[-TEIL 10-]
„Das ist jetzt gemein, Ava!“ Ich bockte. So etwas ließ ich mir nicht gefallen. „All die Jahre in der Akademie. Unzählige Flugstunden, die wir gemeinsam verbracht haben. Und beinahe hätten wir uns sogar geküsst, so verliebt waren wir. Und jetzt wirfst du mir solche Sachen an den Kopf...“
„Ich bin jetzt am ersten Gittersektor!“ Malve, sie rief uns.
Ava antwortete unverzüglich: „Verstanden! Kannst du uns ein Bild geben, damit wir etwaige Anweisungen konkreter geben können?“ Dann schwenkte sie wieder zu mir um. „Amo, ich liebe dich jetzt auch noch genauso! Aber laut Vertrag war ich einem anderen zugeschrieben...“
„Und wem?“
Sie stöhnte genervt. Just bekamen wir ein Bild von Malve. Wir blickten durch ihre Augen, wir sahen das, was sie sah.
„Steht die Verbindung?“
„Ja, alles in Ordnung soweit! Sieh dich mal etwas um, zeige uns die defekten Sektoren.“
Gebannt schauten wir auf den Monitor und kamen ins Staunen. Es wirkte so konfus und chaotisch. Überall waren Verstrebungen, Kabel und Gitterwaben. Alles funkelte und leuchtete, wie ein Plasmasturm. Elektrische Entladungen umhüllten das Schiff, vom Meta-Schild abgefangen und geleitet. Wie in einem Gewittersturm ohne Wolken. Wir konnten nichts hören, verständlich im Vakuum. Aber das Sehen reichte uns schon, um uns Respekt einzuflößen.
„Kannst du den aktuellen Bildausschnitt vergrößern, Malve?“
Und sie tat es. Unsere Vermutungen vom Konstruktionsplan wurden bestätigt. Das Lasergitter war direkt mit dem Meta-Schild verbunden. Es war entweder nur von innen, oder nur von außen zu erreichen. Die Waben waren bestimmt zu klein für sie. Davon abgesehen befand sich das Magnetfeld nur zwei Meter über dem Außenbereich.
Ich riskierte die Frage: „Wie viel Spannung hältst du maximal aus? Und wie lange?“
Ava riss die Augen weit auf und glotzte mich verdutzt an. „Amo, was hast du vor?“
„Achthundert Volt für zehn Sekunden! Aber ich glaube nicht, dass selbst der Anzug das ausgehalten hätte.“
„Du wirst das auch nicht!“, brüllte Ava ins Mikrofon und verpasste mir einen leichten Klaps auf die Schulter. „Neunzigtausend Volt und vier Giga-Ampere! Du würdest sofort entmaterialisiert werden!“
Unter ihr pulsierte etwas. Sie schwenkte nach unten und hob leicht die Füße nacheinander an. „Der Plasmakanal verläuft einen halben Meter neben mir. Ich werde versuchen, mehr Abstand zu halten.“
„Malve, wo ist das erste Segment?“
Sie zeigte hinauf, in die Ferne des Weltalls.
Wir befürchteten es. Die letzte Zweigstelle vorm Sektorenende.
Ich machte eine Ansage: „Versuche über den Träger rechts neben dir hoch zu kommen. Aus halber Höhe könntest du vielleicht über die Querstrebe und dann mit einem kräftigen Sprung direkt am oberen Ende landen. Vergiss aber nicht, das Sicherungskabel anzubringen. Soweit alles verstanden?“
Sie stapfte los und nickte leicht. „Das klingt logisch! Macht euch trotzdem bereit, das Schiff notfalls mit zu manövrieren.“
Sie kletterte hinauf, wir schauten fieberhaft mit zu und bangten bei jedem ihrer Schritte. Blitze umschossen sie, die Strahlungswerte schnellten ins Unermessliche. Doch ihre Abschirmung hielt Stand.
Sie erreichte die Querstreben, klinkte sich ins Führungsrohr ein und ging weiter. Ein reiner Balanceakt. Die Streben waren nur einen knappen Meter breit und wirkten sehr wackelig. Ihre Arme streckte sie weit auseinander, um das minimale Wanken auszugleichen. Das Schiff taumelte leider immer noch leicht, was die Positionssensoren registrierten. Alle achtzig Sekunden drehten wir uns um 1° axial und um 2,3° radial. Malve spürte es sichtlich, wir hätten dort vermutlich mehr Probleme gehabt.
Sie meisterte es und erreichte die Mitte. Ein Blick hinauf und sie klinkte sich aus. Ihre Augen fixierten sich auf das Ziel, der Haken in ihrer Hand war geöffnet. Sie stieß sich ab und ließ sich treiben.
„Vier Meter! Drei... Zwei...“
„Eingerastet!“, hörten wir sie tatsächlich schreien und ihre Hände krallten sich am Träger fest. Kurz über ihr der Schild, rechts das Lasergitter und hinter ihr das defekte Segment. „Ich beginne jetzt mit dem Austausch des Prismas.“
Ava wandte sich mir zu und sagte: „Eli war es. Ihm war ich zugeteilt worden.“
Verdutzt schaute ich sie daraufhin mit offen stehendem Mund an. Ich kannte Eli sehr gut. Wollte ich aber nie.
„Wirklich dieser Eli? Dieser Idiot?“
„Bezeichne ihn nicht als Idioten! Er war auch ein guter Absolvent!“
„Aber trotzdem hat er mich ständig schikaniert. Eigentlich hätten sie ihn rausschmeißen müssen.“
„Ich habe das erste Modul erfolgreich gewechselt! Ich begebe mich nun zum nächsten.“
„Das ging fix! Gut gemacht!“, erwiderte Ava sofort und schwenkte erneut zu mir um. „Gut, er war ein Idiot... Aber trotzdem war ich ihm ursprünglich zugeteilt worden...“
„Aber merkwürdigerweise stand in meinem Vertrag dein Name als Bezugsperson, Ava. Wie willst du mir das erklären?“
Leicht genervt senkte sie den Kopf und schnaufte. „Ist das nicht egal, wer wem versprochen wurde? Wir sind doch jetzt zusammen und das auf ewig!“
Ich schüttelte den Kopf. Das akzeptierte ich nicht als Antwort. „Hätten mehr überlebt, wären wir nicht zusammengekommen. Nicht mal auf Temor wären wir es gewesen...“
„Das ist völliger Unsinn!“, maulte sie und lehnte sich nun noch genervter zurück. „Wir beide waren garantiert nicht deren erste Wahl. Und hätte Eli überlebt, wärst du jetzt tot. Die ECLIPSE wurde nur für ein Paar konzipiert...“
„Das habe ich auch nie verstanden“, unterbrach ich sie. „Wir waren so viele Absolventen und trotzdem gab es nur ein Schiff. Es kann nicht angehen, dass man uns allen eine besondere Funktion zuschrieb, am Ende jedoch nur zwei Personen benötigt werden. Was wäre denn passiert, hätten nur Frauen überlebt? Wäre dann alles umsonst gewesen? Weißt du, was ich vermute? Die brauchten dumme Jugendliche, die deren Pläne finanzieren! Für das, was uns geboten wurde, finde ich im Nachhinein die Gebühr von fünfzigtausend Gla echt zu hoch! Abstinenz, Ausgrenzung, Zwangsarbeit... Um am Ende des Vertrages eine Millionen Gla zu erhalten? Ein tolles Lockmittel, das muss ich zugeben... Ich kenne immer noch nicht unsere Mission! Ich soll ein Nationalheld sein, weil ich auf der ECLIPSE bin? Ich fühle mich eher als nationales Opfer..!“
Sie begann plötzlich zu weinen. Und da wurde mir sofort bewusst, dass ich sie verletzt hatte. Das wollte ich eigentlich nicht bezwecken. Jetzt fühlte ich mich mies.
„Es tut mir leid“, sagte ich flüsternd und bewegte langsam meine Hand zu ihr rüber.
Aber sie kehrte mir den Rücken zu, winkte ab und stand dann auf.
„Ava, bitte... Es tut mir leid!“
Weinend stampfte sie zur Tür hin, öffnete diese und sprach: „Weißt du? Ich hatte mich gefreut, dass die Ych angegriffen haben! Endlich hatte mein Leben einen Sinn...“ Und sie war weg.
Wie gelähmt saß ich im Stuhl und versuchte es zu verstehen. Das, was sie sagte und das, was ich tat. Meinte sie das gerade ernst? Wie meinte sie das?
Ich hatte keine Zeit, Malve rief mich wieder: „Ich bin nun beim zweiten Segment! Dieses kann ich vermutlich auch schnell wechseln.“
Mit heiserer Stimme antwortete ich: „Das klingt gut...“
Mein Blick wanderte wieder zur Tür, in der Hoffnung, dass sie wieder zurückkommen würde. Ich fühlte mich schlecht, ich zweifelte an mir selbst. War ich verletzend zu ihr? Wie war ihr Satz zu interpretieren?
Ich wollte aufstehen und zu ihr gehen. Aber ich durfte nicht! Ich musste hier verharren, denn Malves Aktion war wichtiger, als Avas Trauer. Es war keine leichte Entscheidung. Jede Sekunde, jede Minute, die ich hier bleiben musste, war eine Folter. Meine Gedanken waren bei ihr, mein Körper aber hier. Wo war sie nun und was tat sie dort?
„Ava, es tut mir leid...“
Und Malve rief mich wieder: „Ich habe etwas entdeckt, was bedenklich sein könnte.“
Ich wurde hellhörig und suchte sofort den Monitor. Was sah ich? Einen Eisnebel, der näher zu kommen schien. Sofort berechnete ich die genaue Dauer bis zum Eintreffen. „Zwölf Minuten Zeit hast du! Schaffst du das?“
„Möglicherweise...“
„Malve, bringe dich in Sicherheit! Möglicherweise ist keine konkrete Aussage für einen Cyborg...“
„Ich werde versuchen, das Segment auszutauschen. Wenn es innerhalb der Zeit wieder einsatzbereit ist, könnt ihr den Sektor wieder einschalten...“
„Und was, wenn nicht? Malve, riskiere nichts...“
„Ich gebe euch in drei Minuten Bescheid, wie ich mich entscheide.“ Und sie kappte die Verbindung. Sie ignorierte mich einfach. Wie ich Maschinen hasste!
Mitunter die längsten drei Minuten in meinem ganzen Leben. Mir lief richtig der Schweiß von der Stirn, so fertig war ich. Und dann, pünktlich auf die Sekunde, meldete sie sich wieder: „Ich werde weiterarbeiten. Am besten, ihr navigiert das Schiff am Nebel vorbei. Gebt mir Bescheid, wann ihr soweit seid.“
Was war denn hier nur los? Pure Anarchie! Wie sollte ich Malve nun erklären, dass Ava nicht bei mir war? Ich selbst konnte das Schiff nicht steuern, nicht in meinem aktuellen Zustand. Meine Freundin dagegen schon.
„Malve?“, funkte ich sie kurz an.
„Seid ihr soweit? Ava, gib die Richtung an.“ Sie krallte sich am Masten fest und blickte zum Nebel hinauf.
Panik und Verlegenheit überkamen mich. Mit stockendem Atem presste ich aus mir heraus: „Ava ist nicht hier.“
Malve löste sich schlagartig und verlor fast den Halt. „Wo ist Ava?“ Sie wollte hinabsteigen und gleichzeitig sich nach oben ziehen. „Amo, wo ist Ava?!“
„Sie weint, glaube ich...“