Beiträge von Kitsune im Thema „Sternenstaub“

    @Tariq
    Du hast mich mit deinem Kommentar zum Lächeln gebracht. Vielen, vielen Dank, dass du gelesen hast, obwohl hier seit über einem Jahr nichts passiert ist.
    Ich habe dieses Projekt nicht aufgegeben. (Danke auch an @Kyelia, ich hab dich auch nicht vergessen.) Ich will weiterschreiben. Ich werde weiterschreiben. Es krankt nicht am Plot oder ähnlichem. :)

    Aber auch ich muss erst wieder reinkommen. Ich hab mittlerweile auch meine Welt etwas weiter ausgebaut - Alsahar vor allem als Oasenstadt.
    Eeeeeine kurze Geschichte hierzu spukt mir seit Wochen im Kopf herum. Wenn ich die zu Papier bringen konnte, klappt es vielleicht mit dem Rest auch wieder. ^^

    *holt tief Luft und pustet die dicke Schicht Staub fort*
    Ich hab leider keinen neuen Abschnitt dabei. Zum einen, weil ich meine Gedanken und Szenen im Kopf hierzu nicht aufs Papier bekomme (dabei ist Sternenstaub bereits fertig geplant), und zum anderen, weil ich beschlossen habe, erst mal Greta zu beenden, bevor ich mich wieder hier reinstürze.

    Meine Frage, die sich mir nun stellt: Besteht noch Interesse an der Geschichte? Ich werde sie auf jeden Fall für mich zu Ende schreiben, aber wenn ich letztlich hier nur allein mit mir rede, dann muss ich gestehen, dass ich hier nichts einstellen brauche.
    Ich verstehe, dass durch die langen Pausen das ohnehin schon maue Interesse geschrumpft ist. Auch, dass es noch andere Gründe gibt. :) Aber ... ja.
    *setzt sich hin und wartet*

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    Zitat von Kyelia

    wich? von weichen und nicht von wischen?

    Da kam wohl mein kleiner Sachse durch. :rofl: Ja, ich meinte wich. Meine Güte, dass mir das nach dreimal lesen nicht aufgefallen ist ... Oder Galib wollte insgeheim den Boden wischen, wer weiß. :D


    Schnaufend hockte Galib halb auf den Kissen; sein Herz schmerzte bei jedem Schlag. Er verzog das Gesicht, legte dabei eine Hand auf seine Brust. Nur zögerlich beruhigte sich sein Innerstes. Die Übelkeit blieb, fraß sich durch seinen Magen wie eine dieser Maden, die mit Elham verschwunden waren, gemeinsam mit dem Gestank.
    Er begann, an seinem Verstand zu zweifeln. Nicht zum ersten Mal hatten ihn diese Schreckensvisionen am helllichten Tage übermannt und ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Wie konnte er sich nur so die Blöße geben?
    Er sah auf das Glasgefäß in seiner Linken – und erschrak. Seine gesamte Handfläche war von Bläschen überzogen, während die Haut sich blutig färbte. Fahrig zog er seinen Ärmel zurück. Dort, wo das Glas sonst ruhte, war sein Arm gerötet und ein kleiner Kreis Brandbläschen bildete sich darum.
    Galib schluckte den Brechreiz herunter, der ihn wiederholt überrollte. Das Brennen seiner Haut, der juckende Schmerz kam erst in diesem Moment in seinem Verstand an. Ächzend erhob sich der alte Diener, musste jedoch auf halbem Wege innehalten, weil der Raum sich um ihn drehte. Außer Atem taumelte Galib zum Durchgang Richtung Flur.
    Das Glas unter seinen wunden Fingern vibrierte, mehr als üblich. Galib biss die Zähne zusammen. Er musste die Ketten erneuern, musste den Staub neu binden. Immer wieder sagte er sich die Schritte in Gedanken auf, wie ein Gebet flüsterte er sie.
    Ketten erneuern, Staub binden.
    Er war so darin vertieft, dass er nicht bemerkte, wie er im Kreis lief. Inzwischen war er zurück bei den Gemächern des Prinzen. Irritiert sah er sich um, murmelte etwas davon, dass sich jemand um die Unordnung kümmern müsse, und kehrte um. Seine Füße schlurften über den Marmor.

    Ihr Gewand wehte bei jedem Schritt. Mit rasendem Puls eilte Elham durch die schmalen Straßen des Marktviertels, mied die offenen Läden und Stände. Wie ein Schatten verbarg sie sich vor den Augen anderer, ihre Schritte waren lautlos. Die Kapuze ihres grauen Umhangs tief ins Gesicht gezogen, bog sie um eine Häuserecke und hielt in einer Seitengasse vor einer schmalen Tür.
    Auf ihr dreifaches Klopfen öffnete sich ein Spalt, durch den sie schlüpfte. Sie folgte dem Jungen die verborgene, unebene Treppe hinab, hinein in den nach Moder und Feuchtigkeit riechenden Raum, in dem die Lampen spärlich leuchteten.
    Resul saß gemeinsam mit Harun am Tisch, die Köpfe über einer rissigen Karte zusammengesteckt, die sich an den Rändern wellte. Erst als Elham ihren Umhang ablegte und ihn auf einen Fellhaufen legte, sah ihr alter Freund auf.
    »Wo wart Ihr, meine Schöne?« Resuls schiefes Lächeln strahlte trotz der Lähmung seiner rechten Seite Wärme aus, die sofort Elhams Herz erweichte.
    »Ihr seid noch immer ein Schmeichler, alter Haudegen«, sagte die Seherin und verkniff sich ein Schmunzeln. »Ich war eine Runde spazieren.«
    »Spazieren?« Harun sah nun ebenfalls auf, die Stirn gerunzelt. »Ihr?«
    Nun erlaubte sich Elham doch ein Lächeln. »Ihr seht, Hauptmann, auch ich bin nur ein einfacher Mensch.«
    »Das bezweifle ich«, murmelte Harun, widmete sich bereits wieder der Karte. Sein linker Arm ruhte in seiner Schlinge, doch das schien den Hauptmann nicht weiter zu beeinträchtigen.
    Resul musterte Harun einen stillen Moment, schüttelte dann den Kopf und erhob sich, um Elham seinen Platz anzubieten. Sie lehnte ab, begnügte sich stattdessen mit jenem Haufen Ziegenfelle, auf dem bereits ihr Umhang ruhte.
    Ihr alter Freund gesellte sich zu ihr. »Und, habt Ihr etwas neues auf Eurem Spaziergang erfahren?«, raunte er, den Blick auf Harun gerichtet.
    Elham schwieg, dann stieß sie schwer die Luft aus. »Wir müssen uns beeilen.«
    »Hat der Wahnsinn seine Finger ausgestreckt, eh?« Resuls linker Mundwinkel zuckte.
    »Galib täuscht, wenn er denkt, einen Gott auf lange Dauer beherrschen zu können.«
    »Den Tod kann man nicht beherrschen«, brummte Resul und kratzte sich an seinem ergrauten Bart.
    Harun sah erneut auf; er runzelte die Stirn, schien über etwas nachzudenken, doch letztendlich sah er nur zurück auf die Karte.
    Elham betrachtete ihn lange. »Ihr macht Euch Sorgen um den Prinzen.«
    Unvermittelt schlug Harun mit der flachen Hand auf den Tisch. »Anstatt auf der Suche nach ihm zu sein, sitze ich hier fest!«
    Elham konnte seinen Zorn nachvollziehen, der sich vor allem gegen sich selbst richtete. Wie oft hatte er bereits versucht, sich heimlich davonzustehlen, nur um sich dem stoischen Resul gegenüberzusehen, der ihn daran hinderte, sein Haus zu verlassen? Sie hatte aufgehört zu zählen.
    »Und anstatt in der Stadt nach dem Rechten zu sehen, verbringe ich meine Zeit untätig mit … mit Karten!« Harun fegte die Karte mitsamt den Steinen vom Tisch, die sie bisher an Ort und Stelle gehalten hatten.
    Resul schnaufe. »Wenn Ihr unsere Arbeit hier noch einmal als untätig bezeichnet, ziehe ich Euch eigenhändig den Säbel über den Schädel. Und glaubt mir, das schaffe ich auch noch mit einer Hand.«
    Der Hauptmann lachte auf, deutete mit einer ausladenden Geste durch den schlecht beleuchteten Raum. »Ich verbringe die Tage im Untergrund wie Euer Gefangener, während im Palast alles im Chaos versinkt.«
    »Ihr könnt dort momentan wenig ausrichten. Erinnert Ihr Euch? Der Galgen wartet noch auf Euch und das wird auch niemand Eurer wenigen Verbündeten ändern können«, bemerkte Resul ruhig. »Es ist nicht einmal sicher, wer noch auf unserer Seite steht. Es mag Euch nicht gefallen, doch viele Wachen haben Angst vor Arin und seinen Wutausbrüchen. Selbst die Stadtwache geht ihm aus dem Weg.«
    »Sie haben noch mehr Angst vor Galib und dem Schatten, der ihn seit dem Tod des Königs auf lautlosen Sohlen begleitet«, sagte Elham mit finsterer Miene. Harun brummte etwas, sammelte dann jedoch wortlos die Karte ein.
    »Der Prinz ist sicher bei seinem Begleiter«, sagte die Seherin in die neuerliche Stille hinein. Der Hauptmann warf ihr einen flüchtigen Blick zu. »Solange sie zusammenbleiben, sind sie stärker als sie glauben. Als Ihr glaubt.«
    »Sagen Euch das Eure Visionen?« Harun schnaubte. Seine Schultern spannten sich an, als er einhändig versuchte, die Karte wieder auf dem Tisch zu glätten. Resul erhob sich, um ihm zu helfen.
    »Es braucht keine Visionen, um zu sehen, was sie sind. Nur weil Ihr Eure Augen davor verschlossen haltet, heißt das nicht, das andere dies ebenso tun.« Elham schloss eine Hand um ihre Kette.
    »Tut mir einen Gefallen und verschont mich damit, Seherin«, knurrte Harun. »Langsam fürchte ich, dass der König recht hatte: Ihr bringt nur Unglück.«
    Die Seherin verzog nur einen Augenblick den Mund, dann fasste sie sich wieder. Sie atmete kurz durch, dann erhob sie sich und legte sich ihren Umhang an. »Ihr sprecht im Zorn und ich bin mir sicher, dass Ihr Eure Worte bereuen werdet, Hauptmann.« Sie trat zu ihm heran und er zuckte vor ihr zurück, als sie ihm eindringlich entgegensah. »Werdet Euch endlich Eurer Verbindung zu Gott bewusst, dann findet Ihr vielleicht eine Lösung, wie Ihr die Stadt wieder zur Vernunft bringen könnt.« Damit wandte sie sich herum.
    Resul fing sie an der Tür ab. Er legte ihr seine gesunde Hand auf den Arm und musterte sie schweigend. Dann holte er Luft und flüsterte: »Wir brauchen dich, Elham.«
    Ihre Mundwinkel zuckten und heimlich legte sie ihre Hand auf seine, strich mit den Fingern über die feinen Härchen. »Ich kann nicht viel ausrichten, Resul. Das weißt du genauso gut wie ich.« Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich bin nur eine Dienerin Ismets. Es liegt nicht an mir, seine Fäden zu durchtrennen und neu zu knüpfen.«
    Ihr alter Freund hielt sie weiterhin fest, dann schlang er seinen Arm um sie, drückte sie eng an sich, bevor er sie mit sichtlichem Schwermut ziehen ließ. Sie spürte seinen langen Blick noch, als sie bereits auf dem Weg die Treppe hinauf war.

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    @Kyelia
    Ich glaube es gibt in Sternenstaub einige, die gerne verdrängen, dass Arin und Fahid Brüder sind. xD'


    Ich kann nicht versprechen inwieweit nun etwas passiert, aber jedenfalls hat mit das Schreiben der Szene viel Spaß gemacht ... Hö.


    Sand wirbelte unter Galibs schlurfenden Schritten auf; der Gang vor ihm war verlassen. Die Ruhe lag wie ein Tuch über diesem Teil des Palasts. Vom sonstigen Leben war hier nichts zu hören. Kein Geflüster der Dienerschaft, kein hektisches Treiben aus der Küche, kein Scharren von Stiefeln oder das Räuspern der Wachen.
    Trotz der Wärme, die wie eine Bürde über seine Glieder herrschte, fuhr Galib ein Schauer über den Rücken. Er bog in den angrenzenden Gang, der an die Prinzgemächer schloss. Hier erschien ihm die Stille drückender. Fort war das Gelächter junger Adliger, welche die Nähe des Thronfolgers suchten, verschwunden das Rascheln von Buchseiten und die warme Stimme des Prinzen. Alles wirkte trostlos, als hätte sich auf dem Sandstein ein grauer Schimmer festgesetzt. Als würde das Gemäuer selbst über den Verlust klagen.
    Die Schwere der fehlenden Neuigkeiten, die Hoffnung brachten, drückten auf Galibs Herz. Die letzten Reiter, die er ausgesandt hatte, waren noch nicht zurückgekehrt, wobei er hoffte, dass sie sich ohne Kadir ohnehin nicht hierher getrauten.
    Vor dem Durchgang zum Wohnbereich des Prinzen blieb Galib stehen. Mit verschwommenem Blick musterte er die bunten Kissen in der Mitte des Raumes; sie waren frisch aufgeschüttelt und sortiert, so wie der Prinz es mochte, um sich stundenlang auf ihnen auszustrecken. Der alte Diener lächelte, wenn auch nur flüchtig, als die Erinnerungen Zuflucht in seinen Gedanken suchten. Wie oft hatte Kadir dort gesessen und einfach gelesen, wenn er sich unbeobachtet fühlte?
    Mit unbewegter Miene löste der Diener sich aus seiner Starre. Die Sonne erreichte nur die Hälfte des Raumes; unter Galibs Füßen blieb der Marmor angenehm kühl. Er näherte sich dem kleinen Tischchen, auf dem stets eine Schale prall gefüllt mit Trauben und Datteln stand. Selbst jetzt, obwohl der Bewohner der Gemächer fehlte. Als Galib genauer hinsah, erkannte er die matschigen Stellen. Mit spitzen Fingern klaubte er die schlechten Früchte zusammen. Schließlich waren seine Hände voll, doch in der Schale fand sich immer mehr faules Obst. Der alte Diener wollte nach einem Dienstjungen rufen, doch seine Stimme blieb auf halbem Wege in seiner Kehle stecken.
    Zwischen den Datteln und Trauben wanden sich fleischige Maden. Kugelrund begannen sie vor seinen Augen am Fruchtfleisch zu fressen, das sich mit jedem Happen dunkler färbte, bis es beinahe schwarz war. Ein bestialischer Gestank folgte.
    Galib wich zurück, schreckte zusammen, als seine Handflächen klebrig wurden. Mit Ekel, der sich durch seine Eingeweide fraß, schüttelte er die modernden Früchte von sich. Auf dem Boden fielen sie weiter in sich zusammen, bis es nur mehr Klumpen waren. Der alte Diener wisch weiter zurück, wobei er rücklings über ein Kissen stolperte. Inzwischen wurden die Maden zahlreicher, krochen über den Rand der Schale und fielen vom Tisch mit einem leisen Klatschen auf den Marmor. Einige von ihnen labten sich an den schwarzen Resten, die meisten suchten sich jedoch ihren Weg zu Galib.
    Er wollte nach ihnen treten, zog eine seiner Schlappen aus und schlug damit auf diese widerlichen Kreaturen ein, zerquetschte sie unter der Sohle. Wo er jedoch eine traf, tauchten zwei neue auf. Sie krochen ihm auf die Finger, krabbelten unter seine Hosenbeine; dort nagten sie an seinem Fleisch, bissen sich daran fest. Kein Wehren half - kein Kratzen, kein Schaben, kein Ziehen und Zerren.
    Galib war, als rissen sie ihm die Haut herunter. Das Brennen wurde unerträglich. Krächzend sank er in sich zusammen, hoffte auf ein rasches Ende, wenn dies sein vorherbestimmter Tod war ...
    Dann war alles vorbei. Der Schmerz war verschwunden; alles was blieb war Galibs rasselnder Atem, durchmischt mit dem Pulsieren seines außer Takt geratenen Herzens, das ihm in den Ohren dröhnte.
    Zitternd richtete Galib sich auf. Sein Blick verwischte einen Moment; er sah auf seine Finger, tastete seinen Körper ab - keine Maden, kein blankes Fleisch. Selbst die Früchte wirkten bei genauerem Hinsehen saftig und frisch.
    »Ihr seht nicht gut aus.«
    Ruckartig wandte Galib den Kopf. Am Eingang zu den Gemächern stand Elham. Die Seherin verbarg ihre Hände in den weiten Ärmeln ihres Gewandes, während sie ihr Gegenüber ohne Ausdruck musterte.
    Umständlich kniete sich Galib auf eines der Kissen, bevor er sich mit verbissener Miene auf die Beine stemmte.
    »Was sucht Ihr hier?«, krächzte der alte Diener. Er streckte den Rücken durch; heißer Schmerz schoss durch seine Glieder, doch er biss die Zähne zusammen.
    »Schämt Ihr Euch nicht?«, fragte Elham statt eine Antwort zu geben. Ihre grauen Augen leuchteten im Schatten wie blankpolierte Münzen.
    Galib blähte die Nasenflügel auf. »Wofür?«
    Sie machte einen Schritt auf ihn zu; die Reife an ihren Gelenken klirrten aneinander. »Ihr habt den König auf dem Gewissen.«
    Einen Augenblick herrschte Stille, dann verfiel der Diener in kehliges Lachen. Verstohlen hielt er sich die Seite und schöpfte Atem. »Es war des Schicksals Wille! Nadim selbst hat es anerkannt.«
    »Ismets Wille ...« Elham klickte mit der Zunge, fuhr mit den Fingern über den Anhänger über ihrer Brust. Die Hand Ismets. Galib wusste, dass diese Frau irgendwo auch das Auge des Schicksals verborgen hielt - weniger als Schmuckstück, sondern mehr eingebrannt auf ihrer Haut. »Schämt Euch, es als Gottes Wille zu bezeichnen, was Ihr allein zu verantworten habt.« Sie spuckte auf den Boden zwischen ihnen. »Schämt Euch, Eure Gabe so zu missbrauchen. Eure Verbindung mit Eurem Gott zu beschmutzen.«
    Erneut lachte Galib auf. »Meine Verbindung zu Gott?« Dieses Mal war er es, der erst auf sie zutrat und dann zwischen sie beide spuckte. Mit geballten Händen versuchte er, ihr nicht an die Kehle zu springen. »Einmal war sie zu etwas nütze. Einmal in meinem ganzen Leben«, knurrte er.
    Von Kindesbeinen an begleitete ihn der Tod. Dem Mutterleib einer verstorbenen Mutter entrissen, dem Siechen seines Vaters beigewohnt, hatte man ihn stets nur Todesbringer gerufen. Bis eines Tages eine Seherin zu ihm kam und ihm von seiner Verbindung zu Gott berichtet hatte. Zu Almaw. Er begleitete ihn seit Tag und Nacht und er konnte nichts dagegen tun. Er sah die Tode seiner Liebsten voraus. Seiner jungen Frau, seines Sohnes - dahingerafft von einer langanhaltenden Dürre. Wären sie mit ihm gekommen, bei ihm geblieben, hätten sie die Güte der Wüstenprinzessin genauso genossen wie er - sie wären noch bei ihm. Er hätte sie schützen, Almaw irgendwie überlisten können.
    Zu spät hatte er seine Macht über den Gott entdeckt. All die Mühen, etwas von jenem Staub zu erlangen, dass nun gebunden an seinen Leib allein ihm gehorchte.
    Ein Stechen in seiner Brust holte ihn zurück in die Gegenwart. »Sagt mir nicht, wie ich diese zu würdigen habe.«
    »Ihr tut mir leid, Galib«, flüsterte Elham. »Einfach nur leid.« Sie fuhr den Arm aus und ihre Armreifen schlugen wiederholt gegeneinander, während sie durch den Raum deutete. »Ist es das, was Ihr erreichen wolltet? Ein herrenloser Palast? Eine herrenlose Wüste?«
    »Der Prinz wird zurückkehren. Sagt das nicht Euer hochgeschätztes Schicksal?«, schnaubte der alte Diener verächtlich. Elham senkte nur die Hand und sah unverwandt zu ihm. Diese Frau hatte ihn bereits früher in den Wahnsinn getrieben, mit ihrer Nähe zur Prinzessin, nur weil sie eine entfernte Blutlinie mit ihr teilte. Am Ende war sie es gemeinsam mit diesem verfluchten Wüstenreiter gewesen, die Schuld an ihrem Tode trug und ihre Seele auf ihren Rücken geschnürt hatte.
    Etwas schien in ihm zu reißen. Einem Platzen einer Wasserblase gleich. Schnellen Schrittes überwand er den Abstand zwischen ihnen, doch als er nach ihrem Hals greifen wollte, zuckte er erneut zurück. Taumelte. Ihr Gesicht war mit einem Mal übersät mit Maden. Sie krochen zwischen ihre Lippen, in Nase und Ohren, schienen sich sogar unter ihre Augäpfel zu quetschen. Je weiter er von ihr wich, desto mehr Maden tropften wie Perlen von ihr herab, so wie ihre Haut und das Fleisch an ihren Knochen. Mit einem Aufschrei riss Galib die Hände hoch.
    »Ihr verbrennt Euch die Finger, Galib«, sprach das, was einst die Seherin gewesen war und nun nur mehr einer verfaulenden, wandelnden Leiche entsprach. Sie kam ihm näher, hinterließ dabei einen fürchterlichen Gestank nach Fäule und eine Spur aus rottendem Fleisch, das ihr in ganzen Stücken vom Leibe fiel.
    Der alte Diener stieß gegen den Tisch, der scheppernd umfiel. Dumpf zersprang die Schale, die Früchte verteilten sich und Galib rutschte auf zermatschten Trauben aus. Atemlos flehte er, der Alptraum möge endlich vorbei sein. Er kramte nach dem Glas in seinem Ärmel. Es war so heiß, dass es sich in seine Haut eingebrannt hatte und alles Ziehen es nicht davon löste. Die Wut auf Almaw fraß sich in altbekannten Bahnen durch seinen Magen, sein Herz, formte böse Flüche auf seinen Lippen.
    Das Monster hockte sich derweil vor ihn und streckte eine knochige Hand nach ihm aus, an der nur mehr ein Fetzen Haut klebte. »Ihr seht nicht gut aus, Galib. Ihr solltet Euch ausruhen.«
    Schwärze versuchte sich seiner Habhaft zu machen. Sein Verstand drohte ihn im Stich zu lassen. Mit letzter Kraft biss er sich auf die Zunge, riss das Glas von seiner eigenen Haut unter dem Ärmel hervor und wollte den Korken lösen, doch Elham legte ihre Hand auf seine. Beinahe ließ er das Gefäß fallen, doch sie hielt es gemeinsam mit ihm fest. »Wagt es nicht, Euch gegen einen weiteren Gott zu erheben, Galib. Das ist der letzte Rat, den ich Euch gebe.« Damit wandte sich das dunkel gewandete Skelett von ihm ab und ließ ihn allein zurück.

    Gemeinsam starrten sie in die Flammen. Der Wind umhüllte sie, spielte mit ihren Haaren und zog an ihren Kleidern. Verstohlen rieb sich Ranya die Arme unter ihrer Decke, während ihr die Wärme des Feuers ins Gesicht blies. Die Stille ließ sie unruhig werden; mehrfach rutschte sie im Sand hin und her, suchte eine bequemere Sitzposition, zog die Beine an, nur um sie wieder von sich zu strecken. Sie versuchte, sich erneut auf die Geräusche der nächtlichen Wüste zu konzentrieren, besonders auf das Schnauben der Pferde oder das Rieseln von Sand, wenn irgendwo eine Eidechse durch die Dunkelheit huschte.
    »Ich bewundere Euch«, bemerkte Fahid unvermittelt.
    Ranya zuckte zusammen. Sie musterte ihn von der Seite, doch der junge Gardist wandte das Gesicht weiterhin dem Feuer zu. Einige Male öffnete und schloss sie stumm den Mund, bevor sie fragte: »Was?«
    Fahids Lippen kräuselten sich. »Ihr seid hier, ohne zu wissen, ob unsere Suche Erfolg haben wird. Ungefährlich ist es auch nicht.« Er lachte leise auf. »Ich kenne Männer, die hätten sich weniger bereitwillig und schnell gemeldet.«
    »Was hält mich schon in Alsahar?«, seufzte Ranya. Sie vergrub ihre Zehen im Sand. »Keine Familie, kein Zuhause, kein Prinz ...« Mit jedem Wort krallte sie die Finger tiefer in ihre Haut.
    »Es ist Eure Heimat«, überlegte Fahid laut, worauf ihr ein Schnauben entglitt. Der Gardist runzelte die Stirn. »Euer Zuhause.«
    »Mein Zuhause ist zu Asche und Staub zerfallen«, knurrte Ranya. Sie schnappte nach ihrem Becher, klammerte sich eisern daran, als könnte er das Zittern ihrer Hände unterbinden. Fahid schwieg indes, holte dann tief Luft und goss sich Tee nach.
    »Ihr habt recht«, sagte er mit belegter Stimme, nachdem er einen großen Schluck genommen hatte. »Aber nicht nur Ihr habt etwas verloren. Die Zwillinge in Eurem Zelt?« Er nickte über die Schulter zurück zu jenem Zelt, aus dem Ranya erst vor einiger Zeit gestolpert war. »Ihr Zuhause ist wirklich kaum mehr als Schutt und Asche. Ihr jüngerer Bruder kam während des Angriffs auf den Palast ums Leben – weil er sich zur falschen Zeit am falschen Ort dem falschen Mann entgegengestellt hat. Wissam?« Fahid sah zur Seite. »Seine Frau wurde während der Panik in der Stadt niedergetrampelt, sein Sohn starb im Feuer, als er versuchte, einen alten Mann von einem brennenden Brunnen zu ziehen.«
    Ranyas Herz schlug heftig. Eigene Erinnerungen stürmten auf sie ein, raubten ihr den Atem; ihre Brust hob und senkte sich in schnellem Rhythmus, während sich ein stechender Schmerz darin ausbreitete. Beinahe entglitt der Becher ihren feuchten Händen.
    Fahid war inzwischen auf die Beine gesprungen und lief hinter ihr auf und ab. »Ali? Seine Verlobte rannte in die Klinge einer irritieren Stadtwache, als sie brennend um Hilfe flehte«, fuhr er lauter als zuvor fort.
    Mit zusammengekniffenen Augen und eingesunkenen Schultern kauerte Ranya am Ufer, glaubte erneut die Schreie zu hören, die Hitze zu spüren, die leeren Augen jener zu sehen, die in ihren Armen gestorben waren, während sie jene mit letzter Kraft aus verqualmten Häusern zerrte … Sie wollte das nicht, brauchte es nicht. Nicht sie zählte, sondern das Ziel, Kadir zu finden.
    »Hört auf«, flüsterte sie rau, presste dann die Lippen aufeinander.
    Doch Fahid hörte nicht auf, als habe er sich gerade erst warmgemacht. »Jeder in unserer Gruppe hat Verluste erlitten, nicht nur Ihr!«
    Ranya riss den Kopf hoch, als sich der Gardist vor sie stellte. Sein Ausbruch hatte sie erschreckt. Ihr war nie in den Sinn gekommen zu fragen, wie es ihm oder den anderen mit der Situation erging. Andererseits hatte sie nie das Bedürfnis, in den Wunden anderer zu bohren, genauso wenig wie sie in ihren eigenen stochern wollte.
    Ihre Kehle war wie zugeschnürt; mit weit aufgerissenen Augen stierte sie zu ihm auf. Was wollte er von ihr? Sie hatte nie behauptet, das Unglück jener Nacht gepachtet zu haben.
    Fahids hageres Gesicht verschwamm vor ihren Augen. Der Gardist schnaufte schwer. Seine Hände ruhten zu Fäusten geballt an seinen Seiten.
    »Aber wisst Ihr was?«, fragte er atemlos, die Stimme gesenkt. »Jeder einzelne von ihnen will zurück nach Alsahar. Und wisst Ihr, warum?«
    Sie wich seinem harten Blick aus, der nun langsam weicher wurde. Noch einmal atmete er tief durch, dann lockerte er seine verkrampfte Haltung und hockte sich vor Ranya in den Sand. Er legte die Hände auf ihre Schultern, versuchte ihr dabei direkt in die Augen zu schauen. »Sie wollen Alsahar nicht im Stich lassen. Die Stadt war und ist die Heimat ihrer Liebsten. Unter ihr sprudelt die Mutter aller Quellen, alles zivilisierte Leben entspringt ihrem Schoß. Die Stadt hat es nicht verdient, jenen überlassen zu werden, die sie nicht schätzen – die ihren Quell verunreinen und mit etwas füttern, das Leben vernichtet, statt bringt.«
    Ranya verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ihr redet, als wäre sie lebendig.« Und als hätte er ein geschriebenes Drama verschluckt.
    Schwach zeichnete sich ein Schmunzeln auf Fahids Mundwinkeln ab. »Sie ist es. Wie die Wüste. Seht Euch um!« Er drehte sich leicht zur Seite, damit Ranya an ihm vorbeisehen konnte, hin zum Feuer, darüber hinweg zum dunklen Wasserloch und dann zu den schemenhaften Sandhügeln. »Jedes Sandkörnchen, jeder Windhauch, jedes noch so kleine Tröpfchen Wasser steckt voller Leben.«
    Ranya konnte Fahids Augen nicht erkennen, doch seine Stimme sprühte sprichwörtliche Funken voller Staunen und Ehrfurcht. Sie schauderte und versuchte noch einmal genauer die Dinge so zu wahrzunehmen, wie der Gardist es tun musste. Doch hinter dem warmen Licht der Flammen erkannte sie nur Dunkelheit – und diese machte ihr vielmehr Angst. Vielleicht würde sie bei Tag alles anderes betrachten, doch im Moment war ihr nicht danach.
    »Und was wollt Ihr mir damit jetzt sagen?«, fragte sie stattdessen und reckte das Kinn vor.
    Fahid blinzelte, öffnete den Mund und zuckte schließlich mit den Schultern. Stöhnend ließ er sich auf den Hosenboden plumpsen. »Ich möchte Euch nur deutlich machen, dass es immer einen Grund gibt, zurückzukehren. Auch wenn Ihr es im Moment nicht seht.«
    »Ohne Kadir kehre ich nicht zurück«, murmelte die junge Frau, stellte den Becher beiseite und schlang die Arme um ihre angewinkelten Beine. Schweigsam kaute sie auf ihrer Unterlippe, bevor sie erneut ihre Aufmerksamkeit zu Fahid wandte. »Und was ist mit Euch?«
    »Mit mir?«, fragte er überrascht und setzte sich gerader hin. Einen Moment wirkte er verlegen, kratzte an seiner stoppeligen Wange und grinste halbseitig. »Ich liebe Alsahar zu sehr, um sie zurückzulassen.«
    »Euer Bruder wartet sicher auf Euch«, rutschte es Ranya heraus, ehe sie sich aufhalten konnte. Doch statt dass sich die Miene des jungen Mannes verfinsterte, lächelte er nur traurig.
    »Sicher tut er das.«
    »Ihr haltet es für falsch, was er tut.« Natürlich tat er das, sonst wäre er nicht hier.
    »Ich dachte, das wäre klar«, seufzte Fahid. »Arin lässt sich immer blenden von Versprechungen. Vor allem, wenn sie ihm so etwas wie Macht verleihen. Er war gefundenes Fressen für Galib.« Er sah erneut zu ihr auf, fing ihren Blick mit dem seinen auf. »Auch deswegen will ich zurück. Um ihn zur Vernunft zu bringen. Er ist ein furchtbarer Hauptmann ...«
    Kurz zuckten Ranyas Mundwinkel in die Höhe. »Er ist ein furchtbarer Gardist.«
    »Er ist ein furchtbarer Mensch«, fügte Fahid hinzu, doch das Lächeln war aus seiner Mimik verschwunden.
    Wieder verfielen sie in Schweigen, bis Fahid sich erhob und ächzend seine Glieder streckte. Dann ließ er den Blick durch die Umgebung schweifen. Über den Dünen zeigte sich das erste dunkelblaue Licht eines nahenden Morgens. »Wir sollten bald aufbrechen.«
    Ranya stand ebenfalls auf, ließ dabei die Decke von ihren Schultern gleiten, sodass sie nur mehr in ihrem Untergewand vor dem jungen Mann stand. Fahids Augen weiteten sich kurz, dann räusperte er sich und wandte sich rücksichtsvoll ab. Die junge Frau zuckte nur mit den Achseln. Einen Moment verharrte sie vor dem Feuer, starrte in die kleinen, züngelnden Flammen und merkte erst, wie heftig sie zitterte, als Fahid ihr erneut eine Hand auf die Schulter legte.
    Wirsch schob sie ihn beiseite und stapfte zurück zu ihrem Zelt, um sich anzuziehen. Sie spürte deutlich den nachdenklichen Blick des Gardisten auf ihr ruhen, doch für den Moment hatte sie genug von seiner Fürsorge.

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    Tja, hat wieder etwas gedauert, vielleicht hat es jemand vermisst, vielleicht auch nicht. Ich versuche es noch einmal mit einem neuen Kapitel.
    Zuletzt waren wir bei Kadir und Kasim, die im Lager der Wanderinnen etwas unfreiwillig länger verweilten und nun den Entschluss gefasst haben, mit Hilfe von Elin ihren weiteren Weg zu bestreiten. Safir wird sie nun begleiten, auch wenn ihr Aufbruch überstürzt geschehen musste, denn aus nicht allzu weiter Ferne näherten sich unbekannte Reiter dem Lager. Durch einen Kniff von Kasim gelang vorerst die Flucht.


    - 9 -

    Ranya riss die Augen auf; ihr Herz schlug schmerzhaft in der Brust. Feucht klebte ihr Gewand an der Haut. Eine Weile starrte sie in die Dunkelheit hinauf, lauschte auf das Vibrieren der Zeltplanen und das Schnarchen um sich herum, doch die Gedanken wirbelten zurück zu ihrem Alptraum.
    Bilder der fast ausgebrannten Villa kehrten wieder, Erinnerungen an seltsam verrenkte Körper, ihre eigene Hilflosigkeit. Und all der Rauch. Kurz bevor sie aufgeschreckt war, war ihr gewesen, als hallten die Schreie direkt neben ihrem Ohr aus der Vergangenheit zu ihr heran.
    Sie schluckte, doch der pelzige Geschmack im Mund blieb. Fahrig wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Damit holte sie ihre Familie und ihr altes Leben nicht zurück. Auch nicht mit all der Schuld, die sie spürte. Dennoch war sie da, einem schweren Gewicht auf ihrem Herzen gleich.
    Blind tastete sie nach ihrer Decke, die sie im Schlaf von sich gestrampelt hatte. Sie wickelte sich darin ein, stand auf und taumelte mit steifen Gliedern aus dem Zelt.
    Augenblicklich umschloss sie der kühle Nachtwind, der eine Gänsehaut über ihre Arme und den Rücken trieb. In diesem Moment begrüßte sie es. Ihr Blick glitt über das kleine Lager, das sie vor Sonnenuntergang an einer winzigen Oase aufgeschlagen hatten. Winzig traf es ganz gut; sie glich mehr einem breiteren Wasserloch. Drei, vier Palmen umgaben das sandige Ufer des Quells, an dem sich hier und da einzelne Büchel mit Gras hervorwagten. Ihre Pferde ruhten gesattelt und bereit für einen raschen Aufbruch im Schutz der Bäume.
    Ranya hörte das Plätschern des Wassers, das im Licht der Sterne nur mehr ein schwarzer Teich war. Feine Sandkörnchen rieselten die Dünen hinab, die sich wie kleine Hügel um sie herum abzeichneten, während die Windböen die gigantischen Blätter der Dattelpalmen rascheln ließen. Einen Moment verlor sich Ranya in den Geräuschen, die ihr aufgewühltes Gemüt beruhigten.
    In der Nähe brannte ein kleines Feuer, vor dem sich die Umrisse zweier Gestalten abhoben. Eine davon gehörte Fahid. Der junge Gardist hielt den Kopf gesenkt, als wäre er mit vor der Brust verschränkten Armen eingeschlafen.
    Langsam ging Ranya auf die beiden Männer zu; ihre Zehen vergruben sich wohltuend im ausgekühlten Sand. Vor ihr huschte eine Eidechse von rechts nach links, doch sie konnte sie nicht genauer bestimmen, dafür war es zu dunkel. Harun hätte es gekonnt.
    Sie schob den Gedanken an den Hauptmann beiseite. Er war nicht glücklich gewesen, als sie vor mehr als zwei Tagen von Alsahar im Schutze der Nacht aufgebrochen waren – und er zurückblieb. Zum Abschied hatte er ihr das Versprechen abgenommen, alles Mögliche zu tun, um Kadir zu finden und in Sicherheit zu bringen, bis Harun in der Lage war, ihnen nachzukommen.
    Fahid hob den Kopf, als sie neben ihn trat. Im Licht der Flammen wirkte sein Gesicht gespenstisch dürr; die hohen Wangenknochen stachen mehr hervor denn je, während die untere Hälfte ein dunkler werdender Bart überschattete. Seine wirren Locken standen in alle Richtungen ab, als habe er sich gerade noch die Haare gerauft.
    »Könnt Ihr nicht schlafen?« Unter den Augen des Gardisten prangten dunkle Ringe. Er beobachtete sie dabei, wie sie sich neben ihn setzte, wich ihrem fragenden Blick jedoch aus. Innerlich schüttelte sie den Kopf über sein Verhalten, sagte jedoch nichts und wickelte sich stattdessen nur enger in die Decke. Kurz nickte sie dem anderen Mann zu, der diese Geste stillschweigend erwiderte. Wissam war ihr in den letzten Tagen nicht wie der Gesprächigste erschienen.
    »Eure Männer rauben mir den Schlaf«, seufzte Ranya und nahm dankend den dampfenden Becher entgegen, den Fahid zuvor aus einem kleinen Kessel über dem Feuer gefüllt hatte. Sie pustete über den Rand, schnupperte an dem würzigen Kräutertee und seufzte zufrieden.
    Fahid lachte leise. »Es stand Euch frei, ein eigenes Zelt zu beziehen. Wir sind engen Raum gewohnt.«
    »Ich sagte Euch bereits, dass ich keine Sonderbehandlung wünsche.« Ranya verzog das Gesicht, als sie sich an das umständliche Gebaren der Männer erinnerte. Sie hatten sich darüber gestritten, wer ihr welches Zelt am schmackhaftesten machen konnte. Einige unter den Männern hegten die Ansicht, dass es sich für eine junge, unverheiratete Frau nicht schickte, mit Männern eine Schlafstätte zu teilen. Ranya hatte ihnen mit scharfer Zunge deutlich gemacht, dass sie nicht gedachte, in einem Bett mit ihnen zu schlafen. Zugleich hatte sie die Klinge ihres Dolches unter dem Saum ihres Umhangs aufblitzen lassen. Alle sollten wissen, dass sie sich zur Not verteidigen konnte, sollte jemand auf falsche Gedanken kommen.
    Gleichwohl hatte ihr diese Auseinandersetzung gutgetan. Genaugenommen war sie froh, wenn sie nicht mit Samthandschuhen angefasst wurde. Alles war ihr recht, was sie von den düsteren Gedanken ablenkte, die sie in stillen Momenten wie eine Staubwolke überrollten.
    Es war Fahid gewesen, der mit stoischer Ruhe die Situation entschärft hatte. Nun teilte sie sich das Zelt mit den beiden Jüngsten ihrer Gruppe – zwei Brüder, die keinerlei Schwierigkeit darin sahen, das Nachtlager mit einer Frau zu bewohnen.
    »Habe ich Euch bei einer wichtigen Unterredung gestört?«, wechselte Ranya das Thema und führten den Becher an ihre Lippen.
    Seufzend fuhr sich Fahid durchs Haar. »Nicht wirklich.« Er blinzelte zu den Sternen hinauf und runzelte die Stirn. »Ich frage mich nur, ob wir auf der rechten Spur sind.«
    Ranya starrte ins Feuer. Seit ihrem Aufbruch fragte sie sich dasselbe. Von Stunde zu Stunde, die sie mit offenen Augen durch die Wüste geritten waren, war ihre Zuversicht geschwunden. Nicht einmal Harun könnte Kadir so leicht finden. Sie wollte die Hoffnung nicht einfach aufgeben, allerdings machte ein Blick auf die Einöde um sie herum ihr kaum Mut.
    »Die Spur, die Galibs Männer hinterlassen haben, ist alles, was wir momentan haben«, brummte Wissam. Ranya schaute zu ihm herüber, musterte die hauchfeine weiße Narbe an seiner Kehle; der volle Bart darüber war von grauen Härchen durchzogen, genau wie sein kurz geschorenes Haupt.
    »Wissam hat recht«, bemerkte Fahid und grinste schief. »Allerdings würde ich mich auf diese Spur nicht verlassen. Wenn sie den Prinzen bereits gefunden hätten, wären wir nicht hier.«
    »Hoffen wir einfach, dass wir den Prinzen vorher finden«, schnaubte der ältere Mann und leerte seinen Becher in einem Zug, bevor er ihn in den Sand drückte.
    Und wenn nicht? Ranya getraute sich nicht, die Frage auszusprechen. Galib war zwar für den Tod des Königs verantwortlich – und für so viele mehr –, doch etwas in ihr sträubte sich dagegen, dass er Kadir ein Haar krümmen würde. Dennoch war es ihr zuwider, sollte er in seine Finger geraten. Er sollte ihr nicht noch einen geliebten Menschen nehmen, dachte sie mit eisiger Kälte im Bauch.
    Und was wollte Kadir? Der Prinz, der von der Ferne träumte, seit er ein kleiner Junge gewesen war? Würde er zurückkehren wollen? Nicht zum ersten Mal grübelte sie über seine Entscheidungen nach.
    Wie würde es Alsahar ergehen – ohne Herrscher? Wie es die Wüste wohl verändern würde? Die meisten Randprovinzen verwalteten sich selbst und sie hatte nicht nur einmal von ihrem Vater gehört, dass sich mehr der inneren Oasendörfer und Städtchen entlang der Goldstraße dasselbe Recht hatten erstreiten wollen. Die Unruhen kamen nicht von ungefähr. Die wenigen Nomadenstämme gehörten ohnehin nur sich selbst und die Wüstenreiter waren ein störrisches Völkchen, das dem Wüstenherrscher zwar stets mit Achtung begegnete, aber sonst seinen eigenen Wegen folgte. Einzig der Umstand, dass der König einer von ihnen gewesen war, verband sie eng mit dem Palast.
    Ranya schob den Gedankengang beiseite. Wichtiger war, Kadir zu finden; über den Rest konnte man später sinnieren.
    »Ihr steht dem Prinzen nahe«, sagte Fahid leise. Ranya spürte die Blicke der beiden Männer auf sich und wich ihnen aus, musterte stattdessen den Becher in ihren Fingern. »Meint Ihr, wir sind auf der richtigen Spur?«
    Die junge Frau zuckte mit den Achseln. »Die Wüste ist gefräßig.« Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Ihr Vater hatte ihr und Kadir immer die spannendsten Geschichten über seine Reisen mit dem König erzählt, sie bunt ausgeschmückt – und doch hatte er stets mit diesen Worten geschlossen.
    Sie blinzelte ins Feuer, hob und senkte erneut die Schultern. »Der Prinz kennt ihre Weite nur aus Geschichten und sein – Begleiter … Woher soll ich wissen, welche Himmelsrichtung sie eingeschlagen haben?«
    Wissam schnaubte. »Dieser Jungspund. Was hat sich der Hauptmann gedacht, ihn mit dem Prinzen allein zu lassen?«
    »Er vertraut ihm«, murmelte Fahid. Er klang nicht, als würde er Haruns Meinung teilen. Ranya wusste zu wenig über diesen Gardisten, der aus dem Nichts aufgetaucht war und von dem Kadir in den letzten Wochen so angetan war. Immer, wenn sie nach ihm gefragt hatte, war ihr Freund ausgewichen. Als wäre ihm unangenehm, über den Fremden zu sprechen. Was ungewöhnlich schien für den Prinzen. Wenn ihm jemand gefiel, sprach er für gewöhnlich ununterbrochen von demjenigen. Zugegeben, diese Begeisterung hielt in den seltensten Fällen mehr als einige Wochen an; Kadir war schnell gelangweilt. Wahrscheinlich hatte der Fremde seine Faszination für die Ferne neu entfacht. Ranya war sich sicher, dass es so sein musste.
    Der junge Gardist selbst war ihr bei den wenigen Treffen stets mit Scheu begegnet und ihrem forschen Blick ausgewichen. Meistens hatte er sie wie Luft behandelt und sie hatte keine Lust verspürt, daran etwas zu ändern. Sie wusste nicht, was sie von ihm halten sollte, obwohl er kein schlechter Mensch sein konnte, wenn Kadir ihn in sein Innerstes geschlossen hatte. Sie wollte ihm vertrauen.
    »Kasim stammt nicht aus der Wüste«, fuhr Wissam fort. »Der Hauptmann wäre besser gleich mit dem Prinzen geritten, dann wäre er auch nicht fast gehängt worden.«
    »Wäre, hätte, könnte. Das Schicksal hat es so zurechtgelegt. Wir sollten es akzeptieren und das Beste hoffen«, sagte Fahid mit verkniffener Miene, als glaube er seinen eigenen Worten nicht, und schnippte den Dreck ins Feuer, den er zuvor unter seinen Fingernägeln hervorgeholt hatte.
    Wissam schüttelte den Kopf. »Ismet hat die Königsfamilie nicht mit Glück gesegnet. Langsam kann ich den König – Almaw möge seine Seele führen – verstehen«, brummte er in seinen Bart, während er sich ächzend erhob. »Ich versuche noch etwas Schlaf zu bekommen, bevor wir vor Sonnenaufgang aufbrechen.« Damit nickte er ein letztes Mal Ranya zu und verschwand im nächstgelegenen Zelt.
    Fahid sah ihm mit gerunzelter Stirn nach.
    »Vielleicht sollte ich es auch noch einmal mit Schlaf versuchen«, sagte Ranya nach einigem Schweigen und wollte ebenfalls aufstehen, als der Gardist unvermittelt ihr Handgelenk unter der Decke umklammerte. Mit leicht geweiteten Augen sah sie zu ihm herab, doch als bemerke er erst in diesem Moment, was er getan hatte, ließ Fahid sie los. Ohne sie anzublicken entschuldigte er sich und wünschte ihr hastig eine gute Nacht.
    Doch statt zurück in ihr Zelt zu kehren, hockte sich Ranya wieder neben ihn. Sie wusste ohnehin, dass sie nicht würde schlafen können, viel zu sehr fürchtete sie ihre Träume. Also blieb sie.

    Wind pfiff ihm um die Ohren. Mit geschlossenen Augen stand Kasim auf dem Gipfel einer Düne im Zentrum des Sturmes und lauschte dem Heulen. Strähnen seines Haars kitzelten auf seiner Stirn, Sand flog ihm um das Gesicht und rieb über seine Wangen. Tief atmete er durch, die Hände zu Fäusten geballt.
    Worte seines Großvaters drängten sich in seine Gedanken, gemeinsam mit all jenen Geschichten, die er ihm während langer Regentage erzählt hatte. Ein Lächeln huschte über Kasims Lippen, bis seine Miene erneut ausdruckslos wurde. Wie lang war es her, dass Großvater Salim ihm die Phiole mit den Worten überlassen hatte, stets gut auf sie Acht zu geben? Nun baumelte eben diese bis auf ein paar Krümel leer vor seinem Hals.
    Andere Bilder stoben an die Oberfläche, unliebsam und vermischt mit der Erinnerung an den süß-bitteren Geruch, den das Totenbett seines Großvaters umhüllt hatte. Der Kloß in Kasims Hals schwoll an; unter seinen Lidern brannten Tränen. Er schluckte das aufsteigende Gefühl der Wehmut herunter, das sich wie ein Parasit durch sein Innerstes fraß.
    Er durfte sich nicht auf die Toten fixieren. Im Hier und Jetzt zählten die Lebenden, die er zu schützen versuchte. Er konnte nicht warten und herausfinden, ob die sich nähernden Reite eine Gefahr darstellten. In der Hoffnung, dass Safir mit dem Prinzen weit genug entfernt war, suchte er nach einem festeren Halt im Sand. Der Wind zerrte an seiner Kleidung und den Gliedern, entfesselt durch den freigelassenen Goldstaub, der sich auf ihm tragen ließ. Kasim schwankte und sein Herz schlug heftig und laut in seiner Brust.
    Tat er das Richtige? Wieder und wieder hatte sein Großvater betont, den Korken nicht leichtfertig zu lösen.
    »In jedem winzigen Körnchen Gold steckt mehr Macht, als du dir vorstellen kannst, Kashka«, flüsterte die brüchige Stimme in seiner Erinnerung. Großvater Salims Augen hatten stets gefunkelt, wenn er zu ihm sprach und er ihm mit rauen Händen über den Kopf strich. »So kostbar. Lässt du sie frei, ist es ein Spiel mit dem Feuer. Aber du - du, Kashka, wirst wissen, was du tust.«
    »Hilf mir, Yaw«, raunte der junge Reiter zittrig und öffnete die Lider. Mit den Augen verfolgte er dem seltsamen Tanz der goldenen Körnchen, die sich im Wind reckten und streckten. Eine starke Böe riss die formlose Gestalt auseinander. Dann verschwand das Glitzern und der Sturm gewann an Kraft, sodass er ihn beinahe mit sich zog.
    Kasim hörte das Flattern von Zeltplanen. Töpfe und Pfannen schlugen aneinander, während ein Kamel einsam röhrte. Stumm formte der Reiter ein letztes Gebet an Yaw, jenes Himmelswesen, Herrscher des Tages, der ihn bereits sein gesamtes Leben lang begleitete. Er drückte eine Hand auf das kühle Glas der Phiole - und fühlte sich leer und kalt dabei. Als fehlte ein Teil von ihm.
    Schließlich riss er sich aus seiner eigenen Starre, machte auf dem Absatz kehrt und hastete die Düne hinab. Er stemmte sich gegen die Böen, schützte sein Gesicht vor rauem Sand, der ihm zusätzlich den Atem raubte. Das Lager war kaum mehr auszumachen, doch er konzentrierte sich auf den Weg zwischen den Dünen dahinter. Kasim hoffte, dass die Frauen in Sicherheit waren, solange das Zentrum des Sturmes hinter den Sanddünen tobte.
    Je weiter er sich kämpfte, desto größer keimte Panik in ihm auf, die ihm die Kehle zuschnürte. Er lief so schnell er konnte, stolperte dabei über seine eigenen Füße. Was, wenn er die falsche Richtung einschlug? Folgte er der rechten Spur. Was machte ihn so sicher, dass er nicht im Kreis ging und den Reitern in die Arme lief?
    Doch etwas zog ihn trotz der Zweifel weiter, trieb ihn voran wie ein Gespür, das er nicht abschütteln konnte.
    Er blinzelte durch die dichte Wand aus Sand vor sich, sah kaum die Hand vor Augen. Sand verirrte sich in seine Stiefel, rieb an seiner bloßen Haut, bis diese brannte. Er lief weiter, verlangsamte keinen seiner Schritte.
    Dann sah er die Schwärze in der Luft. Stetig wurde sie deutlicher, hinterließ kleine Spuren, winzige Flecken im hellen Sandsturm. Kasim blinzelte, fürchtete, dass seine Sicht ihm Streiche spielte. Jedoch war es am Ende das Einzige, an das er sich klammern konnte. Es war wie ein Faden, der sich um seine Finger wickelte und ihn mit sich zog, dünn und leicht zu zerreißen.
    Je weiter es ihn zog, desto dichter wurde die Schwärze, bis sie eine formlose Gestalt ergab, die ihm zuzuwinken schien. Kasims Magen schlug einen Purzelbaum, als er das Wesen wiedererkannte. Da wusste er, dass es ihn direkt zu Kadir führen würde. Mit letzter Kraft beschleunigte er seine Schritte, bis hinter einer seichten Düne die Umrisse eines Pferdes samt Reiter auftauchten.
    Safir entdeckte ihn zuerst. Die Augen mit den Händen beschirmt, stieß er einen heiseren Ruf aus. Der Prinz kauerte vor ihm im Sattel, die Hände auf der Brust. Als Kasim sich näherte, erkannte er, dass Kadirs Finger sich im Stoff seines Kaftans krampften. Mit gerunzelter Stirn stolperte der Steppenreiter zu ihnen, kümmerte sich nicht um Safir, der sofort auf ihn einsprach. Seine Aufmerksamkeit galt ganz allein seinem Freund, dessen Gesicht schmerzverzerrt war; Schweiß perlte von seinen Schläfen. Kadir zuckte zusammen, als Kasim sein Knie berührte. Die Augen des Prinzen waren weit aufgerissen und er atmete schwer, als er nun herabblickte. Einen Moment wirkte es, als sehe er durch seinen Freund hindurch, dann entspannten sich seine Züge ein wenig.
    Kasim öffnete den Mund, um etwas zu sagen, erstarrte jedoch in seinem Vorhaben. Stattdessen stierte er auf den dunklen Schatten hinter dem Prinzen, auf den tiefschwarzen Schemen, der die Gestalt einer Frau angenommen hatte - einer gesichtslosen Frau. Ihr Haar flog in alle Richtungen, als sie ihm langsam zunickte, bevor sie die langen Hände auf Kadirs Schultern legte und verschwand. Der Prinz stöhnte auf und krümmte sich über den Sattelknauf. Safir beugte sich über ihn, zuckte jedoch zurück, als Kadir nach ihm schlug.
    »Mir geht es gut«, raunte der Prinz. Seine Finger entspannten sich und auch seine Gesichtszüge wurden weicher.
    »Dir geht nicht gut«, widersprach Kasim. Er tauschte einen Blick mit Safir, der etwas unbeholfen die Achseln zuckte, als der jüngere Mann ihm die Zügel aus den Händen nahm.
    »Was ist im Lager passiert?«, fragte Safir, verstummte jedoch, als Kasim ihm einen langen Blick zuwarf, ehe er das Pferd mit sich führte.
    »Später«, murmelte der Reiter. »Müssen weiter weg.« Er wusste nicht, wie lang der Sturm die Männer aufhalten würde. Bestenfalls würde er sie so sehr verwirren, dass sie die Orientierung und somit ihr Ziel aus den Augen verloren. Schlimmstenfalls hatten sie nur ein paar Minuten Zeit gewonnen. Wenn sie denn überhaupt auf der Jagd nach ihnen waren.

    @Kyelia
    Es ist gut, dass du das mit dem Wesen erwähnst, ich werde über den ganzen Text noch mal drübergehen, denn irgendwie gefällt mir der Lesefluss nicht wirklich, vielleicht liegt es auch daran. Ich schau auch, dass ich vielleicht etwas die Beschreibungen zurückschraube, allerdings muss ich zugeben, dass einige davon wichtig wären. :hmm: Ich schaue, ob ich da eine Lösung für finde.
    Und vielleicht mache ich in dem Schritt auch deutlicher, warum Kasim die Phiole öffnet, wobei sich das wahrscheinlich im nächsten Teil schon wieder aufklärt.
    Wollte ich nur jetzt gleich loswerden, weil ich so vergesslich bin in letzter Zeit. xD' Eventuell wird sich der Text also oben gleich noch etwas verändern als erst in der richtigen Überarbeitung in meiner Datei.

    Mit einem letzten Ruck zurrte Musafir den Riemen fest, bevor er zurücktrat. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete die vollgepackten Ledertaschen, die den abgewetzten Sattel säumten. Ein letztes Mal prüfte er sorgfältig den Sitz des Gurtes, strich schließlich beruhigend über den Hals des tänzelnden Braunen. Schnaubend wandte sich das Tier der Berührung zu.
    Musafirs Lächeln gefror auf seinen Lippen; die Hände zu Fäusten geballt, ließ er den Taumel über sich ergehen, der ihm den Magen umdrehte. Wie stets vor einer ungewissen Reise. Einen Moment schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, schnaufte er tief durch und hielt Ausschau nach seinen neuen Begleitern.
    Im Schatten eines Zeltes entdeckte er Kasim, der sich mit Elin leise in seiner Sprache unterhielt. Die beiden waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie den finsteren Blick nicht bemerkten, den Kasims Freund ihnen zuwarf. Vielleicht störten sie sich auch nicht daran, weil ihnen bewusst war, dass der junge Mann mehr mit sich selbst kämpfte, als dass er sauer auf sie schien. Vor sich hin brodelnd hockte er auf einem Kamelsattel und schaufelte Sand von einem Schuh auf den anderen. Als Musafir sich neben ihn setzte, zuckte er zusammen.
    »Ihr solltet Eurem Freund mehr vertrauen, Nadim«, bemerkte er leise, in dem Wissen, dass der jüngere Mann einen Namen nutzte, der nicht seiner war. Dennoch schien er sich damit wohler zu fühlen als mit der Wahrheit. Für den Moment würde Musafir es durchgehen lassen, genauso wie es Elin tat.
    »Ich vertraue ihm«, brummte Nadim; mit einem Seufzer sackten seine Schultern tiefer. Er sah auf seine Hände hinab, die kraftlos in seinem Schoß lagen. »Es ist nur ...«
    »Es ärgert Euch, dass Ihr sie nicht versteht?«
    Schuldbewusst senkte Nadim den Blick. »Im Gegensatz zu ihm bin ich kein Schwamm, der eine Sprache aufsaugt.«
    Musafir lächelte leise, schaute jedoch auf, als sich ihnen jemand näherte und kurz darauf Isra vor ihnen innehielt. Ihre Armreifen klimperten gegeneinander, als sie die Arme in die Hüften stemmte. Elins Gefährtin betrachtete sie eine Weile schweigend, nur um sich schlussendlich an Musafir zu wenden. »Es ist schade, dass ihr uns so bald verlasst, Safir.«
    Er blinzelte zu ihr auf. »Es musste so kommen, irgendwann.« Der leichte Stoff ihres schmucklosen Kaftans schmiegte sich eng an ihre Kurven; ihre Mundwinkel zuckten, als Musafir starr den Blick auf ihr Gesicht richtete, doch dann wurde ihr Ausdruck ernst. In einer einzigen, geschmeidigen Bewegung löste sie die Kette um ihren Hals und trat einen Schritt vor, um ihm das silberne Schmuckstück umzuhängen. Musafir hielt den Atem an, als ihre Fingerspitzen dabei über seinen Nacken strichen. Die herbe Süße ihres Duftes wehte mit einer Brise heran. Kurz senkte er die Lider, bereute es jedoch im nächsten Moment, da seine Augen direkt auf dem angedeuteten Ausschnitt ihrer Kleidung und dem Streifen dunkler Haut darüber haften blieben.
    »Ich werde Euch vermissen«, flüsterte Isra und streifte mit den Lippen seine Wange. »Und Elin ebenso, auch wenn sie es nie laut sagen würde.«
    Musafir lachte auf, legte die Hand auf die Brust, dort wo nun ein Anhänger in Form eines Auges ruhte. Leicht neigte er den Kopf in ihre Richtung. »Es war mir eine Freude, euch begleiten zu dürfen.«
    Die Wanderin schmunzelte, wobei sich feine Grübchen bildeten. An Nadim gerichtet sagte sie: »Es ist schade, dass ich Euch nicht näher kennenlernen konnte. Euch und Euren Freund.«
    Der Jüngere wich ihrem forschen Blick aus. »Es ist besser so«, murmelte er kaum hörbar.
    Isra schürzte die Lippen. Im gleichen Moment löste sie einen ihrer Armreifen und griff nach Nadims Hand. Er zuckte vor ihr zurück, ließ seine Finger aber in ihre gleiten.
    »Vielleicht begegnen wir uns eines Tages wieder, sofern es das Schicksal will.« Sie schloss den Reif, an dem eine kleine Silberhand im Sonnenlicht glitzerte. Wortlos starrte Nadim darauf herab, die Lippen aufeinander gepresst.
    Noch einmal beugte sie sich vor, legte die Arme um seine Schultern und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Möge Ismet Euch wohlgesonnen sein, mein Prinz.«
    Musafir runzelte die Stirn, fragte sich, ob er die gehauchten Worte missverstanden hatte, während Nadim neben ihm verkrampfte. Isra schenkte ihm ein letztes Lächeln, bevor sie sich mit schwingenden Hüften zu ihrer Gefährtin begab.
    Nachdenklich sah er ihr hinterher. Was folgte war eisiges Schweigen.
    Es war ein schriller Pfiff, der urplötzlich alle zusammenfahren ließ. Elin trat aus dem Schatten, suchte aufmerksam die nähere Umgebung ab. Über eine hohe Sanddüne eilte ein Mädchen mit wehender Kleidung heran und stieß einen weiteren Pfiff aus.
    Bisher hatte Musafir die Wanderinnen mit ihrem wiegenden Schritt stets nur anmutig erlebt, ganz gleich in welcher Geschwindigkeit, ob hinauf oder hinab. Dieses Mädchen hingegen stolperte regelrecht durch den Sand; manchmal schien es nur mit Mühe und rudernden Armen einen Sturz verhindern zu können.
    »Reiter!«, rief das Mädchen atemlos und streckte die Hand in jene Richtung, aus der es kam. »Reiter hinter – hinter den Dünen! Sie … Sie ...«
    Elin steuerte ihr mit ausladenden Schritten entgegen. Ihre Miene war blank, einzig ihre Stirn lag in leichten Falten. »Wie viele konntest du erkennen?«
    »Sie waren zu weit weg«, schnaufte das Mädchen. »Aber zu wenige für … Zu wenige für Wanderer.«
    Musafir erhob sich, sich den Sand von seinem Kaftan klopfend. »Wüstenreiter vielleicht?« Als das Mädchen den Kopf schüttelte, wandte er sich an Elin. »Wir sollten aufbrechen.
    »Ich habe nicht vor, euch herausfinden zu lassen, was sie wollen.« Die Wanderin warf einen Blick zurück zu Nadim, der sich derweil von Kasim aufhelfen ließ. »Wenn ich bedenke, wie viele Reiter uns in letzter Zeit auf die Nerven gegangen sind – und in welcher Art –, sage ich, ihr solltet schnell machen.« Sie fragte ihr Mädchen, wie weit die Reiter noch entfernt waren, doch Musafir hörte kaum mehr hin. Stattdessen schritt er zum Pferd seiner Begleiter und führte es zu ihnen.
    Gemeinsam mit Kasim half er Nadim auf den Sattel. Zittrig krallte sich dieser an den Knauf und nickte seinem Freund knapp zu, der allerdings zögerte, sich hinter ihm aufzuschwingen.
    Unvermittelt drehte sich der Steppenreiter zu Musafir. »Ihr steigt auf.«
    Irritiert sah er zu ihm, dann zurück über die Schulter. Die Frage, wie lange es dauern würde, bis eine Schar unbekannter Reiter über den Dünen am Horizont auftauchte, erfüllte seinen Verstand.
    »Bei Ismet, Safir, lasst das Denken sein und steigt auf das arme Tier, bevor Hochwohlgeboren es um den Verstand bringt!«, schimpfte Elin hinter ihm, die ihn aus seiner Starre löste. Ihn durchfuhr ein Ruck, als sie ihn beinahe in die Flanke des tänzelnden Brauen schob. Nach Luft schnappend schob er einen Fuß in den Steigbügel, den Nadim nur widerwillig freigab. Elin packte unnachgiebig an Musafirs Sitzfleisch, um noch einmal nachzuhelfen. Ob des zusätzlichen Gewichtes schnaubte das Pferd protestierend und Kasim hatte alle Mühe, es zu beruhigen, ehe er die Zügel nach oben reichte.
    Nadim versteifte sich, kaum dass jemand hinter ihm saß. Einen Moment wirkte es, als wolle er nach dem Arm seines Freundes greifen, doch stattdessen schlossen sich seine Finger krampfhaft um den Sattelknauf. Kasim lächelte zu ihm auf, doch als er sich abkehrte, wurde seine Miene hart. Nach kurzem Zaudern zog er das Lederband unter seinem Kragen hervor.
    In der Phiole, die nun zum Vorschein kam, wütete ein wahrer Sturm. Feine Körner trieben hin und her, drückten sich gegen das Glas, wie in heller Aufruhr. Kasim entkorkte das Gefäß mit zittrigen Fingern. Der Wind ergriff seinen Inhalt, wirbelte ihn umher und ließ ihn um den Kopf des Steppenreiters tanzen.
    Musafir hielt den Atem an, beobachtete, wie der Goldstaub zu einer Gestalt anwuchs. Sie glich einem menschlichen Wesen, schien jedoch gleichzeitig seltsam aus der Form gerückt. Lange Glieder entstanden und lösten sich im nächsten Windzug auf.
    Mit einer Böe wehte leises Flüstern heran. Der Staub reckte sich wie jemand, der gerade aus einem langen Schlaf erwacht war.
    Die Zeit schien stehengeblieben zu sein. Plötzlich entfernte sich das Staubwesen von Kasim, näherte sich stattdessen seinem Freund, bis er ihn umhüllte. Musafirs Herzschlag beschleunigte sich – das Flüstern ergab mit einem Mal einen Sinn.
    »Liebste Layla, Liebste mein.«
    Nadim neigte den Kopf, senkte die Schultern und im nächsten Moment wirkte es, als lege er seine Wange gegen eine Hand aus schimmerndem Gold.
    »Liebste Layla, Liebste mein.« Musafir kam der Name vertraut vor, doch sein Verstand wollte ihn nicht zuverlässig einordnen.
    Ein Frösteln erschütterte Nadims Körper. Nur einen Wimpernschlag später hob er seine Hand, ließ den Staub durch die gespreizten Finger gleiten und bewegte sie hindurch. Dann löste sich das Gebilde vor ihnen auf, bevor es sich bei Kasim wieder verfestigte, der stumm die Lippen bewegte, und stob davon. An seiner statt erstarkte der Wind, wehte ihnen neuerlich Sand und trockene Hitze in die Gesichter. Musafir kniff die Augen zusammen. Er schreckte zusammen, als jemand dem Pferd einen Klaps auf den Hintern gab und es sich ruckartig in Bewegung setzte. Mit in den Ohren rauschendem Puls sah er zurück. Bevor sich ein Sandwirbel zwischen sie schob, erkannte er Elin, die rufend durch das vom heftigen Wind aufgescheuchte Lager eilte. Isra hob zum Abschied die Hand; das Klimpern ihrer Armreifen, das sie sonst stets begleitete, ging im Heulen des Sturmes unter, ehe auch sie aus seinem Blickfeld verschwand.
    Mit einem Aufstöhnen beugte sich Nadim vor, die Hände fest um den Sattelknauf geklammert. Als fiele etwas von ihm ab, als hätte sein Verstand bisher in einer Blase gesteckt, die nun mit einem leisen Plopp platzte, packte Musafir die Zügel fester.
    Kasim war unterdes nirgendwo mehr zu sehen.

    Spoiler anzeigen

    @Shaylee Es freut mich, wenn meine Detailvernarrtheit positiv ankommt. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es zu viel des Guten ist und zu sehr abschweift.
    Deine wertvollen Anmerkungen habe ich mir notiert. So etwas hilft mir immer weiter.
    Zu den Sternenkindern sei gesagt: Es war mir im Hinterkopf geläufig, du holst es mir aber jetzt erst wieder bewusst ins Gedächtnis. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass der Begriff durchaus passend ist, aber vielleicht überlege ich mir noch eine Alternative für den Fall der Fälle. :)


    Und weil ich kurz nach zwei Uhr nachts nichts Besseres zu tun habe - geht es auch schon weiter. Bin selbst erstaunt.


    Unbehaglich sah Kasim zwischen seinem Freund und den Frauen hin und her. Elin musterte Kadir, der stumm auf seinen Schoß starrte. Seine Selbstsicherheit, die Kasim stets an ihm bewundert hatte, welkte unter dem wachen Blick der Wanderin wie eine Pflanze bei Dürre.
    Der junge Reiter seufzte. Er hatte einen Entschluss gefasst, einen, der dem Prinzen aufstoßen könnte, doch mit Schweigen und Starren kamen sie nicht voran. Die Gefahr, dass sie jemand in diesem Moment aufspürte, vor dem Harun ihn hatte schützen wollen, war allgegenwärtig und er fragte sich, ob sich der Prinz dessen überhaupt wirklich bewusst war.
    Kasim fasste allen Mut zusammen. Zwar hatte der Prinz deutlich gemacht, wie wenig er es leiden konnte, wenn er nichts um sich herum verstand, doch Kasim fühlte sich in seiner eigenen Sprache wohler, als er das Wort an Elin richtete.
    »Wir brauchen Eure Hilfe.« Er verschränkte den Blick mit ihrem. »Ohne Proviant und mit nur einem Pferd kommen wir zu zweit nicht weit. Wir sind mit der Wüste nicht vertraut. Ihr habt recht.« Kurz schöpfte er Atem, um seine Gedanken zu ordnen. Kadirs Finger schlossen sich fester um seine Hand, doch er unterbrach ihn nicht. Schwach lächelnd dankte er ihm im Stillen dafür. »Wir wissen nicht, wer und wie viele uns folgen oder wie nah sie uns bereits sind.« Oder warum sie es tun, setzte er in Gedanken hinzu. »Unsere einzige Hilfe, auf die wir hoffen konnten, hat uns bisher nicht gefunden und wird es wohl nicht. Vielleicht hat er damit gerechnet. Vorerst können wir nicht dorthin zurück, woher wir kommen.«
    Die Wanderin regte sich nicht, während die Augen ihrer Gefährtin zwischen den beiden Männern vor ihr hin und her huschten. Mit einem Knoten im Magen fuhr Kasim fort.
    »Wir erwarten keinen Unterschlupf. Nur etwas Hilfe, um uns zu orientieren und zu wissen, wohin wir uns wenden können. Orte, an denen wenig Fragen gestellt werden.«
    »Ich kann euch nicht versprechen, dass euer Auftauchen keine Fragen aufwerfen wird«, bemerkte Elin in der Sprache der Wüste und lehnte sich auf ihren Kissen zurück. »Ihr seid kein Kind der Wüste und Euer Freund mit dem Namen eines Königs ist so unbeholfen, dass ich glaube, er ist nie zuvor mehr als hundert Schritt durch sie gewandert.« Sie schnaubte, als Kadir nach Luft schnappte. »Ich sagte bereits, die Wüste ist ein Biest, sie verschlingt arglose Reisende gern zum Frühstück.«
    »Wir unterschätzen sie nicht. Ich tue es nicht«, fuhr Kasim dazwischen.
    Die Wanderin schmunzelte. »Nun, zumindest Ihr müsst sie auf Eurem Weg durchwandert habe. Ah, aber Ihr habt Euch treiben lassen, nicht? Seid die große Goldstraße entlanggekommen.«
    Er erinnerte sich daran, wie ein alter Mann in einem kleinen Dorf nördlich von Alsahar die große Handelsstraße so bezeichnet hatte. Es schien ihm Jahre her, nicht wie Wochen, seit er sich an seinen Rat gehalten hatte, ihr zu folgen, wenn er nicht verspeist werden wollte.
    Elin tippte mit dem Zeigefinger gegen ihr Kinn. »Ich denke, diese Reisemöglichkeit steht für euch außer Frage, um ungesehen zu bleiben. Die kleinen Wege zwischen den Dünen hindurch kämen eher in Betracht. Ihr solltet jedoch größere Oasen meiden. Fahrende Händler aus anderen Reichen sind zwar nicht selten, aber man wird sich leichter an Euch erinnern, besonders wenn Ihr ohne Waren unterwegs seid.«
    »Wir könnten sie mit Dingen ausstatten, um den Schein zu wahren«, schlug Elins Gefährtin vor.
    Die Wanderin schürzte die Lippen. »Und was sollen wir ihnen geben? Drittklassige Felle von Ziegen, vergorene Früchte oder doch die Kamelmilch?«
    »Nun, Kamelhändler brauchen nicht viel Gepäck ...«, setzte die junge Frau an, doch Elin schüttelte den Kopf.
    »Keines unserer Tiere ist entbehrlich, Liebes.« Schuldbewusst lächelte sie zu ihren Gegenüber. »Sie sind nicht nur unsere Packtiere.«
    Kasim verstand ihre Zurückhaltung. Die Ziegen und Pferde seiner Sippe waren mehr als ein Zeichen von Wohlstand. In schweren Zeiten waren sie Nahrungsquelle und Zahlungsmittel zugleich. Nie hätte er von ihr verlangt, sich für sie von einem der Wüstentiere zu trennen, wenn es ihr keinerlei Vorteile einbrachte.
    »Nein, ich bleibe dabei, dass ihr kleine Ortschaften anstreben solltet. Dörfer sesshafter Wüstenreiter.«
    Elins Gefährtin verzog das Gesicht, als sie gerade nach ihrem Becher auf dem Tisch griff. »Viele dieser Sesshaften sind Fremden gegenüber misstrauisch. Und dann auch noch Wüstenreiter.« Sie schüttelte sich schwach.
    »Umso weniger werden sie anderen Fremden von Besuchern erzählen«, beendete Elin ihren Gedankengang.
    »Manchmal bist du hoffnungslos guter Dinge«, seufzte die jüngere Frau.
    »Und dafür liebst du mich.« Elin beugte sich zu ihr und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Schläfe. Kasim senkte die Lider, während Kadir neben ihm unverwandt den Blick auf ihnen ruhen ließ. Schließlich wandte sich die Wanderin wieder zu ihnen. »Als Reiter selbst solltet Ihr bei den störrischen Wüstenbewohnern ein höheres Ansehen genießen als manch anderer. Was Euch betrifft«, sie sah zu Kadir, »das ist wiederum eine andere Geschichte.«
    Der Prinz straffte die Schultern. »Macht Euch um mich keine Sorgen. Mein Vater war selbst ein Wüstenreiter.« Obwohl seine Stimme ein wenig brüchig klang, so schwang doch eine Spur Stolz darin. Nicht nur Elin hob die Brauen, als seine Worte sackten.
    »Nun, Ihr seid jedenfalls keiner«, raunte Elin. Sie drehte eine Weile schweigend die Pfeife zwischen ihren Fingern, bevor sie sie in ihren Schoß sinken ließ. »Ich kann euch nur eine grobe Richtung weisen und es wird kein leichter Weg, wenn ihr die Goldstraße und ihre abzweigenden Pfade meidet. Über die Dünen zu reisen ist beschwerlich, besonders ohne Führung.« Plötzlich glitt ihr Blick an ihnen allen vorbei, hin zum Eingang des Zeltes. Kasim drehte den Kopf herum und zuckte zusammen, als er Safir mit verschränkten Armen an einen Balken gelehnt entdeckte. Er war davon ausgegangen, dass er sie bereits zu Beginn des Gespräches verlassen hatte.
    Nun hob Safir die Brauen, während seine Augen hin und her eilten. Als Elin ihn heranwinkte, reagierte er zögernd. Am Ende stand er ungelenk zwischen ihnen, als wisse er nicht, wohin mit seinen langen Gliedern, den Kopf leicht zwischen die Schultern gezogen. Er öffnete den Mund, nur um ihn gleich darauf wieder zu schließen.
    »Ihr wolltet uns ebenfalls verlassen, nicht wahr?«, fragte die Wanderin und auf ihren Lippen zeichnete sich ein hauchdünnes Lächeln ab. »Ich denke, allein zu reisen wird auf Dauer langweilig und wer weiß, wann Ihr wieder in den Genuss von Gesellschaft geratet.«
    »Ich ahne, worauf Ihr hinauswollt«, brummte Safir, ohne jedoch sonderlich erbost zu wirken. Seine Züge waren entspannt und als er flüchtig zu Kasim und Kadir schaute, lächelte er. Er zwinkerte ihnen sogar zu, worauf Kasims Herz einen kurzen Sprung machte. Hatte er zuvor das offensichtliche Starren des Prinzen in Safirs Richtung nicht nachvollziehen können, bekam er mit jedem längeren Blick auf diesen Mann eine Vorstellung davon, was sein Freund womöglich gesehen hatte. »Ich kann allerdings nicht versprechen, dass ich eine verlässliche Quelle bei einer Reise über die Dünen bin.«
    »Oh, jetzt macht Euch nicht wieder kleiner als Ihr seid, Safir«, fuhr Elin lachend auf. »Ich habe Euch immer alles mögliche aufzeichnen sehen. Ganz zu schweigen von Eurem Talent zur Orientierung.« Nun grinste sie. »Und Ihr liebt eine Herausforderung. Seid ehrlich, Ihr habt Euch gelangweilt in den letzten Tagen.«
    Safir setzte zu einer Erwiderung an, schüttelte dann jedoch mit einem leisen Lachen den Kopf. »Ich bin nicht derjenige, der die Entscheidung trifft.«
    Der Prinz zuckte zusammen, als sich alle Aufmerksamkeit auf ihn richtete. Er kaute auf seiner Unterlippe und seine Augen flohen hin und her, ohne einen bestimmten Punkt lange zu fixieren. Kasim konnte nur neben ihm sitzen, seine Hand weiterhin in der seines Freundes, die er fest drückte. Seine Haut auf seiner fühlte sich gut an und seltsam vertraut. Er spürte das Prickeln seiner Finger, während die Wärme aus dem Inneren der Phiole seine Brust unter seiner Kleidung zum Glühen brachte. Er erschauderte bei der Flut an Eindrücken, die mit einem Mal auf ihn einstürmten, ohne dass er sich auf sie konzentrieren musste. Kadirs Nähe, das gespannte Warten der anderen, seine eigenen Gedanken und Befürchtungen, die Angst vor dem Ungewissen, aber auch die Neugier auf das Unbekannte, die ihn hinausdrängte und mit verlockenden Worten ihn zu ködern versuchte, sich ihrer annahm. Es war jenes Gefühl der Aufregung, das in seinem Inneren tobte und ihn zuvor bereits dazu bewogen hatte, dem Prinzen seine Bitte zu erfüllen, an seiner Seite zu bleiben, selbst wenn er irgendwann nach Alsahar zurückkehrte.
    Ihm wurde schwindelig, je länger das gespannte Schweigen andauerte. Kurz flammte das Verlangen auf, Kadir bei den Schultern gepackt und ihn zu schütteln. Ihm lag die Frage auf der Zungenspitze, was ihn noch daran hinderte, einzustimmen, doch er sagte und tat nichts.
    Schließlich atmete der Prinz tief durch und ließ die Schultern sinken. »Ohne Führung werden wir keinen Tag dort draußen überstehen. Ihr habt recht. Weder Kasim noch ich kennen sie gut genug, um alle Gefahren einschätzen zu können.« Er wandte sich an Safir. »Allerdings kann ich nicht garantieren, dass es ungefährlich wird.«
    Kasim blinzelte erstaunt, als er das Funkeln in den Augen des anderen Mannes wahrnahm, die das Flackern der Lichter um sie herum gespenstisch auffingen. »Das macht es nur umso aufregender.«
    Elin klatschte in die Hände und ließ alle dadurch zusammenzucken. »Dann ist es beschlossen. Sagt mir, was ihr vor eurem Aufbruch braucht und ich werde sehen, was ich für euch tun kann.«

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    @Shaylee
    Es freut mich, dass du hierher gefunden hast. Nimm dir einen Tee und ein Stück Kuchen. Mach es dir ruhig bequem. Ich nehme jede Kritik, die ich kriegen kann. (Nebenbei, liebe Kitsune ist schon richtig. ;D) Deine Anmerkung ist notiert, ich schau, dass ich da noch 'ne Randbemerkung mit einbaue.


    Weiter im eigentlichen Text:

    Ich tue mich derzeit so schwer, das Folgende fortzuführen. Da ich aber glaube, zur Zeit alles nur zu verschlimmbessern, werfe ich jetzt trotzdem mit dem nächsten Fragment um mich. Das Gespräch will nicht recht in die Richtung fließen, in die ich es haben möchte bzw. in der ich es brauche ... Danke, Rüdiger. -.-


    Kurz darauf verließ Kadir auf den Arm seines Freundes gestützt das Zelt. Der Wind blies ihm das zerzauste Haar aus dem Gesicht. Aufgewirbelter Sand tanzte in letzten Böen um seine Beine, während sich die Staubwolke am Horizont verflüchtigte, um der Sonne ihren angestammten Platz einzuräumen.
    Nicht weit von ihnen entdeckten sie Safir. Er sprach mit einigen Frauen, die sich daranmachten, die Sturmschäden zu begutachten. Andere schüttelten Teppiche und Felle vor ihren Behausungen aus oder kümmerten sich um die Kamele, die unter etlichen Satteldecken wie begraben wirkten. Selbst ihr Pferd wurde umsorgt. Mit dem Schweif wedelnd und einem umgebundenen Futterbeutel stand ihr Brauner mitten unter den Wüstentieren. Sandkörner glitzerten auf seinen Flanken und langen Wimpern.
    Kadir beobachtete Safir, wie er half, Risse in den Zeltbahnen genauer in Augenschein zu nehmen und dabei unverhohlen schäkerte. Er lachte, scherzte, warf seinen Gegenüber lange Blicke zu. Was den Prinzen daran erstaunte – die dunklen Schönheiten erwiderten es ohne Scheu. Wie Verdurstende suchten sie seine Nähe, berührten ihn sanft an Armen und am Rücken. Sie schien in keiner Weise zu enttäuschen, dass eine Erwiderung dessen ausblieb.
    Als Kasim neben ihm das Gewicht von einem Bein aufs andere verlagerte, zuckte Kadir zusammen. Hatte er gestarrt? Hastig senkte er die Lider und stammelte davon, endlich Elin aufzusuchen. Er wollte seine Gedanken auf das Wesentliche konzentrieren und nicht der Erkenntnis erliegen, dass Safir ansehnlich war. Etwas dürr, mit dieser großen Gestalt und den langen Gliedern, die manchmal wie unbeholfene Spinnenbeine anmuteten, während seine schwarzen Locken verfilzt, beinahe kraus waren; flüchtig fragte sich Kadirs Verstand, wie es sich wohl anfühlte, mit den Händen hindurchzufahren.
    Steif ließ sich der Prinz zu der kleinen Gruppe führen, die in ein Gespräch verwickelt war. Energische Gesten untermalten jedes Wort. Eine der Frauen deutete immer wieder auf den länglichen Riss in der Zeltplane vor ihnen. Sie streckte gerade schnaubend einen Finger hindurch, als Safir sich mit gehobenen Brauen zu ihnen umdrehte.
    Kadir sagte – nichts, stierte stattdessen auf die feinen Linien über den braunen Augen. Erst als Kasim seinen Griff um der Taille des Prinzen verstärkte, räusperte er sich.
    »Ich – wir – müssen mit Elin sprechen«, stotterte er und hätte sich am liebsten im Sand vergraben.
    Safir sah sich um. »Sie ist noch in ihrem Zelt.« Er wandte sich zu den Frauen, besprach sich kurz und winkte dann den zwei Freunden, ihm zu folgen.
    Elins Zelt thronte im Zentrum des halbrunden Lagers, wobei es weder größer war noch sich in sonstiger Hinsicht von den anderen in seinem Schatten abhob. Safir deutete ihnen, davor zu warten, und duckte sich ins Innere.
    Ungewollt stieß Kadir die angestaute Luft aus seinen Lungen. Er war froh über den Halt, den Kasim ihm spendete. Gern hätte er sich selbst geohrfeigt. Es war nicht so, dass er den fremden Mann plötzlich mochte oder ihn mit anderen Augen sah, nur weil er Safir das erste Mal wirklich betrachtet hatte. Kadir straffte die Schultern, als leises Raunen zu ihnen drang; kurz darauf hob Safir die Plane an, um sie hereinzulassen.
    War das Zelt des Reisenden einfach und nur mit dem Nötigsten eingerichtet, so war Elins eine Explosion aus Farben und Kleinigkeiten. Statt der Felle türmten sich bunte Kissen und Decken auf weichen Teppichen, deren Muster aus Tropfen, Blattranken und anderen Ornamenten sich in rot und orange abhoben. Dunkle Stickereien zierten die inneren Zeltbahnen. Von den tragenden Holzbalken hingen etliche mit Leder umwickelte Ringe, an denen Federn, Glöckchen und Silberschmuck baumelte; Anhänger aus Händen und Augen mit stechend blauen Perlen funkelten im Lampenlicht. Ein leises Klimpern hing in der Luft, gleichzeitig roch es nach altem Rauch und etwas, das an die süße Herbe von verbrannten Wüstenkräutern erinnerte.
    Die Wanderin selbst saß hinter einem niedrigen Tischchen auf einem Kissenhaufen. Sie hielt ihre Pfeife in der Rechten, eine junge Schwarzhaarige im Arm zu ihrer Linken. Ihre Roben verhüllten kaum ihre Blöße, dünne Bänder nur locker um ihre Hüften gebunden.
    Kasim streckte den Kopf in alle Richtungen, während Kadir seine Aufmerksamkeit nicht von dem Szenario vor sich abwenden konnte. Elins Anhängsel schmiegte sich enger an sie, jedoch nicht ohne den beiden jungen Männern ein Lächeln zuzuwerfen. Schwarze Flecken hoben sich wie eine Landkarte von ihrem ockerbraunen Gesicht ab.
    »Ich hoffe, ihr habt den Sturm gut überstanden und konntet euch etwas ausruhen«, sagte Elin, zog an ihrer Pfeife und stieß kunstvolle Kringel in die Luft.
    Kadir nickte. Abwartend musterte ihn die Wanderin, bis sie schließlich schweigend zu einem weiteren Haufen Kissen deutete, auf den er sich dankbar niederließ. Er bestand darauf, dass Kasim sich ebenfalls setzte, ohne ein Widerwort zuzulassen.
    »Nun?«, begann Elin erneut. Mit den Fingerspitzen strich sie über den bloßen Oberarm ihrer Gefährtin, die sichtlich erschauderte, als sie das Gesicht an Elins Schulter vergrub. »Safir meinte, ihr wolltet reden.«
    »Ah, wo bleiben deine Manieren, Elin?«, schalt die junge Frau und setzte sich auf, wobei der helle Leinenstoff von ihrer Schulter glitt. »Gästen bietet man Getränke an.«
    Gähnend winkte die Wanderin in keine bestimmte Richtung. »Gäste sollte es nicht abhalten, zu reden, während du sie bringst, Liebes.«
    Ihre Gefährtin warf ihr mit gespitzten Lippen einen Blick über die Schulter zu, erwiderte jedoch nichts, als sie sich erhob und schwungvoll zu einer kleinen Anrichte am Rande des Zeltes tippelte.
    Derweil drehten sich die Gedanken des Prinzen wild im Kreis; er wusste nicht, nach welchem er zuerst greifen sollte, um sie anzuhalten. Er hatte sich zuvor nur kurz mit Kasim beraten, was sie ihr offenbaren sollten und was nicht, doch all das schien ihm zu entgleiten. Ihm wurde schwindlig, was nicht zuletzt an dem Qualm lag, der in der Luft hing. Er fühlte sich, als lägen ihm die Worte nur auf der Zunge, ohne sich hervorzutrauen.
    Plötzlich spürte er Kasims Hand auf seiner. Sacht und unsichtbar, doch sie war da.
    »Wie sicher ist es, durch die Wüste zu reisen? Zur Zeit, meine ich.« Kadir schimpfte sich ob seiner zittrigen Stimme. Er setzte sich aufrechter, fühlte sich jedoch klein unter dem nachdenklichen Blick der älteren Frau.
    Elin brummte, während sie den Stamm ihrer Pfeife in den Mundwinkel schob. »Die Wüste ist ein launiges Biest wie eh und je. Es ist nie sicher, durch sie zu reisen.«
    »In den letzten Wochen gab es ungewöhnlich viele Sandstürme, nicht?«, bemerkte ihre Gefährtin ohne von den Bechern aufzusehen, in die sie aus einem dunkleren Krug eine milchig-weiße Flüssigkeit goss.
    »Sagte ich ja, ein unberechenbares Biest.« Elin hielt inne. »Entschuldigt, aber ich würde zu gern erfahren, was euch zwei in die Wüste treibt.« Unverwandt beäugte sie Kadir, dessen Schultern nach vorn sackten.
    »Handel. Wir sind Händler.« Es war das Erstbeste, was ihm einfiel. Selbst in seinen Ohren klang es leer. Kasim betrachtete ihn von der Seite und seufzte kaum hörbar. Er hatte vorgeschlagen, bei der Wahrheit zu bleiben, doch dazu war der Prinz nicht bereit. Nicht, bevor er wusste, was seine Herkunft unter den Wüstenbewohnern auslösen würde.
    Die Wanderin schob die Brauen in die Höhe. »Mit einem Pferd und keiner Ware? Mehr als einen halben Tag von der nächst größeren Siedlung entfernt?« Sie schnaubte. »Auch Ihr müsst zugeben, dass das ein schlechter Versuch war.« Mit geübten Handgriffen klopfte sie ihre Pfeife auf dem Schälchen vor ihr auf dem Tisch aus. Das verbrannte Kraut qualmte noch. »Ich würde sagen, Ihr lauft vor etwas davon.«
    »Elin, jetzt wirst du unhöflich«, schimpfte es von der Seite. Die Wanderin ignorierte den Zwischenruf, musterte stattdessen abwartend ihr Gegenüber.
    »Und wenn es so wäre?« Kadir zitterte, verschränkte seine Finger mit jenen von Kasim.
    »Ich gehe so weit, zu sagen, dass jemand euch sucht.« Als sie vergeblich auf eine Erwiderung wartete, seufzte Elin. »Gut, seien wir ehrlich. Im Grunde interessiert es mich nicht, wer ihr seid oder woher ihr kommt, mir ist nur wichtig, meine Mädchen nicht in Schwierigkeiten zu bringen, denn sonst müsste ich meine Gastfreundschaft auf der Stelle beenden.«
    Mit einem Tablett voll klappernder Becher kehrte ihre Gefährtin zurück an den Tisch und stellte es geräuschvoll darauf ab; sie warf der Wanderin einen scharfen Blick aus großen Augen zu.
    »Wir haben nicht vor, irgendjemandem Schwierigkeiten zu bereiten«, raunte Kadir. »Und Eure Gastfreundschaft wollen wir ohnehin nicht länger ausnutzen.«
    »Richtig, Ihr wolltet bereits vor einigen Stunden aufbrechen«, bemerkte Elin spitz, wofür sie sich einen Klaps auf den Oberarm einfing. Seufzend fiel ihre Gefährtin neben ihr zurück auf die Kissen und verteilte die Becher.
    »Ich habe gelogen«, fuhr Elin unbeirrt fort. »Es interessiert mich brennend, was ein verwöhntes, kleines Ding, wie Ihr es seid, in die Garstigkeit der Wüste treibt, ohne zu wissen, wie sicher oder unsicher eine Reise ist.«
    »Was fällt Euch ein ...« Kadir schnappte nach Luft. Er spürte die Hitze auf seinen Wangen, während Kasim seine Hand kräftig drückte.
    »Wie ich sehe, habe ich ins Schwarze getroffen.« Elin trank aus ihrem Becher und grunzte zufrieden. »Deine Kräutermischung in der Kamelmilch ist hervorragend, Liebes. Wieder von dem reisenden Händler wie letztes Mal?«
    Ihre Gefährtin verdrehte die Augen. »Lenke nicht vom Thema ab.«
    »Wenn ich denn wüsste, was das eigentliche Thema ist«, schnaubte Elin, die begann, ihre Pfeife erneut zu stopfen.
    Kadirs Herz war schwer wie ein Stein, der ihm langsam bis hinab zum Magen sank. Dieses Gespräch erschien ihm mehr und mehr wie ein schlechter Scherz. Diese Frau dort vor ihm nahm ihn nicht ernst. Das würde selbst Kasims innig geliebte Wahrheit nicht ändern. Wahrscheinlich wäre das Gegenteil der Fall, wie der Prinz befürchtete.
    »Ich glaube, wir vergeuden hier unsere Zeit«, entfuhr es ihm.
    »Und ich glaube, Ihr solltet die richtigen Fragen stellen«, konterte Elin. Dieses Mal schalt ihre Gefährtin sie nicht, sondern sah wachsam zu ihren Gästen herüber.

    Kadir erwachte mit einem Schaudern - und der wohligen Erinnerung an seinen letzten Traum, dessen nebelhafte Schwaden langsam verblassten. Er wusste noch, dass er unter dem Sternenhimmel getanzt hatte, während hinter den schneebedeckten Berggipfeln am Horizont das Violett eines neuen Tages schimmerte. In seinen Händen lagen die eines anderen Mannes; die goldene Haut bildete einen Kontrast zu seiner eigenen. Der sanfte Blick aus blauen Augen hielt ihn wie in einem Bann gefangen.
    Langsam blinzelte er die Schwere des Schlafes fort, bis er Kasim deutlich vor sich sah. Sein Gesicht wirkte fahl im Licht der Lampe. Kadirs Zunge klebte am Gaumen, als er den Namen seines Freundes raunte. Kaum merklich zuckte dieser zusammen, setzte dann ein leises Lächeln auf, das sein Gegenüber nach einigem Zöger erwiderte.
    Durstig und mit schweren Lidern setzte der Prinz sich auf. Statt der Brise aus seinem Traum umhüllte ihn die stickige Luft in der Enge des Zeltes, und statt eines tiefen Lachens drang Safirs Schnarchen zu ihm heran. Jeder war sich hier so nah; er müsste sich nur strecken, um Kasims Wange zu berühren.
    Er fühlte sich eingepfercht; Kadirs Brust wirkte wie in ein zu kleines Wams gezwängt. In seinem Hals schwoll ein Kloß heran, als ihn die Sehnsucht nach Zuhause, nach etwas Vertrautem ergriff. Hier war alles fremd, von den abgestandenen Gerüchen bis hin zu den Fellen, die unter seinen Fingern kratzten. Fahrig wickelte er sich in die Leinendecke, während Kälte in seine Glieder kroch.
    Unvermittelt begannen seine Gedanken einen Reigen zu tanzen. Er wusste, dass er vor einer Entscheidung nicht länger davonlaufen konnte. Zitternd strichen seine Finger über den Ring seiner Mutter, der am Lederband warm auf seiner Brust ruhte. Was würde sein Vater an seiner statt tun? Mit einem Seufzen vergrub er das Gesicht in den Händen, ließ einen Moment die Tränen zu, bevor er sie herunterschluckte und ihre feuchten Spuren wegwischte.
    Im Grunde seines Herzens wusste er die Antwort.
    Zwischen den Fingern hindurch blickte er zurück zu Kasim; sofort kehrten die Bilder seines Traumes wieder. Kadir senkte mit gerunzelter Stirn die Hände in seinen Schoß. Wenn er recht nachdachte, kam es ihm immer weniger wie sein eigener Traum vor. Seine Finger prickelten, wenn er versuchte, sich die warme Haut an seiner kalten ins Gedächtnis zu rufen.
    Er schreckte auf, als Safirs Schnarchen mit einem Grunzen erstarb. Gähnend hob der dritte Mann im Zelt den Kopf, rieb sich stöhnend den Nacken und streckte den Rücken durch. Schließlich drehte er sich lächelnd zu Kadir, der sich beim Starren ertappt wusste. Eilig wandte der Prinz ihm den Rücken zu; er mochte die wachen Augen des anderen nicht, die ihm bis zum Kern seines Selbst zu dringen schienen. Elins Blicke waren ebenso beunruhigend. Als wisse sie, was er war, als durchschaue sie jede kleinste Lüge, ohne darüber ein Wort verlieren zu müssen.
    »Der Sturm scheint nachzulassen.« Safir lauschte, ehe er sich mit knackenden Gelenken erhob. Bedacht öffnete er das Zelt, nur um mit einem Fluchen zurückzuspringen. Eine Böe riss ihm die Plane aus den Fingern. Wie eine Woge verteilte sich Sand über Teppich und seinen Schuhen. Schimpfend schnappte Safir nach dem Stoff.
    Als er nach draußen verschwunden war, atmete Kadir tief durch, doch die Stille, die folgte, stieß ihn zurück in seine Grübeleien. Kasim war keine Hilfe - mit gesenktem Haupt saß er schweigend vor ihm. Seit der letzten Auseinandersetzung herrschte diese Spannung zwischen ihnen, die der Prinz beinahe greifen, jedoch nicht zerreißen konnte.
    Lang beäugte er sein Gegenüber. Seine Aufmerksamkeit wanderte zu der Wölbung unter Kasims Kragen, dort, wo er die Phiole wusste. Blinzelnd zuckte Kadir zurück. Ein sanftes Leuchten schimmerte durch die Poren des Kaftans. Es pulsierte, beinahe wie ein - ja, wie ein Herzschlag.
    Es dauerte einige Schläge, bis er sich davon losreißen konnte. Kadir schluckte trocken, bevor er mit belegter Stimme verkündete: »Ich habe einen Entschluss gefasst.«
    Kasim hob den Blick. Der Prinz wich ihm aus, blickte stattdessen starr auf seine Finger, die er schmerzhaft zu kneten begann. »Ich will zurück nach Alsahar«, fuhr Kadir fort.
    Sein Freund schöpfte hörbar Luft, doch er ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Nicht sofort, doch ich muss zurück.« Kurz kaute er auf seiner Unterlippe. »Herumsitzen und darauf warten, dass mich jemand holt und mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe - das ist lächerlich, selbst für mich.« Ein Seufzen folgte. Er war der Prinz der Wüste und würde das Andenken seines Vaters, all die Bemühungen, seit sein Großvater gestorben war, nicht mit Füßen treten.
    »Zuerst muss ich in Erfahrung bringen, was vor sich geht.« Kadir nickte kaum merklich. »Etwas ist gewaltig schiefgelaufen und in der Wüste selbst geht etwas nicht mit rechten Dingen zu.« Je länger er sprach, desto mehr verkrampfte sein Magen. Es lag so viel vor ihm, dass er einen Moment in Zweifeln versank und nicht wusste, wo er anfangen sollte.
    Verlegen schaute er auf. Kasim musterte ihn still. »Ich kann das nicht allein.« Nicht nur, dass er ohne Hilfe nicht lange stehen, geschweige denn laufen konnte; an reiten wollte er erst gar nicht denken. Ihm war die Wüste so unvertraut wie einem Säugling das Sprechen. »Ich weiß, ich verlange wahrscheinlich viel von dir und ich weiß auch nicht, wie -«
    »Ja.«
    Kadir blinzelte, während sich die Mundwinkel seines Freundes zu einer Seite anhoben. »Was?«
    »Ich bleibe. Bei dir. Helfe dir.«
    Ungewollt lachte der Prinz auf, wobei er durch die Nase schnaubte. »Und jetzt?«
    »Vielleicht kann Elin helfen«, bemerkte Kasim und wandte den Kopf herum.
    Langsam folgte Kadir seinem Blick zum verschlossen Zeltausgang, kaute dabei auf seiner Unterlippe. »Ich habe nicht einmal eine Ahnung, was ich ihr sagen soll.« Er senkte die Lider. »Ich habe mit Sicherheit keinen guten Eindruck hinterlassen«, fügte er kleinlaut hinzu.
    »Sie lebt in Wüste. Sie vielleicht etwas weiß.«
    Er hatte recht. Zudem half all das Grübeln nicht weiter, solange er nicht direkt fragte. Dennoch würde er vorsichtig sein müssen. Aus irgendeinem Grund missfiel es ihm, preiszugeben, wer er war.
    Kadir stutzte. Seit wann zauderte er, Dinge einfach anzupacken? Er war ein junger Mann der Tat, doch seit einiger Zeit schien er immer andere für sich entscheiden zu lassen. Das musste endlich ein Ende haben. Flüchtig strich er erneut über den Ring seiner Mutter.
    »Hilf mir auf.«

    So, Nacht drüber geschlafen, mich gefreut, neuen Mut geschöpft.

    @Jennagon
    Die Zeit ist immer so ne Sache, das merke ich derzeit ja selbst auch. Von daher, alles gut.
    Wegen im Chat und Shoutbox muss ich gestehen, dass ich da einfach zu zurückhaltend bin. Ich nehme mir trotzdem vor, mich da mehr blicken zu lassen, einfach weils mir sicher auch guttun wird.
    Ansonsten danke für deinen Text, hat mich am Morgen schmunzeln lassen.

    @Kyelia
    Uh, mach du dir keinen Stress. Wenn du mal nichts sagst, mach ich mir erst einmal keine Sorgen. ^^'

    @Glimpsel
    So. Und jetzt machst du mich platt.
    Natürlich helfen mir Kommentare wie deine. Eindrücke und Gedanken helfen enorm. Manchmal vergisst man nämlich, betriebsblind wie man ist, dass der Leser einem nicht in den Kopf schauen kann, und merkt daran, wo man noch ausholen könnte, ohne das es direkt gesagt werden muss. Oder wo es passt. Von demher: Her mit deinen Gedanken, auch zu den ganz frühen Teilen. Ich bearbeite hier nämlich nur grob und behalte die größeren Baustellen für die zweite Runde vor, wenn alles steht.

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    Das ist jetzt der gefühlt 124.567 Versuch, hier ein paar einleitende Worte zu schreiben, um mir was von der Seele zu reden. Jemand sagt, ich soll einfach mal das Denken sein lassen und einfach sagen, was mir wichtig ist. Aber dann fühle ich mich dumm, weil es nicht nur mir so ergeht. Und ehrlich gesagt ist das ein paar wenigen von euch unfair gegenüber. Vielleicht lass ich das jetzt auch endlich mal stehen, nur um es morgen wieder zu löschen.

    Ich spiele mit dem Gedanken, das hier abzubrechen. Ich habe das Gefühl, dass hier zwar auf der einen Seite kräftig gelesen, aber nicht kommentiert wird. Letzteres ist nicht einmal ein Gefühl. Ich bin es gewohnt, dass Kommentare mit der Zeit abnehmen. Ich bin lange genug in Foren unterwegs bzw. habe Sachen auf diese Weise von mir veröffentlicht, um nicht blauäugig und naiv zu sein.
    Es soll nicht heißen, dass ich ständig zwanzig Kommis erwarte. Nein, aber mehr Meinung, mehr Einsicht. Ich danke @Jennagon für ihren letzten Kommentar, für die Einsicht, wo handlungsmäßig noch Überarbeitung nötig ist, denn das ist es, was ich mir erhofft habe und es noch immer tue. Ich bin nicht perfekt, bei Gott, wer ist das schon und wie langweilig wäre das. Ich danke auch @Kyelia für fleißiges Kommentare schreiben. Selbst wenn keine große Überarbeitung nötig ist, bringen mich einfache Gedanken zur Handlung schon wahnsinnig weiter.


    Egal woran es liegt, ich will weder irgendwelches Mitleid oder sonstiges erregen, sondern eigentlich nur wissen, woran ich bin.

    Das neue Kapitel werde ich auf jeden Fall beenden. Und auch das Projekt selbst liegt mir viel zu sehr am Herzen, um es komplett aufzugeben. Vielleicht erwarte ich auch zu viel. Und klinge wie so eine eingebildete alte Schreiberschachtel, die selbst mal mehr kommentieren sollte, ehe sie fordert.

    Na ja, egal was daraus jetzt wird: Noch einmal Danke an jene, die etwas sagen, aber trotzdem auch an jene, die stumm lesen. Ich will niemanden zu etwas zwingen oder verpflichtet fühlen lassen.

    - 8 -


    Zitternd wickelte sich Kasim fester in seine Decke, während er dem Wind lauschte, der an ihrer Zeltplane rüttelte. Feiner Sand fand jede noch so kleine Lücke, legte sich wie eine zweite Schicht über seine Haut. Die Flamme der Öllampe auf dem Tischchen vor ihm flackerte, klammerte sich eisern am Leben fest.
    Seufzend schlang er die Arme um die Knie. Sie saßen fest. Statt wie vom Prinzen gefordert weiterzuziehen, waren sie gezwungen, vorerst in Elins Lager zu verweilen. Der Sturm war so unvermittelt aufgezogen, dass sie kaum Gelegenheit hatten, alles in Sicherheit zu bringen. Noch während die ersten Böen den Sand in ihre Gesichter wirbelten und sie sich in die Zelte retteten, hatte Elin den Himmel lange kritisch gemustert, als hielte sie ein Zwiegespräch.
    Nun teilten sie sich das Zelt mit Safir. Kasim warf einen Blick zur Seite, auf ebenjenen. Zusammengesunken saß er neben ihm, das Kinn beinahe auf der Brust, die Arme verschränkt. Leise schnarchend schien er sich von dem Tosen außerhalb ihrer bescheidenen Behausung nicht aufwühlen zu lassen. Diese Ruhe war beneidenswert.
    Vielleicht war es ein Wink des Schicksals. Ohne Sinn und Verstand durch die Wüste, nur mit der Hoffnung im Herzen, Harun entgegenzureiten, wie Kadir es sich insgeheim vorstellte, wäre wahrlich ihr sicherer Tod.
    Seine Aufmerksamkeit schweifte zu den aufgehäuften Fellen. Unter Decken vergraben, lugte Kadirs dunkler Schopf hervor. Kasim war erleichtert, dass sein Freund schlief, ohne dass ihn wirre Träume aufschreckten. Nur einmal war er erwacht und hatte mit weit aufgerissenen Augen seine Umgebung gemustert, bis sein Blick auf seinen Freund gefallen war.
    Lächelnd neigte Kasim den Kopf. Sein Schmunzeln erstarb. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, was er nun tun wollte. Nicht einmal der Prinz hatte sich bisher dazu geäußert. Elin hatte angeboten, dass sie etwas länger bei ihnen bleiben könnten, bis sie sich sicherer waren, doch Kadir wäre damit nicht einverstanden. Und allein lassen konnte und wollte er ihn nicht. Er fühlte sich – verantwortlich für ihn. Harun hatte sein Vertrauen in ihn gesteckt, mitsamt seiner Hoffnung.
    Seufzend schloss der junge Reiter die Augen, legte beide Hände auf die Phiole seines Großvaters, als hoffte er, sie würde ihm den Weg weisen. Ein dummer Gedanken, aber er half. Das pochende Innere beruhigte ihn; langsam hob er die Lider.
    Kasim erschrak. Etwas versperrte ihm mit einem Mal die direkte Sicht auf den Prinzen. Ein dunkler Schemen zeichnete sich mit jedem Blinzeln deutlicher ab, bis er sich zu der Gestalt eines Menschen verfestigte, die an den Rändern seltsam ausgefranst wirkte, wie ein alter, abgenutzter Teppich. Es schien, als strecke sich eine Hand nach dem Prinzen aus. Bevor sie ihn jedoch berührte, hielt sie inne. Als zögere sie.
    Dann wandte sich plötzlich ein Kopf herum – und Kasim sah sich einem vertrauten Antlitz gegenüber. Der stechende Blick aus den grauen Augen musterte ihn genauso durchdringen wie in jener Nacht, als diese Frau ihn aus seiner Kammer geholt und direkt in Haruns und somit auch Kadirs Arme getrieben hatte.
    Schwer stieß er den Atem aus, den er ungewollt anhielt. Es war so viel geschehen, dass er an diese Begegnung keinen Gedanken mehr verschwendet hatte. Überhaupt hatte er sich eingeredet, dass alles nur ein Hirngespinst seinerseits gewesen sein musste.
    Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinab. Seine Kehle war trocken, als er schluckte. »Ihr habt mir geholfen.«
    Auf den Lippen der schattenhaften Frau zeichnete sich ein Lächeln ab. Ihre dunkle Haut schimmerte wie zuvor golden, wo das Licht auf sie traf.
    »Was seid Ihr?« Sein Herz tanzte in seiner Brust. Er war so überrumpelt, dass er nicht einmal sofort begriff, wie er seine Muttersprache nutzte. Doch das schien ihr einerlei zu sein. Statt ihm zu antworten, drehte sie sich allerdings wieder zu Kadir herum.
    Kasim runzelte die Stirn. »Seid Ihr seine Mutter?« Der Gedanke war urplötzlich in seinem Kopf aufgetaucht und hatte sich direkt auf seine Zunge gelegt. Mit geweiteten Augen beobachtete er, wie sie erneut die Hand nach dem Prinzen ausstreckte. Sie berührte ihn nicht, stattdessen verharrte sie ein weiteres Mal. Schließlich zog sie den Arm an die Brust. Gleichzeitig schüttelte sie den Kopf.
    Kasim ließ die Schultern sinken. Enttäuschung fraß sich kribbelnd durch seinen Bauch. Warum? Was hatte er sich erhofft? Kadir sagen zu können, dass seine Mutter immer über ihn wachte? War es überhaupt eine Antwort auf seine Frage gewesen?
    Jäh riss sich ihn aus den Gedanken. Sie drehte sich zurück zu ihm, deutete mit einem langen, dürren Finger auf jene Stelle, wo die Phiole am Lederband baumelte. Zögernd sah er an sich hinab, nur um hochzuschrecken, weil sie die flache Hand genau auf die Wölbung legte.
    Kasim spürte das Tosen hinter dem Glas. Spürte die Wärme, die sich ausbreitete und unvermittelt seinen gesamten Körper ausfüllte.
    Sein Blick verfing sich in ihrem. Ihm schwindelte, als goldene Funken im Grau zu tanzen begannen.
    Dann war sie fort. Ebenso wie das Zelt. Unvermittelt stand er mitten in der Nacht auf weiter Flur, unter ihm saftiges Gras, das ihm bis zu den Knöcheln reichte und an seinen nackten Fußsohlen kitzelte. In der Ferne zeichneten sich schwach schneebedeckte Berge ab. Er blickte an sich hinab, musterte erstaunt die leichte Tunika, die er am Leib trug und deren Stoff sich vertraut weich an seinen Körper schmiegte.
    Langsam hob er den Kopf, als vor ihm ein Paar schlanker Beine auftauchte. Sie stand vor ihm, nahm seine Hand und zog ihn mit sich. Der klare Duft der Nacht umhüllte sie, doch es mischte sich auch etwas anderes mit hinein. Der frische, von Tau angereicherte Geruch eines neuen Tages.
    Irgendwann begann sie vor ihm zu tanzen; ihr dichtes Haar flog in alle Richtungen. Unentwegt ließ sie nicht einmal von ihm ab. Ihr helles Lachen erwärmte sein Herz, steckte ihn an, bis es auch aus ihm herausbrach. Beschwingt griff er nach ihrer anderen Hand, die so kühl war im Gegenzug zu seiner erhitzten Haut. Er drehte sie und sich und sie beide zusammen, ohne dass ihnen schummrig wurde.
    So tanzten sie barfuß über das Grün. Sie trieb die Dunkelheit vor sich her, während sich der Himmel hinter ihm erhellte und ihnen folgte.
    Es war ihr ewiger Tanz, der ihrer beiden Herzen füllte. Ewig wollte er ihre Finger mit seinen verschränken, nie loslassen, ihr Lachen für immer haschen, bis er sie in seine Arme wirbeln und außer Atem stürmisch ihre Lippen küssen würde …

    Blinzelnd kam Kasim wieder zu sich. Es dauerte etwas, bis er begriff, wo er war. Auf dem Rücken liegend starrte zum Zeltdach hinauf, welches der Sturm weiterhin vibrieren ließ. Safirs Schnarchen durchdrang die Stille zwischen den Böen.
    Ein Traum? War er selbst so übermüdet gewesen, dass er sich alles nur eingebildet hatte?
    Schwer atmend wandte er den Kopf herum. Kadir schlief friedlich auf den Fellen, das Gesicht nicht mehr vergraben. Seine Züge wirkten entspannt.
    Plötzlich beschlich Kasim ein beängstigender Gedanke. Hastig setzte er sich auf, drängte seinen Kopf dicht an den seines Freundes. Erleichtert atmete er auf, als er den Atem auf seiner Wange spürte. Während er Kadir so nah war, schoss ihm das Bild aus seinem Traum in den Kopf. Der Tanz, sein Verlangen, etwas, das ihm zwar nicht unbekannt, aber bei weitem nicht sonderlich vertraut war.
    Einen Moment zu lang haftete sein Blick auf den schmalen Lippen seines Gegenübers. Etwas in ihm schob, flüsterte. Schlussendlich setzte er sich zittrig zurück auf die Hacken.
    Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Gerade, als er nach seiner Decke greifen wollte, die ihm von den Schultern gerutscht war, hielt er abrupt inne. Die dunkle Frau saß direkt hinter ihm. Es war, als schmiege sie sich an ihn, während kalte Hände sich auf das Glas der Phiole legten. Die Umarmung war unwirklich, als würde ihn kaum mehr als ein Lufthauch umgeben.
    »Was war das?«, raunte er. »Die Vergangenheit? Meine?« Nein, er wusste, dass daran etwas nicht stimmte. Es fühlte sich nicht richtig an. Genauso wie er begriff, dass sie nicht seine Mutter war. Nur, was dann?
    Er holte bereits Luft, um die Frage laut auszusprechen, doch im nächsten Moment schüttelte ihn ein weiteres Frösteln. Innerhalb eines Wimpernschlags schwebte sie plötzlich über Kadir. Sie warf Kasim – nein, vielmehr der Phiole – einen langen, nachdenklichen Blick zu. Mit einem Seufzen verschwand sie. Mit großen Augen beobachtete er, wie sie sich geradezu in der gleichen Position auflöste, in der Kadir lag, der nun die Stirn kraus zog. Wenig später öffnete er die Augen.
    Der junge Reiter zuckte zurück, als der Prinz ihn aus schwarzen Iriden anstarrte, in dem ein Sturm aus purem Gold wütete. Stück für Stück kämpfte sich das Grau zurück, bis es so wirkte, als sei nie etwas gewesen.

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    @Kyelia Ich habe eine Vermutung, woran es gelegen haben könnte. Die Gesprächsthemen springen ziemlich hin und her - ich habe zwei Gesprächsstränge bunt miteinander vermischt, als ich den Teil noch einmal überworfen habe. Ich schaue, ob ich da irgendwas noch dran drehen kann später.
    Nebenbei: Zwei Namen wurden vorher wirklich noch nie erwähnt - das waren die der beiden Kinder. Bei den anderen habe ich am Text bereits etwas herumgedoktort, vielleicht wird es jetzt klarer, wer wie wann wo gemeint ist. ^^'


    Gelächter hallte durch die leeren Flure. Galib folgte einem Scheppern, vorbei an den Durchgängen, die zu den Kammern der Wachen führten. Die Hitze stand in den fensterlosen Gängen. Sein Magen krampfte und seine Glieder schmerzten bei jedem Schritt.
    Seine Gedanken kreisten um die Ereignisse der letzten Tage – und all den Misserfolgen, die wie ein lauerndes Raubtier in ihrem Schatten lagen. Mit steifen Fingern rieb er über die schmerzenden Augen, versuchte erfolglos die Müdigkeit abzustreifen, die sich wie eine zweite Haut über ihn gelegt hatte. Grob rieb er seine steifen Arme, während er um die Ecke bog, hinein in die ausladende Halle, deren blanken Wände trostlos wirkten im Vergleich zum sonstigen goldenen Glanz im Palast.
    Tische und Stühle standen - und lagen - kreuz und quer, Becher rollten über den Marmor, Tonscherben knirschten unter seinen Sohlen. Abgestandenes Öl, ein Geruch nach Honig, Datteln und der herbe Duft vergorener Früchte lag wie eine dichte Schicht in der Luft. Auf dem Boden sitzend, spielten einige Männer Karten und schenkten ihm keine Beachtung.
    Am längsten Holztisch hielt er inne. Mit verbissener Miene musterte er das Chaos aus Essensresten, leeren Flaschen, umgeworfenen Krügen und Geschirr. Sein Blick fiel auf den neuen Hauptmann, der auf den Hinterbeinen seines Stuhls schaukelnd am schmalen Ende saß, die Füße auf der Platte ausgestreckt. Arins Arm lag um der Hüfte einer Dienerin, die versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Sie schlug ihm auf die wandernde Hand, doch er schien dadurch erst recht angestachelt zu werden.
    Der alte Diener atmete tief durch. Diese Männer hatten keineswegs einen Grund zu feiern. »Ist das Eure Ansicht davon, die ›Dinge zu richten‹?«
    »Galib, mein Freund! Setzt Euch, setzt Euch!« Arin wedelte mit der freien Hand zu einem der umgekippten Stühle, ohne Anstalten zu machen, ihn für seinen Besuch aufzustellen. Stattdessen widmete er sich wieder der jungen Frau.
    Stirnrunzelnd starrte Galib zu ihm hinab. »Erstens bin ich nicht Euer ›Freund‹ und zweitens habe ich Euch nicht geholfen, Hauptmann zu werden, damit Ihr Eure Zeit mit Nichtstun vergeudet und meine Dienstmädchen belästigt!«
    Das schiefe Grinsen seines Gegenübers entblößte einen frisch abgebrochenen Schneidezahn. Bei der Flucht seines Vorgängers war Arin unglücklich gestürzt, wie er lautstark jammernd bekunden musste. Galib vermutete, dass er über seine Füße gestolpert war. Für einen Mann, der akribisch auf sein Äußerstes achtete, bedeutete es einen kleinen Weltuntergang, aber er schien sich mittlerweile arrangiert zu haben. Im Palast munkelte man, dass er derweil von Heldentaten berichtete - die nicht existierten.
    Überhaupt war dieser Mann mehr ein Hindernis als eine verlässliche Hilfe. Wäre sein Einfluss auf die anderen Wachen nicht so groß, hätte Galib nie in Betracht gezogen, ihm seine Bedingungen zu erfüllen. Nun dirigierte Arin Befehle halbherzig weiter, verlegte Berichte, sofern er sie anfertigte, und hatte mehr Augen für die Frauen in seiner Umgebung statt der Arbeit direkt vor seiner Nase.
    »Ich verstehe Eure Aufregung nicht. Ihr und ich haben genug Männer ausgesandt. Zum einen in die Wüste und zum anderen, um die Straßen zu durchkämmen. Jedes Haus wird durchsucht.« Er kicherte leise. Ein stechender Geruch wehte mit seinem Atem in Galibs Richtung. »Was kann ich dafür, dass sie zu dumm sind, eine Spur zu verfolgen?« Arin schwang die Beine vom Tisch und zog die Dienerin mit einem Ruck auf seinen Schoß. Sie schimpfte, stemmte sich gegen seine Arme, er hingegen drückte sie enger an sich.
    »Vielleicht solltet Ihr dann ausreiten und ihnen zeigen, wie man es richtig macht«, sagte Galib ungerührt. Vielleicht wäre er dann zu etwas gut.
    »Ist es meine Schuld, dass der Prinz fort ist? Vielleicht sind wir ohne ihn und einem Herrscher sogar besser dran.« Arin griff nach einem Becher, sah hinein und warf ihn mit verzerrter Miene hinter sich. »Ich an seiner Stelle würde auch verschwinden. Das zarte Seelchen kann doch nicht einmal eine Streitmacht befehligen.«
    »Und Ihr seid besser dafür geeignet?« Der alte Diener warf einen skeptischen Blick durch die Halle. Dunkle Flecken besudelten den Marmor und das brüllende Lachen der anderen Männer schrillte in den Ohren. Hitze brannte sich durch seinen Magen. »Außerdem steht es Euch nicht zu, über Euren künftigen König zu richten.«
    »Ja, ja«, brummte Arin wenig überzeugend. »Sagt mir lieber, wo mein kleiner Bruder steckt.« Er vergrub das Gesicht an der Schulter der Dienerin.
    Galib zog die Brauen zusammen. »Ist es nicht Eure Aufgabe, zu wissen, wo Eure Männer sind?«
    Unvermittelt schubste der Hauptmann die Frau von seinen Beinen. Sie stolperte in die Arme des alten Dieners; hastig stammelte sie eine Entschuldigung, doch Galib lächelt zu ihr herab, schickte sie an, ihre Kleider zu ordnen und sich andernorts wieder ihrer Arbeit zu widmen. Ihr Gesicht hellte sich auf, als sie hastig die Halle verließ.
    Arin lief vor seinem Stuhl auf und ab. »Ich bin doch nicht jedermanns Kindermädchen! Und schon gar nicht Fahids. Er hat hier zu sein, wenn ich nach ihm verlange und das ist er nicht!«
    Der Ältere legte den Kopf schief und atmete tief durch. Sein Gegenüber war berüchtigt für seine Wutausbrüche, auf die Galib keinen Wert legte, Rücksicht zu nehmen. »Seht zu, dass Ihr Eure Männer zusammenbekommt.«
    Plötzlich sprang Arin auf ihn zu; bevor er jedoch den Kragen seiner Robe zu fassen bekam, taumelte er mit weit aufgerissenen Augen zurück. Galib spürte die Kälte in seinem Rücken. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem krummen Lächeln, nur um im nächsten Moment zu erstarren.
    Das Antlitz des Hauptmannes verschwamm. An dessen Stelle trat eine grässlich entstellte Fratze: die Lippen fehlten, die Haut war eingefallen, an manchen Stellen regelrecht zerfetzt; Lappen klappten zurück und gaben den Blick auf Sehnen und Muskeln frei. Von dem beinahe kahlen Schädel hingen fettige Locken zerzaust bis zum Kinn herab, während ihm leere Augenhöhlen entgegenstarrten. Er prallte zurück, als sich eine klauenartige Hand nach ihm streckte. Ein Geruch nach Aas und fortgeschrittener Verwesung umspülte ihn wie eine Woge.
    Er wollte schreien, aber kein Ton drang aus seiner Kehle. Torkelnd riss er die Arme vor sich, keuchte und hatte Mühe, sich nicht zu übergeben.
    »Alter Mann, he!« Arins schneidende Stimme drang wie durch Wasser zu ihm. Schnaufend blinzelte Galib, bis sich der Alptraum vor ihm auflöste. Haften blieb der fürchterliche Gestank. Das kleine Glas in seinem Ärmel brannte heiß an seiner Haut. Nur zögerlich begriff er, dass er halb auf dem Boden lag und Arin sich mit den anderen Männern um ihn versammelt hatte. Eindringlich musterten sie ihn, raunten Unverständliches. Ihre Nähe war erdrückend. Der alte Diener blaffte - zumindest versuchte er es, denn seine Stimme war kaum mehr als ein Krächzen. Sein Magen rumorte, während sich die Übelkeit weiter durch seinen Körper fraß.
    Schwer schöpfte er Luft, wobei seine Brust bei jedem Atemzug schmerzte, brannte. Er zuckte zusammen, als Arin ihm aufhelfen wollte. Wirsch schlug er seine Hand beiseite.
    »Ihr seht aus, als hättet Ihr einen Geist gesehen«, sagte der Hauptmann. Er verstummte, als er den finsteren Blick seines Gegenübers aufschnappte.
    »Schickt euch! Habt ihr nichts Besseres zu tun?«, krakelte Galib an die anderen Wachen gewandt.
    »Lasst uns einen Moment allein«, raunte Arin ungewöhnlich ruhig. Die Männer gehorchten, wenn auch widerstrebend - nicht ohne einen letzten Blick auf den zusammengesunkenen Alten zu werfen. Einige von ihnen vollführten Schutzzeichen in die Luft.
    »Vielleicht solltet Ihr kürzer treten.« Arin richtete einen der Stühle mit dem Fuß auf und setzte sich wieder. Nachdenklich musterte er den Diener, der sich schwer atmend auf die Beine stemmte.
    »Kümmert Euch um Eure eigenen Angelegenheiten«, grollte Galib. Seine Knie zitterten. Verstohlen rieb er sich über die Brust, spürte den Schweiß, der ihm den Rücken hinablief. Und die Kälte, die ihn ergriff. Das alptraumhafte Bild fraß sich durch seinen Hinterkopf und vermischte sich unheimlich mit Arins Antlitz.
    »Ihr seid sicher nicht hier, um mir die Ohren langzuziehen«, sagte der Jüngere unvermittelt, während er ein weiteres Mal nach einem Becher vom Tisch griff. Mit einem seligen Lächeln auf den Lippen trank er einen kräftigen Schluck.
    »Gibt es Neuigkeiten über den Verbleib des Haupt-« Er hielt inne. Arin musterte ihn kalt. Einen Moment wirkten seine Augenhöhlen leer. »Von Harun?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    Kurzatmig fragte sich Galib, warum der Mann vor ihm nicht höchstpersönlich durch die Straßen strich, um sich des Problems anzunehmen. Es war ein offenes Geheimnis, dass keine Zuneigung zwischen den beiden Männern herrschte. Andererseits vermutete er, dass seine Wut über das Entkommen seines Vorgängers so schwer wog, dass sie ihn lähmte - und vor allem dazu verleitete, eher zu tief ins Glas zu schauen als selbst tätig zu werden.
    »Habt Ihr wenigstens die Hintermänner ausmachen können?«, fragte er weiter und rieb sich erneut über die schmerzende Brust. Sein Herz hämmerte wild unter seiner Handfläche.
    »Diejenigen, die wir zu fassen bekamen, schweigen beharrlich.« Arin schnaubte verächtlich. »Vielleicht sollte ich mich ihrer mal annehmen.«
    »Worauf wartet Ihr dann?«
    Plötzlich flog der Becher in der Hand des Hauptmannes nur knapp an Galibs Kopf vorbei. Ein paar dunkle Tropfen trafen seine Wange und besprenkelten seine Robe.
    »Treibt meinen Bruder auf! Er ist der Kopf hier, nicht ich«, schrie Arin und wedelte zu den Männern, die sich im Eingang zur Halle tummelten - weit waren sie nicht gekommen. Einen Moment zögerten sie, zerstoben jedoch, als ihr neuer Hauptmann aufsprang, um einige Schritte voran zu stapfen. Mit hängenden Schultern kehrte er zum Tisch zurück, verharrte und starrte stumm vor sich hin. Schließlich fuhr er sich seufzend mit beiden Händen durch die Haare. »Ohne Fahid bin ich doch nichts«, murmelte er.
    Galib streckte den Rücken durch – bereute es allerdings im nächsten Moment, als das Stechen bis hinauf in seinen Nacken zog. »Hört auf in Selbstmitleid zu versinken und macht Euch endlich nützlich.« Damit drehte er sich um und ging, ohne noch einmal zu dem Häufchen Elend zu schauen.
    Der alte Diener nahm sich vor, den Bediensteten einzubläuen, Arin keinen tropfen Alkohol mehr zu geben, ganz gleich wie sehr er toben mochte.

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    Dieses Mal etwas schneller und etwas mehr Lesestoff. Ich könnte jetzt noch etwas dazu sagen, aber dann bekomme ich Ärger - von mehreren Seiten. D:
    Ich überlege noch, ob ich Zusammenfassungen schreibe, was zuletzt passiert ist, wenn ich wieder so lang brauchen sollte ...

    Man bleibt gespannt, wie das alles zusammenläuft, aber ich wünschte mir an der Stelle irgendwie mehr Brotkrumen auf dem Weg. Durch die häufigen Szenenwechsel gleitet mir da einiges durch die Finger.

    Gut, dass du das ansprichst, das ist nämlich seit jeher ein Problem von mir, dass meine Brotkrumen, die ich verstreue, so winzig sind, dass sie untergehen. xD' Nebenbei habe ich mir alle Punkte, die du angesprochen hast, notiert, das meiste war mir selbst ein Dorn im Auge, von daher alles gut. ^^
    Ich schau, dass die Brotkrumen größer/deutlicher werden. Mal sehen, ob der Anfang mit dem neuen Abschnitt geschafft wird.
    Zu den Szenenewechseln: Ja, die sind etwas zu häufig, das habe ich mir auch schon notiert. Ich schraube die Wechsel bereits runter.

    Der Junge, der bei den Ställen und Kadirs Flucht den Prinzen erkennt.

    Da muss ich wohl wirklich noch etwas deutlicher machen, dass der Junge nicht nur im Palast arbeitet. Besser gesagt: Jeder, der im Palast arbeitet und ein und aus geht, kennt Kadir. Sie tragen Gespräche über ihn nur nicht nach außen - das sollte ich vielleicht irgendwo noch reinquetschen.

    Haruns Entkommen.

    Das mit der Schlinge ist ein Punkt, wo ich selbst nicht zufrieden war. Ich schau da noch mal drüber und sollte vielleicht noch einige Dinge anfügen. Einwand definitiv berechtigt.

    Da werden einige Personen niedergemetzelt, die Stadt fackelt und ich sah da Kadir, in Begleitung von einer Alleinunterhalterorgel/Fahrstuhlmusik, in seinem Zimmer sitzen und förmlich nur leises Geäusel hören.

    Danke für das Bild. xD Seitdem läuft bei mir in der Szene die Melodie von Jeopardy im Hirn.
    Hast recht, Kadir ist hier auch etwas passiv, wobei das durchaus gewollt war, ich gehe da aber bei der richtigen Bearbeitung intensiver drüber. War auch so ein Punkt, wo ich noch nicht ganz glücklich mit war.


    »Ich verstehe nicht ganz; was hat das zu bedeuten?« Harun sah von dem Alten zu Ranya, die Stirn in leichte Falten gelegt. Sie hielt seinem Blick stand, sagte jedoch nichts, wusste, dass sie keine zufriedenstellende Antwort parat hatte. Im Grunde war alles eine Vorkehrung ihres Vaters. In ihrem Kopf schwirrten seine Worte, die er ihr von klein auf eingeprägt hatte: »Geschieht das Schlimmste, dann suche Meister Resul auf. Er weiß, was zu tun ist.« Nie hatte sie sich ausgemalt, was das »Schlimmste« sein könnte. Nun war sie auf sich allein gestellt, ohne Familie. Und ihr wichtigster Halt, ihr engster Freund, war verschwunden.
    Sie drängte den Gedanken beiseite, musterte stattdessen den alten Mann genauer. Viel wusste sie nicht über ihn, nur, dass er einst Lehrmeister in der Palastgarde gewesen war. Doch das schien lange Zeit vergangen. Vor einigen Jahren hatte Kadir ihr unter einem Haufen Decken verborgen zugeflüstert, dass Meister Resul eigentlich ein Kundschafter seines Vaters wäre. Insgeheim sollte er seine Nase wohl auch in Angelegenheiten gesteckt haben, die ihn nichts angingen.
    Ranya runzelte die Stirn. Einen Spion hatte sie sich immer unauffälliger vorgestellt. Zudem schien er seine rechte Körperseite nicht vollständig bewegen zu können. Auch seine rechte Gesichtshälfte wirkte bei näherer Betrachtung sonderbar reglos, obwohl sich dies kaum auf seine Stimme niederschlug.
    »Der Rat Alsahars hielt mehr als nur die Aufgabe inne, dem Königshaus mit allen Mitteln der Vernunft beiseite zu stehen«, durchbrach der Alte die Stille, die sich über sie gelegt hatte.
    »Also hat der Rat Vorkehrungen getroffen?«, hakte Harun nach.
    »Wie ich sagte, Hauptmann.«
    Verächtlich schnaubend rieb sich Harun über den angewinkelten Arm. »Spart Euch das. Dieser Rang gehört inzwischen einem anderen.«
    »Diesem Jungspund mit nassem Sand hinter den Löffeln?« Resul lachte auf. »Ein Kamel könnte ein besserer Befehlshaber sein. Ich erinnere mich noch an den kleinen Naseweis, der sich immer zu den Übungen der Garde schlich und schon damals die Klappe zu weit aufriss.«
    »In seinem Elternhaus scheint man ihm nur Unsinn in den Kopf geblasen zu haben.« Haruns Blick schweifte zu Fahid. »Nicht, dass ich bei Euch derselben Ansicht bin.«
    Der Gardist zuckte mit den Schultern und zerrte an seiner Henkersrobe. »Schon gut. Mein Bruder ist bekannt dafür, nicht der klügste zu sein und eher die Fäuste für sich sprechen zu lassen. Nachgedacht wird erst hinterher.« Sein Grinsen wirkte verlegen. »Wenn überhaupt. Ich halte ihn für genauso unfähig.« Stöhnend zog er sich die Robe über den Kopf und warf sie hinter sich. »Dass die Dinger so stinken müssen!«
    Ranya musterte den bloßen Oberkörper des jungen Mannes einen Moment zu lang. Jeder Muskel spannte in seiner Brust, während er die Arme in die Luft streckte. Ertappt senkte sie den Blick, als er aufstand, um zur Truhe zu schlendern.
    »Henker sind nicht gerade für eine gute Badestube bekannt«, bemerkte Resul. »Die Kleider sind noch nicht lang in meiner Obhut.«
    »Von einer Wäscherei scheinen sie auch nie etwas gehört zu haben«, seufzte Ranya und kratzte sich verstohlen die Brust. Am liebsten hätte sie es Fahid gleichgetan, die Robe ganz von sich geworfen, doch die Anwesenheit der Männer hielt sie davon ab. Nicht, weil es sich nicht schickte oder sie sich schämen würde. Ungewollt huschten ihre Augen zu Harun; ihr verräterisches Herz tat sein Übriges. Er sah nicht einmal in ihre Richtung. Innerlich fluchend konzentrierte sie sich auf ihre Füße, wackelte in den festen Stiefeln mit den Zehen.
    »Was sind das für Vorkehrungen des Rats?«, griff der einstige Hauptmann das eigentliche Thema wieder auf. »Und in welchem Falle?«
    »Im Falle, dass der Thron unbesetzt ist«, lautete die schlichte Antwort.
    Harun hob eine Braue. »Damit der Rat ihn unter sich aufteilen kann?«
    Nachdenklich beäugte Ranya ihn von der Seite, doch in seinem Gesicht lag keine Verärgerung, vielmehr glaubte sie, aufrichtige Neugier in seinen Zügen zu entdecken.
    Ein halbseitiges Lächeln stahl sich auf Resuls Lippen. »Der Rat unterstützt den Thron und jenen, der darauf sitzt. Es war nie ein Anliegen, etwas daran zu ändern.« Er seufzte. »Das Schicksal bestimmt den Wüstenherrn. Und der Rat respektierte das.«
    Fahid kehrte in einer grell bunten Pluderhose und einem halblangen Kaftan zurück. Das verschnörkelte Muster des Stoffes schmerzte in Ranyas Augen. Er wirkte wie ein fahrender Händler, der im Dunkeln blind in seine Reisetruhe gegriffen hatte. Unangenehm wehte ihr der Geruch von Pferd vermischt mit Tabakrauch entgegen, als der Gardist sich seufzend wieder auf den Hocker neben ihr fallenließ.
    »Schon besser«, seufzte er; seine kinnlangen Locken hüpften vor seinen Augen auf und ab. Was an der Kleidung besser war, erschloss sich ihr nicht. Mit gerümpfter Nase wandte sie sich wieder Resul zu, der allerdings nicht besser roch. Hinzu kam ihr aller Schweiß. Inzwischen sehnte sie sich nach einem Bad und allen rosigen Düften der Welt.
    »Das Schicksal scheint Nadim nicht für den rechten König gehalten zu haben«, murmelte Harun und zupfte am Ärmel seiner Robe.
    »Dann wäre er nie auf den Thron gekommen. Jedoch - Schicksalsstränge sind nicht so fest wie man glaubt.« Resul erhob sich ächzend und stapfte zu einer unscheinbaren Nische. Mit einer Holzkiste kam er zurück.
    »Nur eine Gottheit kann etwas am Schicksal ändern«, seufzte der Hauptmann.
    Der Alte schwieg, musterte ihn eingehend. Schließlich deutete er auf Haruns Arm. Widerwillig gab sein Gegenüber nach und versuchte, sich aus der Robe zu schälen, nur um zähneknirschend einzusehen, dass er sich erneut von Fahid helfen lassen musste. Er grunzte, als der Jüngere eine rostige Schere entgegennahm und den Ärmel kurzerhand bis zur Schulter zerschnitt.
    »Aadil, geh hinauf und hol das Leinen von meinem Arbeitstisch«, bat Resul unberührt. Ranya zuckte zusammen, hatte sie den Jungen, der nun an ihr vorbeieilte, doch vollkommen aus dem Sinn verloren. Er war dabei so leise, dass sie sich fragte, ob seine Füße den Boden überhaupt berührten. »Und schicke auch Zaara herunter, sie kann mir hier helfen«, rief der Alte ihm noch hinterher, kramte unterdes mit der Linken in der Kiste. In mit dunklem Samt ausgekleideten Kammern steckten unterschiedlich breite und große Phiolen. Er nahm ein unbeschriftetes Fläschchen heraus, entkorkte es einhändig und roch daran.
    »Was ist das?«, fragte Harun kleinlaut und rutschte auf den Fellen hin und her.
    »Beinwell«, war die knappe Erklärung.
    »Ich wusste nicht, dass Ihr Euch auf Heilkunde versteht.«
    »Auf langen Reisen ist es nützlich.«
    Stillschweigend betrat ein junges Mädchen den Raum, das Gesicht hinter einem pechschwarzen Wall aus Haar verborgen. Resul reichte ihm die Phiole und es machte sich daran, den Arm mit der trüben Flüssigkeit einzureiben. Der Hauptmann verzog kaum eine Miene, doch Ranya erkannte das Mahlen seiner Kiefer. Im Anschluss drückte das Mädchen sanft einige frisch gezupfte Blätter auf die Schwellung des Unterarms, nahm die Leinen zur Hand, die es mitgebracht hatte, und umwickelte alles sorgsam und fest mithilfe des Alten.
    »Der Schmerz sollte bald nachlassen«, bemerkte Resul schließlich.
    Harun nuschelte Unverständliches, zuckte zusammen, als das Mädchen aus einem größeren Stoffstück eine Schlinge drehte und sie ihm um den Hals knotete. Leise dankte er ihm, aber es senkte nur eilig den Kopf und machte einen unbeholfenen Knicks, bevor es verschwand.
    »Seht es ihr nach, sie ist mehr als schüchtern, das arme Ding.« Resul schüttelte schwach den Kopf; sein Blick Richtung Tür wirkte betrübt. Ranya fragte sich, in welcher Beziehung er zu den beiden Kindern stand, getraute sich jedoch nicht, nachzuhaken.
    »Ist es für Euch unvorstellbar, Harun, dass eine Gottheit Ismets Pfade verwischt?«, setzte der Alte unvermittelt das Gespräch fort und ließ sich umständlich wieder auf seinen Sitzplatz nieder. Er winkte ab, als Fahid aufsprang, um ihm zu helfen.
    »Ihr wisst genauso gut wie ich, dass die Götter uns verlassen haben«, brummte der einstige Hauptmann.
    »Ist dem so? Kennt Ihr nicht die Geschichten über Kinder der Sterne und wie die Seher zu ihren Kräften kamen? Ihr seid ein Kind der Wüste.«
    Ranya horchte auf. »Kind der Sterne« hatte ihr Vater Kadir früher oft genannt.
    »Natürlich habe ich in der Wüste von diesen Geschichten gehört.« Harun fuhr sich durch sein zerzaustes Haar und blieb in einigen Knoten hängen. »Ich weiß nur nicht, inwiefern das von Bedeutung ist.« Plötzlich fuhr er von den Fellen hoch. »Verflucht noch eins, wir verplempern hier unsere Zeit! Ich sollte längst auf der Suche nach dem Prinzen sein.«
    »Galib hat genug Männer ausgeschickt«, bemerkte der alte Meister etwas zu ruhig für Ranyas Geschmack.
    Harun verengte die Augen. »Heißt das, ich soll zulassen, dass er in seine Fänge gerät? In die eines Wahnsinnigen und Königsmörders? Ist es das, was der Rat für eine Vorkehrung traf?«
    »Ihr zieht voreilige Schlüsse. Setzt Euch wieder.« Resul wurde weder laut noch schenkte er dem jüngeren Mann einen abschätzigen Blick.
    Zögerlich gehorchte der Hauptmann, doch sein Bein wippte auf und ab. »Ich kann nicht zulassen, dass sie Kadir zurück in den Käfig zerren.«
    »Haltet Ihr den Prinzen für unfähig, König zu sein? Ist es das, was sein Vater wollte?«
    Ranya wechselte einen unsicheren Blick mit Fahid; der alte Mann begab sich auf dünnes Eis. Harun ließ kein graues Haar an Kadir.
    »Der Junge unterschätzt sich. Sein Vater hat mehr in seine Bildung investiert als er wahrgenommen hat. Er hegte sogar die Hoffnung, dass der Umgang mit Kasim ihm den Zugang zu einer neuen Sprache ermöglicht. Ich selbst habe es gehofft.« Harun wandte sich Ranya zu. »Und glaube nicht, dass er nicht wusste, dass du den Prinzen mit Büchern versorgst.«
    Ihre Wangen wurden heiß und hastig senkte sie das Kinn auf die Brust. »Und dennoch hat er wenig von den Entscheidungen erfahren, die sein Vater über das Königreich oder die Provinzen traf.«
    »Kadir hatte seine eigenen Augen und Ohren«, raunte Harun lediglich. »Soll ich Däumchen drehen und ihm dem Schicksal überlassen?«
    »Ihr glaubt an Ismet, nicht wahr? Natürlich tut Ihr das. Der Wüstenreiter in Euch wird nie verschwinden.« In den Augen des Alten blitzte etwas auf. Er hob die Hand, als sein Gegenüber zu einer Erwiderung ansetzen wollte. »Das Königshaus ist weitaus stärker mit Ismet als allen anderen Göttern verbunden. Wisst Ihr, warum?«
    »Königin Kayra hatte seherische Träume«, antwortete Harun und runzelte die Stirn.
    »Nicht nur die Königin war von Ismet berührt. Viele ihrer Vorfahren waren es. Elham ist, soweit ich weiß, sogar eine entfernte Verwandte.« Er schmunzelte ob des irritierten Ausdrucks in Haruns Augen. »Oh, Elham ist eine gute Freundin von mir. Der König trug mir das nicht nach.« Einen Moment schien er zu zögern, bevor er weitersprach. »Einige Ahnen des Königshauses verloren den Verstand, andere starben jung. Die Königin ereilte dasselbe Schicksal. War dies nicht auch der Grund, warum der König seinen Glauben verlor?«
    Harun kaute auf seiner Unterlippe. Mit gesenktem Blick sagte er leise: »Er misstraute Sakan, dem Leben, und verabscheute Almaw, den Tod. Er haderte mit Ismet, doch am Ende - am Ende wusste er immer, wo sein Platz war und was das Schicksal für ihn bereit hielt. Nadim war kein schlechter, gottloser Mensch.«
    Schweigen legte sich über sie. Schließlich war es Fahid, der sich räuspernd äußerte. »Jeder, der dem König nahestand, wusste, dass er Ismet nicht entsagt hat.« Ranya wusste, dass er nicht bloß daherredete, ohne eine Ahnung zu haben. Fahid war als Leibwache stets in der Nähe des Herrschers gewesen. Er hatte ihn bewundert, wie er ihr vor langer Zeit einmal auf einem der Palastgänge beichtete. Dass er an jenem Tag nicht bei ihm gewesen war, fraß jedoch noch immer an ihm, selbst wenn er nicht offen darüber sprach. Seine trüben Blicke und das verblasste Lächeln waren Aussage genug. »Allerdings wäre ich ebenfalls enttäuscht vom Schicksal, wenn es mich so früh meiner Geliebten beraubt.«
    Die Mundwinkel des Hauptmannes zuckten, dann lachte er leise auf und schüttelte den Kopf. »Was ändert das jetzt? Nadim ist tot und niemand weiß, wo Kadir ist. Ich hätte bei ihm bleiben sollen.«
    »Ihr habt ihm die Flucht ermöglicht.«
    »Um zu den Vorkehrungen zurückzukehren«, fuhr Resul bestimmt dazwischen. Ranya schwirrte der Kopf; ihre Gespräche sprangen hin und her. »Einige Männer, die dem Rat und dem Königshaus seit Generationen verbunden sind und die von den Feuern verschont blieben, weil sie im Dunkeln agieren, stehen bereit, in der Wüste nach dem Prinzen Ausschau zu halten.«
    »Worauf warten wir dann?« Harun wollte bereits aufspringen, doch der alte Meister gemahnte ihn zur Ruhe.
    »Ihr könnt mit Eurem Arm nicht reiten. Nein, Hauptmann, Ihr bleibt hier und helft mir, die Stadt- und Palastwache wieder zur Ordnung zu bringen. Die Leibgarde mag in der Hand des alten Kauzes und seines Schoßhundes sein, aber es gibt genug alte Familien in den Wachen. Außerdem können wir uns den Unmut der Stadt zunutze machen.«
    »Ich kann nicht hierbleiben! Ich bin einer der wenigen, der Kadirs Schritte nachvollziehen kann«, protestierte Harun.
    Resuls Blick huschte zu Ranya, die leise hüstelte. »Ich werde mit den Männern reiten. Kadir ist wie meine zweite Hälfte, ich werde ihn finden.« Sie klang zuversichtlicher als sie war. Harun hatte nicht Unrecht. In der Vergangenheit war er es gewesen, der die Verstecke des Prinzen ausfindig machte, als könnte er ihn riechen. Sie sah zu Fahid. »Und ich werde nicht allein sein.«
    »Das ist alles schon entschieden, nicht wahr?«, fragte Harun und wanderte mit seiner Aufmerksamkeit von einem zum anderen. Keiner sagte ein Wort. »Ich bin mir nur nicht sicher, ob es gut ist, Kadir hierher zurückzubringen.«
    »Es ist an der Zeit, dass er sich entscheidet«, meldete sich Resul wieder zu Wort. »Welchen Weg will er wählen? Den seiner Mutter - als Nachfahre der Wüstenherrscher - oder jenen seines Vaters - als Wanderer der Wüste sein Schicksal finden? Das ist es, was er dem Rat schuldig ist.«

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    Es lebt! So halb ...

    Es war das ausgebrochene Chaos rund um den Palast und auf den Straßen, das ihnen letztlich einen Vorsprung verschaffte. Die Menge stellte sich den Wachen in den Weg, schrie und pöbelte, machte den aufgebrachten Gemütern nach Tagen der Ungewissheit Luft, nun, da ihnen nicht das gegeben wurde, wonach sie verlangten.
    Mit einem schiefen Lächeln schlich Ranya aus den Stallungen, Harun und Fahid dicht hinter ihr. Sie hielten sich im Schatten der Palastmauer, stahlen sich zu den niedrigen Häusern auf der gegenüberliegenden Seite. Galibs Gebrüll hallte weit über den Platz, doch mit der Zeit ging seine kratzende Stimme im Geschrei der anderen unter.
    Wie Tagediebe hasteten sie halb geduckt weiter, stets auf der Hut vor den donnernden Schritten jener Männer, die ihnen trotz aller Vorsicht und Verwirrung dicht auf den Fersen schienen. Die von Ruß und Rauch geschwärzten Villen boten nur mäßigen Schutz. Noch immer trieben sich jene in ihrer Nähe herum, die ihre Finger nicht bei sich behalten konnten und die Toten nicht ruhen ließen. Ranya versuchte einen großen Bogen um sie zu machen.
    Doch auch sonst war dieses Viertel voller Tücken; die breiten, gepflasterten Wege zwischen den Häusern erlaubten nur wenige Unachtsamkeiten. Es war schwierig, sich unbemerkt von einer Seite zur anderen zu stehlen. Kaum eine Gasse schlängelte sich hinter den steinernen Gärten, Höfen und mannshohen Mauern entlang, allerdings waren es eben diese, die sie zu ihrem Vorteil nutzten. Sobald sie zu den unteren Abschnitten Alsahars gelangten, wo die Behausungen dicht an dicht standen, wäre es leichter, jenen auszuweichen, die sie nicht entdecken sollten. Ranya würde sich dort wesentlich wohler fühlen. Sie kannte die Stadt und ihre geheimen, verschlungenen Wege wie ihr eigenes Zuhause. Fahid war ihr in dieser Beziehung ebenbürtig; als Kind schien er ganze Land- und Stadtkarten in sich aufgesogen zu haben. Ohne groß nachzudenken, konnte er jede Strecke genau beschreiben und plante ganze Fluchtwege in seinem Kopf, bevor andere daran dachten, ein Schriftstück zurate zu ziehen.
    Der junge Gardist riss sie aus ihren Gedanken, als er sie fest an der Schulter packte und zurück hinter eine Häuserecke zog. Schweigend deutete er die Straße hinab, auf der ihnen eine Gruppe bewaffneter Wachen entgegenkam. Gemeinsam mit den beiden Männern drückte sie sich mit dem Rücken an die kühle Wand und wartete, bis die Gefahr vorüber war.
    Haruns Atem rasselte an ihrem Ohr. Er stand nah bei ihr, musterte den Weg vor ihnen mit gerunzelter Stirn. Schweißperlen rannen seine Schläfen hinab, während er seinen linken Arm an die Brust presste. Die dunkle Robe, in die Fahid ihm noch im Stall geholfen hatte, saß schlecht und war zu weit, aber sie war besser als das ärmellose Gewand eines Todgeweihten, das er noch immer darunter trug.
    Ranya biss sich auf die Zunge; Fahid winkte sie bereits weiter. Die Sorge um Harun musste warten. Im Moment war es wichtig, in Sicherheit zu gelangen.
    Die Unruhe vor dem Palast war noch nicht in die unteren Viertel vorgedrungen, dennoch nutzten sie jeden bekannten Schleichweg, bis sie schließlich dicht an den westlichen Teil der Stadtmauer herankamen. Vor einer Reihe eng aneinandergereihter Häuser blieben sie stehen. Die Gitter vor den spärlichen Fenstern der Vorderfront gewährten kaum einen Blick ins dunkle Innere.
    Sie gingen zu einer versteckten Seitentür in einer Gasse, die kaum breit genug für einen Mann war. Ranya klopfte gegen das solide Holz und wenig später öffnete sich die Tür einen Spaltbreit und dunkle Augen in einem schmächtigen Gesicht lugten hinaus, begutachteten die Neuankömmlinge kritisch. Als die Person hinter dem Eingang zufrieden schien, wurden sie eingelassen.
    Der Junge, der nun im düsteren Vorzimmer neben ihnen stand, war kaum halb so groß wie Ranya und sein Gesicht wirkte in den Schatten gespenstisch unbewegt. Er verzog keine Miene, während er vorausging und ihnen deutete, ihm hinter einen fleckigen Stoffvorhang zu folgen. Wie von Geisterhand zauberte er aus einer nahen Nische eine Öllampe hervor und verschwand hinab.
    »Passt auf Eure Schritte auf, Hauptmann«, raunte Fahid am Ende ihrer kleinen Gruppe. Leider wohl zu spät. Harun stieß unterdrückte Flüche aus und schimpfte über unmögliche Treppen. Er hatte nicht unrecht. Die Stufen waren uneben und mal höher, mal niedriger. Hier und da waren sie kaum halb so lang wie ein Fuß. Selbst Ranya musste sich an der Wand abstützen und vorsichtig einen Schritt nach dem anderen machen.
    Das Licht des Jungen hüpfte vor ihnen auf und ab, bis es vor einer neuerlichen Tür zum Stillstand kam. Stumm öffnete das Kind den Durchgang. Feuchtigkeit schlug ihnen entgegen, ebenso wie der muffige Geruch abgestandener, schaler Luft. Der Raum, der sich ihnen eröffnete, war nicht unbewohnt. Mehrere aufgehäufte Ziegenfelle dienten am Rand als Nachtlager; in der Mitte standen niedrige Hocker um einen ähnlich tiefen Tisch, auf dem sich Becher und Teller türmten. Überall lagen Kleider verstreut; die einzige Kleidertruhe am anderen Ende schien maßlos überfüllt, quoll vor einfarbigen Stoffen über.
    Ein bärtiges Gesicht wandte sich ihnen zu. Ein einzelner Mann musterte sie aus hellgrauen Augen im schummrigen Licht vereinzelt brennender Lampen.
    »Da seid ihr ja endlich«, brummte er, dabei bewegte sich die Haut um die lange, unebene Narbe, die sich von seiner Stirn bis hinab zu seinem Hals und seinem Brustbein zog. Sein rechter Arm ruhte reglos an seiner Seite. Steifbeinig setzte er sich auf einen der Hocker und winkte den Jungen zu sich, der fortan nicht mehr lange von ihm wich.
    »Seid Ihr das, Meister Resul?«, fragte Harun ungläubig und schob sich an Ranya vorbei.
    Der alte Mann hob eine buschige Braue und kniff die Augen leicht zusammen. »Ihr seid alt geworden, Hauptmann.«
    Harun lachte rau auf und trat noch einen Schritt an den Alten heran. »Im Palast glaubte man Euch tot.«
    Schnaubend wedelte Resul mit seiner linken Hand. »Setzt euch, ich kann es nicht sehen, wenn alle um mich herumstehen.«
    Fahid ließ Ranya den Vortritt. Die junge Frau warf ihm einen finsteren Blick zu, holte sich einen eigenen Hocker heran und sank darauf. Schulterzuckend setzte sich der junge Gardist auf die andere Seite. Resuls Junge schaffte einige der Felle heran und half Harun darauf nieder. Der einstige Hauptmann ließ die Prozedur brummend über sich ergehen. Er schien zu erschöpft, um sich wirklich zu beschweren.
    »Was macht Ihr hier? Was machen wir hier?«, verlangte er schließlich zu erfahren.
    Resuls Mundwinkel zuckten und sein ergrauter Bart schimmerte im Licht. »Ihr habt ihm nichts erzählt, Ranya?« Er lachte polternd. »Ihr seid Eurem Vater wirklich ähnlich, geheimniskrämerisch bis in die Haarspitzen.«
    Die Angesprochene strecke den Rücken durch, streifte die staubige und viel zu schwere Robe eines Henkers langsam von den Schultern. »Ich danke Euch für Eure Kleidung, Meister Resul.«
    »Das war ein Kompliment, Mädchen.« Sein Lächeln wirkte traurig, doch dann schüttelte er den Kopf und wandte sich zurück an Harun. »Der König war nicht der Einzige, der Vorsichtsmaßnahmen traf, sollte das Schlimmste eintreffen.«

    Diese Aussage steht vor jedem deiner Posts (gefühlt), und ich kann es nicht mehr lesen. Bald setze ich nur noch einen Daumen darunter, denn ich möchte manchmal nicht loben, wenn du dich vorher schlechtgeredet hast.

    Interessant, dass du das ansprichst, weil das wirklich nur deinem Gefühl entspringt. Die letzten Wochen hab ich nichts dergleichen erwähnt. Ich muss sogar betonen, dass der starke Output nur dem zu verdanken ist, dass ich sogar recht zufrieden war damit. Deswegen fällt (mir) das besonders auf, wenn es mal nicht so ist. ^^
    Aber wenn es den negativen Eindruck macht, dann halt ich die Finger still in naher Zukunft. Und nein, ich seh's nicht böse oder ähnliches. Ich wollt nur Bescheid geben, zumal sich das bei mir sogar ansatzweise gebessert hat.

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    Übrigens: Jemand, der ein Lied von singen kann, wie es ist, wenn ich mich richtig schlechtrede, ist übrigens @Yuki. Sie ist auf dem Ohr wahrscheinlich schon taub. D:

    Aufrecht und erhobenen Hauptes trat Harun aus seiner Zelle, wollte Arin nicht die Befriedigung verschaffen, ihn zu seinen Füßen knien zu sehen. Mit nach vorn gewandtem Blick ging er den schmalen Gang entlang, dessen spärlich verteilte Fackeln den Boden vor ihnen kaum erhellten. Kühle Luft streifte seine bloßen Arme, ließ die Schatten um sie herum tanzen.
    Eisern versuchte er die Hilferufe und das Klagen jener Männer auszublenden, die sie zurückließen, doch sie verfolgten ihn den Weg hinauf, der abrupt an einer steilen Treppe endete. Harun atmete tief durch und nahm die ersten Stufen, doch Arin bohrte unvermittelt die Faust in seinen Rücken. Der einstige Hauptmann stieß sich die Zehen und geriet ins Straucheln. Mit gefesselten Händen war es unmöglich, den Sturz ohne Einsatz der Ellenbogen abzufangen. Er schürfte sich die Haut auf und der Schmerz kroch seine Arme hinauf. Hart riss Arin ihn am Kragen seiner Robe wieder hoch und schob ihn weiter.
    Innerlich bebte Harun. Am liebsten hätte er dem Mann hinter sich beide Fäuste ins Gesicht gerammt. Stattdessen knirschte er mit den Zähnen und konzentrierte sich darauf, nicht noch einmal zu fallen. Als sie oben anlangten und nach einem weiteren schattigen Gang in einen der hellen Flure einbogen, tränten seine Augen. Der Boden zu seinen Füßen war kalt; kein Sonnenstrahl erreichte den Marmor durch die vergitterten Fenster.
    Die wenigen Diener, die ihnen begegneten, senkten hastig den Blick und wichen beiseite. Einige machten einen großen Bogen um die Wachen. Harun hörte ihr Flüstern, das sofort verstummte, wenn einer der Männer sich umdrehte.
    Sie führten ihn hinaus zum Haupthof am Nordtor, wo sich eine Reihe Bediensteter und Wachen versammelt hatte. Mit verschlossenen Mienen sahen die Gardisten zu ihm, während viele der anwesenden Hausangestellten ersticktes Bedauern äußerten.
    Die Luft war drückend. Hitze flimmerte vor seinen Augen. Vor ihnen standen die Tore weit offen und von draußen war bereits das aufgeregte Rufen der Meute zu hören, die sich auf dem runden Platz davor versammelte.
    Der Stall vor der Nordwand war nur noch ein klägliches Abbild, halb eingefallen und das Holz der Türen zersplittert und schwarz. Harun entdeckte keine Pferde; sie waren in jener Brandnacht entweder ausgebrochen oder elendig zugrunde gegangen.
    Es schmerzte. Die Pferdezucht war dem König ein persönliches Anliegen gewesen. Nie hatte er sich gescheut, selbst nach ihnen zu sehen. Sein gekonnter Blick, Geschick und Zuwendung brachten stets die besten und ausdauerndsten Tiere hervor. Ein Erbe seiner Herkunft, wie er manchmal betonte. Lang hegte er die Hoffnung, sein Sohn würde in seine Fußstapfen treten. Und einst liebte Kadir die Pferde auch. Wie oft versteckte er sich in den Stallungen, wenn er sich einsam fühlte oder Trost suchte? Harun wusste nicht mehr, wie oft er ihn zur Vorsicht ermahnte, doch was hatte es dem Prinzen genutzt?
    Es war ihr aller Schicksal. Die berittene Wache würde nur mehr einer Farce ähneln und er musste sich um all das keine Gedanken mehr machen.
    Mitten auf dem Platz war ein kleines Podest errichtet worden, auf dem der breite Galgen bereits auf ihn wartete. Beim Anblick des Seils wurden seine Knie weich. Erhängen war nicht nur dem König stets zuwider gewesen. Besonders für Ehrenmänner war es eine schändliche Todesstrafe. Laut ihm fielen sie entweder zum Schutze ihres Herrn oder starben von schneller Hand. Selbst das Steinigen hatte er selten als höchste Strafe ausgesprochen.
    Haruns Schritte wurden zögerlicher, bis Arin ihm erneut zwischen die Schulterblätter stieß.
    »Notfalls zerre ich Euch nach oben, Harun«, zischte der frische Hauptmann nah an sein Ohr. »Der Galgen ist noch zu gut für Euch.«
    Harun zog es vor zu schweigen, als er die drei Stufen zum Podest hinaufstieg. Er wurde der runzligen, aufrechten Gestalt gewahr, die eingehend in seine Richtung starrte, und reckte das Kinn vor. Galibs Hände lagen hinter seinem Rücken und seine dunkle Robe war an diesem Tag fleckig und staubbedeckt. Seine glasigen, braunen Augen huschten über seinen Gegenüber hinweg, dann schien es, als würde er seufzen.
    Neben dem alten Diener standen zwei von Kopf bis Fuß in dunklen Stoff gehüllte Männer. Nur ihre Augen und Hände waren frei. Noch einmal atmete Harun tief durch, bevor er zum Stehen kam.
    Von seinen Wächtern war ihm nur Arin gefolgt. Doch zu seiner Überraschung schickte Galib den jungen Mann fort. Er weigerte sich, setzte zu einem Protest an, doch der alte Diener brauchte ihn nur finster anzusehen – schon gab er klein bei und zog sich mürrisch zurück.
    Harun schauderte. Die alte Eule wirkte größer als sonst, bedrohlicher. Hinter ihm waberte etwas, einem Schatten gleich, der nicht zu greifen war. Und noch etwas anderes umgab ihn. Ein Wispern, das, je mehr er sich darauf besann, lauter wurde. Es zog ihn förmlich weiter und er hatte alle Mühe, seine Füße davon abzuhalten, auch nur einen weiteren Schritt zu gehen.
    Am Ende war es Galib, der den Abstand zwischen ihnen verkleinerte. Einen Moment fixierte er ihn, dann machte er sich daran, die Handfesseln zu lösen, sehr zu Haruns Überraschung.
    »Es ist eine Schande, Harun«, raunte der Diener.
    »Wohl wahr«, schnaubte der Angesprochene und rieb sich seine Gelenke. Misstrauisch musterte er den alten Mann. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihn zu überwältigen und augenblicklich dafür zahlen zu lassen, was er getan hatte. Doch etwas an seiner Ausstrahlung jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Da war etwas Fremdes, das ihm zuvor nie aufgefallen war, und der stete, merkwürdige Schatten hinter ihm schien einen Moment fester, dann war er beinahe vollkommen verschwunden.
    Er verzog das Gesicht, als das Flüstern anschwoll, und er meinte, vereinzelte Worte aufzuschnappen. Etwas wie »Bruder mein« oder »vergib mir«, wenn ihn nicht alles täuschte. Es ergab keinen Sinn.
    »Ich tue es nur für den Prinzen«, krächzte Galib und riss Harun damit aus den Gedanken.
    Schnaufend schüttelte er den Kopf. »Beenden wir es einfach. Aber seid Euch gewiss, Galib«, raunte er, als er an der Eule vorbei zum Galgen trat, »dass Ihr mit dem Tod des Königs nicht so einfach davonkommt.«
    Der alte Diener schwieg.
    Harun sah zu dem Seil auf, dass nun vor ihm baumelte, senkte einen Moment die Lider, ehe er auf die kleine Treppe davor erklomm und sich den Schaulustigen zukehrte. Einer der beiden Vermummten trat vor ihn und verband mit einem Tuch seine Augen, während der zweite hinter ihm aufstieg und seine Arme hinter den Rücken zerrte. Doch etwas an dem Strick, der ihm die Hände erneut fesseln sollte, war merkwürdig. Er saß viel zu locker. Harun runzelte die Stirn und biss sich auf die Zunge. Wahrscheinlich bildete er sich das alles nur ein. Er hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden. Dennoch zuckte er zusammen, als die Schlinge um seinen Hals gelegt und zugezogen wurde. Auch sie schien zu locker.
    »Habt Ihr noch etwas zu sagen, Harun?«, fragte Galib und seine Stimme klang näher als ihm lieb war. Er rührte sich nicht, sagte nichts und wartete nur noch darauf, dass sie es endlich hinter sich brachten. Doch dann irritierte ihn etwas von neuem. Der Vermummte hinter ihm stand weiterhin direkt auf der obersten Stufe. Dann flüsterte einer seiner Henker ihm etwas zu und er dachte, sich verhört zu haben. Spielte ihm sein Verstand nun doch einen Streich? Hegte er doch die Hoffnung, entkommen zu können?
    Sein Herz hämmerte in der Brust. Es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben. Seine Finger prickelten, als plötzlich jemand rückwärts zählte. Harun war sich nicht sicher, ob es vom Vermummten oder von Galib kam.
    Dann begann die Welt sich zu drehen. Die Präsenz hinter ihm verschwand, jemand trat die Stütze unter seinen Füßen fort und er fiel. Reflexartig hielt er den Atem an, in der Hoffnung, es würde schnell zu Ende sein.
    Der erwartete Ruck blieb aus. Hart kam er auf dem Podest auf und die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst. Seine ganze Seite schmerzte. Benommen hörte er die Aufschreie aus der Menge. Galib krächzte derweil und versuchte zur Ordnung zu rufen. Etwas surrte über ihre Köpfe hinweg und erneut kreischten einige der Versammelten auf.
    »Steht auf, Hauptmann!«, brüllte jemand neben ihm. Harun konnte sich nur ächzend auf den Rücken drehen. Das Seil um seine Handgelenke hatte sich beim Sturz gelöst, während sein gesamter Arm pochte. Etwas schien damit nicht in Ordnung zu sein.
    Als man ihm das Tuch von den Augen riss, blinzelte er in das verschwommene Antlitz einer jungen Frau, die den dunklen Kopfschal des Henkers bis zum Kinn heruntergezogen hatte. Sie sprach auf ihn ein, wollte ihm aufhelfen und stemmte seinen Oberkörper aufrecht. Harun schrie, als sie dabei seinen linken Arm um ihre Schultern legte. Erneut surrte etwas an ihnen vorbei und Harun erkannte durch den Tränenschleier, wie ein rot gefiederter Schaft aus der Brust eines Gardisten in der Nähe ragte, der taumelnd zu Boden ging.
    Schwer atmend starrte Harun auf das ausgebrochene Chaos. Menschen liefen panisch umher, die Wachen hatten allerhand zu tun, die Pfeile abzuwehren, die aus allen Richtungen zu kommen schienen. Unter ihnen krakelte Galib und schrie, dass sie sich endlich um die wichtigeren Dinge kümmern sollten, während er mit den Armen in ihre Richtung wedelte.
    Am Rande des Podestes griffen weitere Hände nach Harun und zogen ihn unsanft herab. Tief atmete er ein und hoffte inständig, dass ihn eine Ohnmacht ereilen würde. Eine raue Stimme riet von oberhalb laut zur Eile und eine Reihe dunkel gekleideter Gestalten löste sich unvermittelt aus den Schatten der Palastmauer und zerstob in alle Richtungen. Ein Teil von ihnen hatte die krummen Säbel der Leibgarde gezogen.
    Die beiden Halbvermummten an Haruns Seite nutzten die neu aufgezogene Verwirrung, trugen ihn zum Schutz der zerstörten Stallungen und schoben sich hinein. Die Frau löste sich von ihm und rannte zurück, um nach dem Rechten zu sehen. Harun musterte ihren Rücken, bis sein Blick erneut verschwamm.
    »Könnt Ihr laufen, Hauptmann?«, raunte der Vermummte neben ihm und etwas an seiner hellen Stimme mit dem leichten Lispeln war vertraut.
    »Fahid?«
    Der junge Mann löste die untere Hälfte seiner Kopfbedeckung und warf ihm ein schiefes Grinsen aus einem hageren, dunklen Gesicht zu. Seine Wangen waren schattig von Bartstoppeln und seine dunklen Augen huschten zur Frau, die in diesem Moment zu ihnen zurückkehrte.
    »Die anderen lenken sie ab, wir sollten uns dennoch beeilen.«
    Harun runzelte die Stirn und wandte den Kopf herum. Erst jetzt schien sich das Bild von dem länglichen Gesicht wirklich in seinem Gehirn zusammenzusetzen. Ranya hatte keinen zweiten Blick für ihn übrig, sondern huschte an ihnen vorbei und duckte sich zwischen heruntergestürzten Dachbalken hindurch.
    »Was zum Sakan«, begann Harun und zischte, als er versuchte, sich mit seinem verletzten Arm von Fahid zu schieben.
    Der junge Mann verstärkte seinen Griff um ihn. »Alles zu seiner Zeit, Hauptmann. Jetzt sollten wir schleunigst von hier verschwinden.«
    Sie setzten sich keine Sekunde zu spät in Bewegung, als die ersten Rufe vor dem Stall laut wurden.

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    Ich nutze gerade meine Schreibwut, um rasch zu posten, weil ich nicht sagen kann, wie es bei mir die nächsten Wochen aussehen wird, vor allem mit Internetzugang. Geschrieben wird trotzdem, aber es wird wahrscheinlich wesentlich langsamer vorangehen. Das nur als Vorwarnung. :/

    - 7 -


    Rufe hallten durch Alsahar, verteilten sich schallend zwischen den Gassen, über die Straßen hinweg, bis in jedes Viertel. Den wütenden Feuern der letzten Tage war endlich Einhalt geboten worden und das große Aufräumen begann; letzte Rauchschwaden trübten an manchen Stellen noch den Blick auf den wolkenlosen Himmel.
    Eine gewisse Aufregung hielt an. Die Kunde vom Tod des Königs hatte sich wie eine Seuche verbreitet. Raunendes Bedauern, das sich keiner traute laut zu äußern, wurde von jenen übertönt, die den Göttern dankten und mit ihrem neuen Herrscher endlich auf Besserung hofften.
    Etwas dämpfte die Freude jedoch; besonders im noblen Viertel vor dem Palast, das am stärksten von den merkwürdigen Bränden betroffen war, konnte sie keinen Fuß fassen. Der neue Herrscher war unauffindbar. Unter der Bevölkerung wurde die Forderung laut, ihn endlich auf dem Versammlungsplatz vor den Palastmauern zu präsentieren, ihn als König auszurufen und damit zu beweisen, dass er existierte. Die Stadt- und Palastwache hatte alle Hände voll zu tun, die aufgeregte Menge, die sich auf den Plätzen und Basaren versammelte, zu beschwichtigen und zur Geduld zu ermahnen.
    In den Schatten lauerten derweil diejenigen, die einen feigen Mord hinter dem plötzlichen Tod des Königs vermuteten. Unter ihnen lungerten auch jene, die es schlicht besser wussten. Doch ihre Zahl war zu gering, um sich Gehör zu verschaffen und nicht von den Wachen in die unterirdischen Zellen des Palastes gebracht zu werden.

    Ranya sah vorsichtig um eine Häuserecke. Bereits seit Stunden beobachtete sie die ausgebrannte Villa auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Aus dem Schatten ihrer Kapuze heraus beäugten sie die Männer, Frauen und Kinder in abgetragener Kleidung, wie sie Dinge aus dem Inneren trugen oder sich gegenseitig durch die zerstörten Fenstergitter reichten.
    Alles, was den Brand einigermaßen unbeschadet überstanden hatte, wechselte den Besitzer. Vor allem Schmuck, Truhen und Kästchen, hier und da vereinzelte Bücher und Schriftrollen. Ranyas Magen verkrampfte sich, als sie den blinden Sinan in seinen staubigen Roben entdeckte, der mit gierigen, dürren Händen nach allen Schriftstücken griff, für die andere keine Verwendung hatten. Ohne sie genauer zu prüfen, reichte er sie seinem großgewachsenen Assistenten weiter, der es mit verbissener Miene in einem Wagen verstaute. Wenigstens der junge Mann schien Bedenken zu hegen, ob es richtig war, die Toten zu bestehlen.
    Die Wache hatte ein blindes Auge entwickelt, während die unteren Bewohner Alsahars sich überall aus den verlassenen Häusern der Ranghöchsten das nahmen, was sie brauchten – oder zu Geld machen konnten.
    Es schnürte ihr die Brust zu, als eine ältere, gebeugte Frau einige von Ruß geschwärzte Puppen im Arm heraustrug. Ihr folgte ein ergrauter Mann, und Ranya erkannte das krause schwarze Haar der Lieblingspuppe ihrer kleinsten Schwester, die gerade einmal sieben werden durfte. Er warf die Puppe achtlos auf einen bereits mit anderem Spielzeug gefüllten Karren.
    Fahrig wischte sich Ranya über die Wangen. Die verbrannten Leichen ihrer Familie waren noch nicht einen Tag geborgen. Wie Schlachtvieh hatten Männer der Stadtwache sie laut plaudernd auf einen Wagen zu den anderen leblosen Körpern aufgeladen.
    Ranya schmeckte ihre Übelkeit, als sie versuchte die Bilder zu verdrängen, die sich ihr geboten hatten. Über all diesen lagen ihre Schuldgefühle, weil sie nicht bei ihnen gewesen war. Warum war sie an diesem Tag noch einmal zum Palast gegangen, obwohl ihr Vater eindeutig gehofft hatte, sie würde sich etwas zu ihm setzen? Man hatte sie nicht einmal hereingelassen. Selbst ihr Schleichweg war bewacht und somit unzugänglich gewesen.
    Wenig später war die Hölle losgebrochen – und sie fand sich mittendrin. Hilflos war sie zwischen aufgebrachten Meuten getaumelt, hörte die Schreie und Hilferufe, das panische Wiehern von Pferden, bis sie einen Eimer Wasser in die Hand gedrückt bekam. Als sie jedoch mit Schrecken erkannte, wie sich das Feuer nur stärker entfachte, sobald es mit Wasser in Berührung kam, hatte sie den Eimer fortgeworfen und nach Decken gebrüllt. Verzweifelt hatte sie nach einem auf dem Boden liegenden Tuch gegriffen und sich schließlich auf den Jungen in Dienstkleidung geworfen, dessen Ärmel Feuer gefangen hatte.
    Erneut schob sie die Erinnerungen beiseite, blinzelte Tränen fort und atmete tief durch. Sie war zu spät gewesen und war nicht einmal in die Nähe ihres Hauses gekommen, um zu helfen.
    Einen Moment beobachtete sie noch das gegenüberliegende Treiben, umklammerte den Siegelring ihres Vaters fester. Es war purer Zufall gewesen, dass sie ihn gefunden hatte. Als sie vergangene Nacht versuchte, sich zu überwinden und ins Haus zu gehen, hatte sie ihn entdeckt. Silbern funkelnd im Schein einer einsamen Lampe, lag er direkt unter dem vergitterten Fenster neben dem Eingang.
    Nun kehrte Ranya ihrem Elternhaus ein letztes Mal den Rücken zu und eilte den Weg hinab.

    Rasselnd scharrte die Kette über den blanken Stein, als Harun sein Bein ausstreckte. Einige Male schloss er seine Hände zu Fäusten und entspannte sie wieder. Das Reiben der gusseisernen Fesseln an seinen Gelenken war nervenaufreibender als die Dunkelheit, die ihn umgab.
    Seine finstere Zelle war klein. Wenn er mühsam aufstand, konnte er gerade einmal drei Schritte gehen, bevor seine ausgestreckten Finger gegen den kalten Stein stießen. Doch er hatte sein Gefängnis für sich allein, anders als die armen Seelen, deren gequältes Stöhnen er selbst durch die versperrte Tür hindurch hören konnte. Der Geruch von verbranntem Fleisch und notdürftig versorgten, offenen Wunden hing in der Luft.
    Die unterirdischen Zellen waren voller denn je. Eine Vielzahl davon bevölkerten gefangene Wachen, die überlebt und sich nicht ergeben hatten. Doch was war dieses Glück wert, wenn ihnen ohnehin der Galgen drohte, sofern sie nicht vorher an ihren Verletzungen krepierten?
    Harun atmete tief durch und konzentrierte sich auf den schmalen Spalt unter der soliden Holztür. Seit Stunden – oder gar Tagen? - huschte kaum ein Schatten über den Streifen dumpfen Lichtes.
    Seine Gedanken schweiften zum Prinzen. Er hatte ihn im Stich gelassen. Nun war er auf sich allein gestellt, und obwohl Kadir nicht auf den Kopf gefallen war, wusste er nichts vom Leben außerhalb des Palastes oder gar jenseits der Mauern Alsahars. Der Hauptmann konnte nur hoffen, dass sein in Kasim gesetztes Vertrauen Bestand hatte. Was war nur in ihn gefahren, den Jungen gemeinsam mit dem Thronerben fliehen zu lassen?
    Wahrscheinlich, weil sie so eine bessere Aussicht auf Erfolg besaßen, denn Harun hatte geahnt, dass er ihnen nicht würde folgen können.
    Sie waren direkt in eine Falle gelaufen, kurz nachdem er das Pferd mit dem Prinzen darauf losgeschickt hatte. Es war ihm zuwider gewesen, die Waffe gegen seine eigenen Männer zu erheben, doch in ihren dunklen Gesichtern war nur wilde Entschlossenheit zu lesen gewesen, alles dafür zu tun, jene aus dem Weg zu räumen, die ihrem Handeln nicht zustimmten. Oder besser gesagt – Galibs Handeln.
    Grunzend schnaubte Harun. Die alte Eule hatte noch in jener Nacht die Führung im Palast übernommen, hatte sich zum Vertreter des Prinzen ernannt, bis dieser gefunden und zurückgebracht wurde. Er drohte offen und ließ durch die Ausrufer des Palastes verkünden, dass jeder mit dem Tode gestraft werde, der sich gegen die Amtseinsetzung Kadirs widersetzte.
    Gegenwind hatte er kaum zu erwarten, nur das Misstrauen schlug ihm wohl entgegen, weil der Prinz für das normale Volk in den letzten Jahren zu einem Mythos verkommen war.
    Schritte und das Klimpern von Schlüsseln rissen ihn aus seinen Gedanken. Er versteifte die Schultern, als es im Schloss der Tür kratzte, bevor diese mit einem Ruck aufgerissen wurde. Zwei Männer drängten sich am Eingang, während zwei weitere die Zelle betraten und sich vor dem sitzenden Hauptmann aufstellten. Einer von ihnen hielt eine Lampe in den Händen. Harun hob die Hände, um seine Augen vor dem Licht abzuschirmen.
    Er blinzelte zu dem Jüngeren der beiden auf, der über seinem hellgrünen Kaftan an der linken Brust das silberne Abzeichen des Hauptmannes trug: eine hinter Mauern aufragende Sonne, deren einzigen drei Strahlen aus gebogenen Klingen bestanden.
    Haruns Mundwinkel zuckten. Arin. Er kannte den jungen Gardisten gut. Seine lauernde Haltung ihm gegenüber war ihm nie entgangen, ebenso wenig wie sein gieriger Blick auf jenes Abzeichen, das nun seine Brust zierte. Er hatte den Rang erhalten, den er sich seit Jahren ersehnte. Harun hatte gehofft, dass sich sein Ehrgeiz mit den Jahren positiv auf ihn auswirken würde, doch seine spitze Zunge und sein unfreundliches Verhalten hatten den älteren Mann immer davon abgehalten, ihm einen verantwortungsvolleren Posten zu geben. Er hatte ihn nicht einmal in die Nähe des Prinzen gelassen.
    »Steht auf«, sagte Arin barsch und beobachtete mit schmalen Augen, wie sein ehemaliger Hauptmann sich ächzend auf die Beine stemmte und ihm schließlich die gefesselten Hände entgegenstreckte. Arin nickte dem anderen Mann zu und nahm die Lampe entgegen, als der Gardist vortrat.
    »Ist es das, was ihr wollt?«, raunte Harun seinem Gegenüber zu, der die Kette an seinen zusammenhängenden Handfesseln löste. Zögernd sah er von seiner Arbeit auf, konnte dem Blick seines einstigen Oberen jedoch nicht standhalten.
    »Es ist zum Besten aller, Hauptmann«, raunte der Gardist leise.
    Beinahe hätte Harun laut gelacht. »Zu wessen Besten? Eurem? Oder Galibs?«
    Doch der Mann vor ihm schwieg, senkte den Kopf ein wenig und trat mit der rasselnden Kette beiseite. Arin griff nach dem Balken, der die Fesseln nahtlos miteinander verband und zog kräftig daran, sodass Harun einen Schritt nach vorn machen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Eine vorwitzige Locke fiel ihm dabei in die Stirn und das verhaltene Schmunzeln schwand aus seinem Gesicht. Stattdessen starrte er finster in das schiefe Grinsen Arins.
    Dieser genoss es sichtlich, ihn in gekrümmter Haltung vor sich zu sehen. »Euer Galgen wartet, Harun, und mit ihm eine tobende Menge, die es nach dem Tod von Verrätern dürstet.«