Beiträge von Kyelia im Thema „Das Williams-Adam-Vermächtnis“

    Noch ein kleiner Teil zwischendurch

    London

    Er lief durch die Straßen der überfüllten Stadt, die Hände tief in den Taschen vergraben und die Kapuze weit ins Gesicht gezogen. Er beobachtete sie, beobachtete alle, die an ihm vorbeiliefen. Doch nicht einer nahm ihn wahr. Jeder ging seinen Erledigungen nach, als wäre in den letzten Wochen nichts Übles passiert. Es ärgerte ihn. Da machte er sich die Mühe, befreite die Menschen von diesen Hexen und Dämonen und dennoch, niemand würdigte seine Taten.
    Aber spätestens wenn die neusten Bilder an die Presse gingen, würden ihn die Menschen endlich beachten.
    Er formte seine Hand zur Faust.
    Sie würden endlich erkennen, dass er das Richtige tat. Dass er allen eine Arbeit abnahm, die nur er erledigen konnte. Nur er wusste, wie diese fleischgewordenen Teufel aussahen. Und auch die Ärztin war nur ein weiterer von ihnen gewesen. Hinterlistig, arrogant, widerwärtig … verführerisch.
    Der Klon blieb stehen und schloss für einen Moment die Augen und beruhigte seine Atmung. Seine Schritte waren immer schneller und länger geworden und auch der Puls rannte förmlich. Allein, wenn er an ihre Schreie und ihre vor Angst geweiteten Augen dachte. Er legte eine Hand um die Trophäen in seinen Taschen.
    Ehe sich jemand über den plötzlich stehen gebliebenen Mann wundern konnte, setzte er sich wieder in Bewegung und bog in eine der vielen engen Seitengassen ab. Auch hier wimmelte es von Menschen. Von Touristen, die eifrig Bilder schossen und sich in fremden Sprachen über irgendwelche Belanglosigkeiten unterhielten. Eine der Frauen, die fröhlich für Urlaubsfotos posierten, stach ihm dabei besonders in die Augen. Groß, schlank und blonde Haare. Sie sah genauso aus. Ein weiterer Dämon?
    Er reihte sich in die Reisegruppe ein, die einem jungen Herrn mit einem Fähnchen nachrannten und ihm wohl nur mit halbem Ohr zuhörten. Die meisten dieser großen Gruppe hörten die Worte wohl nicht einmal. Dennoch sahen sie sich interessiert die Architektur an, auf die der Fremdenführer zeigte.
    Unauffällig näherte er sich der Frau, tat so, als würde er zur Gruppe gehören.
    Aufmerksam verfolgte er jede ihrer Bewegungen. Wie sie die Arme hob, wie sie sich umsah, und wie sie ihre Haare elegant in den Nacken warf. Wie sie blinzelte und wie sie sich Hin und Wieder den Rock zurechtstreifte, wenn dieser vom Wind aufgewirbelt wurde. Er musterte die schlanken Beine und die straffe und junge Figur– sie musste Sport betreiben. Vielleicht Schwimmen.
    Ihre ganze Körpersprache spiegelte Stärke wider.
    Sie bemerkte seinen Blick und drehte sich in seine Richtung. Ein erst unsicherer Blick, dann strahlte sie über das ganze Gesicht – ehrlich, freundlich, schüchtern.
    Er reagierte nicht, grüßte nicht zurück, sondern wandte sich nur stumm ab und ließ sich ans Ende der Gruppe fallen.
    Sie war kein Dämon. Kein Teufel. Die grünen Augen sprachen von Wärme, von Vertrauen.

    Kapitel 37


    Mia sah sich fasziniert in dem kleinen Raum um. Er war nichts Besonderes, aber besser als das Kämmerlein, das sie ihr Eigen nennen und das sie seit Tagen nicht verlassen durfte.
    Es gab grüne Wände, die mit einem weißen Streifen ungefähr auf Kopfhöhe abgesetzt waren. Zwei Fenster ließen ihren Blick direkt in einen grünen Garten schweifen und das Sonnenlicht fiel herein. Es schien ein schöner Tag zu sein.
    Sie vermisste ihr Haus in den Hills. Die weiten Wiesen und die Schafe, die auf den Weiden grasten und immer im ungünstigsten Moment die Straßen kreuzten. Anna hatte sich darüber immer beschwert und wie eine Wilde gehupt. Einmal war sie sogar aus ihrem geliebten Bristol ausgestiegen und hatte versucht, eines der Tiere mit den Händen von der Straße zu schieben. Gelungen war es ihr nicht, aber dafür hatte Mia ihren Spaß gehabt.
    Ein Lächeln zierte ihre Lippen. Sie vermisste Anna. In der ganzen Zeit, die sie nun schon hier saß, hatte die Psychologin sie nicht einmal besucht. Waren sie etwa keine Freunde mehr? Wegen der Sachen, die passiert waren? Hatten sie sich gestritten und sie wusste es gar nicht mehr? Das waren nur einige der Fragen, die ihr im Kopf herumgeisterten. Sie hatte noch so viele weitere, aber Antworten darauf fand sie keine.
    Ob sie jemanden fragen konnte, ob sie an diesem schönen Tag nach draußen durfte? Vielleicht sogar zu Anna?
    Gerade als ihre Gedanken darum schwirrten, was sie machen würde, wenn sie diesen Laden verlassen hatte, betrat ein Mann im weißen Kittel und einem feinen Anzug den kleinen Raum. Er lächelte freundlich, stellte sich mit Miller vor und fragte sie, wie es ihr ging und was sie bisher mit ihrem Tag gemacht hatte, bevor er sich auf die andere Seite des Holztisches setzte.
    Mia rutschte etwas auf dem Stuhl herum, begab sich in eine kippelnde Position und wandte den Blick hinaus in den grünen Garten. Gern hätte sie ausgespuckt. Wie sollte es ihr gut gehen, wenn man ihr alles genommen hatte? Es gab keinen Grund, dass man sie hier gefangen hielt. Sie hatte zwischen den ganzen verwirrten Menschen nichts zu suchen. Sie hatte die Welt verändern wollen, aber das ließ sie noch lange nicht an einer Krankheit leiden.
    Der Arzt schien sich von ihrer ausbleibenden Antwort nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Er schlug eine Akte auf, die er vor sich auf dem Tisch ausbreitete und las einige Sachen im Geiste. Zumindest verrieten ihr das seine Augen, die von rechts nach links über das Papier wanderten. Die Aufmerksamkeit scheinbar weiter aus dem Fenster gerichtet, beobachtete sie in dessen Spiegelung jede einzelne Bewegung des Mannes. Es gefiel ihr nicht, wie er das Gespräch begonnen hatte.
    „Weißt du, mich hat jemand gebeten, mit dir zu reden“, sprach der Arzt mit ruhiger Stimme. Es lag keinerlei Aggression in ihr, kein Vorwurf und keine Belustigung. Nur Freundlichkeit und etwas, das Mia nicht bestimmen konnte. Dazu zierte ein sachtes Lächeln seine jungen Züge und ließen ihn beinahe attraktiv aussehen. Es waren diese Männer, vor denen Anna immer gewarnt hatte. Es waren diejenigen, bei denen das Herz schnell einen Sprung machte. Ein Grund mehr ihn nicht anzusehen.
    Mia wandte ihren Blick weiterhin ab und machte keine Anstalten, ihm zu antworten. Stattdessen beobachtete sie einen kleinen Vogel, der auf dem Fenstersims saß und laut genug zwitscherte, dass man es bis in den Raum hören konnte. Es klang als verspottete er sie. Er war frei, konnte fliegen, wohin er wollte, aber sie saß hier und musste sich das Gerede dieses Mannes anhören.
    „Mia“ begann er, „ich darf dich doch so nennen oder?“
    Für einen kurzen Moment nahm Mia die Augen von dem Park und musterte den Arzt abschätzig. Sie zuckte die Schultern. Sollte er doch machen, was er wollte. So schnell würde er wohl sowieso nicht aufgeben.
    „Sehr schön.“ Wieder dieses Lächeln. „Dann darf ich dir auch ein paar Fragen stellen?“
    Sollte er ihr doch Fragen stellen. Das würde er auch, wenn sie verneinen würde. Ob sie jedoch antwortete, lag ganz bei ihr.
    „Darf ich zuerst?“, bohrte sie nach und lehnte sich etwas über den Tisch. Aus neugierigen Augen musterte sie den Mann, der sich nicht anmerken ließ, worüber er nachdachte. Anna hätte es aber sicher dennoch herausgefunden.
    „Gern“, meinte Dr. Miller.
    „Wann darf ich gehen?“
    „Sobald wir hier fertig sind, wird dich eine der Schwestern zurück auf dein Zimmer begleiten.“
    Mia schüttelte entschlossen den Kopf.
    „Nein, nicht in mein Zimmer, nach draußen, raus aus dieser Anstalt. Ich bin doch nicht krank, ich bin gesund.“ Sie lächelte. „Heute ist so ein schöner Tag und ich muss in diesem muffigen Raum sitzen.“ Mit ausgestrecktem Arm deutete sie zum Fenster hinaus. Der Arzt folgte ihrer Bewegung und grinste erneut.
    „Wenn du meine Fragen beantwortest, werde ich meine Beziehungen spielen lassen.“ Er wackelte mit den Brauen. „Auf mich hören hier einige, sicher lässt man dich dann wieder nach draußen.“
    Es war nicht das, was Mia hören wollte. Sie wollte nicht nur nach draußen, sie wollte nach Hause. Außerdem war sie sicher, dass es sich lediglich um einen Trick handelte, damit sie sprach. Aber es war der einzige Strohhalm, an den sie sich klammern konnte. Die einzige Chance in die Freiheit zu kommen.
    „Einverstanden“, meinte die deshalb und nickte eifrig. Sie streckte die Hand über den Tisch und wartete, dass der Arzt einschlug. „Versprochen?“, fragte sie, als er ihre Hand nur überrascht musterte. Ein zufriedener Glanz trat in die Augen des Arztes und freundlich erwiderte er die Geste.
    „Versprochen.“
    Mia nickte noch einmal. Diesmal in die Richtung der Akte, die immer noch auf dem Tisch lag. Umso schneller er seine Fragen stellte, desto schnell wusste sie, ob der Mann sein Versprechen hielt.
    Miller löste den Griff und fuhr mit der Hand über die einzelnen Seiten der Akte. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. Wo zuvor noch Zuversicht war, mischte sich nun Zweifel in seine Stimme.
    „Wahrscheinlich hast du in letzter Zeit keinen Zugang mehr zu irgendwelchen Medien gehabt, aber ich bin mir sicher, du hast von den seltsamen Todesfällen in London gehört.“
    „Ja“, kommentierte Mia schlicht. Das konnte unmöglich alles sein, was er wissen wollte. Aber was erwartete er von ihr zu erfahren? Sie hatte damit wohl kaum etwas zu tun und polizeiliche Beratungen waren auch nicht ihr Fachgebiet.
    „Jemand meinte, du wüsstest mehr darüber“, erklang es dennoch zaghaft.
    Mia runzelte die Stirn.
    „Ich?“ Sie lachte, als der Arzt nickte.
    „Mittlerweile geht man davon aus, dass wohl eines deiner“, er machte eine Pause, als suchte er nach den richtigen Worten, „Experimente, etwas damit zu tun hätten.“
    Von was sprach der Mann? Etwa von ihren Kindern? Von ihren künstlichen Sprössling, denen sie das Leben geschenkt hatte? Wie konnte er es wagen, diese als Experimente zu bezeichnen? Dieses Wort grenzte an eine Beleidigung und es verglich diese wunderbaren Geschöpfe mit etwas Primitiven.
    Mia schluckte ihre Wut hinunter. Sie durfte nicht durchdrehen, musste ruhig bleiben, damit man sie nach draußen ließ.
    Einen haltsuchenden Blick warf sie aus dem Fenster, dann drehte sie sich wieder zu Dr. Miller.
    „Die Wetterphänomene“, schlussfolgerte sie trocken. Davon hatte sie noch erfahren. Das hatte sie im Fernsehen gesehen. Plötzliche Stürme, die überall auftauchten und Nebel, den die Meteorologen nicht erklären konnten. Ihre Kinder hatten diese Fähigkeiten viel besser ausgebaut, als sie zu Beginn gehofft hatte. Anna hatte nie an diesen Erfolg geglaubt. Wie gern würde Mia ihr das nun um die Ohren klatschen.
    Miller nickte. „Die Polizei glaubt, das hätte einen Zusammenhang.“ Seine Augen musterten sie, verfolgten jedes Zucken, das sie machte. Beinahe schien es ihr, als würde er direkt durch sie hindurchblicken.
    „Möglich.“ Mia sah nicht ein, diesem Mann alles zu verraten.
    „Und sie glauben auch, du wüsstest, wie man ihn aufhalten kann.“ Millers Stimme bekam etwas Zuversichtliches.
    Mia jedoch lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
    „Nein“, meinte sie kühl. Ihre Kinder waren als Supersoldaten geplant gewesen, die ihr helfen sollten, die Welt zu verändern. Natürlich hatten sie Schwächen, das hatte jeder, aber sie würde damit niemals prahlen. In ihren Augen waren sie perfekt.
    „Du lügst“, sprach Miller. „Das kann in sehen.“
    Mia wandte den Blick ab, hinaus aus dem Fenster.
    „Eine Mutter verrät niemals die Schwächen ihrer Kinder und lässt zu, dass andere sie verletzen.“ Trotz schwang ihren Worten nach. „Sie sind verwundbar wie jeder andere auch, aber ich werde euch nicht helfen, sie zu fangen.“ Sie lachte kurz, ob ihres Hinweises. „Fragt doch Anna, wenn ihr Hilfe braucht.“
    „Du willst uns also nicht helfen, habe ich das richtig verstanden?“
    Mia nickte, woraufhin sich Miller erhob und seine Akte zusammenklappte.
    „Schade“, meinte er. Er winkte in Richtung einer der Wände. Es saß wohl ein Wachmann dahinter und hatte ihr Gespräch durch eine einseitig durchsichtige Wand beobachtet.
    „Was ist mit unserem Deal?“, wollte Mia wissen.
    „Der ist geplatzt“, sprach der Arzt und das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen. Mia dagegen blies die Wangen auf.
    „Das ist nicht fair! Sie haben versprochen, mich rauszulassen, wenn ich die Fragen beantworte! Das habe ich gemacht.“
    Dr. Miller lief auf die Tür zu und wartete dort auf ein Summen, kaum dass es ertönte, drückte er die Klinke und setzte einen Schritt auf einen kühlen weißen Gang. Er drehte sich noch einmal zurück und ein trauriger Ausdruck lag in seinem Gesicht. „Das stimmt.“
    Damit verschwand er und ließ Mia allein zurück. Diese wollte sich erheben und ihm nacheilen, doch etwas hinderte sie daran. Als sie einen Blick nach unten riskierte, erkannte sie eine solide Kette, die auf Höhe des Knöchels angebracht war und ihr Bein mit dem Tisch verband. Gleiches galt für die andere Seite. Ein wenig ruckelte sie daran, doch die Kette gab nicht nach.
    „Komm zurück! Du hast es versprochen!“, schrie sie so laut sie konnte. Wütend schlug sie mit der Faust auf den Tisch. Ein metallischer Klang bremste sie ein wenig in ihrem Zorn. Stattdessen traten Tränen aus ihren Augen, als sie auf einen Aluminiumtisch starrte, der mit unzähligen Schrauben am Boden fixiert war. Hinter einem Schleier aus salziger Flüssigkeit erkannte sie eine blanke Wand, die vor Jahren einmal einen samtigen Weißton gehabt haben musste und nun eher an ein zu helles Grau erinnerte. Der Park war verschwunden und auch die Fenster waren weg. Der Raum war dunkel und wurde lediglich von einer weißgelben Lampe erhellt.
    Panik keimte in ihr auf.
    „Du hast es versprochen, du Mistkerl!“, jammerte sie nur noch und sackte kraftlos auf dem Tisch zusammen. „Ich bin nicht verrückt.“

    Kapitel 35
    Fund

    Tom betrachtete die weiße Plane eine ganze Weile, unter der die Überreste eines einstmals lebendigen Menschen lagen. Bisher hatte er es nicht zu Stande gebracht, darunter zu schauen und einen Blick zu riskieren, ob es sich wirklich, um die verschwundene Tiffany Morgan handelte. Stattdessen hatte er sich damit abgelenkt, die alte Fabrikhalle am Rande von Bexley zu untersuchen. Das Gelände lag nicht weit von den letzten Häusern entfernt, aber wohl weit genug, damit niemand die verzweifelten Schreie hören konnte. Und von denen, da war er sich sicher, hatte es viele gegeben. Das Blut, das teilweise durch die halbe Halle verteilt worden war, zeugte von den Qualen, die das Opfer vor seinem Tod noch hatte durchstehen müssen. Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld, dabei gingen sie von gerade einmal zwei Beteiligten aus. Wenn er sich das Ausmaß so ansah, war sich Tom aber nicht mehr so sicher. Kein einzelner Mensch war dazu in der Lage.
    Die Spurensicherung schien ebenfalls verzweifelt damit beschäftigt zu sein, keinen möglichen Beweis zu vergessen. Ein Wunder, dass sie wussten, wo sie anfangen sollten.
    „Sparks, kann ich Ihnen helfen? Sie sehen nicht gut aus.“ Finley McCarthy bedachte ihn besorgt. Bis eben hatte der Ermittler, der neben seiner Partnerin Marci Stanley und Grace, ebenfalls zu seinem Team gehörte, mit einem der Männer der Spurensicherung gesprochen, und sich genau erklären lassen, wie die Leiche gefunden wurde. Tom musste es nicht hören, um zu wissen, dass es kein erfreulicher Anblick gewesen war.
    „Alles super“, knurrte Sparks. Da hatte er Grace extra im Präsidium gelassen, damit sie in ihren jungen Jahren noch nicht mit einer solchen Abscheulichkeit konfrontiert wurde; und dann hatten Marci und Finley schon hier gestanden, als er ankam. „Dieser Kerl raubt mir nur noch den letzten Nerv!“
    Mit diesen Worten beugte er sich nach unten und griff entschieden nach der Plastikplane. Ein wenig zog er sie in die Höhe, gerade so weit, dass er das Gesicht der Toten erkennen konnte.
    „Dieser Klon muss komplett den Verstand verloren haben“, kommentierte Finley hinter ihm. Der rundliche Ermittler beugte sich an ihm vorbei und betrachtete das völlig entstellte Gesicht der Frau aus kritischen Augen, ehe er sich wieder abwandte und etwas auf seinem Handy notierte - wohl, um sich dem Anblick nicht länger auszusetzen. Was genau Finley tippte, wusste Tom nicht und für den Moment war ihm auch egal, dass der Polizist dieses neutechnische Zeug für seine Aufzeichnungen benutzte. Zu sehr brannten sich seine Augen in das tote Fleisch. Überall zeichneten sich Schnitte ab, von Blut verklebt und zum Teil wieder zusammengenäht. Der Mund war zu einem Joker-Lächeln zerschnitten und die Augen chirurgisch aus ihren Höhlen entfernt, soweit er das als Leihe beurteilen konnte.
    Sein Blick glitt kurz tiefer, aber auch am restlichen Körper sah es kaum besser aus. Der Bauch bot einen überflüssigen Blick ins Innere und auch hier wurden Gliedmaßen abgetrennt und notdürftig wieder angeflickt. Kein Wunder, dass ihr Blut durch die halbe Halle geflogen war.
    Betreten, deckte Tom Tiffany wieder ab. Sie war nicht nur getötet, sondern regelrecht hingerichtet und gefoltert worden. Es bestand kein Zweifel, dass es zwischen ihrem und dem Tod der anderen Frauen einen Unterschied gab. Der Killer hatte seinen Spaß an ihr ausgekostet. Seinen kranken Spaß. Es fragte sich nur warum. Persönliches Interesse?
    „Soll ich Mr. Morgan kontaktieren?“, fragte McCarthy mit leiser Stimme.
    Am liebsten hätte Sparks den Kopf geschüttelt. Nein, Tiffanys Mann wollte er diesen Anblick gern ersparen, aber leider kamen sie nicht darumherum. Er hatte ein Recht es zu sehen, zu erfahren, was mit seiner Frau passiert war.
    „Nein, ich werde das schon übernehmen.“ Es war immer wieder ein schreckliches Gefühl, einem Menschen zu sagen, dass selbst die Polizei nichts mehr hatte ausrichten können, dass sie zu spät gekommen waren und nur noch den Tod der Gesuchten feststellen konnten. Den Zorn des Zurückgebliebenen wollte er Finley ersparen. „Rufen Sie lieber im Präsidium an und fragen Grace, ob sie mit diesem Wissenschaftler Fortschritte gemacht hat. Sie haben über eine Möglichkeit debattiert, den Kerl ausfindig zu machen. Und sagen Sie Stanley Bescheid, dass sie die Umgebung auf den Kopf stellen sollen, vielleicht ist er noch in der Nähe.“
    Finley hob einen Finger. „Aber sie haben schon alles abgesucht.“
    „Dann sollen sie nochmal suchen!“ Sparks zückte sein Handy und stapfte wütend aus der Fabrik. Der Anblick von Tiffanys Überresten hatte selbst ihn als alten Hasen völlig aus dem Konzept gebracht.


    „Das hat er gesagt?“, fragte Evie. Ungläubig betrachtete sie Bumblebee.
    „Ja.“ Nick bewegte lediglich den Kopf zur Bestätigung. Er saß zwischen Joey und Carl auf der Kante des Bettes in dem Hotelzimmer, in dem sich die beiden Reporter niedergelassen hatten. Synchron folgten ihre Blicke der Journalistin auf ihrem Weg durch den Raum. Unruhig lief sie auf und ab und warf immer wieder die Arme in die Luft.
    „Das ist doch Blödsinn!“, beschwerte sie sich. „Kein Mensch kann das Wetter kontrollieren!“
    „Jahrzehntelang hat es auch keiner geschafft, einen lebensfähigen künstlichen Menschen zu erschaffen, der nicht die Intelligenz einer Zuckerrübe hat“, mischte sich Joey ein, wofür er sofort einen genervten Blick seitens seiner Kollegin erntete. „Ich meine ja nur", ruderte der Mann zurück.
    „Joey hat recht“, fuhr Nick dazwischen. „Niemand außer den Beteiligten weiß, was die beiden in diesem Labor zusammengerührt haben. Aber wir wissen, dass es ihnen gelungen ist, Klone herzustellen. BB ist der lebende Beweis dafür.“ Er machte eine ausschweifende Handbewegung zu Carls Abbild, der nur bescheiden nickte. „Und wer kann schon sagen, was sie dabei für Mutationen provoziert haben?“
    Evie blieb kurz stehen und betrachtete ihren Freund kritisch, ehe sie ungeduldig weiterlief.
    „Wo leben wir? In einem Fantasy-Roman? Sowas dürfte nicht möglich sein.“
    Joey und Nick warfen sich unschlüssige Blicke zu und zuckten die Schultern. Keiner von ihnen beiden wusste so recht, was er darauf antworten sollte. Evie hatte nicht unrecht. Es war unmöglich.
    „Einzig Mia weiß noch, was sie da angerichtet haben“, meinte Nick. Er unterdrückte das Stechen in seiner Brust, als bei der Erwähnung des Namens seiner einstmals besten Freundin, auch die Erinnerung an Anna zurückkehrte.
    „Und die sitzt komplett gestört in einer Anstalt“, ranzte Evie. „Zurecht!“
    „Ist sie wirklich so unzurechnungsfähig?“, fragte Joey an Nick gewandt. „Vielleicht kann man sie doch befragen. Sie kennt vielleicht einen Weg den Typen aufzuhalten.“
    Evie stoppte und kam dann mit viel Schwung auf den Journalisten zugelaufen. Das Gesicht zu einer grimmigen Maske verzogen, lehnte sie sich zu ihm und stierte ihm in die Augen.
    „Auf gar keinen Fall werden wir dieses Miststück um Rat fragen!“, zischte sie und tippte bei jedem Wort gegen die Brust ihres Gegenübers. „Sie hat dieses Ding erschaffen, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Sie ist irre und von allen guten Geistern verlassen! Nein, wir werden uns keinen Rat von einer Gestörten holen.“
    „Evie, es geht um das Leben von hunderten Frauen“, platzte Nick heraus. Auch er war nicht sonderlich begeistert von Joeys Vorschlag, aber Mia zu fragen, war von allen Möglichkeiten, die ihnen noch blieben, sicher nicht die schlechteste. „Und wer weiß, was dieser Kerl gerade mit Tiffany anstellt. Es ist wichtig, dass wir sie finden, und zwar lebendig.“
    Evie stellte sich wieder gerade hin, nahm den Blick aber nicht von den Männern.
    „Vielleicht sollten wir Ben anrufen“, mischte sich nun auch Carl ein. Bisher hatte er nur still neben ihnen gesessen und zugehört, wohl, um den Sinn des Gespräches überhaupt erst zu erfassen, hatte er wahrscheinlich schon wieder vergessen, warum sie hier waren. „Er ist noch in Bristol.“
    „Fall du mir nicht auch noch in den Rücken!“, stieß die Journalistin genervt aus. Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und die Schläfen und atmete dann einige Male tief ein und aus.
    „Ich werde mich darum kümmern.“ Nick erhob sich und marschierte aus dem Zimmer. Er wollte allein mit Ben reden. Evie war schon sauer genug, nun noch in ihrer Gegenwart über Mia zu fachsimpeln, machte es sicher nicht besser.

    So, nur ein winziger kurzer Teil, aber es geht immerhin erstmal weiter. Und mehr hätte ich da auch nicht schreiben können, bin jetzt schon gegen Ende immer mehr abgedriftet. xD



    London

    Aus neugierigen Kinderaugen beobachtete er wie die rote Flüssigkeit aus der frischen Wunde quoll, in kleinen Rinnsalen über die zarte Haut der Frau lief und schließlich zu Boden tropfte. Es hatte etwas Beruhigendes, wie dabei nicht ein Geräusch verursacht wurde. Ausschließlich sein Atmen war zu vernehmen.
    Er ließ sich zurückfallen und kreuzte seine Beine zum Schneidersitz. Das Messer in seiner Hand fand neben ihm einen Platz auf dem Boden. Die letzten Stunden waren ein Auf und Ab gewesen und langsam spürte er die Folgen der vielen schlaflosen Nächte. Aber das würde sich ab heute ändern. Nun konnte er wieder ruhig schlafen und seine Träume genießen.
    Ein Blick auf das leblose Fleisch vor ihm, brachte den Klon erneut zum Schmunzeln. Sie hatte gekämpft, sich gegen ihn gewehrt und bis zum Schluss hatte sie leben wollten. Aber letztendlich war er stärker gewesen. Wie immer. Niemand konnte ihn übertreffen, am Ende gewann er.
    Er sah auf seine Hände. Blut klebte an ihnen. Rot leuchteten sie und zeugten von seiner Tat. Plötzlich kehrten ihre Schreie in seinen Verstand zurück. Wie sie um Hilfe kreischte und um Gnade winselte. Ja, von all seinen Opfern war Tiffany diejenige gewesen, die sich am meisten gegen ihn aufgebäumt hatte, aber nur, weil er es ihr erlaubte. Er hatte ihren Überlebenswillen sehen wollen und wie er aus ihren Augen verschwand. Es war ein schöner Moment gewesen.
    Ein amüsiertes Lachen überkam ihn. Es schallte an den Wänden wider und vertrieb Tiffanys Stimme aus seinem Kopf. Immer lauter und immer hysterischer wurde es, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen. Die Bauchmuskeln brannten und die Luft wurde ihm knapp, doch er lachte weiter, befreite ihn der Schmerz von all seinen Zweifeln, die bis zum letzten Schnitt in ihm gekeimt hatten.
    Erst als sich seine dunklen Augen auf Tiffany fixierten, beruhigte er sich wieder.
    Wie ein Kunstwerk lag sie vor ihm, schlief auf ewig in purpurner Farbe. Er war der Künstler, der aus etwas Schlichtem etwas Atemraubendes geformt hatte. Als Geschenk an seine Brüder und als Warnung an all diejenigen, die ihm in den Weg treten wollten.
    Sein Blick verfinsterte sich und das Grinsen verschwand gänzlich aus seinem entstellten Gesicht. Diese Frau und der Mann, die ihm Tiffany hatten wegnehmen wollen, auch sie mussten noch bestraft werden. Jeder, der ein Monster schützte, musste dafür bezahlen.
    Das Lächeln kehrte zurück, noch böswilliger als zuvor und ein mörderischer Glanz glimmte in seinen Augen auf. Er würde sie ausfindig machen und auf seinen Moment warten. Niemand trat ihm in den Weg und kam ungeschoren davon. Niemand. Auch, wenn er für sie sein Schema ändern musste.
    Der Klon erhob sich und warf noch einen letzten Blick auf Tiffany. Von der einstigen Schönheit war nichts übrig geblieben; die Kleidung zerrissen, die reine Haut mit seinen Zeichnungen übersät und das Gesicht unter frischem und bereits vertrockneten Blut verborgen. Zu gern wäre er dabei, wenn ihr Mann sie so sah. Neu und nicht mehr wieder zu erkennen. Sie hatte ihm gehört, und mit jedem Mahl, das er ihr zugefügt hatte, war sie mehr zu einem Teil von ihm geworden. Ob ihr Mann ihn dafür beneiden würde, dass er bis zum letzten Atemzug bei ihr war, er ihr geholfen hatte, ihrer schrecklichen Erscheinung zu entkommen?
    Das Messer wieder an seinem Gürtel verstauend entfernte er sich langsam von seiner Spielwiese. Es wurde Zeit, dass er Schlaf nachholte und sich anschließend einen neuen Spielkameraden suchte.
    Er griff in die Tasche seines Hoodies und umgriff die beiden feuchten Objekte im Inneren. Langsam zog er sie heraus, wollte er sie auf keinen Fall zerstören. Zu viel Arbeit hatte es gekostet, sie zu bekommen.
    Aus glänzendem Rotrosa schimmerte ihm das helle Blau des Himmels entgegen.
    Ja, Tiffanys Mann wäre neidisch auf ihn, denn das Beste behielt er für sich. Die Augen einer Bestie in der Gestalt eines Engels.

    So, Jahre später, geht es auch hier endlich mal weiter. ^^

    Obwohl mir die Ermittlungen etwas laienhaft vorkommen. Irgendwie sind es nur ein paar Leute, die da ein bisschen schnüffeln. Wo ist die Polizei, wo sind die modernen Methoden?

    Miri und ich haben uns beratschlagt. Und zwar hat Miri jetzt im letzten Teil hinzugefügt, dass Tom Sparks und Grace nicht allein an dem Fall arbeiten, wäre ja dumm, aber wir haben da irgendwie gar nicht dran gedacht.
    Grace und Tom haben ein Team hinter sich, die an dem Fall arbeiten. Die beiden sind die einzigen, die an diesem Fall arbeiten und derzeit im Präsidium sitzen und dort suchen, während die anderen Vorort unterwegs sind. (Wird in meinem Teil geklärt - wobei auch gleich das restliche Team vorgestellt wird) Ich hoffe, wir bekommen noch die Kurve, damit wir nicht wieder auf der Stelle treten und die Polizei bildlich gesehen in der Nase bohrt und abwartet, was der Typ als nächstes macht. :D


    Kapitel 32
    Unser Team

    Grace hing in ihrem Stuhl und beobachtete mit halbgeschlossenen Augen ihre Kollegen. Kurz nachdem Tom sie geweckt hatte, war auch der Rest ihres Teams wieder eingetroffen. Sie hatten den ganzen letzten Tag und anscheinend die halbe Nacht damit verbracht, das Haus von Tiffany und ihrem Mann auf den Kopf zu stellen. Dieser und die Tochter waren vorerst in einem Hotelzimmer untergebracht und standen unter Beobachtung. Nicht, dass man glaubte, der Mörder könnte es auf die beiden abgesehen haben, aber Tiffanys Mann hatte mehr als einmal deutlich gemacht, dass er der Polizei nicht mehr über den Weg traute und lieber alles selbst in die Hand nehmen wollte. Sie mussten also darauf achten, dass er nichts Unüberlegtes tat.
    Außerdem gab ihnen die Abwesenheit der restlichen Familie Zeit, das Haus noch einmal gründlich zu prüfen. Die Spurensicherung und jeder freie Ermittler, der nicht gerade an einem anderen Fall beteiligt war, hatte so die Nacht am Tatort verbracht, alles gesichert, was nach einem Beweis aussah und Nachbarn befragt.
    Grace gähnte ausgiebig und nahm den letzten Schluck ihres Tees. Sie war müde und langsam zerrte es an ihrer Kraft, dass sie seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen hatte, aber scheinbar ging es den anderen ähnlich. Die mürben Gesichter ließen ebenfalls darauf schließen, dass sie nicht sonderlich erfolgreich waren. Sie hatten das bisschen mickrige DNA, die unter Tiffanys Fingernägeln war und die sie schon zu diesem Klon geführt hatte, aber mehr hatte der Mörder nicht hinterlassen. Auch die Fahndungsfotos in den Medien bewirkten bisher nichts, obwohl es auch noch zu früh war, darüber zu urteilen. Lediglich zwei Stümper hatten angerufen, die meinten, den Mann gesehen zu haben. Aber die Vorortermittlung ergab schließlich, dass es sich lediglich um eine Witzmeldung von zwei betrunkenen Teenies gehandelt hatte. Und so wirklich glaubte sie auch nicht an den Erfolg der Fahndung. Wenn der Killer so aussah, wie der Klon Bumblebee, mit Narben im Gesicht, dann war er sicherlich nicht so dumm, sich zu zeigen. So etwas prägte sich ein. Er lebte und arbeitete mit Sicherheit im Untergrund und nur dort würden sie ihn finden. Aber die Menschen in den dunklen Winkeln von London waren sicher alles andere als bereit, der Polizei zu helfen.
    Ob sie mehr Erfolg gehabt hätten, wenn sie und Sparks ebenfalls mit dem Team im Haus gearbeitet hätten?
    Grace schüttelte den Kopf. Wohl kaum. Jeder von ihnen war fähig und brauchte niemanden, der jeden Schritt genau kontrollierte. So kamen sie niemals voran.
    Aus diesem Grund hatten Sparks und sie die Nacht im Präsidium verbracht, alte Akten gewühlt und das Archiv nach ähnlichen Fällen durchsucht. Sie selbst hatte sich irgendwann mehr auf Zeitungsartikel spezialisiert, die sich um den Klon Bumblebee drehten. Wenn der Killer wirklich dessen Bruder war, dann fanden sie vielleicht auf diesem Weg Hinweise auf dessen Aufenthalt oder zumindest nach was genau sie suchen mussten. Viel gab es nicht zu ihm, was ihre Euphorie schon wieder dämpfte, aber vielleicht bekam sie bei einem Gespräch mit dem jungen Klon mehr heraus. So langsam krallte sie sich an jeden Strohhalm, den sie finden konnte. Wie einen Mörder fangen, der keine Spuren hinterließ? Er schien ihnen immer einen Schritt voraus.
    „Grace, du solltest auch mal nach Hause gehen und richtig schlafen, du siehst furchtbar aus.“
    Die Polizistin sah auf und betrachtete den Mann mit dem speckigen Mopsgesicht. In einem weißen Hemd stand er vor ihr und sah sie aus seinen hellblauen Augen schelmisch an. Finley McCarthy. Der etwas rundliche Ermittler war Teil ihres Teams und wirkte nicht weniger erschlagen wie jeder andere auch, dennoch schien er Zeit für sein albernes Grinsen zu haben. Er war ein guter Polizist, der mit seiner lockeren Art ein Händchen dafür hatte, Situationen aufzulockern. Aber sie war dennoch froh, dass er die Nacht nicht im Präsidium, sondern bei den anderen im Haus verbracht hatte.
    Und wann war es eigentlich zur Angewohnheit geworden, sie mit Vornamen anzusprechen?
    Seufzend rieb sie sich über das Gesicht.
    „Ich kann nicht nach Hause gehen“, meinte sie. „Nicht, bevor wir keinen Erfolg hatten, bis dahin kann ich sowieso nicht schlafen.“ Sie setzte sich in ihrem Stuhl aufrecht und versuchte so die Müdigkeit abzuschütteln. „Habt ihr im Haus wirklich nichts gefunden?“
    Das Schmunzeln verschwand aus dem Gesicht von McCarthy und stattdessen blies er die Wangen auf, wodurch er nur noch dicker wirkte.
    „Wir haben im Garten niedergetrampeltes Gras hinter dem Schuppen und einen Teilschuhabdruck sichergestellt. Die Spurensicherung und das Labor sitzen jetzt dran.“
    „Das wird wohl nichts bringen“, meinte Grace niedergeschlagen, über diesen nutzlosen Fund. „Der Kerl ist so vorsichtig, der wird nicht plötzlich seltene Markenschuhe mit Seriennummer tragen.“
    Eine Akte landete auf ihrem Tisch und McCarthys Partnerin, Marci Stanley, setzte sich auf die Tischkante.
    „Hoffen wir, dass die Gerichtsmedizin etwas an der Leiche des toten Streifenpolizisten findet“, sprach sie mit bitterem Unterton. „Denn sonst haben wir wieder nichts und können nur auf das nächste Opfer warten.“ Die Dunkelhäutige zupfte das Haargummi von ihrem Handgelenk und band die kleingelockten Strähnen nach hinten. „Habt ihr irgendwas?“
    Grace wollte eben den Mund öffnen, als Sparks hinter sie trat und die Packung mit den Donuts auf den Tisch stellte.
    „Ja, wir haben irgendwo ein Leck“, grummelte er mit seiner üblichen Stinklaune. „Der Bäcker gegenüber wusste von den Journalisten. Und er hat es wohl von anderen erfahren.“
    McCarthy und Stanley sahen sich mit gerunzelter Stirn an.
    „Aber die Einzigen, die davon wussten, sind unser Team, der Chef, naja und die Zeugen“, stellte Stanley fest.
    „Glaubt ihr die beiden Journalisten haben sich selbst verquasselt?“, warf McCarthy ein.
    „Da es keiner von uns war, muss es ja wohl so sein“, schimpfte Sparks. „Damit haben sie sich selbst in Gefahr gebracht.“
    Grace legte ihre Hand ans Kinn und folgte der Diskussion nur noch mit halbem Ohr. Sie konnte nicht so recht glauben, dass die beiden etwas nach außen getragen hatten. Sie waren Journalisten, ja, aber das machte sie noch lange nicht so sensationsbesessen, dass sie alle Vorsicht von der Klippe direkt in die Gischt stießen.
    „Der Klon, Bumblebee, wurde von einem Polizisten aus Bristol begleitet. Er ist mit Kelley und Jones befreundet. Ich glaube also, die beiden wissen, was auf dem Spiel steht und würden nicht leichtgläubig alles an die Öffentlichkeit tragen“, mutmaßte sie. „Wir können sie ja fragen, wenn sie nachher kommen.“
    Von drei Seiten wurde sie teils skeptisch, teils unverständlich und teils zustimmend gemustert, was sie nur die Schultern zucken ließ.
    Sparks seufzte.
    „Das ändert nichts daran, dass Sachen nach außen drangen, die uns noch hätten helfen können. Das nimmt uns auch noch den letzten Trumpf.
    „Sehen wir das Gute“, begann McCarthy mit einem schiefen Grinsen. „Im Notfall können wir die beiden auch noch als Köder für den Täter benutzen.“
    Finster wurde er für die Aussage von Sparks gemustert.
    „Wir werden keine Zivilisten in Gefahr bringen.“
    „Sollten wir nicht, nein“, Stanley zog einen Stuhl heran und setzte sich, Lehne voran, darauf. „Aber denkt mal nach“, setzte sie an, „wir können den Mörder nicht schnappen, indem wir ihm nachjagen. Also wäre es doch eine Überlegung wert, ihn dorthin zu locken, wo wir ihn haben wollen und ihn so zu provozieren, dass er Fehler macht.“
    „Man könnte den Druck mit noch mehr Fahndungsersuchen auf der Straße erhöhen“, schlug McCarthy vor, „auch, wenn er sein Gesicht immer verbirgt und ihn niemand gesehen hat, könnte ihn das in die Ecke treiben.“
    Stanley nickte. „Tiere, die in der Ecke sitzen, neigen zu unbedachten Handlungen.“
    „Glücklicherweise habe ich die Befehlsgewalt über das Team“, meinte Sparks. „Und ich werde sowas nicht zulassen. Das sollte unsere letzte Idee sein.“
    „Also sollen wir warten, bis man Mrs. Morgen tot auffindet?“, fragte Stanley. „Die Idee ist natürlich viel besser.“
    McCarthy legte ihr eine Hand auf den Arm.
    „Polizeistreifen durchkämmen das ganze Gebiet um Mrs. Morgens Wohnhaus. Aber wenn er nicht gefunden werden will, wird man ihn auch nicht finden, dafür ist der Kerl zu schlau. Der einzige Weg ist es, ihn herauszulocken.“
    „Kommt nicht infrage“, wetterte Sparks weiterhin dagegen.
    Grace war unschlüssig, zu wem sie halten sollte. Natürlich hatten Stanley und McCarthy Recht, aber dafür einen Zivilisten in Gefahr bringen? Oder sogar mehrere? Rechtfertigte das die eventuelle Festnahme des Mörders? Und was war, wenn er es wieder schaffte, sie auszutricksen, Miss Jones und Mr. Kelley dabei starben und ihr Killer wieder entkam? Dann war alles umsonst und sie hatten weitere Opfer zu verbuchen. Sie brauchten endlich einen konkreten Hinweis, einen Durchbruch, sonst würde ihr Team auseinanderfallen. Und Vertrauen untereinander war die Voraussetzung für diesen Beruf.
    „Ich werde mal bei Tucker vorbeisehen“, meinte sie. Der alte Greis saß im Keller des Gebäudes und kümmerte sich um die Autopsie der Leichen sowie um psychologische Unterlagen zu den Tätern. Sie hatte ihn beauftragt, die neusten Erkenntnisse zu seinem Gutachten über den Mörder hinzuzufügen. Sie mussten wie ein Serienkiller denken, um diesen zu finden.

    London, ein altes Fabrikgelände außerhalb der Stadt

    Er saß in einer Ecke der leeren Lagerhalle, die Hände in den Taschen seines Hoodies vergraben. Seine Beine hatte er angezogen und das Gesicht im Schatten der Kapuze versteckt. Er hasste den roten Stoff seines Oberteils. Es machte ihn wütend und doch schien es ihm so vertraut. Blut hatte die gleiche Farbe wie sein Hoodie, wenn es frisch aus den Adern floss und sich über den Boden verteilte. Und dennoch konnte er den Anblick des Teils nicht ertragen. Schon die ganze Zeit rang er mit sich, etwas anderes anzuziehen, zurück zu seinem braunen oder schwarzen Hoodie. Aber das ging nicht mehr. Er hatte die Kleidungsstücke verbrennen müssen. Vollgesogen mit Blut hatten sie ewig gebraucht, um vollständig zu Asche zu verfallen. Nun hatte er nur noch diesen einen. Aber er durfte keine Spuren hinterlassen, nicht noch mehr. Und verbrennen war die beste Möglichkeit.
    Er schloss die Augen und atmete einige Male tief durch. Dabei lauschte er auf seine Umgebung, zog den Geruch der Lagerhalle in die Nase. Es roch nach Dreck, Schimmel und abgestandenen Wasser. Kein Wunder. Immerhin klaffte ein riesiges Loch in der Decke, durch das immer wieder der Regen sickerte. Auch jetzt war das leise Trommeln der Tropfen auf dem Wellblech zu hören. In einiger Entfernung fielen sie in die Halle und wurde von einer Pfütze in Empfang genommen. Das Geräusch beruhigte, machte beinahe abhängig. Wäre da nicht dieses Schniefen und Wimmern gewesen.
    Er öffnete seine Augen und sah zu dem Stuhl, der noch immer in der Mitte des Raumes stand. Darauf saß unverändert sein wunderschönes Opfer.
    Ihr Gesicht war geschwollen und mit rotblauen Flecken überzogen. So oft hatte er sie geschlagen und jedes Mal hatte sie jammernd um Gnade gefleht. Doch die wollte er ihr nicht gönnen. Er hatte immer weiter zu geschlagen, bis es ihm zu langweilig geworden war.
    Das vorher strohblonde Haar wirkte matt und von blutigen Strähnen durchzogen. Platt klebte es ihr im Gesicht. Es war beinahe schade, dass er es ihr büschelweise ausgerissen hatte.
    Ihre einfache Kleidung war zerrissen und ebenfalls von Blut durchtränkt. Einfache Verbände hielten die gröbsten Verletzungen zusammen und sorgten dafür, dass sie nicht verblutete. So schnell wollte er sie nicht sterben lassen. Und eine Ohnmacht kam nicht infrage. Sie sollte miterleben, was er mit ihr machte. Alles.
    Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Er hatte noch nie ein Spielzeug wie sie gehabt. Es bereitete ihm Freude ihr Schmerzen zuzufügen. Wenngleich sich immer dieses Gefühl einmischte, wenn er ihr zu nahe kam. Ein Kribbeln, als hatte er einen ganzen Ameisenhaufen verschlungen. Zum einen gefiel es ihm, ließ ihn ahnen, wie andere Menschen fühlten, aber zum anderen machte es ihn wütend. Sie war der Teufel, sie hatte verdient, was er tat, so wie alle anderen vor ihr auch. Was also war an ihr anders? Nichts! Sie war ebenso verdorben wie andere. Er durfte keine positiven Gefühle haben. Nicht bei ihr. Nicht bei dieser Hexe.
    Er nahm die Hände aus den Taschen und stemmte sich an der Wand nach oben. Wieder spürte er dabei den Schmerz in seinen Knien. Seine Flucht vor der Polizei hatte ihm eine Menge körperlicher Kraft abverlangt. Eine Kraft, die er nur noch mit Mühe hatte aufbringen können.
    In krummer Haltung, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, schlurfte er auf Tiffany zu. Je näher er kam, desto mehr drang ihm der Geruch von Blut in die Nase. Ihrem Blut. Sie roch so verführerisch und er war sich sicher, dass sie darum wusste.
    Tiffany zuckte zusammen und drehte das Gesicht von ihm weg. Schlaff hing ihr Kopf auf der Brust und beinahe hätte man annehmen könnten, sie hätte den Lebenswillen verloren, doch er spürte ihre Angst, konnte sie förmlich greifen. Jemand, der mit seinen Leben abgeschlossen hatte, war frei von Angst. Ebenso wie die Frauen vor ihr. Keine hatte sich mehr gewehrt. Keine war es überhaupt wert gewesen, sich länger mit ihnen zu beschäftigen. Nein, Tiffany war besonders.
    Er war sich sicher, dass seine Gefühle davon kamen.
    „Gut geschlafen?“, fragte er. Sie gab keine Antwort, sah einfach weiter auf den Boden, als hatte sie ihn nicht gehört. Wut überkam ihn, durchfloss ihn wie heißes Magma.
    Seine Hand fuhr aus seinem Hoodie und griff in die verkrusteten Haare. Ohne eine Warnung riss er daran, zerrte sie nach hinten, sodass Tiffany ihm ins Gesicht sehen musste.
    „Ich habe etwas gefragt“, blaffte er.
    Trotzig wandte Tiffany ihre Augen ab, ließ sie in eine andere Ecke der Halle wandern. Eine einzelne Träne rann ihr über die Wange, mehr passierte nicht. Sie ignorierte ihn.
    Der Zorn überkam ihn und vor seinen Augen verschwamm die Welt, wurde in ein schmutziges Rot getaucht. Genauso dreckig wie das Blut auf dem Boden der Halle, genauso nervtötend wie der Stoff seines Hoodies. Sie sollte ihm antworten, ihm gehorchen, ihm mit Respekt begegnen. Doch sie tat es nicht. Zwar flehte sie um ihr Dasein, doch sie hörte auf keines seiner Worte.
    Ein gellender Schrei hallte von den Wänden wider - laut, markerschütternd und voller Schmerz. Dann war es ruhig.
    Er trat einen Schritt zurück, betrachtete zitternd sein Werk.
    Schluchzend saß sie im Stuhl, den Kopf gesenkt. Eine lange Wunde zierte nun ihren rechten Arm. Blutig erstreckte sich der Schnitt von der Schulter bis zum Ellenbogen. Er war größer, als alle bisherigen Verletzungen.
    Wie besessen betrachtete er die rote Flüssigkeit, die an ihrem Körper hinablief und auf den Boden tropfte. Es klang beinahe wie das Platschen des Regens, nur viel schöner.
    Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken und Befriedigung überkam ihn. Ihm wurde heiß und kalt.
    Die Augen weiterhin auf die Wunde gerichtet, umgriff er sein Messer um einiges fester. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er es aus der Tasche genommen hatte, doch nun gab es ihm Halt und die nötige Kraft, sein Zittern unter Kontrolle zu bringen.
    „Du wirst bereuen, mir nicht geantwortet haben.“
    Er umlief den Stuhl und löste den Kabelbinder, mit dem ihre Hand gefesselt war. Schlaff hing der verletzte Arm nach unten, bevor er zuckte und nach ihm schnappen wollte. Doch er war schneller und fischte die Gliedmaße aus der Luft. Eisern hielt er Tiffany am Handgelenk und drehte den Arm in ihr Blickfeld.
    Ein irres Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Das Resultat seiner aufgewühlten Gefühle. Er wollte noch mehr Befriedigung, viel mehr.
    Sie wehrte sich, wollte sich losreißen, doch die Verletzungen und der Blutmangel hatten sie ausgezehrt. Aber auch im gesunden Zustand wäre sie nicht gegen seine Stärke angekommen, dafür hatte man seine Muskeln zu sehr manipuliert. Er war übermächtig. Ja, und das würde er sie spüren lassen. Erneut.
    Für einen Moment erstarb ihre Gegenwehr, als er sein Messer an ihren Zeigefinger legte. Ihre Augen weiteten sich. Schrecken breitete sich aus und ein grauer Film legte sich über das atemraubende Blau.
    „Nicht!“, schrie sie und versuchte wieder sich aus seinem Griff zu befreien. Verzweiflung brüllte aus ihrer Seele und erfüllte ihn mit Genugtuung.
    „Schau hin“, flötete er amüsiert. Er separierte den Finger von den anderen, hielt ihn mit der freien Hand an der Kuppe fest, und legte das Messer an die Vorderseite, sodass auch Einknicken das Unvermeidbare nicht mehr abhalten konnte. Seinen Fuß stemmte er in ihre Armbeuge, um ihre Bewegungen zu beruhigen und um mehr Kraft aufwenden zu können.
    Spannung und Vorfreude strömten durch seine Adern. Wie einem Buben am Gabentisch, schien ihn die Begeisterung zu übermannen.
    Er zog den Finger nach vorn und drückte mit Fuß und Messer gegen das Fleisch.
    Dann lachte er auf, als von Tiffany ein ohrenbetäubender Schrei ertönte und an den Betonwänden tausendfach zu ihm zurückschallte. Sein Herz machte einen Satz und alle Aggression wich aus seinem Körper, machte einer Glückseligkeit Platz.
    Dann hielt er ihren Finger in seiner Hand.

    Kapitel 29
    Grace Hemmingdale

    Grace erwachte, als sie den Schmerz in ihrem Genick wahrnahm. Flatternd öffnete sie die Lider und musste feststellen, dass sie mit dem Kopf auf dem Tisch eingeschlafen war, direkt auf den Fallakten, die sie am Abend noch durchgehen wollte. Dass sie schon mehrere Nächte nicht mehr geschlafen hatte, zeigte langsam seine Spuren. Nicht nur, dass sie so aussah, sie fühlte sich auch wie ein nasser Lappen, den man achtlos in die Ecke geworfen hatte.
    Sie setzte sich langsam auf, bemerkte dabei aber, wie ihr Hals und auch ihre Seite höllisch wehtaten. Als wäre sie in eine Steinlawine geraten. Es war nicht schwer festzustellen, wer von ihnen diese Auseinandersetzung gewonnen hatte.
    Ein tiefes Gähnen überkam sie, als sie sich im Büro umsah. Es schien noch recht zeitig am Morgen zu sein, denn außer ihr waren nur drei weitere Beamte im Raum. Ebenso wie sie, hingen sie über Akten oder tippten Berichte an ihrem Computer.
    Der kurze Blick auf ihre Armbanduhr bestätigte ihre Vermutung. Es war gerade einmal fünf Uhr in der Früh. Ihr regulärer Feierabend lag nun schon mehrere Stunden zurück, aber daran war im Grunde nicht zu denken. Sie hielt den Gedanken einfach nicht aus, allein in ihrer Wohnung zu sitzen und dort ruhig zu schlafen, während zwei ihrer Kollegen im Krankenhaus lagen und einer den Tod gefunden hatte. Es war schrecklich zu was dieser Killer imstande war. Eingebrochen in ein gesichertes Gebäude mit mehreren Wachposten. Sie wusste, sie hätten noch Sicherheitskameras installieren müssen.
    Grace stützte den Kopf in die Handfläche.
    Wahrscheinlich hätten auch Kameras gegen diesen Wahnsinnigen nichts gebracht. Mrs. Morgen wurde entführt und die Polizei hatte nur untätig dabei zusehen können. Sie fühlte sich wie ein Mitglied des Zirkus, die Lachnummer, der man auf der Nase herumtanzen konnte.
    Sie hatten es mit einem äußerst gefährlichen Mann zu tun. Oder sollte sie lieber sagen, einem gefährlichen Klon? Da hatte man endlich die nötige DNA gefunden, um den Mörder zu identifizieren und dann kam so ein Humbug heraus. Sie hatte zwar schon von dieser Sensation vor einem guten Jahr gehört, dass es tatsächlich gelungen war, einen menschlichen Klon zu erschaffen, aber nie hätte sie damit gerechnet, dass ihr Täter nun einer von ihnen war. Zumal es hieß, dass es nur einen überlebenden Klon gab. Woher also der neue? Die beiden Journalisten hatten ihnen auch nicht sehr viel darüber erzählen können, nur einige Kleinigkeiten, die sie wohl nicht weiterbringen würden. Zwar war Evie Jones bei der Befreiung der Klone dabei gewesen, aber von einem dritten Klon hörte sie auch das erste Mal. Vielleicht tappten sie mit der Annahme auch gerade völlig in die falsche Richtung und sie sponnen sich Dinge zusammen, die es so gar nicht gab. Immerhin begründete sich der Verdacht nur auf der Mutmaßung von den Journalisten und dem seltsamen DNA Ergebnis.
    Grace hoffte inständig, dass dieser Carl etwas mehr Licht ins Dunkle bringen konnte. Wobei er ihr tags zuvor am Flughafen auch nicht sonderlich gesprächig erschien. Im Gegensatz zu diesem Bumblebee, der trotz seines etwas makaberen Äußeren unglaublich intelligent wirkte.
    Ein leises Seufzen verließ ihre Lippen.
    Was hatte sie für Augen gemacht, als sie die beiden am Flughafen gesehen hatte. Zwar gab es winzige Kleinigkeiten, wie Größe und Narben, aber sonst schienen sie sich bis aufs Haar zu gleichen.
    „Erstaunlich“, murmelte sie, während sie sich erhob und mit gesenktem Kopf auf den Aufenthaltsraum zu schlurfte. Das kleine Kabuff am Ende des Raumes war seines Namens eigentlich nicht würdig. Es gab lediglich einen kleinen Tisch mit drei wackligen Stühlen und eine Kaffeemaschine, deren Garantie schon vor gut hundert Jahren abgelaufen war. Mal abgesehen von dem Kühlschrank, der seinen Inhalt zuverlässig auf Zimmertemperatur kühlte.
    Ein Blick hinein, verriet Grace, dass es nicht einmal einen Inhalt gab. Lediglich ein Päckchen Milch lümmelte in der letzten Ecke und schimmelte vor sich hin.
    Seufzend schloss sie die Tür wieder und watete auf die Kaffeemaschine zu. Darüber hing ein kleiner Schrank, den sie am provisorischen Griff – einem einfachen Holzdübel – öffnen musste.
    Sie brauchte dringend etwas Warmes, um die Kopfschmerzen zu verbannen. Am liebsten wäre ihr ein schöner heißer Tee gewesen, doch wie immer war keiner vorhanden. Manchmal fragte sie sich, wer ihr den geliebten Kräuteraufguß wegtrank. Auf dem ganzen Präsidium gab es nur Kaffeetrinker und somit keine Teediebe.
    Missmutig richtete sie also doch die Kaffeemaschine her und sah dabei zu, wie das braune Gesöff in die gläserne Kanne tropfte. Was hätte sie nicht alles für einen schönen Schwarzen Tee getan.
    „Hemmingdale?“
    Grace schreckte aus ihren Gedanken und sah ihren Partner mit großen Augen an. Der Mann hatte wohl dieselben dunklen Augenringe wie sie und einen grauen Dreitagebart, der ihn gut zwanzig Jahre älter aussehen ließ.
    „Was ist?“, fragte sie überrascht, glaubte sie doch, er hatte ihr eine Frage gestellt, während sie vor sich hingestarrt hatte.
    Sparks musterte sie jedoch nur, bevor er sich auf einen der Stühle fallen ließ. Ein Ächzen des Holzes zeugte von der jämmerlichen Existenz des Möbelstücks. Da hatten sie moderne Computerprogramme und Geräte, aber für einen klapprigen Stuhl hatte das Geld der Stadt nicht mehr gereicht.
    „Waren Sie die ganze Nacht hier?“, steuerte Sparks gegen ihre Frage und hob eine Augenbraue.
    „Ja, ich habe noch mal die Akten durchgesehen und den Bericht der Spurensicherung. Ich habe sogar im Labor angerufen. Die DNA Untersuchung war fehlerfrei, sie haben sogar mehrmals geprüft.“
    Grace blickte auf die Kaffeekanne, die nun genug Flüssigkeit für zwei Tassen beinhaltete. Geschickt fischte sie zwei saubere Tassen aus dem Regel neben dem Schrank und servierte dann Sparks einen großen Kaffee. Sich selbst goss sie nur die Hälfte ein.
    „Hoffen wir, dass uns der heutige Tag weiterbringt.“ Sparks nahm einen kräftigen Schluck der schwarzen Suppe und würgte ihn pur hinter.
    „Und ich dachte schon, wegen der DNA haben wir endlich einen Durchbruch, aber so wirklich voran kommen wir nicht.“ Grace ließ sich auf dem zweiten Stuhl sinken und legte ihren Blick in die Tasse.
    „Ich fragte mich, warum dieser Kerl so klug ist“, grummelte ihr Partner. „Wenn es wirklich stimmt, was diese komische Journalistin sagt – und daran glaube ich noch nicht mal – dann lassen wir uns von einem Einjährigen in den Arsch treten.“
    Grace drehte sich zu dem älteren Mann und beobachtete ihn eine Weile. Seine Mimik änderte sich bei jedem Wort und wurde noch finsterer. Sparks war eigentlich eine freundliche Persönlichkeit, dem die Arbeit als Polizist immer Spaß gemacht hatte, sogar in der Kriminalabteilung. Aber es war ihm anzusehen, dass ihm der jetzige Fall an den Nerven klebte wie Kaugummi an einem Schuh. Und dass seine jahrelange Erfahrung gegen die eines Kindes nicht ankam, schien ihm schwer zu schaffen zu machen.
    „Ich habe Carl und Bumblebee gestern vom Flughafen abgeholt“, begann Grace. „Ich muss sagen, dass dieser Bumblebee sehr intelligent vorkam, für sein Alter. Kindlich, ja, aber er konnte schon ziemlich gut reden, laufen, rennen und war auch größer, als ich mir laut seinem Alter gedacht habe.“
    Auf Sparks' Stirn bildete sich eine tiefe Furche, als er nun auch die zweite Augenbraue noch hochzog.
    „Ich glaube nicht, dass wir zwangsläufig davon ausgehen sollten, dass unser Mörder noch wie ein Kind aussieht. Kann er auch gar nicht, wenn er einfach so einen Polizisten überwältigt hat.“ Grace hatte keine Ahnung, ob sie diese Annahme in die richtige Richtung führte, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand von der Größe wie Bumblebee einen Erwachsenen umwerfen oder gar töten konnte. Keinen ausgebildeten Polizisten jedenfalls.
    „Ich denke nicht einmal, dass auf das Geschwätz dieser Journalisten viel Wert zu legen ist. Ich mache hier nur mit, weil mir langsam die Ideen ausgehen und sie unser einziger Anhaltspunkt sind.“ Sparks stieß sich den restlichen Kaffee in den Hals, dann stand er auf und schenkte sich an der Maschine eine zweite nach.
    „Hoffen wir, dass es keine Sackgasse wird“, meinte Grace. „Wir müssen Mrs. Morgen einfach finden, bevor er ihr etwas tun kann!“ Sie formte ihre Hand zur Faust.
    Sparks antwortete nicht, sondern sah nur nachdenklich über die vielen Bürotische, während er an seiner Tasse nippte.
    „Warum hat er sie entführt?“, brach er schließlich das Schweigen. Er nahm seinen Blick nicht vom Raum, stattdessen schien er sich an einem Punkt in einiger Entfernung festzubeißen. „Was hat ihn dazu veranlasst? Es wäre doch einfacher gewesen, sie Vorort umzubringen.“
    „Vielleicht wegen der Polizei? Er hatte vielleicht Angst erwischt zu werden“, mutmaßte Grace.
    „Blödsinn“, ranzte Sparks. „Er ist in das Haus eingebrochen und hat es mit ihr verlassen. Er hatte keine Angst, dass man ihn erwischt. Das hat ihm vielleicht einen Kick gegeben, aber Angst hatte er keine. Wenn er es gewollt hätte, hätte er sie auch dort umbringen können. Es wäre sogar viel unauffälliger gewesen.“ Sparks stellte seine leere Tasse in die Spüle.
    „Dann will er es vielleicht genießen?“, schwadronierte Grace weiter. „In aller Ruhe?“
    „Möglich.“ Sparks nickte wenig überzeugt. „Irgendwas muss sich geändert haben.“
    „Mrs. Jones und Mr. Kelley haben ihn in der Gasse doch überrascht. Er war sicherlich sauer und wollte es endlich zu Ende bringen.“
    „Wenn das wirklich der Grund sein soll, dann hätte er sie wirklich im Haus ermordet“, zerwarf Sparks den Gedanken. „Schon die Sache in der Gasse war unnötig. Bisher war er vorsichtig und plötzlich macht er so einen Fehler? Irgendwas muss ihn dazu getrieben haben.“ Grace sah dabei zu, wie ihr Partner zu seinem Platz lief und sich dort etwas aus einer Schublade nahm. Es sah aus wie ein kleiner Kosmetikbeutel. Wahrscheinlich würde er sich auf der Toilette vor den Spiegeln rasieren. Keine schlechte Idee, wie Grace fand. Auch sie konnte ein wenig Wasser im Gesicht und eine schnelle Katzenwäsche gebrauchen, bevor Mrs. Jones mit den anderen wieder auf dem Präsidium auftauchten.
    Mit den Gedanken immer noch bei Miss Morgen und dem Mörder, schüttete sie ihren mittlerweile kalten Kaffee in den Rachen und stellte die Tasse neben die ihres Partners. Irgendwer würde sich schon um den Abwasch kümmern.

    Eine Sache muss ich noch anmerken, die ich bei meinem letzten Kommentar vergessen hab: als der Mörder in Tiffanys Haus eingedrungen ist, hat er dem Polizisten mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Das sieht man immer wieder gerne in Filmen, hab beim Kampfsport aber gelernt, dass das Blödsinn ist, da man nie hart auf hart schlagen darf. Das weiß der Mörder nicht unbedingt, aber wenn er so zuschlägt, dann kann er sich dabei die Hand brechen. Unbeschadet kommt er da nur sehr unwahrscheinlich raus.

    Gut, dass du mich daran erinnerst. Da ich gerade den neuen Teil schreibe, kann ich das noch mit einbauen. Etwas Ähnliches habe ich schon dastehen, aber daran habe ich bisher keinen Gedanken verschwendet. Kommt davon, wenn man nur ein Jahr Kampfsport hatte und da nicht wirklich was aufgenommen hat. :)
    Ich danke und werde es einbauen. ^^

    LG, Kyelia

    Kapitel 26
    Gefangen

    Er beobachtete sie. Nicht einmal das schummrige Licht, das durch das vergilbte Fenster fiel, änderte etwas an dieser perfekten Schönheit. Die blonden Haare, die ihr wirr vom Kopf hingen und diese demütige Haltung. Sie war die Sonne in seinem düsteren Leben. Und gleichzeitig war sie der Ursprung seiner Finsternis.
    Er ging in die Hocke und legte den Kopf schief. Sie saß auf einem Stuhl, die Hände über die Lehne hinweg gefesselt und ihr Kopf lag schlapp auf der Brust.
    Von unten konnte er ihr Gesicht besser sehen. Diese Unschuld. Genau wie sie...
    Wie konnte etwas so Hübsches, so Zartes und Makelloses, nur so grausam sein? Er selbst war auch grausam, aber er war auch von Unschuld weit entfernt.
    Seine Bewegung war schwerfällig und sein Bein schmerzte, als er sich wieder erhob. Sein Sprint durch die Nacht war tödlich für seine Gelenke gewesen, aber das war ihm egal. Der Schmerz war erfrischend, belebend und er hielt ihn davon ab, etwas Unbedachtes zu tun. Noch.
    Einem hungrigen Raubtier gleich umrundete er sein Konstrukt. Er hatte Tiffany mitten im Raum platziert, damit er seine Taten später von allen Seiten bewundern könnte. Nichts sollte ihm in den Weg kommen. Nichts würde ihm in den Weg kommen. Davon war er überzeugt. Hier war er sicher. Hier würde ihn niemand finden. Hier fühlte er sich wie zuhause.
    Als er wieder vor ihr stand, griff er in die weichen Haare und riss Tiffanys Kopf in den Nacken. Sie sollte endlich erwachen, hatte er keine Lust mehr zu warten. Viel zu lang hatte er schon gewartet und jetzt wollte er seine verdiente Befriedigung.
    Ihre Lider flackerten, dann leuchteten ihm blaue Augen entgegen. Dieses Blau, das dem des Himmels so ähnlich war und bisher nie Leid gesehen hatte.
    Unendlicher Zorn überkam ihn, als sie sich zu wehren begann. Wie kam sie dazu, gegen seine Fesseln ankämpfen zu wollen? Sie durfte sich nicht wehren. Sie hatte nicht das Recht dazu! Wut überschwemmte ihn und färbte sein Sichtfeld rot. Er holte aus und rammte ihr seine Faust ins Gesicht. Ihr Kopf flog zur Seite. Noch während der Schlag in der kleinen Halle verebbte, verschwand auch seine Wut. Ihr Schluchzen befriedigte ihn. Es tat gut und löste jeden Gedanken aus seinem Kopf.
    „L-Lassen Sie mich gehen, bitte“, jammerte Tiffany. Ihre brüchige und raue Stimme war das Schönste, das er jemals gehört hatte. Es war Musik in seinen Ohren. Die Melodie des Schreckens. Tränen drangen ihr aus den Augen und bahnten sich einen Weg über ihre geröteten Wangen. „Ich habe Ihnen doch nie etwas getan.“
    Er entriss sich ihrem hypnotischen Anblick und schüttelte den Kopf. Seine Hände zitterten, als er einen halben Schritt zurücktat.
    „Lüge!“, brachte er heiser hervor.
    Die Tränen wurden mehr und ihr Gesicht verzweifelter. „N-Nein, ich … “
    „Schnauze!“, brüllte er. Tiffany zuckte zusammen und schluchzte auf, dann herrschte Ruhe im Raum.
    Nur seine Schritte waren zu hören und hallten von den schmutzigen Wänden zurück. Er lief hin und her, plante seine weitere Vorgehensweise. Dabei zog er das Messer aus seinem Gürtel und beobachtete mit Genugtuung, wie sich Tiffanys Augen weiteten und Schrecken darin lag. Sie hatte Angst vor ihm und es war diese Angst, die er wollte. Das und ihr Blut.
    „B-Bitte“, wimmerte sie, doch er ignorierte ihr Flehen. Zu sehr und zu groß war seine Gier angeschwollen. Er wollte sie und konnte nicht mehr darauf verzichten.

    ****


    Ben stieß seinen Freund in die Seite. Dieser gab jedoch nur ein Murren von sich und drehte sich auf die andere Seite. Schon seit Tagen lag den Polizist in seinem Bett und kam nicht mehr ans Licht. Langsam wurde er diesem Verhalten überdrüssig. Immerhin schlief der Anwalt schon die ganze Zeit auf seinem Sofa. Er hatte das Gefühl in seinem eigenen Apartment als Gast zu leben.
    „Mensch, Nick. Dann hat dir dein Boss eben den Fall entzogen, aber das ist noch lange kein Grund, sich jetzt so gehen zu lassen.“ Mit verbittertem Gesicht versuchte Ben dem Mann die Decke wegzuziehen, doch dieser krallte sich daran fest, als würde es um sein Leben gehen.
    „Ich bin nicht mal gut genug, um Handtaschendiebstähle aufzuklären“, jammerte Nick in das Kissen.
    Ben schlug sich die Hand vor den Kopf. Dieser kümmerliche Haufen voller Versagen brachte ihn noch zur Weißglut. Was sollte er mit dem Kerl noch anfangen?
    Der Klingelton seines Handys lenkte die Aufmerksamkeit von Nick auf das kleine Gerät.
    „Wie du willst, dann verschimmel eben hier“, meinte er, während er die grüne Taste wählte. „Evie, was ist?“, richtete er dann seine Stimme an die Journalistin, sein Blick blieb jedoch strafend auf den Polizisten gerichtet.
    „Sie hatte Recht!“, rief Evie so laut in den Hörer, dass er das Gerät etwas vom Kopf weghalten musste. „Sie hatte wirklich Recht!“
    Ben runzelte die Stirn. Drehten in seinem Umfeld nun alle durch? Erst Nick, der sich seit Tagen in seinem Bett einquartiert hatte und nur noch vor sich hin schmollte. Und jetzt auch noch Evie, die ihm hysterisch irgendwelche zusammenhangslosen Sätze um die Ohren warf. Manchmal glaubte er, dass auch er nicht mehr weit von einer psychiatrischen Anstalt entfernt war.
    „Evie, jetzt beruhige dich mal, ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst!“ Von der anderen Seite war ein Rascheln und Rauschen zu hören. „Wer hat Recht?“, fragte er.
    „Mia“, erklang es flüsternd. „Mia! Mia!“ Die Journalistin brüllte den Namen schon beinahe.
    Dann war es ruhig. Und Ben nutzte die Stille, um in seinen Erinnerungen zu forschen, was Evie meinte.
    Neben ihm wühlte sich der deprimierte Polizist aus seiner Decke. Dunkle Haarstoppeln schoben sich unter der Decke hervor, dann sah Nick ihn nachdenklich an.
    „Was ist mit Mia?“, fragte er.
    Ben wiegte grübelnd den Kopf, während er den Waliser musterte.
    „Ich hatte letztens ein äußerst merkwürdiges Gespräch mit ihr“, murmelte er dann.
    „Evie“, wandte er sich dann wieder an seine Freundin. „Du willst mir doch nicht sagen, dass es wirklich stimmt, was die da vor sich hingequasselt hat? Du meintest doch auch, es wäre völliger Blödsinn!“
    „Das dachte ich auch“, Evie klang plötzlich erschöpft, fast, als hätte sie seit Tagen nicht mehr geschlafen. „Aber man hat DNA gefunden und die passt zu Carl.“
    „Was, zu Carl?!“ Ben straffte seine Haltung. Das war unmöglich. Der Mann war die letzten Wochen immer in Bristol gewesen. Man hätte gemerkt, wenn er nach London gefahren wäre. Wenn nun aber Mia wirklich nicht im Wahn gesprochen hatte, dann würde das bedeuten, dass die DNA zu …
    „Dann ist dieser Mörder tatsächlich ein Klon?“
    Nick sprang förmlich in eine aufrechte Sitzposition und starrte Ben erschrocken an. Von seiner Lethargie waren nur noch die dunklen Augenringe und ein verwilderter Bart übrig.
    „Ein Klon?“, stieß er aus. „Das kann nicht sein. Ich habe den einen erschossen und Bumblebee war immer bei uns oder Carl.“
    Ben erhob sich und lief unruhig durch das Zimmer. Da konnte er nicht widersprechen.
    „Ist man sich sicher, dass die DNA von ihm kommt?“, fragte er Evie.
    „Ja“, kam es einsilbig zurück.
    „Dann gab es einen dritten Klon?“ Nick sah ihn verstört an. Doch Ben wusste genauso viel wie die anderen. Von einem dritten Klon war nie die Rede gewesen. Er war immer davon ausgegangen, dass Bumblebee der einzige Überlebende war.

    Es freut mich, dass dir die Teile gefallen. ^^

    Zu deinen Kriterien:

    1. Warum gehen sie davon aus, dass er es nicht ins Haus geschafft hat? Da liegt eine Leiche auf der Türschwelle. Zumindest sollte jemand mal überprüfen, ob mit Tiffany alles okay ist und zwar jemand anderes als der Ehemann. Eigentlich müssten sie sogar alle Zimmer durchsuchen oder die Bewohner an einem sicheren Ort versammeln.

    Du hast recht. :hmm: Ich schau mal, dass mir an der Stelle noch ein paar glaubwürdige Sätze einfallen. Damit das klarer wird. Die Polizisten haben natürlich schon jedes Zimmer durchsucht. Und Caleb geht natürlich davon aus, dass niemand im Raum ist, wenn seine Frau das sagt. ^^ Mal sehen, was mir da noch einfällt.

    2. Dass es genau jetzt brennt ist sehr verdächtig und schreit geradezu Brandstiftung und jemand ist im Haus. Schwer verstellbar, dass die Polizei da nicht vorsichtiger ist und sich irgendwie aufteilt. Aber gut, das kann man vielleicht noch damit erklären, dass sie unterbesetzt sind.
    Der erste Punkt jedoch stört ein bisschen, was schade ist, weil es ansonsten wirklich spitzenmäßg geschrieben ist.

    Auch an der Stelle kann ich dir Recht geben. Allerdings sind die Polizisten nur noch zu viert (einer lag, wie du sagst, auf der Türschwelle und der Polizeichef ist tot) Der Rest verteilt sich also im Garten. Und als sie das Feuer sehen, können sie ja davon ausgehen, dass der Mörder doch im Haus ist, bzw. das dort etwas passiert sein muss. Einer geht ins Haus, um die Familie zu warnen, einer, um das Feuer eventuell zu löschen, und dann noch einer, der die Vordertür und einer der die Hintertür sichern soll. Ich werde noch einen Funkspruch hinzufügen, der die anderen zu Hilfe ruft, weil das Feuer nicht zu löschen ist und der Polizeichef da liegt. Wenn das reicht? ^^

    Kapitel 24
    Mir ist jedes Mittel recht

    Tiffanys Körper wurde schwer und sank zurück ins Bett. Er ließ von ihr ab und steckte das Tuch wieder in seine Taschen. Schon unzählige Male hatte er hier an ihrer Seite gestanden und sie beim Schlafen beobachtet. Und auch jetzt betrachtete fasziniert ihr Gesicht. Die zum Schlaf geschlossenen Augen und der friedliche Gesichtsausdruck. Alles an ihr war wunderschön. Ihr Körper und ebenso ihre Stimme. Jedes Mal, wenn er sie sah, hatte er dieses Gefühl. Ein Gefühl, das er nicht zuordnen konnte, was aber tief aus seinem inneren zu kommen schien. Es war nicht der übliche Zorn, den er verspürte, wenn er solche Wesen vor sich sah. Dieses Gefühl war anders. Es ließ sich nicht beschreiben.
    Sanft strich er ihr über die Wange, den Hals hinab und über die Schulter zum Oberarm. Angetan sah er dabei zu, wie sich die kleinen Härchen aufstellten, ehe sie sich wieder an die Haut schmiegte.
    Als er merkte, was er da tat, zog er scharf die Luft ein und löste seine Augen von ihr. Was er tat, konnte nicht gut sein. Er hatte etwas Ernsteres zu erledigen, ehe er sich ihr hingab.
    Zuerst musste er einen Weg finden, von hier zu verschwinden. Ruhig ließ er die Augen durch das Zimmer wandern, dann trat er ans Fenster. Der Ausblick zeigte ihm die breite Straße, die sich durch die Siedlung schlängelte. Dort standen die Streifenwagen der Polizisten, einsam und verlassen. Einen zu stehlen sollte nicht schwer sein. Allerdings hatte er einmal gehört, dass sie über einen Funk verbunden waren und so verfolgt werden konnten. Nichts für jemanden, der untertauchen wollte.
    Die Lichtkegel einiger Taschenlampen schwenkten durch den Garten. Sie wirkten etwas hektisch und unkoordiniert. Offenbar war der Großteil der eingeteilten Polizisten draußen unterwegs und durchsuchte die Umgebung. Dass sie die Leiche ihres Kameraden so schnell fanden, war nicht geplant gewesen, aber den Spaß wollte er sich davon nicht verderben lassen.
    Er drehte sich vom Fenster weg und lief stattdessen zur Tür. Kurz lauschte er am Holz und öffnete sie erst, als er nichts hörte. Man hatte das Licht wieder ausgeschalten und nur von unten strahlte es hell die Treppen herauf. Schritte waren zu vernehmen und aufgeregte Stimmen. Er hörte das Klicken und Rauschen eines Funkspruchs.
    „Sie sind in zehn Minuten hier“, sprach eine dunkle Männerstimme, kaum, dass der mechanische Klang abgeklungen war.
    Er kräuselte die Augenbrauen. Man hatte also Verstärkung angefordert. Das machte die Situation nicht leichter. Aber um einiges spannender. Zehn Minuten waren nicht viel Zeit und er war gespannt, ob er es wohl bis dahin geschafft hatte.
    „Geht das nicht schneller?“, grollte es gedämpft zurück. Er war sich sicher, dass es sich bei dem Sprecher um Tiffanys Mann handeln musste. Diesen Caleb. Zorn überkam ihn und kurzzeitig tanzten rote und schwarze Sprenkel vor seinen Augen. Er hasste ihn. Er hasste diesen Mann. Tiffany sollte ihm gehören und nicht diesem Hurensohn. Dieser Kerl war nicht der Richtige für sie. Er konnte sie ja nicht einmal beschützen.
    Wütend ballte er die krüppligen Hände zu Fäusten. Er wollte ihn tot sehen, dabei zuschauen, wie das Blut aus seinen Adern floss und sich über den Holzboden verteilte. Wie er seinen letzten Atemzug tätigte und dann mit gequältem Gesichtsausdruck verstarb.
    „So leid es mir selbst tut, aber im Moment müssen wir abwarten“, antwortete der Polizist. Seine Stimme hatte einen bedrückten Unterton. „Der Mörder wollte wohl ins Haus, hat es aber nicht geschafft, meine Leute suchen die Umgebung ab. Gehen Sie zu ihrer Frau, und beruhigen Sie sie. Wir kümmern uns um den Rest.“ Ein Stuhl schruppte über den Boden und daraufhin waren Schritte zu hören.
    Wie es sich anhörte, waren nur noch der offensichtliche Polizeichef und Tiffanys Mann im Haus.
    Er musste grinsen. Nicht nur über die Aussage des Beamten, dass er es nicht nach drinnen geschafft hatte, auch die Aussicht auf eine leichte Flucht erfüllten ihn. Wenngleich er sich über etwas mehr Widerstand gefreut hätte.
    Ein Stöhnen war zu hören, dann wurde erneut ein Stuhl über den Boden geschoben. Diesmal näherten sich die Schritte jedoch der Treppe.
    Der Mörder schloss die Tür lautlos und sah noch einmal zu Tiffany. Vom Chloroform betäubt lag sie auf dem Bett, als wäre sie einfach nur eingeschlafen. Wovon sie wohl träumte?
    Er positionierte sich erneut hinter der Tür, das Messer bereits griffbereit, als diese sich schon öffnete und Caleb den Raum betrat.
    „Tiff, Schatz, schläfst du schon?“, flüsterte er. Sichtlich verwundert über den plötzlichen Schlaf seiner Frau, verweilte er kurz im Rahmen und wartete auf eine Antwort. Als er keine bekam, lief er bis ans Bettende. Sofort schloss sich die Tür Zentimeter für Zentimeter, als wäre ein Lufthauch dafür verantwortlich, bis sie schließlich ganz ins Schloss fiel. Dass dem nicht so war, sondern eine vermummte Gestalt im Schatten sie langsam zudrückte, bekam Caleb nicht mehr mit. Gerade als er sich auf die Bettkante neben seine Frau setzen wollte, schob sich die Gestalt hinter ihn, und hieb ihm seine Knöchel gegen die Schläfe. Ein fester Schlag, der den Mann zur Seite warf und mit dem Gesicht gegen den Bettpfosten knallen ließ. Ein weiterer Hieb direkt gegen den Kiefer, ließ den Kopf seitlich wegschnappen. Bewusstlos glitt Caleb vom Bett und blieb bewegungslos auf dem Boden liegen.
    Der Mörder starrte auf hin hinab und umgriff das Messer noch fester in seiner anderen Hand. Weiß traten die Fingerknöchel hervor. Die Wut kochte in ihm hoch, ließ ihn fast jeden klaren Gedanken verlieren. Doch ein Blick auf Tiffany und das Messer glitt ihm aus der Hand. Sie hatte seine Forderung erfüllt und damit ihren Mann gerettet. Er wollte es, hasste er ihn doch, aber es verstieß gegen die Regeln ihn nun zu töten. Und diese Regeln waren alles, was ihn daran hinderte dem Wahnsinn zu verfallen.
    Er verstaute das Messer in der Tasche seines Hoodies, um es jeder Zeit sofort ergreifen zu können, dann verließ er den Raum. Der Weg musste erst frei sein, ehe er Tiffany holen konnte. Mit ihr wäre seine Bewegungsfreiheit zu sehr eingeschränkt.
    Er trat die Treppen hinab und schlich dann bis zur Küche. Als er um die Ecke blickte, erkannte er nur einen Beamten. Dieser stand am Fenster und blickte angestrengt nach draußen. Er schien allein zu sein, was die Theorie stützte, dass die anderen im Garten unterwegs waren und nach dem Täter suchten. Einen einzigen Mann zu überfallen war leicht, allerdings erschwerte ihm das Licht im Raum das Vorhaben um einiges.
    Die Gestalt zog den Kopf zurück und lehnte sich gegen die Wand. Nicht er sollte zu dem Polizisten in den Raum treten, sondern der Beamte musste zu ihm kommen. Aus diesem simplen Grund schweifte sein Blick durch den halbdunklen Flur und suchte ihn nach etwas Brauchbaren ab. Bei einem Brettchen mit Schlüsseln blieben seine Augen hängen. Er tippelte darauf zu und zog ganz sachte einen der klappernden Gegenstände an sich. Dabei musste er peinlichst genau darauf achten, kein Geräusch von sich zu geben oder einen anderen Schlüssel vom Haken zu holen. Eine falsche Bewegung und alles war vorbei. Es glich einem chirurgischen Eingriff am Herzen. Nicht ohne Grund stieg ihm der Schweiß ins Gesicht. Dennoch war das beklemmende Gefühl, das Adrenalin wie ein Kick, der seinen Verstand zu vernebeln versuchte. Der Drang einfach alle Schlüssel vom Haken zu reißen und zu schauen, was passierte, wurde immer größer, je länger er brauchte.
    Kurz hielt er inne und schüttelte den Kopf. Es war schon falsch gewesen, Tiffany auf offener Straße anzugreifen. Schon dort hatte er diesem Verlangen nachgegeben. Diesmal hatte er die Situation im Griff, Tiffany gehörte ihm, und er würde es sich nicht mehr nehmen lassen.
    In einer letzten Bewegung fischte er den Schlüssel hervor und nahm ihn an sich. Dann lief er lautlos zurück zur Küche. Ein letzter Blick hinein.
    Der Beamte stand noch immer am Fenster, sah nun aber ernst auf ein Handy. Seine Finger tippten etwas, als wollte er jemanden anrufen.
    Er trat einen guten Meter von der Tür zurück, grinste und warf dann den Schlüssel ans Ende seiner Flurseite.
    Sofort war Poltern aus der Küche zu hören und das Entsichern einer Schusswaffe klang unheilvoll in der Nacht. Sein Herz begann augenblicklich höher zu schlagen und er presste sich noch weiter gegen die Wand. Wenn er es richtig einschätzte, würde der Polizist erst die Seite kontrollieren, von der keine unmittelbare Gefahr drohte, nur, um eventuelle Angreifer zu erkennen, die ihm in den Rücken fallen würden. Er würde sich mit der Seite an genau die gleiche Stelle der Wand lehnen wie er, nur auf der anderen Mauerseite. Die Arme und damit die Waffe vorgestreckt, würde er dann den Flur betreten und sich schussbereit dem Ursprung des Lärmes zuwenden.
    Und tatsächlich hörte er wenige Sekunden später, Stoff über Tapete schleifte. Sehr leise, aber dennoch wahrnehmbar. Er wusste, dass er ab dem Moment, ab dem er den Lauf der Waffe sah, nur wenige Millisekunden hatte – wenn überhaupt – den Polizisten zu überrumpeln.
    Angriffsbereit wartete er auf den richtigen Augenblick und kaum, dass er die erste Bewegung des Laufes erkennen konnte, fuhr er nach vorn. Mit der rechten Hand umklammerte er die Waffe und zog mit einem kräftigen Ruck daran. Der Beamte wurde überrascht nachgezogen und bekam einen Kinnhaken mit der Linken verpasst. Gleichzeitig trat er ihm sein Knie in den Magen. Der Mann ließ von der Waffe ab und ging keuchend zu Boden. Noch ehe er ihn erreicht, stieß ihm der Mörder das Messer ins Genick.
    Ruhe verbreitete sich im Haus, als er sein Messer aus der Wunde riss. Erneut überkam ihn der süße Duft, doch diesmal hatte er noch weniger Zeit, ihn zu genießen. Er musste sich beeilen.
    Er behielt die Schusswaffe in der Rechten und warf dann einen Blick durch das Küchenfenster. Drei Polizisten hechteten im Vorgarten umher. Vorher hatte er fünf Lichtstrahlen gesehen, das hieß, dass auf der Rückseite des Hauses ebenfalls noch einmal mindestens zwei von ihnen waren. Er könnte die Schusswaffe benutzen. Aber da stand das Risiko zu hoch, dass man ihn hören könnte, nicht nur die restlichen Polizisten, sondern auch Nachbarn. Und mit Tiffany auf den Armen konnte er nicht sehr weit oder lang rennen. Ganz davon zu schweigen, dass er nicht mit Schusswaffen umgehen konnte.
    Sein Blick fiel auf den alten Gasherd. Eine Idee formte sich.
    Die Waffe legte er vorerst auf dem Küchentisch ab, bevor er wieder ins zweite Stockwerk lief, um dort Tiffany abzuholen. Sanft strich er ihr einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, bevor er ihren Körper sorgsam in die dünne Bettdecke wickelte. Erst wollte er sie tragen wie seine Braut. Vor der Brust. Er musste sich schnell bewegen, deshalb hob er sie über die Schultern.
    Sie war schwer. Viel schwerer, als er gedacht hatte. Unweigerlich ging er etwas in die Knie. War sie damals auch so schwer gewesen?
    Mit seinem Gepäck verließ er den Raum erneut.
    Am Fußende der Treppe setzte er sie ab. Von dort aus, zerrte er den Beamten über den Boden und legte ihn neben dem Herd ab. Mit einem Handtuch entfernte er die gröbsten Blutspuren. Erst dann entzündete er mit etwas Mühe den Herd und warf das Handtuch in die bläuliche Flamme. Sofort fraß sich das Feuer durch den Stoff und loderte hell auf.
    Er zog noch einige weitere Handtücher aus einer Schublade, die er neben dem Herd auf der Arbeitsfläche und dem Boden verteilte. Fasziniert beobachtete er wie die Flammen von einem Tuch zum nächsten wanderten, neuen Nährboden fanden und sich so in der ganzen Küche ausbreiteten. Auch die Kleidung des Beamten blieb nicht verschont.
    Ein Grinsen überkam ihn, dann hechtete er zurück zu Tiffany. Mit ihr durchquerte er den Flur und versteckte sich dann in einem kleinen Raum nahe der Haustür.
    Er lehnte die Tür nur an, um dem Treiben außerhalb besser folgen und um schnell flüchten zu können. Nun hieß es abwarten, bis jemand den Rauch und die Flammen entdeckte. Vorerst würde man sich nicht auf die unteren Räume konzentrieren. Man würde versuchen das Feuer zu löschen und die Einwohner zu evakuieren. So sein Plan.
    Er musterte das Gesicht der blonden Frau, die auf seiner Schulter lag. Unter ihren Lidern tanzten die Augen hin und her, als würde sie schlecht träumen. Ob sie an ihn dachte? Ob sie davon träumte, was er nun als nächstes mit ihr anstellen würde? Ob sie womöglich von ihrem Tod träumte? Wie sich der Tod wohl anfühlte? War es ein schönes Gefühl - befreiend, erstrebenswert?
    Er kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Denn er hörte, wie die Haustür aufgestoßen wurde und auch von der Hintertür her erklangen panische Stimmen. Jemand brüllte nach dem Polizeichef, ein anderer um Hilfe. Befehle wurden laut, die Familie zu wecken und aus dem Haus zu schaffen. Dann erklangen schwere Schritte auf der Treppe.
    Durch den Spalt in der Tür, beobachtete die Gestalt des Mörders, wie zwei Polizisten in der Küche verschwanden und anschließend das Geräusch von Wasser erklang. Beschimpfungen und Flüche hallten herum, dann sollte jemand Wasser aus dem Bad heranschaffen. Ein dritter kam hinzu, einen Eimer in den Händen. Mit demjenigen, der eben die Treppen nach oben gerannt war, gab es nun vier Polizisten im Haus. Einen besseren Moment würde er nicht bekommen.
    Er stieß die Tür auf, überbrückte die wenigen Meter zum Haupteingang und verabschiedete sich ins Freie. Kühle Luft und Nachtschwärze schlugen ihm entgegen. Von weiter her war der laute Sirenenlärm der Verstärkung und hinter ihm das Brüllen der Polizisten zu hören. Ansonsten war es still.
    Prüfend überflog er die Umgebung. Kein Mensch war zu sehen, nur der entfernte Lichtstrahl einer Taschenlampe tanzte hektisch über den Boden. Er wackelte stark, als würde der Besitzer rennen. Der letzte verbliebene Polizist? Er wollte nicht bleiben und es herausfinden.
    Seine Schritte trugen ihn sicher, aber zügig in die entgegengesetzte Richtung. Dabei kam er am Küchenfenster vorbei. Deckenhoch tobten dahinter die Flammen. Die orangen Todesdämonen sättigten sich an den Gardinen und wohl immer noch an den Handtüchern. Es war erstaunlich, wie schnell sich das Feuer voranfraß.
    Hinter einem Busch, nahe dem Zaun zum nächsten Garten, machte er eine kurze Pause. Es würde nicht lang als Versteck dienen, aber für den überforderten Polizisten, der in dem Moment aus dem benachbarten Grundstück gerannt kam, reichte es allemal. Dieser hechtete auf die Haustür zu und würdigte die Umgebung mit keinem Blick. Zu sehr fesselten ihn die Flammen.
    Der Mörder grinste und atmete tief aus. Nun musste er nur noch über den Zaun und in die Hintergärten der Nachbarn verschwinden, damit er von der Straße aus nicht mehr zu sehen war. Langsam schlich er sich in der aufkommenden Panik davon - Tiffany schützend an sich gepresst.

    Kapitel 22
    Ich krieg dich

    Er saß in einem Gebüsch nicht weit von ihrem Haus entfernt und beobachtete genau, wie das Licht in den Fenstern anging und wieder erlosch. Bald tat sich im oberen Geschoss nichts mehr, nur im unteren brannte weiterhin ein sanftes Licht.
    Taschenlampen zuckten durch den Garten. Die Polizisten mussten gerade ihre stündliche Patrouille machen. Aufmerksam verfolgte er die dunklen Schemen und zählte sie mehrmals. Es waren drei.
    Unabhängig voneinander umrundeten sie das Haus, untersuchten jedes Gestrüpp im Garten und jede Ecke. Sogar den kleinen Geräteschuppen überprüften sie einige Male und einer von ihnen leuchtete in den engen Spalt dahinter. Zwar konnte er es durch die Nacht nicht mehr genau erkennen, aber er hockte schon lang genug hier, um die Lampenkegel deuten zu können. Schon seit Tagesanbruch hatte er es sich in einem der nahegelegenen Häuser bequem gemacht. Die Eigentümer waren wohl im Urlaub, weshalb er ihr Heim als Unterkunft auserkoren hatte. Sie sollten sich glücklich schätzen.
    Die Beamten hatten das Gebäude zwar ausgeleuchtet, aber weil die eigentlichen Bewohner nicht da waren, konnten sie es nicht betreten. Das perfekte Versteck. Er war nahe an seinem Opfer und die Polizei ahnte es nicht einmal.
    Seit es dunkel war, hatte er seinen Beobachtungsposten vom Fenster auf den Busch im Garten verlegt.
    So hatte er auch die zwei Menschen gesehen, die sich am späten Vormittag mit ihr getroffen hatten. Der Mann und die Frau, die ihm bei seinem Übergriff in den Weg gekommen waren. Wenn er nur daran dachte, wurde ihm schlecht und ihn überkam ein Gefühl des Hungers. Ja, sie würden noch leiden, bereuen, was sie getan hatten, sie waren ihm nicht umsonst in den Weg geraten. Aber das musste warten. Noch stand sie im Vordergrund.
    Ein erneuter Blick auf das Haus. Die Lichter der Taschenlampen wackelten wieder zum Hauseingang. Zwei nach vorn zur Haupttür, einer lief auf den hinteren Zugang zu. Seine Chance.
    Auf leisen Sohlen schlich er sich aus seinem Versteck und bewegte sich an einem der Gartenzäune der Reihenhaussiedlung entlang. Schnellen, aber bedachten Schrittes durchquerte er den benachbarten Garten. In seiner schwarzen Kleidung war er dabei kaum zu sehen, und verschmolz regelrecht mit der Finsternis. Diesmal würde er keinen Fehler begehen und keine vorschnelle Maßnahme ergreifen. Diesmal würde er es schaffen. Und diesmal würde er es genießen.
    Hinter dem Geräteschuppen sprang er über den Zaun und landete im kniehohen Unkraut. Es war gerade genug Platz, dass er aufrecht stehen und sich seitlich bewegen konnte, kein Wunder also, dass hier niemand daran interessiert war das Gras zu entfernen. Nur dieser eine Polizist war schlau genug gewesen, hier immer wieder nach dem Rechten zu sehen. Doch das hatte ihm auch nichts genützt.
    Ein Grinsen auf den Lippen, schlich er sich weiter und lunzte um das kleine Häuschen. Nun erkannte er den Lichtkegel etwas besser, der noch einmal durch den Garten leuchtete. Er zog seinen Kopf etwas zurück und verharrte, bis das Licht erstarb. Als er sich erneut in den Garten wandte, hatte ihm der dunkle Schemen den Rücken zugedreht und werkelte an der Hintertür des Hauses herum. Gerade einmal fünfzehn Meter trennten sie.
    Ein letzter Blick an der Hauswand vorbei. Aber die Polizisten an der Vordertür waren nicht zu sehen und die Taschenlampen schienen ebenfalls schon ausgeschaltet.
    Er zog ein Messer unter seinem Hoodie hervor und erst dann trat er aus seinem Versteck. Keinen Laut verursachten seine Schritte, als er sich durch das weiche Gras voran arbeitete. Leicht geduckt und die Klinge vor sich gehalten, überbrückte er die Strecke zwischen sich und dem Polizisten. Beim Nähertreten bemerkte er auch, warum der Mann solang benötigte, in das Haus zu gelangen. Er hielt einen Schlüssel in der Hand, den er sich wohl zuvor erst von einer Kette am Hals genommen hatte.
    Das Spiel hatte begonnen.
    Er sprang mit einem Satz auf die Stufen. Mit der einen Hand rammte er dem Beamten sein Messer blitzschnell zwischen die Wirbel seines Rückenskelettes, mit der anderen riss er den Kopf des Mannes nach hinten und presste ihm den Mund zu. Ein schmerzverzerrtes Gurgeln erklang, als er das Messer leicht drehte. Das Knacken des Knorpels war Musik in seinen Ohren.
    Dann erschlaffte der Körper und fiel ihm entgegen. Es gelang ihm gerade so, den Torso nicht einfach fallen zu lassen, sondern ihn langsam abzulegen.
    Er zog das Messer aus dem Rücken des Polizisten und schob ihn dann mit dem Fuß von den Stufen. Der süßliche Duft, der von seiner blutverschmierten Klinge abgesondert wurde, ließ ihn zittrig auf den Toten hinabblicken. Gern hätte er die Qualen des Mannes gesehen, ihm den letzten Wunsch von den Augen abgelesen und sich an seinem Leid ergötzt, aber dafür war er nicht hier. Und ob ihm der Anblick bei diesem Mann ebenso gefallen hätte, wie bei seinen üblichen Opfern, wagte er zu bezweifeln. Nein, er gab ihm nicht die gleiche Befriedigung. Er nicht. Aber sie. Nur sie
    Seine Augen wanderten umher und er spitzte die Ohren, während er geduckt an der Hintertür verblieb. Nichts passierte. Sein Eingriff war demnach ungehört geblieben. Schade eigentlich, aber es kam ihm nur zugute.
    Er hob den Schlüssel vom Boden auf und schob ihn ins Schlüsselloch.

    Tiffany lag noch immer hellwach in ihrem Bett. Wobei hellwach wohl einer Übertreibung gleich kam. Sie hatte schon seit zwei Nächten nicht mehr geschlafen und fühlte sich demnach wie erschlagen, dennoch wollte der wohlverdiente Schlaf einfach nicht über sie kommen. Das Gefühl verfolgt zu werden und die Gedanken an den Übergriff des Mörders, hielten sie wach und hinterließen ein riesen Chaos in ihrem Kopf. War dieser Mann wirklich der gesuchte Serienmörder gewesen? Sollte sie sein nächstes Opfer werden? Und wenn ja, hatte sie ihn nun verjagt, oder würde er wiederkommen? Sie dachte an die Polizisten, die ihr Haus beschützten und damit ihr Leben. Sie war hier sicher. Niemand konnte ins Haus. Niemand konnte ihrer Familie ein Leid zufügen. Oder?
    Sie drehte sich im Bett zur Seite. Die zweite Hälfte des Zweimannbettes war leer. Ihr Mann, Caleb, saß noch immer in der Küche, bei den anderen. Seit dem Überfall, hatte er Angst um sie. Sein Beschützerinstinkt war geweckt worden und Tiffany war ihm dankbar dafür. Wenngleich sie es auch etwas übertrieben fand. Was konnte Caleb schon gegen einen irren Mörder ausrichten, was die Polizei nicht viel besser konnte? Sie wollte nicht, dass er sich in Gefahr begab, wenn es soweit kam, nur, weil er sie beschützen wollte. Was wäre dann mit Emily? Die Kleine hätte mit einem Schlag beide Elternteile verloren, obwohl es der Mörder eigentlich nur auf sie, Tiffany, abgesehen hatte.
    Wieder bahnten sich Tränen über ihre Wangen. Was hatte sie nur getan? Sie konnte sich nicht erklären, womit sie den Zorn des Fremden auf sich gezogen hatte. Die Angst der Vortage kehrte in ihren Körper zurück und ließ sie zittern. Diese stechenden blauen Augen. An nichts konnte sie sich besser erinnern, als an diese kalte Farbe. Es lag so viel Hass und Wahnsinn in ihnen. Der Anblick war schrecklich gewesen und schon allein dieser hatte ihr die Tränen in die Augen getrieben. In dem Moment schon hatte sie gewusst, dass es vorbei war. Nur Evie und Joey war es zu verdanken gewesen, dass sie überlebt hatte. Das wurde ihr schon klar, als sie ins Krankenhaus gefahren wurde. Sie betete dafür, dass man diesen Irren fassen würde, bevor er auch sie angreifen würde. Was für ein schrecklicher Mensch war sie eigentlich? Dass sie noch mehr Fremde in die Angelegenheit hineinzog.
    Tiffany wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schluchzte. Sie würde sich noch bei den beiden entschuldigen, am heutigen Tag war sie noch zu aufgelöst gewesen. Ein kleines Geschenk wäre das Mindeste.

    Und dieser Ben ist in diese Mia verliebt? Vermutlich wurde das im ersten Teil erklärt, denke ich mal, oder?

    Geklärt würde ich es jetzt nicht sagen. Mia wollte nie etwas von ihm, sondern hat ihn nur als ihren Kumpel angesehen. Ben ist aber in Mia verliebt, was die nie mitbekommen und er ihr nie erzählt hat. Das wusste eigentlich jeder außer Mia. :rofl:
    Auch jetzt ist Ben noch in sie verliebt, obwohl gegen die Menschenrechte verstoßen und auf unmoralische Art und Weise Klone hergestellt hat. ^^ (Mit Anna zusammen)
    Zusatzinformation: Anna ist ja gestorben und Nick war in sie verliebt. Deshalb ist er jetzt auch immer so niedergeschlagen und depressiv.

    Nick war der Anwalt und Ben der Polizist, oder bin ich grad wirr?

    Ja, die beiden sind immer noch sehr ähnlich. :hmm: Ist schwer die zu trennen, wenn man noch nicht viel im zweiten Teil dazu geschrieben hat.
    Also Nick ist der Polizist und Ben der Anwalt ^^

    Ich hoffe, du konntest etwas damit anfangen. Du kannst jederzeit weitere Fragen stellen. ^^

    LG, Kyelia

    Woher hat Mia davon erfahren? Denn wenn ich das richtig weiß, dürfen die Patienten in einer Geschlossenen keine Nachrichten von Außen erhalten. Deswegen wundere ich mich gerade darüber, dass sie davon weiß?!

    Eigentlich ja, aber das steht sogar im Text. Keine Ahnung, ob man das so stehen lassen kann, aber es erschien mir immer noch im Bereich des Möglichen. :hmm:

    Gerade als er sich fragte, woher sie davon wusste, fiel ihm wieder ein, dass ihm die Betreuer einmal erzählt hatten, dass die Patienten der Anstalt die Nachrichten verfolgen durften. Zumindest zu einem geregelten Teil. Man wollte die Leute nicht völlig von der Welt abschneiden. Ob das nun ein guter Gedanke war, oder eher nicht, war einmal dahingestellt. Nicht alle durften es, aber scheinbar gehörte Mia zu dem kleinen Teil, dem es erlaubt war.

    Kapitel 20
    Mias wirre Eingebung

    Ben betrat den weiten Raum mit den vielen Stühlen und Tischen der Nervenheilanstalt in der Mia einsaß. Eine große Glasfront säumte die gesamte ihm gegenüberliegende Seite des Raumes. Durch die Fenster fiel sein Blick auf einen gepflegten Garten mit grünem Gras und blühenden Büschen. Wenn man nicht bedachte, dass er in einer Anstalt stand, dann konnte man glauben, an einem friedlicheren Ort zu sein. Aber leider erinnerten ihn die umherlaufenden Menschen an die Wirklichkeit. Eine Frau links von ihm, stritt mit sich selbst, gestikulierte wild und deutete immer wieder auf einen Punkt vor sich. Dabei lief sie von einer Ecke des Zimmers in die andere. Zu seiner Rechten wiegte sich dagegen ein älterer Herr mit kurz rasierten Haaren und Dreitagebart auf einem Stuhl. Er hielt ein Kartenspiel in der Hand. Immer wieder legte er eine der Papierkärtchen auf den Tisch, nahm eine weg und wiederholte den Vorgang mit einer Faszination, die Ben nicht verstand. Dabei bewegten sich die Lippen des Mannes, als würde er versuchen etwas zu beschwören.
    Der Anwalt schüttelte den Kopf und sah über die anderen Anwesenden. Einige waren genauso aufgedreht wie die beiden anderen, aber die meisten schienen auf ihre Medikamente zu reagieren. Ruhig gingen sie ihren eigenen Bequemlichkeiten nach.
    Aber Ben interessierten die ganzen Menschen nur teilweise. Viel mehr wollte er wissen, wie es Mia erging. Seine ehemals beste Freundin fand er an einem Tisch direkt an der Glasfront. Sie blickte hinaus. Die Blonde hatte sich immer für die Natur interessiert, nicht umsonst war sie in die Hills gezogen. Sie liebte die Berge und die friedliche Ruhe. Der Garten schien ihr etwas davon zurückzugeben.
    Mit langen Schritten durchquerte Ben den Raum, blieb aber neben Mias Tisch stehen. Er blickte auf sie hinab, doch die Frau reagierte nicht, sah nur weiter durch das Fenster, als würde sie soeben der Landung von Aliens beiwohnen.
    Seine Faust vor den Mund haltend räusperte er sich, um auf sich aufmerksam zu machen.
    „Hallo Mia“, fügte er hinzu.
    Ein Zucken ging durch den Körper der Pharmazeutin. Ihre glasigen Augen trafen ihn. Das ehemalige Blau ihrer Iris war einem stumpfen Grau gewichen. Und auch die leichte Bräune, die Mia immer auf ihrer Haut getragen hatte, war spurlos verschwunden. Kreidebleich wirkte sie und ihr Teint war einfach nur ungesund.
    Es schmerzte ihn und zerriss ihm das Herz, seine einst beste Freundin in diesem Zustand vorzufinden. Sicher, sie hatte es nicht anders verdient nach allem, was sie gemacht hatte, aber er fühlte sich dennoch schlecht, sie in diesem Zustand zu sehen. Bei jedem Besuch schien es ihr schlechter zu gehen. Zwar war er nicht gezwungen, Mia einmal alle zwei Wochen aufzusuchen, aber er wollte nicht mit dem Gedanken leben, sie hier ganz allein zu lassen.
    „Wie geht es dir?“, fragte er, als er keine Antwort erhielt. Mia sah ihn weiterhin an. Oder blickte sie doch an ihm vorbei?
    Ein unverständliches Murmeln entkam ihr, ehe sie sich wieder dem Garten zuwandte. Ben nahm an, dass es alles bedeuten konnte und zuckte nur die Schultern. Ohne sie aus den Augen zu lassen, setzte er sich auf den freien Stuhl. Mit einem Finger öffnete er sein Jackett und hängte es über die Lehne.
    „Der Ausblick ist schön“, meinte er. Er glaubte auf diesem Weg an sie heranzukommen, doch auch dazu schwieg Mia.
    „Evie ist nach London gereist, um dort an einem neuen Artikel zu arbeiten.“ Er rang sich ein Lächeln ab. Diesmal reagierte die Frau.
    „London.“ Sie knabberte an ihrer Unterlippe und langsam wandte sie ihre Augen wieder zu Ben. „Anna kommt aus London.“
    Er musterte sie genau und hob eine Augenbraue, dann nickte er jedoch.
    „Ja, kommt sie.“
    „Sie hat bald Geburtstag“, meinte Mia dann. Ihre Stimme war leise und brüchig. Außerdem so rau, dass man glauben konnte, sie hatte schon seit Ewigkeiten keinen Tropfen Wasser mehr zu sich genommen. Oder aber sie hätte eine Schachtel Zigaretten in der letzten halben Stunde vernichtet. „Hast du schon ein Geschenk für sie?“
    Ben seufzte lautlos. Annas Tod war immer noch nicht bei Mia angekommen und er glaubte, dass sie es weiter und weiter verdrängte. Sie wollte nichts damit zu tun haben, gab sich die Schuld an ihrem Tod und deshalb hatte ihr Gehirn wohl dicht gemacht. Die Betreuer und Psychologen hatten es ihm zumindesr so erklärt. Ein Schutzmechanismus des Körpers. Ihm wurde geraten mitzuspielen, sobald es soweit kam. Ihr Zustand war einfach zu labil und wenn man sie aus ihrer Scheinwelt riss, würde sie vielleicht durchdrehen. Er wollte aber nicht, dass sie sich etwas antat.
    „Noch nicht.“ Wieder lächelte er.
    „Ein schönes Buch über Psychologie würde ihr sicher gefallen“, meinte Mia.
    „Sicher.“
    Nun war es Ben, der den Blick von der Blonden nahm. Seine Gedanken schwirrten, als er zum Fenster hinausblickte. Er wollte sie nicht belügen, aber wenn es ihr dadurch besser ging? Und davon abgesehen hatte die Frau auch keine Probleme damit, ihn wohl jahrelang an der Nase herumzuführen und ihre Menschenexperimente vor ihm zu verheimlichen. Das hätte alles anders ausgehen können.
    „Schreibt Evie einen Artikel zu den Mordfällen in London?“, warf Mia nach einer ganzen Weile des Schweigens in den Raum. Ben drehte sich überrascht zurück und fixierte die Frau. Gedankenverloren und als sei sie nicht im Hier und Jetzt, starrte diese an ihm vorbei. Gerade als er sich fragte, woher sie davon wusste, fiel ihm wieder ein, dass ihm die Betreuer einmal erzählt hatten, dass die Patienten der Anstalt die Nachrichten verfolgen durften. Zumindest zu einem geregelten Teil. Man wollte die Leute nicht völlig von der Welt abschneiden. Ob das nun ein guter Gedanke war, oder eher nicht, war einmal dahingestellt. Nicht alle durften es, aber scheinbar gehörte Mia zu dem kleinen Teil, dem es erlaubt war.
    Deshalb hatte wohl Mia von den Fällen etwas mitbekommen. Dass sie es jedoch ansprach, war merkwürdig. Es lag wohl daran, dass er Evie und London erwähnt hatte.
    „Ja, sie ist mit einem Arbeitskollegen vor einigen Tagen abgereist, hat sich bisher aber nur einmal gemeldet.“ Ein Umstand, der Ben überhaupt nicht gefiel. Irgendwas sagte ihm, dass die ganze Sache nicht gut ausgehen würde. Lag es daran, dass die anderen Geschehnisse erst ein Jahr zurücklagen, oder Evie ihre Nase leichtgläubig in gefährliche Situationen stecken konnte? Er wusste es nicht.
    Ein Kichern stahl sich über Mias Lippen.
    „Ein Arbeitskollege also. Ich bin ja gespannt, wann die erste aus unserer kleinen Frauenrunde endlich einen Freund hat. Ich würde es Evie gönnen.“ Zwar hatte Mia kurz gelacht, doch ihr Gesicht wurde ebenso schnell wieder gefühllos wie es gekommen war.
    Ben bewegte nur seinen Kopf zur Bestätigung, sagte aber nichts. Er wusste nicht, was er darauf hätte sagen können.
    Wieder herrschte Ruhe, bis Mia erneut zu reden begann.
    „Es ist erstaunlich, dass es der Mörder nur auf junge blonde Frauen abgesehen hat. Scheinbar war keine von ihnen älter als Anna und ich.“ Sie kicherte erneut, diesmal jedoch wirklich erfreut und beinahe sah es so aus, als wollte sie in schallendes Gelächter ausbrechen. „Und der Tag des ersten Mordes fällt genau auf den, an dem wir den ersten lebensfähigen Klon aus seiner Nährflüssigkeit geholt haben. Ist das nicht ein schöner Zufall?“
    Ben zog die Augenbrauen zusammen. Von was sprach Mia da? Er empfand es immer noch als moralische Schandtat, was seine beiden Freundinnen damals in Mias Labor geschaffen hatten. Sie hatten mit dem Leben gespielt und dafür sind sie über Leichen gegangen. Seinem Freund Carl hatten sie sogar das ganze Dasein gestohlen. Eingesperrt und unmenschlich behandelt, hatten sie ihn.
    Die Wut kroch zurück in seinen Körper und Ben musste die Hände zu Fäusten ballen, damit er nicht losschrie.
    „Nein Mia, der Zufall ist nicht schön.“
    „Finde ich schon.“ Mia sah wieder in den Garten. „Es war ein wundervolles Gefühl, als hätte ich Kinder bekommen. Wie eineiige Fünflinge.“ Wieder dieses Lächeln auf ihrem Gesicht. „Sie sind so schnell gewachsen. Einer schneller als der andere. Sicher wären sie heute fast genauso groß wie wir. Schade, dass zwei nicht lebensfähig waren.“
    Ben schüttelte den Kopf. Nun drehte sie völlig frei. Nicht mehr lang und er musste eine Schwester rufen, die ihr Medikamente gab. „Es hat wirklich funktioniert, wir hätten etwas bewirken können.“ Ihr Grinsen wurde verträumt.
    „Mia, was redest du da? Was ihr gemacht habt, war nicht richtig. Ihr habt Gott gespielt. Nichts hättet ihr bewirkt.“ Er sah auf seine Hände. Die Pläne der Frauen waren einfach nur hirnrissig gewesen. Nichts weiter, als bloße Gespinste, die nie in Erfüllung gehen konnten. „Davon einmal abgesehen, gab es nur drei Klone.“
    Ben griff nach Mias Hand, die bewegungslos auf dem Tisch lag. Sie war kalt und dünn. Als hätte sie ewig nichts mehr gegessen. Er drückte sachte zu. Im letzten Jahr hatte sie so weit abgebaut. Dabei war sie einmal eine der klügsten Frauen gewesen, die ihm bekannt waren.
    „Drei?“ Das Lächeln schwand aus Mias Gesicht und wich einer nachdenklichen Maske. „Nein, es waren fünf.“ Sie entzog ihm ihre Hand. „Wir haben sie gut behandelt und sie waren lieb, aber dann kamt ihr und habt sie … “ Mia ließ den Satz im Raum stehen und ein starrer Blick richtete sich auf Ben. Er wusste, dass diese Erinnerung nicht der Wahrheit entsprach, weshalb er es nicht ernst nahm. Stattdessen atmete er nur tief durch und erhob sich. Er würde eine Schwester suchen und ihr sagen, dass Mia erneut an ihren Fantasien litt. Sie durfte sich nicht aufregen.
    „Ich bin gleich zurück.“

    Kapitel 18
    Atempause

    Joey konnte es wirklich kaum fassen. Evie ließ ihn sie umarmen. In diesem Moment fühlte er sich so glücklich, wie schon seit Tagen nicht mehr. Sogar sein Zorn ebbte stark ab. Er wusste nicht einmal mehr, warum er so reagiert hatte. Natürlich hatte Evie ihn am Tag zuvor blöd von der Seite angemacht, aber eigentlich war er solche Reaktionen von ihr gewohnt. Und eigentlich konnte er sie auch verstehen, schließlich war der Aufenthalt im Präsidium nicht sehr komfortabel gewesen. Tatsächlich verspürte er ein schlechtes Gewissen.
    „Mir tut es übrigens auch leid“, meinte er mit einem Räuspern, als er wieder von ihr abließ.
    „Gut, uns tut es beiden leid, also sind wir jetzt wieder Freunde?“ Evie grinste ihn zuversichtlich an.
    Joey seufzte jedoch nur. Freunde also. Und mehr hatte er von ihr wohl auch nie zu erwarten. Damit sollte er sich endlich abfinden, aber es war nicht einfach.
    „Ja“, meinte er und zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln. Dann straffte er die Schultern und sah sich suchend um. „So und nun fahren wir zu Tiffany.“
    „Und wie? Unser Auto ist immer noch bei der Polizei.“ Evie verschränkte die Arme vor der Brust.
    „Dann müssen wir es zuvor eben noch abhooo… ähm sag mal, sieht das nicht aus wie unser Auto?“ Leicht irritiert zeigte Joey auf den roten Wagen, der eben vor dem Hotel hielt. Die beiden Journalisten sahen sich achselzuckend an, als eine Frau mit roten Haaren und einer Uniform aus dem Wagen stieg. Soweit sich Joey erinnerte
    , war es die gleiche Frau, die Evie aus der Zelle geholt hatte.
    „Einen guten Morgen wünsche ich“, meinte die Beamtin. „Es ist uns immer noch peinlich, dass wir Sie verdächtigt haben, weshalb ich mir dachte, dass ich Ihnen zumindest den Wagen zurückbringen sollte.“ Sie lächelte und zog ein gefaltetes Papier aus der Hosentasche. „Sie müssten nur noch hier unterschreiben.“ Joey hatte gar keine Zeit zu reagieren, da wurde ihm schon ein Stift entgegen gereicht und das Papier. Es war nicht gerade üblich, dass die Polizei auf einen zukam und beschlagnahmte Sachen zurückgab. Allerdings war er noch nicht oft genug mit der Justiz in Berührung gekommen, um das zu beurteilen.
    Er nahm das Blatt an sich, überflog kurz den Inhalt und setzte dann seine Unterschrift darunter.
    „Danke“, meinte er mit einem Lächeln. Evie schnaufte nur und lief bereits auf das Auto zu, um sich auf den Beifahrersitz fallen zu lassen.
    „Sie ist noch immer wütend?“, fragte die Polizistin. „Kann ich sehr gut verstehen.“
    „Sie beruhigt sich schon wieder.“ Noch einmal lächelte Joey, dann gab er der Rothaarigen das Formular zurück. „Wie kommen Sie jetzt eigentlich zurück?“
    „Mein Kollege holt mich gleich ab.“ Sie machte eine kurze Pause und blickte dann auf Evie. „Und wohin fahren sie jetzt?“
    Joey war sich unsicher, was er darauf antworten sollte. Konnte er der Frau sagen, dass sie zu Tiffany fuhren? Oder würde das nur wieder zu Komplikationen führen? Er entschied sich für die Wahrheit. Letztendlich würde man es dann doch herausfinden und es war klar, dass er in meinem guten Licht erscheinen würde, wenn sich sein Gesagtes, als eine Lüge herausstellte. Nicht, dass er beim nächsten Mal derjenige war, der stundenlang in irgendeiner Zelle herumsitzen musste.
    „Wir wollen erst Einkaufen fahren, vielleicht etwas Kuchen besorgen und dann einmal bei Tif … ich meine, bei Miss Morgen vorbei sehen.“
    Die Beamtin nickte nur. „Wenn Sie wollen, dann kann ich meine Kollegen dort anrufen, und ihnen Bescheid geben, dass Sie kommen.“ Joey runzelte die Stirn.
    „Erhält sie Polizeischutz?“
    Wieder nickte die Beamtin, sagte aber nichts mehr dazu, sondern kramte ihr Handy aus der Hosentasche.
    „Sie brauchen nicht unbedingt anrufen, Miss Morgen weiß ja, dass wir kommen. Man wird uns schon in die Wohnung lassen.“
    „Gut, wie Sie wollen“, meinte die Frau. „Dann wüsche ich Ihnen und Ihrer Kollegin noch einen schönen Tag.“
    Damit verabschiedete sich auch Joey und beeilte sich dann, schnell auf dem Fahrersitz des Wagens Platz zu nehmen. Er lenkte das Auto aus der Parklasche und fädelte es in den fließenden Verkehr ein. Von Evie ließ er sich noch einmal die Adresse nennen und in das Navigationsgerät eingeben.
    „Was hast du noch mit ihr beredet?“, wollte die Brünette schließlich nach einer Weile wissen.
    Joey hob die Augenbraue, nahm den Blick aber nicht von der Straße. Hörte er da einen genervten Unterton aus der Stimme seiner Partnerin heraus, oder wollte er das nur hören?
    „Nichts, sie wollte nur wissen, wohin wir fahren.“
    „Was hast du gesagt?“
    „Das wir zu Tif fahren.“

    Kapitel 16
    Verdächtigt


    Mit der Faust stieß Joey gegen die verspiegelte Wand. Im war klar, dass jemand dahinter saß und jede seiner Bewegungen beobachtete. Und das machte ihn wahnsinnig. Seit Stunden hielt man ihn in diesem Raum gefangen wie einen Verbrecher. Man hatte ihn zu Evie befragt und hatte von ihm wissen wollen, ob sie an den Morden schuld trug. Was für ein Schwachsinn. Evie war wirklich die letzte Person, die etwas für diese grausamen Übergriffe konnte. Und das hatte er der Polizei auch mitgeteilt. Mehrfach hatte er ihnen erzählt, dass Evie in jeder Minute an seiner Seite gewesen war und sie nur am Tatort waren, weil Tiffany sie angerufen hatte. Er hatte den Beamten sogar eine Beschreibung des merkwürdigen Typen im Hoodie gegeben. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er zusammen mit zwei Polizisten dem Kerl nachgelaufen war. Bis der Fremde plötzlich verschwand und sie ihn nirgends mehr auffinden konnten. Wie konnte die Polizei also wirklich daran glauben, dass Evie mit Mr. Hoodie unter einer Decke steckte?
    „Hey, habt ihr meinen Chef endlich angerufen?“, schimpfte er lautstark und lehnte seine Stirn dann gegen das kalte Glas. Langsam wurde er der Angelegenheit überdrüssig. Er wusste nicht einmal, wohin sie Evie gebracht hatten. Vermutlich saß sie ebenfalls in einem der Vernehmungszimmer und fror sich mit ihren nassen Sachen die Haut von den Knochen. Er machte sich schon die ganze Zeit derart viele Gedanken, um sie und die Situation allgemein, dass er glaubte, sein Kopf würde jeden Moment explodieren.
    Joey hoffte inständig, dass die Polizisten schnellstmöglich seinen Chef erreichten und dieser das Missverständnis aufklären würde. Er verspürte keine große Lust sich über Nacht in einer Gefängniszelle aufzuhalten.
    Die Tür neben ihm schwang auf und ein dickerer Mann mit grauem Haar trat herein. Die Mundwinkel hingen nach unten und es wirkte fast, als hätte er seit Nächten nicht mehr geschlafen.
    „Sie dürfen gehen“, meinte er mit monotoner Stimme. Es klang beinahe, als würde er es Joey nicht gönnen, dass er ihn entlassen musste. Doch Joey war es egal, ob dem Mann seine Unschuld schmeckte, oder nicht. Er war einfach nur erleichtert, dass man ihn gehen ließ. Eine Anklage wegen Mord machte sich sicher nicht sehr gut in seiner Personalakte, oder bei einem eventuellen Bewerbungsgespräch. Tatsächlich hatte er die letzten Stunden darüber nachgedacht, ob er nicht den falschen Beruf gewählt hatte. Andererseits hätte er so niemals Evie und ihren Sturkopf kennen gelernt. Und gerade von ihrem Sturkopf hatte er bereits mehr übernommen, als er es wollte. So fiel es ihm in diesem Moment, als der Polizist den Raum betrat, extrem schwer, einen störrischen Ausspruch zu unterdrücken.
    „Und was ist mit Mrs. Jones?“, wollte er stattdessen nur wissen, während er seine Jacke von der Stuhllehne fischte.
    „Meine Partnerin holt sie gerade aus der Zelle.“ Der Polizist trat zur Seite und ließ Joey an ihm vorbei laufen. „Ihr Chef hat bestätigt, dass Sie beide für ihn und an der Sache mit den Morden arbeiten.“
    Joey nickte stupide. Sie hatten Evie also schon in eine Zelle gebracht? Eine bodenlose Frechheit. War es überhaupt erlaubt, dass sie mit ihr so umgingen, ohne handfeste Beweise zu haben? Seiner Ansicht nach, nicht. Es gab keinen Grund anzunehmen, dass Evie wirklich etwas mit den Morden zutun hatte.
    Er unterband jedoch jeglichen Kommentar. Er wollte nur noch Evie einsacken und dann verschwinden. Das Geschwafel des Beamten interessierte ihn nur mäßig.
    „Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten“, meinte plötzlich eine weibliche Stimme. Joey drehte sich auf dem Gang um und erkannte eine jüngere Frau mit roten Haaren. Vermutlich die Partnerin des Enddreißigers. Neben ihr stand eine völlig zerknautscht wirkende Evie in einem viel zu großen Pulli und einer Jogginghose, die schon bessere Tage gesehen hatte. Sie sah schrecklich aus, als wäre sie mit ihren Haaren in einem Fleischwolf hängen geblieben und nur durch die Schere wieder frei gekommen.
    Am liebsten hätte Joey sie umarmt, aber er riss sich zusammen. Er wusste nicht wie sie reagieren würde und er wollte ungern in einem Polizeipräsidium einen Streit provozieren. Schließlich waren sie gerade erst einer Anklage entkommen, da wollte er keinen neuen Grund geben, zu glauben, sie hätten irgendwelche kriminellen Probleme.
    „Ja, jedenfalls vielen Dank für den netten Aufenthalt in ihrer geräumigen Zelle, aber ich würde jetzt sehr gern zurück ins Hotel und mich ausruhen“, brachte Evie mit kratziger Stimme hervor. „Einen schönen Tag noch.“
    Evie griff Joey bei der Hand und zog ihn hinter sich her.
    Joey warf noch einen letzten Blick über die Schulter und nuschelte: „Auf Wiedersehen.“ Allein seinem letzten bisschen Höflichkeit war es zu verdanken, dass er überhaupt noch etwas sagte. Am Liebsten wäre er einfach davon gelaufen und hätte die beiden Beamten keines Blickes mehr gewürdigt.
    Kaum außer Hörweite der Polizisten, platzten unzählige Beschimpfungen und Flüche aus der Journalistin heraus. Und Joey war sich sicher, dass es so schnell nicht wieder aufhören würde. Wenn sich Evie einmal in etwas hineingesteigert hatte, dann gab es kein Zurück mehr, bis sie sich in den Schlaf geärgert hatte.
    „Wie geht’s dir?“, begann er vorsichtig, als sie wieder auf der Straße standen. Er wollte zumindest versuchen, sie abzulenken.
    „Mir geht es blendend, siehst du das nicht?“, knurrte Evie bissig und stierte ihn wütend an.
    „Ich habe ja nur gefragt.“
    „Eine dämliche Frage“, grummelte sie in ihren nicht vorhandenen Bart. „Meine Güte, was für Idioten! Als hätte ich etwas mit den toten Frauen zu tun! Ich bin doch kein kaltblütiger Psychopath, der herumrennt und wahllos irgendwelche Frauen abschlachtet.“
    „Sie machen auch nur ihren Job“, versuchte Joey zu schlichten, auch, wenn er seiner Kollegin insgeheim zustimmte. Doch wenn er sich nun ebenfalls in die Sachen hineinsteigern würde, dann würden sie sich nur gegenseitig aufschaukeln. Und wenn er ehrlich war, dann nagte die Müdigkeit zu sehr an ihm, als dass er sich nun noch streiten wollte.
    Allerdings schienen seine Worte nicht so bei Evie anzukommen, wie er es geplant hatte.
    Wütend verschränkte sie die Arme und ihre dunklen Augen bohrten sich in sein Gesicht, weshalb er schnell den Blick abwandte.
    „Ich mein ja nur.“
    Er hörte Evie tief durchatmen, ehe sie wieder ansetzte.
    „Immerhin weiß ich jetzt, in welch ausgeklügeltes System meine Steuergelder fließen.“ Die Journalistin schien noch immer sauer, strich sich aber beruhigend mit den Fingern über die Schläfen. „Wie wollen wir jetzt eigentlich zurück ins Hotel kommen?“
    „Mit dem Bus, schätze ich mal. Das Auto haben sie beschlagnahmt und ich bezweifle, dass wir es heute noch bekommen.“ Joey fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
    „Mit dem Bus?“, knurrte Evie. „Willst du mich veraschen?“
    „Ich kann doch auch nichts dafür.“ So langsam nervte Joey die Laune seiner Partnerin doch. Sie hatte allen Grund um wütend zu sein, aber warum musste sie diese Wut an ihm auslassen? Er war schließlich nicht daran schuld, dass man sie verhaftet hatte.
    Ohne noch ein Wort zu sagen, marschierte er auf die nächste Haltestelle zu und durchstöberte den Busplan.

    London
    Ich wollte sie

    Im Lauf zerrte er seine Hose hoch. Ständig musste das Ding an seinem schmächtige Körper rutschen und ihn beim Gehen behindern. Aber er hatte nichts Besseres. Woher auch? Er hatte kein Geld, um sich teure Kleidung zu kaufen. Er musste nehmen, was ihm zwischen die Hände fiel. Und das war nicht unbedingt viel.
    Laute Schritte hallten hinter ihm durch die Gasse. Jemand rief ihm wütende Worte nach. Er sollte stehen bleiben, sonst würde man auf ihn schießen.
    Ein freudloses Lachen drang aus seiner Kehle. Sollten sie doch. Sollten sie ihn töten, wie sie es auch schon mit seinem Bruder gemacht hatten. Dann wäre die Qual endlich vorbei. Die Qual überall wohin er blickte, immer sie zu sehen.
    Das Grinsen verschwand kurz. Nein, er durfte noch nicht sterben. Nicht heute. Erst musste er dem Mörder seines Bruders ins Gesicht sehen. Er wollte wissen, wie er aussah, kannte er bisher nur seine Stimme. Zum Dank, dass dieser Mann seinen Bruder von seinem Leiden erlöst hatte, würde er ihn ebenfalls erlösen.
    "Stehen geblieben! Sie haben keine Chance. Die umliegenden Gassen sind umstellt!"
    Als wüsste er das nicht schon längst. Die Polizei hatte sich nur wenig Mühe gegeben, ruhig zu sein. Mit ihren Sirenen und den schweren Stiefeln, die sie überall verrieten. Er hatte sie schon früh gehört. Aber sein Trieb war stärker gewesen. Sein Trieb diese Frau an sich zu reißen. Er hatte gewusst, was es für ein Fehler war, aber er konnte sich ihrem Bann nicht entziehen. Er war zu stark. Dieser Duft. Diese Augen. Ihre weichen Haare, die er das erste Mal berühren durfte.
    Er schloss die Augen. Wieder durchfuhr ihn das wohltuende Gefühl der Begierde. Ja, sie war sein nächstes Opfer. Sie war die Richtige.
    Als er die Augen wieder öffnete, erkannte er eine Wegkreuzung. Ohne sein Tempo zu verringern, rannte er nach rechts.
    Wieder schrie jemand hinter ihm. Die Stimme klang erschöpft und heiser. Nicht mehr lang und sie würden zurückfallen.
    Das Spiel gefiel ihm zunehmend immer besser. Auch wenn er sich selbst zu weit ins Feuer gestellt hatte, sie würden ihn nicht schnappen. Jetzt nicht mehr, wo er wieder alles kontrollieren konnte.
    Er beschleunigte seine Schritte und preschte um eine Ecke. Wieder führte sein Weg durch eine lange Gasse. Nicht mehr weit und er würde auf eine Einkaufsmeile stoßen. Sie war nicht sehr groß, aber dennoch gut besucht. Dort könnte man nicht mehr auf ihn schießen, dort war er sicher.
    Immer dichter werdender Nebel tauchte die Gasse in eine geheimnisvolle Atmosphäre.
    An ihrem Ende warteten zwei Streifenwagen. Es waren nur noch die Umrisse derer zu erkennen, die sich schussbereit hinter den Autotüren versteckten. Diese Feiglinge. Sie konnten sich hinter Metall verkriechen, während er im offenen Feld direkt auf sie zu rannte.
    Wieder durchfuhr ihn ein Lachen. Ja, die Sache war nicht geplant gewesen, aber es bereitete ihm dennoch Freude. Der Gedanke, dass seine Verfolger hinter ihm waren, dass vor ihm Schützen standen, ließ sein Herz schneller schlagen. Es war wie ein Kick, ein Schuss oder das Adrenalin, das einem vor dem Tod durch den Körper schoss. Nur wusste er, dass er nicht sterben würde. Nicht heute, nicht hier.
    Lange Schritte trieben ihn weiter. Der Nebel war nun so dicht, dass er die Streifenwagen gar nicht mehr erkannte. Er sah sie nicht und umgekehrt war es genauso.
    Ohne seinen Lauf zu verlangsamen, rannte er weiter. Er hörte aufgeregtes Rufen und vereinzelte Flüche, dann war er an den Streifenwagen vorbei. So viel Spaß hatte er noch nie.
    Der Nebel lichtete sich wieder und gab so die Kontur einer Menschenmenge preis. In diese fedelte er sich geschickt ein, ohne jemanden anzurempeln, damit er keinem verriet, dass er nicht schon vorher dastand.
    Die Leute um ihn herum wirkten überrascht über den plötzlichen Nebel, der kam und ging, als hätte ihn jemand gerufen.
    Ihm war es nur recht, hatte ihm der Nebel eine brenzlige Situation erspart.
    Seine Schritte wurden langsamer und er schob seine Hände in die Jackentaschen.
    Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihm, dass sowohl die gaffenden Menschen, als auch die Polizeibeamten verblüfft in die Gasse glotzten, aus der er eben gekommen war. Drei Männer stolperten heraus. Zwei in Uniform und einer in ziviler Kleidung. Verwirrt sahen sie sich um.
    Ein Grinsen zog sich über sein Gesicht, als er mit gesenktem Kopf den Leuten folgte, die sich nicht für das Spektakel interessierten oder keine Zeit dafür hatten.

    Sich sicher, dass er weit genug von den Beamten entfernt war, flüchtete er sich nur wenige Blocks später in eine Gasse.
    An der Hauswand eines Restaurants kam er zum Stehen.
    Sein Atmen ging schnell, seine Gliedmaßen zitterten vor Anstrengung. Bei jedem Atemzug schmerzten ihm die Knochen. Er war nicht für solche Läufe gebaut.
    Erschöpft sackte er neben einer Mülltonne zusammen und lehnte seinen Kopf an die Wand. Sein linker Knöchel war sicher erneut blau. Die Belastung war für das verstümmelte Gelenk nicht gesund und jedes Mal wurden dabei Blutgefäße beschädigt. Nicht schlimm, aber Blutergüsse bildeten sich dennoch. Aber der Schmerz war gut. Es zeigte ihm, dass er noch am Leben war - dass er zum Fühlen im Stande war.
    Er biss in den Kragen seines Hoodies und schloss die Augen. Warum hatte er sich in dieser Gasse nicht mehr im Griff gehabt? Derartiges war ihm noch nie passiert, bisher konnte er seinen Trieb immer unterdrücken. Doch bei Tiffany war ihm das nicht gelungen. Als er sie gesehen hatte, so ganz allein, da konnte er nicht mehr anders. Er war ihr viel zu nahe gekommen, hatte ihren Geruch wahrgenommen. Sein kompletter Verstand hatte versagt. Noch jetzt konnte er das starke Kribbeln spüren, das Verlangen sie anzufassen, ihr in die Augen zu blicken und durch die Haare zu streichen. All das nur, wenn er an ihren Duft dachte. Dieser rosige Geruch nach ihrem Parfüm.
    Aber die Sache war nur ein kleiner Rückschlag. Er würde sie dennoch in die Finger bekommen. Er würde sie büßen lassen. Genauso wie er es auch bei allen anderen getan hatte.
    Ein beinahe schon irres Lachen kam ihm über die Lippen, als er sich wieder erhob. Seine Gefühle würden ihm bei seinem Vorhaben nicht in den Weg kommen.

    Aber vielleicht führt ihr uns ja auch in die Irre und alles ist gut.

    Tja, dann lasse dich mal überraschen. :P

    Kapitel 13
    Gefühlschaos


    Das Klingeln eines Handys riss Joey aus dem Schlaf. Murrend rückte er weiter von dem nervigen Geräusch weg und zog sich die Decke über den Kopf.
    „Los aufstehen, du Langschläfer!“, hörte er Evie irgendwo vom Fußende des Bettes her sagen. War sie etwa schon aufgestanden? Kein Wunder, sie war am Abend ja auch irgendwann eingeschlafen, während er die halbe Nacht wachgelegen und sich den Kopf zerbrochen hatte. Eigentlich hatte er über den Fall nachdenken wollen, aber immer wieder schob sich eine gewisse Brünette in seine Überlegungen. Im Anbetracht der Umstände schämte er sich schon fast ein wenig. Er brachte seine Gefühle nicht unter Kontrolle und derweil mordete irgendso ein Idiot in London junge Frauen.
    „Lass mich“, knurrte er. Er hatte noch nicht vor aufzustehen. Und er wollte sich auch nicht in seinem jetzigen Zustand vor Evie präsentieren. Er musste aussehen wie ein Penner. Seine Haare waren ungewaschen und seine Augenringe mussten schon Augenringe haben.
    „Kommt nicht infrage! Wir gehen heute in die Bibliothek.“ Evie ruckelte an seiner Decke und versuchte sie ihm vom Körper zu ziehen. Verkrampft unterband Joey das Vorhaben und krallte seine Finger in den Bezug.
    „Bibliothek? Warum das?“, lenkte er sie ab.
    „Ganz einfach!“ Evie ließ von der Decke ab und er hörte ihre schuhlosen Schritte über den Parkettboden schlurfen. „Wir werden mit der Befragung nicht weit kommen, deshalb werden wir über Serienmörder vergangener Zeiten recherchieren.“
    Joey verzog das Gesicht. Dass die Befragung nichts bringen würde, hatte er ihr von Anfang an gesagt, aber sie hörte ja nicht auf ihn. Sie wollte damit die allgemeine Einstellung der Leute zu diesem Thema auslote.
    „Ich bin mir sicher, dass wir irgendwo in den Unweiten der literarischen Welt auf ein ähnliches Muster treffen werden. Mr. Hoodie eifert bestimmt einem dieser Mörder nach.“
    Joey merkte wie sie sich auf der anderen Bettseite fallen ließ und murrte ob dem Ruck, der durch die Matratze ging.
    „Würde es Parallelen zu anderen oder zu fiktiven Serienkillern geben, dann wäre das sicher schon jemandem aufgefallen“, grummelte er.
    „Das finden wir nur heraus, wenn wir nachschauen.“ Wieder bewegte sich die Matratze. „Also raus aus dem Bett!“ Mit einem Mal wurde wieder an der Decke gezogen. Doch statt Evie sie ihm entriss, verschaffte sie sich nur genug Freiraum, damit sie ihm ihre kalten Hände unter das T-Shirt schieben konnte. Eine Gänsehaut schoss über seinen ganzen Körper und ehe sich Joey versah, fiel er übereilt aus dem Bett. Sein Herz raste und sein Gesicht musste puterrot sein, als er Evie ansah. Diese lag quer auf dem Bett und grinste ihn frech an.
    „Super, du bist endlich aufgestanden“, kicherte sie ungeniert.
    „Bist du wahnsinnig?“, brachte Joey nur vollkommen überfordert hervor. Ihm schwirrte der Kopf. Sämtliche Gedanken überschlugen sich und sein Herz schien dies noch übertreffen zu wollen. Was sollte das? Wusste Evie denn nicht, dass sie ihn mit solchen Handlungen völlig durcheinander brachte? Vermutlich nicht. Woher auch?
    „Jetzt zier dich nicht so. Das waren doch nur meine Hände. Ich hätte dich genauso gut auch anknabbern können.“
    Das bildete er sich ein. Das entsprach nicht der Wirklichkeit. Er befand sich in einem Traum.
    Ungläubig glotzte er Evie an und für den Bruchteil eines Wimpernschlags, spielte er mit dem Gedanken, sich selbst eine Ohrfeige zu verpassen, um aus dem Schlaf aufzuwachen.
    „Jetzt stier mich nicht so an wie ein verängstigtes Kind.“ Evie erhob sich wieder aus dem Bett und zog sich die Schuhe an. „Du musst echt kitzlig sein, wenn du schon aufschreckst, obwohl ich noch gar nichts gemacht habe.“ Es dauerte eine Weile, bis die Bedeutung der Worte durch den benebelten Zustand zu Joey vorgedrungen war. Doch dann entfalteten sie ihre volle Kraft. Joey fühlte sich, als hätte er die Kugel einer Schusswaffe abgefangen – direkt durchs Herz. Am liebsten wäre er in die Knie gesunken und hätte sich irgendwo verkrochen. Allein für seine Naivität zu glauben, sie hätte mit den Berührungen andere Absichten gehabt.
    „Du schaust drein, als hätte ich etwas Verbotenes getan.“ Evie musterte ihn mit skeptischem Blick, dann schlenderte sie aber durch das Zimmer und suchte einige Sachen zusammen.
    Joey öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne dass ein Wort seine Lippen verlassen hatte. Schon jetzt kraftlos schleppte er sich ins Badezimmer. Hinter sich schloss er die Tür und lehnte sich daran an. Er atmete einige Male tief durch. Dann raufte er sich die Haare und trat gegen den kleinen Papierkorb, der unter dem Waschbecken stand. Wie konnte er nur so blöd sein? Was sollte Evie schon für Hintergedanken haben? Außer diesen Fall und ihre Arbeit interessierte sie sich schließlich für nichts.
    Mit hängendem Kopf stützte er sich auf das Waschbecken. Einseitiger konnten Gefühle gar nicht sein. Und wenn er es ihr sagte, würde sie ihn vermutlich ganz aus dem Leben streichen.
    „Beeil dich etwas. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Obwohl eigentlich schon. Aber ich dachte, wir gehen zuvor noch etwas frühstücken.“
    Sie machte es schon wieder. Unbewusst ließ sie in ihm so etwas wie Hoffnung aufkeimen, nur um es dann mit den Füßen wieder zu zertreten wie ein blinder Bulldozer.
    „Gestern warst du ja auch ziemlich angepisst deshalb.“ Und da kam die Dampfwalze, die seine Gefühle achtlos überrollen würde. Gekränkt darüber hörte Joey nur mit halbem Ohr zu, während er sich seiner Sachen entledigte und sich in die Duschkabine zurückzog. „Ich schrullige Journalistin vergesse eben oft, dass nicht alle so ticken wie ich. Aber wenn du ein schönes Frühstück brauchst, dann solltest du das auch bekommen.“ Nun wurde Joey doch wieder hellhörig. Damit hatte er nicht gerechnet. Und obwohl alle Alarmglocken schrillten, beugte er sich wieder etwas aus der Dusche, als könnte er so die Worte schneller aus Evies Mund ziehen. „Ich bin extra früh aufgestanden, um einen Tisch zu reservieren, damit du länger schlafen kannst. Allerdings musste ich den Wecker stellen, damit du überhaupt aufstehst, um die Reservierung nicht zu verpassen.“ Warum hatte sie das nicht gleich gesagt? Damit hätte sie ihm eine Menge Stress erspart.
    „Evie ich … “, begann er, doch Evie unterbrach ihn.
    „Tja, ich fürchte, ich habe es schon wieder vermasselt, oder?“
    Wenn sie so fragte ...
    Joey tat, als hätte er ihre Frage nicht gehört, sondern schaltete die Dusche an. Er hätte nicht einmal gewusst, was er hätte antworten sollen. Hatte sie den Tisch bestellt, um nicht noch wieder seiner hungrigen, genervten Seite zu begegnen, oder weil sie wirkliche Schuldgefühle hatte? Oder hatte sie herausgefunden, was er für sie empfand und hatte nun Mitleid mit ihm, weil sie es nicht bemerkt hatte? Oder fühlte sie gleich? Nein, eher noch würde sie ihm beim Frühstück sagen, dass sie seine Gefühle nicht erwidern konnte. Aber dann hätte sie ihn vorhin nicht unter sein T-Shirt gefasst. Nun bildete er sich schon wieder Sachen ein, die nicht da waren. Sie wollte ihn schließlich nur aus dem Bett kitzeln, einen anderen Gedanken hatte sie nicht. Oder doch?
    Diese Unwissenheit machte ich noch fertig. Vielleicht bekam er in der Bibliothek ja eine Chance, Näheres herauszufinden.

    @Kisa Ich muss dir zustimmen. Es klang wirklich unlogisch. Das ist mir auch schon beim Schreiben aufgefallen und ich war extrem unzufrieden mit dem Teil, aber mir ist irgendwie nichts Besseres eingefallen. Ich habe es jetzt aber nochmal überarbeitet und hoffe, es ist nun besser. ^^

    Kapitel 11
    Interview


    Joey saß Evie immer noch sauer gegenüber. Die Journalistin rückte nervös auf ihren Stuhl hin und her und schien dabei die Unruhe in Person. Er konnte sie nicht verstehen. Schließlich war er ebenfalls Reporter und schrieb Artikel und Berichte für die Bristol Post, aber er reagierte wegen diesem Fall nicht komplett über. Natürlich war er interessant, aber was brachte es ihm wie ein Flummi in der Gegend herumzuspringen und den Leuten auf den Nerven herumzutrampeln? So kamen sie auch an keine Informationen und machten sich nur unbeliebt. Nicht, dass Journalisten sonderlich beliebt waren. Aber das Bisschen, das sie hatten, wollte er sich ungern kaputt machen.
    Auf der anderen Seite bewunderte er Evies Arbeitseinsatz, schon seit er sie das erste Mal getroffen hatte. Sie war zielstrebig und das mochte er an ihr. Normalerweise. Denn jetzt, wo sie ihm in diesem Restaurant gegenüber saß, wusste er nicht mehr so recht, was er davon halten sollte. Vielleicht hätte er seinen Chef doch nicht überreden sollen, ausgerechnet ihn mit ihr gehen zu lassen. Er musste ehrlich gestehen, dass er sich auch eher ein paar ruhige Tage erhofft hatte. Bei Evie hätte er das Gegenteil aber eigentlich in Betracht ziehen müssen. Und immer saß er mit ihr in einem italienischen Restaurant. Er sollte seine Frustration also ablegen und den Augenblick genießen.
    Joey stützte seinen Kopf auf der Handfläche ab und sah zu seiner Kollegin. Sie blickte sich noch immer unruhig um und schien wirklich alles und jedem im Raum im Auge zu haben. Alle außer ihn. Joey kam nicht umher sich dadurch beleidigt zu fühlen. Diese Frau schien ihre Ohren überall zu haben und hatte dann und wann auch ein Gespür für die Gedanken und Gefühle von Menschen. Nur bei ihm schien in Evie alles zu versagen. Bei ihm und bei den Frauen, die sie heute im Kaufhaus befragt hatten.
    Bei genauerem Überlegen waren seine Gefühle für diese Frau komplett unsinnig und er konnte nicht sagen, woher sie kamen. Zwar arbeiteten sie in der gleichen Abteilung der Bristol Post, aber eigentlich hatten sie nichts miteinander zu tun. Außer einigen Gesprächen im Pausenraum, oder das eine oder andere Fachsimpeln, kannten sie sich gar nicht. Nun gut, er hatte sich über sie schlau gemacht, hatte recherchiert, aber viel hatte er damit auch nicht herausgefunden. Nur, dass sie mit dem Anwalt Ben und dem Polizisten Nick befreundet war. Zusammen mit den beiden hatte sie im vergangenen Jahr einen Klon und einen Mann aus den Fängen zweier Irrer befreit. Eine war gestorben und die andere saß in der Geschlossenen. Beide Frauen waren wohl Freunde von Evie. Mehr wusste er auch nicht. Nichts über ihre Eltern, oder Familie. Er konnte noch nicht einmal sagen, wie lang die Haare der Journalistin wirklich waren. Bisher hatte er sie immer nur mit Dutt gesehen.
    Jetzt, da er darüber sinnierte, schiene es ihm noch dümmer. Wie konnte man etwas für einen Menschen empfinden, den man so wenig kannte?
    Gerade, als Joey zum Sprechen ansetzen wollte, um die Ruhe und damit seine Gedanken zu durchbrechen, spürte er ein penetrantes Piken im Arm. Er schrak auf und sah zu Evie, die hektisch zur Tür deutete.
    „Sieh nur, das ist die Frau vom Kaufhaus.“
    Noch immer etwas benebelt drehte sich Joey dem Eingang zu. Im Kaufhaus hatten sie einige Frauen befragt, weshalb er im ersten Moment nicht so recht wusste, wen sie meinte. Dann erkannte er sie aber sofort. Es war die Frau, die sie beim Verlassen des Kaufhauses gesehen hatten. Diejenige, der Evie noch hatte nacheilen wollte. Sie betrat zusammen mit ihrem Kind und einem Mann das Restaurant. Zielsicher steuerten sie auf einen Tisch zu und ließen sich daran nieder.
    Joey folgten ihnen mit dem Blick, dann zuckte er jedoch die Schultern und sah zurück zu Evie. Sofort bereute er es. In den Augen der Journalistin spiegelte sich aufflammender Ehrgeiz und etwas, dass er liebend gern nicht gesehen hätte.
    „Komm nicht auf blöde Ideen, die Leute wollen hier sicher … “ Und weg war Evie. Joey klatschte sich die Hand ins Gesicht, als er sie dabei beobachten musste, wie sie quer durch den Raum lief. Sie beugte sich über den Tisch, redete auf den Mann und dann die Frau ein. Beiden reichte sie die Hand, dann zeigte sie zu einem freien Tisch. Die Frau folgte ihrem ihr mit dem Blick. Zögernd wandte sie sich noch einmal an ihren Mann, dieser verschränkte die Arme und sagte etwas, das Joey aus der Entfernung nicht verstand. Die Blonde nickte und stand dann auf. Ein schüchternes Lächeln zierte ihr Gesicht, als sie Evie folgte.
    An dem freien Tisch ließen sie sich sinken, dann winkte die brünette Journalistin in seine Richtung. Seufzend erhob sich Joey ebenfalls und querte das Restaurant. Eigentlich wollte er nur noch etwas Essen.
    Wenn er nicht endlich etwas zwischen die Kiemen bekam, würde sich sein Magen aus Langeweile selbst verdauen.
    Als er an den Tisch trat grüßte er zuerst höfflich die Frau und reichte ihr die Hand. Erst dann ließ er sich sinken.
    Sofort begann Evie zu reden.
    „Also wie schon erwähnt, habe ich ein paar Fragen zu den aktuellen Mordfällen in London.“ Professionell legte Evie ihren Block vor sich hin. In ihm standen alle Notizen und Fragen, die sie sich im Laufe des Tages hatte einfallen lassen. Eine Menge, wie Joey mit einem Seitenblick feststellte. Wenn Evie nun vorhatte, alle diese Fragen zu stellen, konnten sie sich auf eine Nachtschicht vorbereiten. Zu allem Überfluss würde er sein Essen wohl nicht mehr bekommen.
    Bedächtig nickte die Frau, abwartend, was nun folgen würde. „Ich sehe, dass sind viele Fragen, die Sie da haben.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln, als ihr der Stapel Blätter auffiel, die Evie zusammensuchte.
    Joey musste sich stark beherrschen, um nicht loszuprusten. Es war der blonden Frau anzusehen, dass sie am liebsten geflüchtet wäre, aber es gab kein Entkommen mehr, das schien sie zu spüren.
    „Ja, einige“, meinte Evie nur trocken. Entweder hatte sie den Ausdruck in den Augen der Fremden nicht bemerkt, oder aber sie ignorierte ihn einfach. „Sie haben also schon von diesem Serienmörder gehört. Haben Sie Angst, dass Sie vielleicht sein nächstes Opfer sein könnten? Sie passen ja wunderbar in sein Profil. Blond, schlank, blaue Augen und eine Familie.“ Abwartend starrte Evie der Frau entgegen, die nur entgeistert zurück stierte.
    Nervös begann sie mit den Händen an der Tischdecke herumzuspielen. Als sie es bemerkt, schob sie den Salzstreuer ziellos auf dem Tisch hin und her.
    „Also ich, ich weiß nicht. Das ... “ Sie hielt inne, senkte den Blick und sah dann zu ihrer Tochter. Das sachte Lächeln trat zurück in ihr Gesicht. Sie war auch ohne diese hübsch, aber mit wirkte sie gleich viel jünger. Nicht, dass sie sonderlich alt war. An die Dreißig, alter nicht. „Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen meine Karte gebe?“ Die hatte ihre Stimme wieder gefunden und kramte nun in ihrer Handtasche. Eine Visitenkarte landete auf dem Tisch zwischen Evie und Joey. Er hatte gar keine Chance zu reagieren, da schnappte seine Kollegin auch schon nach dem Stück Papier.
    Flüchtig überflog Evie diese, dann reichte sie sie auch Joey. Tiffany Morgen. Kinderärztin. Das erklärte ihre freundliche Natur.
    „Ich mache meine Pause jeden Tag in einem kleinen Café unweit meiner Praxis. Es ist nicht zu übersehen. Die Adresse meiner Praxis steht auf der Karte. Wir könnten uns dort treffen und noch einmal in Ruhe reden.“
    Ein Strahlen machte sich auf Evies Gesicht breit.
    „So können wir es gern machen. Vielen Dank.“
    „Dann bis morgen“, meinte Tiffany und erhob sich von ihrem Platz. Ein Lächeln schenkte sie ihnen noch, dann lief sie zu ihrem Mann und ihrem Kind zurück. Erst jetzt fiel Joey auf, dass der brünette Mann sie die ganze Zeit beobachtet hatte.
    „Können wir jetzt auch wieder zurück an unseren Tisch, oder willst du noch mehr Leute belästigen?“ Joey stand auf und wartete ungeduldig darauf, dass die Brünette es ihm gleich tat.
    „Können wir“, meinte Evie und schenkte die Karte herum. „Ich habe, was ich wollte. Ein Treffen.“ Sie wirkte glücklich und für einen kurzen Moment sorgte dieses fröhliche Gesicht für ein schnelles Hüpfen seines Herzens. Im nächsten Augenblick zog es sich jedoch schmerzhaft zusammen. Die Arbeit machte sie glücklich, mit ihm essen zu gehen, eher nicht.
    Deprimiert schlurfte er hinter seiner Kollegin zu seinem Tisch. Was machte er nur falsch, dass Evie ihn nicht bemerkte, aber eine Frau, die sie nur einmal flüchtig gesehen hatte, sofort wieder erkannte?