Beiträge von LirayLegend im Thema „Tragik - Kurzgeschichten unserer Welt“

    Ohne Sein

    Ich hab geschrieben.
    Ich schreibe damit es nicht verloren geht. Schreibe um zu vergessen.
    Beschreibe einen Weg, an dessem Anfang das Ziel war, den ich nie ging, da der dieser erst noch kommen mag.
    Übergangen vom Ende, das sich nach vorne schlich, den Weg umging. So bin ich also, oder viel mehr sein, da Zeit unumgänglich vergangen ist.
    Verstrichen, bevor sie da war, um zu zeigen, wie sie geht. So ohne Zeit, vergeht Vergangenes, bleibt wird sein.
    Doch der Weg, der Unbarmherzige, die seines Gleichen sucht, er schlängelt sich durch Raum und.
    Wird als ob erst hier und da, auch ewig währen.
    Wie soll er auch, neben sich selbst begangen werden.
    Der Anfang und das End am selben Ort und doch kein Kreis. Es fehlt jene, Übergangene, die jetzt nicht geht, sie steht.
    Steht für nimmer, steht für nie, steht am Anfang nur als Vieh.
    Als Kuh vorm Schlachter zu alt und jung. Ich schreibe wie sie steht, vor keinem Kreise dreht
    und springt und hüpft sich angestrengt, doch nie bewegt.
    Ich schreibe um zu halten, ich schreibe um zu vergessen. Vergass den Anfang und den Weg. Sie bleibt und doch nicht bleibt sie stehn. Schaut zu mir voll Schmerz, voll Leid, voll Häm und Trauer,
    zu mir vorm Weiss, allein ich der Erbauer. Erbaute eine Art zu gehn,
    im Kreis gerade, im graden Kreis, ich werd es nie versteh.
    Doch sitz ich jetzt allein mit jedem,
    vor Schwarz auf Weiss, für Wahr daneben.
    So soll es sein, soll es bleiben,
    denn ohne sie Eins ewig währt,
    was erbaute Eifer in seinem eifrig Treiben, was getritten ihn da teufels Pferd.

    Guten Morgen @LadyK :D

    ja, bin gerade erst aufgestanden 'gähn'.

    Ich wollte den Text etwas amüsant gestallten, scheint rüber gekommen zu sein :D

    Dieser Text hat mir einige Mühen bereitet, da ich

    1. männlich bin

    2. 25

    Wie also denkt ein dreizehnjähriges Mädchen? xD

    Es war für mich selbst eine Zeitreise, in der ich mich so gut wie möglich an die frühen 2000er Jahre zu erinnern und vorallem daran, wie die Mädchen damals waren :D

    Ich getraue mich fast nicht, den zweiten Teil fertig zu schreiben, denn die Dark Fantasy kommt zum Tragen xD

    Korrekturen und Anmerkungen sind erwünscht, Kritik ist immer gut :thumbsup:

    In der Schweiz ist das Wort getrauen ganz normal und in jedermanns Wortschatz, ist das bei euch nicht so? (z.B. getrausch di jetzt eh nid - Aufforderung für einen Blödsinn).

    Schreibe gerade vom Handy aus, ist etwas umständlich, desshalb gehe ich jetzt nicht auf jedes Detail ein^^

    Deine Gedanken und Vorschläge finde sehr gut, ich werde noch einmal über die Sätze gehen, vorallem bei den Wortwiederholungen und den Unklarheiten :)

    Die Sätze sind extra so, da es sich um Tagebucheinträge handelt und Stephie alles so schnell wie möglich niederschreiben will, sollte ich dies ändern?

    Danke für dein tolles Feedback :D

    Tagebuch Teil 1

    Spoiler anzeigen


    3.September

    Hallo liebes Tagebuch. Dies hier wird mein erster Eintrag, freue mich schon den ganzen Tag darauf.
    Vielleicht sollte ich mich kurz vorstellen. Ich heisse Stephanie, bin dreizehn Jahre alt und habe einen kleinen, nervigen Bruder namens Kevin. Unsere Eltern heissen Judith und Urs. Ich gehe in die achte Klasse und genau darum schriebe ich jetzt dir.

    Heute hat mich nämlich Mattia, ein Junge aus meiner Klasse, der total süss ist, angelächelt. Er ist Italiener, hat schwarze Haare und so schön blaue Augen. Jetzt habe ich voll das Kribbeln im Bauch, getraue aber nicht, ihn anzusprechen, obwohl Maria, meine beste Freundin mir sagte, dass er schon öfters zu mir geschaut hat. Ach, ich bin ja so aufgewühlt. Ich muss jetzt mit meiner Mutter einkaufen gehen, hoffentlich bekomme ich ein neues Kleid, bis bald.

    4. September

    Heute war ein wirklich guter Tag. Meine Mutter hat mir gestern tatsächlich ein neues Kleid gekauft, es sieht wirklich toll aus, beigefarben mit Blumen. Musste es heute gleich in die Schule anziehen. Um Mattia aufzufallen wollte ich mit viel Hüftschwung durch den Pausengang laufen, Maria und ich übten extra vor der Schule, wie es am besten aussehen könnte. Es war wirklich spassig, aber ich habe ihr immer wieder sagen müssen, wie ernst die Situation sei, und wir hier ein wichtiges Ziel verfolgen würden. Bis es perfekt war, brauchte es seine Zeit und so kamen wir etwas zu spät in den Turnunterricht, fanden wir aber bei weitem weniger Schlimm als Frau von Arx, diese alte Meckerziege.
    Naja, müssen jetzt eine Arbeit über Pünktlichkeit schreiben, mal sehn.
    Aber der Aufwand hat sich gelohnt, er hat mich voll angeschaut und wieder so gelächelt, bin fast dahin geschmolzen.
    Heute Nachmittag gehen einige der Klasse an den See, hoffentlich ist Mattia auch dort.
    Oh, Mama ruft, muss essen gehen.

    5. September

    Bin gerade aufgewacht, wollte eigentlich gestern Abend noch schreiben, war aber leider zu müde. Unglaublich, was gestern Nachmittag alles passiert ist.
    Maria und ich sind nach dem Mittagessen mit dem Rad zum See gefahren, weil wir uns gute Plätze reservieren wollten. Dort angekommen waren wir die Ersten und suchten ein schattiges Plätzchen unter der grossen Eiche am Ufer. Kaum hatten wir unsere Tücher ausgebreitet, fuhr Mattia mit seinem Freund Fabi heran, sahen uns und kamen direkt auf uns zu. Mein Herz hat so doll geklopft, ich dachte es springt mir jetzt denn gleich aus der Brust. Sie begrüssten uns, und fragten ob sie sich zu uns legen durften.
    Ich glaube, mein „Heja ho, klar, wie du willst“ war etwas… speziell… oh Mann ich bin so doof… und natürlich bin ich gleich purpurn angelaufen. Ich wollte nur noch im Boden versinken. Mattia lachte, aber es war irgendwie ein nettes Lachen, danach legte er sein Tuch ganz nah an meines und schaute mich mit diesen wunderschönen Augen an.
    Kurzschlussreaktion, ich habe laut gelacht oder gekreischt, war wohl nicht ganz so klar und bin ins Wasser gesprungen. Ich bin ja so peinlich… sogar Maria musste lauthals lachen…
    Mattia war wohl auch etwas verwirrt, denn als ich mich im Wasser versteckte und nur noch meine Augen herausschauten, getraute ich mich zurück zu blicken. Den Kopf schräghaltend musterte er meine Spionagetechnik. Muss ich wohl noch dran arbeiten.
    Dann sagte er etwas zu Fabi, erhob sich und lief in meine Richtung. Während er sein Shirt auszog, wurde mir bewusst, dass ich mit meinem neuen Kleid ins Wasser gesprungen war. Oh mein Gott, was er wohl nur von mir dachte. Aber dieser Körper, wow.
    Vielleicht hatte er ja nicht mitbekommen, dass ich das Kleid noch an hatte, also bin ich komplett untergetaucht, so dass er nichts von mir sah. Indonesische Taucher können die Luft bis zu sechs Minuten anhalten, hatten wir in Geo. Wie sich herausstellte, waren es bei mir ungefähr dreissig Sekunden. Nach Luft schnappend schoss ich durch die Oberfläche und da stand er schon vor mir. Weil ich mich verschluckte, hustete ich und natürlich voll ihm ins Gesicht.
    Nach einem ewig langen, peinlichen, hoffentlich gibt es den nie wieder Augenblick fragte er mich vorsichtig, ob alles in Ordnung sei.
    „Aber hallo, das war doch nur zum Aufwärmen, meine Mama sagt immer, man soll sich vor dem Schwimmen aufwärmen. Also habe ich mich aufgewärmt. Du solltest dich auch aufwärmen.“ – Muss ich da wirklich noch etwas dazu sagen?
    Doch trotz all dem hat er nicht in heilloser Panik die Flucht ergriffen, nur gelacht. Danach habe ich mich auch etwas gefangen und wir redeten voll lang miteinander im Wasser.
    So, muss zur Schule.

    Danke @Tnodm0309 :)

    Sry, wir haben gleichzeitig gesendet, so habe ich dich nicht in meinm letztem Post genannt xD

    Deine Gedanken zu meiner ersten Geschichte sind für mich die beste Bestätigung, dass ein Bisschen erreicht habe, was ich wollt, das ein Gedankenspielraum offen ist :D

    p.s. coole Interpretation :D

    Ja die "Augen" xD

    Du wirst nicht glauben, was mein Umfeld dazu gesagt hat, ich habe glaub ich schon jede erdenkliche Reaktion dazu gehört, aber gerade darum gefällt sie mir so extrem :D

    Danke für dein Feedback @Kathamaus :)

    Ich werde hier sozusagen nur "traurige" Geschichten veröffentlichen, resp. Geschichten mit Tiefe. Ich schreibe sehr gerne mit sehr sehr kurzen Sätzen, sogar nur einzelnen Worten.

    Freut mich, das dir meine erste Geschichte gefällt :D

    Zur Zweiten: Sie ist extra sehr... hm wie soll ich sagen... "speziell" geschrieben. Der erste Abschnitt ist aus der Sicht des Wesens, wiederspiegelt seinen Charackter und seine Denkart, der Zweite soll etwas geordneter sein, jedoch die Ähnlichkeit zwischen tierischem Trieb und menschlicher Panik zeigen. Schlussendlich sind wir Tiere.

    Ich weiss, vielleicht etwas gewagt, aber mir gefällts xD

    Ich versuche, bei all diesen Kurzgeschichten, eine abstrakte Form einer Probematik unserer Zeit aufzugreifen. So ist viel Interpretationsspielraum offen, in dem man sich Gedanken machen kann, wenn man dann will :)

    Achtung, meine zweite Geschichte, die ich hier veröffentliche ist etwas brutal, falls man dies nicht gern hat, besser nicht den Spoiler öffnen :)


    Augen

    Spoiler anzeigen

    Er öffnet seine Augen, der volle Mond scheint auf ihn herab. Endlich.
    Wo ist er nur.
    Links und rechts stehen graue, hohe Mauern. Zulange schon war er nicht mehr frei gewesen. Tief zieht seine Lunge die kühle Nachtluft ein. Seltsame Gerüche liegen in der Luft. Es riecht… verbrannt, aber nicht wie früher, wenn ein Dorf brannte, eher wie eine Teergrube, nur anders.
    Den Schatten folgend, schleicht er dem Geruch nach.
    Ein Geräusch.
    Tug-tug, tug-tug, tug-tug.
    Ein riesiges Monster aus Eisen rennt auf ihn zu, schnaubt schwarzen Rauch aus, lärmt immer lauter. Der Boden bebt. Was ist das?
    Eisen im Boden, zwei Mal, endlos lang. Das Monster läuft auf ihnen, schneller und schneller, es will ihn kriegen. Rasch huscht er zurück in die Schatten der Mauern, wartet.
    Es verfehlt ihn und rennt an ihm vorbei, es ist lang, länger als alles was er jäh gesehen hatte. Was ist das für ein Ort.
    Ein neuer Geruch. Ein Geruch den er nur zu gut kannte. Es riecht nach Eisen und Kupfer, frisch, jung. Sein Geifer fällt zu Boden. Wie weit? Hundert, zweihundert Schritte?
    Hunger.
    Gier.
    Blitzschnell huscht er durch die Schatte, meidet das Mondlicht. Noch zwanzig Schritte.
    Dort ist es, aber nicht alleine. Ein Zweites ist dort, sie sind nebeneinander, aber nur eine riecht frisch. Er würde sie beide nehmen, zuerst das Alte, dann das Frische. Aber nicht zu schnell, er musste den Moment geniessen.
    Ein tiefes Knurren, leise.
    Das frische schreckt hoch, schaut nervös.
    Schnell in den nächsten Schatten. Langsam am Boden kratzen.
    Nun schauen beide. Sie können ihn aber nicht sehen.
    Ein neuer Geruch.
    Angst. Schweiss. Eisen und Kupfer.
    Die Muskeln spannen sich, er will los. Nein noch nicht, es ist zu früh.
    Sie wollen gehen, in die andere Richtung.
    Zeit lassen, verfolgen, geniessen.
    Langsam folgt er ihnen. Keine Geräusche. Weniger Angst, weniger Schweiss.
    Wieder ein Knurren, nur lauter, länger.
    Ein Schrei. Sie rennen. Und los, mit grossen Sätzen hinter her gerannt, keifen.
    Das Frische fällt, das Alte rennt weiter. Der Geschmack von Eisen und Kupfer ist nun noch viel stärker, es übernimmt fast seine Sinne, will ihn zwingen zuerst das Frische zu nehmen.
    Nein! Es liegt, er hat Zeit. Dem Alten hinterher.
    Da, genau vor ihm, es schreit, läuft zwischen Mauern, kann nicht weiter. Es dreht sich um.

    Leah liegt am Boden, ihr Bein ist gebrochen, sie hat unvorstellbare Schmerzen. Einige Häuser weiter hört sie ihre Mutter schreien. Herzzerreissende Schreie. Schmerzverzerrte Schreie. Knackende Geräusche, bis die Schreie verstummen. Sie weint. Vor Angst, vor Kummer. Hysterisch.
    Nun ist es still. Leah zwingt sich, keine Geräusche zu machen. Sie schluchzt, ganz still sein kann sie nicht. Ein Geräusch. Das langsame Auftreten von Krallen besetzten Pfosten kommt aus den Schatten, in die zuvor ihre Mutter gerannt ist.
    Nein, sie will nicht sterben.
    Panik übermannt sie, versucht auf zu stehen. Der Knochen bricht komplett unter ihrem Gewicht, schaut zum Schienbein heraus. Wieder schreit Leah. Schreit nach Hilfe, fleht um ihr Leben. Sie zieht sich mit den Armen in die anderer Richtung, zieht ihr gebrochenes Bein über die Pflastersteine.
    Ein Knurren hinter ihr. Nah.
    Am ganzen Leib zitternd dreht sie ihren Kopf.
    Gelbleuchtende Augen, weit aufgerissen. Gefletschte Zähne, Fell und Maul blutverschmiert.
    Sie schreit ihren letzten Schrei.
    Er beisst zu, zerrt, reisst. Zieht es in die Schatten.
    Leere Augen starren in den Himmel.

    Geschichte 1

    Zeit

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    „Zeit… Was bedeutet Zeit?
    Man sagt, Zeit heilt alle Wunden. Mir hat sie mehr Wunden geöffnet als geschlossen. Vielleicht muss man dazu noch sagen, dass ich auch mehr davon hatte, als jeder andere. Ich lebe nun schon seit über zweihundertfünfzig Jahren auf dieser Erde, so ganz genau weiss ich es nicht mehr.
    Eigentlich hat mein Leben ganz normal begonnen, wie jedes andere auch. Im frühen siebzehnten Jahrhundert wurde ich geboren, hatte eine nette Familie, Bauern. Bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr teilte ich ihr Leben, danach veränderte sich alles. Ein Hexenmeister kaufte mich meiner Familie ab. Ich war nicht ihr Erstgeborener oder sonst speziell und sie konnten das Geld gut gebrauchen. Dazu versprach Ell, der Hexenmeister, gut für mich zu sorgen, was er auch tat.
    Der Grund, dass er mich wollte? Experimente. Ihr kennt bestimmt den Mythos der Katze, von wegen neun Leben. Ell war der Überzeugung, dass man den Tod nur oft genug auszutricksen hatte, bis er einen vergessen würde, so starb ich das erste Mal. Ein Ritueller Mord, gepfählt in einem Pentagramm, zurückgeholt mit Ziegenblut. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Tod, denn ich sah die Tore des Himmels. Das erste und letzte Mal.
    Wenn man zurückgeholt wird, trifft man die Entscheidung, ob man leben will, oder nicht, somit handelt man gegen den Eintritt in das Paradies. Eine einzige Chance.
    Mit der Hölle sieht das etwas anders aus. Wart ihr schon mal dort? Nein, natürlich nicht. Der erste Tod fühlte sich gar nicht so schlecht an, die Wärme und Geborgenheit, die von den himmlischen Toren ausgeht, die sanfte Briese in totalem Sonnenschein, alles sehr friedlich und schön. So hatte ich vor meinem zweiten fast keine Angst mehr, zumal ich ja zurückgeholt wurde.
    Nun… Das zweite Mal kommt man nicht mehr in den Himmel, und die Hölle hat keine Tore, man ist direkt dort, direkt im nirgendwo, Schwefel, Asche, Feuer und Qual. Dämonen, verlorene Seelen. Ach ja, wenn man zum zweiten Mal stirbt, kommt man auch nicht mehr so einfach zurück. Damals war ich mir sicher, Jahre verbracht zu haben, in unserer Welt nur Minuten. Jedes weitere Mal wurde die Zeit länger. Bis ich um die dreissig Jahre alt war, hatte ich für die Dauer von Generationen gelebt.
    Ich habe ihn gesehen. Den Verwunschenen. Den Lichtbringer. Er konnte mich nie halten.
    Immer wütender und wütender wurde er, kochte, hasste, hetzte. Bis er eines Tages an mir festhielt wie noch nie, meine Seele mit seinen Klauen durchbohrte und mit mir in unsere Welt gerissen wurde. Voller Zorn und Boshaftigkeit zerfleischte er Ell, auf das er mich nie zurückholen könne. Leider hat der Morgenstern vergessen, dass der Hexenmeister noch nie gestorben war, somit kam er in den Himmel. Man stellt sich den Hass vor, den er verspürt haben muss. Ausgetrickst von einem einfachen Menschen. So schwor er mir, dass ich für meinen Meister bezahlen müsse, wenn denn meine Zeit gekommen wäre.
    Zeit...
    Ohne Ell war ich frei, reiste und liess mich in einem schönen Dorf nieder, fand, trotz meines Alters, eine Frau und zeugte sogar noch zwei Kinder. Sie verstarb bei der Geburt des zweiten Sohnes.
    Ich wurde sechzig, neu gewonnenen Freunde starben, Krankheit, Alter, Krieg. Mir ging es gut. Als ich zwischen siebzig und achtzig Jahre alt war, verstarben meine beiden Söhne, die Pest. Ich wurde zu einem Gespenst im Dorf. Man wusste noch wer ich war, aber sie mieden mich.
    Die Industrialisierung war in vollem Gange, der Mensch kehrte sich ab vom Übernatürlichen. Ich beschloss, sie zu verlassen, sodass sie ihre Ruhe finden konnten.
    In einer kleineren Stadt erwarb ich ein Haus, wurde hundert und noch immer ging es mir gut. Dennoch erschienen erste Altersbeschwerden, Arthrose, Gicht, die Augen wurden schlechter. So war es also Zeit für mich, meinem Peiniger gegenüber zu treten. Ich wartete. Zehn Jahre. Zwanzig Jahre.
    Die Jahre verstrichen, ich vergass zu zählen. Einsam und alleine, zurückgezogen, inoffiziell der älteste Mensch der Welt. Offiziell…
    Eines Morgens, erwachte ich ohne Schmerzen, sah scharf und fühlte mich kräftiger denn jäh. Wurde ich doch noch in den Himmel aufgenommen? Wurde mein leidvolles Leben entschädigt?
    Sofort überkamen mich die Erinnerungen an meinen ersten Tod. Sofort erkannte ich, dass ich nicht Tod war. Dennoch war etwas anders. Ich erhob mich und betrachtete seit Jahren zum ersten Mal mein Spiegelbild.
    Schock.
    Das Antlitz im Glas war nicht jenes eines über hundertjährigen, ich sah einen etwa dreissig jährigen Mann, grasgrüne, stechende Augen und gräuliche Haut. Immer hatte ich blaue Augen und war davon überzeugt, eine normale Hautfarbe zu haben. Sie fühlte sich rau an, schon mehr als Leder, eher wie ein weicher Panzer.
    Mit neu gewonnener Energie erkundete ich die neue Welt. Fand eine Frau, zeugte Kinder. War glücklich. Wir hatten die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erreicht. Die Zeit verging, meine Frau und die Kinder wurden älter, Freunde starben. Ich blieb wie ich war, einzig die Augen wurden grüner, die Haut grauer. Wieder alleine.
    Zeit…
    Die Haut war inzwischen wie Stein, hart und unbeugsam. Der Körper passte sich an, er wurde stärker, musste ja die Haut überwinden. Muskeln spannten sich mehr und mehr.
    Zweihundert Jahre. Stärker als alle Lebenden. Älter als alle Lebenden. Ich wurde des Lebens überdrüssig, warf mich von einem Haus. Die Strasse war zerstört. Warf mich vor einen Zug, sieben Tote. Erschoss mich, Vierundvierziger Magnum, eine ganze Trommel. Gift.
    Wie oft schon, starb ich. Hatte ich nun alle diese Leben zu leben, habe ich alle zu leben.
    Ich versuche mich zu erinnern, wie oft ich starb. Versuchte die Jahrhunderte in der Hölle in Erinnerung zu rufen…
    Vielleicht ist dies meine Bestrafung, bestraft, nie mehr in die Hölle zu dürfen, dem Himmel schon ewig verweigert. Bestraft, für immer auf diesem Planeten zu wandeln. Glücklich werden und wieder alles verlieren.
    Zeit…“