„Toll …“, grummelte Aljin genervt vor sich hin. Warum hatten es unbedingt die Hariq sein müssen, die sie aufsuchen mussten? Warum meinte eigentlich jeder es ihnen schwerer machen zu müssen, als es hätte sein müssen? Und warum sprachen diese Typen nicht die gleiche Sprache wie sie? Mussten diese sich unbedingt so sehr von den anderen abheben, dass sie auch noch eigene Sprachmuster entwickelten? Nur bröckchenweise konnte sie Dinge aufschnappen, die mit ihr bekannten Sprachen übereinstimmten, aber es war zu wenig, um auch nur den Kern einer Aussage zu verstehen. Es reichte lediglich, um zu bestimmen, dass die Übersetzerin ihnen keinen Blödsinn erzählte.
Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete sie das Mädchen, wie es erneut mit dem Ältesten sprach. Die Kälte war trotz der Sprachbarriere deutlich in ihrer Stimme zu spüren.
Probeweise bewegte Aljin ihre Hände in den Fesseln. Sie zweifelte nicht daran, dass sie sich mit Hilfe des Sandes aus diesen befreien konnte. Auch Salem sollte damit keine Probleme haben. Aber die Fesseln waren auch nicht das Problem. Dieses stand vor ihnen und richtete Speere und Säbel auf ihre kleine Gruppe. Nie und nimmer schafften sie es alle schnell genug durch den Sand der Wüste zu flüchten.
Schließlich war es einer der Stammesführer, der sich mit kritischem Blick an sie wandte und etwas sagte. Eine Handgeste veranlasste schließlich das Mädchen dazu, seine Worte zu übersetzen.
„Niemals werden wir euch unser Geheimnis der heiligen Magie verraten, also nennt uns einen Grund, weshalb wir euch nicht direkt töten sollten.“
Aljin sah in die Gesichter der anderen. Ratlosigkeit sah sie und die offene Frage schwebte zwischen ihnen, ob sie die Wahrheit sagen konnten, oder ob dies nur zu noch mehr Problemen führen würde. Aber was war das schlimmste, was man ihnen antun konnte? Sie töten? Diese Entscheidung schien in den Gesichtern der Stammesführer bereits festgemeißelt.
„Ihr wollt nicht, dass diese Magie in die falschen Hände gerät“, begann Aljin schließlich ihr Glück. „Das kann ich verstehen und ich will auch gar nicht behaupten, dass wir die richtigen Hände sind.“ Sie musste grinsen, als sie an die bereits bestandenen Abenteuer zurückdachte, und an die eine abgebrannte Stadt. Dann wurde sie jedoch wieder ernst, ehe sie weitersprach: „Ein zwielichtiger alter Mann in Jaffa teilte uns mit, dass wir die Flamme des Raschid Ibn Nishaat al-tamar benötigen, um die geheimen Tore von Akrabria öffnen zu können. Wir müssen dort mit dieser Flamme wohl Feuerschalen entbrennen. Nur deshalb wollen wir sie.“
Sie schwieg nach ihren Worten und wartete die Reaktionen der Menschen um sie herum ab. Das Mädchen runzelte die Stirn und übersetzte dann für ihre Stammesleute. Einer von den Ältesten wiederholte den Namen der verschollenen Stadt fragend. Der Argwohn in den fremden Gesichtern wuchs und Aljin beschlich das Gefühl, dass diese Nomaden mehr verbargen, als nur das Geheimnis irgendeines dusseligen Zaubers.
„Akrabria ist eine Legende“, sprach dann das Mädchen und einer der Stammesführer gab gestikulierende Befehle an einen der Männer mit den Säbeln weiter. Nur einen Wimpernschlag später, hatte Aljin die Waffe an ihrer Kehle liegen. „Ein lächerlicher Versuch euer Leben zu retten.“
„Wir wissen, dass es eine Legende ist“, wandte Jack helfend ein. „Wir sind Abenteurer und suchen deshalb nach dieser verschollenen Stadt.“
So kann man es auch bezeichnen … Aljin musste sich ein Lachen verkneifen.
Wieder besprachen sich die Menschen und ein zweiter Mann bezog vor Jack Stellung. So langsam ging Aljin das Verhalten des Stammes auf die Nerven, weshalb sie ihren Blick abwandte und mit den Augen ihre nähere Umgebung musterte. Sie konnte den Sand fühlen und wie er nur darauf wartete, ihr zu helfen. Einige des Stammes hatten sich aus ihren Zelten getraut und musterten das Vorgehen neugierig. Als ihr Blick an einer Statue von Alsahra, der Herrin der Wüste und Beschützerin der Nomaden, vor einem der Zelte hängen blieb, kam ihr eine Idee.
„Ich besitze eine magische Flasche“, meinte sie an das Mädchen gewandt. Sofort versiegten die angeregten Gespräche und man musterte sie. „Sie ist in meiner Tasche.“ Leicht, um nicht in die Klinge des Säbels zu kommen, nickte sie in Richtung ihres Gepäcks, was die Hariq etwas entfernt aufgetürmt hatten. „Sie lässt sich nicht öffnen und ist unzerstörbar. Ihr könnt euch gerne davon überzeugen.“
Tatsächlich wurde einer der umstehenden Wachen von einem Ältesten zu ihrem Gepäck geschickt und kramte nach kurzem Suchen das verzierte Gefäß hervor. Zurück bei den Stammesführern drückte er es dem Mann in die Hand, welcher ihn geschickt hatte. Dieser zog sein Gewand etwas aus dem Gesicht, weshalb ein weißer Bat zum Vorschein kam, und betrachtete die Flasche von allen Seiten. Probeweise versuchte er es zu öffnen, scheiterte aber wie alle anderen auch. Stattdessen strich er mit seinen Fingern über die äußere Verzierung.
Mit Argusaugen beobachtete Aljin ihn dabei, versuchte ihre innere Unruhe aber zu verbergen. Was ritt sie nur, dass sie ihren wertvollsten Besitz in die Hände dieser Leute drückte? Freiwillig? Akrabria war ihr wirklich wichtig, stellte sie fest.
„Wir lassen uns nicht für das Geheimnis bezahlen. Auch nicht, mit etwas derartig wertvollem“, übersetzte das Mädchen mit harter Stimme. Dann wussten sie also wirklich, um was es sich dabei handelte. Das machte es Aljin leichter.
Sie schüttelte den Kopf.
„Sie steht auch nicht zum Verkauf“, brummte Aljin nicht minder hart. Es war ein Versuch diese Leute davon zu überzeugen, dass man ihnen vertrauen konnte. Und wenn das hieß, dass sie mit ihrem Glauben spielen und damit auch ihr Geheimnis vor ihren Freunden offenlegen musste.
„Er will wissen, woher du das hast“, dolmetschte das Mädchen erneut.
„Wenn ich das wüsste“, knurrte Aljin. „Die Flasche ist in meinem Besitz, seit ich denken kann. Und ich verbinde ehrlich gesagt nicht nur gute Erinnerungen damit. Diese Flasche ist Fluch und Segen zugleich und ich will mehr darüber erfahren. Ein Mann in einer entfernten Stadt meinte, dass er eine solche Flasche schon einmal gesehen hätte und die Verkäufer meinten, dass sie diese aus Akrabria hätten. Ich muss dahin, um mehr zu erfahren. Um mehr über mich, meine Herkunft und meinen Fluch zu erfahren.“
Das Mädchen übersetzte, woraufhin der Alte, der ihre Flasche noch immer in der Hand hielt, sie mit strengem Blick musterte, beinahe als wollte er sie durchlöchern. Er sprach etwas.
„Es ist deine“, meinte das Mädchen und gab so die Feststellung des Alten wieder.
Aljin nickte.
„Dann sollst du es beweisen.“
Erneut nickte Aljin, dann löste sie ihre Handgelenke in Sand auf und ließ die Fesseln hindurchgleiten, ehe sie sich wieder zusammensetzte und sich ruhig erhob. Der Mann vor ihr wich erschrocken einen Schritt zurück, hielt seinen Säbel aber weiterhin erhoben. Allerdings wies einer der Ältesten ihn wohl an, sie nicht anzugreifen, denn er rührte sich nicht weiter.
„Leider habe ich einen Großteil meiner Macht in der Flasche gelassen, aber … “, meinte Aljin und nach einem kurzen Blick auf ihre Freunde, hob sie in langsamen Bewegungen ihre Arme. Sofort flaute der Wind auf und erste Sandkörner wurden von heißer Luft durch die Nacht geschleudert. Wenn sie diesen ganzen Spaß überlebte, wäre sie den anderen sicherlich eine Erklärung schuldig. Aber immerhin wären sie dann alle noch am Leben.
Immer mehr Sand flog an ihnen vorbei und die Dünen hinter den Zelten wirbelten auf. Im wenigen Licht der Feuer und des nächtlichen Himmels ließ Aljin Sandsäulen in die Höhe wachsen. Drehend schraubten sich diese immer weiter in den Himmel und rissen dabei auch einige Planen und Decken aus dem Lager mit sich. Zwei der Feuer erloschen und die Palmen beugten sich bedrohlich in Richtung der Wüste, während der Wind ebenso an ihrer Kleidung zog und zerrte.
Erst als das Mädchen sich schützend die Hand vors Gesicht hielt, damit ihr der Sand nicht in die Augen flog und sie den Blickkontakt zu der Gruppe nicht verlor, ließ sie von der Wüste ab und beruhigte den Sand.
Schweiß hatte sich auf Aljins Stirn gebildet und es kostete sie ihre letzte Kraft, nicht in die Knie zu gehen, sondern mit erhobenem Kinn stehen zu bleiben. Es war lang her, dass sie so viel ihrer Kraft aufgewandt hatte, nicht einmal gegen den Mantikor hatte sie es versucht. Aber um diese Menschen zu überzeugen, da benötigte es etwas mehr. Eine lächerliche Sandburg konnte schließlich jeder bauen.
Aus großen Augen wurde sie von den Nomaden angeschaut, und schließlich erhielten die Wachen offenbar den Befehl ihre Waffen zu senken, denn diese traten zurück.
„Eine Tochter Alsahras“, übersetzte das Mädchen die Worte des Alten. Ehrfurcht lag in ihrer Stimme, als sie die Flasche des Mannes erhielt und sie diese dann an Aljin weiterreichte.
Es gab eine Zeit, da hätte sie diese Bezeichnung gerne angenommen. Aber mittlerweile war sie diesem Vergleich überdrüssig. An eine Göttin glaubte sie nicht. An etwas, was sie in all der Zeit, die sie nur lebte, nie mit eigenen Augen gesehen hatte und was ihr nie geantwortet oder geholfen hatte, das war nicht existent.
Aber diese Gedanken wollte sie nicht aussprechen. Stattdessen lächelte sie nur milde.
Wieder sprach der Mann etwas.
„Wir werden euch nicht töten“, meinte das Mädchen dann.
Schade, wo doch die Auslöschung eines ganzes Stammes auf meiner heutigen Liste stand ...
„Aber auch, wenn ihr ein Geist der Flasche seid , können wir euch das Geheimnis der Flamme des Raschid Ibn Nishaat al-tamar nicht verraten.“
„Ach kommt schon!“, stieß Aljin sauer aus.
Der Mann sagte noch etwas.
„Aber wir könnten euch einen Handel vorschlagen.“
„Ich kann im Moment keine Wünsche erfüllen“, stellte Aljin sofort klar.
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
„Der Stamm ist bereit, euch jemanden mit dem nötigen Wissen an die Seite zu stellen, der euch die Feuerschalen entzündet, wenn ihr uns etwas Bestimmtes mitbringt.“
Immerhin wollten sie keinen Wunsch.
Fragend sah Aljin zu ihrer Gruppe, welche sie mit großen Augen anstarrte.
„Was soll‘s“, meinte sie. „Ich denke, das geht in Ordnung, was sollen wir mitbringen?“