"Also was ist dein Plan", ertönte plötzlich eine Stimme aus dem Flur. Sedar blickte sich ruckartig um und sah Elaine, die im Türrahmen stand. Sie war 17 Jahre alt, hatte wie er dunkelbraune Haare und ein wunderschönes Gesicht, wie er zugeben musste. Meist schien sie grüne Kleider zu tragen. Das war jedoch schon alles, was er über sie sagen konnte. Eigentlich wirkte sie sehr freundlich, nur wenn sie ihn ansah wurde aus ihrem Lächeln ein neugieriger Misstrauischer Blick.
"Für einen Assassinen kann man sich übrigens erstaunlich gut an dich heranschleichen", behauptete seine Schwester und ließ sich auf das riesige Bett fallen, dass in dem viel zu großem Zimmer stand. Sedar hatte es nicht geschafft auch nur ein Auge darin zu zu bekommen. Stattdessen hatte er mit einer Decke auf dem Boden genächtigt.
"Deine Schritte habe ich schon gehört", erwiderte er und sah sie herausfordernd an, "Es sind die Schritte die man nicht hört, vor denen man sich in Acht nehmen muss." Natürlich war das Unsinn. Diese Seidenpantoffeln verursachten einfach keinen Laut auf dem polierten Steinfußboden.
"Also was hast du vor?", beharrte Elaine weiter. "Bist du einfach nur auf Geld aus oder bringst du uns irgendwann nachts einfach um?" Sie erwiderte seinen Blick grinsend. Er hatte keine Ahnung, ob sie das einfach nur als Spiel sah oder tatsächlich meinte, was sie sagte. Vielleicht wollte sie auch einfach nur sehen, wie er reagierte.
"Darf ich nicht einfach nur meine Familie kennen lernen wollen?", fragte er mit ruhiger Stimme. Elaine schnaubte.
"Lass mal sehen. Du bist ein kaltblütiger Mörder, der wer weiß wie viele Menschen auf dem Gewissen hat", ihr Blick schweifte durch das Zimmer und blieb an dem Schwert hängen, das beinahe beiläufig auf dem Fenstersims ruhte. "Du bist mitten in der Nacht in das Zimmer meines Bruders eingestiegen und hättest ihn vermutlich getötet, wenn er nicht rechtzeitig aufgewacht wäre und du aufgeflogen wärst. Und selbst wenn nicht, wolltest du uns vielleicht einfach nur ausnutzen, um deine private Zwist mit dieser Assassinensekte auszutragen." Der kalte Tonfall schien einfach nicht zu den Lachgrübchen in ihren Wangen zu passen.
"Du hast keine Gefühle, sonst hättest du nie all das tun können, was du behauptet getan zu haben. Jetzt nützen wir dir nichts mehr, also was hast du vor?" Sedar musste ein Schlucken unterdrücken. Ihre Worte hatten ihn tief getroffen und für einen Moment hatte er seine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle. Doch er riss sich zusammen und blieb ruhig.
"Wer sagt, dass ich dich nicht sofort hier töte?", fragte er stattdessen. In der Enklave hatte er gelernt, dass die beste Art auf Angriffe zu reagieren war, sofort zurückzuschlagen. "Hat dich jemand in dieses Zimmer kommen sehen. Ich könnte deine Leiche in dieser Kiste da verstauen." Er deutete auf die Kleidertruhe, die voller Seidengewänder und all dem war, das man wohl von ihm zu tragen erwartete. Wider erwarten zeigte sie keine Angst. Stattdessen wirkte sie beinahe etwas weicher.
"Du willst eine Chance dich zu beweisen?", fragte sie ohne eine Antwort zu erwarten. "Dann komm in einer Stunde zum Lieferanteneingang." Mit diesen Worten erhob sie sich und schritt aus dem Zimmer ohne einen Blick zurück zu werfen. Er starrte ihr ratlos nach, selbst nachdem sie schon lange um die Ecke verschwunden war.
Eine Stunde später bog er um die Ecke zum Lieferanteneingang. Es war ein schmaler Gang ohne die ganzen Verzierungen und Wandbehänge in anderen Teilen des Hauses. Vor der breiten Tür standen Elaine und Derrick. Sedar war froh seinen Zwillingsbruder zu sehen. Wenigstens hatte er ihm noch nie ins Gesicht gesagt, dass er ihn für einen gefühllosen Mörder hielt. Eigentlich hatte er seit der schicksalhaften Begegnung in seinem Schlafzimmer überhaupt noch kaum ein Wort mit ihm gewechselt.
"Nicht in diesen Klamotten", begrüßte er ihn. Jedoch grinste er dabei freundlich. "Die Leute werden denken, dass du irgendein Hafenarbeiter bist."
"Wir haben keine Zeit zu warten, bis er sich umgezogen hat. In einer halben Stunde kommen wir nicht mehr raus", gab Elaine zu bedenken.
"Ich würde es ohnehin nicht tun", behauptete Sedar fest, "Und was habt ihr vor?" Jetzt riss das Grinsen in Derricks Gesicht die Wangen auf wie ein scharfer Dolch.
"Elaine hat die Wachen beobachtet und jeden Abend ist die Mauer auf der anderen Seite der Tür eine halbe Stunde lang unbewacht." Sedar stöhnte innerlich auf. Jeder, der die Wachen ein paar Tage lang beobachtete, könnte einfach durch die Hintertür hineinspazieren. Und anstatt ihren Vater, der immer ein Ziel für Anschläge war, zu warnen, nutzten die beiden die Schwachstelle stattdessen für heimliche Ausflüge.
"Und wie wollt ihr wieder zurück kommen?"
"Bis jetzt hat es immer geklappt", behauptete sein Zwillingsbruder.
"Und ihr wollt, dass ich euch begleite?"
"Wenn ein kaltblütiger Mörder sich dafür nicht zu schade ist", antwortete Elaine. "Es wäre dann auch viel einfach für dich uns beide zu töten." Sedar sah ihr in die Augen, doch er konnte wieder nicht erkennen was sie dachte. Einerseits würde er sich damit genau so schuldig machen wie die beiden, nur dass sein Vater seinen richtigen Kindern sicherlich eher verzeihen würde, als ihm. Seinen richtigen Kindern. Sein Magen fühlte sich an, als hätte jemand eine Garrote darum angelegt und zugezogen.
Andererseits wäre es für die beiden sicherlich sicherer, wenn er sie begleitete. Und er wollte sie nicht enttäuschen.
Tatsächlich war es bemerkenswert einfach, das Grundstück zu verlassen. Sie mussten sich nur in der Nähe der Gebüsche halten, damit man sie vom Herrenhaus nicht sah. An der Mauer wuchs ein hoher Baum, dessen dicke Äste über die Steine ragten. Elaine kramte ein Seil unter einem der Büsche hervor, kletterte geschickt den Baum hoch und schob sich am Ast entlang über die Mauer. Sedar schwang sich hinter ihr hoch und reichte dann Derrick die Hand, der Schwierigkeiten hatte sich an dem Ast hoch zu ziehen. Er nahm sie danken an. Als Sedar sich umdrehte hatte Elaine das Seil bereits festgebunden und war herabgerutscht. Sie folgten ihr zurück zum Boden. Sedar blickte sich zweifelnd um. Das Seil hob sich nicht allzu sehr von dem grauem Stein ab, doch wenn man wusste, dass es da war, konnte man es einfach ausmachen. Sie standen auf einer schmalen Gasse, die bestimmt selten jemand entlang ging, doch wenn war es nur eine Frage des Glücks, ob er das Seil bemerkte oder nicht. Trotzdem hielt er den Mund und folgte seinen Geschwistern. Die Sonne war bereits nah am Horizont und selbst die breitere Straße, auf die sie bogen, war bereits unbelebt, doch die beiden anderen schienen ohnehin ein anderes Ziel zu haben. Aus der Ferne hörte man leise Stimmen und Musik, die langsam lauter wurden. Sedar wünschte sich unwillkürlich er hätte sein Schwert mitgenommen. Die Anwesen zu ihrer Rechten und Linken wurden immer kleiner und aus den Mauern wurden Häuserwände, die zuerst weit über sie ragten und dann immer niedriger wurden. Tatsächlich tauchte am Ende der Straße eine Reihe von Gebäuden auf, in deren Fenstern noch Licht brannte und über deren Türen Schilder hingen, die rennende Wildschweine, stolzierende Gänse oder schwimmende Fische zeigte. Elaine und Derrick bogen kommentarlos in ein Gasthaus mit dem Namen "Zu dem prall gefüllten Pokal" ein. Das Schild zeigte einen Weinbecher aus Bronze, der überschwappte. Sedar beeilte sich hinter ihnen herzukommen und stolperte fast in den gut besuchten Schankraum. Kurz glaubte er seine Geschwister nicht ausmachen zu können, atmete dann jedoch erleichtert aus, als er sie an einem Tisch mitten im Raum stehen sah. Der Wirt verscheuchte gerade die Gäste, die dort eigentlich gesessen hatten, mit einigen wirschen Gesten. Er schien aufgrund der Kleidung der beiden anzunehmen, dass sie die deutlich profitableren Kunden wäre. Als er Sedar sah, der an sie herantrat, vergruben sich seine Mundwinkel jedoch tief in seinem Doppelkinn und als Derrick ihn an den Tisch winkte riss der Wirt die Augen entsetzt auf.
"Ich kann ihn auch an einem anderem Tisch...", er stoppte ruckartig und blickte fassungslos zwischen Derrick und ihm hin und her. Offensichtlich hatte er die unübersehbare Ähnlichkeit zwischen ihnen wahrgenommen. Erst nach dem Zustand seiner Kleidung. Wenn das nicht alles über den Mann verriet, was es über ihn zu wissen gab.
"Schon gut Nedwin", beruhigte der besser gewandte Bruder. "Bring uns doch bitte einen Krug von eurem besten Wein und drei Gläser." Der Wirt stürzte viel schneller davon, als es diese wabbelnden Fettmassen zulassen dürften.
"Weiß er wer ihr seid?", fragte Sedar alarmiert. "Dann weiß es jetzt auch die ganze Stadt." Er ließ sich resigniert auf einen der Stühle fallen.
"Du bist sowieso schon Stadtgespräch Nummer Eins", behauptete Derrick und lachte auf, als er Sedars entgeisterten Blick sah. "Denkst du die Diener würden ihre Klappe halten. Nedwin hat nur nicht glauben können, dass ein Mitglied der Al-Dara sich in so einem Aufzug vor die Tür traut." Er warf ihm einen Blick zu, der "Ich habs dir doch gesagt" verhieß. Unbehaglich sah Sedar sich um. Die Menschen an den anderen Tischen schienen ihn immer wieder wie zufällig zu mustern und wandten schnell das Gesicht ab, wenn er sie bemerkten, dass er sie anblickte. Der Wirt rumpelte wieder heran und trug einen riesigen Krug, den er mit beiden Händen halten musste. Hinter ihm musste sich eine zierliche Kellnerin in einem Kleid, das eindeutig ein paar Nummern zu klein für ihre Oberweite war, bemühen mit ihm Schritt zu halten. Sie hielt drei bereits gefüllte Becher, die nicht aus Messing zu sein schien, wie die anderen in diesem Raum, sondern tatsächlich aus Silber. Der Krug schlug krachend auf dem Tisch auf und Sedar hätte sich nicht gewundert, wenn das Holz gesplittert wäre. Die Rennerei hatte deutliche Spuren auf dem Gewand Nedwins hinterlassen. Schweißflecken breiteten sich unter den Armen aus und seine Stirn glänzte wie Diamant. Die Kellnerin hatte sichtlich Schwierigkeiten an der ausladenden Erscheinung ihres Dienstherren vorbei zu kommen, doch der Mann rührte sich nicht von der Stelle.
"Kann... kann ich noch etwas für euch tun", japste der Wirt atemlos. "Ein leichtes Mal vielleicht." Endlich hatte es das Mädchen geschafft sich zwischen ihm und dem Nachbartisch hindurch zuschieben und stellte die Gläser mit einem scheuem Lächeln ab.
"Erstmal nicht", antwortete Elaine mit einem liebeswerten Lächeln. "Aber wenn wir etwas brauchen, geben wir Bescheid."Sedar war davon überzeugt, dass sie der Mann den ganzen Abend im Blick behalten würde, um auf den geringsten Fingerzeig zu reagieren. Doch jetzt zumindest verschwand er mit einer stillen Verbeugung und nahm die Kellnerin, die etwas verloren neben ihm gestanden hatte, gleich mit sich. Weder Elaine noch Derrick schienen sich weiter darum zu kümmern.
"Ich muss dir danken", grinste sein Bruder ihn an. "Vielleicht hat Nedwin dieses eine Mal tatsächlich seinen besten Wein hervor geholt, um die Verwechslung wieder gut zu machen." Er nahm einen tiefen Schluck und verzog das Gesicht. "Was natürlich nicht viel heißen mag." Dies hielt ihn allerdings nicht davon ab einen weiteren tiefen Schluck zu nehmen. Sedar nippte selbst vorsichtig am Glas. Es war zweifelsfrei der beste Wein, den er je getrunken hatte. Elaine hob ihrerseits das Glas, setzte es an und kippte es in einem Zug hinunter. Sie rülpste laut, lachte über Sedars fassungslosen Blick und goss sich nach.
"Trink Mörder", sagte sie eher neckend als feindselig. "Damit wir uns sicher sein können, dass du, falls du uns wirklich töten willst daneben schlägst."
"Trinkt aus die Gläser, die Fässer auch
Und kippt den Schnaps noch hinterher
Der Abend könnt der letzte sein
"Diese Flaschen müssen leer", gröllte Derrick laut und nutzte dabei die volle Breite der Straße aus. Elaine stolperte und riss Sedar fasst mit sich, der sich gerade noch an einer Hauswand abstützen konnte.
"Wo kommt die denn her", murmelte er verwirrt und seine Schwester bekam einen spontanen Kicheranfall.
"Hey Vor... Vorsicht", hicks, "sonst sondsholich meinnnn Schwert und", setzte er beleidigt an, doch Elaine brach nur vollends in Gelächter aus. Auch Derrick musste lachen und hieb ihm mit voller Kraft auf den Rücken.
"Vielleicht solltest du dein Schwert bei deiner Schwester lieber außen vor lassen", behauptete er kumpelhaft, "bei dieser Schankmaid allerdings, solltest du es unbedingt raus holen. Ich bin mir sicher sie würde es dir vortrefflich ölen." Sedar starrte beide sprachlos an, während sie sich vor Lachen kugelten.
"In wenich mein Swert stecke is ja wol immr nochmeine Sache", stellte er wütend fest. "Isch kämpfe mid meinem Schwert gegn immer ich wil." Doch seltsamerweise schien das zur Erheiterung seiner Geschwister nur noch beizutragen.
"Kämpfen", japste Elaine und formte mit beiden Händen eine Kralle.
"Er steckt es in die gegen die er kämpft", giggelte Derrick. "Viel zu lernen du noch hast mein junger... Ne warte, wo hab ich das denn jetzt her?" Sedar sah sie noch immer fragend an, musste dann aber selbst grinsen. Das Lachen der beiden anderen war einfach zu ansteckend. Am Ende japsten alle drei nach Luft und hielten sich an Hauswänden oder sich gegenseitig fest. Sedar hätte gern noch einmal nachgefragt, was sie denn eigentlich so lustig gefunden hatten, doch er hatte keine Lust weitere Lachschwälle hervorzurufen. Stattdessen richtete er sich auf und atmete tief durch. Der Anfall schien seine Sicht etwas geklärt zu haben, nur ein schwarzer Schemen verwischte an der nächsten Häuserecke.
"Ich glaube dahinten ist etwas", murmelte er stirnrunzelnd. Derrick warf einen Blick zu der Stelle, auf die er deutete, doch der Schemen war inzwischen wieder verschwunden.
"Ich glaube du bist inzwischen wieder viel zu nüchtern", sagte er und kramte einen metallenen Flachmann hervor. Zuerst nahm er selbst einen tiefen Schluck, dann bot er ihn ihm an. Sedar nahm dankend entgegen, doch da kroch der Schemen wieder hervor. Diesmal löste er sich von der Hauswand und schritt auf sie zu. Schnell gesellte sich ein zweiter Schemen dazu und beide wandelten sich langsam in zwei schwarz gewandete Männer. Der eine war ein wahrer Hüne, blond und ihm fehlten mindestens die Hälfte seiner Zähne. Der Zweite war kleiner als Sedar und glatzköpfig.
"Was wollen denn die vier von uns", fragte Elaine und deutete auf die näher kommende.
"Hey, woher weiß sie dass", ertönte eine weitere Stimme von hinten und augenblicklich stolperte ein dritter Mann, auch in schwarz gekleidet und noch größer als der Hüne, aus einer Gasse auf die Straße. Ein vierter Mann, eher grau als Schwarz gekleidet, mittelgroß und mit einem beachtlichen Vollbart ausgestattet, trat hinter ihm hervor. Er hatte den dritten offensichtlich geschubst.
"Edart, du Vollidiot, sie ist betrunken, sie sieht einfach nur doppelt", warf er dem Trottel vor.
"Ich dachte wir sagen keine Namen, Lenard", entgegnete der Trottel und der graue schlug sich die Hand verzweifelt vors Gesicht.
"Vollkommen egal", behauptete der Hüne und zog einen glänzenden Dolch, den er prompt fallen ließ. "Äh, ihr werdet ausgeraubt." Schnell hob er seine Waffe wieder auf.
Sedar reagierte sofort und schmiss den Flachmann auf sie ihn. Er landete mit lautem Scheppern irgendwo auf einem Dach.
"Hey, da war mindestens noch eine viertel Flasche drinnen", beklagte sein Bruder sich und sah ihn wütend an, während es dem Kleinem offensichtlich zu viel wurde. Er zog einen viel längeren Dolch, als der des Hünen, aus dem Gürtel und stürzte brüllend auf sie zu. Adrenalin schoss in Sedars Blut. Er machte einen Schritt zur Seite, packte den Schwertarm seines Gegners und rammte ihm sein Knie in den Bauch. Die heran surrende Klinge hörte er nur schwach, wirbelte herum und schlug mit der flachen Hand gegen das Blatt des Messers. Ein schneller Tritt ließ den grauen zurückstolpern, doch auf einem Bein konnte er in seinem Zustand kein Gleichgewicht halten und fiel mit wild kreisenden Händen zu Boden. Grinsend schoben sich der Hüne, der Kleine und der Graue in sein Blickfeld. Sedar wusste, dass er betrunken war, aber sie glaubten er wäre geschlagen. Das Überraschungsmoment war auf seiner Seite. Er hakte seinen Fuß in den des Hünen ein und schob sein Bein ruckartig zur Seite. Der Hüne stürzte Hals über Kopf auf den Kleinen und während Sedar seinen Schwung nutzte, um auf seine Beine zu springen, wandte er sich dem Grauen zu. Er schlug die hoch gerissene Klinge zur Seite, packte den Kopf des Mannes und trat ihm kraftvoll die Beine weg. Sein Gegner fiel auf den Hintern und nur der Griff um seinen Kopf hinderte ihn daran der Länge nach auf das Kopfsteinpflaster zu schlagen. Seinem angelernten Reflex folgend spannte Sedar seine Muskeln an, um dem Mann das Genick zu brechen, doch da fiel sein Blick auf Elaine. Sie starrte ihn mit einer Mischung aus Bewunderung und Entsetzen an. Jedoch auch mit ein klein wenig Angst. Er fasste sich ein Herz und rammte dem Grauen eine Faust gegen die Schläfe. Bewusstlos sank der erfolglose Räuber zu Boden. Bewusstlos, aber nicht tot. Erleichterung breitete sich in dem Gesicht seiner Schwester aus. Sedar nahm die Bewegung im Augenwinkel wahr. Der Trottel hatte die ganze Zeit abseits gestanden und das Geschehen stirnrunzelnd beobachtet. Als endlich zu seinem Gehirn durchdrang, dass seine Bande den Angriff begonnen hatte, zog er einen Dolch und stürzte sich mit einem Schrei auf Elaine. Die Klinge schoss auf ihren Hals zu, der von der ganzen Aufregung gerötet war. Sedar dachte keinen Augenblick nach. Ein Schütteln seines Arms ließ eines seiner Messer in seine Hand gleiten. Er hatte es nicht übers Herz gebracht sie abzulegen. Er hob es über seine Schulter und schleuderte es in einer fließenden Bewegung. Es schnitt scheinbar widerstandslos durch die kalte Luft, drehte sich einmal um die eigene Achse, zweimal, dreimal und bohrte sich tief in die Kehle des Trottels. Die Wucht des Aufpralls ließ den Mann stolpern und zu Boden fallen. Er rutschte ein paar Zentimeter über das Pflaster und kam vor den Füßen Elaines zum liegen. Das wütend pumpende Herz ließ einen letzten Blutschwall aus der Wunde sickern, der sich in einer Lache über das Pflaster ergoss und die Schuhe seiner Schwester umspielte. Elaine warf einen fassungslosen Blick auf das Messer in der Kehle des Räubers, dann einen auf Sedar und schließlich auf den Dolch, der ihren Hals beinahe durchbohrt hätte. Derrick fing sie auf bevor sie in das Blut stürzen konnte und drückte ihr Gesicht fest gegen seine Brust. Sedar stand verloren neben beiden und blickte sie grübelnd an. Dann trat entschlossen in die Blutlache und umarmte seine beiden Geschwistern. Elaine griff nach seinem Rücken und zog ihn näher heran. Niemand stieß ihn weg.
Sein Schädel schmerzte nicht, als er am nächsten Morgen erwachte. Vielleicht lag es daran, dass er wie geraten vor dem zu Bett gehen jede Menge Wasser getrunken hatte, vielleicht auch daran, dass die Sonne bereits hoch am Himmel stand oder vielleicht auch an dem weichen Polster auf dem er lag. Sedar hatte zum ersten Mal in dem Bett geschlafen, statt auf dem Boden, und womöglich war das doch gar nicht mal so schlecht gewesen. Vielleicht mutierte er doch langsam zu dem verwöhnten Sohn eines reichen Mannes, der er immer hätte sein sollen. Mit diesem Gedanken schoss er aus dem Bett. Die Karawane. Vielleicht hätte er sich doch von einem Diener wecken lassen sollen. Er hielt kurz inne. Er sollte dieses Bett wirklich aus dem Zimmer schmeißen lassen. Zur Läuterung glättete er sein Hemd nicht und schnürte die Stiefel nicht bis oben hin, bevor er aus dem Zimmer schoss.
Als er in das Esszimmer kam, saßen die anderen bereits am Tisch.
"Guten Morgen Schwertträger", begrüßte ihn Elaine und stimmte dann in das Lachen ein, in das Derrick ausbrach. Jered sah beide missbilligend an.
"Sind wir schon zwölf", fragte er pikiert. Sedar grinste seine Geschwister unsicher an. Er würde Casper bei Gelegenheit fragen müssen was an Schwertern so lustig war.
"Glaubt ihr wirklich, dass ich nicht wüsste, was ihr nachts so treibt." Schlagartig stoppte das Lachen.
"Euch nachts herausschleichen und schummrige Kneipen abklappern." Seine Stimme war kalt wie Stahl, doch dann seufzte er resigniert auf.
"Was soll´s, ich kann euch ohnehin nicht davon abbringen. Nur bitte nimmt das nächste man ihn mit", er deutete auf Sedar, "dann lernt ihr drei euch wenigstens besser kennen und wenn jemand auf sich aufpassen kann, dann ist es wohl er." Elayne lächelte ihm verschwörerisch zu und Derrick grinste ihn offen an.
"Keine Sorge", beruhigte er seinen Vater, "Auf einen Schwertschwinger wie ihn sollte man wohl nie verzichten." Wieder gackerten die Geschwister los.
"Das reicht jetzt", fuhr Jered entschieden dazwischen. "Wir sollten lieber über die Karawane sprechen, die in einer Stunde los zieht. Wie wäre es wenn du sie begleitest Derrick. Dann streichst du wenigstens nicht mehr durch die Stadt und stachelst deine Schwester an."
"Wer sagt denn, dass er mich anstachelst", sagte Elaine. Derrick dagegen schien nicht wirklich überrascht. Er hatte es vielleicht schon erwartet oder er hatte nichts dagegen.
"Meinetwegen gern", behauptete er und goss sich etwas Tee ein. "In einer halben Stunde bin ich bereit."