***
Spätestens nach dem Selfie mit der verletzten Frau bin ich unterwegs.
Ich bin vielleicht nicht so flink wie meine Gefährtin, aber wie fast alle hermetischen Magier habe ich meine Mittel das auszugleichen. Ich sorge dafür, dass die Gravitation vor mir den Schnee so fest zusammenpresst, dass ich darauf wie auf Stein gehen kann.
Das nächste Bild, das eines Soldaten, der auf einem Fels auf der Lauer liegt, sorgt dafür, dass ich noch schneller werde. Keine Ahnung, wie meine Sin es immer macht, aber sie hat doch tatsächlich hier im einsamsten Winkel des Bear Rain Forrests jemand aufgestöbert, mit dem sie sich anlegen kann.
Wäre sie alleine, würde ich mir weniger Sorgen mache, aber mit einer Verletzten sind die Chancen ganz anders verteilt. Auch wenn meine Liebste sich gerne als World Baddest Ass ansieht, kenne ich sie einfach viel zu gut. Sie hat eine Schwäche für Hilflose und natürlich für einen harten Kampf.
Ich bin übrigens Ella McElroy, vielleicht hat sie mich mal erwähnt.
Ihr GPS-Sender in ihrem Smartphone weißt mir den schnellsten Weg und ich komme gerade an der Felsformation an, als ich sie über einem dieser Soldaten zusammenbrechen sehe. Ich brauche nicht einmal einen Sondenzauber zu sprechen um die magische Entladung zu spüren, die sich mitten in ihrer Brust abspielt.
Aus dem Höhleneingang, der auf mich wie der Schlund einer Bestie wirkt, kommt ein weiterer Soldat, seine Hand erhoben und zeichnet eine Rune in die Luft.
Eigentlich halte ich mich für eine überlegte und rationale Person, aber als ich das Zeichen der Illuminaten auf seiner Stirn erkenne, bricht es einfach aus mir heraus. Ich sehe meine halb zerfetzte Geliebte und den Hexer, und Eins und Eins ergibt pure ungefilterte Wut, die sich auf den Gegner entlädt.
Normalerweise bitte ich die Elemente um Hilfe und erst dann, sollte ich auch nach zweiten Bitten nicht erhört werden, deute ich an, dass mein Wille die Macht hat meine Bitten dennoch durchzusetzen. Doch nun bitte ich nicht, ich fordere mit vor Zorn heißerer Stimme: »Singularitas foramen umbra!«
Das winzige schwarze Loch, welches mitten in der Brust des Hexers entsteht, verwandelt dessen Körper in rasender Geschwindigkeit in haarfeine Spagetti und saugt diese ein, um sie in einem anderen Universum wieder auszuspucken. Die grauenhaften Schreie des Mannes rühren mich nicht und bevor sie noch verklungen sind, falle ich neben dem aufgeplatzten Leib meiner Geliebten auf die Knie. Ich ergreife ihren Kopf, bette das Haupt mit diesen langen blauschwarzen Haaren, auf deren Farbton ich immer eifersüchtig war, in meinen Schoß. Da sehe ich ihre Augenflattern, doch ihr Blick ist in weiter Ferne gerichtet und an dem bernsteinfarbenen Glanz erkenne ich, wie sie und ihr Beast hartnäckig um einige weiteren Sekunden in dieser Welt ringen.
»Sin ..., ich bin da.«, zu mehr bin ich nicht in der Lage.
Ein großer Schatten fällt auf uns. Ich bin zu müde um aufzuschauen, nicht in der Lage einen Angriff abzuwehren, sollte er erfolgen. Mein Leben liegt gerade in meinen Schoß und wird in wenigen Augenblicken verlöschen und ich kann nichts tun. Früher hätten ein paar Tropfen meines Bluts wahre Wunder bewirkt, doch bei solchen schweren Verletzungen wäre es nun sinnlos.
»Lass mich der Kriegerin helfen. Bär ist ein machtvoller Heiler und er schenkt seine Gnade bereitwillig jenen, die seine Kinder beschützen.«
Ein massiger Indianer, der mich weit mehr an Grizzly Adams als an Winnetou erinnert, schiebt mich sanft aber bestimmt weg. »Deine machtvolle Aura behindert meine. Hab Vertrauen, Bär wird sie nicht sterben lassen.«
Ich rutsche ein paar Schritte weg, wische die Tränen aus meinem Gesicht und höre, wie der große Indianer mit seinem kehligen Gesang beginnt. Ein Bärenschamane, wird mir klar. Im scheidenden Licht der einsetzenden Dämmerung sehe ich, dass es ihm selbst nicht besonders gut geht. Ich schließe daraus, dass er gefangen gehalten, womöglich sogar gefoltert wurde.
Sins Brustkorb beginnt sich zu schließen und erste Atemzüge, rasselnd zwar, aber immer sind es Atemzüge, sind von ihren Lippen zu hören.
Der Gesang des Schamanen wird nach einer Minute leiser und nach einer weiteren ist er fast unhörbar. Völlig entkräftet kippt er beinahe zur Seite, doch nun stütze ich ihn und lege den großen Mann, so sanft ich kann, neben meine Freundin. Als ich beide so betrachte, bin ich mir wirklich nicht sicher, wem es schlechter geht.
»Meine Frau ... Ma-Riah«, haucht er fast unhörbar. Ich nähere mein Ohr seinen Lippen. »in Gefahr ... Soldaten ... gefunden ...«
Natürlich verstehe ich sofort und springe auf. Für die beiden kann ich erst einmal wenig tun. Heilzauberei ist derartig komplex, dass ich mit meinem geringen Wissen mehr Schaden als Gutes bei dem Versuch anrichten würde.
Doch ich höre die Rufe einiger Männer und den verzweifelten Schrei einer Frau. Mehr brauche ich nicht.
Ich lasse mich in die Luft tragen, sieht spektakulär aus, ist jedoch simple umgekehrte Schwerkraft und lande in einem weiten Bogen neben der Schwangeren Frau des Schamanen. Dafür, dass mein Satz dem Hulk alle Ehre gemacht hätte, sind die angreifenden Soldaten erstaunlich wenig beeindruckt. Und ich hatte mich schon gewundert. Normalerweise ist meine Sin niemand der sich hetzen lässt, wenn sie stattdessen auch die anderen vor sich hertreiben kann.
Wie es aussieht, hatten ein paar Soldaten der Frau den Weg zur Höhle abgeschnitten und die anderen waren in ihrem Rücken aufgerückt. Als sie mich sehen, heben sie auch schon ihre Waffen und ich brauche wirklich keinen Hellsichtszauber, um zu wissen was nun kommt.
Die Geschosse lasse ich von einem Schwerkrafttopf auf eine Kreisbahn um uns herum bringen und nach zwei Umrundungen genau im selben Winkel zurückschleudern. Ich kann es einfach nicht leiden, wenn man auf mich schießt und es ist ganz offensichtlich, dass diese Männer nicht die Absicht hatten, Gefangene zu machen.
Also mache ich auch keine. Sie durch ihre eigenen Geschosse umkommen zu lassen, erscheint mir zudem wie poetische Gerechtigkeit.
»Ich bin die Freundin von Sin«, will ich die junge Frau beruhigen, doch sie lächelt nur. »Ich weiß, Chosseph hat es mir gesagt.«
»Telephatie?« , frage ich beeindruckt.
»Wenn wir nahe genug sind, können wir die Gedanken des anderen hören.«
»Das ist wirklich praktisch. Komm, wir gehen zu den anderen. Wer weiß, wie viele von den Kerlen hier noch herumlaufen.«
»Ja, wir müssen uns aber beeilen, ich glaube meine Fruchtblase ist gerade geplatzt.«
Dann fällt es mir auf: »Moment, Chosseph, Mar-Riah, eine Höhle und eine Geburt? Echt jetzt?«
***
Als ich zu mir komme, sehe ich die Indianerin in eine blaue Decke gewickelt vor unserem prasselnden Kamin. Sie hält ein frischgeborenes Kind in ihrem Armen, wird ihrerseits von einem bärtigen Riesen der Marke Holzfäller-Joe festgehalten.
Hinter ihnen sehe ich einen buntgeschmückten Weihnachtsbaum unter dem sogar Geschenke in noch knallbunteren Verpackungen, sogar mit Schleifchen liegen. Keine Frage, Ellas Werk!
Ich schließe meine Augen: Na super. Gestorben und dann bin ich in der Weihnachts-Hölle gelandet. Ich weiß, dass mein Leben nicht immer vorbildlich war, aber so ein Schicksal habe ich wirklich nicht verdient.
»Süße, wach bitte auf. Wir haben Gäste und wollen mit dem Essen beginnen.«
Diese Stimme. Ein Engel?
Ein innerer Check sagt mir, dass nichts mehr so kaputt ist, das es Beast nicht innerhalb der nächsten Stunden hinbekommt. Außerdem habe ich den Eindruck, dass er irgendwie gemütlich grinst. Das macht mir beinahe noch mehr Angst, als dieser Weihnachtsbaum.
Erneut öffne ich meine Lider und sehe in die schönsten blauen Augen, die es auf der ganzen Welt gibt.
Gut, vielleicht bin ich doch nicht in der Hölle. Und sollte der Preis für diese glücklichen Augen und dieses strahlende Gesicht ein alberner bunter Baum sein, dann werde ich das ertragen.
Aber falls sie mich dazu bringen will, auch noch alberne Lieder mitzusingen, dann hat meine Süße besser ein paar ganz besondere Geschenke in Hinterhand.