Kapitel 24
Mir ist jedes Mittel recht
Tiffanys Körper wurde schwer und sank zurück ins Bett. Er ließ von ihr ab und steckte das Tuch wieder in seine Taschen. Schon unzählige Male hatte er hier an ihrer Seite gestanden und sie beim Schlafen beobachtet. Und auch jetzt betrachtete fasziniert ihr Gesicht. Die zum Schlaf geschlossenen Augen und der friedliche Gesichtsausdruck. Alles an ihr war wunderschön. Ihr Körper und ebenso ihre Stimme. Jedes Mal, wenn er sie sah, hatte er dieses Gefühl. Ein Gefühl, das er nicht zuordnen konnte, was aber tief aus seinem inneren zu kommen schien. Es war nicht der übliche Zorn, den er verspürte, wenn er solche Wesen vor sich sah. Dieses Gefühl war anders. Es ließ sich nicht beschreiben.
Sanft strich er ihr über die Wange, den Hals hinab und über die Schulter zum Oberarm. Angetan sah er dabei zu, wie sich die kleinen Härchen aufstellten, ehe sie sich wieder an die Haut schmiegte.
Als er merkte, was er da tat, zog er scharf die Luft ein und löste seine Augen von ihr. Was er tat, konnte nicht gut sein. Er hatte etwas Ernsteres zu erledigen, ehe er sich ihr hingab.
Zuerst musste er einen Weg finden, von hier zu verschwinden. Ruhig ließ er die Augen durch das Zimmer wandern, dann trat er ans Fenster. Der Ausblick zeigte ihm die breite Straße, die sich durch die Siedlung schlängelte. Dort standen die Streifenwagen der Polizisten, einsam und verlassen. Einen zu stehlen sollte nicht schwer sein. Allerdings hatte er einmal gehört, dass sie über einen Funk verbunden waren und so verfolgt werden konnten. Nichts für jemanden, der untertauchen wollte.
Die Lichtkegel einiger Taschenlampen schwenkten durch den Garten. Sie wirkten etwas hektisch und unkoordiniert. Offenbar war der Großteil der eingeteilten Polizisten draußen unterwegs und durchsuchte die Umgebung. Dass sie die Leiche ihres Kameraden so schnell fanden, war nicht geplant gewesen, aber den Spaß wollte er sich davon nicht verderben lassen.
Er drehte sich vom Fenster weg und lief stattdessen zur Tür. Kurz lauschte er am Holz und öffnete sie erst, als er nichts hörte. Man hatte das Licht wieder ausgeschalten und nur von unten strahlte es hell die Treppen herauf. Schritte waren zu vernehmen und aufgeregte Stimmen. Er hörte das Klicken und Rauschen eines Funkspruchs.
„Sie sind in zehn Minuten hier“, sprach eine dunkle Männerstimme, kaum, dass der mechanische Klang abgeklungen war.
Er kräuselte die Augenbrauen. Man hatte also Verstärkung angefordert. Das machte die Situation nicht leichter. Aber um einiges spannender. Zehn Minuten waren nicht viel Zeit und er war gespannt, ob er es wohl bis dahin geschafft hatte.
„Geht das nicht schneller?“, grollte es gedämpft zurück. Er war sich sicher, dass es sich bei dem Sprecher um Tiffanys Mann handeln musste. Diesen Caleb. Zorn überkam ihn und kurzzeitig tanzten rote und schwarze Sprenkel vor seinen Augen. Er hasste ihn. Er hasste diesen Mann. Tiffany sollte ihm gehören und nicht diesem Hurensohn. Dieser Kerl war nicht der Richtige für sie. Er konnte sie ja nicht einmal beschützen.
Wütend ballte er die krüppligen Hände zu Fäusten. Er wollte ihn tot sehen, dabei zuschauen, wie das Blut aus seinen Adern floss und sich über den Holzboden verteilte. Wie er seinen letzten Atemzug tätigte und dann mit gequältem Gesichtsausdruck verstarb.
„So leid es mir selbst tut, aber im Moment müssen wir abwarten“, antwortete der Polizist. Seine Stimme hatte einen bedrückten Unterton. „Der Mörder wollte wohl ins Haus, hat es aber nicht geschafft, meine Leute suchen die Umgebung ab. Gehen Sie zu ihrer Frau, und beruhigen Sie sie. Wir kümmern uns um den Rest.“ Ein Stuhl schruppte über den Boden und daraufhin waren Schritte zu hören.
Wie es sich anhörte, waren nur noch der offensichtliche Polizeichef und Tiffanys Mann im Haus.
Er musste grinsen. Nicht nur über die Aussage des Beamten, dass er es nicht nach drinnen geschafft hatte, auch die Aussicht auf eine leichte Flucht erfüllten ihn. Wenngleich er sich über etwas mehr Widerstand gefreut hätte.
Ein Stöhnen war zu hören, dann wurde erneut ein Stuhl über den Boden geschoben. Diesmal näherten sich die Schritte jedoch der Treppe.
Der Mörder schloss die Tür lautlos und sah noch einmal zu Tiffany. Vom Chloroform betäubt lag sie auf dem Bett, als wäre sie einfach nur eingeschlafen. Wovon sie wohl träumte?
Er positionierte sich erneut hinter der Tür, das Messer bereits griffbereit, als diese sich schon öffnete und Caleb den Raum betrat.
„Tiff, Schatz, schläfst du schon?“, flüsterte er. Sichtlich verwundert über den plötzlichen Schlaf seiner Frau, verweilte er kurz im Rahmen und wartete auf eine Antwort. Als er keine bekam, lief er bis ans Bettende. Sofort schloss sich die Tür Zentimeter für Zentimeter, als wäre ein Lufthauch dafür verantwortlich, bis sie schließlich ganz ins Schloss fiel. Dass dem nicht so war, sondern eine vermummte Gestalt im Schatten sie langsam zudrückte, bekam Caleb nicht mehr mit. Gerade als er sich auf die Bettkante neben seine Frau setzen wollte, schob sich die Gestalt hinter ihn, und hieb ihm seine Knöchel gegen die Schläfe. Ein fester Schlag, der den Mann zur Seite warf und mit dem Gesicht gegen den Bettpfosten knallen ließ. Ein weiterer Hieb direkt gegen den Kiefer, ließ den Kopf seitlich wegschnappen. Bewusstlos glitt Caleb vom Bett und blieb bewegungslos auf dem Boden liegen.
Der Mörder starrte auf hin hinab und umgriff das Messer noch fester in seiner anderen Hand. Weiß traten die Fingerknöchel hervor. Die Wut kochte in ihm hoch, ließ ihn fast jeden klaren Gedanken verlieren. Doch ein Blick auf Tiffany und das Messer glitt ihm aus der Hand. Sie hatte seine Forderung erfüllt und damit ihren Mann gerettet. Er wollte es, hasste er ihn doch, aber es verstieß gegen die Regeln ihn nun zu töten. Und diese Regeln waren alles, was ihn daran hinderte dem Wahnsinn zu verfallen.
Er verstaute das Messer in der Tasche seines Hoodies, um es jeder Zeit sofort ergreifen zu können, dann verließ er den Raum. Der Weg musste erst frei sein, ehe er Tiffany holen konnte. Mit ihr wäre seine Bewegungsfreiheit zu sehr eingeschränkt.
Er trat die Treppen hinab und schlich dann bis zur Küche. Als er um die Ecke blickte, erkannte er nur einen Beamten. Dieser stand am Fenster und blickte angestrengt nach draußen. Er schien allein zu sein, was die Theorie stützte, dass die anderen im Garten unterwegs waren und nach dem Täter suchten. Einen einzigen Mann zu überfallen war leicht, allerdings erschwerte ihm das Licht im Raum das Vorhaben um einiges.
Die Gestalt zog den Kopf zurück und lehnte sich gegen die Wand. Nicht er sollte zu dem Polizisten in den Raum treten, sondern der Beamte musste zu ihm kommen. Aus diesem simplen Grund schweifte sein Blick durch den halbdunklen Flur und suchte ihn nach etwas Brauchbaren ab. Bei einem Brettchen mit Schlüsseln blieben seine Augen hängen. Er tippelte darauf zu und zog ganz sachte einen der klappernden Gegenstände an sich. Dabei musste er peinlichst genau darauf achten, kein Geräusch von sich zu geben oder einen anderen Schlüssel vom Haken zu holen. Eine falsche Bewegung und alles war vorbei. Es glich einem chirurgischen Eingriff am Herzen. Nicht ohne Grund stieg ihm der Schweiß ins Gesicht. Dennoch war das beklemmende Gefühl, das Adrenalin wie ein Kick, der seinen Verstand zu vernebeln versuchte. Der Drang einfach alle Schlüssel vom Haken zu reißen und zu schauen, was passierte, wurde immer größer, je länger er brauchte.
Kurz hielt er inne und schüttelte den Kopf. Es war schon falsch gewesen, Tiffany auf offener Straße anzugreifen. Schon dort hatte er diesem Verlangen nachgegeben. Diesmal hatte er die Situation im Griff, Tiffany gehörte ihm, und er würde es sich nicht mehr nehmen lassen.
In einer letzten Bewegung fischte er den Schlüssel hervor und nahm ihn an sich. Dann lief er lautlos zurück zur Küche. Ein letzter Blick hinein.
Der Beamte stand noch immer am Fenster, sah nun aber ernst auf ein Handy. Seine Finger tippten etwas, als wollte er jemanden anrufen.
Er trat einen guten Meter von der Tür zurück, grinste und warf dann den Schlüssel ans Ende seiner Flurseite.
Sofort war Poltern aus der Küche zu hören und das Entsichern einer Schusswaffe klang unheilvoll in der Nacht. Sein Herz begann augenblicklich höher zu schlagen und er presste sich noch weiter gegen die Wand. Wenn er es richtig einschätzte, würde der Polizist erst die Seite kontrollieren, von der keine unmittelbare Gefahr drohte, nur, um eventuelle Angreifer zu erkennen, die ihm in den Rücken fallen würden. Er würde sich mit der Seite an genau die gleiche Stelle der Wand lehnen wie er, nur auf der anderen Mauerseite. Die Arme und damit die Waffe vorgestreckt, würde er dann den Flur betreten und sich schussbereit dem Ursprung des Lärmes zuwenden.
Und tatsächlich hörte er wenige Sekunden später, Stoff über Tapete schleifte. Sehr leise, aber dennoch wahrnehmbar. Er wusste, dass er ab dem Moment, ab dem er den Lauf der Waffe sah, nur wenige Millisekunden hatte – wenn überhaupt – den Polizisten zu überrumpeln.
Angriffsbereit wartete er auf den richtigen Augenblick und kaum, dass er die erste Bewegung des Laufes erkennen konnte, fuhr er nach vorn. Mit der rechten Hand umklammerte er die Waffe und zog mit einem kräftigen Ruck daran. Der Beamte wurde überrascht nachgezogen und bekam einen Kinnhaken mit der Linken verpasst. Gleichzeitig trat er ihm sein Knie in den Magen. Der Mann ließ von der Waffe ab und ging keuchend zu Boden. Noch ehe er ihn erreicht, stieß ihm der Mörder das Messer ins Genick.
Ruhe verbreitete sich im Haus, als er sein Messer aus der Wunde riss. Erneut überkam ihn der süße Duft, doch diesmal hatte er noch weniger Zeit, ihn zu genießen. Er musste sich beeilen.
Er behielt die Schusswaffe in der Rechten und warf dann einen Blick durch das Küchenfenster. Drei Polizisten hechteten im Vorgarten umher. Vorher hatte er fünf Lichtstrahlen gesehen, das hieß, dass auf der Rückseite des Hauses ebenfalls noch einmal mindestens zwei von ihnen waren. Er könnte die Schusswaffe benutzen. Aber da stand das Risiko zu hoch, dass man ihn hören könnte, nicht nur die restlichen Polizisten, sondern auch Nachbarn. Und mit Tiffany auf den Armen konnte er nicht sehr weit oder lang rennen. Ganz davon zu schweigen, dass er nicht mit Schusswaffen umgehen konnte.
Sein Blick fiel auf den alten Gasherd. Eine Idee formte sich.
Die Waffe legte er vorerst auf dem Küchentisch ab, bevor er wieder ins zweite Stockwerk lief, um dort Tiffany abzuholen. Sanft strich er ihr einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, bevor er ihren Körper sorgsam in die dünne Bettdecke wickelte. Erst wollte er sie tragen wie seine Braut. Vor der Brust. Er musste sich schnell bewegen, deshalb hob er sie über die Schultern.
Sie war schwer. Viel schwerer, als er gedacht hatte. Unweigerlich ging er etwas in die Knie. War sie damals auch so schwer gewesen?
Mit seinem Gepäck verließ er den Raum erneut.
Am Fußende der Treppe setzte er sie ab. Von dort aus, zerrte er den Beamten über den Boden und legte ihn neben dem Herd ab. Mit einem Handtuch entfernte er die gröbsten Blutspuren. Erst dann entzündete er mit etwas Mühe den Herd und warf das Handtuch in die bläuliche Flamme. Sofort fraß sich das Feuer durch den Stoff und loderte hell auf.
Er zog noch einige weitere Handtücher aus einer Schublade, die er neben dem Herd auf der Arbeitsfläche und dem Boden verteilte. Fasziniert beobachtete er wie die Flammen von einem Tuch zum nächsten wanderten, neuen Nährboden fanden und sich so in der ganzen Küche ausbreiteten. Auch die Kleidung des Beamten blieb nicht verschont.
Ein Grinsen überkam ihn, dann hechtete er zurück zu Tiffany. Mit ihr durchquerte er den Flur und versteckte sich dann in einem kleinen Raum nahe der Haustür.
Er lehnte die Tür nur an, um dem Treiben außerhalb besser folgen und um schnell flüchten zu können. Nun hieß es abwarten, bis jemand den Rauch und die Flammen entdeckte. Vorerst würde man sich nicht auf die unteren Räume konzentrieren. Man würde versuchen das Feuer zu löschen und die Einwohner zu evakuieren. So sein Plan.
Er musterte das Gesicht der blonden Frau, die auf seiner Schulter lag. Unter ihren Lidern tanzten die Augen hin und her, als würde sie schlecht träumen. Ob sie an ihn dachte? Ob sie davon träumte, was er nun als nächstes mit ihr anstellen würde? Ob sie womöglich von ihrem Tod träumte? Wie sich der Tod wohl anfühlte? War es ein schönes Gefühl - befreiend, erstrebenswert?
Er kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Denn er hörte, wie die Haustür aufgestoßen wurde und auch von der Hintertür her erklangen panische Stimmen. Jemand brüllte nach dem Polizeichef, ein anderer um Hilfe. Befehle wurden laut, die Familie zu wecken und aus dem Haus zu schaffen. Dann erklangen schwere Schritte auf der Treppe.
Durch den Spalt in der Tür, beobachtete die Gestalt des Mörders, wie zwei Polizisten in der Küche verschwanden und anschließend das Geräusch von Wasser erklang. Beschimpfungen und Flüche hallten herum, dann sollte jemand Wasser aus dem Bad heranschaffen. Ein dritter kam hinzu, einen Eimer in den Händen. Mit demjenigen, der eben die Treppen nach oben gerannt war, gab es nun vier Polizisten im Haus. Einen besseren Moment würde er nicht bekommen.
Er stieß die Tür auf, überbrückte die wenigen Meter zum Haupteingang und verabschiedete sich ins Freie. Kühle Luft und Nachtschwärze schlugen ihm entgegen. Von weiter her war der laute Sirenenlärm der Verstärkung und hinter ihm das Brüllen der Polizisten zu hören. Ansonsten war es still.
Prüfend überflog er die Umgebung. Kein Mensch war zu sehen, nur der entfernte Lichtstrahl einer Taschenlampe tanzte hektisch über den Boden. Er wackelte stark, als würde der Besitzer rennen. Der letzte verbliebene Polizist? Er wollte nicht bleiben und es herausfinden.
Seine Schritte trugen ihn sicher, aber zügig in die entgegengesetzte Richtung. Dabei kam er am Küchenfenster vorbei. Deckenhoch tobten dahinter die Flammen. Die orangen Todesdämonen sättigten sich an den Gardinen und wohl immer noch an den Handtüchern. Es war erstaunlich, wie schnell sich das Feuer voranfraß.
Hinter einem Busch, nahe dem Zaun zum nächsten Garten, machte er eine kurze Pause. Es würde nicht lang als Versteck dienen, aber für den überforderten Polizisten, der in dem Moment aus dem benachbarten Grundstück gerannt kam, reichte es allemal. Dieser hechtete auf die Haustür zu und würdigte die Umgebung mit keinem Blick. Zu sehr fesselten ihn die Flammen.
Der Mörder grinste und atmete tief aus. Nun musste er nur noch über den Zaun und in die Hintergärten der Nachbarn verschwinden, damit er von der Straße aus nicht mehr zu sehen war. Langsam schlich er sich in der aufkommenden Panik davon - Tiffany schützend an sich gepresst.