7 - Caoimhe (2. Teil)
Alejandro war rechtzeitig in die Halle zurückgekehrt. Was genau er mit der Ziege angestellt hatte, wusste Caoimhe nicht, aber ihre Zofe Sorcha hatte ihr erzählt, dass der Koch gemeint hätte, die Knechte hätten gesehen, wie der Spanier die Ziege wörtlich bei den Hörnern gepackt und in den Stall befördert hätte. Nur auf die Frage, wie dabei der Kochlöffel zu Bruch gehen konnte oder weshalb über den ganzen Innenhof rote Stofffetzen verteilt lagen, konnte ihr niemand eine Antwort geben. Wahrscheinlich, so mutmaßte eine der Mägde, deren Bruder hin und wieder mit dem Sohn des Kochs spielte und deshalb praktisch Augenzeugin der Geschehnisse war, hing beides mit einem freigelassenen Esel und einer Lache aus schmutzigen Putzwasser zusammen. Wie dem auch sei. Für Caoimhe waren nur zwei Dinge von Bedeutung: Die Ziege war zurück in ihrem Stall und die Halle rechtzeitig zum Einmarsch der Männer hergerichtet. Trotzdem ärgerte sich Caoimhe. Der magische Moment, in dem das Licht sie wie einen Engel darbieten sollte, war verstrichen ohne dass sie sich überhaupt in der Halle aufgehalten hatte. Und das nur, weil der Koch ihr sein Leid über den Verlust seines Lieblingslöffels klagen musste und Adair ihr die Ohren über irgendeine zerrissene Bruoch volljammerte. Nachdem Caoimhe ihm zu verstehen gegeben hatte, dass seine Unterwäsche sie nicht interessierte, egal ob sich der Farbton nun Scharlach, Zinnober oder einfach nur Rot nannte, ließ er sie zwar in Ruhe, doch da waren die Männer schon längst zum Frühstück zusammengekommen. Es war wirklich zum Haare raufen! Caoimhe versuchte sich damit zu beruhigen, dass die Liebespaare in ihren Romanen auch erst nach der ein oder anderen Verwirrung zueinander fanden. William hatte Mary schließlich auch erst nach dem dritten Kapitel geküsst.
Ihren eigenen Kuss mit ihm vor Augen (der hoffentlich etwas eher stattfand als jener zwischen William und Mary), verbrachte Caoimhe den Großteil des Frühstücks damit, von ihrem Platz aus schmachtende Blicke in Cailins Richtung zu werfen. Am liebsten hätte sie die Augen nicht von ihm gelassen. Er gab ein so wundervolles Bild ab. Sein Haar floss wie ein sanfter Wasserfall zu seinen Schultern hinab und betonte die herrlich kantige Kieferpartie. Aufmerksam lauschte er einer Anekdote seines Sitznachbarn Alejandro, und schürzte dabei auf sinnliche Weise seine köstlichen Lippen. Kurz meinte Caoimhe, zwei Schmuckstücke aus Bernstein in seinem Gesicht zu entdecken, doch es waren tatsächlich Cailins Augen, die wachsam unter den geradlinigen Augenbrauen hervorfunkelten. Stundenlang hätte Caoimhe die wundervollen Lachfalten in seinen Augenwinkeln betrachten können, die Cailin einen jungenhaften Charme verliehen. Das heißt, Caoimhe nahm an, es diese Lachfalten gab. Genau genommen hatte sie Cailin seit seiner Ankunft auf der Burg kein einziges Mal lachen sehen. Das konnte nur eins bedeuten: Dass er nur auf sie warte. Cailin MacKeillan wartete auf Caoimhe, um in seinem Leben endlich Glück und Freude verspüren zu können. Sie würde der neue Mittelpunkt seines Herzens sein und ihm jeden Tag aufs Neue mit ihrer Wärme und ihrer Liebe einen Grund zum Lachen schenken. Für den Rest ihres gemeinsamen Lebens. Caoimhe stieß ein gerührtes Seufzen aus und presste die Hände gegen ihre Brust, in der ihr Herz beinahe vor Zuneigung überquoll.
Die schottische Schönheit beobachtete den Highlander ihrer Träume noch eine ganze Weile sehnsuchtsvoll und ignorierte dabei, dass ihr Vater das Wort ergriffen und damit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Ian MacKings Talente beschränkten sich nicht allein darauf, ein begnadeter Dudelsackspieler und Krieger zu sein. Nein, mit seiner Stimme konnte er selbst die banalsten Themen in eine epische Ansprache verwandeln, die die Männer in seinen Bann zog. Für Caoimhe gab es hingegen nichts langweiligeres als die Reden ihres Vaters, vor allem, weil er sie so gern in die Länge zog. Wahrscheinlich erklärte er gerade sowieso nur die Regeln des ersten Spiels.
Plötzlich spürte sie einen Tritt gegen ihr Schienbein und die rosarote Tagtraumblase zerplatzte. Erst sah sie unter den Tisch und dann zu Scott, der ihr gegenübersaß und ein spöttisches Grinsen auf dem Gesicht trug. Caoimhe presste die vollen Lippen aufeinander und bedankte sich ihrerseits, indem sie ihre zarte Ferse in seinen Fuß rammte. Ihr Bruder zuckte zusammen und Caoimhe griff bereits nach ihrem Löffel, um Scott eine Ladung ihres Porridges entgegenzuschleudern. „… und vor allem DISZIPLIN von Euch fordern wird…“, donnerte die Stimme ihres Vaters plötzlich und sein strafender Blick in ihre Richtung brachte die Geschwister augenblicklich dazu, ihre fürsorgliche Gewalt gegeneinander einzustellen. Caoimhe hörte Scott schwer schlucken. Je näher die erste Runde der Highland Games heranrückte, desto mehr hatte ihr Vater seine Missachtung ihm gegenüber deutlich gemacht. Betroffen schwieg sie, während Ian MacKing seine Rede fortsetzte: „Schnelligkeit, Muskelkraft und Geschick – diese Attribute werdet Ihr brauchen, um das erste Spiel für Euch zu entscheiden,“ erklärte er stolz und mit empor gereckten Kinn. „Doch nichts ist dabei so wichtig, wie die absolute Kontrolle über Eure Körper. Eine unbedachte Bewegung und das Spiel ist verloren. Nur wer seine Stärke bewusst einzusetzen weiß, wird am Ende als Sieger hervorgehen und rohe Kraft allein wird Euch an diesem Tag nicht weiterbringen.“ An dieser Stelle legte Ian eine theatralische Pause ein. Der alte Schotte wusste tatsächlich, seine Zuhörer zu fesseln. Teils unschlüssig, teils voller Tatendrang sahen die Männer einander an und gerade in dem Moment, in dem ein allgemeines Gemurmel einsetzen wollte, sprach das Clanoberhaupt weiter: „Ihr werdet eine Strecke von etwa einer viertel Meile ablaufen, voller Hindernisse und Stolperfallen. Derjenige, der die Ziellinie als erster überquert, soll den Sieg davontragen. Doch glaubt nicht, dass es so einfach sein wird, wie es jetzt klingen mag. Die wahre Prüfung wird sein, ein höchst fragiles Objekt sicher zum anderen Ende des Parcours zu transportieren. Verliert oder zerstört Ihr es, ist die erste Runde für Euch vorbei.“ Bei diesem Stichwort trat einer von Ians Kriegern an die Seite seines Chiefs und überreichte ihm ein kleines, hellbraunes und oval geformtes Objekt. Würdevoll hielt Ian es in die Luft, damit jeder in der Halle sehen konnte, worum es sich handelte. „Die Tradition, ein Hühnerei zwischen den Oberschenkeln zu tragen, ist so alt wie unsere Vorfahren. Schon die Urgroßväter unserer Urgroßväter haben sich stolz daran gemessen, wer die besten Eier zwischen seinen Beinen hat. Ehre gebührt dem Mann, dessen Eier trotz rauster Bedingungen schlussendlich intakt das Ziel erreichen.“ Mit großen Augen begutachtete Ian fast schon ehrfürchtig das Hühnerei in seiner Hand, während ein anerkennendes Raunen durch die Menge ging. Es war ein ehrwürdiger Moment. Caoimhe bekam eine Gänsehaut. „Nun denn. Begeben wir uns auf den Kampfplatz! Mögen die Highland Games beginnen!“