Beiträge von Myrtana222 im Thema „Moralität? Nix wissen! oder: Ich gut, du böse. Basta!“

    @Iridiosflames Die Stärke der meisten Göttergestalten aller Nicht-Abrahamsreligionen ist ihre Menschlichkeit und ihr ambivalentes Handeln, das stimmt. Aber dass diese Mythologien ohne Klischees und ohne Schwarz-Weiß-Denken auskommen, kann ich nicht unterschreiben.
    Was ist mit der Midgardschlange und dem Fenriswolf, die eindeutig das tumpe "Wir vernichten, weil wir halt böse sind"-Klischee erfüllen? Was ist mit Loki, der aus reiner Boshaftigkeit handelt? Wie schon Miri meinte, Klischees sind zu Klischees gemacht worden, und selbst wenn wir die positiven und kreativen Aspekte von Rassen, Göttern und Handlungen der alten Sagen aufgreifen, machen wir doch nur den ersten Schritt zu einem neuen Klischee.
    Warum nicht die verdammten Gnome nehmen und etwas Interessantes draus machen? Scheiß egal, ob sie "authentisch" sind oder nicht, solange man ein gewisses Maß nicht überschreitet. Ich habe mir auch die Dryaden der Griechen, die Fomori der Iren und den Aswang der Philipinen genommen, und keiner davon war dem Original treu. Das habe ich gemacht, weil sie gepasst haben, aber nicht ganz, weil sie so einen viel stärkeren Nerv getroffen haben als in der Form, in der es sie vorher gab. Das meine ich mit frei, kreativ und unhölzern. Warum sich Vorbilder suchen, Vorgaben treu bleiben, sich überhaupt einen Kopf darum machen?
    Und so sollte man auch an Charaktere herangehen, an die überwiegend Guten als auch die überwiegend Schlechten. Frei, mit einem bisschen Verstand und vor allem menschlich.

    Es ist schwer, eine Fantasygeschichte ohne Bösewicht zu machen. Genau deshalb habe ich in meiner letzten Geschichte darauf geachtet, keinen klaren Bösewicht zu haben, und das war schwer, denn ohne die Böswilligkeit ist es schwer, der Geschichte Momentum zu geben.
    Umso besser sind Geschichten, die es trotzdem schaffen, und die gibt es. Man darf eben nicht immer im Bestsellerregal suchen, sondern ein wenig abseits dessen, was man so im Fantasyeck der Buchhandlung findet.
    Aber was macht einen Charakter interessant? Meiner Meinung nach sind das die Motive seines Handelns. Ein absoluter Bösewicht geht meiner Meinung nach auch - aber es wäre unheimlich schwer, schlüssig und verständlich die Gründe für sein Handeln darzulegen. Der Leser muss sich mit einer Figur identifizieren, sie verstehen können, um wirklich gefangen zu sein. Das klappt nicht mit dem tumpen Rohling, das geht nicht mit dem Overlord, der aus reiner Boshaftigkeit die Welt unterjocht. Wir brauchen jemanden, der uns überrascht.
    Ein absolut perfektes Beispiel (und sehr anmaßend von mir, ihn in diesem Kontext zu verwenden) ist meiner Meinung nach Grenouille aus Das Parfum. Grenouille wirkt so stumpf, so unmenschlich, dann wieder gefühlvoll und intensiv, wo wir es überhaupt nicht erwarten. Seine Art der Wahrnehmung ist uns absolut fremd, und doch saugt uns Süskind in diese Figur hinein, macht sie uns begreiflich. Das ist es, was einen guten Bösewicht ausmacht; wir können ihn verstehen, vielleicht müssen wir dieses Verständnis erst erlernen, aber letzten Endes ist er ein Mensch und handelt nachvollziehbar.

    Besser man betreibt Geschichtsrecherche und hält sich viel mehr an die Originale, die genug Variablen haben, als an Klischees.

    Wieso? Dann gibt es eine Welle der "korrekten" Fantasyfiguren, von denen man dann ein bis zwei verschiedene Autoren lesen kann, bevor einem auch wieder das Kotzen kommt. Warum nicht frei, kreativ und unhölzern?