Beiträge von Voluptuous Mayday im Thema „Der Highlander, der mich tief berührte .....“

    7 - Caoimhe (2. Teil)

    Alejandro war rechtzeitig in die Halle zurückgekehrt. Was genau er mit der Ziege angestellt hatte, wusste Caoimhe nicht, aber ihre Zofe Sorcha hatte ihr erzählt, dass der Koch gemeint hätte, die Knechte hätten gesehen, wie der Spanier die Ziege wörtlich bei den Hörnern gepackt und in den Stall befördert hätte. Nur auf die Frage, wie dabei der Kochlöffel zu Bruch gehen konnte oder weshalb über den ganzen Innenhof rote Stofffetzen verteilt lagen, konnte ihr niemand eine Antwort geben. Wahrscheinlich, so mutmaßte eine der Mägde, deren Bruder hin und wieder mit dem Sohn des Kochs spielte und deshalb praktisch Augenzeugin der Geschehnisse war, hing beides mit einem freigelassenen Esel und einer Lache aus schmutzigen Putzwasser zusammen. Wie dem auch sei. Für Caoimhe waren nur zwei Dinge von Bedeutung: Die Ziege war zurück in ihrem Stall und die Halle rechtzeitig zum Einmarsch der Männer hergerichtet. Trotzdem ärgerte sich Caoimhe. Der magische Moment, in dem das Licht sie wie einen Engel darbieten sollte, war verstrichen ohne dass sie sich überhaupt in der Halle aufgehalten hatte. Und das nur, weil der Koch ihr sein Leid über den Verlust seines Lieblingslöffels klagen musste und Adair ihr die Ohren über irgendeine zerrissene Bruoch volljammerte. Nachdem Caoimhe ihm zu verstehen gegeben hatte, dass seine Unterwäsche sie nicht interessierte, egal ob sich der Farbton nun Scharlach, Zinnober oder einfach nur Rot nannte, ließ er sie zwar in Ruhe, doch da waren die Männer schon längst zum Frühstück zusammengekommen. Es war wirklich zum Haare raufen! Caoimhe versuchte sich damit zu beruhigen, dass die Liebespaare in ihren Romanen auch erst nach der ein oder anderen Verwirrung zueinander fanden. William hatte Mary schließlich auch erst nach dem dritten Kapitel geküsst.
    Ihren eigenen Kuss mit ihm vor Augen (der hoffentlich etwas eher stattfand als jener zwischen William und Mary), verbrachte Caoimhe den Großteil des Frühstücks damit, von ihrem Platz aus schmachtende Blicke in Cailins Richtung zu werfen. Am liebsten hätte sie die Augen nicht von ihm gelassen. Er gab ein so wundervolles Bild ab. Sein Haar floss wie ein sanfter Wasserfall zu seinen Schultern hinab und betonte die herrlich kantige Kieferpartie. Aufmerksam lauschte er einer Anekdote seines Sitznachbarn Alejandro, und schürzte dabei auf sinnliche Weise seine köstlichen Lippen. Kurz meinte Caoimhe, zwei Schmuckstücke aus Bernstein in seinem Gesicht zu entdecken, doch es waren tatsächlich Cailins Augen, die wachsam unter den geradlinigen Augenbrauen hervorfunkelten. Stundenlang hätte Caoimhe die wundervollen Lachfalten in seinen Augenwinkeln betrachten können, die Cailin einen jungenhaften Charme verliehen. Das heißt, Caoimhe nahm an, es diese Lachfalten gab. Genau genommen hatte sie Cailin seit seiner Ankunft auf der Burg kein einziges Mal lachen sehen. Das konnte nur eins bedeuten: Dass er nur auf sie warte. Cailin MacKeillan wartete auf Caoimhe, um in seinem Leben endlich Glück und Freude verspüren zu können. Sie würde der neue Mittelpunkt seines Herzens sein und ihm jeden Tag aufs Neue mit ihrer Wärme und ihrer Liebe einen Grund zum Lachen schenken. Für den Rest ihres gemeinsamen Lebens. Caoimhe stieß ein gerührtes Seufzen aus und presste die Hände gegen ihre Brust, in der ihr Herz beinahe vor Zuneigung überquoll.
    Die schottische Schönheit beobachtete den Highlander ihrer Träume noch eine ganze Weile sehnsuchtsvoll und ignorierte dabei, dass ihr Vater das Wort ergriffen und damit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Ian MacKings Talente beschränkten sich nicht allein darauf, ein begnadeter Dudelsackspieler und Krieger zu sein. Nein, mit seiner Stimme konnte er selbst die banalsten Themen in eine epische Ansprache verwandeln, die die Männer in seinen Bann zog. Für Caoimhe gab es hingegen nichts langweiligeres als die Reden ihres Vaters, vor allem, weil er sie so gern in die Länge zog. Wahrscheinlich erklärte er gerade sowieso nur die Regeln des ersten Spiels.
    Plötzlich spürte sie einen Tritt gegen ihr Schienbein und die rosarote Tagtraumblase zerplatzte. Erst sah sie unter den Tisch und dann zu Scott, der ihr gegenübersaß und ein spöttisches Grinsen auf dem Gesicht trug. Caoimhe presste die vollen Lippen aufeinander und bedankte sich ihrerseits, indem sie ihre zarte Ferse in seinen Fuß rammte. Ihr Bruder zuckte zusammen und Caoimhe griff bereits nach ihrem Löffel, um Scott eine Ladung ihres Porridges entgegenzuschleudern. „… und vor allem DISZIPLIN von Euch fordern wird…“, donnerte die Stimme ihres Vaters plötzlich und sein strafender Blick in ihre Richtung brachte die Geschwister augenblicklich dazu, ihre fürsorgliche Gewalt gegeneinander einzustellen. Caoimhe hörte Scott schwer schlucken. Je näher die erste Runde der Highland Games heranrückte, desto mehr hatte ihr Vater seine Missachtung ihm gegenüber deutlich gemacht. Betroffen schwieg sie, während Ian MacKing seine Rede fortsetzte: „Schnelligkeit, Muskelkraft und Geschick – diese Attribute werdet Ihr brauchen, um das erste Spiel für Euch zu entscheiden,“ erklärte er stolz und mit empor gereckten Kinn. „Doch nichts ist dabei so wichtig, wie die absolute Kontrolle über Eure Körper. Eine unbedachte Bewegung und das Spiel ist verloren. Nur wer seine Stärke bewusst einzusetzen weiß, wird am Ende als Sieger hervorgehen und rohe Kraft allein wird Euch an diesem Tag nicht weiterbringen.“ An dieser Stelle legte Ian eine theatralische Pause ein. Der alte Schotte wusste tatsächlich, seine Zuhörer zu fesseln. Teils unschlüssig, teils voller Tatendrang sahen die Männer einander an und gerade in dem Moment, in dem ein allgemeines Gemurmel einsetzen wollte, sprach das Clanoberhaupt weiter: „Ihr werdet eine Strecke von etwa einer viertel Meile ablaufen, voller Hindernisse und Stolperfallen. Derjenige, der die Ziellinie als erster überquert, soll den Sieg davontragen. Doch glaubt nicht, dass es so einfach sein wird, wie es jetzt klingen mag. Die wahre Prüfung wird sein, ein höchst fragiles Objekt sicher zum anderen Ende des Parcours zu transportieren. Verliert oder zerstört Ihr es, ist die erste Runde für Euch vorbei.“ Bei diesem Stichwort trat einer von Ians Kriegern an die Seite seines Chiefs und überreichte ihm ein kleines, hellbraunes und oval geformtes Objekt. Würdevoll hielt Ian es in die Luft, damit jeder in der Halle sehen konnte, worum es sich handelte. „Die Tradition, ein Hühnerei zwischen den Oberschenkeln zu tragen, ist so alt wie unsere Vorfahren. Schon die Urgroßväter unserer Urgroßväter haben sich stolz daran gemessen, wer die besten Eier zwischen seinen Beinen hat. Ehre gebührt dem Mann, dessen Eier trotz rauster Bedingungen schlussendlich intakt das Ziel erreichen.“ Mit großen Augen begutachtete Ian fast schon ehrfürchtig das Hühnerei in seiner Hand, während ein anerkennendes Raunen durch die Menge ging. Es war ein ehrwürdiger Moment. Caoimhe bekam eine Gänsehaut. „Nun denn. Begeben wir uns auf den Kampfplatz! Mögen die Highland Games beginnen!“

    7 - Caoimhe

    „Rasch, rasch! Wischt die Tische ab und räumt das benutzte Geschirr weg. Diese Stühle dahinten müssen hier herüber. Und holt endlich einen der Männer her, damit er sich um die Ziege in der Küche kümmert!“ Der Morgen hätte für Caoimhe nicht chaotischer beginnen können, dabei hatte sie alles so wunderbar perfekt geplant: Die Halle sollte blitzblank sein, das Frühstück zubereitet und das Licht der Morgensonne würde in atmosphärischen Strahlen durch die Fenster fallen und sie – Caoimhe – wie ein himmlisches Wesen in einem Lichtkegel präsentieren. Dann würde MacKeillan eintreten und nicht anders können, als seinen Blick auf sie zu konzentrieren. Erst danach fiele ihm der vorzügliche Zustand der Halle auf und ihm würde bewusst werden, dass Caoimhe sich nicht vor harter Arbeit scheute. Eine Frau, die ihm nicht nur Land und Erben schenken konnte, sondern auch eine Burg mitsamt der Dienerschaft in den Griff bekam - Diese Eigenschaften waren es, die die Männer in einer Frau suchten und die sie zu schätzen wussten. MacKeillans Antrieb, die Spiele für sich und damit nicht nur Caoimhes Herz, sondern auch ihre Hand im Bund der Ehe zu gewinnen, würde ins unermessliche anwachsen und ihnen das glückliche Ende bescheren, auf das sie beide hofften.
    Stattdessen sah die Halle aus wie ein Schlachtfeld. Caoimhes Vater und die Krieger kamen in weniger als einer Stunde zum Frühstück und überall wuselten noch die Mägde und Diener herum. Außerdem war irgendwo Whiskey ausgelaufen und der Gestank überlagerte sogar den Duft des Heidekrauts und Lavendels, den Caoimhe hatte auslegen lassen. Und dann war da diese verflixte Ziege! Irgendein dümmlicher Knecht hatte das Gatter zum Ziegenstall nicht richtig verschlossen, weshalb eine der Ziegen ausgebüchst und auf direkten Weg in die Küche gelaufen war. Der Koch weigerte sich seitdem, auch nur einen einzigen Fuß hinein zu setzen, solange dieses störrische Biest dort sein Unwesen trieb. Es war eine Katastrophe!
    „Sorcha, geh nach draußen und sag den Frauen, sie sollen die Wäsche sein lassen und hier drinnen helfen!“, ordnete Caoimhe ihrer Zofe an, die nickend davon eilte. Caoimhe lief ihrerseits in die entgegengesetzte Richtung, um sich nun selbst um die unverrichteten Aufgaben zu kümmern. In diesem Moment fiel ihr Augenmerk auf einen einsamen Eimer voller schmutzigen Putzwasser. Seit dem Bankett vor zwei Tagen war es ihr ein Dorn im Auge, wenn die Mägde ihre Eimer in der Gegend stehen ließen. Schnellen Schrittes ging sie darauf zu, um ihn aus dem Weg zu räumen. Doch Caoimhe hatte das Gewicht falsch eingeschätzt. Der Eimer war schwerer, als sie erwartet hatte. Sie blieb hängen, strauchelte und stolperte schließlich mitsamt Eimer nach vorn. In Erwartung des unsanften Aufpralls auf den Fußboden, kniff Caoimhe die Augen zusammen.
    Anstatt mit dem Boden, kollidierte sie jedoch mit einer harten, festen Männerbrust. Als sie den energischen Griff um ihre Taille spürte und das befürchtete Scheppern des Eimers ausblieb, blinzelte sie verwirrt. „Ein Paar so liebreizende Augen können doch nicht kurzsichtig sein. War es etwa Absicht, dass Ihr Euch in meine Arme geworfen habt?“
    Schwarze Locken und gebräunter Teint. Caoimhe befreite sich erschrocken aus Alejandros Griff und schaffte einen Schritt weit Abstand zwischen sie beide. Irgendwie hatte der Spanier es geschafft, sie nicht nur vor einem Sturz zu bewahren, sondern auch den Eimer rechtzeitig aufzufangen, ohne dass auch nur ein einziger Tropfen Wasser über den Rand schwappen konnte. Caoimhe war beeindruckt von so viel Geschick. Und über die Muskeln in seiner Brust, die sie während dieser flüchtigen Berührung gespürt hatte. Sie brauchte einen kurzen Moment, um sich von dieser ganzen Aufregung zu erholen. Der Spanier stellte derweil den Eimer vor seinen Füßen ab und bedachte Caoimhe mit einem liebenswürdigen Lächeln.
    „Ich war lediglich unachtsam“, gestand Caoimhe schließlich ein und strich sich Haar und Kleidung zurecht. „Aber ich danke Euch für Eure Hilfe, MyLord-...“
    „Alejandro soll vollkommen genügen. Zudem gibt es nichts, wofür Ihr Euch bedanken müsstet. Es wäre ein Verbrechen gewesen, ein so schönes Wesen wie Euch einfach fallen zu lassen.“
    Caoimhe griff nach dem Eimer und versuchte ihn anzuheben, hatte ob des Gewichts aber ihre Probleme damit. In diesem Moment nahm ihr Alejandro beiläufig den Henkel aus den Händen und deutete ihr mit einer dezenten Handbewegung den Vortritt an. Diese Geste verblüffte nicht bloß Caoimhe. Die Mägde waren schon längst auf den Trubel in der Halle aufmerksam geworden und beobachteten fasziniert das Geschehen zwischen ihrer Lady und dem Spanier. Beziehungsweise haftete das Interesse der Frauen vielmehr an Alejandro, denn an ihr. Gut ein halbes Dutzend Augenpaare folgten fasziniert jedem seiner Schritte, wie Caoimhe feststellen musste. Skeptisch runzelte sie die sonst so ebenmäßige Stirn.
    „Ihr seid sehr großzügig mit Euren Komplimenten, Alejandro“, bemerkte Caoimhe, während sie ihn durch die Halle zur Küche führte. Bisher kannte sie diese Offenheit nur von den Protagonisten in ihren Liebesromanen. Aber in diese Rolle passte Alejandro wirklich überhaupt nicht hinein. Ganz im Gegenteil zu Caoimhes geliebten Cailin MacKeillan. Hach, sie freute sich auf den Moment, in dem sie süße Liebesworte aus seinem Mund hören würde.
    Auf Alejandros Lippen breitete sich wieder dieses charmante Lächeln aus, das ihm so gut stand. „Ich spreche nur das offensichtliche aus, MyLady Caoimhe. Wieso sollte ich es auch nicht tun? Jede Frau hat etwas Schönes an sich, das es Wert ist, beachtet zu werden. “
    „So tiefgründige Gedanken hätte ich Euch nicht zugetraut, muss ich gestehen.“
    Das charmante Lächeln verwandelte sich zu einem verspielten Grinsen und schaffte es für den Augenblick tatsächlich, Caoimhes Knie weich werden zu lassen. „Ich bin in vielerlei Hinsicht tiefgründig. Mit meiner Tiefgründigkeit habe ich schon so manche Frau vor Euch beeindrucken können.“
    Caoimhe verstand zwar nicht, was er damit meinte, inzwischen hatten sie aber sowieso die Küche erreicht und Alejandro hielt für sie die schwere Holztür auf. Doch kaum hatte sie ihren hübschen Fuß über die Schwelle gehoben, blieb Caoimhe wie vom Blitz getroffen stehen. „Großer Gott, wieso hat denn noch immer niemand diese Ziege hier heraus geschafft?!“, rief sie frustriert den Bediensteten in der Halle zu. Tatsächlich stand inmitten der Küche zwischen Töpfen, Feuerholz und Fässern voller Lebensmittel eine rot-weiß gescheckte Ziege und kaute gemütlich auf den Möhren herum, die eigentlich für einen Karottenkuchen zum Frühstück gedacht waren. Mit missbilligenden Ausdruck in den Augen hob sie den Kopf an, um die Neuankömmlinge einer intensiven Musterung zu unterziehen. Wie peinlich! Am liebsten hätte Caoimhe beide Hände vor das Gesicht geschlagen und wäre geradewegs in ihr Zimmer gerannt, um sich vor Scham unter ihrer Bettdecke zu verkriechen. Was die Diener wussten, war die eine Sache. Aber jetzt stand sie hier mit einem Gast, einem Teilnehmer der Highland Games in ihrer Küche, in der sich eine dumme Ziege den Wanst voll schlug! Was sollte Alejandro von ihr denken? Oder schlimmer: Was, wenn er den anderen Männern davon erzählte und diese peinliche Episode Cailin MacKeillans Ohren erreichte? Ihre meerblauen Augen weiteten sich erschrocken. Nun konnte Caoimhe nicht anders, als bestürzt zu Alejandro aufzusehen.
    Der Blick des Spaniers ruhte noch immer auf der Ziege, den diesen unbeirrt erwiderte. Als er den Kopf schief legte, tat die Ziege es ihm gleich und neigte ihrerseits das behornte Haupt. Es war Caoimhe unmöglich, Alejandros Gedanken an seinem Gesicht abzulesen. In dem Moment, in dem er seine Lippen öffnete, um etwas zu sagen, blieb Caoimhe vor Anspannung fast das Herz stehen. „Mir scheint, Ihr braucht hier etwas Hilfe. Lasst mich das erledigen.“ Mit diesen Worten stellte Alejandro den Putzeimer, den er bis eben die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte, ab. Völlig verdutzt öffnete sich Caoimhes wohlgeformter Mund ein paar Mal, bis sie endlich die richtigen Worte fand: „Das braucht Ihr nicht zu tun. Ihr seid hier Gast. Einer der Knechte wird sich um die Ziege kümmern.“
    Alejandro winkte ab. „Unsinn. In meiner Heimat gibt es ein Sprichwort: 'Nur ein Esel packt den Stier nicht bei den Hörnern, wenn sich die Gelegenheit dafür ergibt'. Tretet besser zurück.“
    In seiner Heimat? Dort, wo er herkam? Unweigerlich kamen Caoimhe tausend Fragen in den Sinn, die sie ihm am liebsten alle gleichzeitig stellen wollte. Welche Kleider man dort trug, welche Speisen man zu sich nahm oder ob die Ziegen dort auch so groß und pelzig waren. Mit einem Kopfschütteln verwarf sie jedoch all diese Hirngespinste sofort. Dafür war wirklich keine Zeit!
    „Aber das ist kein Stier, sondern eine Ziege“, stellte sie klar und versuchte Alejandro mit einer Berührung um seinen Arm zurückzuhalten. Ihre Finger kribbelten, als sie die überwältigenden harten Muskeln seines Bizeps spürte. „Und habt Ihr Euch gerade selbst als Esel bezeichnet?“
    „Ganz im Gegenteil. Obwohl die Vorstellung eines Zweikampfes zwischen einem Esel und einer Ziege durchaus spannend ist. Was meint Ihr?“
    Dieses Bild in ihren Kopf ließ wirklich ein leichtes Schmunzeln über ihre Lippen huschen. Noch ehe sie auf seine Frage geantwortet hatte, schnappte sich Alejandro einen nahegelegenen Kochlöffel und hielt ihn aus Scherz wie ein Schwert vor sich. „Nun, leider haben wir keinen Esel hier. Also werdet Ihr mit mir Vorlieb nehmen müssen. Ich hoffe dennoch, bei diesem Kampf Eure Jubelrufe auf meiner Seite zu haben. Oder zweifelt Ihr an meinem Sieg?“
    Caoimhe versteckte ihr Lächeln hinter ihrer Handfläche. „Oh ich weiß nicht. Im Gegensatz zu Euch hat diese Ziege gefrühstückt.“ Dabei deutete sie auf den Berg übriggebliebener Möhren vor den Hufen des Tiers.
    Im nächsten Moment ging Alejandro auf die Ziege zu und versuchte allen ernstes, das störrische Tier aus der Küche zu bewegen. Bei diesem Anblick konnte Caoimhe ein Kichern nicht mehr zurückhalten und amüsierte sich über das Schauspiel, das sich ihr bot: Ein Hüne von einem Spanier, der sich gegen eine Ziege stemmte und sie mit einem Kochlöffel zur Hintertür hinauszutreiben versuchte.
    Hoffentlich würde er dabei nicht den Beginn des ersten Spiels versäumen.

    6 - Caoimhe (zweiter Teil)

    Zweieinhalb Stunden später saß Caoimhe immer noch auf demselben Platz und langweilte sich zu Tode. Kein einziger Highlander war zu ihr gekommen. Stattdessen tauschten die Männer Geschichten über bestrittene Kämpfe aus oder hörten abwechselnd ihrem Vater oder Scott, der das Talent des Dudelsackblasens geerbt hatte, beim Musizieren zu. Desinteressiert betrachtete Caoimhe den leuchtendroten Apfel in ihrer Hand. Sie wollte ihn nicht essen. Er sollte ihr viel mehr als Hilfsmittel dienen, ihre Reize zur Geltung zu bringen. Die rote Farbe unterstrich den sanften Ton ihrer Lippen und ein zur rechten Zeit an ihre Brust gedrückter Gegenstand würde die Aufmerksamkeit auf ihre weichen Rundungen lenken – sofern denn jemand in ihre Nähe kam. Nicht einmal mehr Scott saß an ihrer Seite.
    Caoimhe brauchte frische Luft. Dringend! Inzwischen hatte sich die Halle mit den erdrückenden Gerüchen von Alkohol, verbrauchter Luft und Männerschweiß gefüllt, was sogar den lieblichen Duft von Lavendelseife überschattete, die Caoimhe immer zum Baden nutzte. Die nächsten Tage, so viel stand für Caoimhe fest, würden die Eingangstore weit offenstehen müssen. Dann bestand vielleicht die Chance, den Gestank aus dem Gemäuer zu bekommen.
    Zum ersten Mal an diesem Abend erhob sich Caoimhe von ihrem Platz und drängte sich bis zu den Toren. Vergeblich hatte sie nach Sorcha Ausschau gehalten, um ihr ihr Leid klagen zu können. Wahrscheinlich hatte sich die Zofe in die Küche zu den Mägden zurückgezogen. Caoimhe musste sich an einigen mal mehr, mal weniger breiten Rücken vorbei schieben, bis sie endlich am Ausgang angekommen war. In diesem Moment öffnete sich das Tor.
    Draußen war es schon lange dunkel geworden und das Licht der Fackeln und Talgkerzen fiel atmosphärisch auf die Gestalt des Neuankömmlings. Für einen Augenblick sah er sich in der Halle um, danach trat er ein. Ein Ritter, der aus den Schatten hervortritt, erkannte Caoimhe ihren eigenen Tagtraum wieder und rang aufgeregt nach Luft. Er kam auf sie zu! Caoimhe schaffte es nicht, den Blick von ihm abzuwenden. Dieser Mann war einfach atemberaubend. Sein Körper war die lebendig gewordene Beschreibung der Helden in Caoimhes Büchern. Braune Haare umrahmten ein kantiges Gesicht und fielen auf die breiten Schultern. Seine Brust war massiv wie ein Schild, ging über in einen flachen Bauch und endete in einer schmalen Taille, um die er sein Plaid gewickelt hatte. Als er an Caoimhe vorbeiging, traf sie sein flüchtiger Blick aus haselnussbraunen Augen.
    „MacKeillan, da seid Ihr ja endlich!“, rief Caoimhes Vater über alle Gespräche im Raum hinweg. „Ich dachte schon, Ihr würdet gar nicht mehr auftauchen.“ Der junge Gott vor ihr fühlte sich angesprochen, sah auf und ging dann schweigend zu ihrem Vater. Einerseits wollte Caoimhe nicht, dass er ging. Andererseits ermöglichte es ihr, einen Blick auf seine Kehrseite zu werfen. Ihr blieb die Luft weg. Großer Gott! Schon oft hatte sie die Krieger ihres Vaters dabei beobachtet, wenn sie zu Übungszwecken – meist ohne Hemd und Plaid - miteinander rangen. Sie wusste deshalb, wie beeindruckend die Muskulatur eines Mannes unter körperlicher Anstrengung sein konnte. Doch was sich unter der Kleidung dieses wahrgewordenen Traums abzeichnete, lag jenseits von dem, was Caoimhe je gesehen hatte. Mit jedem Schritt seines stolzen Ganges schmiegten sich seine definierten Schulterblätter gegen den Stoff. Caoimhe konnte sich nur vorstellen, wie sein Muskelspiel unter diesem elenden Hemd aussehen musste: Wie eine Eruption der Highlands!
    Ein heißes Kribbeln wanderte durch Caoimhes Körper, während sie MacKeillan (so hatte ihr Vater ihn gerufen, nicht wahr?) nachsah. Ihr Gesicht fühlte sich warm an und ihre Hände begannen zu schwitzen. Weder bemerkte sie, wie ihr Mund auf entzückende Weise offenstand, noch, wie ihr der Apfel in ihren Händen aus den Fingern glitt.
    Das war er. Ja, da war sich Caoimhe sicher. Dieser Mann war die Liebe ihres Lebens! Er war für sie bestimmt, er und kein anderer Mann auf dieser Welt. Diese erste Begegnung konnte nur etwas bedeuten. Plötzlich hatten sie voreinander gestanden, einander angesehen… Es bestand kein Zweifel daran, dass er den Sieg erringen und Caoimhe zur Frau nehmen würde. Er würde vor ihr auf die Knie fallen, ihre Hand in seine nehmen und ihr mit Tränen in den Augen seine unsterbliche Liebe gestehen. Und das bereits in ein paar Wochen!
    „Verzeiht mir. Ich glaube, Ihr habt etwas verloren.“
    Eine Männerstimme riss Caoimhe aus ihren Zukunftsplänen. Als hätte man sie aus einem Tiefschlaf geweckt, blinzelte sie verwirrt die Bilder vor ihrem inneren Auge hinfort und löste ihren Blick von der Stelle, an der MacKeillan soeben zwischen den Männern verschwunden war. Sofort übermannte sie Wut und sie schnappte nach Luft, als sie in das bekannte Gesicht sah. „Ihr!“
    Mit einem zugegebenermaßen charmanten Grinsen auf den Lippen stand Alejandro vor ihr, der dreiste Spanier, den sie vor genau vier Tagen im Hafen getroffen hatte. In der Hand hielt er einen roten Apfel. Er reichte ihn Caoimhe und meinte augenzwinkernd: „Wenn ich mich nicht irre, dann gehört dieses leckere Stück Obst Euch. Jedenfalls sah ich es aus euren filigranen Fingern fallen. Im Übrigen passt seine ansprechende Farbe zu Euren Lippen, wenn ich das anmerken darf.“
    Unweigerlich wich Caoimhe einen Schritt vor ihm zurück. Sie rümpfte ihre feine Stupsnase und hob sie herablassend ein Stück in die Luft. „Ich warne Euch“, sagte sie mit fester Stimme. „Um uns herum befinden sich die besten Krieger von nah und fern, um an den Highland Games teilzunehmen. Die mutigsten und stärksten Männer sorgen für meine Sicherheit, sollte mir jemand zu nahekommen!“
    Die unausgesprochene Drohung erwirkte leider nicht den gewünschten Effekt. Anstatt des schelmischen Grinsens, trug Alejandro nun ein amüsiertes Lächeln. Es stand ihm unheimlich gut. „Nun, das trifft sich gut. Denn ich, Alejandro Inès Rodriguez Losada, gehöre zu diesen mutigsten und stärksten Männern und ich habe die Absicht, die Highland Games zu gewinnen. Euer Mund steht offen.“
    Das tat er tatsächlich. Caoimhe meinte, sich zu verhören. Dieser Spanier wollte allen Ernstes einen wahren Schotten besiegen können? Und dann auch noch in einem Turnier, in dem sie, Caoimhe, der Siegespreis war? Entgeistert entglitt ihr abermals der Apfel und fiel polternd zu Boden. Sogleich bückte sich Alejandro ein zweites Mal danach und gestatte Caoimhe damit einen Blick auf seinen dichten, kräftigen Haaransatz. Auch in Schottland gab es Männer mit schwarzen Haar. Noch nie aber hatte Caoimhe so dicke Locken sehen dürfen. In ihren Fingerspitzen begann es zu jucken und sie verspürte den Wunsch, langsam mit der Hand durch diesen dunklen Haarschopf zu fahren. Die Farbe passte zu der seiner Hosen, stellte sie fest.
    „Caoimhe! Tochter, komm her zu mir!“ Dankbar hörte Caoimhe auf einmal ihren Vater nach ihr rufen und ließ Alejandro ohne ein weiteres Wort stehen. Sie war froh, sich von dem Spanier entfernen zu können. Ihr Bedürfnis nach frischer Luft hatte sie inzwischen völlig vergessen.

    Danke für die Kommentare, ihr zwei ^^

    Obwohl ich ja immer noch keine wirkliche Ahnung hab, wie man ihren Namen richtig ausspricht.

    Der Name wird Kvie-wa ausgesprochen. Aber ich glaube, selbst von uns dreien (also Rael, Asni und mir) bin ich die einzige, die ihn tatsächlich so ausspricht ^^ Vielleicht macht es mehr Sinn, wenn man weiß, dass der Name den Grundlaut für den Namen Kevin bildet xD Rael wollte einen Kevin in der Geschichte haben.


    Ich hab keine Ahnung, ob ich das verraten durfte. Wenn nicht ist es jetzt auch zu spät %D

    6 - Caoimhe

    „Perfekt“, beurteilte die Zofe Sorcha die elegante Hochsteckfrisur, die sie ihrer Herrin aus dem wundervollen, blonden Haar gezaubert hatte. Caoimhe betrachtete das Werk im Spiegel, neigte den Kopf anmutig und besah ihr Konterfei von allen Seiten. Sorcha hatte wie immer gute Arbeit geleistet. Aus ein paar Strähnen hatte die Zofe Flechtzöpfe gewoben und sie nach oben gesteckt, wodurch Caoimhes schlanker Hals zur Geltung kam. Ein Kranz aus blauvioletten Blüten zierte ihr Haupt und sie passten in ihrer Farbe einfach wunderbar zu Caoimhes mitternachtsblauem Kleid. Der Kontrast brachte ihre elfenbeinfarbene Haut zum Strahlen und ihre blauen Augen zum Leuchten, wie die Sterne am Himmelszelt.
    „Noch nicht ganz.“ Behutsam benetzte Caoimhe ihren Zeigefinger zwischen den Lippen. Dann zupfte sie eine einzelne Locke aus der Frisur hervor und drehte diese zwischen den Fingerkuppen, bis sie als idealer Kringel auf ihrer Stirn lag. Es war ein verspieltes Detail an ihrem Äußeren, das von ihrem lebenslustigen und unbefangenen Wesen zeugen sollte. Wie sonst sollte sich eine Strähne lösen, wenn nicht durch ungezwungenes, vergnügliches Herumtollen in der Natur?
    Jetzt war alles perfekt. „Ihr seht großartig aus, MyLady“, seufzte Sorcha und Caoimhe stimmte ihrer Zofe stumm zu. Sicher würden es die Männer in der Halle ihres Vaters ebenso sehen. Vier Tage waren vergangen, seitdem sie ihrem Bruder Scott ihre Hilfe zugesagt hatte. Inzwischen waren dutzende an tapferen Highlandern eingetroffen und Caoimhe wurde ganz anders zumute, wenn sie daran dachte. Die Liebe ihres Lebens befand sich bereits auf derselben Burg wie sie! Vielleicht war es ja sein tiefes Lachen, dass man gerade bis hier hinauf in den Wohnturm hören konnte. Bestimmt lief er just in diesem Augenblick durch die große Halle, durch die Caoimhe als junges Mädchen getobt war. Ein wohliges Gefühl breitete sich in Caoimhes Bauch aus. Fühlte es sich so an, verliebt zu sein?
    Im Spiegel ihres Tischchens reflektierte sich das rote Licht der Abenddämmerung. Überrascht blickte Caoimhe zum Fenster. „Ohje, wir kommen zu spät!“, rief sie aus und erhob sich von ihrem Stuhl. „Man wartet sicher schon ungeduldig auf mich. Komm schnell, Sorcha!“ Gemeinsam eilten die beiden Frauen aus der Turmkammer. Caoimhe lief voran, während die Zofe treu mit ihr Schritt hielt. Ihre Trippelschrittchen hallten zwischen den Steinwänden wieder, während sie die Treppen hinab in die untere Etage hasteten.
    Dann schepperte es laut und Caoimhe polterte die letzten Stufen herunter. Zu spät hatte Sorcha den Eimer gesehen, den die Mägde nach dem Putzen dort stehen gelassen haben mussten. Die Warnung an ihre Herrin kam zu spät. Caoimhes Fuß verfing sich darin und sie ging zu Boden wie ein feuchter Sack Getreide, gegen den ein scheuender Esel getreten hatte. „MyLady! Seid Ihr in Ordnung?“, fragte die Zofe bestürzt und half Caoimhe auf. Wie durch ein Wunder saß die aufwendig hergerichtete Frisur noch immer perfekt. Wahrlich, Lady Caoimhe MacKing war mit ihrem Haar gesegnet. Weder Wind, noch Regen oder Sonne konnten ihm etwas anhaben.
    Caoihme hätte heulen können. Nicht wegen der Schmerzen durch den Sturz, nein. Vom Inneren der Halle konnte man den Treppenaufgang einsehen! Was für einen ersten Eindruck musste sie auf die Liebe ihres Lebens gemacht haben? Wie ein plumper Stein war sie die Treppe hinuntergesegelt und nun half Sorcha ihr auf, als wäre sie ein altes Weib. Aber Caoimhe hielt ihre Tränen zurück. Schließlich bekamen ihre Augen jedes Mal diesen verquollenen, unattraktiven Rotton, nachdem sie geweint hatte. „Tu, als wäre nichts passiert“, ächzte sie und trotz der Schmerzen in ihren Gliedmaßen, richtete sie sich stolz auf.
    „Keine Sorge, MyLady.“ Sorcha folgte ihrer Herrin in die Halle. Während Caoimhe den Blick geradeaus hielt und den Männern gegenüber unnahbare Würde vorspielte, blickte sich die Zofe neugierig um. „Niemand hat Euren Sturz gesehen. Genau genommen scheint Euch keiner der Männer auch nur zu beachten.“ Für diese Feststellung erntete sie einen giftigen Blick. Leider hatte sie Recht, wie Caoihme eingestehen musste. Die Halle war voller Krieger, doch sie alle waren entweder in lautstarke Gespräche verwickelt, tranken Ale oder sie hörten fasziniert den dumpfen Dudelsackklängen des Clanoberhaupts Ian MacKing zu. Caoimhes Vater war nicht nur wegen seiner Errungenschaften im Krieg berühmt. Er galt auch als einer der besten Dudelsackbläser Schottlands. Doch wen interessierte das schon?! Wie sollte sie, Caoimhe, deren liebreizende Hand der Preis dieser Spiele war, ihrer wahren Liebe auffallen und den Mann ihrer Träume mit eleganter Nichtbeachtung für sich gewinnen, wenn sie niemand ansah? Allerdings ließen sich die MacKings nicht so leicht unterkriegen. Mit der unnahbaren Anmut einer Prinzessin schwebte Caoimhe leichtfüßig bis zur Ende der Halle. Am Kopf der Tafel ihres Vaters wartete Scott bereits auf sie.
    „Du siehst entzückend aus, Schwesterherz“, begrüßte er Caoimhe und betrachtete einen Moment lang ihr Gesicht. „Und du hast die bezaubernden Augen unserer Mutter.“
    Caoimhe bedankte sich mit einem geschmeichelten Lächeln bei ihrem Bruder. „Ja. Es war eine wirklich großartige Idee, ihre Augen in ein Glas Essig einzulegen und es auf den Kaminsims zu stellen.“ Andächtig wanderten Caoimhes Gedanken in jene Ecke ihrer Kammer. „Es fühlt sich fast so an, als würde sie auch jetzt noch ein wachsames Auge auf mich haben.“
    „Und damit dürfte sie sicher nicht die einzige sein“, meinte Scott mit einem eindeutigen Augenzwinkern. „Hast du dir deinen zukünftigen Ehegatten schon ausgesucht? Welcher soll es denn werden? MacLeod? Sinclair? Oder wäre dir etwas vom Festland lieber?“ Er grinste. „Ein Hüne aus Spanien, eventuell?“
    Caoimhe schnappte nach Luft. Sie hatte seit Tagen keinen Gedanken mehr an diesen dreisten Menschen verschwendet und ganz bestimmt hatte sie nicht an seine schönen Beine in diesen engen Hosen gedacht. Musste Scott diesen Widerling gerade jetzt erwähnen? Immerhin stand Caoimhe kurz vor der ersten Begegnung mit ihrer einzig wahren Liebe. Dahergelaufene Abenteurer aus dem Hafen hatten bei dieser Sache nichts zu suchen!
    Caoimhe liebte Scott, wie eine Schwester ihren großen Bruder nur lieben konnte und es tat ihr im Herzen weh, dass ihr Vater seine Missachtung für ihn so offen zeigte. In manchen Situationen fiel es ihr aber dennoch schwer, Scott nicht den Schädel mit dem nächsten Stuhl einzuschlagen. Allein der Umstand, dass das Bankett und die Spiele eine einzige Demütigung für ihn sein mussten, ließ ihre aufsteigende Wut verpuffen, wie einen Tropfen kühlen Wassers auf ihrer erhitzten, weichen Haut an einem heißen Sommertag. Caoimhe glaubte keine Sekunde daran, dass Scott die Highland Games tatsächlich gewinnen könnte. Schon allein aus geschwisterlicher Fürsorge musste sie ihm helfen. Er verdiente Rückhalt in der eigenen Familie und wenn ihr Vater ihm diesen nicht geben wollte, so war es eben Caoimhes Pflicht. Nichtsdestotrotz würde Scott niemals der Sieger der Games werden. Dafür, das stand für Caoimhe fest, war ihr Bruder zuweilen einfach eine zu große Pfeife.
    Sie ignorierte seinen Spott daher mit grazilem Gleichmut und ließ sich von ihm zu ihrem Platz führen. Normalerweise saß Scott neben seinem Vater, doch heute Abend wurde einem besonderen Gast diese Ehre zuteil. Caoimhe musterte den Fremden nur flüchtig. Er war alt, beinahe kahl, hatte eine große Hakennase und kein Schotte würde sich je in diese pompösen Kleider zwingen, die er trug. Für Caoimhe war er gänzlich uninteressant. Dieser Mann war wohl kaum ein Teilnehmer der Spiele. Zum Glück!
    Auch wenn Caoimhe sich mit Scott verbündet hatte, glaubte sie noch immer an das Schicksal. Die Umstände würden sie und ihren Traummann von selbst zueinander führen, da war sie sich sicher. In ihrer Brust pochte es aufgeregt. Womöglich hatte ihr zukünftiger Gemahl sie bereits erblickt und sein Herz an sie verloren. Und Caoimhe erwiderte diese Gefühle innbrünstig. Allerdings wusste Caoimhe aus ihren Büchern, dass das Schicksal hin und wieder einen kleinen Schubs benötigte. Ein wenig Hilfe der Nebenfiguren in dieser Geschichte. Wer eignete sich dafür besser, als der eigene Bruder? Ihm durch die Highland Games zu helfen bedeutete für Caoimhe, ihrem glückseligen Ende ein Stück entgegen zu kommen. Alles würde sein, wie es sein soll.
    Der Clanchief hatte sein Dudelsackspiel beendet. Noch immer herrschte eine ungeheure Lautstärke zwischen den Anwesenden. Aber kaum drang Ian MacKings tiefe Stimme durch die Halle, verstummten alle und richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihren Gastgeber. Caoimhe nutzte die Gelegenheit und studierte die ihr zugewandten Gesichter eingehend. Unzufrieden biss sie sich auf die Unterlippe. Leider hatte Scott Recht gehabt, als er die Teilnehmer der Spiele als axtschwingende Barbaren bezeichnet hatte. Was Caoimhe sehen musste, entsprach ganz und gar nicht ihren Vorstellungen! Keiner der Männer passte in das Bild, welches sie sich zurecht gesponnen hatte. Da war der jüngste Sohn der MacKays, dessen Gesicht mit unansehnlich Pockennarben übersät war. An seiner Seite stand sein Waffenbruder aus dem Clan der Lamondts mit gut und gern fünfundzwanzig Pfund zu viel auf den Rippen. In einer anderen Ecke erkannte Caoimhe einen Krieger der Frasers und dessen Cousin, einem unbedeutenden Spross der MacDougalls. Was dem einen an Haupthaar auf dem Kopf fehlte, wucherte dem anderen scheußlich im Gesicht. Caoimhe wurde bei dem Anblick der Ale- und Essensreste zwischen den krausen Barthaaren übel. MacNab war zu klein, Sutherland hatte das Gesicht eines Schweins, Buchanan hingegen einen Buckel. Boyds Nase war zu gewaltig, Dunbars Gesicht konnte man vor lauter Sommersprossen kaum erkennen und Campbell… Der drittälteste Sohn der Campbells stach wie ein Adonis zwischen den anderen Männern hervor, aber die Farben seines Clans passten um Himmels Willen nicht zu Caoimhes Teint! Resigniert stieß sie einen schweren Seufzer aus. Nur nicht aufgeben, sprach sie sich selbst Mut zu, sicher tritt der Richtige im Laufe des Abends aus den Schatten hervor, wie der strahlende Ritter, der er war. Und war es nicht so, dass in der Liebe ein hässliches Äußeres keine Rolle spielte? Die Liebe kennt kein Hässlich. Man findet schön, wen man liebt, hatte ihre Mutter stets gesagt. Caoimhe konnte sich also sicher sein, dass sowieso keine dieser abartigen Gestalten ihre große Liebe sein würde. Sorcha beharrte zwar immer wieder darauf, dass Caoimhes Mutter ihre Worte anders gemeint habe. Aber was wusste schon eine ungebildete Zofe?
    Die Worte ihres Vaters rissen Caoimhe aus ihren Gedanken. Während sie sich umgesehen hatte, hatte Ian MacKing seine Begrüßungsrede begonnen. Sicher ging es darin um Ehre, Stärke, Krieg und Ruhm und dem ganzen anderen Kram, der Caoimhe nicht interessierte. Gerade fing ihr Vater an, über die spannenden Dinge zu reden:
    „…deswegen freue ich mich umso mehr, dass nach all den Jahren wieder die Highland Games stattfinden und dass wir sie zudem auf meinem Grund und Boden abhalten. Mein Dank gilt dabei dem Duke von Norfolk, Alexander Mowbray aus dem Hause Grey, ohne dessen Zuspruch am Hofe des Königs wir nicht hier wären. Nur seinetwegen haben wir die Erlaubnis, unsere Spiele abhalten zu dürfen.“ In diesem Moment stand unaufgefordert der hakennasige Gast ihres Vaters auf und verneigte sich vor den anwesenden Schotten. Nun wusste Caoimhe, wer dieser Mann war und wieso er den Ehrenplatz an der Seite des Chiefs bekommen hatte. Sie mochte ihn trotzdem nicht.
    Bei Erwähnung seines Namens hörte Caoimhe aus allen Ecken abfälliges Zischen. Sassenach, spien ein paar der Männer aus, wie eine Schlange ihr Gift. Automatisch sah Caoimhe zu ihrem Bruder herüber und auch er kräuselte geringschätzend die Nase. Niemand konnte die angeborene Abneigung zwischen Schotten und Engländern verbergen. Lord Alexander quittierte das Gemurmel mit einem süffisanten Lächeln und nahm wieder Platz.
    „Wie ihr alle wisst, winkt dem Sieger der Spiele nicht nur der Ruhm, als der beste Krieger im Königreich zu gelten. Ihm wird außerdem die Hand meines lieben Kindes gereicht. Der Bund der Ehe wird ihn mit meinen Ländereien verbinden und zu meinem Erben machen.“ Dabei deutete der Clanchief auf Caoimhe, die dem neben ihr sitzenden Scott einen überglücklichen Blick zuwarf. Spätestens jetzt musste ihre Liebe auf sie aufmerksam geworden sein.
    „Ich erwarte, dass jeder Teilnehmer sein Bestes gibt, damit wir den Würdigsten unter den Würdigen finden. Lasst uns auf spannende Kämpfe trinken! Slàinte mhath!“, rief Ian aus und erhob seinen Krug. Jeder im Raum tat es ihm gleich und wie aus einer Kehle dröhnte ihm die Antwort auf den Schottischen Trinkspruch entgegen: „Slàinte mhath!“ Bloß Caoimhe bekam keinen Schluck herunter. Ein aufregender Abend stand ihr bevor, denn jetzt, da die Männer ihrer gewahr waren, würden sie sie sicher einer nach dem anderen zum Tanz auffordern.


    2 - Caoimhe


    William küsste Mary voller Leidenschaft. Seine Zunge strich mit harten Zügen über ihren Mund und brachte sie dazu, ihre Lippen für ihn zu öffnen. Die Augen der unberührten Lady wurden glasig und sie konnte nicht verhindern, dass ein wimmerndes Keuchen ihrer Kehle entfleuchte, als sich Williams Hand unter ihr Kleid schob und im selben Rhythmus seiner Zunge mit den Fingern über ihre weibliche Mitte strich. „Ich kann nicht mehr, Liebste!“, knurrte William an ihren Mund und sein heißer Atem streichelte liebkosend über ihre wund geküssten Lippen. „Ich muss dich jetzt haben oder sterben! Lass mich ein, Mary, damit ich deine wundervolle Enge um mich herum spüren kann!“
    „Oh, William!“ Mary warf den Kopf hin und her. Die Lust für diesen Mann hatte sie überwältigt, doch die Konventionen brüllten in ihrem Kopf und forderten Vernunft. „Wenn ich dies tu, Liebster, so ist mein Ruf verloren. Meine Jungfräulichkeit ist meinem Ehemann bestimmt.“
    „Dann will ich dich ehelichen, Mary!“, schwor William feierlich. „Meine Liebste! Damit ich jeden Tag und jede Nacht in deine herrliche Feuchtigkeit eintauchen und mich darin vergraben kann! Willst du? Sprich schnell, Mary!“
    Eine nie zuvor erlebte Welle des Glücks rollte über Marys Körper hinweg und drohte, sie in ekstatischen Zuckungen mit sich zu reißen. „Oh ja, William!“, schrie sie auf. „Oh ja! Ja, ich will! Oh William! Oh!“
    Caoimhe schlug eilig das Buch zu und versteckte ihre erröteten Wangen hinter dem Einband. So sehr sie sich bemühte, konnte sie einfach nicht das dümmliche Grinsen aus ihrem sonst perfekten Gesicht verbannen. Doch was sollte sie tun? Sie liebte diese Bücher so sehr. Wilde Abenteuer voller Liebe, voller Gefühle und voller mitreißender Leidenschaft – wer konnte dem schon widerstehen? Schon als Mädchen hatte Caoimhe ihre romantische Seite entdeckt und dafür nicht nur einmal tadelnde Worte ihrer Mutter zu hören bekommen. 'Eine junge Frau hegt keine solchen Gedanken', hörte sie ihre Stimme in ihrem Kopf, 'eine junge Frau benimmt sich sittlich und voller Tugend. Und ganz bestimmt liest sie nicht solche Bücher!' Seitdem versteckte Caoimhe ihre stattliche Sammlung an Liebesromanen in einer Truhe unter ihrem Bett. Selbst jetzt, da ihre liebe Mutter seit acht Jahren nicht mehr unter ihnen weilte, konnte Caoimhe nicht aufhören, ihre Bücher noch immer am selben Ort zu verbergen. Gerade so, als würde ihre Mutter noch immer hereinplatzen und Caoimhes Schätze missbilligend entdecken können.
    Ihre wohlproportionierte Brust hob und senkte sich vor Aufregung über vergangene Zeiten und über die sinnlichen Zeilen, die sie eben lesen durfte. Der alte Bain hatte nicht zu viel versprochen, als er Caoimhe an diesem Morgen dieses Buch empfohlen und schließlich auch verkauft hatte. Nun schlenderte sie glücklich durch den Hafen, immer wieder mit der perfekten Stupsnase zwischen den Seiten und voller Vorfreude auf den Abend, wenn sie endlich allein auf ihrem Zimmer war. Aber Caoimhe war aus einem weiteren Grund überglücklich: Denn schon bald würde für sie der Traum von einer eigenen Liebesgeschichte mit dem perfekten Schotten ihres Herzens wahr werden. In ein paar Wochen läge sie endlich in den starken Armen eines mächtigen Highlanders und verging vor Verlangen, wie Mary in ihrem Buch. Vorfreude übermannte Caoimhe und die schottische Schönheit ließ sich zu einem übermütigen Hüpfer mit anschließender Pirouette hinreißen. Ihr perfekt sitzendes, hellblaues Kleid wirbelte im perfekten Bogen um ihre schlanken Hüften und ihre hüftlangen, blonden Locken wehten perfekt um ihr weiches, hübsches Gesicht. Ebenso perfekt klang der dumpfe Aufprall, als ihre Stirn gegen den Pfosten eines plötzlich aus dem Nichts auftauchenden Wegweisers knallte.
    Caoimhe taumelte für einen Moment, ehe sie sich wieder fing. Sie schob ein paar gelöste, perfekt geringelte Locken hinter das Ohr und setzte dann tänzelnd ihren Weg fort. Manch anderer hätte sich vielleicht die Laune davon verderben lassen, am selben Tag bereits zum zweiten Mal gegen ein und denselben Wegweiser gelaufen zu sein. Caoimhe war jedoch zu glücklich. Mit dem Ende der Highland Games würde sie, Caoimhe MacKing, Tochter des Clanchiefs Ian MacKing, endlich ihre große Liebe heiraten. Zugegeben, bisher wusste sie noch nicht einmal, wie ihre große Liebe aussah. Sie wusste auch nicht, woher er kam, wie alt er war oder was er besonders mochte. Aber papperlapapp! Wen interessierten schon solche Details, wenn es um die einzige wahre, perfekte, perfekte Liebe ging? Und letztendlich zählte doch nur, dass er sie liebte und ehrte. Sich um sie sorgte. Sie wertschätzte. Und sie jede Nacht ordentlich durch das Bettgestell nagelte. Caoimhe ließ ihrem Glück mit einer glockenhellen, perfekten Melodie freien Lauf und ein paar Vögel stimmten angeregt in ihren perfekten Gesang ein. Kaninchen schoben neugierig ihre Näschen aus dem nahen Walde und zwei Rehe spitzen entzückt die Ohren, während eine Möwe einen Kranz aus Blumen auf Caoimhes perfekten Schopf bettete. Das Rauschen der Wellen und der Wind waren ihr Akkompagnement. Dann verstummte Caoimhe und blieb stehen.
    Vor ihr erstrecke sich das weite Meer. Weiße Wolken legten sich auf den Horizont, als wäre er ein weiches Bett. Hinter diesem Vorhang aus unendlich weiter Ferne lag eine ganze Welt. Wann immer Caoimhe auf das Wasser hinausschaute, fühlte sie sich klein im Vergleich zu dem, was jenseits der Wellen lag. Sie atmete tief die salzige Seeluft Luft ein und verspürte plötzlich Neid auf die Seefahrer, die mit ihren Schiffen vor Anker lagen. Sie durften Orte sehen und Menschen treffen, von denen Caoimhe bloß träumen konnte. Die Idee, sich heimlich auf eines der Boote zu schleichen, keimte in ihrem Kopf auf.
    „Närrische Frau“, rügte sie sich selbst und kam sich ganz und gar nicht doof dabei vor, mit sich selbst zu reden. „Ich werde bald heiraten und muss mich um einen Haushalt und Kinder kümmern. Ich habe keine Zeit das Meer anzugaffen!“ Gleichzeitig stampfte sie mit ihrem perfekten Fuß auf, als müsste sie jemanden ihren Standpunkt klar machen. Gerade wollte sie sich abwenden und ihre perfekt frisierte, blonde Lockenmähne mit einer perfekten Geste über ihre Schulter werfen, als etwas ihre Aufmerksamkeit erregte: Ein Schiff. Ein fremdes Schiff! Noch nie hatte Caoimhe solche Segel gesehen. Bunte Flaggen wehten im Wind. Fasziniert presste sie ihr Buch gegen die perfekte Brust und musterte interessiert die fremdländisch aussehende Besatzung. Ihre perfekten, blauen Augen weiteten sich gespannt, als einer der Männer voller Elan vom Schiff sprang. Sicher war es unhöflich, jemanden so anzustarren und ganz bestimmt hätte es ihre Mutter ganz und gar nicht gutgeheißen, dass Caoimhe einen Mann begaffte. Doch ein einziger Blick auf ihn reichte, um Caoimhe in seinen Bann zu ziehen. Wer auch immer dieser Fremde war, sein Gang erinnerte sie an die geschmeidigen und gleichzeitig gefährlichen Bewegungen einer Katze. Die breite, harte Brust ließ sie an einen Bären denken und seine Beine... - Guter Gott! Caoimhe schluckte, als ihr Blick daran entlang wanderte. Wie unangemessen. Wie verrucht. Wie skandalös! Dieser Mann trug Hosen. Hosen, hier in Schottland! Als Caoimhe sich bewusst wurde, dass er mit seinen behosten Beinen in ihre Richtung marschierte, presste sie die perfekten Schenkel zusammen.
    Es waren wirklich ein Paar schöne Hosen.