Beiträge von TiKa444 im Thema „Auf der Spur ...“

    "Also was ist dein Plan", ertönte plötzlich eine Stimme aus dem Flur. Sedar blickte sich ruckartig um und sah Elaine, die im Türrahmen stand. Sie war 17 Jahre alt, hatte wie er dunkelbraune Haare und ein wunderschönes Gesicht, wie er zugeben musste. Meist schien sie grüne Kleider zu tragen. Das war jedoch schon alles, was er über sie sagen konnte. Eigentlich wirkte sie sehr freundlich, nur wenn sie ihn ansah wurde aus ihrem Lächeln ein neugieriger Misstrauischer Blick.
    "Für einen Assassinen kann man sich übrigens erstaunlich gut an dich heranschleichen", behauptete seine Schwester und ließ sich auf das riesige Bett fallen, dass in dem viel zu großem Zimmer stand. Sedar hatte es nicht geschafft auch nur ein Auge darin zu zu bekommen. Stattdessen hatte er mit einer Decke auf dem Boden genächtigt.
    "Deine Schritte habe ich schon gehört", erwiderte er und sah sie herausfordernd an, "Es sind die Schritte die man nicht hört, vor denen man sich in Acht nehmen muss." Natürlich war das Unsinn. Diese Seidenpantoffeln verursachten einfach keinen Laut auf dem polierten Steinfußboden.
    "Also was hast du vor?", beharrte Elaine weiter. "Bist du einfach nur auf Geld aus oder bringst du uns irgendwann nachts einfach um?" Sie erwiderte seinen Blick grinsend. Er hatte keine Ahnung, ob sie das einfach nur als Spiel sah oder tatsächlich meinte, was sie sagte. Vielleicht wollte sie auch einfach nur sehen, wie er reagierte.
    "Darf ich nicht einfach nur meine Familie kennen lernen wollen?", fragte er mit ruhiger Stimme. Elaine schnaubte.
    "Lass mal sehen. Du bist ein kaltblütiger Mörder, der wer weiß wie viele Menschen auf dem Gewissen hat", ihr Blick schweifte durch das Zimmer und blieb an dem Schwert hängen, das beinahe beiläufig auf dem Fenstersims ruhte. "Du bist mitten in der Nacht in das Zimmer meines Bruders eingestiegen und hättest ihn vermutlich getötet, wenn er nicht rechtzeitig aufgewacht wäre und du aufgeflogen wärst. Und selbst wenn nicht, wolltest du uns vielleicht einfach nur ausnutzen, um deine private Zwist mit dieser Assassinensekte auszutragen." Der kalte Tonfall schien einfach nicht zu den Lachgrübchen in ihren Wangen zu passen.
    "Du hast keine Gefühle, sonst hättest du nie all das tun können, was du behauptet getan zu haben. Jetzt nützen wir dir nichts mehr, also was hast du vor?" Sedar musste ein Schlucken unterdrücken. Ihre Worte hatten ihn tief getroffen und für einen Moment hatte er seine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle. Doch er riss sich zusammen und blieb ruhig.
    "Wer sagt, dass ich dich nicht sofort hier töte?", fragte er stattdessen. In der Enklave hatte er gelernt, dass die beste Art auf Angriffe zu reagieren war, sofort zurückzuschlagen. "Hat dich jemand in dieses Zimmer kommen sehen. Ich könnte deine Leiche in dieser Kiste da verstauen." Er deutete auf die Kleidertruhe, die voller Seidengewänder und all dem war, das man wohl von ihm zu tragen erwartete. Wider erwarten zeigte sie keine Angst. Stattdessen wirkte sie beinahe etwas weicher.
    "Du willst eine Chance dich zu beweisen?", fragte sie ohne eine Antwort zu erwarten. "Dann komm in einer Stunde zum Lieferanteneingang." Mit diesen Worten erhob sie sich und schritt aus dem Zimmer ohne einen Blick zurück zu werfen. Er starrte ihr ratlos nach, selbst nachdem sie schon lange um die Ecke verschwunden war.

    Eine Stunde später bog er um die Ecke zum Lieferanteneingang. Es war ein schmaler Gang ohne die ganzen Verzierungen und Wandbehänge in anderen Teilen des Hauses. Vor der breiten Tür standen Elaine und Derrick. Sedar war froh seinen Zwillingsbruder zu sehen. Wenigstens hatte er ihm noch nie ins Gesicht gesagt, dass er ihn für einen gefühllosen Mörder hielt. Eigentlich hatte er seit der schicksalhaften Begegnung in seinem Schlafzimmer überhaupt noch kaum ein Wort mit ihm gewechselt.
    "Nicht in diesen Klamotten", begrüßte er ihn. Jedoch grinste er dabei freundlich. "Die Leute werden denken, dass du irgendein Hafenarbeiter bist."
    "Wir haben keine Zeit zu warten, bis er sich umgezogen hat. In einer halben Stunde kommen wir nicht mehr raus", gab Elaine zu bedenken.
    "Ich würde es ohnehin nicht tun", behauptete Sedar fest, "Und was habt ihr vor?" Jetzt riss das Grinsen in Derricks Gesicht die Wangen auf wie ein scharfer Dolch.
    "Elaine hat die Wachen beobachtet und jeden Abend ist die Mauer auf der anderen Seite der Tür eine halbe Stunde lang unbewacht." Sedar stöhnte innerlich auf. Jeder, der die Wachen ein paar Tage lang beobachtete, könnte einfach durch die Hintertür hineinspazieren. Und anstatt ihren Vater, der immer ein Ziel für Anschläge war, zu warnen, nutzten die beiden die Schwachstelle stattdessen für heimliche Ausflüge.
    "Und wie wollt ihr wieder zurück kommen?"
    "Bis jetzt hat es immer geklappt", behauptete sein Zwillingsbruder.
    "Und ihr wollt, dass ich euch begleite?"
    "Wenn ein kaltblütiger Mörder sich dafür nicht zu schade ist", antwortete Elaine. "Es wäre dann auch viel einfach für dich uns beide zu töten." Sedar sah ihr in die Augen, doch er konnte wieder nicht erkennen was sie dachte. Einerseits würde er sich damit genau so schuldig machen wie die beiden, nur dass sein Vater seinen richtigen Kindern sicherlich eher verzeihen würde, als ihm. Seinen richtigen Kindern. Sein Magen fühlte sich an, als hätte jemand eine Garrote darum angelegt und zugezogen.
    Andererseits wäre es für die beiden sicherlich sicherer, wenn er sie begleitete. Und er wollte sie nicht enttäuschen.

    Tatsächlich war es bemerkenswert einfach, das Grundstück zu verlassen. Sie mussten sich nur in der Nähe der Gebüsche halten, damit man sie vom Herrenhaus nicht sah. An der Mauer wuchs ein hoher Baum, dessen dicke Äste über die Steine ragten. Elaine kramte ein Seil unter einem der Büsche hervor, kletterte geschickt den Baum hoch und schob sich am Ast entlang über die Mauer. Sedar schwang sich hinter ihr hoch und reichte dann Derrick die Hand, der Schwierigkeiten hatte sich an dem Ast hoch zu ziehen. Er nahm sie danken an. Als Sedar sich umdrehte hatte Elaine das Seil bereits festgebunden und war herabgerutscht. Sie folgten ihr zurück zum Boden. Sedar blickte sich zweifelnd um. Das Seil hob sich nicht allzu sehr von dem grauem Stein ab, doch wenn man wusste, dass es da war, konnte man es einfach ausmachen. Sie standen auf einer schmalen Gasse, die bestimmt selten jemand entlang ging, doch wenn war es nur eine Frage des Glücks, ob er das Seil bemerkte oder nicht. Trotzdem hielt er den Mund und folgte seinen Geschwistern. Die Sonne war bereits nah am Horizont und selbst die breitere Straße, auf die sie bogen, war bereits unbelebt, doch die beiden anderen schienen ohnehin ein anderes Ziel zu haben. Aus der Ferne hörte man leise Stimmen und Musik, die langsam lauter wurden. Sedar wünschte sich unwillkürlich er hätte sein Schwert mitgenommen. Die Anwesen zu ihrer Rechten und Linken wurden immer kleiner und aus den Mauern wurden Häuserwände, die zuerst weit über sie ragten und dann immer niedriger wurden. Tatsächlich tauchte am Ende der Straße eine Reihe von Gebäuden auf, in deren Fenstern noch Licht brannte und über deren Türen Schilder hingen, die rennende Wildschweine, stolzierende Gänse oder schwimmende Fische zeigte. Elaine und Derrick bogen kommentarlos in ein Gasthaus mit dem Namen "Zu dem prall gefüllten Pokal" ein. Das Schild zeigte einen Weinbecher aus Bronze, der überschwappte. Sedar beeilte sich hinter ihnen herzukommen und stolperte fast in den gut besuchten Schankraum. Kurz glaubte er seine Geschwister nicht ausmachen zu können, atmete dann jedoch erleichtert aus, als er sie an einem Tisch mitten im Raum stehen sah. Der Wirt verscheuchte gerade die Gäste, die dort eigentlich gesessen hatten, mit einigen wirschen Gesten. Er schien aufgrund der Kleidung der beiden anzunehmen, dass sie die deutlich profitableren Kunden wäre. Als er Sedar sah, der an sie herantrat, vergruben sich seine Mundwinkel jedoch tief in seinem Doppelkinn und als Derrick ihn an den Tisch winkte riss der Wirt die Augen entsetzt auf.
    "Ich kann ihn auch an einem anderem Tisch...", er stoppte ruckartig und blickte fassungslos zwischen Derrick und ihm hin und her. Offensichtlich hatte er die unübersehbare Ähnlichkeit zwischen ihnen wahrgenommen. Erst nach dem Zustand seiner Kleidung. Wenn das nicht alles über den Mann verriet, was es über ihn zu wissen gab.
    "Schon gut Nedwin", beruhigte der besser gewandte Bruder. "Bring uns doch bitte einen Krug von eurem besten Wein und drei Gläser." Der Wirt stürzte viel schneller davon, als es diese wabbelnden Fettmassen zulassen dürften.
    "Weiß er wer ihr seid?", fragte Sedar alarmiert. "Dann weiß es jetzt auch die ganze Stadt." Er ließ sich resigniert auf einen der Stühle fallen.
    "Du bist sowieso schon Stadtgespräch Nummer Eins", behauptete Derrick und lachte auf, als er Sedars entgeisterten Blick sah. "Denkst du die Diener würden ihre Klappe halten. Nedwin hat nur nicht glauben können, dass ein Mitglied der Al-Dara sich in so einem Aufzug vor die Tür traut." Er warf ihm einen Blick zu, der "Ich habs dir doch gesagt" verhieß. Unbehaglich sah Sedar sich um. Die Menschen an den anderen Tischen schienen ihn immer wieder wie zufällig zu mustern und wandten schnell das Gesicht ab, wenn er sie bemerkten, dass er sie anblickte. Der Wirt rumpelte wieder heran und trug einen riesigen Krug, den er mit beiden Händen halten musste. Hinter ihm musste sich eine zierliche Kellnerin in einem Kleid, das eindeutig ein paar Nummern zu klein für ihre Oberweite war, bemühen mit ihm Schritt zu halten. Sie hielt drei bereits gefüllte Becher, die nicht aus Messing zu sein schien, wie die anderen in diesem Raum, sondern tatsächlich aus Silber. Der Krug schlug krachend auf dem Tisch auf und Sedar hätte sich nicht gewundert, wenn das Holz gesplittert wäre. Die Rennerei hatte deutliche Spuren auf dem Gewand Nedwins hinterlassen. Schweißflecken breiteten sich unter den Armen aus und seine Stirn glänzte wie Diamant. Die Kellnerin hatte sichtlich Schwierigkeiten an der ausladenden Erscheinung ihres Dienstherren vorbei zu kommen, doch der Mann rührte sich nicht von der Stelle.
    "Kann... kann ich noch etwas für euch tun", japste der Wirt atemlos. "Ein leichtes Mal vielleicht." Endlich hatte es das Mädchen geschafft sich zwischen ihm und dem Nachbartisch hindurch zuschieben und stellte die Gläser mit einem scheuem Lächeln ab.
    "Erstmal nicht", antwortete Elaine mit einem liebeswerten Lächeln. "Aber wenn wir etwas brauchen, geben wir Bescheid."Sedar war davon überzeugt, dass sie der Mann den ganzen Abend im Blick behalten würde, um auf den geringsten Fingerzeig zu reagieren. Doch jetzt zumindest verschwand er mit einer stillen Verbeugung und nahm die Kellnerin, die etwas verloren neben ihm gestanden hatte, gleich mit sich. Weder Elaine noch Derrick schienen sich weiter darum zu kümmern.
    "Ich muss dir danken", grinste sein Bruder ihn an. "Vielleicht hat Nedwin dieses eine Mal tatsächlich seinen besten Wein hervor geholt, um die Verwechslung wieder gut zu machen." Er nahm einen tiefen Schluck und verzog das Gesicht. "Was natürlich nicht viel heißen mag." Dies hielt ihn allerdings nicht davon ab einen weiteren tiefen Schluck zu nehmen. Sedar nippte selbst vorsichtig am Glas. Es war zweifelsfrei der beste Wein, den er je getrunken hatte. Elaine hob ihrerseits das Glas, setzte es an und kippte es in einem Zug hinunter. Sie rülpste laut, lachte über Sedars fassungslosen Blick und goss sich nach.
    "Trink Mörder", sagte sie eher neckend als feindselig. "Damit wir uns sicher sein können, dass du, falls du uns wirklich töten willst daneben schlägst."

    "Trinkt aus die Gläser, die Fässer auch
    Und kippt den Schnaps noch hinterher
    Der Abend könnt der letzte sein
    "Diese Flaschen müssen leer", gröllte Derrick laut und nutzte dabei die volle Breite der Straße aus. Elaine stolperte und riss Sedar fasst mit sich, der sich gerade noch an einer Hauswand abstützen konnte.
    "Wo kommt die denn her", murmelte er verwirrt und seine Schwester bekam einen spontanen Kicheranfall.
    "Hey Vor... Vorsicht", hicks, "sonst sondsholich meinnnn Schwert und", setzte er beleidigt an, doch Elaine brach nur vollends in Gelächter aus. Auch Derrick musste lachen und hieb ihm mit voller Kraft auf den Rücken.
    "Vielleicht solltest du dein Schwert bei deiner Schwester lieber außen vor lassen", behauptete er kumpelhaft, "bei dieser Schankmaid allerdings, solltest du es unbedingt raus holen. Ich bin mir sicher sie würde es dir vortrefflich ölen." Sedar starrte beide sprachlos an, während sie sich vor Lachen kugelten.
    "In wenich mein Swert stecke is ja wol immr nochmeine Sache", stellte er wütend fest. "Isch kämpfe mid meinem Schwert gegn immer ich wil." Doch seltsamerweise schien das zur Erheiterung seiner Geschwister nur noch beizutragen.
    "Kämpfen", japste Elaine und formte mit beiden Händen eine Kralle.
    "Er steckt es in die gegen die er kämpft", giggelte Derrick. "Viel zu lernen du noch hast mein junger... Ne warte, wo hab ich das denn jetzt her?" Sedar sah sie noch immer fragend an, musste dann aber selbst grinsen. Das Lachen der beiden anderen war einfach zu ansteckend. Am Ende japsten alle drei nach Luft und hielten sich an Hauswänden oder sich gegenseitig fest. Sedar hätte gern noch einmal nachgefragt, was sie denn eigentlich so lustig gefunden hatten, doch er hatte keine Lust weitere Lachschwälle hervorzurufen. Stattdessen richtete er sich auf und atmete tief durch. Der Anfall schien seine Sicht etwas geklärt zu haben, nur ein schwarzer Schemen verwischte an der nächsten Häuserecke.
    "Ich glaube dahinten ist etwas", murmelte er stirnrunzelnd. Derrick warf einen Blick zu der Stelle, auf die er deutete, doch der Schemen war inzwischen wieder verschwunden.
    "Ich glaube du bist inzwischen wieder viel zu nüchtern", sagte er und kramte einen metallenen Flachmann hervor. Zuerst nahm er selbst einen tiefen Schluck, dann bot er ihn ihm an. Sedar nahm dankend entgegen, doch da kroch der Schemen wieder hervor. Diesmal löste er sich von der Hauswand und schritt auf sie zu. Schnell gesellte sich ein zweiter Schemen dazu und beide wandelten sich langsam in zwei schwarz gewandete Männer. Der eine war ein wahrer Hüne, blond und ihm fehlten mindestens die Hälfte seiner Zähne. Der Zweite war kleiner als Sedar und glatzköpfig.
    "Was wollen denn die vier von uns", fragte Elaine und deutete auf die näher kommende.
    "Hey, woher weiß sie dass", ertönte eine weitere Stimme von hinten und augenblicklich stolperte ein dritter Mann, auch in schwarz gekleidet und noch größer als der Hüne, aus einer Gasse auf die Straße. Ein vierter Mann, eher grau als Schwarz gekleidet, mittelgroß und mit einem beachtlichen Vollbart ausgestattet, trat hinter ihm hervor. Er hatte den dritten offensichtlich geschubst.
    "Edart, du Vollidiot, sie ist betrunken, sie sieht einfach nur doppelt", warf er dem Trottel vor.
    "Ich dachte wir sagen keine Namen, Lenard", entgegnete der Trottel und der graue schlug sich die Hand verzweifelt vors Gesicht.
    "Vollkommen egal", behauptete der Hüne und zog einen glänzenden Dolch, den er prompt fallen ließ. "Äh, ihr werdet ausgeraubt." Schnell hob er seine Waffe wieder auf.
    Sedar reagierte sofort und schmiss den Flachmann auf sie ihn. Er landete mit lautem Scheppern irgendwo auf einem Dach.
    "Hey, da war mindestens noch eine viertel Flasche drinnen", beklagte sein Bruder sich und sah ihn wütend an, während es dem Kleinem offensichtlich zu viel wurde. Er zog einen viel längeren Dolch, als der des Hünen, aus dem Gürtel und stürzte brüllend auf sie zu. Adrenalin schoss in Sedars Blut. Er machte einen Schritt zur Seite, packte den Schwertarm seines Gegners und rammte ihm sein Knie in den Bauch. Die heran surrende Klinge hörte er nur schwach, wirbelte herum und schlug mit der flachen Hand gegen das Blatt des Messers. Ein schneller Tritt ließ den grauen zurückstolpern, doch auf einem Bein konnte er in seinem Zustand kein Gleichgewicht halten und fiel mit wild kreisenden Händen zu Boden. Grinsend schoben sich der Hüne, der Kleine und der Graue in sein Blickfeld. Sedar wusste, dass er betrunken war, aber sie glaubten er wäre geschlagen. Das Überraschungsmoment war auf seiner Seite. Er hakte seinen Fuß in den des Hünen ein und schob sein Bein ruckartig zur Seite. Der Hüne stürzte Hals über Kopf auf den Kleinen und während Sedar seinen Schwung nutzte, um auf seine Beine zu springen, wandte er sich dem Grauen zu. Er schlug die hoch gerissene Klinge zur Seite, packte den Kopf des Mannes und trat ihm kraftvoll die Beine weg. Sein Gegner fiel auf den Hintern und nur der Griff um seinen Kopf hinderte ihn daran der Länge nach auf das Kopfsteinpflaster zu schlagen. Seinem angelernten Reflex folgend spannte Sedar seine Muskeln an, um dem Mann das Genick zu brechen, doch da fiel sein Blick auf Elaine. Sie starrte ihn mit einer Mischung aus Bewunderung und Entsetzen an. Jedoch auch mit ein klein wenig Angst. Er fasste sich ein Herz und rammte dem Grauen eine Faust gegen die Schläfe. Bewusstlos sank der erfolglose Räuber zu Boden. Bewusstlos, aber nicht tot. Erleichterung breitete sich in dem Gesicht seiner Schwester aus. Sedar nahm die Bewegung im Augenwinkel wahr. Der Trottel hatte die ganze Zeit abseits gestanden und das Geschehen stirnrunzelnd beobachtet. Als endlich zu seinem Gehirn durchdrang, dass seine Bande den Angriff begonnen hatte, zog er einen Dolch und stürzte sich mit einem Schrei auf Elaine. Die Klinge schoss auf ihren Hals zu, der von der ganzen Aufregung gerötet war. Sedar dachte keinen Augenblick nach. Ein Schütteln seines Arms ließ eines seiner Messer in seine Hand gleiten. Er hatte es nicht übers Herz gebracht sie abzulegen. Er hob es über seine Schulter und schleuderte es in einer fließenden Bewegung. Es schnitt scheinbar widerstandslos durch die kalte Luft, drehte sich einmal um die eigene Achse, zweimal, dreimal und bohrte sich tief in die Kehle des Trottels. Die Wucht des Aufpralls ließ den Mann stolpern und zu Boden fallen. Er rutschte ein paar Zentimeter über das Pflaster und kam vor den Füßen Elaines zum liegen. Das wütend pumpende Herz ließ einen letzten Blutschwall aus der Wunde sickern, der sich in einer Lache über das Pflaster ergoss und die Schuhe seiner Schwester umspielte. Elaine warf einen fassungslosen Blick auf das Messer in der Kehle des Räubers, dann einen auf Sedar und schließlich auf den Dolch, der ihren Hals beinahe durchbohrt hätte. Derrick fing sie auf bevor sie in das Blut stürzen konnte und drückte ihr Gesicht fest gegen seine Brust. Sedar stand verloren neben beiden und blickte sie grübelnd an. Dann trat entschlossen in die Blutlache und umarmte seine beiden Geschwistern. Elaine griff nach seinem Rücken und zog ihn näher heran. Niemand stieß ihn weg.

    Sein Schädel schmerzte nicht, als er am nächsten Morgen erwachte. Vielleicht lag es daran, dass er wie geraten vor dem zu Bett gehen jede Menge Wasser getrunken hatte, vielleicht auch daran, dass die Sonne bereits hoch am Himmel stand oder vielleicht auch an dem weichen Polster auf dem er lag. Sedar hatte zum ersten Mal in dem Bett geschlafen, statt auf dem Boden, und womöglich war das doch gar nicht mal so schlecht gewesen. Vielleicht mutierte er doch langsam zu dem verwöhnten Sohn eines reichen Mannes, der er immer hätte sein sollen. Mit diesem Gedanken schoss er aus dem Bett. Die Karawane. Vielleicht hätte er sich doch von einem Diener wecken lassen sollen. Er hielt kurz inne. Er sollte dieses Bett wirklich aus dem Zimmer schmeißen lassen. Zur Läuterung glättete er sein Hemd nicht und schnürte die Stiefel nicht bis oben hin, bevor er aus dem Zimmer schoss.
    Als er in das Esszimmer kam, saßen die anderen bereits am Tisch.
    "Guten Morgen Schwertträger", begrüßte ihn Elaine und stimmte dann in das Lachen ein, in das Derrick ausbrach. Jered sah beide missbilligend an.
    "Sind wir schon zwölf", fragte er pikiert. Sedar grinste seine Geschwister unsicher an. Er würde Casper bei Gelegenheit fragen müssen was an Schwertern so lustig war.
    "Glaubt ihr wirklich, dass ich nicht wüsste, was ihr nachts so treibt." Schlagartig stoppte das Lachen.
    "Euch nachts herausschleichen und schummrige Kneipen abklappern." Seine Stimme war kalt wie Stahl, doch dann seufzte er resigniert auf.
    "Was soll´s, ich kann euch ohnehin nicht davon abbringen. Nur bitte nimmt das nächste man ihn mit", er deutete auf Sedar, "dann lernt ihr drei euch wenigstens besser kennen und wenn jemand auf sich aufpassen kann, dann ist es wohl er." Elayne lächelte ihm verschwörerisch zu und Derrick grinste ihn offen an.
    "Keine Sorge", beruhigte er seinen Vater, "Auf einen Schwertschwinger wie ihn sollte man wohl nie verzichten." Wieder gackerten die Geschwister los.
    "Das reicht jetzt", fuhr Jered entschieden dazwischen. "Wir sollten lieber über die Karawane sprechen, die in einer Stunde los zieht. Wie wäre es wenn du sie begleitest Derrick. Dann streichst du wenigstens nicht mehr durch die Stadt und stachelst deine Schwester an."
    "Wer sagt denn, dass er mich anstachelst", sagte Elaine. Derrick dagegen schien nicht wirklich überrascht. Er hatte es vielleicht schon erwartet oder er hatte nichts dagegen.
    "Meinetwegen gern", behauptete er und goss sich etwas Tee ein. "In einer halben Stunde bin ich bereit."

    Gurgelnd sank die Leiche vor ihm zu Boden. Bedauern flammte in Sedar auf, als er in das Gesicht des Toten sah. Noch so jung. Die Enklave musste wirklich so gut wie leer stehen, wenn ein Novize die inneren Räume bewachte. Vorsichtig näherte er sich der großen Tür und drückte leicht dagegen. Vernehmlich hallte das Knarren durch die Gänge. Die Tür war absichtlich so ausgelegt. Er lauschte angespannt. Dummerweise nutzte selbst der lauteste Ton nichts, wenn niemand da war, der ihn hörte. Der Raum, der zum Vorschein kam, sah noch immer so aus, wie er ihn in Erinnerung hatte. Ein Bücherregal stand an der Wand, ein Tisch in der Mitte des Raumes. Sonst nichts. Kein Stuhl, kein Teppich. Die einzige Lichtquelle in dem Raum, war eine Kerze auf dem Tisch und das Fenster. Schnell ging Sedar zu dem Regal und betrachtete es aufmerksam. Das sogenannte Archiv bestand im Grunde nur aus etwa 100 Büchern, enthielt jedoch das gesamte Netzwerk an Kontakten, Auftraggebern, schuldigen Gefallen und jede andere Aufzeichnung, die die Organisation zusammenhielt. Einzig das Buch mit dem Familiennamen und Geburtsorten der Assassinen fehlte. Stirnrunzelnd betrachtete er die Lücke. Vermutlich war es noch nicht aus dem Elfenreich zurückgekehrt. Weshalb auch immer. Mit ausdruckslosem Gesicht nahm er die Fackel entgegen, die Cifer ihm reichte. Die Flammen streckten sich hungrig auf der Suche nach Nahrung und tanzten freudig auf, als ihre Zungen das ausgetrocknete Papier berührten. Der Widerschein des Feuers glänzte in seinen feuchten Augen.

    Hinter ihm krachten die ersten Holzdielen und die ersten Rauchschwaden waberten durch den Türspalt.
    "Das wars, oder?", sprach Cifer ihn an, als sie zur Treppe gelangten. Sedar warf einen Blick aus dem Fenster. Es zeigte direkt auf die Unterkünfte der Novizen.
    "Nicht ganz", antwortete er.

    Sedar saß still am Esstisch. Die Spannung war beinahe mit dem Messer schneidbar. Für ihn war die Lage mehr als schwierig. Neneve saß steif am Ende des Tisches. Ihm gegenüber und damit auch seinem Vater. Seinem Vater. Er hatte sich so viel ausgemalt. Geschichten gesponnen über seine Familie. Er hätte die Wahrheit nie erträumen können. Er konnte es ja immer noch nicht. Nichts von alledem war fassbar. Ein Spiegel dessen was aus ihm geworden wäre, hätte man ihn nie aus seiner Kinderstube geraubt. Ein beschlagener Spiegel, den er langsam Stück für Stück abwischte. Vieles von dem was zum Vorschein kam gefiel ihm. Aber nicht alles.
    "Das ist nicht das Problem", meldete er sich zu Wort und fasste dabei alle in seinen Blick mit ein. Auch Neneve. Sie sollte keinesfalls glauben, dass er sich in diesem Belang auf die Seite seines Vaters schlug. "Ihre Enklave liegt in den Bergen, ich könnte euch dorthin führen. Aber der Weg ist zu schmal für eine Armee. Es gibt Passagen, die muss man kletternd überwinden und sobald wir einen Fuß auf den ersten Hang setzen wissen wir, dass wir kommen. Es gibt keine Streitmacht der Welt, die diesen Ort überhaupt erreichen könnte. Jeder, der sich diesem Unterfangen anschließen würde, wird am Ende zerschmettert auf dem Boden einer Schlucht sterben oder in einem Nadelhain von schwarzen Pfeilen durchlöchert." Die Last seiner Worte lag schweigend im Raum, während alle ihn weiter anstarrten. Es war klar, dass sie noch etwas von ihm erwarteten. Einen genialen Plan. Irgendetwas. Doch es gab nichts. Keine ernsthafte Möglichkeit. Aber irgendetwas musste er ihnen sagen. Irgendetwas musste Mut machen. Auch wenn sie am Ende nicht gewinnen konnten. Wenn die Assassinen taten, was sie immer taten. Ihm alles nahmen. Nur dass er diesmal wissen würde, was ihm genommen worden war. Wieviel er verloren hatte. Aber irgendetwas musste er sagen. Er wagte ein müdes Lächeln. Ein hoffnungsloses Grinsen.
    "Eine List", schlug er vor und unterdrückte das unsichere "Vielleicht".

    Eigentlich hätte er es sich denken könnten, dass die Assassinen Neneve die Schuld an Zumiras Tod in die Schuhe schieben würden. Schließlich hatten sie es bei ihm damals nicht anders getan. Dennoch tat ihm die Elfe leid, die zwar so tat, als sei sie nicht überrascht von dem Ganzem, doch er hatte ihren erschütterten Blick gesehen, als der Schreiber sie angeschrien hatte. Sie ließen sich von der Menge durch die Straßen tragen, doch selbst wenn sie gewollt hätten, hätten sie ohnehin keinen anderen Weg einschlagen konnten. Überall schnitten weitere Tore und Mauern die Wege ab, an denen Soldaten standen und aufpassten, dass sich niemand in ein Viertel verirrte, in das er ihrer Meinung nach nicht gehörte. Irgendwann teilte sich dann auch die Menge selbst und strömte in drei unterschiedliche Richtungen. Die drei Gruppen entschieden sich signifikant im Aussehen und ihrer Kleidung. Die erste und kleinste Gruppe bestand nur aus wohlgenährte Personen in guten Mänteln und silbernem Schmuck. Die zweite bestand offensichtlich aus schlechter gekleideten und genährten Personen, die jedoch scheinbar auch keinen Hunger leiden mussten. Die dritte und Größte setzte sich aus Elfen und Flüchtlingen zusammen. Man sah größtenteils hoffnungslose Gesichter in Lumpen und Bauern, die all ihr Hab und Gut in Karren mit sich führten. Einige trugen Verbände und beinahe alle könnten mal wieder ein Bad vertragen.
    "Wo hin gehen wir", fragte Casper einen älteren Mann, der außer einem kleinem Beutel und dem was er am Leib hatte nichts bei sich trug. Der sah ihn missbilligend an, als hätte der Hüne eine wirklich dumme Frage gestellt, verbiss sich jedes dumme Kommentar jedoch, nachdem er die Muskelberge, die Casper Arme nannte, gesehen hatte.
    "Natürlich zum Elfenviertel." Ein süffisantes Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. "Früher war das Viertel wie der Name schon sagt tatsächlich nur für Elfen gedacht, doch als die Flüchtlinge anfingen vor den Toren zu kampieren, bis sie einem der Viertel zugeordnet werden konnten, haben sie es für jeden geöffnet, der in die Stadt möchte. Ich habe gehört man muss bis zu drei Monaten warten, bis man endlich in eines der Wohnviertel darf. Das heißt außer sie natürlich", er deutete auf Neneve, "Sie muss dort bleiben. Elfen bleiben natürlich im Elfenviertel." Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging schnell weiter. Die Gruppe blickte sich ratlos an. Wer auch immer Sedars Eltern waren, es war unwahrscheinlich, dass sie sie im Elfenviertel finden würden. Jedoch blieb ihnen keine wirkliche Wahl und so folgten sie den anderen schließlich. Kurze Zeit später warteten sie erneut vor Toren, doch dieses Mal ging es zum Glück schneller, da die Menge kleiner war. Ein Schreiber nahm erneut ihre Personalien auf, doch diesmal brachte ihnen Neneves Name nur einen genervten Seitenblick ein. Dann belehrte sie ein Soldat, dass sie Anträge auf die Bürgerschaft stellen müssten, wenn sie vor hatten zu bleiben und in ein anderes Wohnviertel zu ziehen - wieder nahm er Neneve davon aus - und beschrieb ihnen den Weg zu einem Behördengebäude, bei dem sie sich dafür zu melden hatten, daraufhin ließ er sie unbehelligt durch.

    Der Name Elfenviertel hätte durchaus auch Elendsviertel heißen können, denn nichts anderes verbarg sich hinter den Mauern. Kleine Gruppen drängten sich aneinander und die wenigen größeren Gebäude waren Gaststätten, die jedoch unverschämte Preise verlangten. Sie wanderten beinahe eine Stunde durch die Straßen, bis sie ein Etablissement fanden, dass sie sich leisten konnte und so aussah, als würde es nicht beim nächsten Windhaus zusammenbrechen. Zum Glück hatten sie genug Geld für ein paar Nächte. Dem Großteil der Flüchtlinge schien es da anders zu gehen, dann die Schankstube war nur zur Hälfte gefüllt. Sie fanden einen freien Tisch, der etwas abseits der anderen stand und setzten sich ratlos. Es dauerte nicht lange bis eine Bedienung zu ihnen kam. Eine rothaarige Elfe, bei der sie etwas zu essen bestellten.
    "Entschuldigung", bat Sedar, als sie ihm einen Teller mit Schweinebraten hinstellte, der fast in Soße versank, "Sagt ihnen der Name Al-Dara etwas?" Die Frau schnaubte kurz belustigt.
    "Natürlich aber so wie ihr ausseht kommt ihr nicht mal in die Nähe des Hofviertels", antwortete sie. Sie warfen sich vielsagende Blicke zu.
    "Hofviertel?", fragte Sedar schließlich. Die Elfe sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
    "Ihr wisst nicht allzu viel über die Gegend, kann das sein", erwiderte sie, bohrte jedoch zum Glück nicht weiter nach. "Das Hofviertel ist das Viertel, das direkt vor den Türen des königlichen Palasts liegt. Dort wohnen nur die engsten Vertrauten des Königs, seine Generäle und Berater, mit ihren Familien." Sedar spürte ein Kribbeln im gesamten Körper. Er war so nah dran. Nervös schluckte er und hoffte, dass man ihm die Anspannung nicht allzu deutlich ansah.
    "Und Al-Dara?" Mehr brachte er nicht heraus.
    "Jered Al-Dara ist der Befehlshaber des Heers. Aber was wollt ihr bitte von ihm."
    "Wir haben gehört wie ein anderer Flüchtling seinen Namen erwähnt hat und waren einfach neugierig." Zum Glück sprang Neneve für ihn ein, denn Sedar starrte nur wie betäubt auf die gegenüberliegende Wand. Konnte es wahr sein.
    "Die Menschen reden viel", stimmte die Kellnerin zu, "Gerade die Elfen. Angeblich hasst er jeden mit spitzen Ohren. Er hat vor ein paar Jahren ein Kind verloren und es heißt, dass er überzeugt ist, Elfen hätten es entführt." Sie schnaubte verächtlich. "Albernes Altweibergeschwätz wenn ihr mich fragt. In dieser Stadt hasst uns ohnehin jeder." Sie schüttelte den Kopf und verließ ihren Tisch dann, um andere zu bedienen. Erwartungsvoll sahen Casper, Neneve, Gyahara und Cifer ihn an.

    Das Mondlicht brachte das Pflaster zum schimmern. Sedar stand an eine Hauswand gepresst, damit sich seine Gestalt nicht von dem Grau des Steins abhob, während keine drei Meter vor ihm eine Patrouille vorbei schritt. Zum Glück waren die Soldaten nicht besonders aufmerksam. Wer sollte hier schon zum Verbrecher werden, wo doch alle alles hatten, und vor Personen von außerhalb schützten die hohen Mauern und die Tore. Dennoch hielt Sedar die Luft an bis der letzte Mann um die nächste Ecke gebogen war. Er war schon so weit gekommen, jetzt durfte er keine Fehler machen. Zum Glück war das Anwesen der Al-Daras nicht allzu schwer auszumachen gewesen. Wie jedes der Gebäude in diesem Viertel war es fast schon ein kleiner Palast, umgeben von einem riesigem Garten. Lautlos huschte Sedar zu der niedrigen Mauer und zog sich an der Kante hoch. Auf der anderen Seite lag ein weiter Rasen, der einen Teich umschloss. In der hinteren Ecke des Anwesens standen ein paar Bäume und in der Mitte lag das gewaltige Herrenhaus. Aus Stein errichtet war es mehrere Stockwerke hoch und Wasserspeier zierten die Erker. Gebeugt um aus keinem der Fenster gesehen zu werden rannte er über das Gras bis er einen der Bäume erreicht hatte. Glücklicherweise hatte jemand im dritten Stock ein Fenster aufgelassen. Geübt kletterte Sedar an den Ästen empor, bis er die Öffnung erreicht hatte. Er blickte in ein dunkles Zimmer, in dem ein großes Bett stand. Lese überwand er den Abstand zwischen Ast und Fenster mit einem Sprung und schwang seine Beine über das Fensterbrett in den Raum hinein. Beunruhigt bemerkte er, dass in dem Bett eine Person lag. Vorsichtig schlich er näher und blickte in sein eigenes Gesicht. Es war etwas runder als seines und sorgsam rasiert, doch es waren eindeutig dieselben Gesichtszüge. Mit einem Keuchen wich er einen Schritt zurück, stolperte und stieß dabei einen halb gefüllten Becher Wein um, der auf dem Boden gestanden hatte und seinen Inhalt auf dem feinen Teppich vergoss. Die Person im Bett fuhr erschrocken hoch und starrte ihn mit schreckgeweiteten Augen an. Sein Atem schoss Sedar entgegen und der Alkohol war eindeutig zu erkennen.
    "Heilige Scheiße, soviel kann ich doch nicht getrunken haben", sagte sein Gegenüber plötzlich und rieb sich verwundert über die Augen. Dann starrte er ihn wieder an, als er gemerkt hatte, dass er offensichtlich nicht verschwand. Endlich hatte Sedar seine Fassung wiedergefunden und atmete tief aus. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte.
    "H... Hallo." Mehr brachte er nicht hervor. Dabei hatte er sich so viele Male ausgemalt, was er sagen würde. Tausende Male. Doch er kam nicht dazu einen erneuten Versuch zu starten, denn in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und ein beleibter Mann mit einer Kerze in der Hand betrat das Zimmer.
    "Alles in Ordnung Derrick. Ich habe aus eurem Zimmer Stimmen gehö..." In diesem Moment erblickte er Sedar, der vor dem sprachlosem Derrick stand und erbleichte.
    "Hilfe", schrie er laut auf, wich zurück und schrie dann ein weiteres mal nach Hilfe.

    Sekunden später stürmte ein weiterer Hausangestellter herein und ein hochgewachsener Mann, der nur einen Morgenmantel übergeworfen hatte, jedoch in der Hand ein Schwert trug, dass im Mond- und Kerzenschein glänzte. Er war knapp zwanzig Jahre älter als Sedar, die Ähnlichkeit war jedoch unverkennbar. Beide Männer blieben sprachlos vor dem Türrahmen stehen und starrten ihn mit offenen Mündern an.
    "Bei der Krone", entfuhr es Jered Al-Dara. "Das kann nicht sein." Sedar brachte es fertig den fassungslosen Mann vorsichtig anzugrinsen.
    "Hallo Vater...", sagte er mit brüchiger Stimme.

    Ein Feuer brannte in dem Kamin und einer der Hausangestellten hatte Öllampen hereingebracht. Auf einer breiten Couch saßen Jered Al-Dara, seine Mutter Lin, Sedars Zwillingsbruder Derrick und seine Schwester Elaine. Sedar selbst saß ihnen gegenüber auf einem mindestens ebenso breitem Sofa und erwiderte die fassungslosen Blicke mit gleicher Münze. Schweigend hatte die Familie seiner Geschichte gelauscht und seitdem hatte niemand mehr etwas gesagt. Man hörte nur das Knistern des Kamins und den Atem der fünf Menschen.
    "Unglaublich", stieß Jered schließlich heraus und sah Sedar misstrauisch an, als wäge er die Chancen ab, dass eine Person, mit der er nicht verwandt war, exakt so aussah wie sein Sohn. Lin jedoch, eine schwarzhaarige Frau, deren Alter ihrer Schönheit keinen Abbruch tat, sah ihn mit einem verträumt glückseligen Blick an. Elaine biss auf die Unterlippe und wirkte als könne sie sich nicht entscheiden, was sie von ihm halten sollte. Derrick hatte einen leicht verklärten Blick, der immer wieder an Sedars Gesicht hängen blieb.
    "Ich habe keine Beweise", gab Sedar zu. "Ich kann mich auch an keinen von euch erinnern. Alles was ich von euch weiß ist, dass eure Namen in einem Buch neben meinem standen." Lin stand abrupt auf ging zu ihm und schloss ihn in die Arme.
    "Ich erkenne meinen Sohn", sagte sie laut. Sedar spürte wie ihm die Tränen kamen, blinzelte sie jedoch weg. Offensichtlich hatte auch Jered entschieden ihm zu glauben, denn er lächelte, auch wenn sein Gesicht immer noch Fassungslosigkeit wiederspiegelte. Derrick grinste ihn an, nur Elaine behielt ihren misstrauischen Blick bei.
    "Du musst ganz erschöpft von deiner Reise sein", vermutete Lin und sah ihn abschätzig an. "Außerdem könntest du etwas zu Essen und ein Bad vertragen." Sedar nickte dankbar. Das klang tatsächlich gar nicht mal so schlecht.
    "Meine Freunde sind noch im Elfenviertel", erklärte er. Jered nickte.
    "Ich lasse sie holen", sagte sein Vater nur. Sein Vater. Ungläubig sah er sich um. All das war seine Familie, sein Zuhause.

    Es war beinahe gespenstisch wie die Tür, eher das Tor, zum Thronsaal auf frisch geölten Scharnieren auf glitt ohne einen Laut zu machen. Selbst jetzt noch, da sie die Lügen kannten, auf denen sie gebaut waren, schüchterte sie die Erhabenheit der steinernen mit Ranken bewachsenen Säulen und die in schier unendlicher Höhe schwebende Decke ein. Es war als beobachteten sie hunderte Augen aus den Schießscharten, in denen im Falle einer Erstürmung des Palastes Palastwachen stehen würden, die jeden Feind mit Pfeilen spickten, der es wagen würde einen Fuß in den Thronsaal zu setzen. Jetzt jedoch waren sie unbesetzt, da alle Palastwachen an den Mauern Dienst taten. Aus den Tiefen der Halle hallte das Tropfen von Wasser, dass jeder zweiten Säule herab rann und sich in einem kleinen Brunnen an ihrem Fuß sammelte. Goldene Ornamente blitzten an den Wänden und der Boden war mit in den Marmor eingelassenen Diamanten gemustert. Etwas anderes fesselte jedoch, trotz all der Schönheit um sie herum, ihre Aufmerksamkeit. Zumira saß auf ihrem Thron, der auf einer Art Bühne stand, damit sie über allem emporragte. Der raue Stein, aus dem der Stuhl geschlagen war, diente genau wie die gewaltige Bronzestatue eines Phoenix, die sich dahinter erhob, einzig dazu jeden einzuschüchtern, der vor die Königin des Elfenreiches trat. Dennoch wirkten die Gestalten vor ihr weitaus bedrohlicher. Die Assassinen hielten sich nicht allzu sehr mit Symbolen oder Einschüchterungstaktiken auf. Ihre schwarze Kleidung und der Stahl, der in ihren Händen blitzte, hatte jedoch genau diese Wirkung. Sie standen in einer lockeren Formation vor den Treppen, die zu Zumiras Podest führten. Obwohl keiner von ihnen Anstalten machte sie anzugreifen, umfing sie doch ein Hauch von Gefahr, der unmöglich allein von ihrer Aufmachung oder ihren Waffen her stammen konnte. Es war vielmehr das Selbstvertrauen, dass sie ausstrahlten, obgleich sie einer Übermacht von 10 zu 1 gegenüberstanden. Sedar sah einige der fremden Männer und Frauen um sich herum schlucken. Der Orden mochte seit Jahren gegen die Assassinen kämpfen, dennoch hatte vermutlich keiner von ihnen je einem Auge in Auge gegenübergestanden. Viele besorgte Blicke wanderten über die Menge hinter ihnen, um sich zu vergewissern, dass sie tatsächlich in der Überzahl waren. Doch Sedar sah keinen der umkehrte. Und letztendlich kehrte in viele Augen die Entschlossenheit zurück, nachdem sich Hände fester um Waffen geschlossen hatten und Schulter um Schulter sich berührte, bis sie alle in einer geschlossenen Formation vor ihrem Feind standen.
    "Sieh an." Man konnte unmöglich ausmachen welcher der Assassinen gesprochen hatte. "Wir hatten schon gefürchtet ihr kommt nicht mehr." Einige der Ordensmitglieder sahen sich verwundert an. Eigentlich waren sie davon ausgegangen, dass ihr Bündnis mit der Enklave eine Überraschung für die Abtrünnigen sein sollte. Sedar kannte jedoch die Ausbildungsmethoden der Assassinen und wusste, dass sie selbst dann ihre Überraschung verbergen würden, wenn in diesem Moment ein rosanes Nashorn durch die Wände gebrochen käme und anfing alte Volksweisen zu schmettern, während es auf einem Bein tanzte. Dennoch verfehlte auch diese sorgsam gewählte Formulierung die Wirkung auf den Orden nicht.
    "Hört nicht auf ihre Worte", ermahnte ein Mann, der in der vorderen Reihe stand und offensichtlich den Befehl hatte, schnell, "Sie sind vergiftet, genau wie ihre Klingen." Doch selbst seine Stimme klang heiser als er den Mund öffnete um den Angriffsbefehl zu rufen.
    "Die Armbrüste hoch!" Es dauerte einen Augenblick, doch dann hoben sich dutzende Armbrüste der Männer und Frauen in den ersten beiden Reihen. Sie waren bereits vor dem Tor zum Thronsaal gespannt worden und jetzt hörte man das Klackern der Pfeile, die in die Vertiefungen der hölzernen Mittelsücke gelegt wurden. Einer der Assassinen aus der zweiten Reihe trat vor und legte die Kapuze zurück. Graues schütteres Haar fiel über ein vernarbtes Gesicht, doch seine Bewegungen ließen nichts von seinem Alter erahnen.
    "Ich bin Kaidal der Anführer der Abtrünnigen und ich biete euch die Gnade eines schnellen Todes, wenn ihr niederkniet." Die spöttische Betonung auf dem Wort Abtrünnige ließ Sedar stutzen, jedoch vergaß er jeden Gedanken, den er vielleicht gehabt hatte, als er realisierte welchen Namen der alte Assassine genannt hatte. Kaidal. Der Mann, der ihn aus seinem Zuhause, aus seiner Familie gerissen hatte. Der einzige außer ihm der wusste, wer seine Eltern waren. Der Mann, der sterben musste.
    "Bereithalten", ertönte wieder die Stimme des Anführers.
    "Feuer?", entgegnete Kaidal belustigt und es klang nach einer Frage. Sedar hört wie dutzende Sehnen hervorschnellten und wie die Geschosse durch die Luft sirrten. Befriedigt vernahm er die Geräusche etlicher Eisenspitzen, die sich in Fleisch bohrten. Er brauchte einen Moment bis er erkannte, dass keiner der Assassinen getroffen zu Boden sank, dass der Anführer des Ordens keinen Befehl gegeben hatte und dass das Sirren von Pfeilen, wie sie ein Bogen verschoss, stammte und nicht wie von Armbrustbolzen. Verdutzt sah er sich um und sah wie sich überall um ihn herum Menschen vor Schmerzen auf dem Boden krümmten und fassungslos auf die Pfeilschäfte starrten, die aus ihrem Körper ragten. Einige Blicke hatten auch jeden Ausdruck verloren und Blut sammelte sich zu seinen Füßen. Die Schießscharten waren nicht unbesetzt. Die Mauern des Palastes dagegen offensichtlich schon. Ein Armbrustbolzen löste sich irgendwo, doch anstatt einen der Assassinen zu treffen schlug er nur gegen die Wand und zerbrach. Wieder schossen Pfeile von überall auf sie zu und dann brandeten die Schreie über Sedar hinweg, als er sich hinkauerte und hoffte nicht getroffen zu werden. Er blickte wieder auf, als dass Sirren verklungen war und sah schwarze Gestalten, die zwischen den Säulen hervor sprangen und scheinbar wahllos in der Menschenmenge zu morden begannen. Alles Assassinen, doch viel zu viele, als dass es nur die Abtrünnigen waren. Schnell blickte er sich nach seinen Freunden um. Ihnen schien es gut zu gehen und jeder außer Neneve erwiderte seinen Blick mit demselben Entsetzen, das er verspürte. Die Elfe dagegen hatte ihre Augen auf Zumina gerichtet und die Blicke die sie ihr zuwarf waren fast tödlicher als die beiden Pfeile, die sie in schneller Folge abschoss. Der erste flog noch knapp an dem Kopf der Elfenherrscherin vorbei, der zweite traf sie jedoch genau in die Brust und warf den gesamten Oberkörper der Königin gegen die Lehne ihre Throns. Sedar schüttelte Neneves Schulter.
    "Kaidal", brüllte er ihr zu, "Du musst auf Kaidal schießen." Er deutete auf den grauhaarigen Mann, der immer noch spöttisch grinsend das Geschehen verfolgte. Neneve warf ihm einen kurzen Blick zu, dann zog sie einen weiteren Pfeil aus ihrem Köcher. Der Assassine war völlig auf den Anführer des Ordens konzentriert, der gerade mit einer hässlichen Wunde in der Brust zu Boden sank. Mit einem lächeln beobachtete er wie der bemitleidenswerte Mann Blut ausspuckte, während ihm Tränen über die Wangen liefen. So bemerkte er das Geschoss nicht, dass von der Seite her kam. Mit einem dumpfen Laut durchdrang die Eisenspitze sein schwarzes Gewand und fuhr in das weiche Fleisch darunter. Der Mann stolperte einen Schritt zur Seite und blickte dann mit einem Ausdruck des Erstaunens auf den Schaft und daraufhin in Neneves Richtung. Plötzlich blitzte ein silbriger Wurfstern in seiner Hand auf. Sedar hatte jedoch nie vorgehabt der Elfe die ganze Arbeit zu überlassen und selbst ein Messer gezückt, dass er jetzt mit einer fließenden Bewegung warf. Es fuhr dem alten Mann in den Hals, direkt gefolgt von einem weiterem Pfeil aus Neneves Bogen, der sich neben den ersten bohrte. Der silbrige Wurfstern fiel mit einem klackern, dass trotz des Lärms um sie herum in Sedars Ohren zu dröhnen schien, zu Boden. Er beobachtete gebannt wie der Anführer der vermeintlich Abtrünnigen zusammensackte, einzig den Gedanken fassend, dass seine Eltern jetzt in Sicherheit wären, als ihn Neneve am Ärmel riss. Der alte Assassine war der einzige gewesen, der nicht in den Kampf eingegriffen hatte, und so konnten sie die Stufen zu dem Thron der toten Königin hoch steigen, ohne dass sich ihnen jemand in den Weg stellte. Hinter der Phoenix Statue löste die Elfe eine lose Bodenplatte und gab den Blick auf einen dunklen Abgrund preis, bevor sie mit einem Satz herab sprang. Sedar warf einen letzten bedauernden Blick zu den Ordens Mitgliedern zurück, doch es waren nur noch weniger als zehn übrig und selbst die waren mit Pfeilen gespickt und von Assassinen umringt. Sie hatten keine Chance. Er wartete bis Casper, Gyahara und Cifer der Elfe gefolgt waren und ließ sich dann selbst in den Abgrund hinab. Er hielt sich jedoch mit einer Hand an der Kante fest und zog mit der anderen die Bodenplatte wieder in ihre alte Position. An einer Seite drückte er sie noch leicht nach oben, damit sie nicht seine Finger einklemmte, dann ließ er los und hörte im Fallen, wie sie wieder zwischen die anderen glitt, sodass man keine Spur ihrer Flucht finden würde. Dann schlug das eisig kalte Wasser über ihm zusammen.

    Er war in einen kleinen unterirdischen See gefallen, der ein paar Meter unter dem Palastboden lag. Das Wasser war komplett klar, sodass er mithilfe des Lichtes, dass aus mehreren Kristalladern in den Wänden zu scheinen schien, bis auf den Grund der Grotte sehen konnte. Neneve war bereits zum Ufer geschwommen und hatte sich auf den Steinboden gezogen. Gyahara folgte ihr gerade.
    "Was war denn das", fragte Cifer aufgelöst, als sie schließlich alle aus dem Wasser gekommen waren.
    "Eine Falle", antwortete Casper, dessen tiefe Stimme von den Wänden wieder hallte, was ihm einen unheilvollen Klang verlieh. "Die Assassinen mussten all das geplant haben."
    "Es gab nie eine Spaltung", stimmte Sedar zu. "Dass war alles nur ein Plan um den Orden auf einen Schlag loszuwerden. Zumina hatte nur den richtigen Ort und die Palastwachen für die Schießscharten dazu."
    "Ziemlich schlau", gab Gyahara nach einigen Augenblicken des Schweigens zu. "Wie besiegt man sonst eine Organisation, dessen Mitglieder sich normalerweise einander nicht kennen, sich sonst nie an einem Ort versammeln würden und sich immer im Hintergrund halten."
    "Deswegen wollten sie uns auch dabei haben", fügte Cifer hinzu. "Zwei Fliegen mit einer Klappe."
    "Wo wir gerade bei uns sind", ergänzte Casper, "Wo sind wir hier eigentlich genau."
    "Am verborgenen Teich", erklärte Neneve. "Ursprünglich wurde der Palast wegen des Kristalls, der hier für Licht sorgt an dieser Stelle gebaut. Der Teich ist als letzte Fluchtmöglichkeit für den Herrscher der Elfen gedacht. Es ist extrem schwierig von dieser Seite nach oben zu kommen, doch da es einem Meuchelmörder womöglich doch gelungen wäre, ist es eines der bestgehütetsten Geheimnisse des Reiches. Nur der Herrscher und seine Königsboten wissen davon." Sie stockte einen Moment. "Nun wohl nur noch die Königsboten. Ich glaube nicht, dass selbst sie dieses Geheimnis an die Assassinen weitergegeben hätte."
    "Dennoch sollten wir kein Risiko eingehen", empfahl Cifer. "Im besten Fall bemerken sie erst in ein paar Stunden, dass unsere Leichen nicht da sind. Und dann will ich über alle Berge sein."

    Sedar blickte nachdenklich auf das Haus vor ihnen. Nun, es war eigentlich kein Haus, sondern vielmehr eine Hütte. Eine verfallene heruntergekommene Hütte. Vermutlich stand sie schon seit Jahren hier und würde auch weiterhin hier stehen, bis irgendwann das letzte bissche Holz vermoderte. Die Assassinen hatten diesen Ort vermutlich einzig deshalb für dieses Treffen gewählt, da er so abgeschieden lag und die Bäume um ihn herum ihnen einen Vorteil boten, den der Orden nicht nutzen konnte. Schatten.
    Die Hütte hätte genauso gut verlassen sein, stände dort vor der Tür nicht eine schwarz gewandte Gestalt, die sie unter einer herunter gezogenen Kapuze beobachtete. Wortlos trat der Mann beiseite, um sie durch die Tür zu lassen. Sedar beäugte ihn ihm vorbeigehen trotzdem misstrauisch. Er hatte eigentlich nicht vorgehabt einem anderem Assassinen je wieder den Rücken zuzukehren. Im inneren der Hütte, sie bot nur Platz für einen einzigen kleinen Raum, standen drei weitere Männer in Schwarz.
    "Seit gegrüßt", sprach der links stehende sie an. Sie konnten keines der Gesichter erkennen, doch Sedar konnte ihre brennenden Blicke spüren, die auf ihm lasten. Den rechten glaubte er zu erkennen. Es war einer der Meister, der ihn ausgebildet hatte.
    "Ihr wisst, warum ihr hier seid", fuhr der mittlere fort, "weshalb wir euch brauchen und was wir euch anbieten?" Er wartete bis jeder von ihnen genickt hatte.

    "Es wird Zeit", sagte sein ehemaliger Meister zu ihm. Sie hatten lange verhandelt. Größtenteils der alte Heiler, der wohl für den Orden sprach, mit den Assassinen. Cifer wurde schließlich von dem Mann, der sie vor der Tür erwartet hatte, weggeführt. Um ihn zu heilen, versprach man ihnen, doch sie hatten ihm dennoch bange Blicke hinterher geworfen. Nun schickten sich die Assassinen sich an, ihr Versprechen an ihn zu erfüllen. Man führte ihn aus der Hütte heraus in den Wald. Als er bereits sicher war, dass sie ihn an einen abgeschiedenen Ort brachten, um ihn dann zu exekutieren, erreichten sie eine zweite noch kleinere Lichtung, auf der ein weiterer Assassine wartete. Er stand neben einer großen Truhe. Diese wurde mit einem großem Schlüssel aufgeschlossen und ein dickes alt wirkendes Buch herausgenommen. Der Truhendeckel wurde als Unterlage genutzt. Wortlos traten die beiden Assassinen zur Seite. Den Atem anhalten und mit zitternden Händen schlug er das Buch auf. Manchmal wünschte er sich doch, er hätte die Zeit gefunden lesen zu lernen. Zum Glück hatte er einen Plan. Schnell blätterte er weiter bis er die letzte beschriebene Seite gefunden hatte. Sie war nicht einmal in der Hälfte. Einen Moment fragte er sich schaudernd wie viele Namen hier noch Platz finden würden, dann blätterte er ein paar Seiten zurück. Er brauchte nicht lange zu Suchen, bis er den Namen Sedar fand. Immerhin diesen konnte er erkennen, wenn auch nur von den etlichen Steckbriefen, auf denen er gestanden hatte. Mit offenem Mund starrte er auf die Buchstaben, die dahinter standen. Die Namen seiner Eltern. Dahinter stand ein weiterer Name, den er entziffern konnte. Kaidal. Er gehörte einem seiner Meister und er hatte ihm einmal einen Brief überbringen müssen, auf dem dieser Name als Adresse stand. Er musste es sein, der ihn aus seinem Zuhause gezerrt und in die Enklave verschleppt hatte. Er wusste nicht wie lange er dort stand, doch es mussten Minuten gewesen sein, als er endlich den Blick los reißen konnte. Vorsichtig gestattete er sich Seitenblicke auf seine zwei Bewacher. Sie behielten die Umgebung im Auge und schenkten ihm nur wenig Aufmerksamkeit. Ob sie wohl die Gelegenheit genutzt hatten, einen Blick in die Aufzeichnungen zu werfen. So weit er wusste - nein, eigentlich war er sich sicher - gab es nur dieses eine Buch. Keine Abschrift oder etwas ähnliches. Wozu auch. Normalerweise führte die Enklave über gar nichts Buch. Niemand sollte Hinweise darauf finden, in was sie alles verwickelt waren. Kam kein Vertrag, wie bei Zumina, zustande, wurden alle angelegten Dokumente - sofern es welche gab - nach Erhalt der Bezahlung vernichtet. Das wusste Sedar noch von seinen eigenen "Missionen". Unauffällig positionierte er sich so, dass seine Beobachter keine Blick auf das Buch hatten und riss beim Schließen des Buches die Seite mit seinem Namen heraus. Das Geräusch wurde von dem des zuschlagenden Buches übertönt. Niemand sollte den Namen seiner Eltern je wieder betrachten können. Nun wusste außer ihm nur noch Kaidal davon.

    "Wenn man ein Leben führt, in dem man nur Gewalt erfährt, wenn man statt Liebe nur Verachtung und Hass Geschenkt bekommt, verkümmert jeder Funken Menschlichkeit und es bleibt eine Leere, die gefüllt werden muss. Mit Macht." Der Blick des Heilers fixierte Sedar und in seinen Augen stand die unvermeidliche Frage. Was unterscheidet dich von den anderen? Dass Misstrauen, dass der Heiler bisher verborgen hatte, trat jetzt ungehindert zum Vorschein. Er hasste die Assassinen tatsächlich.
    "Ich werde dir beweisen, dass ich meine Menschlichkeit nicht verloren habe", dachte Sedar, tat jedoch nichts weiteres als den Blick zu erwidern. Der Heiler wandte sich abrupt ab und blickte wieder Neneve an.
    "So kommt es, dass die Enklave nach nichts mehr strebt als nach Macht. Nicht nach Grausamkeit oder Geld. Sie kommen in der Nacht, wenn niemand sie sieht, und am Tag haben sie eine ganze Zivilisation vernichtet. Sie bringen den einen um und schieben es dem anderen in die Schuhe. So haben sie Rebellionen herauf beschworen, Staatsstreiche erwirkt und Kriege begonnen. Auch den Krieg zwischen den Elfen und Menschen, den ihr am eigenem Leib miterlebt habt. Es geht ihnen nicht darum Land zu besitzen oder Armeen, sie sorgen einfach dafür, dass ihre Gegner sich selbst vernichten. Alles was sie ausmacht ist ihre Fähigkeit über Leben und Tod zu entscheiden. Ob über das einer einzelnen Person oder das eines ganzen Volkes. Erst wenn sie die Geschicke eines jeden Königreiches kontrollieren, über jeden und allen bestimmen können, ohne dass einer ihrer Bürger davon weiß, haben sie ihr Ziel erreicht. Dann können sie alles geschehen lassen. Dann sind sie Götter." Der Heiler nahm einen tiefen Schluck aus der Teetasse, die Cifer ihm gebracht hatte.
    "Das wissen wir bereits alles", nutzte Gyahara die kurze Pause. Neneve nickte ungeduldig.
    "Aber was ihr vielleicht unterschätzt sind die Machtverhältnisse, die unter den Assassinen selbst herrschen." Er blickte wieder Sedar an.
    "Außer ihm natürlich." Sedar wusste, dass es eine obere Riege gab, die bestimmten welche Aufträge die Assassinen annahmen. Sie entschieden welcher Preis festgelegt wurde und sie gaben hin und wieder eigene Ziele aus.
    "Es gibt nur ein paar", fuhr der Heiler fort, "Die die Fäden in den Händen halten. Die anderen sind Werkzeuge wie jeder andere auch. Nur dass manche sich in ihrer Rolle fügen und andere lieber nach den Fäden greifen wollen. Vor kurzer Zeit trat einer der sechunddreißig Elfen, die mittlerweile den Assassinen in die Hände gefallen waren, an Zumira heran. Er bot ihr Schutz vor den restlichen Assassinen an, solange sie nur den Pakt mit den Assassinen brach und ihn und seine Gefolgsleute dabei unterstützte die Enklave zu übernehmen. Dafür würde sie nie wieder Einmischungen in ihre Politik erwarten müssen oder Kinder ihres Volkes opfern. Zwei Monate ist es nun her, dass ein anderer Assassine, der nichts von dem Verrat wussten, kamen und die Kinder forderten, die ihnen für dieses Jahrhundert versprochen worden waren. Als er ihr in ihrem Thronsaal entgegentrat war sie nicht allein. An ihrer Seite standen drei seiner vermeintlichen Brüder und eine Schwester. Er verließ den Saal nicht. Seitdem rebellieren die Abtrünnigen offen gegen die Enklave. Beinahe die Hälfte ihrer Mitglieder haben sich ihnen angeschlossen und befinden sich jetzt in Zumiras Schloss und schützen sie vor möglichen Attentaten. Die Enklave kann nicht offen angreifen. Das ist nicht ihre Art. Zuviele von ihnen würden fallen. Der Krieg sollte Zumina in Bedrängnis bringen, doch das habt ihr verhindert. Jeden Versuch durch Attentate Unruhen zu stiften können die Abtrünnigen unterbinden."
    "Das sind ja alles großartige Neuigkeiten, aber wie genau sind wir davon betroffen?", wollte Casper wissen. "Ich für meinen Teil bin froh, dass die Assassinen besseres zu tun haben als sich um uns zu kümmern. Sollen sie das unter sich klären." Der Heiler ließ sich von der Unterbrechung nicht aus der Ruhe bringen und nahm einen weiteren Schluck Tee.
    "Die Sache ist nicht so einfach. Wenn nichts geschieht, besteht die Gefahr, dass die Drahtzieher der Abtrünnigen einen Pakt mit denen der Enklave schließen. Dann würden sie sich wieder vereinen und ein paar von ihnen werden sich sicher noch an euch erinnern. Ihr solltet vielleicht noch wissen, dass ich einem speziellem Orden angehöre. Wir nennen uns den Orden der aufgehenden Sonne." Er grinste verlegen, wie man es eher von einem Schuljungen erwarten würde. "Der Name ist etwas albern, aber so treffend, denn wir bringen Licht ins Dunkle. Die Sache ist recht einfach. Jeder der sich offen gegen die Assassinen gestellt hat, hat nicht lange genug gelebt, um auch nur einen Schlag gegen sie zu tun. Wir arbeiten getrennt von einander, agieren im Schatten, genau wie die Assassinen. Hier ein Wort in ein offenes Ohr. Da einen heimlichen Brief. Kaum einer kennt auch nur eines der anderen Mitglieder, ich selbst habe nie eines der anderen zu Gesicht bekommen. Eines Tages hatte ich einen Brief vor der Tür liegen und eine Woche später einen weiteren, in dem Anweisungen standen. Falls die Assassinen einen von uns schnappen bringt sie das nicht weit. Es muss ein paar Personen geben, die untereinander vermitteln und uns unsere Nachrichten schicken, doch die halten sich vermutlich soweit im Hintergrund, dass nicht einmal ich einen von ihnen ausfindig machen könnte."
    "Was hilft diesem Orden ein Mann, der allein in einem Wald hockt?", fragte Cifer und setzte dann einen verlegenen Gesichtsausdruck auf. "Nichts für ungut." Der Heiler nickte ihm verständnisvoll zu.
    "Ich lebte nicht immer hier", erklärte er. "Einst war ich in einem Palast tätig. Nicht mehr als ein einfacher Arzt, der gerufen wurde, wenn einer der hohen Herren oder Damen Fieber hatte oder hustete. Aber die Kranken sind gute Zuhörer, es sei denn sie schlafen." Er kicherte vergnügt.
    "Ich verstehe immer noch nicht was die ganze Sache mit uns zu tun hat", wiederholte Casper seine Worte von vorhin und runzelte die Stirn.
    "Ihr seid der Schlüssel", entgegnete der Heiler blickte dabei aber nur Neneve an, die unter seinem Starren sichtlich unruhig wurde, "Die Enklave hat in ihrer Notlage etwas getan, was sie noch nie zuvor versucht hat. Sie hat uns kontaktiert. Sie können keine Unruhe in Zumiras Reich stiften, aber wir können es. Wir werden das Volk aufhetzen, indem wir dem Volk und seinen Fürsten die Wahrheit erzählen. Dies schadet zwar auch der Enklave, aber es ist das kleinere Übel. Wenn das Volk auf die Barrikaden geht und die Fürsten Zumira ihre Unterstützung entziehen, bleibt ihr nur noch ihre Königswache und die Assassinen. Die Königswache wird genug mit dem randalierenden Volk zu tun haben und die Assassinen werden bei Zumira sein. Neneve kennt Geheimgänge in das Schloss, das ist mir klar. Durch sie werden wir in den Palast gelangen. Die Enklave serviert uns die Hälfte ihrer Mitglieder auf dem Silbertablett. Natürlich werden wir viele Männer brauchen, um sie zu überwältigen. Wir wissen, was ein einzelner Assassine vermag, aber hunderten Armbrustbolzen können sie nicht ausweichen. Wir werden jeden einzelnen mitnehmen, der uns die Treue hällt, und vielleicht werden wir hundert verlieren, aber jeder tote Assassine ist hundert von uns wert." In seinen Augen glimmte ein eifriges Feuer und sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, dass nun gar nichts spitzbübisches an sich hatte.
    "Wer sagt euch, dass das keine Falle ist?", wollte Sedar wissen.
    "Die abtrünnigen Assassinen", antwortete der Heiler. "Sie werden wissen, dass die Enklave hinter den Unruhen steckt und sie werden einen Angriff erwarten. Die Königswache wird jedes Fenster, jedes Tor in den Palast hinein bewachen. Nicht einmal ein Assassine käme völlig unbemerkt an ihnen vorbei. Die Abtrünnigen bleiben wahrscheinlich direkt bei Zumira. Sie werden vermuten, dass es das Ziel der Enklave ist, zu warten bis das Volk den Palast erstürmt um dann entweder selbst anzugreifen oder zu hoffen, dass die Bürger mit Zumira auch ihre Bewacher umbringen. Vermutlich planen sie mit Zumira durch einen dieser Geheimgänge zu fliehen, wenn die Tore fallen. Aber sie werden nicht mit uns rechnen. Deshalb brauchen wir euch und vor allem Neneve. Sie muss uns alle Geheimgänge zeigen, damit wir sie versperren können. Sie bringen uns herein bevor die Abtrünnigen einen Angriff erwarten und sie bringen uns hinaus, ohne dass die Enklave uns eine Falle stellen könnte. Denn wir werden verhindern, dass irgendein Assassine weiß wie wir den Palast verlassen. Uns ist klar, dass danach der Krieg weiter geht, so wie bisher. Aber wir werden nur noch gegen die Hälfte der Gegner kämpfen müssen und haben dabei so viel gewonnen. Die Enklave muss damit leben eine noch schlimmere Niederlage abgewendet zu haben, doch wir können einen Sieg verbuchen. Endlich." Er hatte sich völlig in Rage geredet. Es schien als wolle er die Arme ausbreiten, um seinen Worten mehr Phatos zu verleihen, doch er beschränkte sich darauf die Augen weit auszubreiten und seine Augen glimmen zu lassen. Sedar konnte nicht umhin dem Mann recht zu geben. Es klang alles so perfekt. Zu perfekt. Doch er konnte keine Schwachstelle entdecken. Sicherlich könnte die Enklave sie verraten, aber wenn sie darauf achteten, dass sie die Geheimgänge nicht kannten und verschwanden, bevor die Königswache ihre Wache aufgeben musste, dann hatten sie eigentlich keine Zeit dazu. Falls sie es vorher versuchten, würden ihnen immer noch die Abtrünnigen bleiben und das konnte ihnen die Vernichtung dieses Ordens nicht wert sein.
    "Und was haben wir davon", durchbrach Cifer endlich die beklemmende Stille, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte. Der Heiler sah ihn an und sein Gesichtsausdruck wurde wieder etwas weicher.
    "Die Enklave wird euch versprechen, euch nicht weiter zu verfolgen. Außerdem kann sie ein paar mehr Sachen für euch tun, die sie im Nachhinein nicht wieder zurück nehmen kann. Zum Beispiel kann ich deinen Fluch nicht endgültig heilen. Du musst wissen, dass ich vermute, dass es die Assassinen sind, die diese Flüche verteilen. Ich weiß nicht was du getan hast, als du ihn dir zugezogen hast, aber offenbar wollten die Assassinen zu diesem Zeitpunkt, dass du irgendetwas tust oder lässt. Nur sie können dich von dieser Geißel befreien. Dir Neneve kann ich nichts weiter anbieten, als Rache an Zumira für dein Volk und mit Zumira wird auch der Pakt sterben. Wer auch immer ihr Nachfolger wird. Er wird die Gelegenheit haben die Elfen dem Einfluss der Enklave zu entziehen. Solange er weiß von den Assassinen weiß und dafür kannst du sorgen, kann er sich gegen sie wehren. Dir Sedar, könnte die Enklave einen Einblick in das Register gewähren. Ich weiß nicht, ob du davon gehört hast, doch es enthält den Herkunftsort und die Eltern eines jeden Kindes, das die Assassinen rauben. Euch, Gyahara und Casper, kann ich leider nichts weiter versprechen, als dass ihr die Gelegenheit haben werden die Welt von ein paar Assassinen zu befreien. Ich hoffe nur, dass euch das reicht." Sedar hörte die letzten Worte zwar, verstand sie aber nicht. Auch das bisschen Mitleid, dass er zum ersten Mal in der Miene des Heilers sah, während dessen Blick auf ihm ruhte, registrierte er nur am Rande. Er könnte erfahren, wer seine Eltern waren. Ob sie noch lebten? Wo sie wohl lebten? Es war immer sein Ziel irgendwann herauszufinden, wo er seine Kindheit hätte verbringen sollen und mit wem. Dies könnte seine einzige Chance sein, dies tatsächlich zu tun. Er müsste sich in die Enklave begeben. Erneut. Aber Cifer würde ebenfalls dorthin reisen müssen, um den Fluch loszuwerden, und vielleicht würden ihn die anderen begleiten. Die Assassinen waren auf diesen Orden der aufgehenden Sonne angewiesen und der Orden auf Neneve. Vermutlich war dies die einzige Gelegenheit einen weiteren Versuch bei der Enklave zu überleben. Und danach hätte er antworten auf so viele seiner Fragen. In seinem Magen ballte sich ein Klumpen zusammen, der eine Mischung aus Angst und Aufregung bestand. Was wenn ihm die Antworten nicht gefielen. Doch jetzt, wo sie tatsächlich einmal in Reichweite lagen, konnte er sie nicht ignorieren. Nicht einmal, wenn sein Leben davon abhing.

    Auch wenn die Sonne fast nie durch den dichten Blätterwald schien, war es so heiß, dass Sedar am liebsten Oberkörperfrei gearbeitet hätte. Doch angesichts der starren noch immer feindseligen Blicke der Dämonen, die auf ihm lasteten, wollte er keine Schwäche zeigen. Natürlich waren nicht alle feindselig. Einige ihrer Gastgeber hatten sich an sie gewöhnt, manche waren sogar recht nett, doch dabei konnte kaum von der Mehrheit gesprochen werden.
    Mühsam hievte er einen weiteren Stein hoch. Bei einem heftigen Gewitter in der letzten Nacht, war einer der Höhleneingänge eingebrochen. Zum Glück war es eine unbewohnte Behausung gewesen, doch der Anblick des Schutthaufens ließ dennoch einen bitteren Beigeschmack zurück. Häuser waren zwar selten robuster als Höhlen, doch wenigstens hatten sie mehrere Ausgänge.
    Er ließ den Felsbrocken ein paar Meter entfernt auf einen weiteren Schutthaufen sinken, der jedoch von ihnen aufgetürmt worden war, und drehte sich um. Um ihn herum hatten alle anderen das Arbeiten eingestellt. Einige hielten die Brocken sogar noch in den Händen, als wären sie nichts weiter als ein paar Ziegelsteine. Alle tuschelten untereinander.
    "Was ist hier los", fragte er alarmiert und zog erneut dutzende Blicke auf sich. Dieses mal jedoch vor allem neugierige. Wurden sie angegriffen? Hatten die Assassinen sie gefunden? Bedauernd dachte er an seine Waffen, die in der Höhle lag, die er sich mit Casper teilte. Einer der vordersten - Sanyara, eine Dämonin, die ihm fast vom ersten Tag an freundlich gegenüberstand - öffnete den Mund, doch bevor sie ihm antworten konnte, rauschte die Älteste an ihr vorbei und blieb vor Sedar stehen.

    Der Rückweg war weitaus einfacher gewesen, als der Hinweg. Gewiss, sie waren lange gelaufen, doch dieses Mal war keiner von ihnen verletzt. Jetzt, da sie wieder im Wohnraum des Heilers versammelt waren, hätte Sedar vielmehr für ein Essen, als für ein Bett gegeben. Dies wertete er als Zeichen, dass er endlich vollends genesen sein musste. Dennoch stellte er seine Bedürfnisse erstmal hinten an, da etwas weitaus mehr an ihm nagte, als der Hunger. Die Neugierde. Der Heiler saß ihnen gegenüber und starrte sie verlegen an. In jedem brannten Fragen, doch niemand wagte den Mund aufzumachen. Die Verabschiedung von den Dämonen war überraschend herzlich gewesen, vielleicht waren sie aber auch nur froh, dass sie endlich verschwanden. Dennoch hatte Gyahara ihren Mantel zurückbekommen und ihnen war sogar angeboten worden, sie ein anderes Mal wieder zu besuchen. Falls sie jedoch irgendjemanden von dem Versteck und wie man dorthin gelangte erzählen sollten, dann würden die Dämonen ihnen die Kehlen aufschneiden und sie über dem Lagerfeuer ausbluten lassen. Diese blumige Umschreibung hatte jedenfalls die Älteste genutzt.
    "Ihr fragt euch sicher, wieso ich euch hergeholt habe", durchbrach der Heiler endlich die Stille und traf damit voll ins Schwarze. Dessen musste er sich bewusst sein, denn er wartete gar nicht erst auf eine Bestätigung ihrerseits.
    "Die Wahrheit ist, ich bin Teil einer Geheimgesellschaft, einem Orden. Wir bekämpfen die Assassinen." Totenstille. Man hätte eine Spritzenkanüle fallen hören können.
    "Gewissermaßen haben wir die selben Ziele wie ihr. Wir wollen sie vernichten, für das was sie mit der Welt machen, mit den Menschen. Doch kürzlich haben wir eine Nachricht bekommen von der Enklave. Sie bieten uns eine Waffenruhe an und ihre Hilfe, um ihresgleichen zu jagen."
    "Eine Waffenruhe?", fragte Sedar aufgebracht.
    "Wieso sollten sie sich selbst bekämpfen?", fügte Neneve hinzu.
    "Sie haben sich geteilt", antwortete der Heiler, "Und die einen kämpfen nun gegen die anderen."

    Sedar lag ausgestreckt auf dem Rücken und blinzelte den grauen Fels über ihm an. Obwohl die Heilkunst des alten Mannes wahre Wunder bewirkt hatte, fühlte er sich immer noch ausgelaugt und seine verschorften Wunden brannten. Es würden wohl weitere Narben zu den alten, längst verheilten dazukommen, doch was machten schon ein paar neue Löcher in einem Sieb.

    Tatsächlich wusste er nicht einmal, ob er dem Heiler fankbar sein sollte. Er war so kurz daran gewesen sein Leben auszuhauchen und obwohl er sich dagegen gestemmt hatte, wie er nur konnte, wäre er am Ende erleichtert gewesen, wenn es nicht gereicht hätte. Endlich kein schlechtes Gewissen, keine weiteren Toten mehr. Keine neuen Lügen.
    Aber es hatte gereicht und er hatte es nicht verdient sich in Selbstmitleid suhlen zu dürfen. Anders als der Heiler, der den Menschen half, war er eine Waffe. Einzig geboren um anderen wehzutun. Schlimmer noch. Eine Waffe, die sich in die Hand gebohrt hatte, welche sie einst führte. Zu enttäuschen und zu verletzen. Wenigstens hatte Cifer sich von ihm lösen können. Vielleicht war er jetzt im Sicherheit oder zumindest sicherer als zuvor. Sosehr er den kleinen Mann auch vermissen würde, er konnte ihn verstehen. Und er beneidete ihn.
    Gyahara unterbrach seinen düsteren Gedankengang, indem sie den Kopf in die Höhle steckte, die Casper und er sich teilten.
    "Komm", sagte sie ohne lange drumherum zu reden. "Die Dämonen wollen uns sehen." Wieso klang sie so besorgt. Es war doch ihr Volk. Bevor er jedoch nachhaken konnte, war der Kopf schon wieder verschwunden und er allein. Seufzend stützte er sich auf. Wenigstens würde er so auf andere Gedanken kommen. Hoffte er zumindest.

    Als er erwachte fühlte er sich, als habe er tagelang geschlafen. Normalerweise hätte er hochschrecken und nach seinen Waffen greifen müssen, doch aus irgendeinem Grund fühlte er sich seltsam erschöpft. Hier konnte keine Gefahr lauern. Dazu war dieser Ort zu friedlich. Obwohl er zugegebenermaßen nicht einmal wusste wo er war, aber was waren schon solche Spitzfindigkeiten. Er schob die Beine über die Bettkante und richtete sich dann langsam auf. Es tat ihm leid, die süße Wärme des Bettes zu verlassen, aber er war zu ausgeruht um länger zu schlafen. Seine Umgebung verschwamm kurz, als er aufstand, aber das war schon Okay. Genau wie die Tatsache, dass seine Beine unter ihm nachgaben und er sich an einem Fensterrahmen festhalten musste, um nicht zu fallen. Andererseits hatte er früher doch einen Namen für dieses Gefühl gehabt. Er war sich sicher, dass es mit einem Vogel zu tun gehabt hatte. Beädlert, behühnt. Nein er kam nicht darauf. Als der Schwindel nachließ begann er nun doch einmal sich umzusehen. Er stand in einem großem Schlafzimmer. Drei, nein vier Betten, standen neben seinem und kreisten in den Zeig herein - Moment - zeigten in den Kreis herein, den die Wände beschrieben. Eines dieser Betten beherbergte auch Cifer, der immer noch selig schlief. In der Mitte führte eine Wendeltreppe hinunter. Kreise, Wendeltreppen. Kein Wunder, dass sich in seinem Kopf alles drehte. Er beschloss Cifer schlafen zu lassen und schob sich die Stufen hinab, wobei er es schaffte beinahe nicht zu stolpern, aber was war schon ein schmerzender Arm gegen die Wunden, mit denen er hierhergekommen war. Apropo. Was war überhaupt aus diesen geworden. Er tastete behutsam über die Verbände, doch es fühlte sich ganz normal an. Keine Spur von den Endebelebenden Wunden. Er schüttelte den Kopf, wobei er sich gleich wieder an dem Geländer festhalten musste. Lebensbeendenden. Was war nur los mit ihm? Unten im Raum angekommen, fand er Casper und Neneve auf, die zusammen am Tisch saßen und ihn überrascht anblickten.
    "Wie geht es dir?", fragte Casper und Neneve ergänzte sofort, "Möchtest du ein Glas Milch." Dann kicherte sie und schwankte auf dem Stuhl hin und her, als wolle sie gleich runter kippen. Das kam ihm dann doch etwas seltsam vor.
    "Nein und gut danke", antwortete er und setzte sich neben Casper. Irgendetwas kam ihm seltsam vor.
    "1... 2... 3....", zählte er im Kopf, wobei er die Finger zuhilfe nahm.
    "Wo ist eigentlich Gyahara?", wollte er wissen, doch Casper und Neneve zuckten nur mit den Schultern.
    "Sie war schon weg, als ich hier heruntergekommen bin", antwortete Casper. "Und der Heiler hat etwas von Dämonen Dingen gesagt."
    "Und wann war das?", entgegnete Sedar. Neneve zuckte mit den Schultern.
    "Vor drei oder vier Tagen. Der Heiler meinte vorgestern er wolle sie suchen gehen, aber sie sind noch nicht zurück." Sie hob das Glas an den Mund und nahm einen tiefen Schluck.
    "Zum Glück hat er mir gezeigt wo ich Brot und mehr von der Milch finde. Bist du dir sicher, dass du nicht einen Schluck willst."

    Sedar erwachte ruckartig aus dem Zustand des Dämmerschlafs. Eine seltsame Taubheit hatte sich über seinen Körper gelegt und zuerst fiel es ihm schwer das seltsame Schaukeln nachzuvollziehen, dass ihn umgab, dann fuhr er hoch. Er wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan, denn der Schmerz, welcher augenblicklich in seinem Körper aufbrandete, durchbrach die Taubheit und ließ ihn erschlaffen wie ein Segel, während einer Flaute. Sofort war Casper über ihm, der ihn fachmäßig begutachtete.
    "Wo sind wir", krächzte Sedar und bemerkte dabei wie trocken sich seine Kehle anfühlte, so dass er zugleich hinzufügte, "Wasser." Ein Schlauch wurde an seine Lippen geführt und er nahm einige tiefe Züge des wohlwollenden Nass.
    "Auf dem Karren eines Bauern", klärte ihn Gyhara irgendwo rechts von ihm auf.
    "Auf dem Weg zu diesem Heiler... Hoffentlich", fügte Neneve von seiner anderen Seite her hinzu.
    "Es waren wieder die Assassinen", berichtete Sedar, als ihm einfiel, dass er noch niemandem ein Wort dazu gesagt hatte. Die anderen sollten wissen, wer sie verfolgte falls ... falls er es nicht schaffte. "Ein Kämpfer. Er ist mit mir von einem Dach gestürzt. Er ist tot." Niemanden schien das zu überraschen, beziehungsweise niemand äußerte ein Laut der Überraschung. Immerhin konnte er ihre Gesichter bis auf Caspers nicht sehen. Und Caspers Gesicht wirkte eher besorgt als bestürzt.
    "Wir müssen raus finden was diese Feiglinge wollen", durchbrach Neneve das Schweigen. "Sie sind uns von Anfang an dazwischengefunkt. Immer dann wenn wir gerade am verletzlichsten waren und wir nicht damit gerechnet haben."
    "Ich glaube wir haben ihnen bei irgendetwas dazwischengefunkt", entgegnete Sedar. "Irgendetwas was die Ermordung von Fürsten und die Einnahme der Elfenhauptstadt erfordert und wir müssen heraus finden was das war, damit wir es ein für alle Mal beenden können." Der Hass in seiner Stimme überraschte ihn. Natürlich war er schon immer auf die Enklave wütend gewesen, aber der Zorn auf seine einstmaligen Brüder und Schwestern hatte sich immer in Grenzen gehalten. Immerhin hatten sie dasselbe Schicksal erlitten wie er und die, die es ihnen zugefügt hatten, waren einst selbst Opfer seines Schicksals gewesen. Und so weiter und so weiter. Jetzt wollte er sie jedoch am liebsten alle Tod sehen und die Enklave brennen. Doch davon waren sie ungefähr so weit entfernt wie von den Sternen.
    "Wir sollten zuerst sehen, dass wir das hier alle überleben, bevor wir Rachepläne schmieden", erinnerte Casper ihn.
    "Vor allem du", fügte Gyahara entschieden hinzu. Sedar wollte erwidern, dass es erst vorbei wäre, wenn sie das Spiel gewonnen hätten oder verloren - was gleichbedeutend mit ihrem Tod war -, doch die Taubheit, die er bereits zuvor verspürt hatte, legte sich bereits wieder über ihn.
    "Was habt ihr mir ins Wasser getan", dachte er, doch er schaffte es nicht mehr seine Gedanken in Worte umzuwandeln. Dann überkam ihn erneut die Dunkelheit und das Schaukeln des Wagens verblasste zu einem fernem Traum.

    Sedar verschwand in dem Netzwerk der dunklen Gassen und schmalen Wege. Er hatte nicht wirklich gehofft, dass er in diesem Gewirr auf den Stall des zweifellos reichen Händlers treffen würde, doch hier gelangte er unbehelligt an sein eigenes Ziel. Die Dächer der Stadt. Soviel mehr konnte man überblicken, während kaum einer der Bürger oder Wachen auf die Idee kamen nach oben zu schauen. Leichtfüßig sprang er an der steinernen Wand eines der Häuser hoch, stieß sich kraftvoll von dieser ab und bekam eine Fuge in der Wand des gegenüberliegenden Hauses zu fassen, die ihm am Boden ins Auge gefallen war. Es war mühsam in dem glatten Stein Stellen zu finden, an denen seine Hände und Füße Halt fanden, doch schließlich zog er sich an den Dachziegeln hoch und schwang seine Beine über den Rand. Es war immer noch hell, obwohl die Sonne sich bereits dem Horizont näherte und der Lärm drang unvermindert zu ihm hoch, doch war er nicht länger ein Teil des hektischen Treibens auf den Straßen. Sorgsam hielt er sich geduckt, während er die Dächer entlang huschte, falls doch jemand den Blick zu ihm erhob, doch niemand schrie auf oder zeigt aufgeregt in seine Richtung. Den erhofften Blick erhaschte er jedoch nicht, obwohl er viel rascher vorankam, als wenn er sich zwischen den Leuten hindurch schieben müsste. Zwar fand er einige Ställe, doch die waren alle zu klein, um dem Händler auf dem Marktplatz zu gehören. Zwar war es nicht das erste Mal, dass er etwas zu stehlen versuchte, doch auch er hätte sich nicht wohl dabei gefühlt, dies von jemanden zu tun, der es sich nicht leisten konnte. Anders bei dem hochnäsigem Tierhändler. Dem würde es wohl kaum das Heim oder das Essen kosten. Höchstens ein wenig seiner Arroganz und das bereitete Sedar nicht gerade ein schlechtes Gewissen.
    Nur ein schwacher Luftzug warnte ihn und er ließ sich noch gerade rechtzeitig zu Boden fallen. Sein Körper reagierte automatisch und er rollte sich geschmeidig ab und kam an einem tieferem Punkt des Daches hockend auf die Beine. Vor ihm stand ein Mann, ganz in schwarz und mit einem Tuch über Gesicht und Nase. Er hielt einen kurzen Knüppel in der Hand und starrte ihn mit ungetrübter Ruhe an. Sedar verlor keine Zeit und warf mit einer fließenden Bewegung ein Messer. Der Mann drehte sich im letzten Moment beiseite und ließ die Klinge an sich vorbeischießen. Dann stellte er sich ohne erkennbare Aufregung wieder sohin wie zuvor und starrte ihn weiterhin an, als sei nichts gewesen. Mit leichtem Bedauern sah Sedar dem davonfliegendem Messer nach und versuchte sich die Stelle einzuprägen, an der es in die Ziegel eines anderen Daches einschlug. Es gehörte zu denen, die er gerade erst beim Schmied erstanden hatte, und auch wenn er nicht knauserig war, so war er doch zu knapp bei Kasse, um einfach ein weiteres zu kaufen.
    "Du wolltest mich nur betäuben", sagte er zu dem Mann vor ihm und warf einen bedeutungsvollen Blick auf den Knüppel. "Wollt ihr mich wieder für ein Verbrechen verantwortlich machen, dass ihr begangen habt." Angesichts der Kleidung, der Lautlosigkeit und der Geschicktheit, mit dem er dem Messer ausgewichen war, gehörte der Mann mit beinaher Gewissheit der Enklave an und die Tatsache, dass ein weiterer Assassine hier war, fernab der Elfenstadt und aller anderen lohnenden Ziele, ließ bei ihm alle Alarmglocken aufläuten. Ein Zufall war nahezu ausgeschlossen. Sie waren hinter ihm oder der ganzen Gruppe her.
    "Du verdienst einen einfachen Tod nicht", antwortete sein Gegenüber, steckte nun aber den Knüppel weg und zog ein langes gebogenes Schwert. Sedar zog seinerseits sein Schwert und hielt die Klinge vor sich. Die Sonne spiegelte sich nicht auf dem matten Schwarz, doch war sie von einer anmutigen Eleganz - schmal und schmucklos wie sie war. Ohne weitere Worte näherten sie sich, wobei Sedar versuchte die abschüssigen Ziegeln hinaufzugelangen, um aus seiner unterlegenen tieferen Position fort zu kommen, doch sein Gegner versperrte ihm immer wieder den Weg. Schließlich griff er an, so plötzlich und ohne eine Andeutung, dass Sedar kaum seine eigene Klinge hochbekam. Dann jedoch parierte er den Schlag und das helle Klingen des Metalls, das auf Metall stieß, durchfuhr die aufgehitzte Luft und brachte den übrigen Lärm unter ihnen beinahe abrupt zum erliegen. Die Möglichkeit, dass sie unbemerkt geblieben waren, war zu gering, um sie in Betracht zu ziehen. Dermaßen entfacht, begann der Tanz der Klingen nun und wurde immer hitziger. Sedar musste den schnellen Stößen oftmals ausweichen anstatt sie zu parieren. Hier zeigte sich das ganze Können eines Mannes, der sein Leben und nicht nur seine Jugend in der Enklave verbracht hatte. Er selbst war nie schlecht im Vergleich mit seinen Altersgenossen gewesen, vielleicht sogar einer der besten, doch mit seinem Gegenüber konnte er nicht mithalten. Die Schläge kamen unvermittelt und ohne jedes verräterisches Zucken. Der Blick seines Gegners ruhte starr auf ihm, während er seine Klingenbewegungen vorahnte und ihn nicht selten mit Finten überraschte, denen er nur knapp entging. Doch Sedar war nicht nur gelehrt worden gegen schlechtere Kämpfer oder ebenbürtige zu bestehen. Er unterließ die meisten Versuche selbst anzugreifen und konzentrierte sich darauf sich zu verteidigen. Nur selten und in unregelmäßigen Abständen nutzte er eine Gelegenheit zum Angriff, wenn sein Gegner nicht damit rechnen konnte. Immerhin brachte er seinen Gegenüber einige Male zu einer Parade im letztem Moment oder einen Sprung zur Seite, doch durch seine Abwehr brach er nie und sofort danach musste er selbst sich wieder aufs Verteidigen beschränken. Von unten drangen nun Rufe und die hastigen Schritte der Stadtwache herauf. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr diesen aussichtslosen Kampf zu gewinnen. Bei einem Schlag von links nach einer geschickten Finte duckte er sich und das Schwert fuhr über ihn hinweg. Doch sein Gegner ließ sie sogleich wieder von rechts auf ihn zuschnellen, während er noch im Aufrichten begriffen war. Verzweifelt spannte er sich an, sprang ab und drehte sich in einer Art Seitwärtssalto um die tödliche Klinge herum. Als er wieder mit den Füßen aufkam, nutzte er die kurzzeitige Blöße seines Gegners, um nach vorne zu springen und sein eigenes Schwert blitzartig hervorstechen zu lassen. Natürlich wich der Assassine vor ihm rechtzeitig nach links aus, doch immerhin befand er sich nun auf gleicher Höhe mit ihm. Als Sedars Füße jedoch wieder den Boden berührten, gab eine der Ziegeln unter seinem Gewicht nach und löste sich. Er verlor kurz das Gleichgewicht und taumelte. Diesen Moment nutzte sein Gegner und stach zu. Er konnte sich noch im Torkeln zur Seite drehen, damit sich der Stahl nur in seine linke Schulter fraß, anstatt in seine Brust, doch die Schmerzen brachten ihn zu einem kurzem Aufschrei. Betäubt hörte er wie der Ziegel, der ihm dies eingebracht hatte, unten auf den Steinen zersprang.
    Nur mit einem Sprung zurück ins Ungewisse, bewahrte er sich von einer weiteren - diesmal wohl tödlichen - Verletzung. Sein Gegenüber sprang in stillem Triumph auf den Dachfirst und balancierte auf der schmalen Kante. Dies bot ihm zwar keinen sicheren Halt, doch er hatte seine erhöhte Position gegenüber Sedar zurück. Dieser stürzte sich wie blind nach vorne und umklammerte den Körper seines Rivalen, während dieser noch sein Gewicht austarierte. Dies war ebenso dumm wie lebensmüde und doch war es wahnwitziger Weise seine letzte Chance lebendig aus der ganzen Sache hervorzugehen. Gemeinsam kippten sie über den Dachfirst und rollten über das abschüssige Dach. Dann war plötzlich nichts mehr als Luft unter ihnen und in Sedars Magen machte sich das Ziehen eines Falls bemerkbar. Und plötzlich war da nur noch eine gewaltige Kraft, die ihm augenblicklich alle Luft aus den Lungen trieb und Schwärze breitete sich über ihm aus und verdrängte das Gewirr von Farben, dass sein Sichtfeld einnahm.

    Als er zurück in die Wache Welt kam, schossen die Eindrücke sofort auf ihn ein. Bilder einer weiteren schlichten trostlosen Gasse, Gerüche des nicht allzu fernen Markts und das Geschrei wie die trampelnden Stiefelschritte, die sich ihm näherten. Er zwang sich dazu sich etwas aufzurichten und sich umzusehen. Zum Glück war er auf dem Körper des anderen gelandet, was ihm wohl das Leben gerettet hatte. Dieser Körper war dafür nun zerschmettert. Der Brustkorb von Sedars Aufprall eingedrückt, das Genick gebrochen und Blut sammelte sich bereits in einer Lache um den Hinterkopf. Schnell entfernte Sedar das Tuch, dass immer noch das Gesicht seines Feindes verdeckte, doch vor ihm lag keiner seiner Ausbilder. Trotzdem war er sich sicher, was die Herkunft des Mannes anbelangte. Immerhin hatte er nur ein kleines Teil der Mitglieder der Enklave kennengelernt, auch wenn ihm dieser Teil voll und ganz genügt hätte. Er bedauerte fast, dass sein Widersacher nicht überlebt hatte, um ihm ein paar Fragen zu beantworten, doch die Erleichterung, den Kampf überhaupt überlebt zu haben, überwog. Außerdem näherten sich die Schritte der Stadtwachen. Er konnte nicht lange ohnmächtig gewesen sein, wenn sie immer noch nicht hier war, wo sie doch nur hinter die Häuser in die Gasse gelangen mussten, doch noch mehr Zeit konnte er sich nicht erlauben. Vorsichtig stand er auf, stellte jedoch erleichtert fest, dass er sich offenbar keine Knochen gebrochen hatte. Nur die Wunde in seiner Schulter pochte beharrlich und sein linker Arm hing nutzlos herab, ohne dass er ihn bewegen konnte, während der Blutfleck sich auf seinem Hemd langsam ausbreitete. Doch die Aufregung des Augenblicks verdrängte die Schmerzen und auch sicher die der unzähligen Prellungen, die er sich zweifellos zugezogen hatte. Trotzdem musste er humpeln, da er schnell merkte, dass sein rechtes Bein der Belastung seines Gewichts kaum standzuhalten vermochte. Als er um die nächste Ecke bog, hörte er hinter sich schon die Rufe der Wachen, die zumindest den toten Assassinen entdeckt hatten. Er bog bei jeder Kreuzung in eine andere Richtung ab und hoffte die Soldaten so abzuhängen. Nach einiger Zeit schleppte er sich nur noch voran, doch immerhin hörte er keine Rufe mehr oder schnelle Schritte. Jedoch meldeten sich jetzt, da die unmittelbare Gefahr vorüber war, die Schmerzen in seiner Schulter und auch die überall in seinem restlichem Körper. Er stoppte kurz, um den Blutfluss an der offenen Wunde zumindest behelfsmäßig zu stoppen, da er ansonsten bestimmt schneller tot war, als dass er auf einen anderen Menschen traf. Dann zwang er sich weiter. Inzwischen war er sich nicht mehr so sicher, dass wirklich keiner seiner Knochen gebrochen war, insbesondere sein rechtes Bein gab immer wieder völlig unter ihm nach, auch wenn er es bereits so wenig wie möglich belastete, und sein rechtes Handgelenk schmerzte beinahe so stark wie seine Schulter. Nach einer Zeit schob er sich nur noch an die Wand gestützt voran, während sich seine Sicht wieder verklärte.

    Der Wind war frisch als er die Augen aufschlug. Und er trug den Geruch nach Rauch und Asche mit sich. Dafür war die Schlacht verantwortlich, wer auch immer sie gewonnen hatte.
    Nach einem kargem Mahl verließen sie ihre Lagerstätte ohne sich um die Spuren zu scheren, die sie hinterließen. Zu viele Soldaten hatten in der Nacht ihr Unwesen im Wald getrieben und ein weiterer Rastplatz würde nicht weiter auffallen. So hofften sie zumindest. Nach einem kurzem Stück Unterholz und Dickicht gelangten sie schließlich zu einem schmalem Weg, der aus dem Wald herausführte. Als sie die verbrannte Erde erreichten, die einst die Belagerer in Anspruch genommen hatte, zögerten sie einen Moment. Ein paar hundert Meter weiter entfernt lag die Stadt. Hier hatte der Kampf vergangene Nacht begonnen. Sedar fielen die selben Flaggen auf, die über der hohen Mauer hingen, welche immer noch intakt wirkte.
    "Wir haben die Schlacht gewonnen", äußerte sich Neneve erleichtert. Sie lächelte, doch es lag etwas Wehmut darin.
    "Du lässt niemanden im Stich", versuchte Gyahara, die Casper stützte, sie zu überzeugen. "Du hast die ganze verdammte Stadt gerettet. Niemand könnte etwas anderes behaupten." Neneve nickte zwar nachdenklich, doch ihr Blick kehrte immer wieder zu den Fernen Gebäuden, die zwischen den Bäumen hervorlugten. Sie machten einen Bogen um das verbrannte, kahle Land und hielten sich im Wald. Die Schlacht hatte alles, was Deckung bot, beseitigt und auch wenn die Elfen sicher besseres zu tun hätten, als ein paar Gestalten in der Ferne nachzustellen, so wollten sie das Risiko trotzdem nicht eingehen.
    "Vermutlich ist es besser einfach zu verschwinden", dachte Sedar, behielt diesen Gedanken jedoch für sich. Er traute der Königin durchaus zu, dass sie ihrem Gerechtigkeitssinn folgte und ihn für seine Verbrechen verurteilte, obwohl er geholfen hatte die Stadt zu retten. Und er konnte es ihr nicht einmal richtig verübeln.
    Besorgt musterte er Casper und Cifer. Der eine atmete erschöpft und konnte nicht richtig auftreten, der andere schleppte sich bleich und zusammengesunken neben ihnen her. Würden sie den langen Weg, den sie vor sich hatten, überstehen. Vielleicht hätten sie den Elfengeneral nach ein paar Pferden fragen. Andererseits... Wenn man ihnen nicht mal die Behandlung eines Heilers zumaß, würde man ihnen wohl kaum Reittiere geben.
    Die Sonne stand bereits im Zenit, als sie eine größere Straße erreichten, die sie schneller zu ihrem Ziel führen würde.

    Sedar blickte Cifer stirnrunzelnd nach. Wie hatte ihm das entgehen können. Sie reisten jetzt schon seit Monaten zusammen und er hatte nie die Verbindung zwischen dem Raben und Cifer geknüpft. War er so unaufmerksam geworden. Was versteckten sie noch alles vor ihm. Mühsam kämpfte er das wieder aufkeimende Misstrauen nieder, wo er sich doch gerade auf dem richtigen Weg sah, ihnen zu vertrauen.
    "Was er mit dieser Gabe alles anstellen könnte." Kaum jemand achtete auf einen einzelnen Raben, der sich nachts auf einem offenen Fenstersims niederließ. Er könnte sich überall hinein schleichen und entkommen, ohne dass jemand daran denken würde ihn zu verfolgen. In der Stadt würde man nach einem kleinem Mann mit roten Haaren suchen, während er längst davongeflattert wäre.
    "Nur dass nicht jeder ein Mörder und Dieb ist wie du."
    Ein Zweig knackte im Unterholz. Sofort fuhr seine Hand zu seiner Klinge, doch im Dunkeln regte sich nichts.
    "Nur ein Tier", beruhigte er sich, ließ die Hand jedoch am kühlem Stahl. Es beruhigte ihn.
    "Vielleicht sollten wir die beiden nicht alleine lassen", mutmaßte Gyahara besorgt. "Wer weiß wie viele Soldaten noch in diesem Wald lauern?" Sedar kam nicht umhin ihr zuzustimmen. Sicherlich hatten sich die anderen Soldaten mittlerweile zusammengeschlossen und hatten nur noch nichts unternommen, da sie nicht wussten wo die Kameraden abgeblieben waren, die ihnen zum Opfer gefallen waren.
    Er stand auf und öffnete den Mund um zu sagen, dass er nach Cifer und Casper sehen würde.
    Ein lautes Krachen ertönte, als ein Körper durch das Unterholz brach. Silberne Schlieren zogen sich über eine Klinge, wo der Stahl das Mondlicht spiegelte. Gyahara und Neneve sprangen auf, während weitere Gestalten auf die Lichtung quollen. Sedar zählte zehn, doch er kam nicht dazu seinen ersten Eindruck zu bestätigen, da er seine Waffe hochreißen musste, um einen Schwerthieb zu blockieren. Er drehte sich um die eigene Achse und verpasste dem Soldaten vor sich einen kräftigen Tritt gegen das Kinn. Der Helm schepperte, der Mann taumelte rückwärts und stieß gegen einen seiner Kameraden. Mit einem wütenden Aufschrei stieß er seine Klinge durch beide Körper. Das Gewicht zweier Körper zog seinen Schwertarm nach unten, sodass er den Griff loslassen musste, um nicht mitgerissen zu werden. Ein Dolch erschien in seiner Hand, den er einem weiteren Soldaten durch den Helmschlitz stieß. Dann packte er eine Faust, die auf ihn zuschoss und lenkte sie zur Seite hin ab. Während der Schläger noch stolperte, versetzte er ihm schnelle Schläge gegen Speichen- und Ellennerv, unter die Augenhöhle und hinter die Ohren. Mit dem Fuß zog er ihm die Beine weg und der Mann fiel ohne den Hauch eines Widerstands auf den weichen Waldboden. Zufrieden wandte Sedar sich den anderen Soldaten zu.
    Zusammen mit Gyahara und Neneve kämpften sie, bis der letzte der Angreifer am Boden lag. Aufmerksam irrten ihre Blicke umher, auf der Suche nach weiteren Gestalten, die aus den Büschen sprangen, doch bis auf den Wind lagen diese ruhig da.
    "Casper und Cifer", stieß Neneve aus und gemeinsam stürmten sie in die Richtung, in die die beiden verschwunden waren. Sie stürmten auf eine weitere Lichtung, auf der mehrere Körper verstreut lagen. Ein großer Mann lehnte an einem hohem Baum, während ein kleinerer sich über ihn beugte.
    "Ist er...", fragte Gyahara erstickt und ließ sich dann neben dem Hünen fallen. Cifer schüttelte schnell den Kopf und Sedar bemerkte erleichtert, dass der Brustkorb von Casper sich langsam hob und senkte. Er hatte nur das Bewusstsein verloren. Viel beunruhigender war das Blut, das unter einem provisierten Verband aus Stofffetzen hervor drang.

    Sedar beobachtete angestrengt die Elfen, die sich vorsichtig an das feindliche Lager anschlichen. Noch hatte sie niemand bemerkt, doch das würde nicht mehr lange so bleiben. Die Belagerer hatten ein Stück Wald gerodet um einen freien Bereich zu schaffen, in dem es keine Möglichkeit zur Deckung gab. Dennoch hatten die vordersten Ausläufer des Elfenheers diesen Streifen bereits zur Hälfte auf dem Bauch robbend durchquert, als schrille Kriegshörner erklangen und panische Stimmen laut wurden. In diesem Moment erhob sich aus dem Schutze des Waldes ein dichter Pfeilhagel. Die Geschosse waren offensichtlich in Pech getaucht und entzündet worden, denn ihr Rauch verdunkelte die aufgehende Sonne und verpestete die ansonsten so reine Luft. Wo die Spitzen durch Blätterwerk gerauscht waren, bevor sie sich in den offenen Himmel erhoben, stiegen schmale Feuerzungen empor, doch es würde nicht reichen um einen ausgewachsenen Waldbrand zu verursachen. Viel verherrender war der Aufschlag im Lager. Natürlich reichte die Anzahl der Bogenschützen nicht aus um jedes einzelne Zelt zu erwischen, doch wo ein Pfeil durch Stoff fuhr, schlugen goldgelbe Flammen hervor und zu den Stimmen und Hörnern mischten sich Schreie, teils aus Angst, teils vor Schmerz. Die Nahkämpfer der Elfen erhoben sich schreien vom Boden und überwanden die wenigen verbleibenden Meter zum Lager mit wenigen Sprüngen, während ihre Gegner gerade noch fluchend aus ihren brennenden Zelten rannten. So mancher hastig übergeworfener Mantel rauchte und nicht wenige hatten in ihrer Eile Schwert und Schild oder welche Waffen sie auch immer bevorzugten vergessen. Einen Brustpanzer geschweige denn die vollständige Rüstung, sofern er eine solche denn besaß, trug fast keiner. Die sirrenden Schwerter der Elfen schnitten Schreie und Rufe ab und wie eine Welle, die nicht zu brechen ist, überschwemmten sie das Lager. Die wenigen Wachen, die man aufgestellt hatte, offenbar hatte man nicht mit einem Angriff von dieser Seite aus gerechnet, boten kaum mehr Widerstand als die unbewaffneten Männer, deren Haut von Brandblasen und Rötungen überzogen waren. Manche kamen auch gar nicht aus ihren Schlafstätten sondern verbrannten mit dem Stoff. Doch kaum das die Elfen sich zwischen den ersten Reihen der Zelte durchgeschlagen hatten, strömten aus den hinteren Teilen des Lagers, die die Reichweite der Bögen verschont gelassen hatte, immer mehr Kämpfer, die nicht nur Waffen trugen, sondern auch gerüstet waren, wenn auch eilig. Sie stemmten sich den Elfen entschlossen entgegen, während sich nun auch aus dem Lager der Angreifer Pfeilschwaden erhoben. Nun kam die Kavallerie der Elfen zum Einsatz. Die Fußkämpfer hatten die Pfähle umgestoßen, die jedes Pferd samt Reiter aufgespießt hätten, und machten nun hastig den donnernden Hufen Platz. Die Belagerer, die nunmehr zu Verteidigern geworden waren, hatten weder Zeit noch die Möglichkeit zwischen den Feldern eine vernünftige Phalanx zu errichten und so stürmten die Berittenen einfach durch ihre vordersten Reihen, als seien sie nur Staub, der auseinander gewirbelt werden konnte. Kurz entstand wieder Panik in den feindlichen Reihen, doch wie auch beim ersten Angriff schoben sich immer mehr Soldaten von hinten nach, selbst wenn mittlerweile auch von den fernen Stadtmauern der Klang von Hörnern hallte. Der Plan oder vielmehr die Hoffnung war es von Anfang an gewesen die Invasoren an zwei Fronten in einen Kampf zu verwickeln, doch dazu mussten die Gardisten erstmal angreifen. Ansonsten wäre die pure Überzahl ihrer Gegner wohl jeglichem taktischem Kalkül überlegen.
    Sedar deutete auf eine weiter entfernte Stelle, an der nicht gekämpft wurde, wo eine kleine Gruppe von Soldaten versuchte ungesehen das Lager zu verlassen.
    "Deserteure", fragte Gyahara hoffnungsvoll und Neneve verzog verächtlich den Mund.
    "Oder sie versuchen uns von den Seiten her anzugreifen", entgegnete er. Die Tatsache, dass der ersten Gruppe eine zweite nach kurzer Zeit folgte, schien seine Vermutung zu bestätigen.
    "Wir sollten den Elfen Bescheid sagen", schlug Casper vor. Cifer schnaubte vernehmlich.
    "Bis wir zu jemandem vorgelassen werden, der etwas dagegen unternehmen kann, ist es schon zu spät."
    "Wir können sie ja kaum zu fünft bekämpfen", stellte Casper dagegen. Sedar schüttelte den Kopf.
    "Wir müssen sie ja nicht gleich alle besiegen", schlug er vor. "Die Gruppen werden bestimmt nicht einzeln angreifen. Wenn wir nur verhindern, dass sie sich sammeln, dann sind sie nutzlos."
    "Und wie wollen wir das anstellen?", fragte Gyahara skeptisch.
    "Wir versprengen ein paar Gruppen und die, die wegrennen werden die anderen dazu bringen zurück zu rücken, wenn wir sie nur glauben lassen, dass wir genug sind um es mit ihnen allen aufzunehmen." Noch immer blickten die anderen skeptisch drein.
    "Aber das sind wir nicht", widersprach nun auch Cifer. "Sollen wir Fratzen schneiden und laut brüllen, damit sie wegrennen bevor sie daran denken zu zählen."
    "Im Gegenteil." Sedar ließ sich nicht beirren. "Kurze schnelle Angriffe und dann verschwinden wir, bevor den Überlebenden klar ist, wer oder was wir sind. Einen Gegner den du nicht kennst, greifst du nicht an." Dies waren Worte, deren Wahrheit er auf unschöne Weise erfahren hatte. Es konnte tödlich sein einen Attentat zu begehen ohne dabei ausreichend über das Opfer und dessen Beschützer Bescheid zu wissen. Oder zumindest sehr schmerzhaft.
    Die anderen zweifelten immer noch an seinem Vorschlag, doch schließlich siegte ihr Tatendrang. Keiner von ihnen wollte nur herum sitzen und schließlich lag ihnen persönlich ja auch etwas an dem Gelingen der Schlacht. Die Elfen zu warnen, selbst wenn es denn gelänge, würde ohnehin wenig bringen, da sie bereits zuviel mit den Gegnern, die vor ihnen auf sie warteten, zu tun hatten. Es würde höchstens dazu führen, dass sich die Truppen aufteilten und damit wäre dem Feind fast so gut gedient wie mit einem überraschenden Angriff an der Flanke. Da sollten sie, die ohnehin niemand beachtete, jede Möglichkeit ergreifen, die sich ihnen bot. Außerdem wollten sie alle die Gesichter der Elfen sehen, wenn sie erführen, dass sie ihren Sieg überhaupt erst ermöglicht hatten, wenn es denn dazu kam. Wenn nicht, wäre das vermutlich nur ein weiterer Beweis, dass jeder, mit dem er sich einließ, starb. Sedar verdrängte diesen dunklen Gedanken. Sie waren nicht wegen dem was er war in Gefahr. Tatsächlich könnte es sie alle retten, falls er herausfand, was die Assassinen mit der ganzen Sache zu schaffen hatten. Zumindest würde er diesmal jemanden retten, dass nahm er sich fest vor. Diesmal würde er nicht fliehen, in dem Glauben, dass die Schwerter, die die niederstreckten, die mit ihm zu tun gehabt hatten, dadurch unwahrer wurden, dass er sie und ihre Taten nicht sah. Nie wieder würde er so etwas tun. Die Enklave hatte sein ganzes Leben beherrscht. Dafür würde er sie vernichten, dies beschloss er in diesem Augenblick, da sie sich durch Blätter und ausladende Büsche pirschten. Damit er wenigstens den Rest seines Lebens unbedarft führen durfte, wenn er denn überlebte.

    "Offensichtlich haben sie größere Pläne", behaupte Sedar und fühlte alle Blicke auf sich ruhen.
    "Wie kommst du darauf?", fragte Neneve nach.
    "Ich habe noch nie erlebt, dass den Assassinen soviel an einem Aufrag gelegen hätte", behauptete er. "Sonst gibt es eine Zielperson, die erledigt werden muss und es geht nicht darum Städte zu erobern oder Armeen zu führen."
    "San", begann Casper zögerlich. "Sedar oder wie auch immer. Wieso hast du dich diesen... Männern überhaupt angeschlossen?" Sedar lachte leise auf.
    "Angeschlossen?", fragte er. "Ich habe mich ihnen nie angeschlossen. Ich kannte nur dieses Leben. Ich weiß nicht wo ich geboren bin oder von wem. Alles woran ich mich erinnern kann ist, dass man mir das Töten beigebracht habe. Schon als Kind." Das Lagerfeuer, dass sie in einer Kuhle verborgen hatten, um den Schein nicht zu weit zu tragen, prasselte in der Stille.
    "Du kennst deine Eltern nicht?", fragte Gyahara vorsichtig nach und unter ihrer Kapuze meinte er fast so etwas wie Beileid zu erkennen.
    "Natürlich nicht", brauste er auf. Erschrocken sahen ihn die anderen aufgrund seines Tonfalls an. "Glaubt ihr ich wäre geworden, was ich war, wenn ich etwas anderes gekannt hatte." Er erhob sich. "Jede Nacht sehe ich die Blicke derer, die ich getötet habe. Und alle stellen dieselbe Frage. Wieso? Wieso hätte ich so etwas tun sollen, wenn ich einen Ausweg gesehen hätte?"
    "San", sprach die Totengräberin beruhigend auf ihn ein. "Wir würden nie behaupten..."
    "Nenn mich nicht San", fuhr er sie an. "Mein Name ist Sedar. Schatten. Denn das ist, was ich bin." Er sprang auf und machte sich daran sich von den anderen zu entfernen. Er wollte jetzt keine Gesellschaft.
    "San... Sedar", rief Casper ihm nach. "Ich verspreche, dass wir deine Eltern finden." Sedar verließ die Lichtung und schritt in den Wald. Falls! Der Henker hatte das "Falls" vergessen. Falls sie noch lebten. Und was einen Unterschied machte das schon?

    Es war ein Deja-vu, als sie den Thronsaal betraten. Die eisblauen Augen der Königin lagen wieder wie Bleiplatten auf ihnen, die sie zu Boden drückten.
    "Was habt ihr mit meinen Torhäusern angestellt", fragte sie mit scharfer Stimme. Neneve ließ sich nicht davon beirren und schritt wutschnaubend auf sie zu.
    "Wir haben die Stadt gerettet", behauptete sie in einem Tonfall, die dem der Königin in nichts nachstand. "Ohne uns läge hier schon alles in Trümmern." Sie warf dem Hauptmann einen strengen Blick zu und zögernd trat dieser einen Schritt vor.
    "Das stimmt", gab er leise zu, doch in dem hallendem Saal war er dennoch gut zu verstehen. "Ohne sie wäre die feindliche Armee in die Stadt eingedrungen." Seinen Worten folgte lastendes Schweigen und er trat wieder zurück, darauf bedacht seinen Blick ja nicht auf die Königin zu richten. Oder auf die Königsbotin.
    "Wie konnte das geschehen?", verlangte die Herrscherin zu wissen und in ihrer Stimme lag ein Hauch von Schock. Schnell und detailliert berichtete Neneve von dem Geschehenem und der Hauptmann nickte alle paar Worte bestätigend.
    "Unglaublich", stellte die Königin schließlich fest. "Wie konnten sie nur die königliche Wache infiltrieren? Es gab noch nie einen Verräter unter diesen Männern. Noch nie." Sie atmete tief durch und musterte jeden von ihnen noch einmal eingehend.
    "Nun, es scheint als müsste ich mein Irrtum eingestehen", gab sie schließlich zu. "Wenn ihr diesbezüglich nicht gelogen habt, dann waren wohl auch die anderen Dinge wahr. Ich und mein Reich schulden euch wohl Dank. Auch wenn das", sie blickte Sedar an, "Keine früheren Verbrechen ungeschehen machen kann. Doch viel wichtiger ist jetzt... Dort draußen ist immer noch eine Armee und unsere Vorräte gehen langsam zuneige."

    Sedar trug immer noch das Schwert, das er sich von dem Soldaten "geliehen" hatte. Nun hatte er jedoch auch noch die beiden Dolche an sich genommen, die der Angreifer gehabt hatte. Sie mussten die Verräter unter den Elfen gewesen sein. Oder sie waren gut ausgebildete Menschen. Dummerweise hatten Kapuzen die Ohren verborgen. Sie hätten ihm die Wahrheit verraten, auch wenn er im Moment nichts damit anfangen hätte können.
    Gut ausgebildet, aber noch lange nicht so wie der Assassine, gegen den sie jetzt kämpften. Sedar hatte sein ganzes Leben lang trainiert und war gefordert worden. Doch sein Leben währte noch nicht so lang. Womöglich stand er seinem Gegner in Fertigkeiten und Schnelligkeit in nichts nach, bei der Erfahrung sah dies jedoch anders aus. Er parierte einen testenden Schwerthieb. Alle Angriffe des Mannes in Schwarz waren bisher eher Andeutungen gewesen. Auslotend, erprobend. Er wollte herausfinden wie stark Sedar war. Ebenso verfuhr er mit Neneve. Immer wieder täuschte er einen Ausfall vor, doch in Wahrheit ließ er sich zurückfallen. Abwartend, ob einer von ihnen so dumm war anzugreifen. Alleine und ohne Absprache mit den anderem. Geschickt verwandelte ihre zahlenmäßige Überlegenheit in einen Vorteil für sich selbst.
    Sedar versuchte es ihm nachzutun. Kurze Schläge, sichere Paraden. Geduld. Neneve tat es ihm gleich. Bisher. Doch er wusste nicht was sie plante.
    "Himmel, reißt euch zusammen! Schon mal was von Team gehört?!", ertönte plötzlich Caspers Stimme hinter ihnen und ließen ihn und Neneve zusammenzucken. Der Assassine nutzte die Ablenkung und zog einen der Beile, die er in seinen Gewändern versteckt hatte. Doch anstatt die ihn bedrängenden damit zu forcieren, warf er es auf den der den Ruf abgegeben hatte. Sedar schleuderte verzweifelt sein Messer hinter der schillernden Klinge der Axt her und traf sie tatsächlich auch, kaum einen Meter vor dem Henker, der mit beiden Händen das Seil hielt und sich nicht schützen konnte ohne die Brücke herabfallen zu lassen. Der Versuch des Schwarzmantels war zwar gescheitert, doch Sedar war für einen Moment nicht nur abgelenkt, sondern auch abgewand. Nur seine schnelle Reaktion bewahrte ihn davor von zwei Klingen in drei Teile geteilt zu werden, doch der Assassine setzte nach und knallte ihm seinen Ellenbogen in den Bauch. Während er sich reflexartig zusammenkrümmte, sah er aus den Augenwinkeln, wie Neneve den Mann von hinten Angriff. Dieser schien mit nichts anderes gerechnet zu haben, fing das Schwert ohne überhaupt den Kopf zu wenden hinter dem Rücken mit einer seiner Waffen ab und machte dann eine schwungvolle Drehung, die der Elfe fast die Klinge entriss, und trat ihr die Beine weg. Nur ein schnelles zur Seite rollen bewahrte sie davor, dass sich Metall in ihre Brust fraß. Sedar sprang vor um ihr zu helfen, doch in seiner Eile vergaß er seine Vorsicht. Auch diesen Versuch sah der Assassine voraus, trat spielerisch einen Schritt zurück und ließ Sedar an ihm vorbeistürzen. Beinahe wäre er über Neneve gestolpert und auf sie gefallen, was den Tod für sie beide bedeutet hätte, doch ein schneller Sprung über sie hinweg, verhinderte dieses Schicksal für einen weiteren Moment. Neneve stand wieder auf und warf ihm einen kurzen Blick zu, den er erwiderte. Der Assassine begann wieder einen schnellen Angriff, doch dieses mal schlug Sedar zu, während die Elfe den Schlag parierte. Schwarzmantel musste einen Sprung zurück machen. Er konnte die Augen unter der tief herabgezogenen Kapuze nicht sehen, doch er war sicher, dass Ärger in ihnen lag.
    Jetzt schafften Neneve und er es tatsächlich ihn zurück zu drängen. Casper hatte recht gehabt. Doch in der Enge oder nicht, der Assassine dachte nicht daran aufzugeben. Er wich aus, parierte und startete immer wieder kurze Schlagabfolgen, die er im wechsel auf ihn oder die Königsbotin herabprasseln ließ. Dann schoss er plötzlich hervor rollte sich unter ihren beiden Angriffen weg, stach noch beim Aufspringen hinter ihnen mit einer Klinge nach Sedar, während er die andere schützend in Richtung Neneve hielt. Sedar reagierte instinktiv, machte eine Körperdrehung, die die Schneide an ihm vorbeifahren ließ und trat dann mit dem gesammelten Schwung gegen die Hand, die die Waffe zum Schutz vor dem Angriff der Elfe hielt. Sein Tritt löste nicht die Finger von dem lederndem Griff, doch sie stieß die Klinge zumindest für kurze Zeit zur Seite, sodass Neneves Angriff sein ziel fand. Der kalte Stahl aus den Schmieden der Elfen bohrte sich in die Sehnen am linken Oberarm des Mannes. Dieser ließ sich nach hinten fallen und kam wieder auf die Beine. Nun rann jedoch Blut in Sturzbächen auf den Holzboden und schwerer Atem war zu hören. Er griff noch einmal an, wieder in Richtung Sedar, dann jedoch drehte sich die Klinge im Stoß und schoss auf Neneve zu. Diese reagierte blitzschnell und schlug sie von unten nach oben und vereitelte so die Finte. Sedar schlug derweil von oben auf die andere, in der jetzt kraftlosen linken Hand gehaltene, Waffe ein und hielt sie so gegen den Boden gedrückt. Dann drehte er sich, so dass er an der Seite des Mannes stand und nicht vor ihm - wodurch die nun freie Klinge seines Gegners keine Rolle mehr spielte - und bohrte ihm den verbleibenden Dolch mit der linken um seinen Hals greifend von unten in den Hals. Neneve vergrub beinahe zeitgleich ihr Schwert in der Brust des Assassinen, der geräuschlos erzitterte und auf die Knie glitt. Sedar trat ihm gegen die Schulter, so dass der Leichnam zur Seite fiel. Nicht aus Grausamkeit, doch der Mann hätte ihnen etwas vorspielen können und mit dem letztem Atemzug ihre Unachtsamkeit mit einem Beil im Rücken strafen können, jetzt jedoch war er sich sicher, dass der Körper, der vor ihnen lag jegliche Körperspannung verloren hatte. Kurz begegnete er Neneves Blick und erwiderte ihr erschöpftes aber erleichtertes Lächeln.
    "Könnt ihr mir hier vielleicht mal helfen", zog der Henker ihre Aufmerksamkeit nun auf sich. Sein Kopf war mittlerweile rot angelaufen vor Anstrengung und es sah so aus, als könne er das Tor trotz seiner unglaublichen Kraft nicht mehr lange halten. Sofort traten sie an seine Seite.

    Die vier erreichten keuchend das Torhaus. Sie waren den ganzen Weg gerannt und ließen auch nicht nach, als sie die schmale Wendeltreppe hinaufeilten. Die zwei verbleibenden Wachen, die zur Sicherheit zurückgelassen wurden, waren so überrascht, dass Sedar dem ersten die Hand gegen den Hals donnern und sich dem zweiten zuwenden konnte, der jedoch bereits von Neneve bewusstlos geschlagen auf dem Boden lag, bevor auch nur einer Alarm schlagen konnte. Natürlich töteten sie keinen der Männer. Die Königin dachte ohnehin schon, er sei ein Mörder, und auch wenn sie damit recht hatte, musste er ihr nicht gleich auch noch einen Beweis in die Hand legen. Stattdessen verschnürten sie sie und legten sie in eine dunkle Ecke. Als sie sich schließlich davon überzeugt hatten, dass sie die einzigen verbliebenen waren, verteilten sie sich im Raum, so dass beide Tür im Auge behalten werden konnten und Neneve und Gyahara als Absicherung in der Mitte des Raumes stand.
    "Und wo sind jetzt deine Attentäter?", fragte Neneve gereitzt, die sich immer noch unwohl zu fühlen schien. Wer sollte es ihr verdenken.
    "Keine Ahnung", antwortete Sedar wahrheitsgemäß. "Vielleicht haben wir Glück und ich habe mich die ganze Zeit getäuscht."
    "Glück", brauste Neneve auf. "Glück, wenn ich meiner Königin noch nicht einmal etwas präsentieren kann, nachdem ich sie vor dem ganzen Hof beleidigt und dann ihre Wachen bewusstlos geschlagen habe."
    "Glück weil wir dann nicht gegen einen tödlichen Assassinen kämpfen müssen", konterte Sedar. "Und das ohne unsere eigenen Waffen, weil ihre Hoheit uns nicht einmal diese gelassen haben. Wir haben nur das hier." Er hob verächtlich das schmale Schwert, dass er einer der Wachen abgenommen hatte. Casper trug das andere, da man Neneve als einzige ihre Waffen gelassen hatte. Sicher war es eine hervorragende Klinge - immerhin war sie der sagenumwobenen Handwerkskunst der Elfen entsprungen -, doch er hätte um vieles lieber seine eigene mattschwarze in den Händen gehalten.
    "Können wir uns bitte auf unsere Aufgabe konzentrieren", unterbrach Casper sie. Sowohl Neneve, als auch Sedar, setzten zu einer Erwiderung an, da durchbrach plötzlich ein lautes Klatschen die zwischenzeitliche Stille. Ein weiteres folgte, bevor das erste verhallt war, und dann ein drittes. Sedar konnte eine dunkle Gestalt ausmachen, die von den Deckenbalken hinab glitt und in der schattigsten Stelle des Zimmers landete, so dass sie ihr dunkler Mantel beinahe damit verschmelzen ließ. Lautlos verfluchte er seine eigene Dummheit. Wie hatte er die Decke vergessen können.
    "Eine wunderbare Vorstellung", sagte eine ruhige Stimme, die trotz ihrer emotionslosigkeit tief in ihr Fleisch zu schneiden schien. "Sehr erheiternd. Leider habe ich kaum die Zeit um mir das ganze Drama anzusehen." Jeder der drei drehte sich zu der Gestalt und richtete die Waffe auf den verschwommenen Schemen.
    "Wieso hat sie uns nicht einfach von da oben erledigt?", fragte sich Sedar. Er war gelehrt worden auf jede Form von Arroganz zu verzichten und das zu tun, was die besten Erfolgschancen versprach und nicht den größten Auftritt. Der unbekannte hatte sicherlich die gleiche Lektion erhalten und ein lautloser Hinterhalt war sicherlich effektiver als ein Kaffeeklatsch.
    "Eigentlich hatte ich auf einen ruhigen Abend gehofft, wisst ihr", plapperte der Mann in schwarz munter weiter. "Unser Mann in der Wachen hätte sich schon um seine Kollegen gekümmert und die Tore geöffnet. Ich bin hier nur die Absicherung, aber dank eures kleinen Ablenkungsmanöver, muss ich nun selbst eingreifen. Nun. Ein wenig Übung hat noch niemanden geschadet. Außer euch gleich, versteht sich."
    "Unsinn. Elfenwachen lassen sich nicht mit Geld kaufen." Neneve machte einen zornigen Schritt auf den Unbekannten zu.
    "Wer hat denn von Geld geredet?", wollte dieser wissen. "Auch Elfen haben Familien, für die sie alles tun würden." Das brachte die Königswächterin zum Schweigen. Sedar war immer noch unsicher, weshalb der Typ ihnen alles haarklein erklärte. Es sei denn, das wäre keine Arroganz... Er wirbelte herum, gerade noch rechtzeitig um den Arm, der sich gerade von hinten um seinen Hals legen wollte, mit der freien Hand abzufangen. Er zog machte eine Schritt zurück und trat die Gestalt dann gegen die Brust. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten, rollte sich dann jedoch ab und stand wieder vor ihm. Kurz riskierte er einen Blick. Casper hatte es nicht geschafft, sich rechtzeitig umzudrehen. Jedoch ließ er sich schlicht nach vorne fallen und schleuderte so den Angreifer, der ihm die Luftröhre zudrückte über seine Schulter. Dieser landete elegant auf den Füßen, der Henker gewann so jedoch genug Zeit um das Schwert zwischen sich und seinen Gegner zu bringen. Dieser zog einfach seine eigene Klinge und umkreiste den Riesen lauernd. Gyahara eilte ihm zur Hilfe, doch der Assassine behielt beide um Auge. Neneve hatte sich ihrerseits mit einem Schrei auf den, der sie abgelenkt hatte, gestürzt und deckte ihn mit einem Hagel aus Schlägen ein, die er jedoch alle lässig mit seinen Armschienen abblockte. Sedar wandte sich wieder seinem Mann zu, der inzwischen zwei Dolche gezogen hatte und lauernd den Abstand zwischen ihnen verkürzte. Er wog die fremde Klinge in der Hand - sie fühlte sich fremd und seltsam ausbalanciert an - und schlug zu, bevor sein Feind nah genug heran war, um die ihm fehlende Reichweite auszugleichen. Seine klinge traf auf zwei gekreuzte Dolche und Funken sprühten auf.

    Sedar musterte die Elfenwache, die sie zur Königin geleitete. Sie trug einen langen blauen Umhang, der Aussparungen für die Flügel bot und über den Boden strich. Die Rüstung darunter war glänzend poliert und reflektierte das Fackellicht. So edel die Wache sich auch herausgeputzt hatte, so schweigsam war sie auch. Bereits am Eingang zum Palast hatte man ihnen die Waffen abgenommen und Sedar fühlte sich beinahe nackt ohne den Stahl, der sich sonst unter seiner Kleidung verbarg. Die abweisende Art des Elfen half nicht gerade dabei ihn zu beruhigen.
    Sie wurden quer durch den ganzen Palast geführt, bis sie schließlich in eine prunkvolle Halle gelangten. Sehr zu seinem Unmut standen weitere Wachen an der Tür und den Wänden, doch bis auf die Frau, die am anderen Ende etwas erhöht in einem steinernen Thron saß, war der Raum ansonsten leer.
    "Neneve", rief die Frau und stand auf. Auch wenn sie dieses Wort ziemlich laut sagte und ihre Stimme von den Mauern widerhallte, konnte man in ihrer Stimme keinerlei Emotion erkennen. Genau wie in ihrem Gesicht, aus dem zwei eisblaue Augen umrahmt von einer hellblonden Haarpracht auf sie herabblickten. Sedar fand, dass ihr Blick etwas von einem Falken hatte, selbst wenn sie äußerlich ansonsten rein gar nichts mit dem Tier verband - von den Flügeln vielleicht einmal abgesehen. Sie war von einer zeitlosen Schönheit, nur ihre Züge waren vielleicht etwas streng. Dies gehörte vermutlich jedoch einfach zum regieren eines Reiches dazu. "Wie schön, dass auch ihr uns in diesen schweren Zeiten beehrt. Euer Auftrag ist, wie ich gehört habe, nicht wirklich erfolgreich verlaufen. Andererseits spielt das jetzt nicht wirklich eine Rolle. Wir können uns damit beschäftigen, wenn diese ... Unannehmlichkeiten hier beseitigt sind." Neneves starre Miene ließ darauf schließen, dass sie nur zu gern jetzt darüber gesprochen hätte und vermutlich einige Argumente zu dem Thema hatte - die vermutlich darauf hinausliefen, dass der Fürst erst in der Stadt und von einem Untertan der Königin ermordet wurde, als er nicht mehr unter ihrem Schutz stand -, doch sie schwieg.
    "Ihr müsst sofort Verstärkung zu dem Torhaus schicken", platzte stattdessen Sedar heraus. Er hatte noch nie viel von dem Höflichkeits hin und her des Adels gehalten, geschweige denn damit zu tun gehabt. "Ein Assassine wird sie noch heute Nacht unter seine Kontrolle bringen und die Armee draußen draußen herein lassen." Die Königin musterte ihn wie ein Raubtier die Beute und überlegte sich vermutlich, ob sie ihn gleich hier aufspießen oder davor vielleicht noch etwas über dem Feuer rösten sollte.
    "Ich bin mir sicher meine Männer kommen mit einem einzelnen hervorragend zurecht", erwiderte sie schließlich genauso hochmütig und unbewegt wie zuvor. "Immerhin sind sie Elfen."
    "Elfen oder nicht", widersprach Sedar erneut und kassierte nicht nur empörte Blicke von den Wachen, sondern mittlerweile auch von Neneve, doch das war ihm mittlerweile egal. "Bitte. Es ist vermutlich schon beinahe zu spät. Ihr kennt diese Assassinen nicht."
    "Wohl kaum", stimmte die Königin ihm zu, wurde dann jedoch von einem in eine Livree gekleidetem Elf unterbrochen, der aus einer Seitentür trat, auf sie zu eilte und ihr etwas ins Ohr flüsterte.
    "Ihr aber, wie mir scheint, schon", fügte sie hinzu und fixierte Sedar wieder mit ihrem Blick. "Immerhin seid ihr selbst einer." Sedar zuckte unmerklich zusammen, was ihr vermutlich nicht entging. War ihm seine Vergangenheit etwa auch bereits hierher gefolgt. Aber wie war das möglich?
    "Wir haben eine Kartei über jedes größere Verbrechen, das uns je bekannt wurde", beantwortete die Elfenkönigin seine ungestellte Frage. "Zusammen mit einer Täterbeschreibung, wenn sie denn bekannt ist, und jeder der hier um eine Audienz bittet wird mit dieser Kartei abgeglichen. Ratet mal, was das wohl hervorgebracht habt. Nicht, dass uns eure Ansammlung von Waffen und eure sonstige Ausrüstung nicht bereits stutzig gemacht hätten. Ihr seid der Attentäter, ein Mörder, und jetzt wurdet ihr auch noch von einem Mitglied meiner Garde persönlich in die Stadt geleitet. Durch einen Geheimgang, der nie für deine Augen oder die deiner anderen nichtelfischen Begleiter gedacht war." Sie warf Neneve einen Blick zu, der diese endlich aus ihrem Schweigen riss.
    "Aber meine Königin, es stimmt was er sagt", sprang sie Sedar zur Seite. "Vielleicht hat er eine dunkle Vergangenheit, doch er ist vertrauenswürdig. Diesen Männer, von denen mindestens einer heute Mittag im feindlichen Lager war, sind wir schon begegnet und es kann nicht schaden wenigstens einen Boten zum Tor zu schicken." Sedar warf ihr einen dankbaren Blick zu, den sie aber, falls sie ihn überhaupt bemerkte, nicht quittierte.
    "Du wusstest also um seine Vergangenheit?", fragte die Königin kühl. "Und hast ihn trotzdem in die Stadt gebracht. Wer sagt, dass er dich nicht getäuscht hat und nicht selbst der Verräter ist, der für unsere Feinde arbeitet." Sie betrachtete Sedar abschätzig.
    "Nun gut, ich werde einen Boten zum Torhaus schicken", gestand sie ihnen schließlich zu. "Aber vorher lasse ich ihn in den Kerker werfen. Egal weshalb ihr hier seid. Ihr werdet für eure früheren Verbrechen bezahlen." Sie winkte mit einer Hand und sofort setzten sich die Wachen überall in der Halle in Bewegung. Unzählige Schwerter wurden nahezu synchron gezogen und schlossen einen immer enger werdenden Kreis um ihre Gruppe. Seine Freunde versuchten sich den Gardisten in den Weg zu stellen, doch es waren einfach zu viele und keiner von ihnen wollte einen richtigen Kampf auslösen. Jetzt wünschte sich Sedar umso mehr, man hätte ihm wenigstens seine Waffen gelassen.