Beiträge von Unor im Thema „Ein bunter Haufen“

    "Lordas geht nirgendwo hin." Der alte Mann blieb hart wie Stein. Ereck seufzte und fuhr sich über die Wangen. Zufrieden stellte er fest, dass sein Bart wieder nachzuwachsen begann. Wenigsten hier war Fortschritt zu erkennen.
    "Wieso fragen wir den Jungen nicht selbst, was er für richtig hält?" Lordas saß stillschweigend neben seiner Leibgarde, den Blick auf die Tischplatte gerichtet. Er sah nicht auf, als Ereck seinen Namen nannte.
    Ottmund brachte sich ein: "Haben die Banditen dir die Zunge rausgeschnitten, Bursche?"
    "Achtet auf Eure Worte", blaffte Allion, "sonst ist es nicht seine Zunge, um die Ihr euch Sorgen müsst!"
    Ottmund stand abrupt von seinem Platz auf. Sofort griff Ereck nach seinem Arm.
    "Ihr solltet auf Eure Worte achten", fuhr Ottmund den Alten an. "Ein einfacher Leibwächter hat Männern von Amt Respekt zu zollen"
    "Männer von Amt haben diese nur zu oft inne, weil sie bessere als sich selbst getötet haben!"
    Ein lauter Knall hallte im Raum wieder und schnitt jedes Wort ab, dass hätte geäußert werden können. Ereck hatte mit voller Wucht seine Faust auf den Tisch hernieder fahren lassen.
    "Genug!", raunte er und erhob sich, wobei er gleichzeitig Ottmund an dessen Arm nach unten zog, sodass dieser sich setzte.
    "Ich verlange von keinem in diesem Raum, dass er den anderen respektiert, aber ist es zuviel verlangt, dass wir uns nicht ankeifen wie Waschweiber? Allion, Eure Ehre steht außer Frage und ich weiß, Ihr seid ein Mann von Stolz - zurecht - aber ein Mindestmaß an Dankbarkeit werdet Ihr Euch doch sicher abringen können?"
    "Meine Dankbarkeit ist nicht von Belang. Ich werde Euch den Jungen nicht für Eure politischen Spielereien aushändigen!"
    Dieselbe Leier wie schon seit Stunden. Matt warf genervt einen Blick zur Tür, Ereck verfluchte sich dafür, Lohra nicht mit zu der Versammlung genommen zu haben. Sie hätte Frieden stiften können.
    "Niemand sagt etwas von politischen Spielereien. Wir sprechen davon, eine Armee unter seinem Namen zu einen und Zesien zurückzuerobern."
    Allion Erelis' Augen waren funkelnde schwarze Steine, sein Blick gnadenlos. Ihn würde Ereck nicht brechen können, aber vielleicht Lordas. Der Junge war kaum merklich auf seinem Stuhl hin und hergerutscht, als er die Rückeroberung erwähnt hatte.
    "Lordas ... Eure Hoheit", wandte Ereck sich direkt an ihn, "vergesst für einen Moment, was er euch eingebläut hat und denkt an das Volk. Euer Volk!"
    Keine Antwort.
    "Haltet den Knaben nicht zum Narren!", warf Allion trocken ein. "Er lässt sich von Euch kein Honig ums Maul schmieren. Er redet mit niemandem, bevor ich es nicht für richtig erachte."

    "Ich muss mich fragen, wer hier der Diener ist, und wer der Herr", wandte Ereck sich erneut an Lordas. Keine Antwort.

    "Sobald ihr verkündet, dass er lebt, müsst ihr seinen Standort preisgeben, damit die Heere sich einfinden können. Sie werden einen kräftigeren Beweis als Euer Wort verlangen. Es ist ein großes Risiko, den neuen Zerbu zu verraten. Keiner würde wissen, wie viele sonst noch dem Ruf folgen. Jeder müsste fürchten, allein dazustehen. Nicht zu vergessen, dass es viele Halunken gibt, die in der Gunst des Zerbus oder des Seneschalls nur zu gern steigen würden, in dem sie Lordas einen Pfeil ins Auge oder ein Messer in den Rücken jagen."
    Seufzend ließ Ereck sich wieder in seinen Stuhl falle. Er hasste es, zugeben zu müssen, dass der Alte nicht Unrecht hatte.
    "Was schlagt Ihr also vor, sollen wir tun?"
    Nun beugte Allion sich vor. Auf diese Frage schien er gewartet zu haben.
    "Warten."
    "Worauf?", fragte Ereck.
    "Warten, darauf, dass die hohen Herren ihn vergessen. Warten, bis sie denken er sei keine Bedrohung mehr. Die hohen Herren sind sehr gut darin, Dinge zu vergessen, die nicht greifbar sind. Aber das Volk vergisst nicht so leicht. Sie haben nichts, außer ihren Erinnerungen und Träume. Wenn die Zeit reif ist, werden sie Lordas Rückkehr herbeisehnen."
    "Ihr wollt wegrennen und Euch verstecken, wie ein Feigling?", fragte Ereck verwirrt.
    "Manchmal braucht es großen Mut, ein Feigling zu sein. Aber ich versichere Euch, wir werden nicht untätig rumsitzen. Ich habe Familie im Norden. Ein mächtiges altes Haus von Königen. Sie werden uns eine Armee geben. Eine kleine vielleicht, aber eine Armee. Lordas wird lernen, sie zu Befehlen. Und wenn er lange genug untergetaucht ist, wird er in den Krieg ziehen. Zunächst kleine Siege, die ihm mehr Unterstützer bringen. Er wird die Tochter eines mächtigen Mannes heiraten. Dieser Mann wird ihm helfen, mehr Soldaten zu kaufen. Schiffe. Es wird vielleicht Jahre dauern. Und das Volk von Zesien wird leiden, aber wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wird es davor umso mehr nach Befreiung lechzen. Auch einige der hohen Herren dürften zu diesem Punkt der Tyrannei müde geworden sein. Ich sage, es ist besser, Zesien eine Zeit lang leiden zu lassen und es dann zu retten, als es überstürzt zu versuchen und unsere letze Hoffnung zu töten."

    Ereck vergewisserte sich, dass keine Wachen in der Nähe waren, ehe er den Kopf wandte und die Männer anzischte.
    "Hört auf zu Zucken! Ihr macht die Fesseln nur enger!"
    Die dicken Hanfseile scheuerten seine Gelenke auf, jedesmal wenn einer seiner Leute versuchte, sich zu befreien. Sie alle waren mit einem großen Seil gefesselt, was es erheblich schwerer machen würde, alle zu befreien. Ereck schaute sich links und recht nach seinen Gefährten um, entdeckte jedoch nur Matt, Ars und Ottmund, der den Befehl, stillzuhalten weitergab. Von den Frauen der Gruppe war nichts zu sehen, was Ereck gar nicht gefiel. Beim Gedanken an Lohra und Esme in einem Raum mit diesen schmutzigen Räubern, schnürten sich seine Gedärme zusammen und er zuckte unbewusst, was die Männer um ihn herum stöhnen ließ, als ihre Fesseln enger wurden.
    Dann fielen ihm die zwei Gestalten auf, die getrennt von der Gruppe in einer dunklen Ecke gefesselt waren. Es mussten Gefangene sein, die schon länger hier waren. Konnte es möglich sein?
    Ereck konnte nicht viel erkennen, aber es waren eindeutig beides Männer, einer im richtigen Alter um Lordas zu sein. Der andere schien etwas alt für einen Leibwächter, aber man konnte ja nie wissen.
    Plötzlich flutete helles Licht in den Raum. Der Eingang zur Höhle war mit einer alten Decke verhangen gewesen, die man nun zur Seite gerissen hatte. Es kam ein Knabe mit einer Fackel herein. Ein verwahrloster Junge, mit einer großes Beule auf der linken Wange und verfilztem, schulterlangem Haar. Er wedelte mit der Fackel vor Erecks Gesicht herum, nah genug, dass seine Stirn brannte. Ereck spuckte ihm ins Gesicht.
    "Verpiss dich, Bengel!"
    Der Junge wich zurück und blickte zum Höhleneingang. Dort konnte Ereck zwar nichts sehen aber er hörte leises Kichern. Mindestens zwei weitere Männer. Vermutlich hatten sie den Jungen reingeschickt, als eine Art Mutprobe oder so etwas. Nachdem von ihnen also keine Hilfe kam, drehte der Knabe sich wieder zu Ereck. Einen Moment lang schien er nachzudenken, dann stürmte er vor und trat Ereck in den Bauch. Er hatte dürre Füße und konnte wenig gegen die mächtige Wampe des Hauptmanns ausrichten. Dennoch fluchte Ereck und schnellte - die beißenden Fesseln ignorierend - vor. Die Augen des Jungen weiteten sich und die Fackel fiel aus seiner Hand. Während Ereck ihm wie ein Tier hinterherbrüllte, stürmte der Junge durch den Eingang davon. Die Männer draußen brüllten vor lachen. Auch Ereck grinste nun.
    Bisher war er auf den Knien gesessen aber nun lehnte er sich zurück und versuchte, die Beine auszustrecken. Tatsächlich gelang es ihm und er versuchte sogleich, mit den Füßen die Fackel zu sich zu ziehen. Er presste die Zähne zusammen und versuchte, das Seil zu ignorieren, das ihm in die Gelenke schnitt, während er sich drehte und streckte. Aber es ging nicht. Die Fackel lag um eine handbreit zu weit entfernt. Ereck fluchte laut und spuckte auf den Boden. Die anderen Männer versuchten nun ebenfalls an die Fackel ranzukommen, doch sie hatten genau so wenig Glück.
    Dann erhob der Alte sich, der in der Ecke gefesselt war. Ihm hatte man ebenfalls die Hände hinterm Rücken verbunden, er war jedoch nicht an den Jungen neben ihm gefesselt, sondern mit einem Ring an der Wand fixiert. Das Seil war kurz, doch lang genug, dass er zwei kleine Schritte nach vorne machen konnte und einen Fuß nach der Fackel ausstrecken konnte. Die Männer begannen aufgeregt zu tuscheln und Ermutigungen zu flüstern.
    "Psst!", fauchte Ereck mit einem Blick zum Eingang. Die Männer konnten immer noch dort draußen stehen und den Eingang bewachen. Der Alte zog die Fackel mit dem Fuß zu sich, ging in die Knie und hob sie mit den gefesselten Händen auf. Dann drehte er sich zu dem Jungen und machte mit dem Kopf eine Bewegung die "Komm her!" ausdrücken sollte. Der Junge kam und drehte dem Alten den Rücken zu, nachdem dieser es ihm sagte. Nun drehte auch er sich um, sodass sie Rücken an Rücken standen. Mit der Fackel in den gebundenen Händen und ohne Möglichkeit etwas zu sehen, begann der Alte die Fesseln des Knaben zu versengen wobei dieser immer wieder vor Schmerz stöhnte wenn die Flammen an seinen Händen und Unterarmen leckten. Aber er hielt durch und schließlich war das Seil schwach genug, das er es mit einem Ruck zereisen konnte. Er schüttelte die Hände, blies Luft auf seine Finger und rieb mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Handgelenke. Der alte Mann ließ die Fackel zu Boden fallen und sein Begleiter machte sich daran, seine Fesseln ebenfalls zu lösen, was mit den verbrannten Fingern eine halbe Ewigkeit zu dauern schien.
    Als beide frei waren traten sie aus ihrer Ecke heraus ins gedämmte Licht der Hölle. Ereck atmete kräftig durch die Nase ein und setzte sich auf. Es war tatsächlich Lordas. Er musste sich zügeln, nicht sofort etwas zu sagen. Er konnte vor all den Soldaten nicht die Identität des Jungen preisgeben. Es war zu gefährlich. Er würde warten, bis er befreit war und alleine mit den beiden sprechen konnte.
    Zu seinem Schrecken wurde er nicht befreit.
    Lordas und Allion gingen Richtung Tür. Eine Welle von Getuschel fuhr durch die Gefangenen. Einige der Männer neben Ereck bettelten, man solle sie mitnehmen, während die Leute weiter hinten im Knäuel der Gefesselten die Hälse verdrehten um zu sehen, was eigentlich los war. Allion fuhr herum, den Finger auf die Lippen gepresst. Er hatte ein hartes, kaltes Gesicht. Ein grauer Bart wild und verfilzt bedeckte sein Gesicht. Das Haar auf seinem Kopf war kurz geschoren. Er schlich näher zur Tür, gab dem Jungen ein Zeichen und sie stürmten durch die Decke hinaus. Die Zurückgelassenen fluchten und jammerten und Ereck schüttelte den Kopf, angesichts solcher Dummheit. Die beiden würden den Wachen draußen direkt in die Arme laufen. Doch es blieb still. Sie waren also doch entkommen.
    Plötzlich wurde die Decke wieder zur Seite gerissen. Allion kam rückwärts herein, in seinen armen strampelte der Knabe der Ereck bespuckt hatte. Der Alte presste seine gewaltigen Pranke über Mund und Nase des Jungen, dessen Augen in Panik aus den Höhlen traten. Es dauerte nicht lange, da wurde sein Körper schlaff. Ohne ein Wort zu sagen, nahm Allion dem Jungen sein Messer ab, lief zu Ereck herüber, kniete sich neben ihn und begann, seine Fesseln zu lösen. Nun kam auch Lordas zurück. Er hielt blutige Schwerter in beiden Händen.


    Der Kommandant warf Ereck einen Blick zu, den dieser mit einem leichten Nicken erwiderte. Ottmund nickte ebenfalls, räusperte sich und begann dieselbe Geschichte zu erzählen, die er Ereck schon berichtet hatte.
    "Ereck erzählt mir, ihr seid nach Zesara gekommen, um Allion Erelis aufzuspüren."
    Sofort drehten die anderen sich zu Ereck um, der in der Ecke des Raumes Platz genommen hatte. Sie schienen schockiert darüber, dass er Ottmund in ihre geheime Mission eingeweiht hatte, aber sie wussten nicht, dass Ottmund einer der wenigen Menschen auf der Welt war, denen Ereck blind vertraute. Selbst nach all den Jahren, in denen sie sich nicht gesehen hatten.
    "Er war tatsächlich hier", fuhr Ottmund fort. "Vor etwa zwei Wochen. Er hatte einen Jungen bei sich, den er als seinen Knappen ausgab. Ich habe es nicht hinterfragt. Die beiden schlossen sich einem Handelszug nach Norden an."

    Eine Aufregung erfasste die Gruppe, Ereck konnte es in ihren Gesichtern sehen. Es schien wie der entscheidende Hinweis, den sie gebraucht hatten, doch er wusste, wie die Erzählung weitergehen würde, daher blickte er nur auf dem Boden, um ihre Enttäuschung nicht sehen zu müssen.

    "Gestern wurde ich darüber informiert, dass dieser Handelszug von Karabäern überfallen wurde. Es ist unwahrscheinlich, dass es Überlebende gab."
    Nun war es für eine Weile still. Die Erkenntnis, dass ihre aufreibende Reise durch die tödliche Wüste umsonst gewesen war, hatte allen die Sprache verschlagen.
    "Kann es nicht sein, dass man sie gefangen genommen hat?", fragte Matt schließlich. Eine berechtigte Frage, dachte Ereck. Die Karabäer waren nicht nur Räuber, sondern auch Sklavenhändler. Jedoch nahmen sie nur dann Gefangene, wenn die Beute nicht ausreichend war. Was bei einem Handelszug der Größe, die Ottmund beschrieben hatte, unwahrscheinlich war.
    "Es besteht die Möglichkeit", meinte Ottmund. Sein Tonfall suggerierte jedoch, dass es eine sehr geringe Möglichkeit war.
    "Dann müssen wir die Räuber verfolgen und versuchen sie zu befreien", fügte Lohra sofort hinzu. Der Kommandant schüttelte nur den Kopf.
    "Aber wieso denn nicht?", fuhr sie fort. "Selbst wenn sie tot sind. Wollt Ihr die Räuber etwa nicht für ihre Taten zur Rechenschaft ziehen? Sollen sie einfach weiter Handelszüge angreifen?"
    Alle Blicken waren auf Ottmund gerichtet. Dieser schaute hinüber zu Ereck, der ihm - von Lohras Worten inspiriert - zunickte. Und der Kommandant nickte ebenfalls.
    "So sei es", verkündete er. "Morgen werden wir in voller Besatzung ausreiten und die Karabäer zur Strecke bringen. Und wir werden Allion und Lordas finden. Tot oder lebendig. Ich werde sofort meine Generäle informieren."
    Mit diesen Worten ließ er Ereck und die anderen zurück.

    Das erste, was Ereck auffiel, als er erwachte, war die Kälte. Er wollte den Kopf heben und sich umsehen, dabei überfiel ihn jedoch ein furchtbarer Schwindel.
    Ich muss ohnmächtig geworden sein, dachte er, stellte im nächsten Moment jedoch fest, dass er sich nicht mehr in der Wüste befand. Er lag weich gebettet und starrte zu einer rissigen gelben Sandsteindecke hinauf. Ein Fenster direkt neben ihm, war mit einer schmutzigen Decke verhangen, sodass nur wenig Sonnenlicht in den Raum gelangte. Er blickte an sich herab. Außer einem Leinentuch, das um seine Lenden gewickelt war, trug er keine Kleider. Aber jemand hatte seine Arme, Beine und auch seine Brust mit Tüchern umwickelt, die mit einer kühlenden Paste durchtränkt waren. Nur sein Gesicht war heiß, und als er einen Finger an seine Wange legte, flammte an der Stelle ein kurzer Schmerz auf.
    "Du hast einiges zu erklären, mein Freund."
    Erecks Kopf schnellte nach links. Neben seinem Bett saß ein dürrer, bärtiger Mann in einer kunstvollen Leinenrobe und schnitt mit einem Dolch Schnitze aus einem Apfel. Es dauerte einen kurzen Moment, bis er ihn erkannte.
    "Ottmund?", fragte Ereck heißer. Der Mann grinste und entblößte dabei einen abgebrochenen Schneidezahn. Es war tatsächlich Ottmund. "Wo bin ich? Was machst du hier?"
    Der Mann lachte und legte den Apfel beiseite. "Dasselbe könnte ich dich fragen, Ereck."
    Ereck verstand nicht. Ottmund lachte noch immer.
    "Es kommt nicht oft vor, dass ich auf meiner Patrouille einen nackten Mann bewusstlos im Sand finde. Und noch viel seltener kommt es vor, dass dieser nackte Mann mein alter Freund Ereck ist."
    Allmählich verstand Ereck. Er erinnerte sich, dass seine Kleider nach dem Sturm so voller Sand gewesen waren, dass er sie nicht hatte tragen können, ohne sich die Haut aufzuschürfen. Daher war er nackt weitergegangen, seinen Mantel als Sonnenschutz über sich haltend.
    "Die Sonne hatte deinen Speck gut durchgebraten. Als wir dich gefunden haben, warst du schon voller Brandblasen", erklärte Ottmund und zeigte auf Erecks Wampe. Zwischen den Leinentüchern war die Haute tatsächlich puterrot gefärbt.
    "Du hast mich gefunden?", fragte Ereck und richtete sich im Bett auf. Jede Bewegung brannte ganz schrecklich. Ottmund nickte und grinste wieder sein kaputtes Grinsen.
    "Ich habe dich gefunden und ich habe dich hierher gebracht und ich habe deinen Körper mit Quark eingeschmiert. Bei einem Mann deines Umfangs kein leichtes Unterfangen. Eine ganze Monatsration haben wir verbraucht!" Er lachte laut und spuckte dabei kleine Apfelstückchen in Erecks Richtung
    "Und wo bin ich? Zesara?"
    "So ist es. Im Haus der Kommandanten."
    "Wieso im Haus des Kommandanten?" Suchte man womöglich schon in Zesara nach Ereck und den anderen?
    "Na, ich werde doch wohl meinen alten Kameraden bei mir zuhause aufnehmen dürfen!" Wieder Grinsen.
    Einen Moment verstand Ereck nicht. Sein Verstand war noch immer etwas vernebelt.
    "Du bist der Kommandant?"
    "Alter Junge, dir haben sie echt die Rübe verschmort. Ich glaube, du brauchst etwas zu trinken!"
    "Ja, das wäre gut." Mit diesen Worten sackte Ereck wieder in seine Kissen.


    Nachdem er viel getrunken und ein wenig gegessen hatte, konnte Ereck sich aufrichten. Ottmund lieh ihm eine Leinenrobe, die nicht zu schwer auf seiner empfindlichen Haut lag. Gemeinsam gingen sie hinaus in den Garten. Im Schatten der gestutzten Palmen ruhte Ereck sich aus und betrachtete das Haus seinen Freundes. Es war ein hübsches kleines Anwesen, mit Ziegeln gedeckt, anstelle von Stroh und mit kleinen Türmen an jeder Ecke. An den gelben Sandsteinmauern wuchs Efeu und bedeckte teilweise auch die großen Buntglasfenster.

    "Du hast dich wirklich gemacht, Ottmund, das muss ich sagen", meinte Ereck anerkennend. Sein Freund kam lachend herüber und begutachtete ebenfalls sein Haus.
    "Auf jeden Fall komfortabler als die Kasernen von Zesnar."
    Ereck lachte.
    "Erinnerst du dich noch an die Betten? Mit dem schimmligen Stroh?"
    "Hör bloß auf damit", sagte Ereck kichernd und machte eine abweisende Geste.
    "Aber ich höre, du hast dich auch nicht schlecht geschlagen. Hauptmann der Garde oder? Wirklich beeindruckend."
    "Nun, was das angeht ..." Ereck wurde von lauten Stimmen unterbrochen. Ganz in der Nähe war ein Streit im Gange.
    "Das diese Händler immer zanken müssen!", stöhnte Ottmund genervt und ging davon. Aber es waren keine Händler. Ereck erkannte die Stimmen. Jeden Schmerz vergessend rannte er dem Kommandanten hinterher.

    Die Wüste nahm kein Ende.
    Vier Tage waren vergangen seit Landrim und Yennifer zu ihnen gestoßen waren, was Erecks Pläne für die Rationen durcheinander gebracht hatte. Die Pferde machten langsam schlapp, obwohl er sich alle Mühe gab, Wasser für sie aufzutreiben. Er presste sogar frischen Kameldung aus, um die darin verbliebene Flüssigkeit zu erhalten. Ereck selbst trank hauptsächlich von seinem eigenen Urin, um Wasser für die schwächeren in der Gruppe zu sparen. Doch auch die Nahrungsvorräte gingen zu Neige. Das war schlecht, sehr schlecht. Doch so viel sie auch marschierten, vor ihnen erstreckte sich stets nur flimmernder Horizont.
    Die Hitze schlug ihm aufs Gemüt. Er verbrachte seine Tage grummelnd und schwitzend. Irgendwann ertrug er es nicht mehr, immer nur die selben Dünen zu sehen, daher ließ er sich zu Matt zurückfallen, der etwas abseits der Gruppe lief. Das war an einem besonders heißen Tag. Ars und Esme schleppten sich gegenseitig und stolperten abwechselnd im Sand. Die Geschwister fragten immer wieder nach Wasser und Lohra gab ihnen hin und wieder einen Schluck. Wäre Erecks Verstand nicht von den beißenden Strahlen der Sonne zerkocht gewesen, hätte er sie ermahnt sparsamer zu sein. Nur Matt schien mit der Hitze keine Probleme zu haben.
    "Was ist dein Geheimnis?", fragte Ereck den Jungen, als sie sich eine Düne hinaufschleppten. Matts Miene erstarrte und einen kurzen Moment sagte er nichts.
    "Was meinst du?", brachte er schließlich hervor. Ereck trottete eine Weile benommen weiter, ehe er merkte, dass er antworten sollte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    "Wie schaffst du es, dass du nicht schwitzt?", murmelte er. Matt wirkte etwas erleichtert, antwortete jedoch nicht. Sein Blick schien plötzlich an etwas weit vor ihm haften geblieben zu sein.
    "Zesara?", fragte Ereck müde. Nach seiner Rechnung mussten sie ganz in der Nähe der Stadt sein.
    "Menschen", meinte Matt nur und dann hörten sie Lohra Ruf und den Schrei des Pferdes, das sie noch hatten. Das andere war am morgen verendet. Urplötzlich war Ereck wieder bei vollem Bewusstsein und dann sah auch er die Gruppe von Kamelreitern, die sich in der Ferne aus einer Staubwolke schälten.
    "Auf die Kamele!", brüllte er und stolperte, bei dem Versuch loszusprinten. Sein massiger Körper wälzte sich den heißen Sandhang hinab. Er landete zu Lohras Füßen, sie hielt die Zügel des Pferdes.
    "Ich reite auf ihr, du und Matt schnappt euch ein Kamel!"
    Ereck rappelte sich auf und riss Lohra die Zügel aus der Hand. "Nimm dir den Jungen und versuche, die anderen zu beschützen! Ich nehme das Pferd und komme nach!"
    Lohra wollte widersprechen, sah jedoch die Entschlossenheit in seinem Gesicht und hinter ihm die sich nähernden Karabäer. Matt kam zu ihnen und Lohra zerrte ihn mit sich. Es dauerte nur wenige Herzschläge, da konnte Ereck sie nicht mehr sehen. Als er auf das Pferd stieg, taumelte es benommen unter ihm und er konnte es nur in leichten Trab bringen.
    Er hörte das Surren eines Pfeiles, dicht an seinem Ohr und die Kriegsschreie der Angreifer. Er wusste, er würde ihnen nicht entkommen können und riss sein Ross herum. Die schnelle Bewegung brachte es jedoch endgültig zu Boden. Wiehernd sackte es zusammen. Staub wirbelte auf. Hustend richtete Ereck sich auf und zückte sein Schwert. Der Staub lichtete sich und die Karabäer sausten an ihm vorbei. Da er keine Vorräte bei sich trug, schienen sie sich wenig um ihn zu kümmern. Erst als er einen von ihnen von dessen Kamel riss und ihm den Bauch aufschlitze, beschlossen zwei andere, ihn niederzustrecken, anstatt die wertvollere Beute zu verfolgen.
    Einem der Kamele hackte Ereck den Kopf ab und während es tot zusammensackte fuhr er herum und fing mit seinem Schild den Speer des zweiten Räubers ab. Als der vorbei war, wand er sich wieder dem ersten zu. Dessen Bein klemmte unter dem Kadaver seines Reittiers, was es Ereck leicht machte, ihm die Kehle aufzuschlitzen.
    Das zweite Kamel wollte er mit seinem Wurfmesser zur Strecke bringen, verfehlte es jedoch, als es auf ihn zupreschte. Die Speerspitze des Reiters durchschlug seinen Schild und riss ihn zu Boden. Der Speer bohrte sich in den Sand, sodass auch der zweite Angreifer aus dem Sattel geschmissen wurde.
    Er machte einen Satz zu Ereck, der seine Hand packte und sie so verdrehte, dass das Gelenk brach. Der Karabäer schrie und sein Dolch glitt ihm aus den Fingern. Mit seinem Schwert spaltete Ereck seinen Kopf. Dann fiel er erschöpft in den Sand. Er konnte sonst niemanden mehr sehen und hoffte, dass Lohra und die anderen entkommen waren. Dies war jedoch unwahrscheinlich. Ereck verfluchte sich selbst, weil er die unerfahrene Gruppe in diese Hölle von einer Wüste geführt hatte. Er verdiente es gar nicht anders, als allein hier zu verdursten.
    Aufgeregte Rufe rissen ihn aus seinen Gedanken. Am Horizont erblickte er wieder die Gruppe Karabäer. Sie kamen mit hohem Tempo direkt auf ihn zu und hinterließen eine riesige Staubwolke. Dann hatten sie Lohra und die anderen also erwischt. Und nun kamen sie nach ihm. Sofort war er auf den Beinen.
    "Kommt schon, ihr Bastarde!", schrie er ihnen zu, mit dem Schwert wedelnd. "Bringt es zu Ende!"
    Der erste Reiter näherte sich ihm und ritt vorbei. Die anderen taten es ihm gleich. Keiner schien Ereck eines Blickes zu würdigen und dieser verstand erst, als er sich in die Richtung drehte, aus der sie gekommen waren. Dort am Horizont näherte sich etwas schlimmeres als Karabäer.
    Ein Sandsturm.

    Sein erster Impuls war es, auf den Sandsturm zuzulaufen, um seine Gruppe einzuholen. Dann Begriff er jedoch, dass diese vermutlich bereits im Sturm gefangen war. Fluchend drehte er sich in die andere Richtung um, und ging zu dem Kadaver seiner Pferdes. Mit seinem Dolch machte er einen langen Schnitt in dessen Bauchhöhle und grub dann seine Hände in die warmen Innereien. Es stank fürchterlich, doch davon ließ er sich nicht abhalten. Er riss den Darm heraus, die Leber, das Herz. Der Sand unter ihm sog gierig das Blut auf und Ereck übergab sich. Da er jedoch kaum getrunken hatte in den letzten Tagen, kam nur eine dickflüssige gelbe Paste heraus.
    Er konnte das Pfeifen des Sturm schon hören, als im Brustkorb des Tieres endlich genug Platz für ihn war. Er zog sich nackt aus und mit den Beinen voran zwängte er sich hinein. Gerade als er seinen ganzen Körper untergebracht hatte, traf ihn der Sandsturm mit voller Härte.
    Als Ereck sich Stunden später aus dem von Sand bedeckten Kadaver grub, und gierig die Luft einsog, war weit und breit nichts zu sehen, als Sand. Sogar die Leichen der Räuber und ihrer Kamele hatte der Sturm begraben oder fortgeweht.

    Sie verließen Raznar als einfache Reisende, ihre Häupter mit Kapuzen bedeckt und die Blicke gen Boden gerichtet. Ereck konnte nicht aufhören sich über die stoppeligen Wangen zu fahren. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr hatte er sich nicht rasiert. Der Bart hatte seine hängenden Wangen und sein Doppelkinn kaschiert. Seine Oberarme und Brust waren noch immer kräftig, doch fühlte er sich plötzlich weicher und fetter als zuvor.
    Immerhin würde die fehlende Gesichtsbehaarung in der Wüste von Vorteil sein. Schon der Gedanke an die sengende Hitze trieb Ereck die Schweißtropfen auf die Stirn. Es war kaum zwei Jahre her, da hatte er als Söldner in dem toten Land, dass die Einheimischen Zesonora nannten, Karabäer gejagt, Wüstenräuber. Er erinnerte sich daran, wie er bei Nacht durch den Sand gestapft war und am Tag im Schatten riesiger Dünen gerastet und selbst dort in der eigenen Rüstung geschmort hatte. Es war kein guter Ort und auch die Söldnerin schien dies zu ahnen.
    Als sie an einem alten Gasthaus drei Rösser und zwei Kamele gegen einige Goldtaler, die Rez ihnen gegeben hatte, eintauschten, trat Lohra an Erecks Seite.
    "Bist du dir ganz sicher sein, dass Erelis in die Wüste geflohen ist?", fragte sie.
    Ereck, der gerade eines der Kamele bepackte, antwortete ehrlich: "Wie kann ich mir sicher sein? Es ist nicht mehr als eine Vermutung."
    "Diese Wüste ist ein gefährlicher Ort. Sehr gefährlich. Sollen wir und dort hineinwagen, nur weil eine kleine Chance besteht, dass Lordas sich dort befindet. Außerdem: Wollte dieser Erelis Lordas nicht schützen? Wieso sollte er ihn dann in dieses tote Land führen?"
    Ereck nickte. Er verstand ihre Einwände.
    "Lohra, ich verstehe dich absolut. Aber du musst verstehen, mit Allion als Führer ist die Wüste ein weitaus weniger gefährlicher Ort. Und die Lande jenseits der Zesonora sind seine Heimat. Er hat dort eine Familie, soweit ich weiß. Adlige, die in einer Burg leben. Dort könnte er Lordas verstecken. Ich denke, es lohnt sich, das Risiko einzugehen."
    Lohra antwortete nicht, nickte jedoch und stellte keine weiteren Fragen. Die anderen schienen weniger besorgt. Vermutlich kannten sie die Gefahren der Wüste nicht so gut oder sie waren tapferer, als sie aussahen.
    Sie ritten einige Tage und versuchten unterwegs, bei jeder Gelegenheit ihre Wasservorräte zu erweitern. Als sie schließlich den Schmugglerpass erreichten, waren sie recht gut ausgerüstet. Doch Ereck wusste, dass man sich nie auf jede Überraschung, die die Wüste bereithielt, vorbeireiten konnte.
    "Von hier an, müssen wir absitzen", sagte er zu den anderen, den Blick auf die steilen Berghänge gerichtet, die sich vor ihnen erhoben. "Die Pferde müssen geführt werden. Wir können nicht riskieren, dass sie sich etwas brechen."
    Die anderen taten, wie geheißen. Gemeinsam verladeten sie all ihr Gepäck auf die Reittiere und machten sich dann auf den Weg zum Pass.

    Die Nacht brach herein, noch bevor sie ankamen. Glücklicherweise fand sich in der Nähe eine kleine Höhle. Ars schaffte es, in dem kargen Felsland Holz aufzutreiben und Matt machte ein Feuer für sie. Esme sammelte einige Kräuter zusammen, als Beilage für die Bergziege, die Lohra von der Jagd mitbrachte. Nachdem alle gesättigt waren, hockte Ereck über der Karte und rieb sich die Augen, die vom Licht des Feuers brannten.

    "Wie geht's morgen weiter", fragte Esme, während sie sich etwas Ziehe aus den Zähnen pulte. Ereck deutete auf die Karte.
    "Wenn wir den Pass überquert haben, liegt ein langes Stück Wüste vor uns. Aber wenn wir uns gut halten, sollten wir in einer Woche Zesara erreichen. Eine Stadt, die um eine Oase errichtet wurde. Vermutlich hat auch Allion dort Halt gemacht, um Vorräte aufzufüllen. Wir werden ein wenig rumfragen und unsere Wasservorräte erneuern."
    "Klingt gut", meine Ars.
    "Ja, aber es gibt ein Problem. Zwischen den Bergen, in denen wir uns befinden und der Stadt lauern Karabäer, ein Volk von Wüstenräubern."

    Marraz' Palast war nur etwa halb so groß, wie jener in Zesnar, aber nicht weniger prunkvoll. Der Zerbu war dafür bekannt, ein Freund der schönen Künste zu sein. Überall hingen prunkvolle Wandteppiche, sie kamen an Räumen gefüllt mit exotischen Instrumenten vorbei. Womöglich hatte Raknaz deshalb seine beiden jüngsten Söhne hierher geschickt. Beide waren künstlerisch begabt und nicht an Kämpfen und dergleichen interessiert. Zumindest meinte Ereck sich erinnern zu können, dass Raknaz ihm davon erzählt hatte.
    Ars war etwas zurückgefallen und bestaunte die Mosaike an den Wänden. Flankiert wurde er von zwei Wachmännern in schweren Rüstungen, deren Blicke jedoch strikt auf Ereck gerichtet waren. Das machte ihn misstrauisch und eine dunkle Vorahnung bestieg ihn, allerdings konnte er Marraz keinen Vorwurf dafür machen, besonders vorsichtig zu sein.
    Sie erreichten die schweren Türen des Thronsaals, wo man sie bat zu warten. Die Wachen wichen ihnen nicht von der Seite. Ars kam herüber und brachte seinen Mund nah an Erecks Ohr.
    "Bist du sicher, das dieser Marz bereit ist, uns zu helfen?", fragte er. Die Wachen missbilligten ihr Getuschel, was sie durch ihre Blicke mehr als deutlich machten.
    "Er heißt Marraz. Vergiss das lieber nicht, wenn wir da drin sind."
    Ars setze zu einer Antwort an, doch in diesem Moment schwenkten die Türen auf und vor ihnen erstreckte sich der gewaltige Thronsaal. Ereck und Ars liefen vorbei an Säulen und leeren Rüstungen, bis sie am Fuße der Treppe ankamen, die zu Marraz' Thron hinaufführte. Der Mann war etwas in die Breite gegangen, seit Ereck ihn das letzte Mal gesehen hatte, und auch sein Haar lichtete sich. Dafür trug er nun einen prächtigen geölten Schnurrbart.
    Hinter seinem Thron standen zehn Soldaten im Halbdunkel.
    "Ereck Weißkrähe", tönte es von oben herab. Die Stimme des Zerbus war tief und laut. "Ich erinnere mich noch, Euch beim Namenstag meines Freundes Raknaz getroffen zu haben. Ihr habt seine Söhne zum Stadttor begleitet, als sie ich sie mit mir nahm. Ich habe Euch für ehrenwert gehalten."
    Ereck blinzelte verwundert, angesichts dieser Beleidigung.
    "Edler Marraz, ich versichere euch, stets treu gedient zu haben." Der Mann auf dem Thron rührte sich nicht.
    "Wer ist dieser Kerl neben euch?", fragte Marraz. "Der Alchemist, der meinen Freund Raknaz zusammen mit einer Hexe vergiftet hat?"
    Ars warf Ereck einen verwirrt schockierten Blick zu. Ein metallenes Klappern verriet dem Hauptmann, dass die Soldaten im hinteren Bereich des Saales sich rührten. Erecks Hand glitt zu seinem Messer. Sie hatten es ihm nicht abgenommen.
    "Marraz ...", begann er. "Ich fürchte, man Euch Lügen und Propaganda zukommen lasse!"
    Der Zerbu lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sprach: "Ihr erwartet, dass ich einem dahergelaufenen Lumpenpack glaube, anstelle des Mannes, der bei meinem Freund war, als sein Leben zu Ende ging?"
    Ereck wollte gerade fragen, von wem der Zerbz sprach, da trat ein Mann hinter dem Thron hervor. Sofort erkannte Ereck Rogarr. Der Einäugige grinste selbstgefällig.
    "Verräter! Lügner! Du Wurm, du verfluchter ..."
    "Schweigt!", fauchte Marraz. Sein fettes Gesicht wabbelte, als er wutentbrannt aufstand. "Ergreift sie! Ergreift sie beide! Aber lebend. Ich will sie für ihren Verrat noch lange büßen lassen! Und das Pack mit dem sie hier her kamen. Die bringt mir ebenfalls!"
    Die Soldaten hinter ihm schwärmten mir gezückten Schwerter aus. Ars wollte nach seinem Buch greifen, aber Ereck packte seinen Arm und hielt ihn zurück. Es wäre effektiver, seine Kräfte zu nutzen, um aus dem Kerker zu entkommen. Widerstandslos ließen sie sich festnehmen.

    Nur Augenblicke später fanden sie sich in einer finsteren Zelle irgendwo tief in den Eingeweiden des Palastes wieder. Ars rieb sich den Arm, wo man ihn besonders fest gepackt hatte, während Ereck nervös auf und abschritt. Er hörte ständig murmelnde Stimmen vor der Zelle, wollte aber warten, bis sie alleine waren, ehe er Ars seine Kräfte einsetzen ließ. Nach einem Weilchen schwiegen die Stimmen und als einige Augenblicke danach immer noch Schweigen herrschte, nickte Ereck Ars zu. Der verstand sofort. Er nahm sein Buch hervor, trat zur Tür und schloss die Augen. Doch seine Konzentration wurde sofort vom Klacken des Schlosses unterbrochen. Erschrocken wich der Alchemist zurück. Auch Ereck machte einen Schritt zurück. Als die Tür aufschwang, wurden sie von grellem Fackelschein geblendet. Man würde sie also zur Folterkammer bringen. Ereck hoffte, dort würde sich ihnen die Möglichkeit zu Flucht bieten.
    "Raus mit euch!", blaffte eine Stimme. Ereck und Ars blinzelten im Licht und erkannten einen Mann fortgeschrittenen Alters. "Begleitet mich bitte. Und sorgt euch nicht."
    Ereck trat aus der Zelle und stellte verwundert fest, dass der Alte keinerlei Wachen bei sich hatte. Es wäre mehr als einfach ihn auszuschalten und zu fliehen. Fast schon zu einfach. Ereck zögerte. Auch Ars, der nun nervös in den Gang trat, wirkte verwirrt. Der alte Fackelträger schien ihre Blicke zu lesen.
    "Ich bin nicht gekommen, um euch zur Folterkammer oder Hinrichtung zu bringen. Der Zerbu will euch sehen."

    Ars und Ereck tauschten einen Blick aus. Ein leichtes Nicken des Alchemisten verriet sein Einverständnis und so folgten sie dem Alten. Er führte sie durch dunkle Gänge und schließlich in ein von Kerzen und Fackeln erleuchtetes Gewölbe. Dort hatte man einen Tisch aufgebahrt, an dem Zerbu Marraz saß und aus einem Tonkelch trank. Auch für Ereck und Ars hatte man Getränke bereitgestellt. Doch beide ließen die Finger von dem potentiellen Gift.

    "Hauptmann", begann Marraz. "Ich muss mich für mein rüdes Verhalten im Thronsaal entschuldigen. Aber mit diesem Rogarr im Nacken muss ich aufpassen, was ich sage."
    "Wovon sprecht Ihr?", fragte Ars.
    Der Zerbu stellte seinen Kelch ab und begann, zu erklären: "Zerbu Rakka und der Seneschall von Zesnar haben sich verschworen. Rakka will alle freien Städte Zesiens erobern und zu einem Reich unter seiner Herrschaft vereinen. Ich mache gute Miene zu bösem Spiel, damit meine Stadt nicht die nächste ist."
    Ereck nickte. Soviel wusste er schon.
    "Dieses Schwein Larenz hat Meuchelmörder im ganzen Land angeheuert, um Raknaz' Söhne zu ermorden. Selbst Larkaz, ein Kind von sieben, den zu erziehen und schützen ich geschworen hatte, haben sie erwischt."
    "Auf einem Poster in der Stadt hieß es, sein Bruder habe ihn getötet", meinte Ars.
    "Das ist Teil der Verschwörung. Larenz hat diese Lüge in die Welt gesetzt, nachdem bekannt wurde, dass Lordas die Stadt verlassen hatte."
    "Wo ist er hin?", fragte Ereck.
    "Keiner weiß es. Aber sein Leibwächter, Allion Erelis, ist ebenfalls verschwunden. Ich vermute, er hat Lordas gerettet und weggeschafft."
    "Was ist mit den anderen Söhnen?", wollte Ars wissen.
    "Wenn meine Quellen stimmen, sind sie alle den Häschern Rakkas zum Opfer gefallen. Lordas ist der letzte lebende Erbe."
    Ereck fuhr sich durch den roten Bart.
    "Warum wolltet Ihr uns sprechen, Edler?", fragte er. Der Zerbu zwirbelte seinen Bart und lehnte sich im Stuhl zurück.
    "Ich habe mich entschlossen, Rakkas Spiel zu spielen. Habe diesen Rogarr bei mir aufgenommen und seine Gerüchte geschürt. Aber ich bin meinem alten Freund Raknaz noch immer treu. Mit Lordas habe ich ein entscheidendes Druckmittel verloren. Er ist der Schlüssel, wenn es darum geht, Rakka und Larenz aufzuhalten. Eine erfolgreiche Rebellion kann sich nur dann bilden, wenn wir uns dem letzen lebenden Erben verschreiben! Und ich will, dass Ihr ihn für mich findet, Ereck Weißkrähe."
    Der Hauptmann, der keiner mehr war, starrte den dicken Zerbu an. Er musste so viele Informationen verarbeiten, dass er einige Augenblicke lang gar nichts antwortete.
    "Habt ihr irgendeine Idee, wo der Junge steckt?", fragte er schließlich.
    Marraz lächelte. "Ein Mann, der gleich zur Tat schreitet. Löblich." Er nahm ein Pergament hervor, auf welches man mit Kohle einen bärtigen Mann mittleren Alters skizziert hatte.
    "Allion ist gerissen und ein Meister im Untertauchen. Ihn zu finden wird nicht leicht sein", fuhr der Zerbu fort.
    "Warum wählt ihr gerade uns aus?", fragte Ars.
    "Weil ich euch trauen kann und weil niemand nach euch suchen wird, jetzt wo ihr tot seid."
    Ereck und Ars hielten den Atem an. Marraz lachte.
    "Es ist war, in diesem Moment hackt man euch die Köpfe ab und zieht die Haut vom Gesicht. Euer Glück ist, dass wir zwei Vergewaltiger einsitzen hatten, die euch ein bisschen ähnlich sehen."
    Nun atmeten die beiden erleichtert auf.
    "Folgt bitte Rez, dem Mann der euch her brachte. Er wird euch neu einkleiden und mit Waffen ausstatten. Ich fürchte, der Bart und der weiße Mantel müssen weg, Ereck. Zu auffällig. Aber nun wollen wir keine Zeit verschwenden. Ich muss zurück und eure Freunde werden wahrscheinlich schon auf euch warten."

    Es war eine seltsame Stille in dem provisorischen Lager eingekehrt, das sie auf einer Lichtung errichtet hatten. Die Gruppe saß um ein Feuer, welches Matt für sie entfacht hatte. Die Kräuterfrau lag nah bei den Flammen und versuchte einzuschlafen, Ars neben ihr. Lohra war im Wald verschwunden und Ereck saß auf einem morschen Baumstumpf, in den dunklen Wald starrend.
    Da hatte er sich eine illustre Reisegesellschaft ausgesucht. Eine alte Kräuterhexe, die ihn vermutlich hasste, gleich zwei verdammte Magier und eine Söldnerin von undefinierbaren Aussehen. Ereck fragte sich, ob irgendeiner der anderen sich Gedanken darüber machte, wo sie überhaupt hinritten. Dieser Matt würde zu seiner Familie zurückwollen, doch das konnten sie vergessen, solange vor den Stadtmauern eine Schlacht tobte. Vermutlich folgten sie einfach Ereck, der jedoch selbst nicht wusste, wohin. Die letzten Jahre hatte er ihm Dienst des Zerbus verbracht, nun war er tot und der Hauptmann hatte wenig Interesse, weiter in diese Krise involviert zu werden. Doch käme er da nicht drumrum, solange er bei den anderen bliebe.
    Als Lohra zurückkehrte, mit einem Bündel Reisig unterm Arm und sich freundlich lächelnd zu Ereck setzte, stand sein Entschluss fest. Er würde alleine weiterziehen. Ereck dachte an seine Familie, die er verlassen hatte. Nein, dies hier war anders. Er brauchte sich nicht dafür zu schämen. Die Verantwortung, die er als Hauptmann gehabt hatte, hatte er verabscheut und sie hatte ihm schlaflose Nächte bereitet. Nun war er von dieser Last befreit und sollte sein Leben für Fremde riskieren? Nein, er würde gehen.
    "Was denkst du?", fragte die Söldnerin. Ereck sah sie einen Moment lang an. Das Licht des Feuers glitzerte in ihren Augen.
    "Das Holz ist gut", sagte er schließlich und deutete auf das Reisigbündel am Boden. "Wir werden es brauchen, es wird eine lange Nacht."
    Lohra schien zu bemerken, dass er ihre Frage nicht beantworten wollte, doch sie harkte nicht nach. Dafür war er ihr dankbar. Erech hatte noch nie mit jemanden über seine Familie gesprochen.
    "Essen werden wir brauchen", meinte die Söldnerin mit einem Blick zu den anderen am Feuer. Die Kräuterfrau schien eingeschlafen zu sein.
    "Schau nicht mich an", meinte Ereck, während er an den Satteltaschen seines Pferdes rumfingerte. "Ich bin ein miserabler Jäger."
    "Ich kann es dir beibringen, wenn du ..." Sie schwieg abrupt. Ereck fuhr herum und blickte ihr in die Augen. Ohne ein Wort zu sagen, deutete Lohra in den Wald hinter ihm. Ereck zog ein Messer aus der Satteltasche. Als ahne das Ross etwas, wieherte es leise.
    Die Söldnerin, nun ebenfalls bewaffnet, schlich an ihm vorbei in den Wald. Ereck folgte ihr. Kaum dreißig Fuß vom Feuer entfernt war es stockfinster.
    "Hey!", kam ein Ruf vom Lager aus. "Wo geht ihr hin?"
    In eben diesem Moment knackte es laut vor Ereck und er hörte einen dumpfen Schrei. Sofort preschte er vor und sah sich zwei Männern gegenüber. Ein dritter Lag am Boden, Lohra auf ihm. Sie hielt seinen Arm. Die anderen beiden hoben die Arme und quasselten beschwichtigende Worte.
    "Was wollt ihr?", blaffte Ereck. Der Kerl links, ein bartloser Jüngling, vielleicht vierzehn, der, wie die anderen, in den Farben Hakiz' gerüstet war, stammelte eine Antwort.
    "Bitte ... wir sind einfache Soldaten ... auf der Flucht. Wir ... wir benötigen Hilfe und, und .... wir haben das Feuer gesehen, da ..."
    "Schnauze", raunzte Ereck und setzte dem anderen Mann sein Messer an die Brust. Hinter ihm kam Matt aus dem Dickicht. Ars schien bei der Alten geblieben zu sein.
    "Was ist denn hier los?", fragte der Pyromant.
    "Wir sind auf der Flucht", stammelte der Kerl mit der Klinge an der Brust. Er war etwas älter, bärtiger. "Unser Herr Hakiz wurde erschlagen vor den Stadttoren und die Häscher von Zerbu Rakka und dem Seneschall jagen uns."
    Lohra ließ von dem Mann am Boden ab. "Hakiz ist tot?", fragte sie erstaunt.
    "Ja, sein Heer wurde zerrieben", meinte der Junge. Ereck senkte das Messer und blickte zu Boden. Nun war das Schicksal der Stadt besiegelt. Matt würde seine Familie wohl nie wieder sehen. Der Junge schien dies jedoch nicht zu begreifen.
    "Wir müssen sofort zurück", drängt er. Lohra nickte und schaute dann zu Ereck. Wieder musste er an seine Familie denken, seine Familie, die er im Stich gelassen hatte. Er blickte auf und erwiderte Lohras Blick. Ihre Augen strahlten eine ungeheure Entschlossenheit aus.
    "Wir können nicht zurück", sagte Ereck. Matt wollte Einspruch erheben, doch Ereck winkte ihn ab. "Wir können nicht zurück, aber wir müssen trotzdem helfen. Larenz scheint mit Rakka paktiert zu haben, doch es gibt noch mehr Zerbus in diesem Land. Ein paar Meilen von hier liegt die Stadt Raznar. Ihr Zerbu heißt Marraz und bei ihm leben zwei von Raknaz' Söhnen als Mündel. Ihn müssen wir um Hilfe bitten. Dann haben wir eine Chance, Zesnar zurückzuerobern."
    "Wird dieser Marraz uns helfen?", fragte Lohra.
    "Er ist ein guter Freund von Raknaz. Und ich glaube, wenn wir ihm sagen, dass seine Stadt die nächste sein könnte, die Rakka zum Opfer fällt, wird er bereit sein, uns zu helfen."

    Sie hielten sich nahe an der Mauer, um vor den Pfeilen der Soldaten sicher zu sein. Die Spuren des Kampfes hinderten sie jedoch daran, zügig voranzukommen. Überall entlang des Walls waren Feuer ausgebrochen, wo man brennendes Pech auf die Angreifer gegossen hatte. Nicht selten stolperte der noch immer benommene Ereck über einen fallen gelassenen Schild oder gar eine Leiche. Wo die Toten sich zu mehren häuften, musste die kleine Gruppe sie umgehen und sich somit in die Schussbahn der Bogenschützen begeben. Jedoch wurde nie auf sie gefeuert.
    Sie erreichten die Tür, die sich gut versteckt hinter einigen Büschen verbarg. Ereck hatte zwar eigentlich größere Sorgen, dennoch missfiel ihm, dass man seinen Befehl, alle Büsche zu entfernen, nicht nachgekommen war. Doch reichte ihm dies nun zum Vorteil, daher beschloss er, den faulen Knappen, die er beauftragt hatte, zu danken, sollte er sie je wieder sehen. Was unwahrscheinlich war.
    Während er erschöpft an der Mauer lehnte und den Wehrgang nach Wachen absuchte, war an der Pforte der geheimen Tür eine heftige Debatte entbrannt. Matts Familie weigerte sich vehement, die Stadt ohne ihren Sohn zu betreten.
    "Ich muss den anderen helfen, Fürst Hakiz zu besänftigen. Wenn er die Stadt weiter angreift, bin ich bei euch ebenso in Gefahr, wie hier!", argumentierte der Schmied, doch seine Mutter schüttelte nur den Kopf. Sie flehte ihren Sohn an, es den anderen zu überlassen, für Frieden zu sorgen, sie weinte. Zu laut, wie Ereck fand.
    "Sag deiner Mutter, sie soll leise sein!", zischte er, woraufhin Matts Vater ihm einen strengen Blick zuwarf. Doch die Familie war nicht ruhig zu stellen und bald redeten sie alle lauthals auf Matt ein. Schließlich verlor Ereck die Geduld.
    "Dort oben sind Soldaten!", rief er, wohl wissend, dass dieser Teil der Mauer nicht bewacht wurde. "Schnell, durch die Tür!"
    Lohra zückte ihr Schwert, aber Ereck packte ihren Arm und warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Sie schien zu verstehen. Matt und seine Familie waren die ersten, die durch die Tür flüchteten. Esme hielt ihr Messer in der Hand und suchte nach den Angreifern. Ereck packte sich Matt und den Alchemisten, ehe sie durch die Tür gelangen konnten.
    "Was soll das?", rief Matt. Ars versuchte sich zu lösen.
    "Schließe die Tür, Ars!", raunzte Ereck.
    "Aber ...", begann dieser, doch Ereck würgte ihn mit einem heftigen Rütteln ab. Matts Vater war schon auf dem Weg zurück, da stellte Lohra sich ihm in den Weg.
    "Ars, mach schon!", rief sie und tatsächlich: Der Alchimist verschloss die Tür. Zurück blieben nur Steine. Al wäre nie etwas dagewesen.
    "Was sollte das denn?", fragte Matt und löste sich aus Erecks Griff.
    "Wir mussten sie loswerden. Denen wird es schon gut gehen, aber nur wenn wir jetzt verschwinden. Das Geschrei hat vermutlich echte Soldaten angelockt!"
    Ohne weitere Fragen zu stellen setzte die Gruppe sich in Richtung des Lagers in Bewegung. Dabei drehte sich Ereck immer wieder um, um festzustellen, ob man sie mit Pfeilen beschoss.

    Hakiz' Männer hatten einen vorbildlichen Belagerungsring errichtet. Spitze Holzpfähle und tiefe Gräben lösten sich langsam aus der Dunkelheit und bald erkannten sie viele Soldaten, die ihre Köpfe hinter einem kleinen Erdwall hervorstreckten. Ein leises Surren verriet Ereck, dass man begann, sie mit Armbrüsten zu beschießen.
    "Halt!", rief er, mit erhobenen Händen vorpreschend. "Wir sind Freunde Hakiz'. Des rechtmäßigen Zerbus!" Ein Bolzen schlug kurz vor ihm in den Boden ein. Sofort fiel Ereck auf alle viere. Er bewegte sich nicht und hoffte, die anderen würden es ihm gleichtun. Er lag eine ganze Weile, ohne weitere Pfeile zu hören. Keiner seiner Begleiter sprach. Es war eine fremde Stimme, die das Schweigen brach.
    "Wer seid ihr?"
    "Ich bin Ereck Weißkrähe. Hauptmann der Garde des Zerbus. Ich komme und seinem Sohn zu berichten, dass sein Vater verstorben ist und Seneschall Larenz seinen Thron zu stehlen versucht!"
    Darauf folgte lange nichts. Schließlich hörte Ereck Schritte.
    "Steht auf! Langsam!"
    Ereck tat wie geheißen. Zehn Männer kamen mit gezückten Schwerten auf die kleine Menschenmenge zu und untersuchten jeden Einzelnen. Erleichtert stellte Ereck fest, dass Esme alles ohne Provokation über sich ergehen lies. Ihrer Waffen beraubt und voll mit Schmutz, brachte man sie ins Zelt Hakiz'.
    Der Fürst saß auf Kissen gebetet und von Weihrauch umhüllt in einem mächtigen Stuhl. Sein langes Haar viel ihm über die Schultern und seine Gewänder waren nicht halb so Prunkvoll, wie bei ihrem letzen Aufeinandertreffen.
    "Ich habe euch gesagt, bis Sonnenuntergang", begann Hakiz mit tadelndem Ton. "Denkt Ihr vielleicht es macht mir Spaß, die Stadt zu zerstören, die ich beherrschen will?"
    Ereck wollte etwas sagen, doch Lohra war schneller.
    "Wir lagen falsch. Wir hätten euch glauben sollen. Seneschall Larenz ist der, der euer Dokument gestohlen hat. Er hat sich des Throns bemächtigt."
    Der Mann im Stuhl schwieg einen Moment mit versteinerter Miene. Man konnte nicht erkennen, ob er misstrauisch oder schockiert war.
    "Hat man euch geschickt, um mich zu töten?", fragte er schließlich.
    "Eine alte Frau, zwei Schmiede, einen Verwundeten?", fragte Ereck und versuchte, nicht zu spöttisch zu klingen.
    "Und eine Söldnerin", fügte Hakiz mit dünnem Lächeln hinzu, ohne Lohra eines Blickes zu würdigen. "Wieso seid ihr dann hier?"
    "Ich hatte gehofft, wir könnten euch helfen, die Stadt zu nehmen, ohne weitere Leben zu gefährden", sagte Ereck.
    Hakiz kicherte.
    "Ich komme nicht dahinter, was Ihr mit dieser Posse bezwecken wollt."
    "Keine Posse, Edler. Wir lieben diese Stadt und wollen sie nicht in den Händen des Seneschalls sehen. Und denkt an eure Brüder. Vermutlich werden sie gefangen gehalten!", meinte Lohra.
    "Ihr seid also gekommen, um mir zu raten, die Stadt einzunehmen. Euch ist doch bewusst, dass ich gerade dabei bin oder nicht?"
    Ereck wollte gerade den Mund aufmachen, da wurde er von dem tiefen Dröhnen eines Schlachthorns unterbrochen. Alle im Zelt schauten verwundert umher, sogar Hakiz. Als der Ton verklungen war, erschallte gleich der nächste. Ein Mann betrat das Zelt.
    "Mein Herr!", japste er, "Reiter am Horizont! Eine Armee!"
    Ohne Ereck und den anderen eines weitern Blickes zu würdigen, stürmte Hakiz aus dem Zelt. Draußen schwieg das Horn wieder und nun hörte man ein lautes Donnern, sowie die Schreie von Pferden und Männern.

    In dem finsteren Tunnel war Matts Fackel die einzige Lichtquelle und Ereck starrte benommen in die leuchtende Flamme. Lohra stütze ihn, doch er war ein schwerer Mann und so fielen sie ein gutes Stück zurück, bis von dem roten Licht kaum noch etwas zu sehen war.
    "Lohra", murmelte er. "Wir müssen uns beeilen. Das Licht geht aus."
    "Was redest du?", fragte die Söldnerin, doch Ereck konnte nicht mehr antworten. Als er erwachte, füllte seine Lunge sich mit frischer Luft. Nicht allzu weit entfernt hörte er aufgeregte Schreie und lodernde Flammen.
    Sein Blick war noch immer getrübt, doch erkannte er die Heilerin und Lohra, die über sich über ihn beugten.
    "Wo ...", setze Ereck an und hustete etwas Wasser hervor.
    "Psst", sagte Lohra und hielt ihre Hand an seine Wange, wo Rogarrs Messer ins Fleisch geschnitten hatte. "Wir sind vor der Palastmauern, aber wir können nicht zu Matts Haus. Es brennt überall."
    Ereck wollte sich aufsetzten, doch sein Kopf sackte zurück in den Schoß der Alten.
    "Wie ...", wieder hustete er. "Wie lange war ich bewusstlos?"
    "Ein oder zwei Stunden", antwortete Lohra. "Hakiz' Männer haben aufgehört den Wall zu attackieren, aber es wird nicht lange dauern, bis sie ausgeruht und neu formiert sind."
    "Wir müssen zum Stadttor", keuchte Ereck. Die Söldnerin sah ihn verwirrt an und Esme blickte fragend zu ihr, also wiederholte er seine Aussage noch einmal in der Sprache der Sumpfmenschen. Nun warf auch sie ihm einen seltsamen Blick zu.
    "Wir müssen mit Hakiz verhandeln. Müssen ihm die Tore öffnen. Ich bin immer noch der Hauptmann."
    "Aber ...", fing Lohra an.
    "Der Thron steht ihm zu ... er muss Larenz aufhalten."

    Erecks Lungen brannten. Sein Schädel dröhnte und jeder Muskel seines Körpers verkrampfte sich so heftig, das er zuckte wie ein Fisch an der Leine. Lange würde er den Impuls zu atmen nicht mehr unterdrücken können.
    Stechender Schmerz fuhr ihm durch die Beine, als man am dem Seil zog, dass um seine Füße gebunden war. Sofort sog er gierig die Luft ein, wobei etwas Wasser in seine Nase gelangte. Er huste, was das Brennen in seinen Lungen verschlimmerte. In seinen Ohren rauschte es und sein Blick war verschwommen. Er konnte nicht sagen, wie lange er schon gefesselt von der Decke baumelte, aber sein Kopf musste puterrot sein. Wo das Seil ihm in die Füße schnitt, konnte er schon nichts mehr fühlen, aber er spürte die Rinnsale von Blut, die seine Schenkel hinabkrochen.
    Ein Ohrfeige brachte ihn näher ans Bewusstsein.
    "Wo sind sie?", fragte Rogarr. Ereck hustete noch immer und da schlug er ihn ein zweites Mal. Als der Hauptmann nicht antwortete, zückte er ein Messer.
    "Ereck, alter Knabe, mach es mir doch nicht so schwer." Sein verbliebenes Auge glitzerte vergnügt. "Wo sind sie?"
    "Hast du schon in deinem fetten Arsch nachgesehen?", meinte Ereck benommen. Unter anderen Umständen wäre ihm wohl etwas gewitzteres eingefallen. Rogarr grinste und legte ihm die Klinge an die Wange.
    "Willst du deine Antwort nochmal überdenken?"
    Ereck versuchte zu spucken, stattdessen würgte er nur Wasser hervor. Rogarr wicht angeekelt zurück.
    "Du hast es so gewollt!"
    Das Messer biss sich tief in Erecks rechte Wange. Mittlerweile war ihm soviel Blut in den Kopf gestiegen, dass es nur so heraussprudelte. Selbst der Einäugige schien überrascht und wich zurück. Um nicht zu schreien, bis der Hauptmann die Zähne kräftig zusammen, was den Schmerz in seiner Wange jedoch noch verschlimmerte. Das Rauschen in seinen Ohren wurde lauter und sein Blick trüber. Rogarr schlug ihn erneut, auf die linke Wange diesmal. Es half wenig.
    "Ereck", sagte er. "Wo sind sie?"
    Erecks Zunge fühlte sich lahm und schwer an, so dass er kaum sprechen konnte. Er nahm einen tiefen, röchelnden Atemzug.
    "Ich bin ... recht durstig ... Wärst du so nett?"
    Rogarrs Miene war finster. Einen kurzen Moment starrte er seinen ehemaligen Hauptmann an, dann nickte er der Wache zu, die den Strick in der Hand hielt. Sie ließ ihn sogleich los und Erecks Kopf tauchte wieder in den mit Wasser gefüllten Zuber unter ihm. Diesmal, davon war er überzeugt, würden sie ihn nicht wieder herausziehen.

    Ereck stand alleine am Fenster. Die Leiche seines ehemaligen Herrn hatte er ins Bett gelegt und mit einem Laken bedeckt. Nun beobachtete er die Fässer, die durch die Luft rauschten, und die Wachen, die weit unter ihm in den Straßen umher liefen, klein wie Ameisen. Er hatte niemanden über Rakzars Tod informiert. Wozu auch. Es änderte nichts und selbst wenn, würde es die Dinge nur verschlimmern. Nach einigen Minuten kam ihm der Gedanke, dass er eigentlich auf der Außenmauer sein müsste, um seine Männer zu kommandieren, doch darin konnte er keinen Sinn erkennen. Er hatte dem Zerbu gedient. Der Zerbu war tot. Wer wusste, wer sich diesen Titel als nächstes verleihen würde. Ihm war es gleichgültig. Er würde sich im Trubel der Schlacht aus der Stadt schleichen und irgendwo ein neues Leben anfangen.

    Plötzlich musste er an Lohra denken. Ob man sie und die anderen schon geschnappt hatte? Er hätte sie in seinen Plan einweihen sollen, sicher wäre sie damit einverstanden gewesen, sich einsperren zu lassen. Doch der Seneschall war in der Nähe gewesen und die Festnahme hatte glaubhaft aussehen müssen. Er konnte nicht glauben, dass die Söldnerin eine Spionin war. Aber es wäre zu gefährlich gewesen, wenn sie sich frei im Palast bewegt hätte. Wäre sie den Männern des Seneschalls in die Hände gefallen, wer weiß ob die sie am Leben gelassen hätten.

    Er fasste einen Entschluss. Er würde sich auf die Suche nach ihr machen. Würde sie und die anderen aus dem Palast befreien. Das war seine neue Aufgabe.

    Jemand kam herein.

    "Hauptmann, warum seid Ihr nicht an der Mauer?" Die Stimme war Ereck vertraut. Es war Brakh, einer der Diener des Zerbus. Als er die Leiche seines Meisters sah, verharrte er kurz reglos und seine Haut wurde weiß.
    "Er ist tot", sagte Ereck ohne zum Bett zu blicken. Brakh sah in entsetzt an.

    "Wie schrecklich", wisperte er heißer. "Habt Ihr es dem Seneschall schon gesagt?"

    Der Hauptmann schüttelte den Kopf. Brakh seufzte.
    "Es wird ihn hart treffen. Larenz und Rakzar waren enge Freunde, seit sie sich vor einigen Jahren in Ragnaz kennen gelernt haben."

    Ereck horchte auf. Ragnaz. Der Name dieser Stadt kam ihm seltsam vertraut vor.
    "Wo haben sie sich kennengelernt?", fragte er.
    "In Ragnaz. Larenz hat damals im Stadtarchiv gearbeitet und für den Zerbu und seinen Sohn Hakiz einige Dokumente aufgegeben."
    Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Larenz hatte vom Testament Rakzars gewusst. Er hatte es gestohlen. Er hatte die Heilerin loswerden wollen, weil er wollte das der Zerbu starb. Aber warum? Es war zwar üblich, das der Seneschall nach dem Tod die Regierungsgeschäfte übernahm, aber nur, bis der Sohn den Platz einnehmen konnte. Aber alle Söhne Rakzars waren doch hier. Sie ...

    "Brakh!" Der Diener horchte auf, wegen Erecks strengem Ton. "Wo sind Ruhur und die anderen Söhne?"

    Der Diener blinzelte verwirrt. Der Hauptmann packte ihn an den Schultern.

    "Wo sind ... " Er hielt inne. In der Tür zur Kammer stand Larenz. Mit einer beinah ausdruckslosen Miene starrte er auf den Leichnam im Bett. Seine Finger zupften unruhig an seinem Bart.
    "Ereck", sagte er. "Der Zerbu ist tot. Warum hast du nichts gesagt, wir müssen sofort handeln. Wir müssen seine Söhne ergreifen und einsperren, bevor sie anfangen, sich gegenseitig umzubringen. Wir können es uns nicht leisten Chaos innerhalb der Mauern ausbrechen zu lassen. Wir beide werden so lange die Regierung übernehmen, bis Hakiz vertrieben ist."
    Erecks Verdacht hatte sich soeben bewahrheitet. Einen kurzen Augenblick wusste er nicht, was er sagen sollte. Larenz starrte ihn ungeduldig an.
    "Wieso ergeben wir uns nicht?", sagte Ereck. "Hakiz ist doch der älteste. Gebt ihm den Thron."

    Larenz Stirn runzelte sich.
    "Aber Ereck, sei vernünftig. Wenn wir ihn einlassen, wird er die Stadt zerstören. Komm jetzt, wir müssen handeln!"

    "Ihr wollt den Thron für Euch selbst, nicht wahr?" Ereck hatte genug von diesen Intrigen. Er war es leid. Er wollte nur noch weg. "Dann nehmt ihn euch. Mir ist es gleich, nur lasst mich da raus."
    "Es tut mir leid, dass du so denkst", sagte der Seneschall mit falschem Bedauern. Hinter ihm traten zwei Männer der Leibgarde aus der Dunkelheit.
    "Aber du kannst nicht gehen. Ich muss von dir wissen, wo die Spione sich verstecken. Sie wissen das der Zerbu tot ist. Und die Söldnerin weiß von dem Dokument."
    "Ich habe keine Ahnung, wo sie sind", entgegnete Ereck ohne zu zögern. Die Gardisten zogen ihre Schwerter. Brakh schrie auf und sauste an ihnen vorbei, doch gelang es dem linken Mann ihn zu packen. Der Diener zuckte und wehrte sich wie verrückt, während der Soldat ihm die Klinge an die Kehle setzte. Diesen kurzen Moment der Verwirrung nutze Ereck um seinen Streithammer zu zücken. Als die andere Wache dies bemerkte, stieß sie den Seneschall zur Seite. Krachen trafen Speer und Hammer aufeinander. Es war ein kurzes Gefecht. Ereck gelang es, dem Mann das Bein wegzuziehen. Als er stolperte, bohrte der Hautmann ihm den Dorn seiner Waffe in den Rücke.

    Hinter sich hörte Ereck Schritte, doch konnte er seinen Hammer nicht schnell genug aus dem Toten lösen. Ein heftiger Schlag in den Hinterkopf brachte ihn zu Boden.

    "Schnappt die Söldnerin! Verdoppelt die Wachen! Durchsucht den Palast!", hörte er Larenz noch rufen, ehe er ohnmächtig wurde.

    Das Blut brannte in Erecks rechtem Auge. Halb blind und benommen taumelte er durch den Gang. Er hatte gewusst, dass Lohra kämpfen konnte, aber mit solcher Gegenwehr hatte er nicht gerechnet. Er hätte seinen Plan genauer durchdenken sollen.

    Plötzlich griff eine Hand nach seiner Schulter. Er fuhr herum, das Schwert gezückt, doch ließ er es schnell sinken, als er bemerkte, dass er einem seiner Männer gegenüberstand.

    "Hauptmann, geht es Euch gut?"
    Ereck winkte die Frage ab und deutete den Gang hinab. Der Blick der Wache folgte seinem Finger.
    "Die Söldnerin wird sich zum Kerker aufmachen!", stöhnte er. In diesem Moment kamen weitere Soldaten in den Gang. Sie starrten auf Ereck, der noch immer leicht schwankte.
    "Steht da nicht rum, wie die Ölgötzen!", brüllte er und ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Schädel. Er packte die Wache neben sich an den Schultern.
    "Folge der Frau zu den Verliesen und verriegele die Tür hinter ihr, wenn sie unten ist! Verstanden?"
    Die Wache nickte und sprang ohne ein weiteres Wort los. Ereck wandte sich an die anderen.
    "Ihr!", sie horchten auf. "Verschließt sämtliche Zugänge zum Kerker und du ..." Er deutete auf Gronz, den einzigen der Gruppe, den er kannte. "Geh zu den Öfen. Verbrenne das rote Pulver. Das rote, nicht das blaue. Verstanden?"
    "Unter welcher Zelle?", fragte Gronz.

    "Unter allen!", drängt Ereck und scheuchte ihn fort. Dann taumelte er zurück in die Gemächer des Zerbus, der jetzt ganz allein sein musste. Während er zur Tür ging, dachte er an Lohra. Er hoffte wirklich, Gronz würde das richtige Pulver wählen.

    Unter den Verliesen des Palastes befanden sich Öfen, die durch Rohre mit den Zellen und Gängen darüber verbunden waren. In diesen Öfen konnte man durch das Verbrennen verschiedener Pulver Dämpfe erzeugen. Das rote würde jeden, der sich in der Nähe des Verlieses befand, augenblicklich ohnmächtig werden lasse. Das blaue würde sie töten. Aber töten wollte Ereck die Söldnerin nicht. Er wollte sie schützen.
    Als er im Zimmer des Zerbus eintraf stellte er fest, dass der alte Mann tatsächlich ganz alleine war. Doch was fiel schockierender war, war das Rakzar am Fenster stand und hinausblickte. Es war das erste Mal seit Wochen, das Ereck den alten Mann stehend sah.
    Der Zerbu drehte sich um. Er bewegte sich langsam und zitterte. Sein Blick war glasig.

    "Sieh nur, die Sternschnuppen, Ereck", murmelte er. Dann kippte er nach vorne um und schlug hart mit dem Gesicht auf den Boden, bevor Ereck ihn erreichen konnte. Als er den Zerbu auf den Rücken drehte, stellte er fest, dass der Alte nicht mehr atmete. Einen kurzen Moment war Ereck vollkommen reglos. Ihm war, als sei die Welt in Stillstand geraten und er fühlte ... gar nichts. In ihm war alles leer. Mit dem Zerbu war der Sinn in seinem Leben gestoben. Erst jetzt realisierte er dies.

    Ein lauter Knall riss ihn aus seinen Gedanken. Er ging zum Fenster und sah die "Sternschnuppen" von denen Rakzar gesprochen hatte. Brennende Fässer sausten durch die Luft und hinterließen feuerrote Schweife, die sich vom Nachthimmel abhoben. In der Ferne konnte er das Knarren und Krachen der Tribocke hören, die Hakiz vor der Stadt hatte aufbauen lassen.

    Erecks blickte wanderte zum Horizont, wo gerade ein letztes Mal die Sonne aufblitze bevor sie verschwand, als würde sie nie wieder zurückkehren.

    Ereck hörte laute Stimmen, als er und Lohra sich der Kammer des Zerbus näherten.

    "Da scheint es Probleme zu geben", stellte die Söldnerin fest und die beiden beschleunigten ihre Schritte. Die Tür zum Krankenzimmer stand offen. Drinnen führten Seneschall Larenz und die Kräuterfrau eine hitzige Diskussion. Als sie Ereck und Lohra bemerkten, hielten sie inne.

    "Was geht hier vor sich?", fragte Ereck. Larenz kam zu ihm herüber. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn.
    "Ereck, wo ist der Alchemist?", fragte er eindringlich. Ereck blinzelte verwirrt.
    "Alchemist?", wiederholte er. Larenz packte seine Schultern.
    "Der verwundete Schmied. Er hat dich belogen. Er ist ein Alchemist. Er und dieses alte Kräuterweib wollen den Zerbu umbringen!"
    Lohra warf Ereck einen misstrauischen Blick zu. Er selbst konnte es ebenfalls nicht glauben.
    "Aber Seneschall. Wir haben diese Frau aus dem Wald entführt. Sie hat nichts mit all dem zu tun und ..."
    "Ereck!", fiel Larenz ihm ins Wort. "Der Alchemist. Er hat sie überredet ihm zu helfen. Um sich an uns zu rächen. Der Mann wurde von Hakiz geschickt. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ein Verwundeter sich die Mühe macht, über die Mauer zu uns zu klettern. Er ist ein Spion."

    Ereck ging einen Schritt zurück und sah zu der alten Frau, die ihn mit ihren hasserfüllten grünen Augen anstarrte. Es war tatsächlich verdächtig, jetzt wo der Seneschall es erwähnte.

    "Woher habt ihr diese Information?", fragte Ereck. Der Seneschall machte eine abweisende Handgeste.
    "Ereck, es ist wichtig, dass wir diesen Alchemisten aus dem Verkehr ziehen. Er weiß zu viel!"
    "Wo ist er denn?", fragte Ereck.
    Der Seneschall deutete auf die Hexe. "Sie will es nicht verraten, sie ... "
    "Seneschall!"
    Alle drehten sich zur Tür um. Dort stand ein Soldat, der eben gekommen sein musste. "Ich bin ihm eben begegnet. Er hat nach einer Bücherei gefragt."
    Ereck nickte. "Du", sagte er zu dem Soldaten. "Ergreife diese Kräuterfrau!" Der Soldat tat wie geheißen. Die Alte wehrte sich, doch der mann konnte sie überwältigen.

    "Larenz", er wand sich an den Seneschall. "Sendet eure Männer, um den Alchemisten zu ergreifen."

    "Sofort", sagte Larenz, nun sichtlich beruhigter. Er war schon halb zur Türe raus, als er innehielt. "Ach, Ereck. Eines habe ich vergessen."
    Ereck sah zu ihm. "Dieser Matt oder wie er heißt. Der ist ebenfalls ein Spion."

    Das schien Ereck nun doch sehr weit hergeholt. "Seneschall, sind dies Anschuldigungen oder habt Ihr Beweise?"

    Der alte Mann kam zu ihm: "Ich bitte dich! Er schleicht sich auf die Mauer weil er seine Familie schützen will. Nicht gerade eine kreative Ausrede, findest du?"
    Ereck musste abwägen und kam zu dem Schluss, dass es sicherer wäre, auch Matt wegzusperren, bis er sich Klarheit verschaffen konnte.
    "Lohra und ich kümmern uns um Matt", sagte er mit einem Blick zur Söldnerin. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass ihr nicht wohl bei der Sache war. Dennoch nickte sie zustimmend und ging voraus. Ereck wollte ihr folgen, wurde jedoch noch einmal vom Seneschall aufgehalten. Der Alte führte seine Lippen dicht an Erecks Ohren.
    "Diese Söldnerin. Die verrät dich ebenfalls. Nimm sie fest, nachdem ihr den Schmied geschnappt habt."
    Noch bevor Ereck Zweifel äußern konnte, verschwand der Seneschall.

    Ereck warf einen Blick aus dem Fenster. Es begann schon zu dämmern. Höchste Zeit, Lohra und den Seneschall ausfindig zu machen. Hakiz hatte damit gedroht bei Sonnenuntergang anzugreifen, allerdings glaubte Ereck das nicht so ganz. Die Mauern zu erstürmen wäre ein verlustreiches Unterfangen und mit Katapulten Steine zu schleudern würde bedeuten, das zu zerstören, was er so gerne haben wollte. Dennoch, es war ein gewisses Risiko. Im besten Fall würde er einfach nichts tun. Und im Schlimmsten?

    "Hauptmann", schallte ein Ruf durch den Gang. Eine quäkige Stimme, die Ereck mittlerweile gut kannte. Es war Rogoz, Zerbu Rakzars ältester Sohn.

    "Was kann ich für Euch tun, edler Herr?", fragte Ereck. Der rundliche Mann kam röchelnd vor ihm zum stehen. Mit einem goldenen Tuch wischte er sich Schweiß von der Stirn.

    "Was gedenkt Ihr wegen meines Bruders zu tun?", keuchte Rogoz.
    "Kein Grund zur Sorge. Die Mauern sind bestens bewacht und Euer Bruder wird es nicht wagen, der Stadt etwas anzutun, die er regieren möchte."

    "Aber was wenn doch? Wie können wir sicher sein?" Rogoz war sichtlich nervös. Von der Armee seines verhassten Bruders umzingelt zu sein, schien ihm nicht zu behagen.

    "Wenn Ihr helfen wollt, könnt ihr die Mauer mit Männern aus Eurer Garde verstärken", schlug Ereck vor, wohl wissend, dass er auf taube Ohren stoßen würde.
    "Meine Männer bleiben bei mir", erwiderte der Dicke sofort. "Ich brauche Schutz, solange meine Brüder im Palast sind."
    "Dann kann ich nichts für Euch tun", sagte Ereck achselzuckend und machte sich auf den Weg Lohra zu finden. Er war gerade auf dem Weg, zurück zur Kaserne, als er auf dem Hof der Söldnerin begegnete.

    "Dieser Matt ist harmlos", sagte sie und Ereck nickte erleichter, als wüsste er das nicht schon längst. Zusammen gingen die beiden zurück in den Palast. Ereck überlegte zuerst, den Zerbu noch einmal aufzusuchen, doch er entschied sich anderweitig. Der Schmied konnte warten, es gab wichtigeres zu tun. Er führte Lohra in einen kleinen Konferenzsaal, den er leer vermutete, doch als sie eintraten, stellte Ereck fest, dass der Seneschall sich dort mit einigen Vertrauten eingefunden hatte.
    "Ereck", sagte der alte Mann überrascht, als er ihn bemerkte. Die Männer, die um ihn herum an der langen Tafel saßen, schlugen rasch ihre Unterlagen zu.

    "Ich habe Euch gesucht, Larenz", sagte Ereck. Der alte Mann schlurfte zu ihm und Lohra herüber.
    "Wie waren die Verhandlungen?", fragte er. Ereck und Lohra warfen sich einen kurzen Blick zu. Dann sagte die Söldnerin: "Hakiz hat uns bis Sonnenuntergang Zeit gegeben. Da er aber kaum in der Nacht angreifen wird - schließlich hat er das Überraschungsmoment nicht auf seiner Seite - vermute ich, dass wir bis spätesten morgen früh Zeit haben."
    Der Alte nickte und murmelte: "Im Morgengrauen also." Er schwieg einen kurzen Moment, dann klatschte er in die Hände, woraufhin die Männer am Tisch aufschreckten.
    "Schnelles Handeln ist gefragt!", verkündete Larenz. Er wandte sich an Ereck. "Ich vertraue dir die Verteidigung der Stadt an. Ich kümmere mich um den Zerbu und seine Söhne."
    "Wir haben einen Schmied aufgegabelt. Wenn ich das richtig verstehe, behauptet er, den Zerbu heilen zu können."

    Nun horchte der Seneschall auf und wurde einen Moment still. Schließlich nickte er und murmelte: "Gut. Das ... das ist gut. Ja. Ich muss ihn sofort sehen, diesen Schmied!"

    Im nächsten Moment, waren die Männer verschwunden. Ereck und Lohra hatten den Raum für sich.
    "Setz dich", sagte Ereck. "Wir haben einiges zu bereden."

    "Kann ich jetzt mit ihm sprechen?", fragte Ereck das Dienstmädchen. Sie öffnete die Tür zum Krankenzimmer und fragte die Kräuterfrau. Ihre Antwort konnte selbst er mit seinen dürftigen Sprachkenntnissen verstehen. "Nein!"
    Er seufzte und versuchte, einen Blick ins Zimmer zu erhaschen. Der Wanderschmied und die Hexe brüteten über einigen Papieren, Ars, oder wie er heißen mochte, schien ihr etwas erklären zu wollen.
    "Für mich sieht es so aus, als wäre er ansprechbar", stellte Ereck fest. Das Dienstmädchen sah nervös zu Boden und murmelte: "Esme hat gesagt, er darf nicht gestört ..." Sie wurde von Rogarr unterbrochen, der den Gang entlang kam.
    "Das wird auch Zeit", raunzte Ereck. Rogarr war außer Atem. "Soll es etwa meine Schuld sein. ich war schon hier, da hieß es, ihr wärt wieder bei diesem Jungen gewesen."
    "Ich bin zu ihm, nachdem ich hier vergeblich auf dich gewartet habe. Was hat solange gedauert?" Rogarr schien nach einer Ausrede zu suchen, aber Ereck schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab.
    "Vergiss es. Was hast du in Erfahrung bringen können?"
    "Für mich hat es sich nicht so angehört als würden die Söldnerin und der Junge sich kennen."

    Ereck war erleichtert. Er hatte Rogarr in die doppelte Wand des Verhörzimmers geschickt, um das Gespräch von Lohra und Matt zu belauschen. Diese Methode hatte er schon häufig angewandt. Ließ man zwei Gefangene "ungestört" plauder konnte man in der Regel viel nützliches erfahren.

    "Obwohl", ergänzte Rogarr. Ereck horchte auf. "Ich glaube dieser Matt hat schon einmal von dem Weib gehört. Aber getroffen haben sie sich nicht, wenn ich das richtig verstanden habe."

    "Gut, dann wissen wir zumindest, dass die beiden nicht zusammenarbeiten. Ich habe Matt übrigens gerade zu meinem Boten gemacht."

    Rogarr war verwirrt. "Wieso?"
    "Er kann offensichtlich gut umherschleichen. Außerdem habe ich ein ausgezeichnetes Druckmittel, dass seine Loyalität garantiert. Wäre er ein Spion gewesen, dann hätte ich durch ihn dem Feind falsche Schlachtpläne zukommen lassen."
    Rogarr nickte verstehend. "Aber, Hauptmann."
    "Was denn noch?"
    "Die Söldnerin kann doch auch eine Spionin sein oder? Taucht hier einfach so auf."
    "Das ist mir bewusst. Die Ereignisse der nächsten Stunden, werden uns in dieser Hinsicht Klarheit verschaffen." Ereck wollte sich schon wieder der Dienerin zuwenden, da fiel ihm noch etwas ein.

    "Rogarr, wo ist eigentlich der Seneschall?"

    Der Mann, schon im Gehen, hielt inne und zuckte mit den Schultern.

    Rogarr stand neben der Tür und betrachtete sein Spiegelbild in der Klinge seines Schwerts. Als Ereck ihn beim Namen rief, steckte er es ein und kam herübergetrottet. Er hatte wenig Respekt, das wusste Ereck, aber in diesem Moment war es ihm egal.
    "Rogarr", sagte er. "Ich habe eine wichtige Aufgabe für dich."
    Der Einäugige sah ihn etwas verwirrt an. Normalerweise gab der Hauptmann ihm nie einen bedeutenden Auftrag. Ein einfaches Grunzen war seine Antwort.
    "Ich will dich in der Flüsterkammer, verstanden?"
    "Was? Warum?" Rogarr's verbliebenes Auge verengte sich skeptisch. Ereck trat näher an ihn heran und senkte die Stimme mit einem Blick zur Tür.
    "Ein Soldat hinterfragt seine Befehle nicht. Tue wie dir befohlen und erstatte mir später Bericht. Ich werde unten beim Seneschall sein."
    Es sah so aus, als wolle Rogarr noch etwas sagen, doch schließlich nickte er nur mürrisch und machte sich auf.
    Zeit, diesem Wanderschmied einen zweiten Besuch abzustatten, dachte Ereck, als er sich zum Krankenzimmer des Zerbus aufmachte, wo er die Hexe und ihren neuen Patienten vermutete.

    Ereck seufzte. Ein kleiner Teil von ihm hatte gehofft, dieser Matt wäre wirklich ein Spion, damit seine Zeit nicht gänzlich verschwendet war. Er beschloss, noch etwas nachzuhaken.
    "Wenn ich also meine Männer beauftrage, deine Nachbarn auszufragen, dann werden sie alle bestätigen, dass du schon dein ganzes Leben hier wohnst?"
    "Ja", antwortete der Mann ohne zu zögern. Er schien es wirklich eilig zu haben.
    "Selbst wenn. Du könntest trotzdem ein Spion sein."
    "Bin ich nicht. Ich schwöre es. Darf ich jetzt zu meiner Familie?"
    Erecks Zweifel ebbten ab und er war schon im Begriff, den jungen Mann zu entlassen, als er doch innehielt und sagte: "Lohra"
    Matt sah ihn verwirrt an. Ereck hakte nach: "Kennst du eine Frau namens Lohra? Lüge mich besser nicht an!"
    "Nein. Darf ich jetzt bitte gehen?"
    Dieser Kerl hatte es etwas zu eilig für Erecks Geschmack. Er fasste eine Entscheidung.
    "Wache!" Der Mann in der Tür schreckte auf. "Bring diesen Mann in den Kerker. Ich werde mich morgen mit ihm befassen, jetzt habe ich wichtigeres zu tun."
    Der Soldat nahm nahm eine Eisenkette von seinem Gürtel und ging auf Matt zu, der ihn entgeistert anblickte.
    "Hände auf den Rücken", befahl er.

    "Sie ist nur eine einfache Söldnerin. Beachtete sie nicht."
    Hakiz Stirn runzelte sich in gespielter Verwirrung. "Wozu schleppt ihr eine unbedeutende Söldnerin an? Etwa um euch zu beschützen?" Sein Mund kräuselte sich zu einem seltsam schmalen Lächeln. Ereck seufzte. Nach zwei Jahren bei Hofe verabscheute er noch immer dieses Spiel der Worte.
    "Ich bin seine Beraterin", sagte Lohra. Ereck sah verwundert zu ihr herüber doch ihr Blick war auf Hakiz gerichtet. Dieser grinste noch immer. "Beraterin?", sagte er. "Welche Erfahrung kann ein Söldnerweib denn haben, dass irgendjemand sich um ihren Rat scheren würde?" Nun war es Lohra, die grinste. "Glaubt mir, ich habe habe mehr Lebenserfahrung, als Ihr sie je machen werdet."
    Der Sohn des Zerbu schwieg einen Moment, sein dünnes Lächeln hatte sich in einen schmalen Strich verwandelt. Ereck suchte nach den richtigen Worten, um die Spannung zu lösen, da fing der edle Hakiz Zu Rakhlaz Ur Arranaz plötzlich an laut zu lachen. Sowohl seine Wachen, als auch Lohra und Ereck tauschten einen verwirrten Blick aus. Eine ganze Weile standen sie da, schweigend, während Hakiz im Sattel bebte. Schließlich beruhigte er sich wieder. Mit dem behandschuhten Zeigefinger wischte er sich eine Träne aus dem linken Auge, während er atemlos murmelte: "Welch erfrischende Frechheit. Sowas ist mir wahrlich nie zuvor begegnet."
    "Edler Hakiz Zu ...", wollte Ereck das Gespräch wieder auf die richtige Bahn lenken, doch der hohe Herr unterbrach ihn. "Spart Euch den Atem", sagte er, noch immer kichernd. "Ich kenne meine Titel und es wird bald dunkel. Ich will die Stadt vor dem Morgengrauen eingenommen haben."
    "Das wird nicht möglich sein", erwiderte Ereck bestimmt.
    "Doch, wenn Ihr mir die Tore öffnet."
    "Bei allem Respekt, Elder, das wird nicht passieren. Euer Recht auf den Thron ist nicht größer, als das Eurer Brüder." Ereck bemühte sich, entschlossen zu klingen, was ihm nicht schwer fiel. Er war es ja auch.
    Nun war das Lächeln auf dem Gesicht des Mannes spurlos verschwunden.
    "Wenn Ihr nur wüsstet, wie falsch Ihr liegt. Sagt, Hauptmann, habt ihr meinen Brief nicht erhalten?"
    "Durchaus. Ihr spracht davon, dass man Euch eures Rechts beraubt hätte. Was nicht der Wahrheit ent ..."
    "Ich habe Euch aufgefordert, mich mit offenen Toren zu empfangen. Und nun stehe ich hier und alles, was ich sehe ist blanke Eiche. Hättet Ihr mich an einem schlechteren Tag erwischt würde Eure Stadt schon brennen. Aber ich habe beschlossen, Euch auf Euren Fehler hinzuweisen."
    Ereck musste das Verlangen, die Stimme zu erheben unterdrücken. So ruhig wie möglich entgegnete er: "Es wurde kein Fehler gemacht. Ihr habt nicht das Recht ..."
    "Ich hab alles Recht auf der Welt!", sagte Hakiz mit lauter Stimme. Sein glänzender Haarturm wackelte bedrohlich und sein Ross spitze erschrocken die Ohren. "Mein Vater, den Ihr in irgendeinem Loch dahinsiechen lasst, hat mich geliebt! Meine Mutter hat er geliebt! Solange ich denken kann, hat er mir den Thron versprochen!"
    Er machte eine kurze Pause, um sich zu fassen.
    "Als ich mein zwanzigstes Jahr abschloss, und er mich in den Rat der Stadt Ragnaz einberief, da bat ich ihn, seine Erbfolge schriftlich festzulegen. Er stellte mir ein unterzeichnetes und versiegeltes Dokument aus, in dem er mich, mich allein, zu seinem Thronerben ernannte. Ich sollte meinen Brüdern nichts verraten, damit sie ihren Vater nicht hassten. Sie sollten erst nach seinem Ableben von dem Dokument erfahren. Also habe ich es in den Archiven des Ratshauses von Ragnaz versteckt. Nur ich, Vater, der Archivar und meine engsten Vertrauten wussten von seiner Existenz und dann, als ich vom bevorstehenden Tod meines geliebten Vaters erfuhr, da ging ich hinunter in die Katakomben um das Dokument zu holen. Und es war fort. Ich habe jeden Winkel des Archivs umräumen lassen, habe überall gesucht, während meine Brüder Euren Palast mit ihrer Anwesenheit infiziert haben, doch ich habe nichts gefunden. Einer von ihnen muss von der Schrift erfahren haben und hat sie gestohlen. Er hat mir mein Geburtsrecht gestohlen! Ich sage es Euch also zum letzten Mal. Öffnet die Tore vor Sonnenuntergang oder ich werde mir das, was des Rechts nach mein ist, mit Stahl erstreiten!"
    Ereck stand reglos da. Er hatte versucht, in Hakiz' Gesicht die Züge eines Lügners wiederzufinden, doch nichts gefunden. Konnte diese Geschichte wahr sein?
    "Woher weiß ich, dass Ihr euch das nicht ausgedacht habt?", fragte Ereck. Lohra nickte zustimmend. Hakiz blickte mit versteinerter Miene auf die beiden herab.
    "Entweder Ihr glaubt mir oder die Stadt wird mit Gewalt erstürmt. Beratet das mit eurem Söldnerweib."
    Er gab seinem Pferd die Sporen und gemeinsam mit seinen Wachen trabte er zum Lager zurück.
    Ereck und Lohra blieben schweigend zurück. Nach einem kurzen Moment wurde Ereck von einem Ruf aus seinen Gedanken gerissen.
    "Hey!", kam es von der Mauer. "Hauptmann, die haben einen Spion geschnappt!"
    Seufzend stieg Ereck zurück in den Käfig, Lohra hinterher. Als sie knatternd nach oben gezogen wurden drehte Lohra sich zu ihm und fragte: "Und was jetzt?"

    Die Mauer, die den Palast umschloss, war dick genug, dass sieben Reiter nebeneinander über die Wehrgänge galoppieren konnten und so hoch, wie die Wachtürme kleinerer Festungen. Ein gewaltiges Tor aus kalt gebeiztem Stahl und massiver Eiche war der einzige Durchlass. Das Torhaus wurde von zwei gewaltigen Rundtürmen flankiert, aus deren Schießscharten die Bogenschützen hervorlugten, als Ereck und Lorah durch das Tor ritten.
    Die Straßen von Zesnar waren leer gefegt. Ereck hatte eine Ausgangssperre verhängt, damit seine Truppen sich nicht durch Menschenmengen drängen mussten, wenn sie zwischen den Wehranlagen der kleineren Stadtmauer und dem Palast hin und her rannten.
    Ereck spürte die Blicke der Leute, die ihn und seine Begleiterin durch ihre Fensterläden beobachteten. Es herrschte eine seltsame Stille, die Ereck so noch nie in der Stadt erlebt hatte. Auch sein Pferd Beißer schien zu spüren, dass etwas nicht Stimme. Der Hengst schnaubte misstrauisch und scharrte mit den Hufen. Lorah sagte nichts.
    Sie erreichten das südliche Stadttor nach einigen Minuten. Es war das stärkste der vier Tore, die normalerweise Händlern den Weg in die Stadt freigaben. Nun war es fest verschlossen. Zufrieden stellte Ereck fest, dass auf dem Wehrgang schon Feuer brannten, um Pfeile und Pech damit zu entzünden. Die kupfernen Rüstungen der Stadtwache glänzten in dem orangefarbenen Licht.
    Ein wenig entfernt vom Tor führte eine Treppe die Mauer hinauf. Ereck stieg von Beißer ab und bat Lorah mit einer Geste, ihm zu folgen.
    Oben angekommen, wurden sie von General Ruz empfangen, einem kleinen, rundlichen Mann, der sich in feines Leder und Eisen gerüstet hatte und fürchterlich schwitzte.
    "Seid gegrüßt, Hauptmann." Er machte eine formelle Verbeugung. Lorah warf er nur einen kurzen verwirrten Blick zu. "Der Käfig ist bereit."
    "Der Käfig" war ein Konstrukt, das Ereck vor zwei Tagen in Auftrag gegeben hatte. Es handelte sich um einen großen Eisenkasten, der an einem Kran hing. Mit einer Winde konnte man ihn hoch und runter lassen, was es ermöglichte, Männer vor der Mauer abzusetzen ohne das Tor öffnen zu müssen.
    Die beiden stiegen in den Käfig und schwiegen während sie ratternd und knatternd heruntergelassen wurden. Durch die Eisenstäbe beobachtete Ereck Hakiz und seine Männer. Sie saßen noch immer zu Pferd und sahen dem Käfig dabei zu, wie er sich dem Boden näherte.
    Ereck nahm einen tiefen Atemzug, als sie, am Boden angekommen, ausstiegen. Die Luft vor den Stadtmauern war trocken, aber frischer als jene in den engen Gassen.
    Hakiz kam herangeritten. Ereck ging auf ein Knie, Lorah tat es ihm gleich.
    Der Sohn des Zerbus ritt das prächtigste Pferd, das Ereck je gesehen hatte. Das schwarze Fell geölt und die Mähne mit Diamanten durchflochten, stand es in Gold gepanzert vor ihnen und in Gold gepanzert war auch sein Reiter. Hakiz strahlte in der Mittagssonne so sehr, dass es blendete. Ein langer Mantel aus Goldtuch lag auf seinen Schulter. Einen Helm trug er nicht, ebenso wenig ein Schwert. Seine langen schwarzen Haare waren zu einem kunstvollen Turm hochgesteckt, der mit Nadeln aus Gold gestützt und mit Rubinen geschmückt war. Sein langer Kinnbart war geflochten und ähnlich prunkvoll geschmückt.
    "Ich grüße Euch, edler Hakiz Zu Rakhlaz Ur Arranaz!", verkündete Ereck mit gesenktem Blick.
    Hakiz erwiderte seine Worte mit einer kurzen Geste, die ihm gestattete , sich zu erheben. Ereck klopfte sich den Staub von der Hose und ging einen Schritt näher auf Hakiz zu. Dieser hob abwehrend die Hand.
    "Halt." Er richtete seine Augen auf Lorah. "Wollt Ihr mir nicht das Weib vorstellen?"