unmöglich sein sollte.
    „Warum quälst du dich selbst so, Daryk?“, fragte Khyla liebevoll, „Warum kannst du uns nicht loslassen?“
    Betreten sah der Hüne zu Boden. „Ihr wart mein ein und alles…“, flüsterte er, „und wenn ich euch gehen lasse…“
    „…bist du frei, dein Leben ohne Kummer zu leben!“, unterbrach ihn seine Frau, „du verrätst uns nicht! Du hast dein Leben noch vor dir, wirf es nicht weg!“
    Lyenne nahm seine Hand und lehnte ihre Wange dagegen. An seine Hand gekuschelt flüsterte sie: „Es ist nicht deine Schuld, was mit uns geschehen ist.“
    Unsicher sah Daryk seine Tochter an und antwortete: „Wenn ich damals gestanden hätte, wenn ich getan hätte, was sie von mir verlangt haben, dann…“
    „…hätte das nichts geändert“
    , unterbrach Khyla ihn wieder, „glaubst du sie hätten uns leben lassen? Uns, die Familie eines geständigen Verräters und Königsmörders?“
    Der Ritter wusste, dass sie Recht hatte, denn Verrat an der Krone war das am schwersten bestrafte Verbrechen in seiner Heimat und verdammte nicht nur den Täter, sondern auch seine Familie. Dennoch hatte er sich all die Jahre eingeredet, dass er es hätte verhindern können.
    Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen als er zögerlich den Kopf schüttelte und endlich die Erleichterung seines Gewissens verspürte, nach der er sich so lange gesehnt hatte.
    Khyla löste sich sanft aus seiner Umarmung, nahm ihn an der Hand und ging mit ihm zusammen zu dem immer noch in der Luft schwebenden Sponton hinüber.
    „Es ist Zeit“, sagte sie mit Blick in seine Augen.
    Verwirrt blinzelte er sie an. „Zeit? Wofür?“, hörte er sich sagen.
    Der Blick seiner toten Ehefrau wanderte zu der Waffe. „Deine Wahl zu treffen“, meinte sie lächelnd und versprach: „Wir werden immer bei dir sein!“
    Daryk brauchte einige Sekunden, bevor er erkannte, was seine Frau da von ihm verlangte.
    „Ich kann euch nicht opfern!“, widersprach er und schüttelte vehement den Kopf.
    Nachdem sie auch seine andere Hand ergriffen hatte, sah Khyla noch einmal zu ihm auf, lächelte und flüsterte: „Es ist die einzige Möglichkeit, sie zu retten.“
    Sofort wusste Daryk, dass Daphne gemeint war. Er wollte etwas dagegen sagen, aber seine Tochter kam ihm zuvor: „Wir werden immer bei dir sein Vater.“
    Nun erhob auch Xhar seine tiefe Stimme und beruhigte Daryk: „Sie werden nicht vergehen. Du wirst sie bei jedem deiner Schritte mit dir tragen.“
    Langsam begann der Ritter, das unvermeidbare zu akzeptieren und nickte unmerklich.
    „Du musst es sagen“, forderte Khyla und drückte seine Hände.
    Er nahm einen tiefen Atemzug und blickte zu Xhars beeindruckender Gestalt auf.
    Er verdrängte den letzten Zweifel und sagte mit zitternder Stimme: „Ich wähle die Seelen meiner Familie um die Flamme zu nähren.“
    Xhar hielt seine Hand über die drei und meinte: „So sei es!“
    Sofort wurde Daryks Familie von dem blutroten Höllenfeuer umschlossen und ohne, dass die beiden noch ein Wort von sich geben konnten, verschlangen die Flammen alles, was von Daryks altem Leben noch übrig war.
    Mit Tränen in den Augen starrte Daryk die Klinge der Waffe an. Die Runen begannen wieder zu leuchten und das Feuer entzündete sich von neuem.
    „Nimm, was dir zusteht!“, hörte er die Stimme seines Herrn sagen und machte einen Schritt auf den Sponton zu. Wieder streckte er die Hand danach aus, aber diesmal erloschen die Flammen nicht und als seine Hand den Schaft der Waffe umschloss, spürte er umgehend die Anwesenheit seiner Familie.
    Daryk wollte sein neues Eigentum zu sich nehmen, konnte Seelenspalter aber kein Stück bewegen. Loslassen allerdings, konnte er den Griff auch nicht, denn schwarze Tentakel waren aus dem Schaft gewachsen und umschlungen seine Hand. Langsam krochen sie seinem Arm hinauf, über die Rüstung und als sie an seiner Schulter angekommen waren, begannen sie, nach Brust, Rücken und Hals zu greifen.
    Der Todesritter wusste nicht, was das bezwecken sollte, aber er akzeptierte es.
    Ruckartig zogen die Tentakel den Griff um seinen Arm und Oberkörper enger, was einen stechenden Schmerz durch den Körper des Hünen schickte.
    Plötzlich entzündeten sich die schwarzen Tentakel und brannten mit Xhars unheiligem Feuer. Unerwartet kam der sengende Schmerz und ließ Daryk schreiend auf die Knie fallen.
    Keine Folter dieser Welt war mit den Qualen, die das Höllenfeuer brachte zu vergleichen.
    Die Hitze ließ den Stahl der Rüstung schmelzen und Daryk sah das glühende Metall zu Boden tropfen.
    Noch immer kniete er mit brennendem Arm vor dem Sponton und seine Schmerzensschreie schallten durch den Tempel des Todes.
    „Nun wähle!“, rief Xhar über das brüllen der Flammen hinweg, „Leben oder Tod?“
    Kaum hatte der Gott zu Ende gesprochen, breitete sich das Feuer über Daryks ganzen Körper aus und die peinigenden Flammen raubten ihm langsam das Bewusstsein. Immer heißer spürte er das dunkle Feuer auf seiner Haut, hörte das toben der Flammen und sah Xhars Antlitz verschwimmen, bis sein Bewusstsein einmal mehr in Dunkelheit versank.

    Diesmal war es anders. Er sah keine Alpträume, keine schrecklichen Visionen seiner Familie oder anderer geliebter Menschen wie sie starben oder auf andere Weise zu Schaden kamen. Er sah nichts. Absolut gar nichts. Nur Dunkelheit umgab ihn, kein Leuchten, kein kleines Licht das ihn irgendwo hinführen konnte. Daryks Sinne waren wie betäubt, denn er spürte auch keinen Schmerz des Feuers, das ihn verbrannt hatte, oder hörte die Flammen um sich lodern.
    Einzig die Stimme des Herrn der Toten war zu hören: „Wähle! Leben oder Tod? Akzeptiere das Feuer als einen Teil von dir, oder werde von ihm verzehrt!“
    „Ich akzeptiere es!“
    , brüllte Daryk in die Finsternis und fühlte sofort eine Hitze in sich aufsteigen, die sich aber machtvoll anfühlte.
    „Wähle! Leben oder Tod?“, forderte Xhar erneut, diesmal energischer.
    Daryks Gedanken drehten sich darum, wie er sich vor ein paar Wochen nichts sehnlicher gewünscht hatte, als diese Frage gestellt zu kriegen, um sie dann mit einem „Tod“ zu beantworten. Aber seitdem hatte sich einiges geändert. Er war nicht mehr alleine und hatte neue… Freunde gefunden. Dennoch fragte er sich, ob er sich den Schmerz der Abweisung und des erneuten Verlusts antun wollte.
    Dann hörte er eine Stimme aus der Ferne. Dumpf und leise drang sie, wie durch Wasser an seine Ohren. Er konnte keine Worte ausmachen, aber war sich sicher, dass es Daphnes Stimme war, die mit ihm redete.
    „…Daryk“, hörte er Daphne gedämpft seinen Namen sagen. Sie rief nach ihm, warum wusste er nicht, aber es genügte ihm.
    „Leben!“, rief er Xhars körperloser Stimme bestimmt zu.

    Er nahm einen tiefen Atemzug, riss die Augen auf und blickte in die braunen Rehaugen der kleinen Heilerin, die ihn durch einen Schleier aus Tränen anglitzerten. Er bemerkte, dass sein Kopf auf ihrem Schoß lag und sie stieß ein befreites Lachen aus.
    „Warum muss man sich um dich ständig sorgen?!“
    , fragte sie sichtbar erleichtert.
    Mühsam lächelte er sie an und krächzte: „In meinem Traum hat das weniger wehgetan.“
    Daphne half ihm, sich aufzusetzen und er betrachtete seine Arme und seine Brust. Überrascht stellte er fest, dass er seine Rüstung trug, obwohl er hätte schwören können, dass sie zerstört worden war. Ebenso überraschend war aber die Tatsache, dass er sie nicht spürte und weder ihr Gewicht, noch ihre Berührungen wahrnahm. Der schwarze Plattenpanzer, der ein Geschenk von Daphne gewesen war, fühlte sich an, wie ein Teil von ihm, als wäre er ein Teil seines Körpers. Der Todesritter starrte seine gepanzerte rechte Hand an und stellte sich vor, wie der Panzerhandschuh verschwand.
    Kaum hatte er den Gedanken gefasst, geschah genau das und der Handschutz verbrannte förmlich an seiner Hand, welche schwarz und mit blutroten Runen verziert war. Bedächtig öffnete und schloss er die Finger und mit einem weiteren Gedanken hatte er eine kleine Kugel aus Xhars unheiligem Feuer in der Hand.
    Daphne wich einen Schritt zurück und sah ihn fragend von der Seite an. Erst jetzt bemerkte er, dass sie ein schwarzes Kleid, anstelle ihrer Alltagskleidung trug. Schnell ließ er den Feuerball erlöschen und den Handschuh seiner Rüstung aus dem Höllenfeuer erscheinen.
    „Die Macht über Feuer und Tod…“, wiederholte Daryk die Worte, die Xhar in Habgers Haus an ihn gerichtet hatte, „er hat sie mir … gegeben.“
    Er stand vom Boden des Tempels auf, richtete seinen Blick zurück zu Daphne und betrachtete das Kleid, das Daphne ausgezeichnet stand.
    Die Heilerin schien seinen verwirrten Blick zu bemerken und erklärte: „Die Tür war verschlossen, also nutzte ich die Spalten, um hierher zu gelangen.“ Sie pausierte kurz und warf ihm einen Blick zu, der aussagte, dass er wisse, was das bedeutete. Er hatte mitbekommen, dass sich ihre Kleidung nicht mit verflüssigte, also war sie wohl ohne reingekommen.
    „Helen oder eher Xhar war nicht davon begeistert, dass das blanke Leben in seinen Hallen stand!“, fuhr sie leicht errötend fort, was Daryk mit einem unterdrückten Grinsen quittierte. Ein kurzen räuspern später kam sie zum eigentlichen Thema zurück: „Die Götter besitzen seltsame Arten, ihre Kräfte weiterzugeben. Einen lassen sie sterben, den anderen brennen ...“
    Der schwarze Ritter nickte kurz und testete, ob der Rest der Rüstung sich ebenso kontrollieren ließ. Sofort verschwanden auch die anderen Rüstungsteile im Feuer und Daryk stand mit nacktem Oberkörper vor Daphne, die ihn mit weit aufgerissenen Augen musterte. An den Stellen, an denen die Tentakel gesessen hatten, war die haut schwarz verfärbt und von den gleichen blutroten Runen verziert, wie seine Hand und die Klinge des Spontons. Sie kam zu ihm gelaufen und fuhr fasziniert mit der Hand über die Zeichnungen Xhars.
    „Was hat er mit dir gemacht?“, wollte sie leise wissen, drehte sich dann zu Xhar um und fragte: „Was habt ihr vor? Noch nie haben sich Götter dermaßen in die Geschicke der Menschen eingemischt!“
    Der Gott des Todes sprach mit seiner dämonischen Stimme, aus der alles schöne verschwunden war: „Bist du sicher, Prinzessin?“ Eine kurze Pause folgte, um Daphne Zeit zum Nachdenken zu geben, aber bevor sie dazu kam auch tatsächlich zu antworten wandte er sich an Daryk und fuhr er fort: „Ich habe dir die Macht über Feuer und Tod gegeben. Mein unheiliges Feuer wird dir gehorchen und Seelenspalter nach deinen Wünschen erscheinen und verschwinden, ebenso wie deine Rüstung.“
    Als Xhar die Rüstung erwähnte, wandte er sich noch einmal an Daphne und meinte: „Gute Wahl, Prinzessin.“ Diese lächelte verlegen und murmelte etwas über Xhars Auswahl für Daphnes Kleid. Daryk zeigte keine Reaktion. Er fand das Kleid gut gewählt.
    „Ebenso wirst du durch das Reich der Toten wandeln können und die lebenden Toten… befreien. Was das bedeutet wirst du selbst herausfinden“, ergänzte Xhar, wieder an Daryk gerichtet.
    Was unser Vorhaben angeht, Prinzessin“, fuhr er zu guter Letzt noch einmal an Daphne gewandt fort, „das wird sich euch noch früh genug erschließen.“
    Beleidigt, keine befriedigende Antwort erhalten zu haben, verschränkte die Heilerin die Arme und schaute demonstrativ weg.
    „Wie…kontrolliere ich es?“, wollte Daryk mit einem Blick auf seine Hände wissen.
    „Es ist dein Wille, der das Feuer kontrolliert“, erklärte Xhar, „er muss ungebrochen bleiben, oder das Feuer wird auch dich verzehren!“
    Nickend bestätigte der Ritter seinem Herrn, dass er verstanden hatte.
    „Geht nun“, forderte der Gott, „ihr habt einen langen Weg vor euch.“
    Kaum hatte er ausgesprochen, begann er sich langsam in schwarzen Rauch aufzulösen und kurz, bevor er gänzlich verschwunden war, meinte er noch: „Vergiss deinen Helm nicht, Todesritter!“
    Als die imposante Gestalt des Herrn des Todes nicht mehr zu sehen war, richtete Daryk seinen Blick wieder auf Daphne, welche ihn ebenso unsicher erwiderte.
    „Na los, zeig schon!“, drängte sie ihn.
    Daryk zog eine Augenbraue hoch und fragte, was sie meinte.
    „Na dein Ding“, erwiderte sie und errötete, als sie merkte, was sie gesagt hatte. „Waffe!“, stellte sie mit einem unterdrückten Grinsen klar.
    Ein kurzes Lachen später konzentrierte er sich darauf, Seelenspalter zu beschwören und tatsächlich erschien die Waffe in seiner Hand. Noch ohne das glühen der Runen und die brennende Klinge war der schwarze Stahl trotzdem schon ein beeindruckender Anblick.
    Jetzt wollte er es wissen und forderte seine komplette Ausrüstung vom Höllenfeuer.
    Der Plattenpanzer erschien und er spürte die Wärme des Feuers in seinem Gesicht, die ihm sagte, dass er nun auch seinen Helm trug. Auch hier verspürte er keinerlei Einschränkung, wie sie ein Helm normalerweise mit sich brachte. Er konnte normal atmen und sein Sichtfeld war uneingeschränkt. Zu guter Letzt entzündete er das Feuer an der Klinge der Waffe und konnte im Blick der Prinzessin erkennen, dass er ein mächtiges Erscheinungsbild abgeben musste.
    „Unauffällig ist das nicht“, meinte sie nach einem kurzen Moment des Schweigens etwas verunsichert.
    „Nein“, erwiderte Daryk kopfschüttelnd und erschrak beinahe vor seiner eigenen Stimme. Er war es gewohnt, dass das Tragen eines Helms die Stimme verzerrte, aber nun war sie der von Xhar ähnlicher, als seiner eigenen.
    Daphne starrte ihn verunsichert an und schien nicht so recht zu wissen, ob er wirklich der war, für den sie ihn hielt.
    Schnell ließ er Waffe und Helm verschwinden und stellte dankbar fest, dass seine Stimme auch wirklich wieder normal war als er sagte: „Keine Sorge, das liegt nur am Helm.“
    Immer noch skeptisch blickte die kleine Frau zu ihm auf.
    „Lass uns hier verschwinden“, schlug er vor und zeigte zur Tür, die inzwischen wieder offen stand. Vermutlich hatte Xhar sie geöffnet, bevor er verschwunden war.
    Sichtlich unwohl war Daphne, als sie auf den dunklen Gang hinter der Tür zuging und auch Daryks „Ich bin bei dir“, führte nur zu einem unsicheren Lächeln.
    „Im Wasser fühle ich mich wohler, als im Dunkeln“, gab sie schließlich zu.
    Lächelnd erinnerte Daryk sie daran, dass es bei ihm anders herum war und sie ihn auch nicht hatte ertrinken lassen.
    Sie erwiderte das Lächeln und ging zögerlich vor ihm her durch die Tür.

    Draußen brannte noch immer das Kohlebecken und Daphnes Kleidung lag in einem unordentlichen Haufen daneben. Schnell sammelte sie ihre Kleidung auf, die sie jetzt wohl anziehen würde, wenn Xhar ihr nicht das Kleid geschenkt hätte.
    Den Armreif, den Daryk ihr geschenkt hatte, streifte sie sich wieder über den linken Arm und faltete den Rest flüchtig zusammen.
    Das Kohlebecken erlosch plötzlich und das krachen der Tür, welche wieder ins Schloss fiel war deutlich zu hören. Sofort war die Dunkelheit wieder allumfassend und Daphne wurde merklich unruhiger neben Daryk.
    Er fühlte, wie sie seine Hand nahm und sich daran festklammerte. Er erlaubte sich, dieses Gefühl kurz zu genießen, bevor er in der anderen Hand einen kleinen Feuerball aufflammen ließ, welcher wenigstens etwas Licht in den Gang warf.
    Da die Prinzessin die Hand des Ritters nicht losließ, ging er los und zog sie sanft hinter sich her.
    In der Ferne war das Licht am Ende des Tunnels zu sehen, welches auf den Ausgang hinwies. Je näher das ungleiche Paar dem Licht kam, desto lockerer wurde Daphnes Griff um seine Finger, bis sie sie schließlich losließ.
    Als sie endlich die Finsternis hinter sich gelassen hatten und die Halle von Leben und Tod betreten hatten, atmete die Schurkin deutlich hörbar durch und entspannte sich wieder etwas.
    Wortlos eilten die beiden durch den Tempel und kamen endlich an den Treppen an, welche nach draußen führten.
    Ohne darüber nachzudenken ging Daryk die Stufen hinab, bis er Daphnes Stimme zu weit hinter sich vernahm.
    „Daryk… warte!“
    , rief sie ihm nach und er drehte sich herum und stellte fest, dass sie noch immer am oberen Ende der Treppe stand.
    „Was ist?“, wollte er wissen, aber sie winkte ihn nur mit beiden Händen zu sich.
    Er folgte ihrer Aufforderung und ging die Stufen wieder hinauf, bis er vor ihr stand. Obwohl er zwei Stufen unter ihr stehen blieb, war er immer noch größer als sie.
    Daphne legte den Kopf schief, lächelte ihn an und legte ihre Hände auf seine Schultern. Dann machte sie einen kleinen Hüpfer und sprang ihm in die Arme. Daryk fing die Heilerin auf und hielt sie nun vor sich, als würde er seine Ehefrau über die Schwelle tragen wollen.
    „Ich kann mit dem Kleid keine Treppen steigen“, erklärte sich Daphne und zeigte auf ihre Beine.
    Tatsächlich war der Stoff an ihren Beinen nicht nur quasi durchsichtig, sondern auch sehr eng und erlaubte keine Bewegungen, die zum Bezwingen von Stufen nötig gewesen wären.
    Daryk lächelte, drehte sich vorsichtig um und verließ den Tempel mit seiner wertvollen Fracht, welche in seinen Armen lag und sich an seinem Hals festhielt.
    Unten angekommen ging Daryk einfach weiter und kam gar nicht auf die Idee, sie wieder hinzustellen.
    Nachdem er einige Schritte gegangen war, sah sie zu ihm auf und meinte: „Ehm… Daryk?“
    Ohne stehenzubleiben sah er sie an, merkte was sie meinte und zuckte die Schultern.
    „Ja, du hast recht“, sagte sie beiläufig, „mit dem Kleid kann ich wirklich nicht durch den Wald laufen.“
    Sie grinste ihn frech an und forderte: „aber wenn ich zu schwer werde, sagst du es!“, was er mit einem Lächeln quittierte.
    Schritt für Schritt trug der Todesritter die Prinzessin des Lebens durch den Wald.
    „Was ist da drin passiert?“, fragte die kleine Frau in seinen Armen in die Stille.
    Daryk überlegte, wie viel er ihr verraten sollte und kam zu dem Schluss, dass es Dinge gab, die sie nicht zu wissen brauchte. Eines dieser Dinge war die Tatsache, dass seine Familie vor seinen Augen geopfert wurde und nun seine neuen Kräfte nährte und nun immer bei ihm sein würde.
    „Xhar gab mir die Wahl zwischen Leben und Tod“
    , erzählte er, „und den Rest hast du gesehen.“
    Sie nickte nachdenklich.
    „Gab es irgendwas, was dir die Wahl ... erleichtert hat?“, wollte sie zögerlich wissen.
    Daryk konnte spüren, wie ihr Blick ihn durchbohrte, weshalb er zu ihr hinuntersah und den Blick erwiderte.
    Kurz schwieg er. Er hatte ihre Stimme gehört, hatte sie seinen Namen rufen hören. Sie war der Grund, warum er Leben gewählt hatte und er nahm an, dass sie das wissen sollte.
    „Ja“, gab er leise zu, „dich.“
    Mit großen Augen starre die Prinzessin den Ritter an und das Mondlicht in ihrem Gesicht zeigte deutlich, dass sie errötete.
    „I-Ich?“, fragte sie leise und schien es gar nicht glauben zu können, was sie gerade gehört hatte, „das, was ich gesagt habe, dass ... dass kann ich erklären. Ich will nicht, dass du dich zu irgendetwas verpflichtet fühlst, nur, weil …“
    Daryk schüttelte, noch immer laufend, sanft den Kopf und unterbrach sie: „Ich weiß nicht, was du gesagt hast. Ich habe nur deine Stimme gehört, nicht deine Worte.“
    Etwas verwirrt wanderte ihr Blick von seinen Augen in den Nachthimmel und wieder zurück.
    „Aber… wie kann ich dann der Grund…“, fing sie an, unterbrach sich aber selbst, als sie sein Lächeln bemerkte.
    „Was glaubst du, Prinzessin?“, wollte er antworten, als er mit dem Fuß an einer Wurzel hängen blieb und das Gleichgewicht verlor. Schnell zog er Daphne fest an sich, um sie nicht fallen zu lassen und schaffte es irgendwie, nicht nach vorne, sondern nach hinten zu fallen.
    Noch immer hielt er sie fest umschlungen im Arm als er hart auf dem Hintern landete. Vielleicht hätte er zwischendurch mal auf den Weg schauen sollen, anstatt nur auf Daphne.
    „Sehr elegant“, lobte sie grinsend, „ich hab doch gesagt, du sollst sagen wenn ich zu schwer werde.“
    Schmunzelnd und mit einem Husten fragte er, ob bei ihr alles in Ordnung war.
    „Ja“, meinte die kleine Frau lachend, „und bei dir?“
    Erleichtert, sie nicht verletzt zu haben nickte er.
    Ihr Blick wirkte wieder leicht verunsicherter, als sie erneut zu ihm aufsah und mit leiser Stimme fragte: „Was wolltest du sagen?“
    Zögerlich erwiderte der sitzende Ritter ihren Blick und sah ihr in die Augen.
    Erwartungsvoll schaute sie ihn an und wie am Lagerfeuer, wurden seine Gedanken von einem einzigen überschattet: „Küss sie!“
    Daphne schloss ihre Augen, als würde sie ihn auffordern es zu tun. Daryk hörte auf, über das Wenn und Aber nachzudenken und tat es ihr gleich.
    Diesmal kam kein schlechtes Gewissen dazwischen, kein Störenfried, der nach ihm rief und als ihre Lippen sich endlich trafen, fühlte er, wie all die Anspannung von ihm abfiel. Als sie den Kuss erwiderte, zog er sie noch fester zu sich und verlor sich in diesem Moment.
    So schön er auch war, der Moment ging zu Ende und sie ließen voneinander ab.
    Daphne strahlte ihn kurz an und lehnte dann ihren Kopf an seine Wange. Ein wenig lockerte Daryk den Griff um die junge Frau in seinen Armen und genoss ihre Anwesenheit.
    Eine Weile saßen beide schweigend und auf dem nächtlichen Waldboden und er hatte kein Bedürfnis, das in absehbarer Zeit zu ändern.
    Plötzlich brach Daphne das schweigen. „Daryk ... was hier gerade geschehen ist, darf niemand wissen“, flüsterte sie mit gebrochener Stimme. Sie setzte sich auf und sah ihm in die Augen, bevor sie schnell fortfuhr: „Nicht, dass ich das nicht gewollt habe oder will, aber wir reisen in meine Heimat.“
    Daryk zog eine Augenbraue hoch und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er wandte den Blick von ihr ab und schaue auf den Waldboden neben sich.
    Sanft umfasste sie seine Wange mit ihrer Hand und wandte sein Gesicht wieder dem ihren zu.
    „Ich weiß nicht, was sie mit mir machen, also will ich mir nicht ausmalen müssen, was sie mit dir machen würden, wenn sie… wenn sie es wüssten“
    , erklärte sie weiter. Er erkannte einen Anflug von Verzweiflung in ihrem Blick.
    In Ymilburg hatte er ihre Brüder erlebt und Daphnes Behandlung durch die Zofen mitbekommen und konnte sich denken, dass es bei ihr zuhause noch viel schlimmer sein würde.
    Leicht geknickt akzeptierte er es und nickte leicht. „Ich… verstehe.“
    Noch immer hatte sie ihre Hand an seiner Wange und musterte sein Gesicht.
    „Wirklich“, ergänzte er mit einem, wenn auch traurigen, Lächeln.
    Der Blick der Heilerin wurde wieder etwas hoffnungsvoller. Sie nahm legte nun auch eine Hand auf Daryks andere Wange und zog seinen Kopf zu einem zweiten Kuss heran, als wollte sie ihm klarmachen, dass sie es ernst meinte.
    Der Ritter erfreute sich an jeder Sekunde mit seiner Prinzessin und als sie zum zweiten Mal voneinander abließen, lächelte sie ihn glücklich an.
    Dann schälte sie sich sanft aus seiner Umarmung und stand auf. Mit dem Rücken zum Hünen stand sie da, zeigte auf die Schnürungen am Rücken von Xhars Kleid und meinte: „Hilfst du mir das auszuziehen?“
    Irritiert erhob er sich vom Waldboden, öffnete die Schleife und lockerte die Schnüre, bis das Kleid zu rutschen begann. Daphne hinderte es daran, und presste es mit der linken Hand an ihre Brust.
    „Danke“, sagte sie leise.
    Mit nacktem Rücken stapfte die kleine Frau mit ihren Klamotten hinter den nächsten Baum und begann sich umzuziehen.
    Nach kurzer Zeit kam sie, in gewohnten Klamotten und dem Kleid über dem Arm, wieder hervor. Sie hängte das Kleid über einen Ast und lächelte ihn an.
    „Komm, wir gehen Holz sammeln“, forderte sie Daryk auf, welcher fragend eine Augenbraue hochzog.
    „Für das Lagerfeuer“, führte Daphne grinsend aus, „es sei denn, du willst schon zu den anderen zurück?“
    Als er verstand, was sie meinte half er gerne sammeln und bald war ein stattliches Lagerfeuer errichtet.
    Daryk ließ es sich nicht nehmen, seine neuen Kräfte zu nutzen, um es zu entzünden und setzte sich anschließend zufrieden auf einen Baumstumpf neben der Feuerstelle.
    Mit auf dem Rücken verschränkten Armen stellte Daphne sich vor ihn und blinzelte ihn unschuldig an.
    Er konnte sich denken, was sie vorhatte, weshalb er seine Hände vom Schoß nahm und sich Aufrecht hinsetzte.
    Lächelnd setzte sich Daphne auf seinen Schoß und nahm seine Hände in den ihren. Wie vor einigen Tagen schon am Lagerfeuer lehnte sie sich an ihn an.
    Sie strich mit den Fingern über die schwarze Hand des Ritters und zeichnete die Runen des Totengottes nach.
    „Ich bin froh, dass du Leben gewählt hast“, flüsterte die Heilerin und drehte ihr Gesicht zu Daryk.
    Lächelnd nickte der Hüne die Prinzessin an und küsste sie zum dritten Mal an diesem Tag.
    Die ganze Nacht saßen sie am Feuer und erfreuten sich an der Zeit zu zweit. Erst kurz vor Sonnenaufgang, als die anderen noch schliefen, kehrten sie in das Lager zurück und stellten sicher, dass sie keiner bemerkte.

    Mit einem etwas weniger eleganten Gang als man es von ihr gewohnt war stapfte Daphne an Thyra, Theical und Jaris vorbei aus dem Gasthaus. Linseneintopf tropfte noch immer von seinem Kinn, als Daryk damit begann, die Tische, die er bei Daphnes Verfolgung zur Seite geschoben hatte, wieder vor die Personen zu stellen, die von ihnen aßen. Wirklich böse war ihm wohl keiner, da die Unterhaltung, die sie geboten hatten in diesem Kaff wohl mehr Wert war, als ein ungestörtes Essen.
    Seit er sie kannte hatte Daryk die kleine Frau noch nie so unbeschwert lachen gesehen und er selbst hatte sich auch schon lange nicht mehr so amüsiert.
    Der Wirt kam mit einem Putzlappen zu ihm herüber und fragte lachend, was die Aktion zu bedeuten hatte.
    „Sie hat angefangen“, antwortete Daryk grinsend und bot seine Hilfe beim Aufwischen an.
    Der Besitzer des Gasthauses winkte ab. „Das ist nicht das erste Mal, dass ich hier Essen aufwische und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein“, meinte er und bedeutete Daryk, dass er sich waschen gehen konnte.
    Dankbar, nicht auch noch die Sauerei aufwischen zu müssten, folgte er Daphne in Richtung des Waschhauses vor der Tür.
    Als er an Thyra vorbeiging, die offensichtlich wieder normal reden konnte, sagte diese: „Daryk, ich glaube, wir sollten erklären, was….“
    „Nein“
    , unterbrach er sie grinsend, „ich will es gar nicht wissen.“
    Sanft schob er sie zur Seite, ging weiter und überhörte das „aber“, dass ihm Theic nachrief. Er wollte sich nicht schon wieder darüber aufregen, dass jemand Magie, die er nicht richtig beherrschte auf ihn anwenden wollte. Abgesehen davon waren die Linsen in seinem Gesicht auch nur bedingt angenehm auf Dauer. Auf dem Weg zum Badehaus strich er sich bereits so viel Eintopf wie möglich vom Schädel und aus dem Bart, um nicht in Linsensuppe zu baden.
    Da Badehaus bot bereits von weitem einen erbärmlichen Anblick, aber in einem kleinen Ort wie diesem musste man ja froh sein, wenn es überhaupt eine Möglichkeit gab, sich zu waschen.
    Kurz hielt Daryk inne und überlegte, ob er einfach so hineinspazieren konnte. Immerhin war es ein Waschhaus und Daphne hatte genau das vor. Da die Tür aber offenstand, nahm er an, dass er eintreten durfte.
    Die Heilerin hing kopfüber in einer der beiden hölzernen Wannen und strampelte mit den Beinen um nicht gänzlich hineinzufallen.
    Verwirrt kniff der Hüne die Augen zusammen als er fragte: „Was genau tust du da?“
    Mit einer Hand zog Daphne sich am Rand der Wanne nach oben und blickte ihn durch einen Vorhang aus losen Haaren an.
    „Wenn man sich in diese Dinger legt, ist man schmutziger als vorher…“
    , fluchte sie.
    „Irgendwie bezweifle ich das“, meinte Daryk grinsend, während er sich eine weitere Linse aus dem Bart pulte, „kann ich dir helfen?“
    Nachdem die Schurkin die Strähne aus ihrem Gesicht gepustet hatte, schaute sie sich im Raum um und überlegte kurz. „Erstmal brauchen wir Licht hier drin“, meinte sie dann, „Wenn wir die Tür zumachen, ist es hier drin duster, abgesehen davon, habe ich noch kein Feuer für die heißen Steine gemacht. Um die fehlenden Vorhänge kümmere ich mich, wenn ich die zwanzig Jahre Schmutz hier draußen habe. Die andere Wanne ist bereits sauber.“
    Ein flüchtiger Blick in die andere Wanne bestätigte Daphnes Aussage und lächelnd verkündete der Ritter, dass er Holz holen und Feuer machen würde.
    Bevor die kleine Frau seine Aussage bestätigen konnte, verlor sie den Halt auf dem Rand und landete leise fluchend im schmierigen Grund der Wanne.
    Sie hob ihren linken Arm, an dem sie den Armreif trug, in die Höhe.
    „Alles okay, nichts passiert ... In Ordnung“, meinte sie sofort, „was ist das ... Igitt, sind das etwa Algen?!“
    Daryk griff die erhobene Hand der Prinzessin und zog sie wieder auf die Beine.
    „Ich glaube der Fluss wäre sauberer“, meinte der Ritter, während er Daphne an der Taille nahm, aus der Wanne hob und vorsichtig wieder auf den steinigen Boden stellte.
    „Das mag sein“, lächelte sie ihn an, „aber es ist bereits so kalt geworden, dass weder du noch ich, gerne in einem Fluss baden. Mir macht das kalte Wasser nichts aus, aber die kühle Luft ist etwas Anderes.“
    „Dann geh ich mal für warme Luft sorgen“
    , teilte der Hüne der kleinen Frau ebenso lächelnd mit und verließ das Badehaus.
    Hinter sich hörte er Daphne rufen: „Beeilung, Beeilung, setz deine schweren Knochen mal in Bewegung oder muss die Prinzessin hier alles alleine machen?! Ist ja immerhin deine Schuld, dass wir so aussehen!“
    Kopfschüttelnd ging er mit einem Lachen hinaus und fand den Stapel mit dem Feuerholz hinter der Hütte und nahm eine ordentliche Ladung davon mit zurück. Auf dem Rückweg fand er einen kleinen Bach, der, offenbar von Daphne gesteuert, durch die Luft waberte. Scheinbar hatte sie beschlossen, dass es ihr zu lange dauerte die Wannen von Hand zu füllen und das Wasser aus dem Fluss umgelenkt.
    Als er das Badehaus wieder betrat begann er das Holz an der dafür vorgesehen Stelle zu stapeln und entzündete es.
    „Halt mal“, meinte Daphne und hielt ihm eine Schnur hin. Er richtete sich auf und nahm ihr mit einem fragenden Blick das dünne Seil ab.
    „Siehst du gleich“, beantwortete sie die nicht gestellte Frage nach dem „warum“ und nahm das andere Ende der Schnur in den Mund. Sie richtete ihren Blick auf einen Haken, der in etwa zweieinhalb Metern Höhe an der Wand befestigt war, nahm Anlauft und stieß sich mit zwei schnellen Schritten von der Wand ab. Im Sprung griff sie nach dem Dachbalken der Hütte und zog sich daran hoch. Mit den Beinen hielt sie sich daran fest und ließ den Oberkörper kopfüber baumeln. Ihr langer Zopf schwang hin und her, während sie eilig das Seil an dem Haken festband. Rasch war sie wieder heruntergeklettert und bedeutete Daryk, sein Ende der Schnur an einem ähnlichen Haken an der gegenüberliegenden Wand zu befestigen. Aufgrund seiner Körpergröße konnte er dies ohne akrobatische Einlagen erledigen und bald war die Schnur, über die scheinbar die Laken zum Sichtschutz zwischen den beiden Wannen gehängt wurden, gespannt.
    Nach getaner Arbeit drehte er sich wieder zu ihr und beobachtete sie dabei, wie sie versuchte, die Laken über das Seil zu werfen. Grinsend verschränkte er die Arme und wartete, bis sie es aufgab. Mit unterdrücktem Lachen kam sie schließlich zu ihm und drückte ihm die drei Laken gegen den schwarzen Brustpanzer. „Warum sollte ich mich quälen, wenn du hier rumstehst?“, fragte sie nun doch lachend, „Ich hole zwei Lampen oder was der Wirt entbehren kann, damit wir nicht im Dunklen baden müssen!“
    Tatsächlich war die einzige Lichtquelle des Raumes die Tür, die nachher mit Sicherheit verschlossen sein würde, und ein winziges Fenster, das aber dermaßen verdreckt war, dass es kaum noch Licht durchließ.
    Daryk warf die Stofffetzen über die Leine und Sorgte dafür, dass sie nicht rutschten.
    Nach kurzer Zeit kam Daphne mit zwei kleinen Öllampen, ihren Wechselklamotten und einem genervten Gesichtsausdruck zurück.
    Bevor der Ritter eine Chance hatte, zu fragen, was geschehen war, hatte sie bereits begonnen über das ständige Lachen des Wirts zu schimpfen: „Ist das zu glauben? Da schrubbe ich sein Bad wie eine Dienstmagd und er meint ‚eine Wanne reicht doch für euch beide!‘. Mal abgesehen davon, dass jeder darauf rumreitet, wenn ein Mann und eine Frau irgendwo ... irgendwo alleine sind, als hätten beide nichts Anderes zu tun, als stetig übereinander herzufallen wie die ausgehungerten Wölfe, hätte eine Wanne nicht gereicht! Ich mag ja nicht groß sein, aber ich bin keine Fee. Dieser Wirt unterschätzt bei weitem die Größe seiner Wannen ... und deren Zustand.“
    Wortlos nahm Daryk die Schimpftirade der Prinzessin zur Kenntnis und nahm ihr eine der Lampen ab. Während er sie neben die hintere Wanne stellte, regte sich Daphne weiter auf: „Und als ich dann wegen den Vorhängen anfing, hab es bei seiner Belustigung kein Halten mehr! Wie auch immer ... der hat mich zum ersten und letzten Mal hier gesehen!“
    Daryk versuchte sie zu beruhigen, indem er sie darauf hinwies, dass die Gruppe ja morgen ohnehin weiterreisen würde. Nebenbei schaffte er die Heizsteine in das Wasser und verschloss die Türe mit dem bereitgelegten Balken.
    Sie nickte bestimmt, was keinen Zweifel daran ließ, dass sie morgen wirklich die Pferde satteln würden und verkündete, die hintere Wanne zu benutzen, welche von der Tür aus nicht zu sehen war.
    „Ich will mir etwas meiner übriggebliebenen Würde bewahren!“, lachte sie, als sie hinter dem Vorhang verschwand.
    „Ja, ich stell meine Würde dann vor die Tür“, scherzte Daryk und prüfte die Temperatur seines Badewassers.
    „Wenn jemand hereinkommen würde brauchst du nur bedrohlich gucken, wenn ich bedrohlich gucke, wird das höchstens mit einer Einladung verwechselt“, stellte Daphne klar und warf ihre schmutzigen Klamotten vor den Vorhang, „also stell dich mal nicht an. Du bist doch hier der Ser von und zu Ritter!"
    Der angesprochene Ritter begann, sich aus seiner Rüstung zu schälen und erwiderte ein übertrieben höfliches „sehr wohl, Prinzessin!“
    Das Klirren und Krachen der Rüstungsteile, die auf dem Boden landeten erfüllte den Raum und Daphne wartete geschickt die Pause zwischen Brustpanzer und Beinschienen ab um etwas zu sagen.
    „Noch ein paar Tage und wir erreichen die Grenze, da kenne ich zumindest ein paar Gasthäuser, bei denen wir für meinen Bruder anschreiben lassen. Da ist das Geld nicht mehr so wichtig!“, gab sie zu bedenken.
    Daryk sah zu dem Vorhang hinüber und stellte fest, dass das Licht der Lampe ihren Schatten auf dem Stoff abbildete.
    „Sind die dann sauberer?“, fragte er, auch um sich selbst vom ihrem Schatten loszureißen, der gerade den dicken Zopf gelöst hatte.
    „Die, die ich kenne, ja ... Zu Anfang war ich noch wählerischer, bis mir das Gold ausging. Ich hatte ja keine Ahnung, wie teuer das Leben außerhalb des Schlosses war“, lautete ihre Antwort, die vom plätschern des Wassers begleitet war.
    Zur Bestätigung ihrer Aussage brummte Daryk vor sich hin und entledigte sich dem letzten Rüstungsteil.
    Befreit streckte er sich und streifte auch den Rest seiner Kleidung ab, ehe er sich ins heiße Wasser begab.
    Die Wärme tat gut und er tauchte einmal unter, um das Abendessen aus seinem Gesicht zu waschen.
    Eine Weile war es ruhig und er entfernte alle Linsen, die er finden konnte.
    Unvermittelt flüsterte Daphne: „Daryk, kennst du es, wenn man sich beobachtet fühlt?“
    Der Angesprochene zog eine Augenbraue hoch. Meinte sie etwa, er würde sie beobachten?
    „Was meinst du?“, wollte er unsicher wissen.
    „ich glaube ich werde beobachtet“, wiederholte die Heilerin, „von draußen“
    Seufzend kletterte der selbsternannte Leibwächter der Prinzessin aus der Wanne und zog seine Hose wieder an.
    „W-was tust du?“, zischte Daphne leise.
    „Augen schließen“, entgegnete Daryk knapp und hievte den Holzbalken vor der Türe weg. Er verließ das Gebäude und zog die Türe hinter sich wieder zu. Daphnes Einschätzung war richtig gewesen, es war kalt draußen. Vor allem, wenn man nass und ohne Oberteil durch die Gegend lief. Innerlich fluchte er vor sich hin, weil es immer einen Idioten gab, der meinte Frauen beim Baden beobachten zu müssen.
    Tatsächlich erkannte er einen Mann der versuchte durch das verdreckte Fenster zu blicken, als er um die Ecke der Hütte bog.
    Er verdrehte die Augen und näherte sich dem Kerl unbemerkt. Hinter ihm angekommen fragte er: „Gefällt dir was du siehst?“
    Ohne seinen Blick vom Fenster zu nehmen antwortete der Kerl: „Es ist leider zu dunkel um etwas zu erkennen.“
    „Das tut mir leid“
    , meinte Daryk, „soll ich Licht machen?“
    Der Beobachter winkte ab und nuschelte: „Haben die schon angefangen oder sind die fertig?“
    Angefangen? Was hatte der Wurm erwartet zu sehen?
    „Vielleicht waren das die zwei Minuten, in denen ich pinkeln war“, fuhr er, scheinbar ernsthaft darüber nachdenkend, fort.
    Daryk beschloss, weder Daphne, noch sich weiter beleidigen zu lassen und zerrte den Mann von seinem Ausguck.
    Überrascht schaute der Kerl in die eisblauen Augen des schwarzen Ritters und erkannte endlich, wer da vor ihm stand.
    Er wollte gerade zu einer Verteidigung ansetzen, da hatte Daryk schon seine Faust in seinem Gesicht platziert. Noch bevor der Mann eine Chance hatte umzufallen, griff Daryk ihn am Hals und starrte ihn einige Sekunden an.
    „Ich sollte gehen“, röchelte der Mann schließlich
    „Das glaube ich auch“, bestätigte Daryk mit ruhiger Stimme diese Aussage, „und wenn ich dich nochmal an diesem Fenster erwische, kannst du in Devyleih als Wache der Prinzessin arbeiten. Verstanden?“
    Der ungewollte Beobachter nickte eindringlich und schien es verstanden zu haben.
    Daryk löste den Griff um die Kehle des Mannes und ging einen Schritt zur Seite um ihn durchzulassen.
    Eilig rannte der Mann zum Gasthaus und der Hüne ging kopfschüttelnd zurück ins Badehaus.
    „War… da jemand?“, wollte Daphne zögerlich wissen, als der die Hütte betrat. Offensichtlich fühlte sie sich bei dem Gedanken beobachtet worden zu sein äußerst unwohl.
    Daryk überlegte wohl einen Moment zu lange, ob er es ihr sagen sollte, oder nicht. Inzwischen hatte die Heilerin anscheinend gelernt, auch sein Schweigen richtig zu deuten.
    „Lebt er noch?“, fragte sie amüsiert.
    „Ja“, meinte er mit einem Lachen, „aber er wird sich in Zukunft genau überlegen, durch Fenster zu schielen, die ihn nichts angehen.“
    Ein kurzes Kichern von hinter dem Vorhang zeigte Daryk, dass Daphne zufrieden war.
    „Wie immer, sehr ritterlich!“, lobte sie, gefolgt von einem Moment der Stille.
    „Ich frage mich schon die ganze Zeit…“,
    fing sie leise an, „warum du dir, nach all dem was dir passiert ist, noch Sorgen um andere machst.“
    Inzwischen war er wieder in seine Wanne geklettert und strich sich über den Kopf.
    „Ich habe genügend Menschen verloren, die mir wichtig waren... Vielleicht wenn …wenn ich Bedrohungen früher ausschalte... passiert einmal …nichts ...“, gab er schließlich leise zu.
    Wieder ein Moment der Stille, der durch die Tatsache, dass sie sich durch einen Vorhang unterhielten, und Daryk so ihr Gesicht nicht sehen konnte, unendlich lang zu sein schien.
    „Das heißt also, ich… bin dir wichtig?“, fragte die Prinzessin dann verunsichert.
    Daryk schloss die Augen und verdrängte für einen Moment alle Zweifel und alles schlechte Gewissen aus seinem inneren. Obwohl er wusste, dass sie es nicht sehen konnte, nickte er bestimmt und meinte: „Ja.“
    Nur das Plätschern des Wassers war in den endlosen Sekunden zwischen seiner Antwort und Daphnes Reaktion darauf zu hören. Dann endlich räusperte sie sich und meinte: „Soso.“
    Ihr Schatten auf dem Vorhang verriet, dass sie sich über den Rand der Wanne lehnte und nun ihm zugewandt saß.
    „Ich bin dir also wichtig?!“, wiederholte sie, aber bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte, fuhr sie bereits fort: „Nur, dass wir uns richtig verstehen. Bin ich eher so ‚ich beschütze sie brüderlich vor Lüstlingen‘ - wichtig?“ Sie machte eine kurze Pause und ergänzte dann: „Oder ist es mehr die Variante ‚ich wäre gern selbst der Lüstling‘ - wichtig?“
    Daryk wusste die Antwort auf diese Frage. Was er aber nicht wusste, war wie er diese Antwort mit seinem Gewissen seiner Familie gegenüber vereinbaren sollte und wie sie zu dieser Antwort stehen würde.
    Gerade als er das Gefühl hatte, schon wieder einen Moment zu lange geschwiegen zu haben, klopfte es an der Tür und die Stimme des Wirts drang herein: „Hey ihr zwei! Man sucht schon nach euch, also beeilt euch mal!“
    Während er fortging setzte er noch ein ich mach die Sauerei übrigens nicht weg!“ hinterher.
    „Als ob der hier drin irgendwas sauber machen würde“, grummelte Daphne und kletterte offensichtlich aus der Wanne, „bevor hier noch jemand die Tür einschlägt, sollten wir zurückgehen.“
    Daryk brummte erneut eine Zustimmung und machte sich ebenfalls daran, sich wieder anzuziehen.

    „Der Herzog empfängt keine Gäste“, versuchte der Wachmann vor dem Arbeitszimmer des Herzogs Daryk abzuwimmeln.
    „Ich bin kein Gast“, meinte dieser ruhig und wollte an dem Mann vorbei durch die Tür gehen.
    Mit einem schnellen Schritt stellte sich die Wache in Daryks Weg und sah zu ihm auf.
    „Der Herzog empfängt niemanden“, stellte er klar, „egal ob Gast oder nicht!“
    Die Schmiede aus Devyleih hatten ganze Arbeit geleistet und die Rüstung in Rekordzeit wieder einsatzbereit gemacht. Daher stand der schwarze Ritter, abgesehen vom Helm, in voller Montur vor dem Wächter und zog die Augenbraue hoch.
    Mich wird er empfangen“, sagte er voraus und schob seinen Widersacher aus dem Weg.
    Der Mann gab nicht so einfach auf und zog sein Schwert. Schnell richtete er es auf Daryk und wiederholte: „Ich kann Euch nicht hineinlassen!“
    Unbeeindruckt von der Waffe grinste Daryk den Soldaten an und griff nach der Klinge seines Schwertes. Mit einem Ruck entriss er dem Wachmann das Langschwert und warf es zur Seite. Klirrend landete es irgendwo im Gang auf dem Boden und sein Besitzer schaute ihm überrascht hinterher.
    „Dann geh wenigstens aus dem Weg“, verlangte Daryk und schob den Mann erneut zur Seite.

    Verdutzt blickte Aras von seinem Schreibtisch auf, als Daryk das Zimmer betrat.
    „Daryk? Was willst…“, fing er an, verstummte aber schnell als er den Blick des Ritters bemerkte.
    Hinter Daryk schob der Wachmann seinen Kopf durch die Tür.
    „Verzeiht, Herr“, entschuldigte er sich, „Ich konnte ihn nicht aufhalten.“
    Aras winkte ab. „War zu erwarten. Ich werde mit ihm fertig, schließt die Tür!“
    „Das werden wir sehen!“
    Der Soldat verbeugte sich kurz und tat wie ihm geheißen.
    „Du hast mich verflucht!“, warf Daryk dem Magier mit ruhiger Stimme vor.
    „Ist es nicht egal, wie man es nennt, solange es das tut, was ich angekündigt habe?“, blockte der Lord die Anschuldigungen ab.
    Er hatte nicht unrecht damit, aber der Fluch an sich war auch nicht Daryks Problem dabei.
    „Das ist wahr“, stimmte er Zacharas zu und ging langsam auf den Schreibtisch zu, „bis darauf dass du vergessen hast die Nachwirkungen zu erwähnen!“
    „Es war wichtig, dein ganzes Potential zu nutzen! Du hättest den Oger niemals ohne meine Hilfe besiegt!“
    , verteidigte sie der Herzog mit erhobenem Zeigefinger.
    Aus einer Ecke des Raumes war Kuen, welche gerade Bücher in ein Regal einsortiert hatte, zu hören: „Mein Herzog wollte keine Zweifel in Euch sähen! Das hätte Euch nur geschwächt!“
    „Zweifel?!“
    , knurrte Daryk und näherte sich dem Schreibtisch weiter. Wenn es eines gab, woran Daryk niemals zweifelte, waren es seine Fähigkeiten im Kampf.
    „Bist du sicher, dass es nicht daran lag, dass du Angst hattest ich würde dein ‚Angebot‘ ablehnen?“, verlangte er zu wissen. Inzwischen war er am Schreibtisch angekommen und blickte auf den sitzenden Zacharas hinunter. Zurückerinnert an die Magier seiner Heimat, welche ebenso nur auf ihr eigenes Wohl aus waren, spüre Daryk eine tiefe Abscheu gegenüber dem Mann.
    Schweigend kratzte sich der Zauberer am Kinn und musterte Daryk. Nach kurzem schweigen zeigte Aras auf Daryk und meinte: „Ich glaube dein Problem liegt bei dir selbst, Daryk!“
    „Tut es das“
    , knurrte dieser und tat sich schwer seine Wut in Zaum zu halten.
    Lächelnd nickte Aras. „Ist es nicht viel eher so, dass du sauer bist, dass ich euch am Lagerfeuer… gestört habe? Dass du deine tote Frau nicht mit Daphne ersetzen kannst, die ihr oh so ähnlichsieht, weil sie dir als Ritter auch gar nicht zusteht?“
    Daryk fühlte seine Hände sich zu Fäusten ballen und musste seinen ganzen Willen aufbringen um den Herzog nicht über seinen Schreibtisch zu zerren und durch den Raum zu werfen.
    Ganz dünnes Eis, Herzog!, spie er Aras entgegen. Einerseits hatte er natürlich recht. Daryk war wütend, dass dieser Moment unterbrochen worden war, aber die Anschuldigung, Khyla durch Daphne zu ‚ersetzen‘ war zu viel.
    Kuen hatte wohl gesehen, dass Daryk sich anspannte und kam herübergelaufen.
    Sie griff Daryk am Arm und meinte: „Das reicht jetzt, der Herzog muss…“
    „Der Herzog muss gar nichts!“
    , unterbrach Daryk die Frau und schob sie fester als eigentlich beabsichtigt von sich. Sie stolperte ein paar Schritte zurück und wollte sofort wieder auf ihn zulaufen, bevor sie den Blick des Ritters bemerkte und wie angewurzelt stehen blieb.
    „Hör zu, es tut mir Leid, was mit deiner Familie geschehen ist“, sprach Aras in einem Tonfall, der es schwer machte ihm zu glauben, „aber auch ich habe jemanden verloren, der mir wichtig war. Und bei der Schlacht hätte ich beinahe alles verloren, was ich besitze! Ich weiß was du…“
    Weiter kam der Herzog nicht, denn Daryk, dem der Geduldsfaden jetzt endgültig gerissen war, hatte über den Tisch gegriffen und ihn am Kragen gepackt. Er zog den Magier über seinen Schreibtisch und hielt ihn sich vors Gesicht.
    „Du weißt gar nichts!, schrie er Aras ins Gesicht, „hast du eine Ahnung wie es ist alles zu verlieren, was du hast, was du bist? Die Menschen die du liebst, deine Familie. Deine Heimat, Deinen Namen! Ich habe alles verloren, nicht einmal mein verfluchtes Gesicht hat man mir gelassen. Jede Nacht höre ich die Schreie meiner Familie, wie sie in meinen Armen verbluten, jede Nacht spüre ich die Brandeisen, die mir Mörder und Verräter ins Gesicht brennen, für Taten, die ich nicht begangen habe. Du hast mich drei Tage leiden lassen, um deine verfluchte Stadt zu retten und mir nicht einmal gesagt, was passieren wird. Drei Tage habe ich alles was ich je geliebt habe sterben sehen. Drei verdammte Tage.“
    Einmal atmete er tief durch und sammelte sich wieder. Ganz langsam und mit einer Ruhe in der Stimme, die hoffentlich klarmachte, dass er nicht scherzte, zischte er den Herzog an: „Wenn du es noch einmal wagst, deine verdammte Magie auch nur in meine Richtung zu wirken, oder meine Familie zu erwähnen reiße ich dir die Zunge raus und stopf sie deiner kleinen Verräterfreundin in den Hals! Hast du mich verstanden?“

    Ohne die Antwort auf seine Frage abzuwarten ließ er Aras los und drehte sich zur Tür. Der Herzog, landete auf seinem Schreibtisch rief nach seinen Wachen. Sofort öffnete sich die Tür und vier Soldaten stürmten herein. Der einsame Wachmann vor der Tür hatte offensichtlich nichts anderes erwartet und Verstärkung gerufen.
    „Schafft diesen Mann aus meiner Burg!“, verlangte der Herzog und kletterte von seinem Schreibtisch.
    Zögerlich kamen die Wachen auf Daryk zu, welcher nur meinte: „Macht euch keine Mühe, ich finde die Tür alleine.“
    „Bin ja auch alleine reingekommen.“
    Mit diesen Worten schob er sich an den Männern vorbei und ließ den schimpfenden Hausherren, sowie die Burg hinter sich.

    Draußen schien die Sonne, als wäre hier alles wie immer. War es aber nicht. Nachdenklich stapfte Daryk durch die Straßen der Stadt und sah sich um. Überall waren Leute damit beschäftigt, die Schäden an der Stadt zu reparieren und zerstörte Gebäude wiederaufzubauen.
    So in etwa musste es in seinem Körper aussehen, wenn Daphne seine Wunden heilte. Nur schneller. Körperliche Wunden konnte sie problemlos heilen. Seelische vermutlich auch, aber scheinbar wollte sie das nicht.
    Als er an einer Taverne vorbeikam, die aussah, als könnte sie die Nacht überstehen ohne zusammenzufallen, beschloss Daryk dort zumindest einmal den Abend, wenn nicht sogar die Nacht, zu verbringen. Irgendwo musste er ja schlafen und er hatte so eine Ahnung, dass es nicht in der Burg sein würde.
    Stickige Luft schlug dem Ritter entgegen, als er durch die Tür ins Innere des Gebäudes trat. Wie immer, wenn er durch eine Tür trat, die nicht gerade zu Aras Arbeitszimmer gehörte, musste er den Kopf einziehen.
    Der Schankraum war gut gefüllt, aber ein Tisch in der Ecke war noch frei. Langsam schritt er durch das Gasthaus und beanspruchte den Tisch für sich. Neben dem Tresen saß ein Spielmann, der auf seiner Laute vor sich hin spielte und Daryk mit seiner tief ins Gesicht gezogenen Kapuze stark an Thorvid am Lagerfeuer erinnerte. Aber warum sollte Daphnes Halbbruder hier in einer Taverne sitzen und Laute spielen.
    Schnell schüttelte Daryk den Kopf, um die Gedanken an den Abend am Lagerfeuer zu vertreiben, und bestellte sich etwas zu trinken.
    Hunger hatte er keinen, da Theic ihm so viel zu essen gebracht hatte, dass nicht einmal er es nach drei Tagen fasten hatte aufessen können.
    Bald brachte der Wirt seine Bestellung und am Nachbartisch begannen die Nordmänner zu tuscheln und ‚heimlich‘ auf ihn zu zeigen.
    Auch wenn es ihm frühergelungen war, trotz seiner Größe in der Masse zu verschwinden, machte die schwarze Rüstung mit dem blutroten Stein das fast unmöglich. Daryk war bemüht, die Männer einfach zu ignorieren und trank still seinen Met.
    Seinen Blick auf den Tisch gerichtet, versuchte er zu vergessen, was geschehen war. Das Lagerfeuer, die Tatsache, dass Daphne ihn von sich geschoben hatte und auch die Tatsache, dass sie nach Hause wollte und er nicht wusste, ob sie seine Anwesenheit wollte oder nicht.
    Bald war der erste Krug geleert und der Wirt brachte bereits einen neuen, ohne dass Daryk etwas sagen musste. Vermutlich war es offensichtlich, dass ein Mann, der alleine in die Taverne kam und alleine an einem Tisch saß nicht viel mehr vorhatte außer zu trinken.
    „Stimmt es, was man über euch sagt?“, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.
    Langsam hob Daryk den Kopf und blickte in die grünen Augen einer der Nordmänner. Eine ganze Traube der Soldaten aus Devyleih hatte sich um ihn versammelt und starrte ihn erwartungsvoll an. In der Annahme, sie sprachen von dem Oger nickte er kurz und wusste bereits, dass es vorbei war mit seiner Ruhe.
    „Ihr habt wirklich einen Oger mit bloßen Händen getötet?“
    , fragte ein anderer ungläubig.
    War ja klar, dass wieder irgendjemand was dazu erfindet.
    „Nein“, wiedersprach der Ritter kopfschüttelnd und nahm einen tiefen Zug aus seinem Krug.
    Beinahe enttäuscht blickte der Haufen Soldaten ihn an. „Dann seid ihr also nicht der Ogerschlächter?“, quäkte jemand aus der zweiten Reihe.
    Daryk kratzte sich am Kopf und sah ein, dass er wohl mehr als nur „doch“ antworten musste, wollte er nicht stundenlang weiterdiskutieren.
    „Ich habe aber eine Axt benutzt“, fügte er daher hinzu.
    Die Menge brach in tosendes Geschrei aus und ungefragt setzten sie sich zu ihm an den Tisch und bestellten eine Runde. Auch für ihn. Immerhin.
    Schulterzuckend nahm er es hin und leerte seinen Krug.
    „Wie war es?“, fragte einer der Männer, „wie fühlt es sich an, einen Oger zu töten?“
    Daryk ignorierte die Frage. Wie sollte es sich schon anfühlen? Auch nicht anders als bei jedem anderen Gegner auch. Daryk spürte keine Freude, kein Erbarmen und kein Mitleid, wenn er seine Feinde besiegte. Warum auch? Er hatte ihnen nicht angeschafft, ihn anzugreifen.
    Das einzige Mal, dass er etwas wie Genugtuung verspürt hatte war Heinrich gewesen, aber das war… etwas anderes. Etwas Persönliches.
    Allem Anschein nach hatten die Männer verstanden, dass er nicht mit ihnen reden wollte, denn sie hatten sich damit abgefunden und unterhielten sich untereinander. Leider hielten sie es nicht für nötig, auch seinen Tisch zu verlassen, daher saß Daryk nun inmitten der betrunkenen Nordmänner, die eine Runde nach der anderen bestellten. Gelangweilt saß er da und lauschte dem Klang der Laute zwischen dem Lärm der Trinkenden.
    „Habt ihr die Zofen gesehen, die der Prinz für die Prinzessin mitgebracht hat?“
    , fragte einer in die Runde.
    „Nicht nur gesehen“, grinste ein anderer, „sogar in meinem Zelt gehabt!“
    „Welche? Die Blonde oder die Brünette?“
    , wollte jemand, den Daryk gar nicht sehen konnte, wissen
    Laut grölend rief ein weiterer: „Die Blonde! Die andere war nämlich bei mir!“
    Schallendes Gelächter brach aus und krachend stießen die Krüge zusammen und verschütteten einen nicht unerheblichen Teil ihres Inhalts über den Tisch.
    „Wenn das eure Ehefrauen wüssten“
    , lachte der, der nach den Zofen gefragt hatte und stieß noch einmal mit den Frauenhelden an.
    Daryk blickte auf. Offensichtlich sollte man auch in Devyleih das Brandzeichen zur Hochzeit einführen, um die Männer an ihren Schwur zu erinnern.
    „Was interessiert mich meine Frau“, winkte der Soldat ab, „ich wusste ja nicht einmal, ob ich wieder nach Hause komme und sie wieder sehe!“
    „Genau!“
    , stimmte der andere Ehebrecher mit ein, „abgesehen davon, würde ich für unsere Prinzessin jede andere Frau sitzen lassen!“
    Mit fest zusammengebissenen Zähnen starrte Daryk den Mann an und musste sich sehr anstrengen, ihm nicht den Krug an den Kopf zu werfen.
    Er erhob sich vom Tisch und der Klang der Laute verstummte einen Moment, bevor er zwischen dem tosenden Applaus der Betrunkenen wieder zu hören war.
    Schweigend und mit starrem Blick verließ er den Tisch mit den Ehebrechern, setzte sich an einen der inzwischen frei gewordenen Plätze an der Theke und bedeutete dem Wirt, ihm noch einen Krug zu bringen.
    „Was könnte einen so großen Mann wie euch belasten?“, fragte der alte Wirt, als er Daryk die Bestellung vor die Nase stellte. Stumm nahm der Ritter den Krug auf und begann zu trinken, als ein „meine Schwester“ neben ihm ertönte.
    Daryk fuhr herum und sah Yorick, der sich neben ihn gesetzt hatte.
    „Dabei ist sie so winzig“, führ der Blonde grinsend fort und Daryk starrte wieder wortlos geradeaus.
    „Bei den Göttern“, lachte der Wirt, „eine Frau! Was auch sonst.“
    Wieder einer dieser Momente, in denen Daryk sich wünschte sich in Luft auflösen zu können, aber egal wie sehr er es auch wollte, er blieb wo er war.
    Er fragte sich, warum eigentlich alle wussten, was am Lagerfeuer gewesen war, wo er doch alleine mit Daphne war. Wie auch immer, jetzt war er hier und musste die Situation über sich ergehen lassen.
    „Warum redet Ihr denn nicht mit ihr?“, wollte der Wirt wissen und schenkte Daryk noch einmal nach.
    Lachend nahm Yorick einen Zug aus seinem Krug und meinte dann: „Weil er weniger Angst vor Ogern hat, als davor mit einer Frau zu reden!“
    Mit leerem Blick schaute Daryk ihn an und stellte fest, dass er vermutlich recht hatte. Wieder nahm er einen großen Schluck aus dem Krug und überlegte, was er tun musste, um dieser Unterhaltung zu entkommen.
    Der Wirt sah ihn amüsiert an und meinte nur: „Dann sucht ihr vermutlich euren Mut auf den Böden dieser Krüge?“
    „Bringt mal schön neue, bis er ihn gefunden hat“, verlangte Yorick, warf eine Handvoll Goldmünzen, auf den Tisch und erhob sich wieder vom Tresen, „Ich muss mich um Männer kümmern, die nicht genug Angst vor meiner Schwester haben!“
    Ohne wirkliches Interesse schaute Daryk dem Prinzen hinterher erkannte aber zu seiner Verwunderung, dass er zu den Nordmännern ging die Daryks Tisch in Beschlag genommen hatten.
    Nach einer kurzen Unterhaltung schlug er dem ersten die Faust ins Gesicht und warf ihn in Richtung des Tresens. Der Ritter hielt seinen Krug fest als der Mann in die Theke einschlug und schenkte dem Kerl keine weitere Beachtung. Ein Vorteil seiner Körpergröße war, dass er für gewöhnlich selbst entscheiden konnte, ob und wann er in eine Kneipenschlägerei einsteigen wollte. Momentan hatte er das Gefühl, dass der blonde Prinz die Lage alleine unter Kontrolle hatte. Daher beschloss er einfach sitzen zu bleiben und seinen schon bezahlten Met zu genießen. Zumal sich der ‚Barde‘ tatsächlich als Thorvid herausstellte, der nun ebenso wie Yorick durch die Soldaten pflügte und ihnen die verdiente Abreibung verpasste.
    Ein lautes Krachen verriet, dass einer der Soldaten Thorvids Laute abbekommen hatte. Der Mann der kurz darauf mit blutender Nase und Holzsplittern im Gesicht in Daryk stolperte, bestätigte diese Vermutung. Der Trinkende Ritter wischte den Verletzten etwas ungeschickter als normalerweise beiseite, wie andere eine Fliege und wandte sich wieder seinem Getränk zu. Er konnte den Krug gar nicht so schnell leeren, wie der Wirt ihm nachschenkte. Verwundert, wie der Mann so ruhig bleiben konnte, während um ihn herum sein Laden zerlegt wurde, bemerkte Daryk wie Yorick einen der Männer am Fuß in seine Richtung zerrte.
    „Wollt Ihr auch mal?“, grinste der Prinz, was selbst Daryk ein Lächeln entlockte.
    „Gerade nicht“, lehnte er ab und leerte einen weiteren Krug.
    Mit einem Schulterzucken trat Yorick den am Boden liegenden Mann in den Bauch und lies ihn sich vor Schmerzen krümmen. Noch einmal wandte er sich an Daryk und fragte ob dieser seinen Mut schon gefunden hätte, stürzte sich aber wieder ins Getümmel, als er keine Antwort erhielt. Langsam spürte Daryk, wie der Met seine Wirkung tat und seine Sinne ein wenig getrübt wurden. Noch lange nicht in einem Maße, dass ihn beunruhigte, aber es war spürbar.
    Kurz darauf kam der nächste Nordmann zum Tresen getaumelt und Daryk erkannte ihn als denjenigen, der behauptet hatte, jede Frau für die Prinzessin sitzen zu lassen. Er beschloss, dass dies der Zeitpunkt war, auch etwas zur Schlägerei beizutragen und schlug den Kopf des Mannes auf die Theke. Als dieser bewusstlos zusammensackte widmete er sich dem nächsten Krug.

    Anscheinend hatte die Schlägerei ein Ende gefunden, denn Yorick und Thorvid setzten sich links und rechts von Daryk und bestellten auch jeweils einen Met. Kurz warf der Ritter noch einen Blick hinter sich und fand wie erwartet die Soldaten am Boden liegend oder gekrümmt aus der Taverne eilen.
    „Was ist los mit Euch?“, zerstörte Yorick die neu eingekehrte Ruhe wieder, „Was hat meine Schwester getan, dass Ihr hier alleine rumsitzt, anstatt das nächste Lagerfeuer aufzusuchen?“
    Daryk strich sich über den Kopf und überlegte. So richtig hatte er darauf auch keine Antwort. Er hatte einfach das Gefühl, dass sie seine Anwesenheit nicht ertrug und noch weniger alleine mit ihm sein wollte. Immerhin hatte sie ihn von sich geschoben und schien fast froh, als Thyra und Theical das Zimmer betreten hatten.
    Yorick starrte ihn immer noch an, was Daryk klarmachte, dass er auf eine Antwort wartete.
    „Gezeigt, dass sie lieber alleine ist“, nuschelte er etwas unsicher in seinen Bart.
    Überrascht schauten die beiden Brüder sich an und Daryk fühlte sich ein wenig wie in einem Verhör. Nur dass dieses Gespräch mehr wehtat als alle Verhöre in der letzten Zeit.
    „Dann fragt sie!“, verlangte Yorick, „am Abend der Hochzeit sah es für mich nicht so aus, als wollte sie alleine sein. Immerhin nahm sie in Kauf, sich vor uns zu Euch zu setzen!“
    Das stimmte auch. Irgendetwas war an diesem Abend anders gewesen und auch als er von seinem Traum erwacht war saß sie an seinem Bett. Würde sie das tun, wenn sie alleine sein wollte? Er rieb sich die Augen. Er hatte so viele Fragen und so wenige Antworten. Irgendwo in diesem Gewirr aus Gefühlen wanderten auch immer noch die Geister seiner Familie herum.
    „Vielleicht ist in diesem Krug der nötige Mut“, schlug der Wirt vor und schenkte noch einmal nach.
    „Wenn er noch lange sucht, kann er nicht mehr reden“, meinte Yorick belustigt.
    Der Verhörte starrte wieder mit glasigen Augen geradeaus und griff nach dem Krug. Kurz wunderte er sich wo seine Kraft geblieben war, stellte dann aber fest, dass Thorvid den Krug festhielt und ihm in die Augen starrte.
    „Das ist genug!“, bestimmte der Mann mit der Kapuze und weigerte sich, den Krug loszulassen. Mit Gewalt wollte Daryk sich den Krug nicht holen, also ließ er ab und schaute die drei Männer um ihn herum abwechselnd an.
    „Und jetzt?“, fragte er, obwohl er die Antwort schon kannte.
    Yorick nahm einen Schluck seines Mets und meinte: „Thorvid ist anscheinend der Meinung, dass Ihr mit ihr reden solltet. Und wenn der das sagt…“
    „Sollte ich es vermutlich tun“, vollendete Daryk den Satz gedanklich, lies den Kopf sinken und nickte. Sie hatten wohl recht. Er erhob sich von seinem Platz bedankte sich knapp für die Gastfreundschaft und verließ die Taverne mit einem klaren Ziel vor Augen.

    Inzwischen war es Nacht geworden und die schwarzen Mauern der Burg türmten sich über der Stadt auf. Daryk hatte nicht erwartet, heute noch einmal dorthin zurückzukehren, aber es fühlte sich richtig an.
    Die Wachen hatten scheinbar keine Order erhalten ihn nicht mehr hereinzulassen und da er alleine herausgelaufen war, wusste auch keiner an der Tür von Aras Befehl ihn zu entfernen. Wie selbstverständlich stapfte er schwerfällig durch das Burgtor und suchte den Weg zu dem Zimmer in dem Daphne schlief.
    Nach kurzem Herumirren fand er schließlich Daphnes Wohnraum. Eine gefühlte Ewigkeit stand er vor der Tür und überlegte ob er klopfen oder es doch lassen sollte, als er eine Stimme aus dem inneren hörte. Er war sich sicher, es war die Stimme einer Frau, aber nicht Daphnes oder Thyras. Er schluckte sein schlechtes Gewissen, sie zu belauschen herunter und hielt das Ohr an die Tür.
    „Du bist nicht allein, weder in dieser Welt noch in der anderen“, konnte er die Stimme sagen hören, „Auch ich bin stets bei dir, vergiss das nicht. Das war ich immer, selbst bei deinem Tod. Ich stehe allen meinen Töchtern bei, auch wenn ich keine mehr davor bewahren kann, was im Meer auf sie lauert … Ich war nicht stark genug.“ Die Stimme wurde immer leiser und schwächer, sodass Daryk sich immer fester an die Tür presste. Mit dem rechten Unterarm kann er an die Türklinke und die Tür schwang auf. Gerade noch konnte er verhindern ins Zimmer zu fallen und hielt sich am Türrahmen fest.
    Seine getrübten Sinne nahmen eine bleiche Figur wahr, welche, mit Algen behängt, neben Daphnes Wanne kniete und mit ihr redete. „Befreie dich. Manchmal lässt sich Feuer nur mit Feuer bekämpfen oder in dem Fall mit Wasser“, flüsterte die Frau, die aussah, als hätte sie wochenlang im Wasser gelegen, „Baue eine Mauer um dich herum auf, hinter die sie nicht schauen kann.“
    Noch während sie den letzten Satz sprach, erhob sie sich von der Wanne und drehte sich zu Daryk, der ohne eine Chance sich zu verstecken in der Tür stand und nach einer Ausrede suchte.
    Bevor ihm irgendetwas in den Sinn kommen konnte, bewegte sich die Wasserleiche übernatürlich schnell neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    „Lass sie nicht allein, die anderen waren es und verloren den Kampf!“
    , wies sie ihn an und verzog den verfaulten Mund zu einem schiefen Lächeln.
    „Kampf?“, wiederholte Daryk leise, bekam aber keine Antwort mehr, da die Frau bereits verschwunden war.
    Während er sich noch fragte, ob er wieder träumte, begann Daphne in ihrer Wanne zu schreien und das Wasser spritzte in alle Richtungen heraus. Mit leuchtend blauen Augen begann Daphne sich zu erheben und Daryk beschloss, dass das nicht der richtige Zeitpunkt für so ein wichtiges Gespräch war. Schnell zog er an der Tür, versuchte sie zu schließen und versteckte sich in dem Zimmer, in dem er die letzten drei Tage gelegen hatte.
    Nachdem er sowieso schon hier war, legte er sich auf das Bett und während er noch einmal darüber nachdachte, was gerade passiert war fiel er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

    Am nächsten Morgen erwachte er erstaunlicherweise ohne Kopfschmerzen und fragte sich erneut ob er die Begegnung mit der Wasserleiche geträumt, oder sich im Alkoholrausch eingebildet hatte. Dann stellte er fest, dass seine Schulter voller Algenblätter war und schloss daraus, dass sie wohl echt gewesen sein musste.
    Er fragte sich, was für ein Kampf Daphne bevorstand und warum er sie nicht alleine lassen durfte. Nicht dass er das vorhatte, aber man konnte ja nie wissen.
    Da er wusste, dass die Nordmänner heute abreisen wollten, kratzte er die Algen von der Rüstung und ging zum Lager der Männer aus Devyleih.
    Die anderen waren bereits da, wobei Aras ihn keines Blickes würdigte, was Daryk auch nur recht war. Theical stand neben Aras und sah aus, als hätte er seine Verabschiedungsrunde bereits beendet. Thyra und Jaris verabschiedeten sich gerade von Arthur und Thorvid, während Yorick seine Schwester im Arm hielt und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte. Sie versprach so schnell wie möglich nachzukommen und trat einen Schritt zur Seite, als sie Daryk sah.
    Yorick kam auf ihn zu, reichte ihm die Hand, klopfte ihm auf die Schulter und flüsterte: „Bis bald!“

    Eine einsame Träne rollte Daryks Wange hinunter als er, umgeben von Dunkelheit, neben dem kleinen Körper seiner Tochter kniete. Vorsichtig, als könnte er noch etwas beschädigen, nahm er sie in den Arm und strich ihr eine Strähne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht. Langsam tropfte das Blut aus der Schnittwunde an Lyennes Hals, als ihr leerer Blick, an ihrem Vater vorbei, in die schwärze hinter ihm starrte. Plötzlich atmete sie röchelnd ein und ihre toten Augen fixierten Daryk, bevor sie ihre Hand hob und auf ihn zeigte. „Du hast uns nicht beschützt“, krächzte sie ihn anklagend an.
    Mit steifen Bewegungen kletterte sie aus seinen Armen uns stellte sich mit schiefem Kopf vor ihren Vater. Das rote Rinnsal aus ihrem Hals wollte einfach nicht enden. „Ich konnte es nicht!“, verteidigte sich Daryk mit gebrochener Stimme, wusste aber dass sie recht hatte.
    „Es ist deine Schuld, dass wir tot sind!“, kreischte sie wütend, „du hast es nicht verhindert und jetzt ersetzt du uns mit einer anderen? Du willst deine Familie ersetzen! Durch eine Prinzessin, der Tochter eines Herzogs! Reicht dir die Tochter eines Barons nicht mehr?“
    Das schreiende Kind sandte mit jedem Wort Blutspritzer in Daryks Richtung. Sie kam näher, legte ihre Hand auf seine Brust und flüsterte: „Du bist ein Monster Vater. Dein ganzes Leben lang sind alle um dich herum gestorben, warum also sollte es bei ihr anders sein?“
    Darauf hatte Daryk keine Antwort. Mit starrem Blick fixierte er das Mädchen, dessen Kleid inzwischen von ihrem eigenen Blut getränkt war.
    Sie zog ihre Hand zurück und hinterließ einen kleinen blutigen Handabdruck auf seiner Brust. „Sie ist schon einmal gestorben, nur Tage nachdem sie dich kennen gelernt hat!“, fuhr das Blutverschmierte Kind mit schriller Stimme fort, „Warum wurde ihr Körper verbrannt und unsere müssen als Draugr in der Höhle der Verräter wandeln? Warum darf sie dennoch leben und wir mussten sterben? Warum rettest du sie und uns nicht? Ihre Seele gehört Xhar, sie hat nichts im Reich der Lebenden verloren!“
    Verzweifelt suchte Daryk nach Worten, um sich zu erklären, aber es gelang ihm nicht. Er hatte dem nichts zu entgegenzusetzen.
    Seine Tochter jedoch, war noch nicht fertig mit ihm. Immer mehr Blut lief aus ihrem Mund und immer mehr erinnerte ihr Sprechen an das Geräusch eines Ertrinkenden. „Du verdienst sie nicht Vater! Du bist ein Monster! Du verdienst den Schmerz und die Trauer!“
    Daryk vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Es tut mir leid…“ keuchte er mit tränenerstickter Stimme.
    „Tut es das?“, fragte Lyenne gurgelnd und Daryk sah sie wieder an, „Tut es dir Leid, dass Daphne lebt? Tut es dir leid, dass du mehr für sie fühlst als nur Freundschaft?“
    Schweigend senkte Daryk seinen Blick und schüttelte sacht den Kopf.
    „Du gehörst zu uns, nicht zu ihr! Komm zu uns Vater, dann wird alles wieder gut“, flüsterte das Mädchen in sein Ohr.
    Erschrocken schaute er sie an, als er erkannte, was sie ihm sagen wollte.
    Lyenne fiel auf die Knie und wiederholte sie mit zitternder Stimme: „Komm zu uns, Vater!“ Dann kippte sie auf die Seite, verdrehte die Augen und hauchte ein letztes „Wir… brauchen dich hier…bei uns…“, bevor ihr zarter Leib die Spannung verlor und wieder leblos wie zu Anfang dalag.
    Erneut nahm er seine Tochter hoch und streichelte ihr Gesicht. Unter seiner Berührung fing der kleine Körper an zu Staub zu zerfallen und das letzte bisschen, das ihm von seiner Tochter geblieben war, rieselte ihm durch die großen Hände. All diese Kraft, die in ihm steckte und dennoch war er zu schwach gewesen, seine Familie zu retten.
    Noch bevor Daryk irgendetwas denken konnte hörte er hinter sich die Stimme seines alten Freundes: „Da ist ja der Königsmörder, für den ich mein Leben gelassen habe!“
    Daryk fuhr herum und blickte in das Blutverschmierte Antlitz von Alistair. Die Spitze des Pfeils, der ihn damals getötet hatte, durchbrach sein von blonden Haaren umrahmtes Gesicht knapp unter dem rechten Auge, welches seltsam aus seiner Höhle ragte.
    „Ich bin kein…“, fing Daryk an, sich zu verteidigen, wurde aber von Alistair unterbrochen:
    „Die Zeichen in deinem Gesicht sagen etwas anderes!“
    Verblüfft fasste der Beschuldigte in sein Gesicht und spürte, wie die altbekannten Narben seine Haut wieder überwucherten. Auch seine Hände und Arme schienen zu leben, als sich die Brandverletzungen über sie ausbreiteten und ihm sein „verdientes“ Äußeres zurückgaben. Kurz sah er die Rose auf seinem Handrücken aufblitzen, bevor sie von den Zeichen seines Verrats verschlungen wurde.
    „Nein!“, flüsterte er ungläubig und starrte seine Hände an.
    Mit hängender Schulter und schiefem Kopf stand Alistair vor ihm und nickte.
    „Oh doch mein Freund!“, grinste er, „komm, wir haben noch viel vor uns!“
    Daryk sah sich in der Dunkelheit um. „Wohin?“, fragte er, „hier ist nichts?!“
    Das schiefe Lächeln unter dem Pfeil und das eine braune Auge, das Daryk fixierte, lies Alistair unheimlich aussehen. „Hier ist alles was wir brauchen!“, meinte er und wies auf eine Tür, die plötzlich in der Dunkelheit erschien.
    Der Königsmörder schluckte. „Was werde ich dahinter finden?“, wollte er wissen.
    Alistair zuckte die Schultern und erwiderte trocken: „Eine düstere Wahrheit.“
    Nach einem tiefen Atemzug trag Daryk zu der Tür, öffnete sie mit einem Ruck und trat hindurch.
    Sofort fand er sich in den Gängen des Schlosses von Felodun wieder. Noch einmal sah er Amela und die Soldaten Heinrichs vor sich.
    Daphne stand an derselben Stelle, an der sie das letzte Mal auch gestanden hatte.
    Mich würde ja brennend interessieren, woher Ihr das wisst!”, maulte sie Aras an.
    Amela setzte ein widerliches Grinsen auf und klärte sie auf: „Woher wohl? Er weiß es von mir!“
    Angeekelt wandte sich Daphne schimpfend ab und Daryk hörte sich selbst „Jetzt!“ brüllen.
    Jaris‘ Blitz erhellte die Umgebung als der Hüne sich wie fremdgesteuert gegen die Tür warf und diese durchbrach. Als würde die Zeit langsamer ablaufen sah er, wie die Soldaten ihre Pfeile losließen und in Richtung der Gruppe feuerten, die durch die Türe strömten. Quälend langsam sah Daryk, wie seine Hand sich Daphnes Arm näherte und ihn umschloss, um sie aus der Schussbahn zu ziehen. Als wollte der Pfeil auf sich aufmerksam machen, blinkte seine Spitze im Licht und bahnte sich unaufhaltsam seinen Weg durch die Luft. Bald wurde Daryk bewusst, dass er sein Ziel verfehlen würde, aber er zog weiter an Daphnes Arm. Langsam aber sicher zerrte er sie in die Flugbahn des Pfeils, welcher immer näher in Richtung Daphne flog. Mit all seiner Kraft versuchte der Hüne sich selbst davon abzuhalten, die Heilerin in ihr verderben zu ziehen, aber immer weiter schleifte er sie ins Verderben. Als der Pfeil endlich sein Ziel fand, sackte Daphne in sich zusammen und blieb reglos liegen. Die allumfassende Dunkelheit umhülle Daryk wieder und alles was blieb war das Gewissen, Daphne in den Tod gerissen zu haben.

    Schockiert starrte er die Stelle an, an der gerade noch Daphne gelegen hatte und konnte nicht fassen, dass er es gewesen sein sollte, der ihren Tod zu verantworten hatte.
    „Dieses eine Mal ist es gutgegangen“, riss Alistair ihn aus den Gedanken, „weil sie noch einmal wiederkommen durfte. Du hattest schon immer mehr Glück als Verstand, Freund!
    „Ich wollte sie retten!“
    , schrie der Ritter seinen Freund an, „Ich wollte nicht, dass das passiert!“
    Alistair lachte laut auf. „Ich wollte auch nicht, dass das passiert!“, knurrte er und schnipste gegen den Pfeil in seinem Kopf, „und dennoch ist es geschehen!“
    Daryk biss sich auf die Zunge und blickte Alistair an.
    Wortlos zeigte dieser in die Dunkelheit, wo sich sofort die nächste Türe bildete.
    „Was jetzt?“, fragte Daryk unsicher.
    Wieder legte sich ein unheimliches Grinsen auf Alistairs Gesicht, als er meinte: „Wie es hätte sein sollen!“
    Erneut atmete der Ritter tief ein und trat durch die Tür.

    Diesmal änderte sich nichts, noch immer stand er in Dunkelheit. Dann zerriss der Knall einer Peitsche die Stille und der Schrei einer Frau folgte ihm nach. Sofort wusste er, wo er war. Er rannte den Gang des Kerkers entlang und näherte sich der Zelle in der sich Heinrich an Daphne ausließ. Immer wieder ertönte das Knallen der Peitsche und Daphnes Schreie wurden immer verzweifelter.
    Endlich erreichte Daryk die Zelle und erkannte Heinrich, wie er mit der Peitsche erneut ausholte und den Rücken der Heilerin malträtierte. Schnell entledigte sich Daryk des Peinigers und näherte sich dem Häufchen Elend, dass einmal Daphne gewesen war. Schwach und leblos hing sie in den Ketten, die sie fixierten und ihr zerfetzter Rücken zeugte von unzähligen Stunden der Qual, die sie durchlebt haben musste.
    Schnell machte er sie los und wollte sie stützen, aber sie fiel einfach nach hinten um und blieb liegen.
    Ein letztes Mal öffnete sie die Augen, starrte ihn vorwurfsvoll an und krächzte: „Du hast versprochen mich zu beschützen!“ Dann verdrehte sie die Augen und versank in einen nicht mehr endenden Schlaf.

    Zum zweiten Mal umfing ihn die Finsternis und er drehte sich wütend zu Alistair um.
    „Sie ist hier nicht gestorben!“, brüllte er, „Ich habe sie gerettet!“
    Alistair zog seine Augenbrauen hoch und meinte nur: „Ja, um sie dann kurz darauf in einen Pfeil zu stoßen! Gut gemacht, du Held!“
    Daryk sagte nichts, wusste er doch, dass Alistair recht hatte sondern ging auf die nächste Tür zu, welche sein Freund aus Kindertagen erschuf.
    Fragend schaute Daryk den vom Pfeil durchbohrten an, welcher sagte: „Was du beinahe getan hast!“

    Kaum durch die Tür getreten, erkannte Daryk das Zelt, in dem er befragt und gefoltert worden war und sah erneut Daphne auf dem Boden vor sich liegen. Er wusste, was sie getan hatte und fühlte sich topfit. Die Heilerin hingegen lag mit dem Gesicht nach unten neben einer ausgezehrten Mumie auf dem Boden, die Hand noch in seine Richtung ausgestreckt. Er wusste genau, welche schreckliche Wahrheit ihn erwarten würde, wenn er Daphne umdrehte. Dennoch tat er es und musste schlucken, als er in das vertrocknete Gesicht der Frau, die ihn gerettet und geheilt hatte blickte. Ihre ausgezehrten Augenhöhlen starrten ihn leer und vorwurfsvoll an, als wollten sie sagen „mein Leben war mehr wert als das!“
    Mit Tränen in den Augen wandte er sich von ihr ab und sofort versank die Welt um ihn herum wieder in Dunkelheit und Alistair stand wieder vor ihm.
    „Keine Ausrede diesmal?“, wollte er wissen, was Daryk mit einem Kopfschütteln bestätigte.
    „Wohlan denn!“, rief Alistair, verbeugte sich übertrieben und öffnete die nächste Tür.
    „Womit du besser dran gewesen wärst!“, hörte Daryk ihn noch verkünden, bevor er sich in den Trümmern eines Hauses wiederfand.
    Das Brüllen des Ogers forderte Daryk förmlich auf, sich schneller auszugraben, als er selbst es für möglich gehalten hätte. Kaum den Kopf vom Schutt befreit, sah er Daphne, wie sie in den Händen des Ogers hing und verzweifelt gegen dessen Kraft ankämpfte. Mit dem Dolch in der Hand rannte Daryk auf den Oger zu, blieb aber an einem Stein hängen und fiel zu Boden. Panisch sah er zu Daphne hinüber, welche leblos im Griff des Ogers hing.
    Lauf knackend gaben ihre Knochen endgültig nach, als der Oger ihren wehrlosen Körper zermalmte.
    „Nein!“, schrie Daryk mit aller Kraft und rappelte sich auf. Das Monster aber schleuderte Daphnes seltsam verdrehten Körper in seine Richtung und kurz bevor sie auf Daryks Brust aufschlug löste sie sich in Rauch auf und Daryk stand wieder in der Dunkelheit.
    Schockiert fiel er auf die Knie. Wie sollte das die bessere Alternative für ihn sein?
    „Keine Zweifel, was zwischen euch sein kann“, beantwortete Alistair diese Frage. Kopfschüttelnd kniete Daryk da und versuchte zu verstehen was hier vor sich ging.
    „Die letzte Tür“, kündigte Alistair an, „Was du wirklich bist!“
    Unwillig, auch nur eine einzige Tür mehr zu betreten schüttelte Daryk weiterhin den Kopf.
    „Was ist mit deinem berühmten Willen?“, spottete Alistair, was der Angegriffene mit einem wütenden Blick bedachte. Die Aussicht darauf, dass es alles enden könnte, lies Daryk sich noch einmal aufrafften und durch die letzte Tür schlurfen.
    Er saß am Lagerfeuer und blickte in die Flammen. Auf seinem Schoß saß Daphne, und lehnte sich an ihn an. Sie drehte ihren Kopf und sah freudig lächelnd zu ihm auf. Einige Sekunden sahen sie sich einfach nur in die Augen, bevor Daphne ihr Gesicht unmerklich näher an seines brachte. Ein Gedanke zuckte durch seinen Geist. „Küss sie!“, schrie sein Gefühl ihn förmlich an und er tat es ihr gleich.
    Kurz bevor sich ihre Lippen trafen zuckte sie merklich zusammen. Ein kurzes Stöhnen verriet, dass irgendetwas nicht in Ordnung war und Daryk blickte an ihr herab. Er entdeckte seine eigene Hand, wie sie den Griff des Dolches umklammerte, der sich in ihr Herz gebohrt hatte. Entsetzt starrte sie ihn an und Blut quoll aus ihrem Mund, welches ihr den Hals hinunterlief.
    Völlig entgeistert ließ er den Dolch los und schrie nach Alistair: „Das ist nicht, was ich bin!“
    „Wir werden sehen!“
    , entgegnete dieser lachend und schlug Daryk seine Faust ins Gesicht.

    ***

    Mit einem Schrei schreckte Daryk hoch und sah sich um. Er lag auf dem Rücken in einem Zimmer der Burg des Herzogs. Neben ihm lag hing Daphne schlaff in einem kleinen Sessel und bewegte sich nicht. Ihr rechter Arm hing an der Seite herunter und war voll Blut, ebenso ihr Gesicht.
    „Daphne“, presste Daryk durch die Zähne und drehte sich auf dem Bett um nach ihr zu greifen. Sofort durchzuckte ein stechender Schmerz seinen Oberkörper und er bemerkte die Bandagen, die um seine Brust gewickelt waren. Der Ritter ignorierte den Schmerz und drehte sich weiter zu Daphne. Schnell bemerkte er, dass das Rot auf ihrer Haut wohl von einer Salbe kam, die auf einem kleinen Tischchen neben dem Bett stand. Erleichtert griff er dennoch nach der Heilerin und berührte sie leicht an der Hand.
    Daphne zuckte zusammen, was Daryk schreckliche Bilder in den Kopf schickte. Blinzelnd öffnete sie die Augen und lächelte ihn müde an.
    „Alles gut“, sagte sie mit sanfter Stimme, „du hast nur geträumt.“
    Er wollte ihr sagen, was er fühlte, was er gesehen hatte und was er fürchtete, aber er brachte nur ein krächzendes „du…“ heraus, bevor er den Kopf wieder auf das Kissen zurücksinken lassen musste.
    „Ja, ich bin da“, sagte sie lächelnd, „jetzt schlaf weiter!“
    Schwach schüttelte er den Kopf, aber sie nahm seine Hand und streichelte sanft darüber, was ihn schnell wieder in einen – diesmal traumlosen – Schlaf sinken ließ.

    Blut spritzte über das Schlachtfeld, als Daryk den Stoßdorn seiner Waffe im Hals des ersten Soldaten versenkte. Während dieser noch röchelnd zu Boden fiel, nutzte ein anderer die Vermeintliche Gelegenheit und überwand mit zwei schnellen Schritten den Abstand zu Daryk.
    Dieser gab sich keine Mühe, dem Hieb des Schwertes auszuweichen, da er wusste, dass dieser Angriff den Plattenpanzer nicht durchdringen konnte. Er zog lediglich den Kopf ein bisschen zurück, da er keinen Helm mehr trug und lies den Hieb am Brustpanzer abgleiten. Dann griff er dem überraschten Soldaten, der keine Anstalten gemacht hatte, sich wieder aus seiner Reichweite zu begeben, an den Hals. Offensichtlich hatte sein Feind nicht damit gerechnet, dass Daryk sich nicht für seinen Angriff interessierte und starrte ihn mit großen Augen an, als Daryk das Leben aus ihm herausquetschte. Verzweifelt versuchte der Mann, den Griff um seinen Hals zu lockern, aber wurde schon nach kurzer Zeit zu schwach um sich zu wehren. Noch bevor der Mann ganz tot war, wandte sich der schwarze Ritter dem dritten Soldaten zu und ging einen Schritt auf ihn zu. Mit beiden Händen hielt der letzte der drei seinen Speer umklammert und im war deutlich anzusehen, dass er Angst hatte. Panisch stieß er mit dem Speer nach Daryk, welcher in aller Ruhe weiter auf den Soldaten zuging. Er ließ den inzwischen Toten in seiner rechten fallen und wischte den Speer zur Seite. Ein weiterer halbherziger Angriff folgte, welchen Daryk nicht einmal mit einer Parade würdigte, da er, wie der Schwerthieb zuvor, ohnehin keine Chance hatte seine Rüstung zu durchdringen. Einen dritten Stoß gab es nicht, da Daryk seinem Widersacher den Stoßdorn in den Bauch gerammt hatte. Schreiend fiel dieser auf die Knie und versuchte sein Blut daran zu hindern aus seinem Bauch zu fließen. Ein schneller Hieb von Daryks Axt trennte den Mann von seinem Leben – und seinem Kopf.

    Kurz fragte sich Daryk, wie dieser Bornholm es geschafft hatte, mit so einem erbärmlichen Haufen Soldaten das halbe Land einzunehmen, als ihn ein Pfeil am Rücken traf. Allerdings flog dieser nicht gerade, sondern seltsam seitlich und prallte wirkungslos ab.
    Schnell drehte er sich um und sah Jaris, von dem er hätte schwören können, dass er gerade noch deutlich weiter weg stand, wie er bei Thyra und Daphne stand und mit erhobenem Schwert zusammensackte.
    „Nein!“, kreischte Thyra und eilte zu ihm, „Nein, nein, nein, nein!“
    Auch Daphne kniete sich sofort zu ihm herunter und legte ihre Hand auf seine Stirn.
    „Er ist gesund“, verkündete sie, „nur… total erschöpft.“
    Sie schloss die Augen und übertrug etwas Energie an Jaris, welcher sofort tief einatmete und die Augen öffnete. Thyra seufzte erleichtert und drückte dem perplexen Mann sofort einen Kuss auf die Lippen.
    Auch Daryk war erfreut, Jaris wohlauf zu sehen, hatte aber auch die Umgebung im Blick. Die Streitmacht der Elfen war zum rechten Zeitpunkt eingetroffen und die angreifende Armee wurde langsam aber sicher in die Flucht geschlagen.

    Einige Stunden später waren auch die letzten von Bornholms Männern tot, verjagt oder gefangen genommen. Eigene Verletzte wurden versorgt und die Gefallenen in provisorische Gräber gelegt, um sie beizeiten ordentlich zu bestatten.
    Nachdem der schmutzige Teil der Arbeit getan war, begannen die Vorbereitungen für die Feier, denn sowohl der Sieg, als auch eine Hochzeit waren zu feiern.

    Mit der Hilfe der Nordmänner und der Elfen wurde der unbeschädigte Ballsaal der Burg schnell geschmückt und Fässer voller Met herbeigeschleppt. Zacharas hatte Pudding und Wildfleisch in rauen Mengen herbeigeschafft und irgendwie auch eine Erdbeertorte für das Brautpaar aufgetrieben.
    Daphne hatte zusammen mit Kuen und anderen Frauen aus der Stadt spontan ein Brautkleid für Thyra geschneidert. Ein eigentlich unauffälliges und dezentes Kleid, das aber, mit einer überlangen Schleppe versehen, trotzdem alle Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Sie sah aus, wie eine Braut aussehen musste, als sie mit Jaris nach dem Essen den Tanzabend eröffnete. Eng aneinander geschmiegt schwebten die beiden über die Tanzfläche und bald reihten sich auch die anderen, angeführt von Aras und Kuen in die Tanzenden ein. Theic hatte seinen Ausflug in die Straßen Ymilburgs scheinbar gut überstanden und tanzte etwas unbeholfen mit Daphne.

    Ausgelassen tanzten auch die Verteidiger Ymilburgs um das Brautpaar herum und die Musik der Nordmänner trieb alle an. Alle bis auf einen. Daryk stand am Rande der Feier an eine Säule gelehnt und beobachtete das Treiben. Gedankenverloren strich er sich durch den Bart, als er Thyra und Jaris glücklich und innig tanzen sah. Obwohl er sich für die beiden freute, kam er nicht umhin, sich an seine eigene Hochzeit zurückzuerinnern. Damit kamen auch all die schmerzlichen Erinnerungen wieder in den Sinn, die damit verbunden waren. Nachdenklich rieb er seinen rechten Handrücken und stellte wieder einmal fest, dass nichts mehr dort war. Bis vor wenigen Wochen war an dieser Stelle, verdeckt von den Wunden seiner Folterung in den Kerkern von Lyc, das Zeichen seiner Ehe eingebrannt gewesen. Bei seiner Hochzeit hatte er sich, wie es in seiner Heimat Brauch war, ein Zeichen, das ihn an seine Ehefrau erinnerte, in die Haut seines Handrückens gebrannt. In seinem Fall die Rose, die er ihr bei ihrer ersten Begegnung auf dem Turnier des Königs geschenkt hatte. Er hatte gewonnen, war zum Ritter geschlagen und zum Mitglied der Königswache ernannt worden. Ebenso hatte er das Recht erworben, die Rose an die Frau seiner Wahl zu verschenken.
    Die letzten fünf Jahre war die Rose allerdings von anderen Zeichen verborgen gewesen. Ebenso wie sein Gesicht war auch seine Hand gezeichnet worden, sodass er jedes Mal wenn er seine Hand sah daran erinnert wurde, was er verloren hatte. Dies war dank Daphne nun vorbei.
    Heute aber half auch die Tatsache, dass seine Narben geheilt waren nicht, dies alles zu vergessen.
    Schnell zupfte er sich die Ärmel des Hemdes, das Daphne ihm auf die Schnelle genäht und mit den Worten So kannst du nicht auf eine Hochzeit gehen!“ überreicht hatte, zurecht. Tatsächlich war sein eines zerfranstes Leinenhemd, das er noch besaß nicht wirklich geeignet damit irgendwo hinzugehen, geschweige denn auf einer Hochzeit aufzutauchen. Normalerweise hätte er als Ritter auch seine Rüstung tragen können, aber diese war nach der Schlacht arg ramponiert gewesen und momentan bei der Reparatur.
    Daryks Kopf schmerzte und leichter Schwindel überkam ihn, was er beides auf die schlechte Luft im Ballsaal schob. Langsam bahnte er sich seinen Weg durch die feiernden Gäste und verließ erst den Ballsaal und dann die Burg. Draußen war die Luft deutlich kühler und fühlte sich frischer an. Ein Lagerfeuer prasselte gemütlich und einladend vor sich hin, was Daryk dazu veranlasste sich ihm zu nähern.
    Dort angekommen erkannte er Arthur und Yorick die neben einem Fass Met auf einem Baumstamm saßen und entspannt die Flammen beobachteten.
    „Da ist ja der Ogerschlächter!“, rief Arthur ihm entgegen.
    Die Nordmänner hatte ihm diesen Namen gegeben, als sich sein Sieg über den Oger herumgesprochen hatte. Kein schlechter Aufstieg, wenn man bedachte, dass er vor der Schlacht noch selbst der Oger war.
    Wortlos setzte Daryk sich auf einen weiteren Baumstamm gegenüber von den Beiden.
    „Was treibt euch denn heraus?“, fragte Yorick, scheinbar überrascht von seiner Anwesenheit.
    Schulterzuckend antwortete Daryk: „Zu warm.“
    Grinsend lehnte sich Arthur zu seinem Prinzen hinüber. „Der ist genauso gesprächig, wie unser Anhängsel!“, meinte er belustigt und reichte Daryk einen Krug mit Met.
    Daryk nahm den Krug an und bevor er sich fragen konnte was Arthur meinte, ertönte neben ihm das Klimpern einer Laute. Überrascht drehte er sich zum Geräusch und erkannte Thorvid, der gut versteckt, im Schatten des Baumstamms auf dem Boden saß und an den Seiten des Instruments zupfte.
    „Gefällt Euch die Gesellschaft nicht?“, wollte Yorick wissen und lehnte sich nach vorne, sodass das Feuer sein Gesicht beschien.
    „Hochzeiten sind… anstrengend“, wich Daryk der Frage aus und hoffte, dass der Prinz es dabei belassen würde.
    Yorick winkte ab: „An meine kann ich mich kaum erinnern. Ich weiß nur noch, dass mir der Schädel brummte und ich mir die Schulter ausgekugelt hatte.“
    Laut lachend stieß Arthur mit ihm an und erklärte, er habe die selbe Erinnerung an Yoricks Hochzeit. Momentan brummte Daryks Schädel ebenso, aber die frische Luft schien etwas zu helfen. Während Arthur seinen Krug leerte, lies Yorick seinen wieder sinken, kniff die Augen zusammen, blickte an Daryk vorbei in Richtung der Burg und meinte: „Steht nur noch eine offen.“
    Daryk hörte Daphnes Stimme hinter sich fragen: „Darf man sich zu euch gesellen, oder belästige ich die Herren mit meiner Anwesenheit?“
    „Niemals, Prinzessin!“
    , verneinte Arthur sofort und wollte sich erheben.
    „Bleib sitzen, Arthur!“, verlangte Daphne, „Wir sind hier nicht auf einem Bankett.“
    Daryk drehte sich zu ihr herum und stellte fest, dass das bodenlange rote Kleid, dass sie trug im Schein des Feuers wunderschöne Schattenspiele zeigte.
    Sie lächelte als sie um den Baumstamm herum zu Thorvid ging, welcher sich inzwischen ebenfalls auf den Baumstamm gesetzt hatte. Sie legte den Kopf schief, zupfte an ihrem Kleid und meinte: „Thorvid? Der Stoff bleibt im Holz hängen.“
    Wortlos legte Thorvid seine Laute beiseite und zog die Beine an, sodass Daphne auf seinem Schoß Platz nehmen konnte.
    „Habe ich euch bei irgendetwas unterbrochen?“, fragte sie fröhlich in die Runde, während Thorvid versuchte ihre Haare zu bändigen und aus seinem Gesicht fernzuhalten.
    Grinsend begann Yorick zu erzählen: „Ja, wir haben gerade über - “
    „Nein, hast du nicht.“
    , unterbrach Daryk die Ausführungen des Prinzen. Er wollte nicht weiter über Hochzeiten sprechen und er wusste, dass dies auch nicht Daphnes Lieblingsthema war.
    „Worüber gesprochen?“, hakte sie jedoch nach und legte erneut den Kopf schief, was eine schwarze Haarsträhne in Thorvids Gesicht tanzen ließ.
    Arthur musterte seine Halbschwester und merkte an: „Darüber, dass es wirklich langsam Kühl wird, Hoheit!“ Offensichtlich spielte er auf ihr Kleid an, welches einen tiefen Rückenausschnitt hatte und für die Verhältnisse der Nordmänner sehr viel offenbarte.
    „So kalt ist es auch nicht“, widersprach Daphne und drehte sich zu Thorvid um, „und was bei allen Pferden machst du da hinter mir?“
    Thorvid zog sich eine Haarsträhne aus dem Mund und krächzte: „Ersticken, Hoheit.“
    Yorick und Arthur brachen in schallendes Gelächter aus und auch Daryk konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    Erneut legte die Schurkenprinzessin ihren Kopf schief und meinte gespielt beleidigt: „Wenn das so ist.“
    Grinsend erhob sie sich vom Schoß des wortkargen Mannes und ging um das Feuer herum.
    Daryk erwartete, dass sie zu Yorick oder Arthur gehen würde, aber sie blieb vor ihm stehen, wandte ihren Brüdern den Rücken zu und lächelte ihn mit hinter dem Rücken verschränkten Armen an. Da Daryk im Sitzen etwas kleiner war als die stehende Daphne, sah er zu ihr hinauf und bevor er verstanden hatte was sie vorhatte, saß sie auch schon auf seinem Schoß.
    Er spürte die Blicke der drei Brüder auf ihm ruhen, als das Lachen schlagartig verstummte.
    Eigentlich hatte er einen Widerspruch der drei erwartet, welcher aber ausblieb. Stumm tranken die drei weiter und Daphne fragte, ob sie auch etwas zu trinken bekäme.
    „Sofort, Prinzessin“, meinte Arthur und wollte sich erheben um ihr etwas zu holen.
    „Warte!“, forderte Daphne, „Wir teilen!“ Sie schaute über ihre Schulter zu Daryk, welcher sich kurz im Anblick ihres Rückens verloren hatte und einen Moment brauchte, um zu begreifen, was sie wollte.
    „Ehm.. Klar“, stimmte er zu und hielt ihr die rechte Hand mit dem Krug hin.
    Lächelnd nahm sie diesen und führte ihn an ihren Mund. Ein paar Schlucke später stellte sie das Getränk auf ihrem Schoß ab und wandte sich wieder ihren Brüdern zu. Daryk konnte dem Gespräch nicht folgen, da er zu sehr damit beschäftigt war, herauszufinden, was er mit seiner linken Hand anfangen sollte. Plötzlich nahm Daphne diese und presste ihre eigene rechte Hand mit gestreckten Fingern dagegen.
    „Ihr habt recht“, meinte sie zu ihren Brüdern, „die sind groß genug um die Herren im Ballsaal einhändig zu verhauen!“
    Lachend stimmte Yorick ihr zu: „Sag ich doch! Hier ist der sicherste Platz für dich. Zwischen Ogerschlächter und Brüdern.“
    „Ich weiß ja nicht, ob ich das gut finde“
    , überlegte Daphne lachend und legte nun auch Daryks zweite Hand in ihren Schoß. „Langsam wird es tatsächlich kühl“, flüsterte sie und lehnte sich an Daryks Brust an. Daryk wusste nicht was er darauf sagen sollte, also schwieg er, wie so oft. Ihm war warm.
    Seine Kopfschmerzen waren auch besser geworden, wobei er nicht sagen konnte, warum.
    Mit einem schnellen Blick zu den Brüdern überprüfte er deren Reaktion. Sie tauschten schulterzuckend Blicke aus und machten keine Anstalten irgendetwas zu unternehmen. Yorick betrachtete das Geschahen zwar, schien aber nicht weiter interessiert, wohingegen Arthur sich lieber seinem Krug widmete und diesen leerte. Thorvid zog sich seine Kapuze tiefer ins Gesicht und nahm seine Laute wieder zur Hand. Trotzdem fragte sich Daryk, ob er bald mit einem der Brüder neben seinem Bett sitzend erwachen würde.
    „Schlechte Nachrichten!“, verkündete Arthur, „das Fass ist leer!“
    „Dann holen wir eben ein neues“
    , beschloss Yorick und erhob sich von seinem Baumstamm.
    Arthur tat es ihm gleich und folgte ihm in Richtung Burg.
    „Thorvid!“, rief Yorick, „beweg dich!“
    Der Gerufene legte sein Instrument beiseite, erhob sich langsam und schlurfte gemächlich zu seinen Geschwistern.
    „Wollt Ihr sie hier ganz alleine lassen?“, fragte Arthur.
    „Sie ist nicht alleine“, erwiderte Yorick, „und wenn sich ein Mann traut sich dem Ogerschlächter zu nähern und es schafft, sie ihm abzunehmen, hat er es verdient.“
    Daphne setzte sich wieder auf und räusperte sich mit geneigtem Kopf. Yorick ging grinsend seines Weges, wobei Daphnes Halbbrüder ihm stumm folgten.
    „Es tut mir so leid!“, entschuldigte sich Daphne und lehnte sich wieder an Daryk an, „früher waren sie noch viel schlimmer…“
    „Alles gut“
    , meinte Daryk nur und lächelte.
    Daphne schien zufrieden mit seiner Antwort, streichelte leicht seine Hand und lehnte nun auch ihren Kopf an seine Schulter. Mit geschlossenen Augen saß er da und genoss diesen Moment. Zum ersten Mal seit vielen Jahren spürte Daryk Hoffnung in sich aufsteigen. Hoffnung, dass auch sein Leben noch zu einem guten Ende finden könnte. Ein Gefühl, das er nicht erwartet hatte, noch einmal zu spüren.
    Dennoch fragte er sich, wie sich etwas gleichzeitig so richtig und so falsch anfühlen konnte. Er fühlte sich wohl in diesem Moment. Sehr wohl. Aber Daphne hatte ihm erzählt, dass Khyla und Lyenne ihn begleiteten und beobachteten und er war sich nicht sicher, ob er wollte dass seine Familie ihn mit einer anderen Frau sah.
    Daryk konnte nicht sagen, wieviel Zeit vergangen war als Daphne plötzlich unvermittelt fragte: „Hattest du nie Angst zu sterben?“
    Er öffnete die Augen und schüttelte den Kopf: „Nein.“
    Sie drehte ihren Kopf nach oben und sah ihn an. „Beim Oger hatte ich schreckliche Angst!“, gab sie zu, „Er war viel stärker als ich und widersetzte sich allem, selbst der Magie! Ich konnte meine Knochen nicht so schnell heilen, wie er sie mir brach.“
    Unwillkürlich schossen Daryk Bilder in den Kopf. Bilder von Menschen die vom Oger angegriffen worden waren und nicht in der Lage waren sich selbst zu heilen oder Magie zur Verteidigung einzusetzen. Bilder von Daphne, wie sie ebenso aus dem Leben gerissen wurde. Ein kurzes Kopfschütteln vertrieb den Gedanken und er antwortete: „Gut, dass du sie überhaupt heilen kannst…“
    Ein unsicheres Lachen verriet, dass Daphne sich darüber wohl auch Gedanken gemacht hatte: „Ja, ich wäre vermutlich erneut nicht mehr hier, wenn ich es nicht könnte ... Oder wenn du nicht gewesen wärst.“ Wieder lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und flüsterte: „Danke.“
    Leicht zog er sie zu sich: „Gern.“
    Daphne drehte ihren Kopf und sah zu ihm auf. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie die Platzwunde auf seiner Stirn. „Soll ich sie heilen?“, fragte sie lächelnd.
    Ebenfalls lächelnd sah er herunter in ihre Augen und schüttelte er den Kopf: „Das heilt von alleine, spar deine Kraft.“
    Ihr Blick wanderte von seiner Stirn zu seinen Augen. Kurz schwieg sie, bevor sie ein unsicheres „wenn du meinst…“ äußerte.
    Einige Sekunden sahen sie sich einfach nur in die Augen, bevor Daphne ihr Gesicht unmerklich näher an seines brachte. Ein Gedanke zuckte durch seinen Geist. „Küss sie!“, schrie sein Gefühl ihn förmlich an und er tat es ihr gleich.
    Kurz bevor sich ihre Lippen trafen zuckte sie merklich zusammen, als eine wohlbekannte und momentan komplett unerwünschte Stimme beide aus der Zweisamkeit riss: „Daryk, wir müssen reden.“
    „Müssen wir nicht“
    , widersprach Daryk grimmig, hob den Kopf und hoffte, der Herzog würde einfach gehen.
    Aber Aras blieb hartnäckig: „Es ist wichtig!“
    Daryk verdrehte die Augen. „Dann sprich“, knurrte er in Richtung des Störenfrieds.
    „Nicht hier“, entgegnete Aras, „komm bitte mit, es ist wirklich wichtig.“
    Daryk atmete tief durch, löste seinen Griff um Daphne, hob sie sanft von seinem Schoß und stellte sie vor sich auf den Boden.
    „Wenn es nicht wirklich wichtig ist, bring ich ihn um!“, grummelte er leise in seinen Bart.
    Widerwillig erhob er sich vom Baumstamm und hatte sofort das Gefühl, Habger hätte ihm seinen Schmiedehammer gegen den Schädel geschlagen. Stärker als jemals zuvor kamen seine Kopfschmerzen und der Schwindel zurück. Er sah Daphne noch einmal an und drehte sich dann um, um zu Aras zu gehen. Das Atmen fiel ihm von Sekunde zu Sekunde schwerer und er fing an zu zittern. Schwankend tat er einen Schritt, bevor er auf die Knie fiel. Die Umrisse des Herzogs verschwammen vor seinen Augen und kurz schaffte er es, sich mit den Armen auf dem Boden abzustützen, bevor auch diese sein Gewicht nicht mehr tragen wollten. Mit dem Gesicht voraus fiel er auf den Boden, wo er schwer atmend liegenblieb.
    „Daryk!“, hörte er Daphne noch rufen, bevor sein Bewusstsein einmal mehr in Dunkelheit versank.

    Seit Stunden murmelte Aras den Zauber vor sich hin, welcher Daryk laut Aussage des Herzogs „unaufhaltbar“ machen sollte. Daryk fühlte sich tatsächlich grandios. Er spürte, dass irgendetwas anders war als vor dem Zauber, aber konnte nicht sagen, was es genau war. Entspannt stand der Hüne in seiner schwarzen Rüstung zwischen den Bauern Ymilburgs, welche der Speerphalanx der Nordmänner Rückhalt geben sollte. Die untrainierten Männer mit ihren Mistgabeln und schnell geschmiedeten Schwertern, zitterten teilweise und sahen nicht aus, als wären sie der Aufgabe auch nur annähernd gewachsen. Neben ihm stand ein Junge, vielleicht siebzehn Jahre alt, der wie gebannt die Mauer anstarrte. Er erinnerte Daryk an seine eigene erste Schlacht im Schnee seiner Heimat. Damals gerade sechzehn Jahre alt, hatte Daryk nach kurzer Ausbildung Speer und Schild in die Hand gedrückt bekommen und war auf seine Feinde zumarschiert. Bereits damals ohne Angst und ohne Zögern, denn er war sich sicher, dass Xhar über ihn wachte und so war es scheinbar auch. Er sollte sich beweisen in den nächsten Tagen und das würde er!

    Der Einschlag des Rammbocks in das Stadttor riss Daryk aus seinen Gedanken und lies den Jungen neben ihm zusammenzucken. Hektisch versuchten Männer die Mauer zu verlassen als der zweite Einschlag das Tor aufbrach und Torhaus in sich zusammenfiel. Sofort ging der Schildwall in Stellung und richtete die Speere in Richtung des zerstörten Mauerteils. Die Bauern drängten sich dicht hinter die Nordmänner um zu verhindern, dass einfallende Gegner die Phalanx verschieben konnten. Auch der Junge neben ihm kam seiner Pflicht nach und stemmte seinen Körper in die Menge. Ein etwas älterer Bauer vor Daryk aber versuchte seine Position zu verlassen und zu fliehen. Daryk stellte sich ihm in den Weg und zeigte wortlos nach vorne zum Platz des Bauern. Dieser hatte offensichtlich mehr Angst vor dem schwarzen Ritter als vor den anrückenden Feinden und fügte sich in sein Schicksal.

    Die ersten Fußsoldaten Bornholms bahnten sich ihren Weg durch den Schutt und stürmten ohne größere Ordnung auf den Schildwall zu. Die Nordmänner ließen ihre Speere vorschnellen und fällten die ersten Feinde ohne größere Probleme. Gelangweilt von seiner Position in den hinteren Reihen, bahnte sich Daryk einen Weg durch die Bauern, welche ihn ungehindert passieren ließen. Erst, als er direkt hinter den Reihen der Speerträger stand, blieb er stehen und hob seine Waffe. Mit der Zeit gelang es einigen der feindlichen Soldaten, die Speerspitzen zu überwinden, und die Schilde anzugreifen. Langsam tat sich eine Lücke in den Reihen der Verteidiger auf und Daryk trat schnell nach vorn, um sie zu schließen.
    Er hatte das Gefühl am richtigen Ort zu sein, denn hier konnte er sein, was er war – ein Krieger. Schon immer hatte er sich bei Kämpfen wohler gefühlt, als er vor anderen Menschen zugeben wollte und schon immer hatte er das Gefühl gehabt, dafür geboren worden zu sein. Die letzte Nacht, die Begegnung mit Xhar, hatte ihn nur weiter bestätigt. Daryks Platz war hier. Auf dem Schlachtfeld. Allerding schlich sich noch ein anderes Gefühl in sein Unterbewusstsein. Es war Sorge. Sorge um seine Freunde, die sich ebenfalls irgendwo mitten in einer Schlacht befanden. Sofort spürte er Aras Zauber wirken und fühlte sich schwach und krank. Schnell umklammerte er seine Waffe fester, verdrängte die Angst um die Anderen und konzentrierte sich ganz auf die nahenden Feinde. Der Zweifel war vergessen und er konzentrierte sich ganz auf die Worte seines Gottes: „Beweise dich in den kommenden Tagen. Dein Wille muss ungebrochen bleiben!“, hatte Xhar von ihm gefordert. Da kam auch schon der erste Soldat auf ihn zu gerannt und wollte die vermeintliche Lücke nutzen um den Wall zu durchbrechen. Mit einem kräftigen Stoß trieb Daryk ihm den Stoßdorn seiner Mordaxt durch das Kettenhemd zwischen die Rippen. Schreiend hing der Mann an Daryks Waffe und wurde sofort von mehreren Speeren der Nordmänner durchbohrt. Dies ließ alle Zweifel und alle Ablenkung aus Daryks Bewusstsein schwinden. Es gab nur noch diese Schlacht, nur noch diesen Moment, nur noch den nächsten Gegner.
    Der Staub des zerstörten Torhauses versperrte die Sicht auf die heranstürmenden Feinde und so konnte Daryk nur die sehen, die bereits durch das Loch geklettert waren. Immer mehr Männer drängten sich durch das Loch und immer mehr fielen den Speeren und Pfeilen, die alle paar Sekunden von der Mauer flogen, zum Opfer.
    Ein Soldat schaffte es irgendwie, bis in Daryks Reichweite vorzudringen, und Daryks Stoß in sein Gesicht auszuweichen. Daryk zog die Waffe zurück und hakte den Bart der Axt in den Nacken des Mannes ein. Mit einem kräftigen Ruck trieb er die untere Spitze der Klinge in den Hals seines Opfers, welches nach vorne gerissen wurde und leblos liegen blieb.
    Dann näherten sich einige Soldaten mit Schilden. Sie kämpften sich durch den Staub und Schutt und stürmten auf die Verteidiger los. All seine Kraft legte Daryk in den ersten Stoß, welcher das Schild eines Feindes traf und durchbohrte. Er spürte, wie der Dorn in den Arm des schreienden Mannes eindrang, zog die Waffe schnell zurück und hakte die in das Schild ein. Erneut zog er kräftig am Schaft der Axt, was dem Feind das Schild entriss und ihn schutzlos dastehen ließ. Sofort schickte Daryk einen weiteren Stoß gegen den Schutzlosen, welcher dessen Leben schnell beendete.
    Erneut riss Daryk seine Waffe zurück und richtete sie gegen den nächsten Feind. Dieser kam aber gar nicht in den Genuss, Daryks Klinge spüren zu dürfen, sondern fiel, einen Pfeil im Hals steckend, röchelnd zu Boden. Ein weiterer Mann war wohl von Aras Schockwelle getroffen worden und Flog in hohem Bogen durch die Luft.
    Unter seinem Helm grinsend ging Daryk einen Schritt nach vorne und wandte sich seinem nächsten Opfer zu. Der Mann verteidigte sich besser und lies den Stoß am Schild an sich vorbei gleiten. Auch verhinderte er, dass Daryk seine Waffe in das Schild einhaken konnte, lies dabei aber viel Platz um seine Beine. Der Hüne angelte mit der Axt nach den Beinen des Angreifers und brachte ihn so zu Fall. Auf dem Rücken liegend hatte der Gefallene Daryks mächtigem Hieb nichts entgegenzusetzen.
    Kurz schien der Ansturm von Bornholms Armee schwächer zu werden, dann sah Daryk, wie Jaris wild gestikulierend auf der Mauer stand. Sein Schwert hatte wohl auch einigen Männern das Leben gekostet und war blutüberströmt.
    „Daryk! Oger!“, rief der Halbelf ihm zu.
    „Haha, sehr witzig!“, winkte Daryk ab, aber Jaris schüttelte vehement den Kopf und schrie: „Nein! Da sind Oger!“
    Verwirrt blickte Daryk zurück zum zerstörten Tor und erkannte eine riesenhafte Gestalt, welche sich langsam durch den Staub abzeichnete. Tatsächlich schob ein Monster seinen Körper durch das Loch. Ein drei Meter großes Ungetüm, bewaffnet mit einer Holzkeule, die selbst Daryk nicht hätte heben können, rannte auf den Schildwall zu. Aber schon nach wenigen Schritten blieb der Oger mit erhobener Waffe stehen und erstarrte zu Eis. Verdutzt starrte Daryk das Wesen an und fragte sich was passiert war, da zerplatzte die Eisskulptur in tausende Splitter, als ein weiterer Oger hindurchrannte. Das Zweite Ungetüm wurde nicht von seltsamen Frostzaubern gestoppt und pflügte ungebremst durch den Schildwall. Männer, Schilde und Speere flogen umher und die Phalanx löste sich auf. „Rückzug!“, konnte man irgendjemanden rufen hören und sofort begannen alle sich in die Straßen der Stadt zurückzuziehen, während eine große Anzahl feindlicher Soldaten in die Stadt strömten.
    Bauern wie Soldaten strömten an Daryk vorbei, welcher sich aber selbst nicht vom Fleck rührte. Er blieb wo er war und starrte den Oger an, der noch immer Menschen durch die Luft schleuderte und von den Pfeilen, die ihn tragen gänzlich unbeeindruckt schien. Die dicke Haut des Ogers musste wie eine Rüstung wirken und ein tieferes eindringen der Pfeile verhindern. Als das Monster ihn bemerkte brüllte es ihn an und schien ihm Angst machen zu wollen. Daryk grunzte verächtlich unter seinem Helm und dachte gar nicht daran sich einschüchtern zu lassen. Er nahm seine Waffe in beide Hände und bereitete sich auf den Kampf seines Lebens vor.
    Die anderen Soldaten schienen keine gesteigerte Lust zu haben, sich mit dem Hünen anzulegen und überließen ihn gerne dem Oger. Das Biest rannte auf Dark zu, hob seine Keule und schmetterte sie an sie Stelle, an der der Ritter gerade noch gestanden hatte. Mit einem schnellen Schritt war Daryk dem Angriff ausgewichen und stieß mit seiner Axt nach der Hand des Ogers. Im Gegensatz zu den Pfeilen war Daryks Angriff in der Lage, die Haut des Ogers zu durchdringen. Brüllen ließ dieser die Keule fallen und schlug mit der anderen Hand nach Daryk. Erneut wich dieser aus und lies die Axt auf den Rücken des Ungetüms niedergehen. Dieses reagierte mit einem gewaltigen Rückhandschlag, welcher Daryk an der Brust traf und einige Meter durch die Luft fliegen ließ. Der Aufprall raubte Daryk kurz den Atem, aber er weigerte sich aufzugeben und rappelte sich auf. Seine Waffe hatte er nicht losgelassen und so stellte er sich stabil hin und richtete die Spitze der Waffe in Richtung des Ogers. Das mit nur begrenzter Intelligenz gesegnete Wesen dachte nicht daran seine Waffe wiederaufzuheben, sondern stürmte auf den schwarzen Ritter zu. Erneut wich Daryk dem Oger aus und stieß den Dorn der Axt in dessen Fleisch. Dann drehte er sich um und kletterte auf das Dach des Hauses hinter ihm. Unter ihm auf der Straße begann das Biest wütend zu brüllen und um sich zu schlagen. Daryk betrachtete das Schauspiel amüsiert und schätzte den Abstand zum Oger ab. Etwa fünf Meter. Mit seinem Höhenvorteil sollte das in Reichweite sein. Er drehte seine Axt um, sodass der Dorn nach unten zeigte nahm Anlauf über das Dach und sprintete zur Kante des Daches, wo er sich kräftig abstieß und in Richtung des Biests sprang. Sofort schenkte der Oger ihm wieder seine volle Aufmerksamkeit und hob die Arme. Mit voller Wucht traf Daryk auf das Monster, welches es aber schaffte ihn in der Luft zu fangen. Allerdings war Daryk zu schwer und sein Angriff zu kräftig, sodass sich der Dorn der Mordaxt tief in die Schulter des Ogers bohrte. Kurz brüllte der Oger auf, bevor er Daryk mit einem Ruck von seiner Waffe trennte, welche in seiner Schulter stecken blieb, und mit einer halben Drehung in Richtung eines andern Gebäudes schleuderte.
    Er meinte seinen Namen zu hören als er krachend eines der Fenster durchbrach und hart auf dem Esstisch des Wohnhauses aufschlug, welcher natürlich auf der Stelle nachgab und zusammenbrach. Er gönnte sich eine Sekunde Atempause, bevor er sich aus den Holzsplittern freikämpfte und sich fragte, warum er keine Schmerzen spürte. Ob das an Aras Zauber lag? Als er durch das Loch in der Wand blickte, durch das er gekommen war erkannte er, wie der Oger die Axt aus seiner Schulter zog, auf den Boden warf und in Richtung des Hauses marschierte.
    Der Oger und machte sich daran, das Loch in der Wand soweit aufzubrechen, dass er hindurchpasste.
    Nachdem er seine Hauptwaffe verloren hatte, zog er den Dolch aus seinem Stiefel und machte sich wieder bereit für einen Angriff.
    Da das Loch in der Wand noch zu klein war, begann das Monster, mehr und mehr von der Wand wegzureißen, sodass das Dach bedenklich zu knarzen begann. Daryk erkannte seine Chance und stellte sich vor einen Stützbalken in der Mitte des Raumes. Endlich hatte der Oger die Wand durchbrochen und betrat das Haus. Wieder rannte er auf Daryk zu, der sich kurz vor dem Einschlag des massiven Körpers durch einen Sprung zur Seite aus dem Weg des Biests rettete. Das anstürmende Ungetüm durchbrach den Stützbalken, das ohnehin schon geschwächte Dach brach zusammen und begrub Mann und Monster unter sich.

    Am Abend desselben Tages ging Daryk, ermüdet von der langen Diskussion, in seinem Zimmer und überdachte den Plan noch einmal. Bornholms Streitmacht würde hauptsächlich aus Nordosten angreifen, da der Westen der Stadt durch den See und das Gebirge hervorragend geschützt war. Daher konzentrierten sich die Bemühungen zur Verteidigung hauptsächlich auf die Stadtmauer im Osten. Jaris würde zu Beginn auf der Mauer stehen und mit Leitern oder Balagerungstürmen angreifende Feinde abwehren. Thyra und Daphne sollten die Feinde von oben dezimieren und Theical die Hinterhalte in der Stadt weiter vorbereiten. Nicht für eine offene Schlacht geschaffen, konnte der kleine Mann seine Talente deutlich besser in kleineren Scharmützeln mit weniger Teilnehmern gewinnbringend einsetzen. Die Aufgabe des Herzogs war klar: Den Willenskraftzauber auf Daryk wirken und gegebenenfalls angreifende Gegnertruppen mit offensiver Magie zu Leibe rücken. Daphnes Brüder wollten Zunächst auf der Mauer aushelfen, und sich dann mitten ins Getümmel stürzen. Abgesehen von Thorvid, der das Wort „Besprechung“ wohl anders interpretierte als normale Menschen und keinen Ton von sich gab. Irgendwann, kurz nachdem Daphne und Theic zusammen mit Thyra gegangen waren, um die Hinterhalte und Fallen vorzubereiten, war er kommentarlos aufgestanden und hatte den Raum verlassen. Danach erst hatte Arthur erklärt, dass Thorvid auf den Dächern der Stadt Stellung beziehen würde und die Reichweite seines Bogens nutzen wollte. Daryk war es egal, sein Platz würde an vorderster Front, in den Reihen der Speerphalanx, welche eventuelle Breschen in der Mauer verschließen sollte, sein. Gespannt, wie der Zauber von Aras wirken würde, ging er davon aus, dass seine Größe und Rüstung die Aufmerksamkeit vieler Feinde auf ihn lenken würde. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Lange hatte er nicht mehr das Gefühl gehabt, einen würdigen Kampf vor sich zu haben. Der Kampf gegen Tryms Männer war ein Witz und an seine Gefangennahme konnte er sich nicht erinnern.

    Nach dem Kriegsrat hatte er sich ein Kohlebecken von Habger geliehen, welches nun in seinem Zimmer unter dem Fenster stand und vor sich hin brannte. Das schwarz der Nacht war nicht von der Farbe seiner Rüstung zu unterscheiden, welche er, bis auf Helm und Handschuhe noch immer trug. Somit waren nur sein Kopf und seine Unterarme frei von schwarzem Stahl. Kurz betrachtete er seine Hände. Die rechte war noch immer mit dem Muster gezeichnet, das Daphnes Hand geziert hatte. Das Glühen der Kohle tauchte den Raum in ein schwaches, rotes Licht.
    Wie jedes Mal, wenn er einen bevorstehenden Kampf erwartete kniete er vor dem Feuer nieder und zog den Dolch aus seinem Stiefel. Er hatte dieses Ritual schon hunderte Male vollzogen, auch vor der Entführung Theics und dem Angriff auf Tryms Leute. Nie war er – auf lange Sicht – mit dem Ergebnis unzufrieden gewesen. Selbst die eigentlich missglückte Entführung Theics hatte ihm Freunde gebracht – die ersten seit Alistairs Tod. Langsam zog er sein Amulett unter dem Brustpanzer hervor, nahm es ab und legte es zwischen seine Knie auf den Boden. Den linken Arm hielt er über das Kohlebecken und führte den Dolch an die selbe Stelle, an die er sich auch in Daphnes Training schon geschnitten hatte.
    Mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf sprach er die Verse, welche ihm bisher soviel Glück gebracht hatten:

    „Feuer, das in meiner Seele brennt, erleuchte mich.
    Feuer, das das Ende bringt, verzehre mich.
    Herr der Flammen, erhöre mich.
    Herr des Todes, segne mich.

    Herr der Kriege, schenk mir Macht.
    Auf dass sie fallen, vor deiner Pracht.
    Herr der Fliegen, schick deine Brut.
    Ein Opfer sei dir mein Blut!“

    Mit diesen Worten schnitt er sich tief ins Fleisch und lies das Blut in das Kohlebecken tropfen. Zischend traf das Blut auf die Glut auf und kleine Rauchschwaden zogen durch den Raum. Der vertraute Geruch des verdampfenden Lebenssafts stieg ihm in die Nase und er erlaubte sich ein Lächeln. Kurz wartete er, bis eine ausreichende Menge Blut in die Opferschale geflossen war, dann öffnete er die Augen, zog seinen Arm zurück und legte den Dolch in die Glut. Dann presste er die rechte Hand auf die Wunde, um möglichst wenig davon im Zimmer zu verteilen. Nicht, dass er Angst hatte zu verbluten, aber er wollte am nächsten Morgen keine unangenehmen Fragen beantworten müssen.

    Während er darauf wartete, dass der Dolch heiß genug war, um seine Wunde zu verschließen betrachtete er die Rauchschwaden, die sich in der Luft kräuselten. Obwohl das Fenster geschlossen war, schien ein Wind durch den Nebel zu ziehen und den sonst so regelmäßig aufsteigenden Rauch in seltsamen Bahnen kreisen zu lassen.
    Schnell fiel Daryk auf, dass die Glut aufgeflammt war und nun in einer unnatürlich blutroten Flamme brannte. Trotzdem schien der Raum kaum noch erhellt zu werden. Unsicher, was das zu bedeuten hatte, beschloss er, einfach abzuwarten. Der Rauch aus der Opferschale kräuselte sich immer mehr, immer schneller. Mit der Zeit sammelte sich eine Kugel aus Rauch an, die alles Licht in sich aufzusaugen schien. Das Feuer im Kohlebecken brannte immer heftiger und schraubte sich zu der Sphäre aus Nebel hinauf.
    Als die Feuersäule ihr Ziel erreicht hatte, wurde das Feuer in die Kugel hineingesogen und bildete nun einen blutroten Feuerball, welcher von einer unnatürlichen Schwärze durchzogen war. Daryk dachte an seinen Traum zurück. Die Klinge der Waffe, welche er gesehen hatte – Seelenspalter – war von einer ebenso dämonisch aussehenden Flamme eingehüllt gewesen. Er hatte sich längst erhoben und streckte seinen rechten Arm aus, um den Feuerball zu berühren.
    Kurz bevor seine Hand in die Schwärze des Feuerballs eintauchen konnte pulsierte die Flammenkugel heftig und veranlasste ihn einen Schritt zurück zu machen.
    In Sekundenschnelle erwuchs eine schattenhafte Figur aus der Sphäre. Verschwommene Andeutungen eines skelettartigen Körpers, durchzogen von Schatten und Flammen. Ein Gesicht, welches zum größten Teil von einer Kapuze aus reiner Dunkelheit verdeckt war und nur die leeren Augenhöhlen und Nasenlöcher eines Totenschädels erahnen ließen, erschien aus dem Feuer. Die Figur hielt den Seelenspalter in der Hand und überragte Daryk, trotz dessen Grüße, bei weitem.
    Kurz stand das Wesen aus Feuer und Dunkelheit vor Daryk und betrachtete ihn scheinbar von oben bis unten. Dann sprach es mit derselben schrecklich-schönen Stimme, welche Daryk in seinem Traum zu sich gerufen hatte: „Interessant!“
    Das Wort zerschnitt die Stille, wie ein Schwerthieb und Daryk erkannte wer da vor ihm stand. Sofort kniete er nieder, senkte den Kopf und flüsterte: „Mein Lord!“
    „Erhebe dich, Todesritter“, forderte Xhar und Daryk tat wie ihm geheißen. Da stand er nun, klein und unbedeutend, vor seinem Gott.
    Die fahle Hand des Todes zeigte auf Daryks Brust, dort, wo die blutrote Fliege die Rüstung zierte.
    „Sie hat eine gute Wahl getroffen“, meinte Xhar, scheinbar auf die Rüstung bezogen, „Ich hoffe, du tust das ebenfalls!“
    „Was meint Ihr, Herr?“, fragte Daryk verwirrt. Er war immer noch von der Tatsache, dass Xhar leibhaftig vor ihm stand, überfordert.
    „Alles zu seiner Zeit, Todesritter!“, erklärte Xhar und Daryk war sich sicher, dass er grinsen würde, wenn er einen Mund gehabt hätte. Mit beiden Händen stellte der Gott des Todes seine Waffe vor sich auf den Boden. „Diese Waffe, und mit ihr die Macht des Todes und des Feuers, wird dein sein, falls du dich würdig erweist. Geh zum Tempel, den du in deinen Träumen siehst. Dort wird sich alles offenbaren.“
    Xhar hatte ihm also diese Träume geschickt um ihn zu leiten. Langsam machte alles Sinn.
    „Das werde ich, Lord“, antwortete Daryk mit einer leichten Verbeugung.
    „Folge deinem Gefühl, Daryk, es wird dich leiten“, befahl Daryks Meister.
    Wieder verbeugte sich Daryk, diesmal tiefer, und meinte: „Wie ihr wünscht, Herr.“ Er wollte noch etwas hinzufügen, verschluckte die Worte jedoch, als er daran dachte mit wem er sprach.
    Natürlich konnte er Xhar nicht täuschen. „Sprich“, forderte dieser knapp.
    „Wie… Wie soll ich in all den schlechten Erinnerungen den rechten Weg finden?“, gehorchte Daryk, „Oder eine richtige Entscheidung treffen, welche auch immer das sein wird?“
    „Die Erinnerungen an deine Vergangenheit stammen nicht von mir. Sie haben dich befallen wie eine Krankheit. Ein Parasit, der in deinem Geist haust“, war Xhars ernüchternde Antwort, „ich kann sie dir nicht nehmen.“
    Daryk senkte den Kopf: „Ich verstehe, Herr.“
    „Denk daran: Beweise dich in den kommenden Tagen. Dein Wille muss ungebrochen bleiben!“, wiederholte Xhar seine Forderung noch einmal.
    Noch während Daryk ein „Ja, Herr“ brummte löste sich der Körper des Gottes in einem Schwarm Fliegen auf, der das Fenster aufstieß und in den Nachthimmel davonflog.
    Eine Weile Stand Daryk einfach nur da und starrte aus dem Fenster, bis er merkte, wie ein Tropfen Blut von seinem linken Zeigefinger tropfte. Dies riss ihn aus seiner Starre und er sah sich um. Unter ihm hatte sich eine Blutlache gebildet, sein Blut, welches aus der Armwunde gelaufen war, seit er die Hand erhoben hatte um die Sphäre zu berühren. Noch immer lief Blut auf den Boden, weshalb er rasch den glühenden Dolch aus der Glut nahm und an die Wunde hielt. Der bekannte Schmerz durchzuckte seinen Arm, der allzu vertraute Geruch stieg ihm in die Nase und er setzte sich auf sein Bett. Er ließ den Blick durch das vollgeblutete Zimmer schweifen und seufzte. Soviel also zum Thema kein Blut verteilen um unangenehmen Fragen zu entkommen.

    Was wollte der Herzog ihm damit sagen? Erwartete er, dass Daryk versuchte den Zauber anzuwenden?
    Da sich Daryk mit dem fremden Zauberstab in der Hand nicht wohl fühlte, gab er ihn an seinen Besitzer zurück. Er war ohnehin zu klein für seine Hände.
    „Ich bin kein Magier“, erinnerte er Aras, welcher lachend den Kopf schüttelte und auf sich selbst zeigte.
    „Du nicht, aber ich“, verkündete der wiedererstarkte Zauberer, nicht ohne einen gewissen Stolz in der Stimme.
    „Was willst du mir sagen?“, hakte Daryk nach. Mit verschränkten Armen sah er auf den Herren der Stadt, die sie hier zu verteidigen suchten herab. Zacharas war anders, als er es bisher gewesen war. Anscheinend hatte er sich tatsächlich vorgenommen sich zu ändern und war bemüht es allen zu beweisen.
    „Du hast einen starken Willen“, erklärte der Lord, „der Willenskraftzauber wird diesen noch verstärken, was deine Kampfkraft deutlich steigern wird. Ich könnte ihn auf dich anwenden. Das würde unsere Chancen in der Schlacht erheblich steigern!“
    „Du willst was mit mir machen?“, fragte Daryk, „mich verzaubern?“
    Nickend bestätigte der Magier seine Aussage.
    Daryk zog eine Augenbraue hoch und Musterte sein Gegenüber. Wie konnte er sich sicher sein, dass der Herzog diese Gelegenheit nicht nutzen würde, um sich für die Aktion auf dem Marktplatz zu rächen? Andererseits schätzte er Aras nicht als einen Mann ein, der die Chancen auf einen Sieg in der Schlacht verringerte, nur um seine persönliche Rache zu erhalten. Immerhin ging es um seine Stadt. Kurz überlegte er und kam dann zu dem Schluss, dass auch Aras eine Chance verdient hatte. Jedenfalls hatte dieser Daryk eine – wenn auch unfreiwillige – Chance gegeben, als er eigentlich als Feind zu der Gruppe gestoßen war. Warum sollte Daryk ihm keine geben, wenn er jetzt als Freund zu ihm sprach?
    Er nickte: „Okay, aber wenn ich mich als Frosch wiederfinde, bring ich dich um!“
    Erneut lachte Aras und meinte: „Wie stellst du dir das vor, so als Frosch?“
    „Ich werde einen Weg finden“, grinste Daryk, irgendjemand wird dich schon für mich umbringen.“
    Mit diesen Worten war es beschlossen und Daryk verließ den Strand in Richtung der Stadt. Inständig hoffte er, dass er diese Zusage nicht bereuen würde.


    Der Mond stand inzwischen hoch am Himmel und die Geräusche der feiernden Nordmänner verebbten langsam. Daryk fragte sich, wo der Rest der Truppe wohl war. Jaris und Thyra hatten sich vermutlich in die Gemächer des Söldners in der Burg zurückgezogen. Theical würde vermutlich bei Habger sein und Kuen hatte er vorhin einmal mit den Nordmännern kämpfen sehen. Daphne hatte er seit dem Duell mit Arthur nicht mehr gesehen. Ihre Brüder hatten darauf bestanden, dass sie sich in ihre Obhut begab. Er wusste nicht, wie er sich bei ihr für die Rüstung bedanken sollte, die vermutlich ein kleines Vermögen gekostet hatte, aber er beschloss, sie am nächsten Morgen anzuziehen und ihr zumindest einmal zu zeigen, was sie ihm da zum Geschenk gemacht hatte.
    Plötzlich hörte er die Stimme des Herzogs noch einmal hinter sich: „Daryk! Daryk, warte!“
    Daryk drehte sich zu ihm um und schaute ihn fragend an.
    „Was ist denn noch?“, verlangte er zu erfahren.
    Schnell holte Aras zu ihm auf und meinte: „Ich brauche morgen deine Hilfe.“
    Skeptisch betrachtete der Hüne den Mann, der ihn verzaubern wollte und fragte: „Wobei?“
    „Einer der Minenausgänge liegt außerhalb der Stadt!“, erklärte Zacharas, „den müssen wir versiegeln, oder sie können ganz einfach in die Stadt eindringen.“
    „Warum habt ihr einen Mineneingang, der das komplette Verteidigungskonzept zerstört?“, wunderte sich Daryk.
    „Ursprünglich war dieser Weg als Fluchtweg geplant, falls die Stadt belagert wird. Aber ich fürchte Bornholms Männer werden ihn finden und uns so in den Rücken fallen“, führte der Lord aus.
    Daryk rieb sich die Augen. Wie konnte man denn eine solche Schwachstelle bewusst in seine Festung einbauen. Manchmal brachten ihn diese Südländer zum Verzweifeln.
    „Du bist ein Magier. Zerstöre ihn einfach“, schlug er dem Herzog vor, „Das sollte dir doch nicht schwerfallen, oder?“
    „Ich hatte gehofft, wir könnten ihn so versiegeln, dass er danach wieder nutzbar ist“, gab Zacharas zu.
    „Wir sehen es uns morgen Nachmittag an“, versprach Daryk, „aber wir wollen hier einen Krieg gewinnen, also würde ich mir nicht allzu viele Sorgen um einen Mineneingang machen!“
    Zufrieden stimmte der Lord diesem Vorschlag zu, verabschiedete sich von Daryk und ging in Richtung seiner Burg.
    Daryk schüttelte den Kopf und machte sich auf zu Habgers Haus um noch ein paar Stunden Schlaf zu finden.

    Er fand Schlaf. Allerdings nicht, wie er ihn sich erhofft hatte, denn diese Nacht war geprägt von Alpträumen.
    Wieder sah er die Waffe, die seine Tochter ihm als „Seelenspalter“ vorgestellt hatte, wieder nahm er sie in die Hand und wieder hatte er das Gefühl unglaublicher Macht. Er sah Menschen brennen, sah Seelen, die nicht an ihrem Platz waren und hatte das Bedürfnis, sie zu führen.
    Er sah das Wasser in dem er kniete, wie es sich rasch blutrot färbte. Es war sein Blut, welches aus seinen Schultern floss und sich im Wasser schnell ausbreitete.
    Er sah sich selbst, glücklich, mit seiner Frau an seiner Seite und seinem Kind auf dem Arm. Er sah die Dunkelheit einer unsicheren Zukunft, die beide umfing und sie von ihm trennte.
    Er sah seine Hand auf einem Brustpanzer liegen, der langsam begann zu glühen, und hörte die Schreie eines Mannes, dessen Stimme ihm wohlbekannt war.
    Zuletzt sah er den Eingang zu einem Tempel, die eine Seite strahlend schön und von Wasserläufen durchzogen, die andere Seite verfallend und von brennenden Kohlebecken erleuchtet.
    Eine Stimme, welche gleichzeitig wunderschön und doch furchterregend war, gleichzeitig menschlich und nicht menschlich, sprach: „Komm, Todesritter, komm und empfange, was dir zusteht!“

    Die Fliege, die auf seinem Gesicht saß schoss hoch und flog durch das Zimmer, als Daryk aus dem Schlaf hochschreckte.

    Die Sonne war beinahe hinter dem Horizont verschwunden, als Daryk den Nordmännern, wie sie sich selbst nannten, half, die letzten Zelte aufzuschlagen. Von seiner Heimat aus gesehen war auch Devyleih im Süden. Devyleih war zwar die nördlichste Provinz dieses Landes, aber Lyc lag, von einem Meer von Daphnes Heimat getrennt, noch einmal deutlich weiter im Norden.
    Gerade als er einen Zelthering in den Boden hämmerte, hörte er hinter sich eine Stimme: „Ihr seht nicht aus, als wärt Ihr von hier.“
    Langsam erhob sich Daryk von seiner Arbeit und drehte sich um. Vor ihm stand einer der Halbbrüder von Daphne, der, den sie als Arthur vorgestellt hatte. Seine langen dunklen Haare hatte er zu einem dicken Pferdeschwanz gebunden und sein Vollbart verdeckte die Linien und Kreise, die seinen Hals musterten. Soweit Daryk das beurteilen konnte, war auch der Rest seines Oberkörpers, mit Ausnahme des Gesichts von Tätowierungen bedeckt. „Nein“, beantwortete er die Frage gewohnt knapp und zog einen weiteren Hering aus seinem Hosenbund.
    „Ihr redet auch nicht besonders viel, oder?“, hakte Arthur grinsend nach.
    „Nein“, erwiderte Daryk und machte sich daran, den Hering in den Boden zu schlagen.
    „Warum ist die Gruppe der Freunde um die Prinzessin herum so verschwiegen, wenn man sie fragt, was sie hier treibt?“, fragte Arthur.
    Daher wehte also der Wind. Kaum einen halben Tag da und schon spionieren. Daphnes Halbbruder sah Daryk mit einem durchdringenden Blick an, als wolle er seine Gedanken lesen.
    „Du stellst viele Fragen“, bemerkte Daryk, „ist das normal, wo du herkommst?“
    „Da wo ich herkomme, stellt man Fragen, wenn man etwas wissen will. Ich gehöre der Leibgarde der Prinzessin an. Es ist meine Berufung zu verstehen, was ich hier vorfinde.“
    , entgegnete Arthur energisch, „Was wart Ihr, da, wo ihr herkommt? Wohl kaum Gärtner oder Schreiner!“
    Kurz überlegte Daryk, ob die Wahrheit zu sagen zu viele Erklärungen nach sich ziehen würde, kam dann aber zu dem Schluss, dass es vermutlich keinen Unterschied machen würde. „Holzfäller“, beantwortete er die Frage von Daphnes selbsternanntem Leibwächter. Das war keine Lüge, denn vor dem Krieg war er genau das gewesen.
    „Holzfäller?“, wiederholte Arthur verwundert.
    „Holzfäller“, bestätigte Daryk es ihm erneut, „dann Soldat, dann Mitglied der Königswache.“
    Zufrieden grinsend nickte Arthur: „Dachte ich es mir doch!“
    „Was?“
    , hinterfragte Daryk diese Aussage.
    „Sehe ich es demnach richtig, dass die Prinzessin mit einer Nomadin, einem Söldner, einem ... Kartenspieler, wie er sich nannte, einem Herzog und einem Soldaten durch das Land zieht?!“
    Schulterzuckend bestätigte Daryk diese Aussage und fragte sich worauf der Tätowierte Mann hinaus wollte.
    „Zu welchem Zweck?“, wollte dieser sofort wissen.
    Daryk dachte gar nicht daran, diese Frage an Daphnes Stelle zu beantworten und meinte: „Frag deine Schwester.“
    Daraufhin sah Arthur ihn mit einer Mischung aus Wut und Trauer an, sagte aber nichts mehr. Dies veranlasste Daryk dazu, anzunehmen, das Gespräch wäre vorüber. Er wandte sich wieder seiner Arbeit am Zelt zu, wurde aber wieder von einer Frage unterbrochen: „Wie lange ist euer letzter richtiger Kampf her?“
    Von der ewigen Fragerei langsam genervt drehte sich Daryk wieder zu ihm um und knurrte: „Nicht lange.“
    „Demnach war die Prinzessin in diesen Kampf verwickelt!?“
    , stellte Arthur missmutig fest.
    „Das habe ich nicht gesagt“, dementierte Daryk, „du hast nach meinem Kampf gefragt, nicht nach ihrem.“
    „Das schon“, stimmte der Fragesteller zu, „aber die anderen sagten mir, dass ihr euch alle seit Wochen nicht voneinander getrennt habt. Das heißt, dass, als Ihr gekämpft habt, auch die Prinzessin zugegen war!“
    Daryk versuchte, den Blick des Mannes zu lesen, was ihm aber nicht gelingen wollte. Mit einer leisen Ahnung, worauf Arthur hinaus wollte, versuchte er zu vermeiden dass dieser erfuhr, in welcher Gefahr sich Daphne befunden hatte.
    „Da war sie. Gekämpft habe ich“
    , war das Beste, was ihm einfallen wollte.
    Nickend kratzte sich Arthur am Bart und forderte: „Dann sucht Euch eine Waffe. Ich will wissen, mit was ich es hier zu tun bekomme!”
    Mir hochgezogener Augenbraue verneinte Daryk: „Ich bin nicht hier, um gegen Verbündete zu kämpfen.“
    „Wenn Ihr mich als Verbündeten seht, dann dürfte Euch ein Übungskampf nichts ausmachen“
    , argumentierte sein Widersacher weiter, „Ich will wissen, mit welcher Art Bauer, Söldner und ... Holzfäller ich es hier zu tun habe!“ Daraufhin drehte er sich um und ging lachend in Richtung des großen Platzes in der Mitte des Lagers.
    Verdutzt und ohne eine große Wahl was er tun sollte, blieb Daryk kurz zurück und folgte dem Mann dann. Einmal Feigling genannt zu werden war genug und obwohl er keine gesteigerte Lust auf ein Duell hatte, wollte er sich vor Daphnes Leuten erst recht keine Blöße geben.

    Der Platz war von einem Ring aus Fackeln umgeben, wodurch er trotz der aufkeimenden Dunkelheit hell erleuchtet war. Yorick hatte offensichtlich Aras mitgebracht, als er aus der Burg zurückgekommen war. Er stand etwas teilnahmslos herum und schien sich nicht so recht wohlzufühlen. Irgendwas war anders am Herzog, aber Daryk konnte noch nicht genau sagen, was. Er fragte sich, ob er am Nachmittag vielleicht etwas übertrieben hatte, als er Zacharas über den Marktplatz geworfen hatte. Schnell kam er aber zu dem Schluss, dass es dem ehemaligen Zauberer nicht schadete, wenn er einmal merkte, dass es auch für ihn Grenzen gab. Eine dieser Grenzen hatte er definitiv überschritten, als er Daphne gegen ihren Willen festgehalten hatte. Für einen Mann, der behauptete, immer gut zu Frauen gewesen zu sein, war er erstaunlich taub, wenn eine Frau ihm sagte, er solle sie loslassen. Daryk wurde kurz von Erinnerungen an seine Zeit als Königswache übermannt. Damals hätte er den Mann, unabhängig von Rang und Namen, sofort getötet, wenn er „seine“ Prinzessin gegen ihren Willen festgehalten hätte. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Glück für den Herzog.
    Die anderen der Gruppe waren auch da. Jaris und Thyra standen eng nebeneinander und schienen in Gedanken versunken zu sein. Theical saß neben einer Fackel am Boden und sah müde aus. Er hatte auch den ganzen Tag beim tragen und Aufbauen der Zelte geholfen. Neben Daphne stand ihr Bruder, ebenso wie Arthur mit Tätowierungen übersäht, und grinste in Richtung der beiden näherkommenden Männer.
    Arthur ging voran, mit Daryk knapp hinter ihm und blieb neben einem Zelt stehen. Er zog die Plane zurück und offenbarte eine Waffenkammer. Vollgestellt mit allen möglichen Waffen bot das Zelt eine reichhaltige Auswahl.
    „Sucht Euch eine aus“, forderte Arthur seinen Konkurrenten auf. Daryk näherte sich dem Zelt und warf einen Blick hinein. Er sah Äxte, Schwerter, Speere und alle möglichen weiteren Waffen. Nur ein Sponton war nicht darunter, was ihn ärgerte.
    Plötzlich stand Daphne hinter Arthur und maulte ihn an: „Was genau soll das werden? Reicht es nicht, wenn du meine Freunde alle ausfragst?“
    Grinsend drehte sich Arthur zu ihr um und schüttelte den Kopf: „Es ist nur ein Übungskampf, keine Sorge, Prinzessin. Ich lasse den Holzfäller ganz! Aber ich bin etwas eingerostet, wie ich glaube! Und Euer … Freund hat sich bereit erklärt, mir beim Auffrischen zu helfen“ Daryk konnte sich nicht erinnern, sein Einverständnis gegeben zu haben, sagte aber nichts.
    Wütend fauchte Daphne ihren Halbbruder an: „Du kannst dir deinen Übungskampf an den Hut stecken, du Schwannendrücker. Kannst du mir mal zur Übung verraten, warum du dann scharfe Waffen wählst?”
    Arthur senkte den Kopf. „Wäre es Euch lieber, Prinzessin, wenn wir nur Stöcke verwenden würden?“
    Mit einem Tonfall, der aussagte, dass sie nicht glauben konnte, dass sie diese Tatsache extra erwähnen musste keifte sie ein „Ja!?“
    Nach einem kurzen Blick zu Yorick, welcher grinsend die Schultern zuckte und so seiner Schwester recht gab, verbeugte sich Arthur kurz und holte zwei lange hölzerne Stäbe aus dem Zelt. Speerschäfte, wie der, den Daryk an dem Baum zerstört hatte. Einen warf er Daryk zu, den anderen behielt er selbst.
    Mit einer Geste bedeutete Daphnes Halbbruder Daryk sich ihn die Mitte des Fackelkreises zu begeben. Stumm folgte dieser der Aufforderung und stapfte über den sandigen Boden. Im Hintergrund war noch die Stimme von Daphne zu vernehmen, die sich beschwerte, dass ihre Leute beim Anblick einer größeren Person sofort versuchen mussten ihre Kräfte zu messen.
    Die Anzahl der Zuschauer lies Daryk daran zweifeln, dass dies eine spontane Idee des Tätowierten war. Rund um den Fackelkreis standen die Männer und schienen nur darauf zu warten, dass es endlich losging. Yorick und Daphne standen natürlich in der ersten Reihe, ebenso wie der Rest seiner Freunde.

    Kurz standen sich Arthur und Daryk mit erhobener Waffe gegenüber und Daryk fragte sich, ob es sowas wie ein Zeichen zum Beginn gäbe. Dann begannen die Umstehenden Soldaten plötzlich rhythmisch auf den Boden zu stampfen und einen seltsamen Gesang anzustimmen. Arthur nahm dies offensichtlich als Anlass, den sogenannten Übungskampf zu starten, denn er begann, um Daryk herum zu laufen. Dieser begab sich ebenfalls in Kampfposition und achtete darauf, seinen Gegner immer vor sich zu behalten.

    Eine scheinbare Ewigkeit umkreisten sich die beiden Männer, ohne, dass etwas passierte. Dann griff Arthur an. Ein schneller Hieb in Richtung von Daryks Kopf. Dieser riss seinen Stab hoch und blockte so den Angriff. Noch in derselben Bewegung führte Daryk das Ende seiner Waffe über Arthurs und schob sie beiseite. Nun folgte ein mächtiger Hieb von Daryks Seite, welcher aber nur viel Staub aufwirbelte als er auf den Boden aufschlug. Arthur war längst ausgewichen und griff nun von der Seite an. Gerade noch konnte Daryk das hintere Ende seines Stabes in den Schlag des Tätowierten bringen. Mit beiden Händen schob er seine Waffe gegen Arthurs, sodass dieser ein paar Schritte zurück wich. Jetzt erkannte Daryk seine Chance zum Angriff und ließ seinen „Speer“ vorschnellen um seinen Widersacher am Kopf zu treffen. Wieder wich Arthur aus und Daryk spulte seine Angriffssequenz ab. Zug. Er schaffte es, Arthur beim Zurückziehen der Waffe am Hals zu streifen, was aber mangels Klinge keine Wirkung erzielte. Daryks abschließender Hieb hätte perfekt das Schlüsselbein seines Gegners getroffen, hätte dieser nicht seinen Stock in den Weg gehalten. Diesmal war es an Arthur, die Waffe seines Gegners zur Seite zu schieben und darum herum anzugreifen. Schnell zog Daryk seinen Kopf zurück und spürte den Luftzug, den die vorbeisausende Spitze der Waffe auf seinem Gesicht hinterließ. Um aus der Reichweite seines Kontrahenten zu kommen wich Daryk einen schnellen Schritt zurück.
    Erneut setzte Arthur zu einem Angriff an, den Daryk wiederum parierte. Er führte die Spitze von Arthurs Stab mit seinem eigenen zu Boden und klemmte ihn fest. Ein schneller Tritt brach die Waffe entzwei, sodass Arthur nur noch ein Stück von der Länge eines Schwertes in der Hand hielt.
    Ohne Umschweife passte Daphnes Halbbruder seine Kampftechnik an und wechselte zum Schwertkampf über. Mit schnellen, kreisenden Bewegungen griff er Daryk an, welcher ihn mit der nun überlegenen Reichweite seiner Waffe auf Abstand hielt. Wieder versuchte der Tätowierte, um Daryk herum zu laufen, was dieser aber nicht zuließ. Zwischendurch ließ Daryk seinen „Speer“ immer wieder vorschnellen, um seinen Gegner vielleicht zu erwischen, aber Arthur war zu flink und parierte die Angriffe oder wich ihnen einfach aus.
    Dann gelang es dem kleineren Mann Daryks Speer zu greifen und an der Spitze vorbei auf ihn zuzulaufen. Mit der freien Hand hob er seine Waffe, um Daryk einen direkten Schlag zu versetzen. Der ließ seinen nutzlos gewordenen Stab fallen und nutzte die eine Hand, um Arthurs Waffenhand zu fangen und die andere, um seinen Gegner an der Jacke zu packen und zu kontrollieren. Auch Arthur lies den Stab fallen und griff an Daryks Hemd.
    Eine Weile verharrten die Männer in dieser Position, da keiner nachgab aber dann gelang es Daryk, Arthur aus dem Gleichgewicht zu bringen und in der kurzen Zeit, die dieser brauchte, um sich zu fangen zu entwaffnen. Der zerstörte Stab Arthurs fiel auf in den Staub und beide Männer waren nun unbewaffnet. Daryk schaffte es, Arthurs Kopf unter seinen Arm zu klemmen und verpasste ihm einen Faustschlag in die Rippen.
    Als er gerade zum zweiten Schlag ansetzen wollte bemerkte er, wie Yorick energisch am Arm seiner Schwester herumfummelte und auf den Armreif verwies.
    Dieser kurze Moment der Unachtsamkeit genügte Arthur, um die Situation zu seinen Gunsten zu ändern. Er griff in Daryks Kniekehlen und schob ihm seine Schulter mit aller Kraft in den Bauch. Das reichte, um Daryk aus dem Gleichgewicht zu bringen. Mit einem dumpfen Schlag landete er auf dem Rücken und konnte hören, wie ein Raunen durch die Menge ging. Arthur nutzte die Gelegenheit um ihm einen schnellen Schlag ins Gesicht zu verpassen und das Duell für sich zu entscheiden. Der Gesang der Soldaten verstummte und wandelte sich bald in Jubel. Arthur stand über ihm und schaute schwer atmend zu ihm herunter, lächelte dabei aber. Dann reichte er ihm die Hand und half ihm auf.
    „Anscheinend bin ich doch noch nicht ganz eingerostet“, lachte er und klopfte Daryk auf die Schulter. Da dieser nicht wusste, was er sagen oder tun sollte blieb er einfach stumm stehen und lies es über sich ergehen.
    Plötzlich fühlte er eine weitere Hand, die ihm auf die Schulter klopfte und dann noch eine. Jeder der Soldaten die zugesehen hatten klopfte ihm auf die Schulter, wenn er an Daryk vorbeiging. Fragend schaute der Verlierer des Duells zu Arthur. „Sie respektieren Euch“, erklärte dieser, „auch wenn Ihr verloren habt.“
    Daryk senkte den Kopf zu einer angedeuteten Verbeugung. Im Hintergrund hörte er Thyra amüsiert rufen: „Dass unser Fettsack auch mal verlieren kann?“
    Jaris wusste wohl, wie sich verlieren anfühlt denn er versuchte ein Lachen zu unterdrücken.
    „Da das nun geklärt wäre“, unterbrach Yorick die Respektsbekundungen, „feiern wir unsere Ankunft!“
    „Sollten wir damit nicht bis nach der Schlacht warten?“
    , fragte Theic vorsichtig.
    „Diese Männer haben Wochen in Booten verbracht“, bestärkte der Heerführer seine vorherige Aussage, „ich denke, sie haben etwas Spaß verdient!“

    Es geschah, wie Yorick es befohlen hatte. Met wurde herbeigebracht, sowie Musikinstrumente und etwas Fleisch, das vorher schon gegrillt worden war. Daryk saß zusammen mit Thyra, Jaris und Theic am Feuer und schwieg. Daphne war irgendwo mit ihrem Halbbruder und auch der Herzog musste irgendwas mit Yorick besprechen. Noch immer dachte er daran, warum er den Kampf verloren hatte, als Theical ich aus seinen Gedanken riss: „Was meinst du dazu, Daryk?“
    „Wozu?“, fragte dieser nach, da ihm die vorausgegangene Unterhaltung der anderen entgangen war.
    „Haben wir eine Chance in der Schlacht?“
    Woher sollte er das wissen? „Sicher“, behauptete er trotzdem, „wir haben ja Verstärkung gekriegt.“
    Die anderen schienen ihm diese Sicherheit nicht wirklich abzukaufen, beließen es aber dabei.
    Hinter den anderen konnte Daryk sehen, dass sich Arthur näherte.
    „Ich müsste den Holzfäller für einen Moment entwenden“, verkündete er, „aber ich bringe ihn wieder, diesmal ohne gegen ihn zu kämpfen!“
    Wortlos erhob sich der besiegte Holzfäller und folgte Arthur in Richtung der Zelte.
    Während die beiden Männer sich zielsicher einem der Zelte näherten fragte Arthur: „Die Prinzessin schrieb uns, das wisst ihr sicherlich.“
    Nickend bestätigte Daryk diese Vermutung und wunderte sich, was das mit ihm zu tun hatte.
    „Sie erzählte von einer fremden Armee, die diese Ländereien alsbald bedrohen würde“, fuhr er fort, „dass nach der Revolte kaum mehr Soldaten übrig seien, als Bauern. Dass es diesem Ort so ziemlich an allem mangelt. Waffen und Ausrüstung, so wie Personen, die diese führen können.“
    Erneut nickte Daryk und meinte: „Das ist wahr.“
    Der Tätowierte ließ sich durch Daryks Einwurf nicht aus dem Redefluss bringen und erzählte weiter: „Alles konnten wir nicht entbehren, aber was wir mitnehmen konnten, haben wir hier. Dennoch meinte sie, Ihr hättet alles zurücklassen müssen, bei einer Art ... Gefangenschaft. Ich habe gesehen, dass die Jägerin einen Bogen mit sich führt, der Söldner ein Schwert, mit was gedenkt Ihr zu kämpfen?”
    Das war eine sehr gute Frage. Tatsächlich hatte Daryk seine gesamte Ausrüstung bei der Gefangenschaft verloren, lediglich der Dolch den er mitgenommen hatte, die Kleidung die er getragen hatte und sein Ersatzhemd war ihm geblieben. Im Wesentlichen besaß er nichts mehr. „Wird sich schon was finden“, meinte er.
    Daraufhin blieb Arthur stehen und musterte Daryk von oben bis unten. „Ein Krieger ist nur so gut, wie seine Waffen!“, bemerkte er, „Es wird unmöglich sein, in den wenigen Tagen eine Rüstung für Euch herzustellen oder eine Waffe, die gut genug ausbalanciert ist!“
    Zum dritten Mal nickte Daryk: „Auch das ist wahr.“
    Daphnes Halbbruder näherte sich dem Zelt und griff nach der Plane. „Es ist ja nicht so, als würde man bei Euch wenig Eisen brauchen. Ich muss gestehen, als ... die Prinzessin Euch beschrieb, dachten wir, sie würde maßlos übertreiben.“, lachte er, „Sieben Schmiede haben daran auf dem Weg hierher gearbeitet. Vom Helmschmied, bis zum Plattner. Die Sonderwünsche der Prinzessin machten es uns nicht leichter, aber wir bekamen sie fertig!“
    Mit hochgezogener Augenbraue fragte Daryk: „Was fertig?“
    Grinsend zog Arthur die Zeltplane zurück und meinte: „Eure Rüstung und Waffen!“
    Der Vorhang enthülle einen Plattenpanzer, geschmiedet aus schwarzem Stahl. Ein blutroter Edelstein, der in Form einer Fliege geschliffen war, zierte die Mitte des Brustharnischs und die Kombination aus beidem verlieh der Rüstung eine furchteinflößende Aura. Der Helm verbarg das gesamte Gesicht und unterstützte diese Ausstrahlung noch weiter. Die schiere Größe des Panzers wies darauf hin, dass sie tatsächlich für Daryk war, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass es so war.
    „Meine… was?“, stammelte er ungläubig und betrat das Zelt. Langsam umrundete er die Rüstung, die von nun an seine sein sollte, und strich mit der Hand über den kalten Stahl.
    Arthur stand einfach weiter vor dem Zelt und beobachtete ihn dabei.
    „Diese Rüstung wurde nicht für einen Holzfäller geschmiedet!“, rief er Daryk nach einer Weile zu.
    Daryk hielt inne und schaute den Mann an.
    „Der eingefasste Stein auf der Brust ist auch nicht nur blanke Zierde!“, fuhr Arthur fort, „er wird als Glücksbringer verschenkt, als gutes Omen.“ Er nahm sein Schild vom Rücken, deutete auf das Wappen, auf dem ein Pferd ebenso eingefasst wurde und ergänzte: „Er wird nur verschenkt! Ihn sich anders anzueignen, bringt Unglück!”
    Wieder nickte Daryk nur, denn er wusste einfach nicht, was er sagen sollte.
    „Thorvids Griff an seinem Bogen, die Griffe der Äxte des Prinzen, sie alle waren ein Geschenk der Prinzessin“
    Ungläubig starrte Daryk den Tätowierten an.
    „Ihr müsst irgendetwas getan haben, was solchen Dank auslöst. Ich frage mich an der Stelle nur, ob ich wissen will, was das war“, redete dieser einfach weiter, „Und auch, wenn sich alle in Schweigen hüllen, schließe ich mich dem Dank an, was immer eure Gruppe oder Ihr getan habt!“
    „Danke“
    , war alles, was Daryk über die Lippen brachte. Er war überwältigt von der Großzügigkeit Daphnes und auch der Nordmänner.
    „Da ihr auch eine Waffe braucht“, meinte Arthur weiter und wies zur Wand des Zelts, wo alle möglichen Waffen aufgereiht waren, „sucht euch was aus!“
    Daryks Blick folgte der Geste des Tätowierten und fand schnell eine Mordaxt, die die perfekte länge aufwies und wählte sie sofort als die seine aus.
    „So sei es“, grinste Arthur, „kommt jetzt. Gehen wir zu Euren Freunden zurück. Vorführen könnt ihr sie ihnen Morgen, bei Tageslicht.“
    Zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Abend nickte Daryk und folgte Arthur zurück zu den anderen.

    Der alte Schmied hatte tatsächlich nichts dagegen, dass Theic seine Freunde mit einquartierte. Platz war wohl genug und nachdem er lange Zeit ganz alleine in dem Haus gewohnt hatte, freute er sich über etwas Besuch. Habger hatte Daryk beim Hereinkommen genau betrachtet. Der Hüne schien ihm bekannt vorzukommen, was kein Wunder war, hatte Daryk doch den Wetzstein bei ihm gekauft. Nachdem Theics Großvater aber nichts dazu gesagt hatte, machte der Enttarnte sich keine größeren Gedanken dazu.

    Daryk fühlte sich fast schon einsam, als er zum erstem Mal seit einiger Zeit ein Zimmer für sich allein hatte. Reglos lag er auf seinem Bett, starrte die Decke an und dachte über den Tag nach. Das Training mit Daphne war halbwegs erfolgreich gewesen, aber sie hatte gesagt, sie wüsste nicht ob sie kämpfen könne. Da er nicht wusste, wie er ihr noch weiterhelfen konnte, machte er sich Sorgen um die kleine Frau. Dass sie ihn auf jeden Fall würde heilen wollen, wusste er, weshalb er auch davon ausgegangen war, dass sie seiner Aufforderung ihn anzugreifen nachkommen würde, wenn er sich verletzte. Aber wie sollte sie in dieser Verfassung eine Schlacht überstehen?
    Immerhin schien der Armreif, den er ihr gemacht hatte ihre Stimmung etwas angehoben zu haben, denn sie trug ihn noch immer. Dabei fiel Daryk auf, dass Daphne noch nicht nach der Bedeutung der eingravierten Runen gefragt hatte. Allerdings hatte er auch keine Ahnung was er ihr sagen sollte, falls sie es tun würde. Die Wahrheit? Vielleicht war es auch besser zu behaupten, dass er nicht wüsste was sie bedeuten, oder dass sie nur der Zierde dienten. Inständig hoffte Daryk, dass ihm eine Lösung einfallen würde, bis es soweit war.

    Er kratzte sich am Kopf um den Gedanken zu vertreiben und drehte sich auf die Seite. Mit offenen Augen lag er da und versuchte zu schlafen. Es klappte nicht. Zu viele Dinge drehten sich in seinem Kopf. Gedanken an seine Vergangenheit, an die jetzige Situation und auch an seine Zukunft. Wohl wissend, dass er wenn überhaupt nur Alpträume im Schlaf finden würde, stand er auf und ging zum Fenster. Es hatte wieder begonnen zu regnen und die Tropfen schlängelten sich langsam die Scheibe hinunter. Leise öffnete Daryk das Fenster und hielt seine Hand in den Regen hinaus. Das kühle Nass erinnerte ihn daran, dass Daphne ihre Kräfte aus dem Wasser zog. Wie genau sie das Tat verstand er nicht, aber er fragte sich, ob es gut für sie wäre, wenn es bei der Schlacht regnen würde. Nicht, dass er irgend einen Einfluss auf das Wetter hätte, aber man konnte ja nie wissen.
    Er schloss das Fenster wieder und drehte sich zur Tür. Nach kurzer Überlegung nahm er die Waffen, die er bei Daphnes Training dabeigehabt hatte, vom Tisch. und verließ das Zimmer. So leise, wie es sein massiger Körper es ihm erlaubte, bewegte er sich durch den Gang vorbei an dem Zimmer in dem Theical schlief, vorbei an Habgers Kammer und auch am Badezimmer in dem Daphne vermutlich im Wasser schlief. Ein Knarren des Fußbodens ließ ihn kurz verharren, da er niemanden wecken wollte und ging dann weiter die Treppe hinunter. Unten angekommen durchquerte er die Schmiede, welche inzwischen deutlich besser eingerichtet war, als noch bei seinem letzten Besuch hier. Die Esse brannte noch ein wenig vom Tagwerk und tauchte den Raum in ein unheimliches Licht. Daryk fand die Tür im Halbdunkel und ging hinaus in den strömenden Regen.

    Er stapfte über den matschigen Boden in Richtung des Waldes, in dem er heute Nachmittag mit Daphne trainiert hatte. Auf der Lichtung war es trotz des schlechten Wetters hell genug, da der Mond durch die Wolken schien. Schwert und Schild legte er beiseite und widmete sich ganz dem Stab. Leider fehlte die Speerspitze, was die Balance der Waffe etwas durcheinanderbrachte. Egal. Immer noch besser als nichts. Daryk nahm den Stab aus Esche in beide Hände. Erinnerungen an die alte Zeit als Königswache kamen hoch, als er die Kunst der Stangenwaffen zu perfektionieren versucht hatte. Damals hatte er einen Sponton getragen – so wie der, den er einmal in seinem Traum gesehen hatte. Obwohl eigentlich eine Paradewaffe, war sie, richtig geführt, ein tödliches Werkzeug, perfekt, um mehrere Gegner gleichzeitig zu beschäftigen. Zudem war der Träger dieser Waffe in der Lage, panzerbrechende Angriffe auszuführen, um auch Angreifer in schwerer Rüstung effektiv zu bekämpfen. Daryk sehnte sich nach dieser Waffe zurück, aber für heute Nacht musste es der hölzerne Stab tun.

    Langsam begann er, die Bewegungen auszuführen die er einst gelernt hatte. Stich, Zug, Hieb. In dieser Reihenfolge, immer und immer wieder wiederholte er die Angriffe gegen eine dicke Eiche, mit der gleichen Präzision, wie damals. Jedes Mal wurden die Bewegungen schneller, die Angriffe härter. Mit der Zeit begann er, all seine angestaute Wut in die Attacken zu legen. Die Wut darüber, dass er Daphne nicht wie versprochen helfen konnte, die Wut darüber, dass Aras es wagte ihn als Feigling zu bezeichnen, die Wut darüber, dass er keine Ahnung hatte, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Jeder Angriff ließ ihn mehr in Rage verfallen, bis er irgendwann bei jedem Schlag den Baum anschrie, als könnte der etwas für seine Probleme. Mit einem letzten, hasserfüllten Schlag zerbrach der hölzerne Stab schließlich und der plötzlich nachlassende Widerstand brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Das machte ihn nur noch wütender, denn sein Gleichgewicht zu verlieren war gleichbedeutend mit dem Tod auf dem Schlachtfeld. Er fing sich wieder und warf den Rest des abgebrochenen Stabs mit aller Kraft und schreiend gegen den Baum. Dort prallte das Geschoss ab, und flog irgendwo ins Gebüsch. Er ging mit großen Schritten zu der Eiche und schlug seine Faust mit aller Kraft und mit einem lauten Schrei gegen die Rinde. Knackend brachen die Knochen seiner Hand und ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Arm. Die Verletzung brachte seinen Verstand wieder zurück. Schwer atmend drehte er sich um und lehnte sich an dem Baum. Langsam rutschte er den Stamm hinunter und setzte sich auf den schlammigen Waldboden. Seine Hand begann anzuschwellen und nahm mit der Zeit eine unnatürliche, blaue Farbe an. Gut, dass er Daphne hatte. Die Kälte des Bodens und des Regens kühlte seinen aufgeheizten Körper ab und er merkte, dass ihm langsam Kalt wurde. Er schnaubte verächtlich. Kalt. Ihm. Einem Mann, der in Schnee und Eis einen Krieg geführt hatte, der aus dem hohen Norden kam, aus dem ewigen Eis. Er hatte Wochen in einem Eisloch verbracht, zusammen mit zehn Kameraden, von denen nur er und Alistair überlebt hatte. Aber jetzt saß er hier im Wald, wie ein Häufchen Elend. Mit der unverletzten linken Hand rieb er sich die Augen und versuchte, seine Gedanken auf etwas Schöneres zu lenken. Daphne konnte seine Hand heilen, was immerhin bedeutete, dass er an der Schlacht mitwirken konnte, aber das war auch schon alles, was ihm einfiel. Aras saß in seiner Burg, gab dem Feind die Hand – sofern es bei der Hand blieb – und erwartete von ihnen, seine Schlacht für ihn zu schlagen. Thyra und Jaris waren irgendwo alleine unterwegs, wer weiß, was sie erlebt hatten oder wie es ihnen ging. Theical war zuhause, aber irgendwie konnte sich Daryk nicht vorstellen, dass der kleine Mann in einer Schlacht zu etwas, außer einem Späher, zu gebrauchen war. Mit ihren Wassersträngen konnte Daphne zwar prinzipiell kämpfen, aber sie glaubte nicht an sich, was die Sache sehr viel schwieriger machte. Daryk grinste. Er glaubte an sie, denn er wusste, dass sie ihn Befreit hatte. Ihr schien nur die richtige Motivation zu fehlen, ihre Kräfte auch einzusetzen. Nachdenklich strich er sich über den Bart, als er versuchte herauszufinden, wie er ihr diese Motivation geben könnte. Nachdem er zu keinem brauchbaren Ergebnis kam und seine Hand inzwischen sehr schmerzhaft geworden war, richtete er sich auf, nahm Schwert und Schild mit und ging zurück zu Habgers Haus.

    Dort angekommen, lies er seine Ausrüstung in der Schmiede liegen und versuchte erneut so leise wie möglich an den anderen Räumen vorbei, sein Zimmer zu erreichen. Daphne zu wecken um seine Hand sofort zu heilen kam für ihn nicht in Frage, daher hing er seine nassen Klamotten über einen Stuhl und stellte sich auf eine unruhige Nacht mit schmerzender Hand und Alpträumen ein.

    Der nächste Morgen kam viel zu schnell und als Theic an seiner Tür klopfte und Daryk zum Frühstück rief, hatte er das Gefühl, keine Sekunde geschlafen zu haben. „Ich komme“, antwortete er mit heiserer Stimme. Bei Regen nachts im Wald zu sitzen war wohl nicht besonders gesund. Sein Kopf tat ihm weh, genauso wie seine Hand. Diese war inzwischen mit blauen Mustern verziert und er konnte sie kaum bewegen. Mühsam kroch er aus dem Bett, quälte sich mit einer Hand in seine noch nassen Klamotten und schlurfte zur Tür. Das Gefühl, nasser Kleidung auf seiner Haut ignorierend stieg er schwerfällig die Treppe hinunter. Unten hatte Habger ein Frühstück vorbereitet, dass sich durchaus sehen lassen konnte. Brot, das scheinbar frisch vom Bäcker kam neben einem ordentlichen Stück Schinken und Käse. Allerdings hatte Daryk an diesem Morgen erstaunlich wenig Hunger. Vermutlich überschattete der Schmerz in Kopf und Hand diesen. Vielleicht war es aber auch etwas anderes, er konnte es nicht genau sagen.
    „Guten Morgen!“, rief Theic übertrieben gut gelaunt durch den Raum, während Daryk sich wortlos auf einen Stuhl sinken ließ. Seinen Kopf stützte er mit der gesunden linken Hand ab und versteckte die verletzte rechte unter dem Tisch.
    „Du siehst nicht aus, als hättest du gut geschlafen“, merkte der Taschendieb grinsend an, „fehlt dir ein ‚Zimmergenosse‘?“
    Müde zog Daryk eine Augenbraue hoch, war aber nicht in Stimmung genauer nachzufragen, was er meinte.
    „Guten Morgen zusammen!“, war Daphnes Stimme hinter ihm zu vernehmen.
    Daryk hob den Kopf und zwang sich ein „guten Morgen“ zu krächzen.
    „Was ist denn mit deiner Stimme los?“, wollte die Heilerin wissen.
    „Vermutlich hat er gestern zu viel geredet“, lachte Theical, woraufhin auch Daphne ein Kichern nicht unterdrücken konnte.
    „Weiß nicht“, war Daryks knappe Antwort, was Daphne nicht wirklich beruhigte.
    „Wirst du etwa krank?“, fragte sie mit besorgter Stimme und bevor Daryk widersprechen konnte hatte er bereits ihre Hand auf der Stirn liegen. Er sah zu ihr herüber, erkannte in ihrem Blick, dass sie wusste, dass seine Hand nicht in Ordnung war und seufzte innerlich. Sofort spürte er eine Wärme durch seinen Körper fließen, die alle Schmerzen in seinem Kopf verschwinden ließ. Rasch breitete sich das wohlige Gefühl aus und erreichten bald auch seine Hand. Daryk spürte, wie die Knochen in seiner Hand wieder zusammenwuchsen und die Schwellung zurückging. Auch sein Appetit kam wieder zurück und er freute sich auf das Essen. Nachdem Daphne ihre Hand von seiner Stirn genommen hatte sah sie ihm mit einem fragenden Blick in die Augen, sagte aber nichts. Zum Dank lächelte er kurz und senkte dann schnell wieder den Kopf.
    „Habt ihr alle gut geschlafen?“, war Daphnes nächste Frage in die Runde. Sowohl Habger, als auch sein Enkel bestätigten dies und Daryk nickte auch. Als ob sie ihm das glauben würde.
    Während des Frühstücks unterhielten sich die anderen über ihre Pläne für den heutigen Tag, wobei Daryk stumm vor sich hin aß. Er hatte keine Pläne für den Tag außer mit Daphne zu trainieren und diesen hatte sie bereits verkündet. Der Regen hatte wieder aufgehört, also stand einer weiteren Trainingseinheit auch nichts im Wege.

    Nach dem Frühstück beschloss Daphne, sofort mit dem Training anzufangen, was Daryk nur recht war. Er konnte jede Minute mit ihr brauchen, um ihr vor der Schlacht vielleicht doch noch genügend Selbstvertrauen zu geben. Während sie unter dem Wolkenverhangenen Himmel zu der Lichtung wanderten, schaute Daphne ihn auf einmal an und fragte: „Was hast du mit deiner Hand angestellt?“
    Kurz seufzte er und entschied sich, einfach die Wahrheit zu sagen: „Gegen einen Baum geschlagen.“
    „Warum?“
    , wollte sie mit einem verwirrten Blinzeln wissen.
    Der Hüne zuckte die Schultern: „Ich war wütend.“
    Nachdenklich musterte sie ihn. „Hoffentlich nicht wegen Aras und seinen Worten“, meinte sie, „oder weil ich so eine schlechte Schülerin bin.“
    Daryk musste grinsen. „Nein nicht wegen dir“, beruhigte er sie, „aber Aras…“
    „Du bist weder ein Drückeberger noch ein Feigling und das weißt du!“
    , unterbrach sie ihn, „Aras ist nur wieder wütend auf sich selbst und wir dürfen das ausbaden“
    Nickend stimmte er ihr zu. Er war kein Feigling, zumindest nicht, solange es um die Leben anderer ging.
    „Zacharas ist kein Grund sich selbst zu verstümmeln, man sollte ihn….”, seufzend unterbrach sich Daphne und schaute in den Himmel. „Ich möchte mich nicht mehr über ihn ärgern. Ich muss so schnell wie möglich dazulernen und da ist das nur hinderlich!“; ergänzte sie schließlich.
    Erneut nickte der Hüne und grinste.
    Die Schülerin blickte ihrem Lehrer in die Augen. „Abgesehen davon“, grinste sie, „kann ich mir meine Freunde und mit wem ich Zeit verbringe aussuchen.“

    Immerhin musste er sich an diesem Tag nicht verletzen, um sie dazu zu bringen ihn anzugreifen. Das Training lief gut und am Abend fiel sowohl er, als auch seine Schülerin todmüde ins Bett. Diese Nacht fühlte er sich deutlich besser und schaffte es sogar ein paar Stunden ruhig und ohne Alpträume zu schlafen.

    Mit verschränkten Armen saß die Gefangene am Tisch und weigerte sich auch nur ein einziges weiteres Wort von sich zu geben. Daryk betrachtete die Blonde mit finsteren Blick. Eine Soldatin des Feindes saß wie selbstverständlich am Tisch. Obwohl der Einwand des Herzogs über Daryks erstes Zusammentreffen mit der Gruppe nicht unberechtigt war, sie war der Feind. Zumindest hatten die Männer, die Daryk gefangen hatten es ihm verdammt klar gemacht, dass sie Feinde waren. Was auch immer der Herzog mit ihr vorhatte, es konnte ihm eigentlich egal sein. Daher beschloss er, es dabei zu belassen, zuckte die Schultern und trank seinen Met aus. Auch die anderen hatten ihre Krüge geleert, was Theic veranlasste nach der Bedienung zu winken. Diese kam sofort, um die leeren Humpen mitzunehmen und die neue Bestellung aufzunehmen. Der Taschendieb orderte eine weitere Runde Met für alle und Daryk meinte ein Zwinkern im Blick der Bedienung wahrzunehmen als sie ging. Er dachte sich nichts dabei, da er es nicht gewohnt war, dass Frauen ihm zuzwinkerten. Als die Bedienung mit den vollen Krügen zurückkam, stellte sie diese neben Daryk auf dem Tisch ab und wartete offensichtlich darauf, dass Aras sie bezahlte. Während der Herzog noch das Geld zusammenkramte, legte die Barfrau Daryk einen Arm um die Schulter und lehnte sich an ihm an. Dieser sah sie an, und versuchte, durch ihre langen blonden Haare hindurch einen Blick in ihr Gesicht zu erhaschen.
    „Gefällt dir was du siehst?“, fragte sie plötzlich, „oder habe ich noch zu viel an?“
    Husten vom anderen Ende des Tisches verriet dass Daphne und Theical wohl auch nicht mit dieser Frage gerechnet hatten. Da er nicht wusste, was er darauf antworten sollte, blinzelte Daryk die Frau nur verwirrt an, was sie mit einem Lächeln quittierte. Sie stellte sich hinter seinen Stuhl, schlang die Arme um seinen Hals und flüsterte so laut, dass die anderen es mit Sicherheit auch hörten: „Was macht so ein schöner Mann Abends alleine im Gasthaus?“
    „Schöner Mann?“ Daryk war viele Beschreibungen seines Aussehens gewohnt, aber das war keine davon. „Ich bin nicht alleine“, widersprach er und verwies auf die anderen am Tisch.
    „Ich rede nicht von Freunden“, kicherte sie und strich ihm über die Brust, „ich rede von Frauen!“
    Noch bevor Daryk etwas einwerfen konnte ergänzte sie: „Frauen, die deinen Körper zu schätzen wissen!“
    „So wie dich?“
    , fragte der Hüne mit einem abfälligen Lächeln und nahm einen großen Schluck aus seinem Krug. Wie konnte diese Frau davon ausgehen, dass er nach einer solchen Frau suchte?
    „Ganz genau, mein Hübscher!“
    , bestätigte die Blonde seine Vermutung.
    Am anderen Ende des Tisches erhob sich Daphne und meinte: „Bevor ich mich hier noch weiter beleidigen lasse, oder als Kerl durchgehe: Diese Frau geht jetzt schlafen!“
    Theical schaute sie fragend an: „jetzt schon?“
    „Ja, die letzten Tage waren sehr… anstrengend“
    , verteidigte sich die Heilerin, „Entführungen, drohender Krieg, neue… Freunde.“ Sie musterte Kuen kurz und fuhr dann fort: „Das war alles etwas viel für mich. Ich muss mich ausruhen.“
    Der Herzog sah sie verärgert an: „Hauptsache, ich hab dein Getränk noch bezahlt!“
    Mit einem Blick, der selbst Daryk Angst einjagen würde, wenn er ihn abbekäme funkelte Daphne Aras an, nahm den Krug und trank ihn auf einen Zug leer. Im Anschluss dazu knallte sie den Humpen zurück auf den Tisch und meinte: „Da.“ Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Tisch in Richtung Treppe.
    Aras lehnte sich mit seinem eigenen Met in der Hand zurück, grinste selbstgefällig und setzte an. Sein Grinsen verging ihm ebenso schnell wieder, als sein Met unkontrolliert aus seinem Krug lief und ihn von oben bis unten besudelte.
    Theical vermutete wohl, genau wie Daryk, dass dies Daphnes Werk war und hing lachend in seinem Stuhl. Daryk hingegen beschränkte sich wie üblich auf ein Grinsen.
    Der Lord stand laut schimpfend auf und verkündete auf sein Zimmer gehen zu wollen um sich umzuziehen.
    Anscheinend fühlte sich Kuen nur mit dem Hünen und dem Taschendieb am Tisch äußerst unwohl und stellte klar: „Ich… geh auch schlafen.“
    „Und dein Met?“
    , grinste der kleine Mann, „immerhin hat Aras ihn bezahlt.“
    „Könnt ihr euch teilen, denke ich“
    , antwortete sie und verließ den Tisch.
    „Nun ja“, meinte Theic an Daryk gewandt, „nachdem du ja scheinbar eine Beschäftigung für den Abend gefunden hast, werde ich mal nicht weiter stören. Gute Nacht!“
    Der Taschendieb war verschwunden, bevor Daryk eine Chance hatte ihm zu sagen, dass er keinen Wert darauf legte, mit seiner Verehrerin alleine zu sein.
    Diese hatte die Szene belustigt beobachtet und ging nun um Daryk herum. Sie nahm seine Hand, legte sie sich auf die Hüfte und kletterte auf seinen Schoß. „Was machen wir nun?“, wollte sie mit einem vielsagenden lächeln wissen.
    Daryk nahm seine Hand von ihrer Hüfte, griff an ihr vorbei nach seinem Metkrug und nahm einen weiteren Schluck. „Ich nehme an du hast einen Plan?“, fragte er.
    Erneut schlang sie grinsend ihre Arme um seinen Hals und versuchte ihn zu küssen.
    Er drehte den Kopf weg, was sie mit einem verwunderten „was ist?“ kommentierte.
    „Steht dir eine andere Frau im Weg?“, vermutete sie, legte aber das grinsen dabei nicht ab.
    Daryk nickte betreten. „Oho, sind wir etwa verheiratet, mein Hübscher?“, hauchte sie ihn an.
    Wiederum nickte er. Verheiratete Männer schienen kein Hindernis für die Blonde zu sein, denn sie schnurrte: „Es gibt bestimmt etwas, das ich tun kann, um sie für eine Nacht zu vergessen“
    Sie klimperte ihn mit ihren großen blauen Augen an und war sich offensichtlich sicher, zu bekommen was sie wollte.
    Daryk starrte sie mit seinen eigenen eisblauen Augen an, schüttelte zur Abwechslung den Kopf und lehnte ab: „Du? Nein.“
    Sie sah ihn verdutzt an, als er sie mit beiden Händen an der Hüfte nahm, hochhob, und neben sich auf den Stuhl setzte. Er stand auf, trank seinen Met aus und verließ den Gastraum wortlos.

    Daryk ging draußen zum Lagerfeuer, das noch immer brannte, obwohl keiner mehr dort saß. Die kühle Nachtluft tat seinem aufgeheizten Gemüt gut. Er fühlte sich nicht wohl bei dem was passiert war, obwohl er eigentlich nichts Falsches getan hatte. Glaubte er zumindest. Woran es lag, konnte er nicht genau sagen aber diese Frau hatte ihn durcheinandergebracht. Um das Lagerfeuer vor dem Ausgehen zu bewahren beschloss er, etwas Holz nachzulegen. Der Haufen Holz der in einigem Abstand lag, bot genügend Nachschub, also nahm er einen der Holzscheite herunter und warf ihn in die Flammen. Die aufstiebenden Funken lenkten seinen Blick zu den Fenstern der Zimmer des Gasthauses. Die meisten waren dunkel, aber in dem neben seinem brannte noch ein schwaches Licht. Schnell stellte er fest, dass es Daphnes Zimmer war. Der Herzog hatte wohl beschlossen ins Bett zu gehen. Ob nun alleine oder zusammen mit seiner Gefangenen wusste er nicht, aber eigentlich wollte er es auch gar nicht wissen.
    Daryk setzte sich ans Feuer und starrte in die Flammen. Er dachte darüber nach, was der Tag gebracht hatte. Er hatte ein unmoralisches Angebot von einer Frau erhalten, die er nicht kannte und war zuvor von Daphne gerettet und geheilt worden. Ob wohl ein Zusammenhang zwischen seinem „neuen“ Gesicht und der Bardame bestand? Mit Sicherheit. Diese Frau war nicht auf ihn als Person aus, sondern nur auf seinen Körper.
    Er dachte an seine Heimat, an den Schnee, das Eis und auch an die Menschen und Bräuche dort. Plötzlich fuhr er hoch. Ihm war ein alter Brauch aus seiner Heimat eingefallen, der für die Situation, in der er sich momentan befand, perfekt war. Wieder stand er auf, ging zum Holzstapel und suchte ein passendes Stück Holz für sein Vorhaben.

    Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, aber das dichte Laubdach des Waldes sorgte dafür, dass der Weg in ein düsteres Licht getaucht war. Wortlos gingen die drei nebeneinander her, geführt von Avalon, der zu wissen schien, wo sie hinwollten. Irgendetwas stimmte mit diesem Pferd nicht. Das Tier verhielt sich einfach nicht wie es ein Pferd tun sollte.
    „Seid ihr sicher, dass wir in die richtige Richtung laufen?“
    , fragte Theical, während sie Avalon hinterher trotteten.
    „Woher soll ich das wissen? Ich habe den Weg ins Lager nicht gesehen“, entgegnete Daryk. Immerhin war er bewusstlos in der Kutsche dorthin gebracht worden.
    „Avalon weiß, wo es langgeht!“, behauptete Daphne, „er wusste auch, wo ihr wart.“
    Schulterzuckend akzeptierte Daryk diese Aussage. Er hatte auch keine bessere Idee, als dem Pferd zu folgen und sah daher keinen Grund zu widersprechen.
    Von Zeit zu Zeit griff Daryk in sein Gesicht. Er konnte immer noch nicht glauben, dass seine Narben verheilt waren. Langsam wurde ihm klar, dass seine Vergangenheit als angeblicher Mörder und Verräter ausgelöscht war. Er hatte eine zweite Chance erhalten, sein Leben zu leben. Auch würde er nicht bei jedem Blick in den Spiegel an den Tod seiner Familie erinnert werden. Ob andere Menschen nun anders auf ihn reagieren würden?
    Nach einiger Zeit blickte Theic zu ihm auf und meinte: „Daryk?“
    Dieser brummte fragend und zog eine Augenbraue hoch.
    „Hast du… hast du ihnen irgendwas erzählt?“, wollte der kleine Mann wissen.
    „Nur, dass sie zuschlagen wie Mädchen“, antwortete der Hüne und grinste.
    Sichtlich erleichtert lachte auch der Taschendieb, aber Daphne sah ihn verärgert an: „Kein Wunder, dass die dich so zurichten! Du scheinst eine lange Zeit nichts verraten zu haben. Ich weiß nicht, ob das bewundernswert oder beängstigend ist.“ Theic kratzte sich am Kopf und stellte fest: „Beides irgendwie, denke ich.“
    Verwundert schaute Daryk zwischen den beiden hin und her. „Warum sollte das beängstigend sein?“, fragte er.
    „Ich habe noch nie gesehen, dass jemand so stur ist“
    , warf Daphne ein und sah ihm in die Augen, „Sie hätten dich getötet, bevor du uns verraten hättest!“
    Daryk nickte. Da hatte sie recht. Er hatte auch nicht erwartet, diese Begegnung zu überleben. Wäre Daphne nicht mit magischen Heilkräften ausgestattet zurückgekommen, hätte sie ihm auch nicht helfen können. „Mach das nicht nochmal!”, ergänzte sie, „Ich will nie wieder ... jemanden von uns so finden!“
    Erneut nickte der Hüne. Zufrieden nickte auch Daphne und ging zu Avalon.

    Weitere Stunden vergingen, bevor sie endlich Jaris erblickten, welcher gerade mit gezücktem Schwert dastand und offensichtlich trainierte.