Beiträge von Kyelia im Thema „Gruppenzwang“

    "Gut gemacht", gab Aljin von sich, als sie neben Codrac angekommen war und klopfte ihm auf die Schulter. Dabei versuchte sie ihre eigene Anspannung zu lösen.

    „Okay, dann steckt mal ein, was auch immer ihr wollt. Nehmt was ihr tragen könnt. Hier braucht das keiner mehr.“

    Mit diesen Worten wandte sie sich selbst an die Regale. So viele Jahre war es her…und sollte es nun wirklich sein, dass all die Zeit die Lösung so nah bei ihr gewesen war? Irgendwo hier könnte es Wissen geben, das ihren Fluch löste.

    Sie wagte nicht zu hoffen, doch zumindest sahen einige der Pergamente gut erhalten aus. Nacheinander griff sie danach, legte Rezepte gegen eingeschlafene Füße zurück und steckte jene Papiere über alte Zauber und Geschichten ein. Im dämmrigen Licht hätte sie das alles sowieso nicht entziffern können. Das würde Zeit und Sonnenlicht brauchen. Nebenher ließ sie auch Gold und ein paar Edelsteine in ihre Taschen wandern.

    Das war eine gute Frage.
    Eine Weile sah sich Aljin im Raum um. Offenbar handelte es sich um eine Art Zeremonienraum. Was genau hier veranstaltet wurde, wollte sie so genau nicht wissen. Das war Vergangenheit und blieb es hoffentlich auch.
    Jakis Zischen erinnerte die Dschinn daran, dass sie nicht allein war und erst da merkte sie, dass ihre Begleiter sie abwartend anschauten.
    Natürlich, schoss es ihr in den Kopf, sie sind nur wegen mir hier. Kurz überlegte sie. Und einem dusseligen Phönix-Ei.
    "Irgendwo in diesem Tempel sollte es eine Bibliothek geben", murmelte sie schließlich.
    Mit diesen Worten und einem letzten Blick auf die Schale wandte sie sich ab und lief weiter in den Tempel hinein.
    Die anderen folgten ihr.
    "Woher wissen wir, dass die Bibliothek nicht noch verschüttet ist?" Jacks Stimme hallte von den Wänden zurück. Das entfernte Rieseln des Sandes tat sein Übriges, damit es Aljin eiskalt den Rücken hinablief. Darüber hatte sie sich noch keine Gedanken gemacht. Und wollte sie auch nun nicht. Das durfte einfach nicht sein. Es würde bedeuten, dass die Dokumente beschädigt wären.
    "Dann war der Aufwand umsonst", grummelte Aljin genau in dem Moment, als sie an einer verschlossenen Tür vorbeikamen. Der Sand hatte daran genagt, aber der einstige Prunk war noch immer zu erkennen. In mühevoller Kleinarbeit hatte jemand Zeichen hineingearbeitet, deren Bedeutung Aljin nur schwer entziffern konnte. Mit genug Zeit und dem richtigen Werkzeug, ließ sich die Tür sicherlich wieder auf Vordermann bringen. Allerdings waren sie nicht hier, um Akrabria zu restaurieren.
    Aljin strich über das alte Holz.
    "Von euch hat nicht zufällig jemand den Schlüssel dabei?", wollte Codrac wissen.
    Aljin wog ab, ob es klug war, die Tür mit Gewalt zu öffnen. In einem Tempel, der voller Gefahren und Fallen stecken konnte, vermutlich nicht.
    "Einen Schlüssel ... " Ein Schlag mit der Faust gegen die massive Tür durchbrach ihren angefangenen Gedanken. Die Tür war der offensichtliche Weg, wenn es Fallen gab, dann direkt dahinter oder in ihrem Mechanismus.
    Ihr Blick glitt zur Wand daneben. "... brauchen wir nicht."
    Aljin fuhr mit der Hand über den Stein. Die Wände waren dick, aber der Stein leicht porös. Sicherlich würde er einer Explosion nicht standhalten. Da sie aber nicht wusste, wie stabil Akrabria nach all der Zeit unter der Wüste war, und sie die Stadt nicht sofort wieder versenken wollte - und sich gleich mit -, befahl sie lieber dem Sand aus den Steinfugen herauszuströmen und die großen Blöcke so zu lockern. Die Wand löste sich unter ihrer Magie förmlich auf und zerfiel ebenfalls zu feinem Sand.
    Nach wenigen Minuten prangte ein großes Loch neben der Tür.
    Neugierig lugte Aljin in den dunklen Raum dahinter. Es war nicht viel zu erkennen, erst als Salem eine Feuerkugel in den Raum schickte, wanderten Lichtreflexe über Unmengen an Kisten, manche davon geöffnet und mit schimmernden Schätzen gefüllt, und Fässern. Ganz im Hintergrund des weitläufigen Raumes meinte Aljin Regale mit Flaschen aber auch mit Büchern und Schriftrollen zu entdecken.
    Ihr Blick blieb an einem Draht hängen, der zwischen zwei Kisten scheinbar aus dem Nichts kam und in selbiges wider verschwand. Allein Salems Feuerball enthüllte seine Existenz, aber auch nur, wenn man genau hinsah, erkannte man, wo er sich befand. Es gab also wirklich Fallen. Oder zumindest ging Aljin davon aus, dass der Draht kein Orchester auslösen würde. Von den riesigen Sicheln genau neben der Tür einmal abgesehen. Ob die Fallen das Sandbad überlebt hatten, war jedoch schwer zu sagen.

    Kadaver von Schlangen säumten den Boden und hier und dort meinte Aljin einen Skorpion in den Schatten verschwinden zu sehen. Darauf mussten sie ebenfalls achten.
    "Also, wie genau kommen wir jetzt weiter?", Codrac schien die Fallen auch gesehen zu haben.
    Jack zuckte die Schultern als er an Aljin vorbei in den Raum spähte.
    Probeweise ließ Aljin Sand in ihre Hand fließen und formte einen Ball daraus, dessen Dichte sie festigte, bis er nicht mehr auseinanderfiel. Dann zielte sie und warf ihn auf einen der Stolperdrähte. Kaum, dass er diesen berührte, ging ein Zischen und Rattern durch den Raum und einen Lidschlag später polterte ein sarggroßer Stein von der Decke direkt auf die Stelle, an der eben noch der Ball gelegen hatte.
    Schweigend starrte Aljin auf die Falle.
    "Tja, nun wissen wir, dass die Fallen noch funktionieren", kommentierte Jack, der als erster seine Stimme wiederfand.
    "Und wir wissen, dass der Raum etwas versteckt." Salem ließ seinen Feuerball etwas anschwellen und sein Blick streifte die Truhen, Fässer und Regale.
    "Nur wie viele von diesen Fallen gibt es?" Codrac hob die Brauen, während seine tierische Begleitung nun auch noch den Kopf durch das Loch steckte. Langsam wurde es eng.
    "Kamelscheiße", zischte Aljin.
    Sie musste in den hinteren Teil des Raumes, dorthin, wo die Bücher und Schriftrollen lagen. Unbedingt! Hoffentlich lohnte sich der Aufwand überhaupt. Was wäre, wenn sie nicht fündig wurde, weil genau die Dokumente über Flaschengeister, Wünsche und Flaschen dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen waren? Aljin schüttelte den Gedanken ab.
    "Jemand einen Einfall? Ich kann schlecht willkürlich Sandbälle in den Raum werfen."

    Am nächsten Morgen gaben die Nomaden Aljin tatsächlich das Geheimnis Preis. Und für einen kurzen Moment überlegte sie, ob es möglich wäre, die Nomaden zu hintergehen und sich am Ende mit der Lösung für ihr Problem, dem Phönixei und dem Geheimnis aus dem Staub zu machen. Auf nimmer der Wiedersehen. Was konnte so schlimm sein, was die Nomaden ihnen antun konnten, was sie als Gruppe nicht abzuschirmen wussten? Sie hatten immerhin eine ganze Stadt in Flammen aufgehen lassen.
    Wie viel Geld ließe sich wohl mit der geheimen Feuerformel erhalten? Wie viel bekam man für ein Phönixei? Während sie sich von den Nomaden verabschiedete, rechnete Aljin das Gold aus, welches sie in den Händen halten konnte. Und wer wusste schon, was es noch alles in der verlorenen Stadt zu finden gab.
    Aljin beschloss vorerst den Hariq nicht in den Rücken zu fallen, ließ die Möglichkeit aber nicht vollständig fallen und behielt es im Hinterkopf. Je nachdem wie ihr Ergebnis in Akrabria aussah.
    „Jetzt haben wir also die Formel", gab Codrac von sich. „Wie geht es nun weiter?“
    „Dreiauge sprach davon, dass die Krallen uns nach Akrabria führen, die Flammen in die Stadt. Aber wie genau funktioniert das mit den Krallen? Zermahlen wir diese und werfen sie dann in die Luft?“, meinte Jack. "Und ist es egal, wo wir den Staub in die Luft werfen?"

    "Kobrascheiße", stieß Aljin aus. "Das hätten wir den alten Sack fragen sollen." Es ärgerte sie, dass sie daran nicht gedacht hatte, aber der alte Mann hatte sie bis zur Aggression genervt.

    "Heißt das, wir laufen jetzt den ganzen Weg zurück?" Codrac sah erschüttert in die Runde.

    "Wie viele Krallen haben wir?", wollte Esme wissen.

    Aljin erschrak und wandte sich an die alte Frau. Esme hatte sie vollkommen vergessen.

    "Ein paar?", gab sie unsicher von sich.

    Die Hexe nickte und begann in ihrem Gepäck zu graben. "Dann zermalen wir eine oder zwei und schauen, was passiert. Dreiauge hat euch ja nicht gesagt, dass wir eine bestimmte Zahl brauchen, oder?"

    Aljin schüttelte den Kopf und im Nachhinein war auch das ein Grund dem Mann den Sand in den Hintern zu schieben, bis er zu den Ohren wieder herauskam.

    Scheinbar hatte keiner einen Einwand und Salem reichte der alten Frau das Bündel mit den Krallen.

    Esme betrachtete diese, suchte sich zwei heraus und schnitt diese von dem Fuß des Mantikor ab. Dem Gestank nach hätten sie das vielleicht schon eher machen sollen. In der Wüste war frisches Fleisch eher keine gute Idee. Oder zumindest blieb es nicht lang frisch.

    Ungeduldig und schwitzend stand die Gruppe mitten in der Sonne und sah der Hexe dabei zu, wie diese flüsternd mit dem Mörser die Krallen zermahlte.

    "Hoffentlich brauchen wir keinen Spruch oder dergleichen", murmelte Jack.

    Aljin wiegte den Kopf. "Ich könnte versuchen in der alten Sprache die Wüste zu bitten, uns den Weg zu weisen."

    "Das ist ein erbärmlicher Versuch", gab Jack von sich. Das wusste sie selbst.

    "Wir stehen schwitzend mitten in der Wüste und wenn es den Hauch einer Möglichkeit gibt, dass wir nicht nochmal zu diesem Dreiauge zurückkriechen müssen, nehme ich diese wahr." Aljin blitzte den Mann finster an.

    Als Esme fertig war, hielt sie Aljin das kleine Gefäß mit den zerstoßenen Krallen entgegen. Unsicher nahm Aljin diese in die Hand und schüttete sich den Staub in die hohle Hand. Anschließend blickte sie ihre Begleiter nochmals an. Diese zuckten ebenso unschlüssig die Schultern.

    "Hoffentlich ist die Tageszeit egal", grummelte sie noch, dann warf sie die Hand voll Krallenstaub in die Luft und bat die Wüste in der Sprache, die man ihr vor hunderten Jahren einmal beigebracht hatte, um ihre Mithilfe.

    Gespannt starrte die Gruppe mit angehaltenem Atem in den blauen Himmel und folgte mit den Augen der sich verpuffenden Staubwolke nach. Einen Moment schwebten die winzigen Partikel in der Luft, ehe sie sachte wieder nach unten fielen.

    Gerade als sie die Schultern hängen lassen wollte, kam ein sachter Wind auf, der den Staub aufwirbelte, ihn Spiralen und Kreise tanzen ließ. Im Licht der Sonne begann er förmlich zu leuchten, dann bewegte sich der Mantikorstaub wie eine luftige Schlange durch die Luft.

    Aljin grinste die anderen an, ehe sie dem Wegweiser nachlief.

    „Toll …“, grummelte Aljin genervt vor sich hin. Warum hatten es unbedingt die Hariq sein müssen, die sie aufsuchen mussten? Warum meinte eigentlich jeder es ihnen schwerer machen zu müssen, als es hätte sein müssen? Und warum sprachen diese Typen nicht die gleiche Sprache wie sie? Mussten diese sich unbedingt so sehr von den anderen abheben, dass sie auch noch eigene Sprachmuster entwickelten? Nur bröckchenweise konnte sie Dinge aufschnappen, die mit ihr bekannten Sprachen übereinstimmten, aber es war zu wenig, um auch nur den Kern einer Aussage zu verstehen. Es reichte lediglich, um zu bestimmen, dass die Übersetzerin ihnen keinen Blödsinn erzählte.
    Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete sie das Mädchen, wie es erneut mit dem Ältesten sprach. Die Kälte war trotz der Sprachbarriere deutlich in ihrer Stimme zu spüren.
    Probeweise bewegte Aljin ihre Hände in den Fesseln. Sie zweifelte nicht daran, dass sie sich mit Hilfe des Sandes aus diesen befreien konnte. Auch Salem sollte damit keine Probleme haben. Aber die Fesseln waren auch nicht das Problem. Dieses stand vor ihnen und richtete Speere und Säbel auf ihre kleine Gruppe. Nie und nimmer schafften sie es alle schnell genug durch den Sand der Wüste zu flüchten.
    Schließlich war es einer der Stammesführer, der sich mit kritischem Blick an sie wandte und etwas sagte. Eine Handgeste veranlasste schließlich das Mädchen dazu, seine Worte zu übersetzen.
    „Niemals werden wir euch unser Geheimnis der heiligen Magie verraten, also nennt uns einen Grund, weshalb wir euch nicht direkt töten sollten.“
    Aljin sah in die Gesichter der anderen. Ratlosigkeit sah sie und die offene Frage schwebte zwischen ihnen, ob sie die Wahrheit sagen konnten, oder ob dies nur zu noch mehr Problemen führen würde. Aber was war das schlimmste, was man ihnen antun konnte? Sie töten? Diese Entscheidung schien in den Gesichtern der Stammesführer bereits festgemeißelt.
    „Ihr wollt nicht, dass diese Magie in die falschen Hände gerät“, begann Aljin schließlich ihr Glück. „Das kann ich verstehen und ich will auch gar nicht behaupten, dass wir die richtigen Hände sind.“ Sie musste grinsen, als sie an die bereits bestandenen Abenteuer zurückdachte, und an die eine abgebrannte Stadt. Dann wurde sie jedoch wieder ernst, ehe sie weitersprach: „Ein zwielichtiger alter Mann in Jaffa teilte uns mit, dass wir die Flamme des Raschid Ibn Nishaat al-tamar benötigen, um die geheimen Tore von Akrabria öffnen zu können. Wir müssen dort mit dieser Flamme wohl Feuerschalen entbrennen. Nur deshalb wollen wir sie.“
    Sie schwieg nach ihren Worten und wartete die Reaktionen der Menschen um sie herum ab. Das Mädchen runzelte die Stirn und übersetzte dann für ihre Stammesleute. Einer von den Ältesten wiederholte den Namen der verschollenen Stadt fragend. Der Argwohn in den fremden Gesichtern wuchs und Aljin beschlich das Gefühl, dass diese Nomaden mehr verbargen, als nur das Geheimnis irgendeines dusseligen Zaubers.
    „Akrabria ist eine Legende“, sprach dann das Mädchen und einer der Stammesführer gab gestikulierende Befehle an einen der Männer mit den Säbeln weiter. Nur einen Wimpernschlag später, hatte Aljin die Waffe an ihrer Kehle liegen. „Ein lächerlicher Versuch euer Leben zu retten.“
    „Wir wissen, dass es eine Legende ist“
    , wandte Jack helfend ein. „Wir sind Abenteurer und suchen deshalb nach dieser verschollenen Stadt.“
    So kann man es auch bezeichnen … Aljin musste sich ein Lachen verkneifen.
    Wieder besprachen sich die Menschen und ein zweiter Mann bezog vor Jack Stellung. So langsam ging Aljin das Verhalten des Stammes auf die Nerven, weshalb sie ihren Blick abwandte und mit den Augen ihre nähere Umgebung musterte. Sie konnte den Sand fühlen und wie er nur darauf wartete, ihr zu helfen. Einige des Stammes hatten sich aus ihren Zelten getraut und musterten das Vorgehen neugierig. Als ihr Blick an einer Statue von Alsahra, der Herrin der Wüste und Beschützerin der Nomaden, vor einem der Zelte hängen blieb, kam ihr eine Idee.
    „Ich besitze eine magische Flasche“, meinte sie an das Mädchen gewandt. Sofort versiegten die angeregten Gespräche und man musterte sie. „Sie ist in meiner Tasche.“ Leicht, um nicht in die Klinge des Säbels zu kommen, nickte sie in Richtung ihres Gepäcks, was die Hariq etwas entfernt aufgetürmt hatten. „Sie lässt sich nicht öffnen und ist unzerstörbar. Ihr könnt euch gerne davon überzeugen.“
    Tatsächlich wurde einer der umstehenden Wachen von einem Ältesten zu ihrem Gepäck geschickt und kramte nach kurzem Suchen das verzierte Gefäß hervor. Zurück bei den Stammesführern drückte er es dem Mann in die Hand, welcher ihn geschickt hatte. Dieser zog sein Gewand etwas aus dem Gesicht, weshalb ein weißer Bat zum Vorschein kam, und betrachtete die Flasche von allen Seiten. Probeweise versuchte er es zu öffnen, scheiterte aber wie alle anderen auch. Stattdessen strich er mit seinen Fingern über die äußere Verzierung.
    Mit Argusaugen beobachtete Aljin ihn dabei, versuchte ihre innere Unruhe aber zu verbergen. Was ritt sie nur, dass sie ihren wertvollsten Besitz in die Hände dieser Leute drückte? Freiwillig? Akrabria war ihr wirklich wichtig, stellte sie fest.

    „Wir lassen uns nicht für das Geheimnis bezahlen. Auch nicht, mit etwas derartig wertvollem“, übersetzte das Mädchen mit harter Stimme. Dann wussten sie also wirklich, um was es sich dabei handelte. Das machte es Aljin leichter.

    Sie schüttelte den Kopf.

    „Sie steht auch nicht zum Verkauf“, brummte Aljin nicht minder hart. Es war ein Versuch diese Leute davon zu überzeugen, dass man ihnen vertrauen konnte. Und wenn das hieß, dass sie mit ihrem Glauben spielen und damit auch ihr Geheimnis vor ihren Freunden offenlegen musste.
    „Er will wissen, woher du das hast“, dolmetschte das Mädchen erneut.
    „Wenn ich das wüsste“, knurrte Aljin. „Die Flasche ist in meinem Besitz, seit ich denken kann. Und ich verbinde ehrlich gesagt nicht nur gute Erinnerungen damit. Diese Flasche ist Fluch und Segen zugleich und ich will mehr darüber erfahren. Ein Mann in einer entfernten Stadt meinte, dass er eine solche Flasche schon einmal gesehen hätte und die Verkäufer meinten, dass sie diese aus Akrabria hätten. Ich muss dahin, um mehr zu erfahren. Um mehr über mich, meine Herkunft und meinen Fluch zu erfahren.“
    Das Mädchen übersetzte, woraufhin der Alte, der ihre Flasche noch immer in der Hand hielt, sie mit strengem Blick musterte, beinahe als wollte er sie durchlöchern. Er sprach etwas.
    „Es ist deine“, meinte das Mädchen und gab so die Feststellung des Alten wieder.
    Aljin nickte.
    „Dann sollst du es beweisen.“
    Erneut nickte Aljin, dann löste sie ihre Handgelenke in Sand auf und ließ die Fesseln hindurchgleiten, ehe sie sich wieder zusammensetzte und sich ruhig erhob. Der Mann vor ihr wich erschrocken einen Schritt zurück, hielt seinen Säbel aber weiterhin erhoben. Allerdings wies einer der Ältesten ihn wohl an, sie nicht anzugreifen, denn er rührte sich nicht weiter.
    „Leider habe ich einen Großteil meiner Macht in der Flasche gelassen, aber … “, meinte Aljin und nach einem kurzen Blick auf ihre Freunde, hob sie in langsamen Bewegungen ihre Arme. Sofort flaute der Wind auf und erste Sandkörner wurden von heißer Luft durch die Nacht geschleudert. Wenn sie diesen ganzen Spaß überlebte, wäre sie den anderen sicherlich eine Erklärung schuldig. Aber immerhin wären sie dann alle noch am Leben.
    Immer mehr Sand flog an ihnen vorbei und die Dünen hinter den Zelten wirbelten auf. Im wenigen Licht der Feuer und des nächtlichen Himmels ließ Aljin Sandsäulen in die Höhe wachsen. Drehend schraubten sich diese immer weiter in den Himmel und rissen dabei auch einige Planen und Decken aus dem Lager mit sich. Zwei der Feuer erloschen und die Palmen beugten sich bedrohlich in Richtung der Wüste, während der Wind ebenso an ihrer Kleidung zog und zerrte.
    Erst als das Mädchen sich schützend die Hand vors Gesicht hielt, damit ihr der Sand nicht in die Augen flog und sie den Blickkontakt zu der Gruppe nicht verlor, ließ sie von der Wüste ab und beruhigte den Sand.
    Schweiß hatte sich auf Aljins Stirn gebildet und es kostete sie ihre letzte Kraft, nicht in die Knie zu gehen, sondern mit erhobenem Kinn stehen zu bleiben. Es war lang her, dass sie so viel ihrer Kraft aufgewandt hatte, nicht einmal gegen den Mantikor hatte sie es versucht. Aber um diese Menschen zu überzeugen, da benötigte es etwas mehr. Eine lächerliche Sandburg konnte schließlich jeder bauen.
    Aus großen Augen wurde sie von den Nomaden angeschaut, und schließlich erhielten die Wachen offenbar den Befehl ihre Waffen zu senken, denn diese traten zurück.
    „Eine Tochter Alsahras“, übersetzte das Mädchen die Worte des Alten. Ehrfurcht lag in ihrer Stimme, als sie die Flasche des Mannes erhielt und sie diese dann an Aljin weiterreichte.
    Es gab eine Zeit, da hätte sie diese Bezeichnung gerne angenommen. Aber mittlerweile war sie diesem Vergleich überdrüssig. An eine Göttin glaubte sie nicht. An etwas, was sie in all der Zeit, die sie nur lebte, nie mit eigenen Augen gesehen hatte und was ihr nie geantwortet oder geholfen hatte, das war nicht existent.
    Aber diese Gedanken wollte sie nicht aussprechen. Stattdessen lächelte sie nur milde.
    Wieder sprach der Mann etwas.
    „Wir werden euch nicht töten“, meinte das Mädchen dann.

    Schade, wo doch die Auslöschung eines ganzes Stammes auf meiner heutigen Liste stand ...

    „Aber auch, wenn ihr ein Geist der Flasche seid , können wir euch das Geheimnis der Flamme des Raschid Ibn Nishaat al-tamar nicht verraten.“
    „Ach kommt schon!“,
    stieß Aljin sauer aus.
    Der Mann sagte noch etwas.
    „Aber wir könnten euch einen Handel vorschlagen.“
    „Ich kann im Moment keine Wünsche erfüllen“,
    stellte Aljin sofort klar.
    Das Mädchen schüttelte den Kopf.
    „Der Stamm ist bereit, euch jemanden mit dem nötigen Wissen an die Seite zu stellen, der euch die Feuerschalen entzündet, wenn ihr uns etwas Bestimmtes mitbringt.“
    Immerhin wollten sie keinen Wunsch.
    Fragend sah Aljin zu ihrer Gruppe, welche sie mit großen Augen anstarrte.
    „Was soll‘s“, meinte sie.Ich denke, das geht in Ordnung, was sollen wir mitbringen?“

    Aljin unterdrückte den Reflex den Mann beim Kragen seiner hässlichen Kutte zu greifen und ihn durch den Schankraum zu schütteln.

    "Und das konntet Ihr uns nicht eher sagen?"

    Wenn sie gewusst hätte, dass sie nach einer Legende suchen mussten, um in eine Stadt zu kommen, die man nicht finden konnte, dann hätte sie sich niemals auf den Weg gemacht, den Mantikor zu töten. Von diesen Viechern gab es sowieso nur noch wenige und davon abgesehen hätten sie sich alle einiges an Ärger gespart und Salem wäre nicht durchlöchert worden. Oder wenigsten hätten sie sich den Weg zurück ins Dorf ersparen können.

    "Ich habe nicht damit gerechnet, dass ihr den Mantikor überlebt." Der alte Mann sprach, als wäre es ganz normal, dass er so dachte.

    Aljin zerrte sich den Kerl auf Fingerlänge heran und funkelte den Kerl so finster an, das ihm sein selbstgefälliges Lächeln aus dem Gesicht fiel und scheinbar zu verschwinden versuchte. Neben ihr zischte Jaki zornig. Der Alte warf ihr und der Schlange einen Blick zu, ehe er sich abwandte.

    "Nana!", hob er abwehrend die Hände, "im Ausgleich für meine Worte, kann ich euch einen Hinweis zum Aufenthalt der Hariq geben."

    Aljin ließ den Mann nicht aus den Augen, während sie ihn wieder auf seinem Stuhl absetzte. Am Ende schien es ihr die bessere Idee zu sein. Sie zogen sowieso schon alle Aufmerksamkeit auf sich. Dank Salem mit seiner Größe und dem blutigen Stoff und Codrac und seiner tierischen Gefährtin. Dass sie selbst den Mann nun mehr oder weniger angriff, machte es nicht besser.

    "Raus mit der Sprache!"

    "Ich habe gehört, dass die Hariq derzeit ab und an in der Stadt Aldhahab ihre seltenen Waren verkaufen. Vielleicht könnt ihr sie dort finden."

    Aljin nickte. Von der Stadt hatte sie schon mal gehört. Sie drehte sich von Dreiauge weg und verließ die Taverne. Ehe die dem Kerl doch noch den Hals umdrehte. "Die Flamme des Raschid Ibn Nishaat al-tamar. Wie wollen wir ein so sturen Volk wie die Hariq dazu bringen, uns diesen Zauber zu nennen?", wandte sie sich fragend an die beiden Männer und an Esme, die ihr hinaus in die kühle Nacht folgten.

    "Für die Zukunft eine Notiz an mich", grummelte Aljin erschöpft, während sie nach der Pranke der Bestie griff, "erst den Schwanz abschlagen, dann den Rest." Ihre eigene Stimme klang schräg, wie sie scheinbar hauptsächlich in ihrem Kopf zu hören war. Hoffentlich hatte der Mantikor ihr Trommelfell nicht beschädigt. Jaki schlängelte sich aus ihrer Tasche, in welcher sie sich während des Kampfes versteckt hatte, wieder zurück zu ihrem Hals. Dort machte sie es sich bequem, nicht aber, ohne dabei in Salems Richtung zu züngeln. Jaki klang beinahe besorgt.

    Auch Aljin warf nun einen besorgten Blick zu Salem, während sie sich in den Ohren bohrte, in der Hoffnung, dass es dadurch besser wurde.
    "Geht es dir wieder gut? Soll ich mir das mal anschauen?", fragte sie. Auch, wenn ihre Kenntnisse sich in Grenzen hielten, da Esme gerade nicht hier war und sie diese in Jaffa unbedingt wieder einsammeln mussten, konnte sie ihre Hilfe dennoch anbieten. Dieses wasauchimmer Salem hatte, musste es wirklich in sich haben, immerhin war das Gift des Manikor tödlich und tödlich war es sicherlich auch, wenn drei Dornen in der Brust von jemanden steckten. Aber Salem wirkte nicht sonderlich tot.
    "Ich habe mich schon besser gefühlt. Tut mir Leid, dass ich die Kleidung verschmutzt habe, die du mir besorgt hast."
    Aljin runzelte die Stirn, musste dann aber grinsen.
    "Wenn das dein einziges Problem ist." Sie zuckte die Schultern. "Ich werde versuchen es zu überleben."
    Salem nickte.
    "Eventuell sollte ich diese Wunde verbinden lassen."
    Die Frau wollte noch etwas sagen, aber entschied sich dann dagegen, als sie Jacks Blick streifte. Aus dieser Sache würde sie sich raushalten. Sollte sich Jack um den Verband kümmern.
    "Jetzt habt ihr euren Mantikor", hörte Aljin entfernt die Stimme ihrer neuen Begleitung. Mit einem Ruck zog er seinen Dolche aus dem Kopf des Manikor und wandte sich ihnen zu. "Was seid ihr eigentlich für ein komischer Haufen?", fragte er, während er kurz auflachte. Aljin war sich nicht sicher, ob dies wirklich Belustigung oder Verzweiflung war. Immerhin wären sie beinahe alle draufgegangen.
    Nachdenklich sah sie die anderen an, diese taten es ihr gleich - schwiegen und suchten scheinbar eine Antwort in den Gesichtern der anderen. Ja, was waren sie eigentlich?
    "Reisende", meinte sie schließlich schlicht. Das war immerhin nicht abzustreiten.
    Aljin war ziemlich stolz auf ihre völlig unpräzise Antwort. Sie konnte unmöglich sagen, was sie war oder wieder sein könnte. Dafür hatte sie diesen Haufen Fremder mittlerweile zu sehr ins Herz geschlossen. Die Enttäuschung wäre einfach zu groß, wenn sie alles erfuhren und sie dann nur noch mit Wünschen löcherten. Das wollte sie nicht. Mal abgesehen von dem Können. Man hatte sie nicht oft in ihrem Leben als Lebewesen wahrgenommen. Diese Leute taten das. Auch, wenn sie es nicht zugeben wollte, sah sie diese schon länger als Freunde an. Und sie würde diesen neuen Fund nicht gefährten, in dem sie leichtfertig ihr Geheimnis verriet.
    Ihre Hand legte sich erneut auf ihre Flasche. Und wenn sie es doch endlich loswerden würde? Was würden die anderen sagen? Immerhin war sie im Moment nicht in der Lage Wünsche zu erfüllen, oder auch nur ihre volle Kraft auszuschöpfen.
    Seit wann bist du eigentlich so unsicher?, fragte sie sich selbst. Reiß dich gefälligst zusammen!
    Codrac hob eine Augenbraue, während er zwischen Salem und seiner Brust und Aljin und der Schlange um ihren Hals hin und her blickte. Kurz blieb er an Jack hängen, an dessen Hand der Hund schnupperte, dann sah er zu dem gegrillten Mantikor, der noch immer qualmte.
    Was er wohl denkt?
    Aljin zuckte die Schultern.

    "Scheiße", brachte Aljin nur noch heraus, als sie sah, wie Salem in die Knie ging. Das hatte ihnen gerade noch gefehlt.
    Wütend fasste sie den Mantikor ins Auge. Sie war wirklich aus der Übung. Jahrelang hatte sie lediglich eine Flasche voll mit Sand mit sich getragen. Nun saß sie in einem gigantischen Sandkasten und normalerweise wäre eine solche Kreatur für einen Flaschengeist kein Problem.
    Ein humorloses Lachen durchdrang ihre Kehle.
    Leider bist du nur noch ein Witz deiner Selbst ...
    Aljin sah, wie Jack auf Salem zurannte, doch der Mantikor schien noch nicht fertig zu sein.
    "Nichts da", knurrte sie und griff sich eine Hand voll Sand. Irgendwie musste sie es schaffen, die Kreatur von den anderen abzulenken. Salem hatte schon eine deutlich schlimmere Verletzung überlebt. Da sollten doch Giftstachel eines Mantikor kein Problem darstellen, oder? Und vielleicht hatten die Stacheln ihn ja auch verfehlt. Sie musste nur das Vieh lang genug ablenken, damit der Feuermagier wieder auf die Beine kam und die anderen beiden nicht in Gefahr schwebten.
    Dies redete sie sich zumindest ein.
    Mit ihrer Magie formte sie den Sand zu einem Ball und warf diesen dem Mantikor an den Kopf. Der tödliche Blick, der sie daraufhin traf, ließ sie für einen kurzen Moment vergessen, dass sie noch am Leben war. Scheinbar hielt das Tier nichts davon, von Magierin mit Sand beworfen zu werden. Noch während Aljin überlegte, was sie als nächstes machen wollte, stürzte sich das Monster auch schon auf sie und schwang seinen Schwanz zum erneuten Angriff. Nur knapp entkam Aljin der Attacke und rutschte im Sand eine Düne hinab. In der gleichen Bewegung konzentrierte sie ihre Kraft in den Boden unter sich. Sie spürte die Magie, den Sand, konnte jedes einzelne Körnchen fühlen, das unter ihren nackten Füßen knirschte. Sie gab ihnen einen Befehl und schon begann der Sand zu fließen wie Wasser.
    Der Mantikor folgte ihr und wurde vom Sand bei jedem Schritt etwas mehr verschlungen. Kreischend nahm die Kreatur dies zur Kenntnis und verzweifelt versuchte sie sich gegen ihr Gefängnis zu wehren, doch Aljin ließ nicht zu, dass der Sand von ihm abließ. Immer mehr Sandkörner griffen nach den Gliedmaßen des Mantikors und rissen ihn mit sich. Je stärker er sich wehrte, desto schneller versank er in der Wüste.
    Zuerst verschwand der gefährliche Schwanz, dann die Hinterläufe und Aljin sah ihre Chance. Ihr war bewusst, dass der Mantikor ebenso der Wüste entstammte wie sie und sich nicht ewig von eben dieser befehligen ließ.
    Ihre linke Hand bahnte weiterhin den Treibsand, während ihre rechte ein langes, krummes Messer aus den gelblich weißen Körnchen formte.
    "Drecksvieh", fluchte sie und trennte dem Mantikor mit einem Hieb den Vorderlauf ab. Blutend landete die riesige Tatze im Sand und der schmerzverzerrte Schrei des Wesens war vermutlich noch Meilenweit zu hören. Auf jeden Fall brannte er Aljin derart in den Ohren, dass sie die Kontrolle über den Sand verlor und sich die Ohren zuhalten musste.
    Etwas klingelte, dann hörte sie gar nichts mehr, weshalb sie erst zu spät bemerkte, dass der Mantikor sich freigegraben hatte. Nur aus dem Augenwinkel nahm sie den Skorpionschwanz wahr, der sie hart in der Seite traf und sie einige Meter weit schleuderte.
    Der Sand schien wie Stein, als sie aufschlug und es ihr die Luft aus den Lungen presste. Vor Schmerz verkrampfte sie sich.
    Ihre Instinkte griffen nach der Magie und zogen die Hitze aus der Luft, um mit deren Hilfe ein Wind zu erzeugen, der den Sand mit sich trug. Der lokale Sandsturm hielt den Mantikor nur bedingt davon ab, näher zu kommen. Wenn überhaupt machte es ihn nur noch wütender.
    "Ein bisschen Hilfe wäre super!", schrie Aljin, die noch immer lediglich ein Rauschen wahrnahm. Unter Schmerzen erhob sie sich und trat Schritt für Schritt zurück, ohne das Wesen aus den Augen zu lassen. Ja, sie wollte das Vieh von den anderen ablenken, damit diese sich um Salem kümmern konnte, aber wer kümmerte sich nun um sie. Sie war erschöpft.

    Aljin zuckte die Schultern band ihr Kamel an einem Stab an, den man direkt neben dem Wasserlos der Oase tief in den Sandboden getrieben hatte. Stumm wartete die dann, bis auch die anderen ihre Tiere angebunden hatten. Erst dann folgte sie dem fremden Nomaden ins Innere eines Zeltes, das direkt neben einem dürren Busch stand.
    Das Zelt war schlicht eingerichtet, sicherlich, immerhin musste es schnell auf- und abzubauen sein. Lediglich einige wenige Habseligkeiten lagen herum und ein Nachtlager aus Decken und Tüchern. So wie Aljin das sah, schliefen in diesem Zelt mindestens sieben Personen. Vermutlich die komplette Familie des Nomaden.
    "Also, welche Fragen habt ihr?", der Mann blieb neben seinem provisorischen Nachtlager stehen und betrachtete die Gruppe. Wirklich freundlich wirkte er nicht, aber darauf setzte Aljin auch nichts, solang er ihre Fragen beantwortete.
    "Wir suchen den Mantikor, der euch angegriffen hat", kam sie gleich zum Punkt. Es brachte nichts, um das eigentliche Thema herumzureden.
    "Den Mantikor?" Der Nomade hob misstrauisch die Augen. "Warum?"
    "Jemand hat uns gesagt, dass wir die Kralle eines Mantikor benötigen, um nach Akrabria zu kommen", meinte Jack freundlich.
    "Nach Akrabria?" Mit einem Mal wirkte der Mann noch verschlossener als zuvor. Wusste er etwa mehr?
    "Wisst Ihr etwas darüber?", fragte sie deshalb. Ertappt wandte sich der Nomade um.
    "Akrabria fiel vor vielen Jahren der Wüste zum Opfer", meinte er. "Niemand wagte sich mehr in deren Nähe."
    "Dann wisst Ihr, wo sie liegt?"
    "Genau weiß das niemand mehr. Aber es gibt Legenden."

    Aljin rollte genervt die Augen. Legenden. Immer hieß es, dass es Legenden gäbe. Aber konkrete Anhaltspunkte hatte nie jemand.
    "Es gibt einen steilen Felsen nur wenige Tagesreisen von hier. Die Nomanden meiden die Umgebung um diesen. Viele Wanderer sind dort bereits verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Es heißt, Sandstürme würden dort plötzlich kommen und gehen und jeden verschlingen, der dem Felsen zu nahe kommt. Die Legende besagt, dass Akrabria dort in der Wüste vergraben liegt und ein Wüstengeist sie mit sich in die Tiefe gerissen hat. Der Felsen soll angeblich der Turm des ehemaligen Palastes des Sultans sein."
    Wüstengeister. Was für ein Blödsinn, moserte Aljin gedanklich. Sie hatte so lange in der Wüste gelebt, sehr viel länger als Menschen. Und noch nie war sie einem Wüstengeist begegnet.
    "Klingt nach einem Ort, den wir uns mal näher anschauen sollten, oder?" Sie sah zu den anderen. "Also wo finden wir den Mantikor?" Wenn es stimmte, was der alte Kerl in der Taverne gesagt hatte, brachte es noch gar nichts, den ungefähren Ort von Akrabria zu kennen. Sie mussten den Eingang finden und der offenbarte sich nur, wenn man diese Opfer aufbrachte. Und sie hatte sicherlich keine Lust, sich in einen Sandsturm zu werfen und am Ende nicht einmal den Schlüssel dabei zu haben, um auch die Tür zu öffnen. Vielleicht hatte der Alte Recht und sie fanden so einen Weg in die Tiefe der Wüste, oder aber um diese Sandstürme herum.
    Der Mann musterte sie und warf anschließend Blicke zu den anderen. Sein grimmiger Blick nahm etwas Sorgenvolles an.
    "Er verschwand Richtung Osten, Richtung Wüste. Er hat uns letzte Nacht erneut angegriffen. Vielleicht holt ihr ihn noch ein."
    Aljin nickte.
    "Na dann, holen wir uns mal die Krallen von diesem Viech."

    Aljin hob die Augenbrauen.
    "Warum auf einmal?", wollte sie wissen.
    "Ich hatte eben einen kleinen... Schwächeanfall, der sicher mit der Hitze zusammenhängt."
    Wäre es anatomisch möglich gewesen, hätte Aljin ihre Augenbrauen noch weiter in die Stirn gezogen.
    "Klar", gab sie lediglich von sich, dann erhob sie sich und klatschte freudig in die Hände. "Dein Glück, dass ihr lang genug weg wart und diese Stadt nicht sehr groß ist", sie beugte sich etwas zu Salem vor, "und dieser Dreiauge echt verdammt unheimlich ist." Sie kramte in ihrer Tasche. Tatsächlich hatte sie sich gerade in dem Moment, in dem Salem wieder zur Tür hereingekommen war, wieder auf einen Stuhl gesetzt. Ihr war klar gewesen, dass sie früher oder später noch neue Kleidung für Salem brauchen würden, ob er das wollte, oder nicht. So war es ihr jedoch deutlich lieber, als wenn der Kerl erst mitten in der Wüste einfach kollabierte. Sie schickte ein gedankliches Stoßgebet an Jack. Egal, was er gemacht hatte, es hatte geholfen.
    Sie zupfte einige bläuliche Stoffstücke aus ihrer Tasche, darunter eine lange weite Hose und ein ebenso luftiges Baumwollhemd, dass mit langen weiten Ärmeln versehen war und in der Regel bis zu den Knöcheln reichen sollte.
    Aljin musterte Salem.
    Bei ihm wohl eher nur bis knapp unter die Knie.
    Dazu drückte sie Salem noch eine lange Stoffbahn in die Hand, die als Gürtel Verwendung finden würde und Tücher, damit Salem sein Gesicht verstecken konnte.
    "Ich habe die größten Sachen genommen, die der Kerl hatte. Der dachte, ich will einen Riesen einkleiden. Also wehe es passt nicht."

    Es war Salems Glück, dass die Sachen tatsächlich passten. Zwar hätten sie an der einen oder anderen Stelle durchaus etwas länger ein können, und eigentlich müsste die Hose auf dem Boden schleifen. Aber da Salem Stiefel trug, würde es schon gehen. Zumindest sah man nichts.
    "Wo wir das Problem gelöst haben", meinte Esme. "Wo finden wir jetzt einen Mantikor, wie es der alte Dreiauge erzählt hat." Die Hexe schwieg. "Und trauen wir ihm überhaupt?"
    Die Frage war berechtigt. Es machte keinen Sinn in die Wüste zu rennen, um dort eine untergegangene Stadt zu suchen, wenn man dann vielleicht nicht hineinkam.
    Aljin schlug sich innerlich selbst. Sie hätte die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte ihre Heimat mehr im Auge behalten sollen. Wobei Akrabria schon zu ihrer Zeit eher ein Mysterium war. Handelsstadt und belebt. Aber den Weg dorthin hatte sie sich schon damals nicht gemerkt.
    Sie holte die Karte, die sie sich vor einigen Tagen besorgt hatten, aus ihrer Tasche und breitete sie auf dem Tisch aus.
    "Also der Händler damals meinte, dass Akrabria hier ist." Sie deutete auf einen unbeschrifteten Fleck mitten in der Wüste. "Das Gebiet könnte riesig sein und Akrabria schon längst unter einer Schicht Sand begraben. Die Wüste ist launisch." Nachdenklich legte sie ihre Hand an das Kinn. "Dass die Wüstennomaden ab und an den Wind um Hilfe bei der Suche nach ihrem Ziel bitten, habe ich schon gehört." Vertraute sie diesen Menschen mittlerweile genug, um ihnen preiszugeben, dass sie ein Flaschengeist war, oder zumindest, dass sie weitaus älter war als sie aussah? "Zu meiner Zeit haben Reisende oft von einem Nest aus Mantikoren in der Nähe einer großen Oase gesprochen. Die Tiere hätten sich wohl in die Wüste an diesen entlegenen Ort zurückgezogen, weil sie wegen ihres Fells gejagt wurden." Sie zuckte die Schultern. "Ob diese Information heute noch aktuell ist, kann ich nicht sagen." Sie sah in die Runde. "Aber ein Versuch wäre es wert."
    "Wo liegt die Oase?", wollte Jack wissen.
    Aljin suchte die Karte ab.
    "Hier", meinte sie und deutete auf einen grünen Punkt ziemlich weit in der Wüste.
    "Das sieht unglaublich weit aus. In der Zeit haben wir Akrabria auch so gefunden", stöhnte Jack genervt auf.
    "Ich habe gehört, dass ein Nomadenstamm neulich von einem Mantikor angefallen worden sein soll", mischte sich ein Kerl am Tisch neben ihnen in das Gespräch ein.
    Die Gruppe wandte sich dem Mann zu.
    "Nur ein paar Tagesreisen von hier, nur knapp hinter dem Rand der Wüste", sprach der Mann in seinen Bierkrug weiter.
    "Was ein Zufall", knirschte Aljin mit den Zähnen. Seit Ewigkeiten hatte sie von keinen Sichtungen mehr gehört und nun, da sie diese Krallen brauchten, tauchte ein Mantikor in ihrer unmittelbaren Nähe auf.
    "Na dann", meinte Jack und wandte sich wieder an die Freunde. "Schauen wir uns das doch mal an."
    "Ich habe ein komisches Gefühl dabei", nuschelte Aljin vor sich hin.

    Jaffa ist eine kleine Stadt, hatte der Händler gesagt. Klein traf die Bezeichnung sehr gut, Stadt war allerdings ein sehr optimistischer Begriff.
    Mit gehobener Augenbraue betrachtete Aljin die Ansammlung einiger aus Stein, Sand und Holz gefertigten Häuser. Zwar herrschte reges Treiben und es gab sogar einen Marktplatz, wenn man die baufälligen Stände als solchen bezeichnen wollte, aber als Stadt hätte sie das Dorf nie betiteln wollen.
    Bedauernd sah sie der Karawane Händler nach, dann seufzte sie und setzte sich in Bewegung.
    "Okay, wir brauchen genügend Decken, Proviant, viel Wasser und ich würde zu Kamelen raten. Mit Gepäck kommen wir ohne nur sehr langsam voran." Sie sah ihre drei Begleiter an und blieb schließlich an Salem hängen. "Ich würde dir auch andere Kleidung anraten, mit den Fetzen wirst du dich zu tote schwitzen."
    "Brauche ich nicht. Das geht." Kurz, knapp, wie von Salem gewohnt.
    Aljin hob die Augenbrauen. Ihr sollte es egal sein, sie hatte ihn gewarnt. Zu einem Händler schleifen würde sie den riesigen Kerl sicherlich nicht. "Auch gut. Mehr Geld für andere Sachen."
    Sie klatschte in die Hände, dann trennte sich die Gruppe in zweier Teams auf. Aljin ging mit Esme kümmerten sich um die Decken und Essen, während Jack und Salem zusammen bei einem Händler vier Kamele erstehen sollten. In dem kleinen Kaff stellte das nicht wirklich eine Trennung dar, weil Aljin sich nur umdrehen musste, wenn sie an dem Stand mit den Datteln stand, da konnte sie am anderen Ende des Dorfes Salem über die Köpfe der anderen erkennen und neben ihm Jack, der mit einem Kerl sprach, der beharrlich seine Kamele verteidigte.
    Stadt, grummelte sie.
    "Ihr seid also auf dem Weg in die Wüste?", fragte er Händler als sich Aljin zurückdrehte.
    "Genau", gab sie sachte lächelnd zurück. Zwar hatte sie kein tieferes Interesse an einem Gespräch mit dem Kerl, aber vielleicht ließen sich aus ihm Informationen gewinnen.
    "Es verirren sich nicht mehr sehr viele Leute in die Wüste", sprach der Händler weiter. "Wohin soll es denn gehen?"
    "Akrabria", antwortete Esme, die fleißig dabei war, alles, was der Stand hergab und einigermaßen essbar aussah in einen Beutel zu stopfen.
    Der Mann runzelte die Stirn.
    "Akrabria? Dahin war schon lange niemand mehr unterwegs."
    "Könnt Ihr uns etwas darüber erzählen?" Es war so lange her, dass auch Aljin in dieser Stand gewesen war.
    Der Kerl schüttelte den Kopf. "Aber der alte Dreiauge kann euch sicherlich etwas erzählen."
    "Dreiauge?" Aljin wiederholte den Namen fragend und gleichzeitig bildete sich in ihrem Kopf ein seltsames Bild. Was für ein bescheuerter Name.
    "Ihr findet ihn meist in der Taverne", der Händler zeigte auf ein steinernes Gebäude mit einem schiefen Schild am Eingang. "Er ist oft in der Wüste unterwegs und kennt sich dort aus wie kein zweiter. Wir lassen uns von ihm die Zukunft vorher sagen."
    So einer war das also. Aljin beschloss den Worten des Händlers nicht zu viel Bedeutung zuzuweisen. Jemand, der von sich behauptete, die Zukunft sehen zu können, konnte nicht mehr alle Kamele im Stall haben. Aber vielleicht würde ein kurzes Gespräch mit ihm doch nicht schaden.
    Aljin bedankte sich und drückte dem Mann einige Münzen in die Hand. Mit etwas Glück würde er erst zu spät bemerken - wenn sie Jaffa schon wieder verlassen hatten - dass es nicht einmal ansatzweise genug Geld war, um all das zu bezahlen, was Esme während des Gespräches mit dem Händler eingepackt hatte.
    Eiligen Schrittes, aber nicht zu auffällig schnell, um Verdacht zu erregen, schloss sie zu Salem und Jack auf.
    "Dann sind wir im Geschäft", meinte der Werwolf gerade und schlug siegreich grinsend mit einem frustriert dreinblickenden Kamelhändler ein. Salem drückte ihm einige Münzen in die Hand und im Austausch bekam Jack die Zügel von 4 Kamelen überreicht. Geknickt fluchte der Händler noch einige unverständliche Worte vor sich hin, dann machte er sich scheinbar daran Stroh von einer Seite des gepflasterten Unterstandes auf die andere zu schieben. Die Köpfe seiner zwei übrigen Kamele folgten ihm dabei träge.
    "Einer der Händler meinte zu uns, dass es in der Taverne einen Kerl namens Dreiauge gibt, der wohl angeblich mehr über Akrabria weiß", begann Aljin, als sie ihren Einkauf unbeeindruckt von der Laune des Kamelhändlers an den Decken und Sätteln der Tiere befestigte. "Meint ihr, man sollte isch mal anhören, was er zu sagen hat?"

    Aljin betrachtete die komische Meute ausdruckslos. Das sollten Banditen sein? Die Wegelagerer, die ihr im Laufe ihrer Reise begegnet waren, hatten einen furchteinflössenderen Eindruck hinterlassen. Sie kannte Diebe und Banditen und war mehr als einmal mit solchen aneinander geraden. Irgendwann verlor sich der Effekt der Angst. Vor allem dann, wenn der Anführer noch Hilfestellungen brauchte als würde er nur einen Schnupperkurs machen. Furcht lösten diese Witzfiguren nur mit ihrem Gestank aus. Die Meute zog eine Note hinter sich her, die vermuten ließ, dass sie entweder in einem Kuhstall lebten, oder die Kühe in besagtem Kuhstall bereits verstorben aber noch nicht beseitigt waren.
    "Die wollen doch nicht wirklich, dass man sie ernst nimmt ...", grummelte Aljin vor sich hin. So wie die Leute dort standen, und sich der Anführer noch Sachen zuflüstern ließ, erweckte der Haufen eher den Eindruck von einfachen Bettlern. Sehr aufdringlichen Bettlern.
    Stumm beobachteten sie und Salem wie die Banditen bereits die ersten Wägen ausweideten und die Händler um ihr Hab und Gut erleichterten. Auf sehr viel Widerstand stießen sie dabei nicht.
    "Ihr solltet lieber tun, was sie sagen", meinte der Händler, der so nett gewesen war, sie auf seinem Karren mitzunehmen.
    Aljin runzelte die Stirn, sprang aber dennoch leichtfüßig vom Wagen.
    "Kommt das öfter vor?", fragte sie.
    Der Händler leerte brav seine Taschen vor sich und nickte. "Es gibt hier sehr viele Banditen. Von den Oberen kümmert sich ja auch niemand um das Problem." Er sprach leise, wohl damit man ihn nicht hören konnte.
    "Warum macht ihr die Reise dann?" Aljin verschränkte trotzig die Arme.
    "Normalerweise halten sich die Banditen von großen Kolonen fern ", antwortete eine alte Händlerin, die den Karren hinter ihnen beritt und versuchte den Zugochsen zu beruhigen. "Aber die Bande ist größer als sonst."
    "Sie passen sich an", brummte der Mann. Er beendet das Ausräumen seiner Taschen. "Größere Kolonen gleich größere Banditenbanden."
    Aljin stieß die Luft aus. Das Gespräch ermüdete sie und sie bereute es, nachgefragt zu haben.
    "Dafür haben wir keine Zeit", murmelte sie in Salems Richtung.
    Dieser antwortete ihr nicht, sondern beobachtete nur wachsam das Geschehen bei den ersten Gespannen. Dort schubsten gerade einige Banditen Frauen grob herum und lachten und grölten, als hätten sie bereits mehr als ein Fass pro Person gekippt.
    Aljin sah über die Schulter in die weite ebene Fläche. Sie konnten die Karawane einfach ihrem Schicksal überlassen und sich über alle Berge davon machen. Allerdings gab es keine Berge. In den Weiten waren sie leicht zu verfolgen. Und auf rennen hatte sie keine Lust. Die Fahrt auf den Wägen der Händler wäre um Vieles entspannter. Aber das setzte voraus, dass diese auch weiterfahren konnten.
    Als sie zu Jack und Esme blickte, zuckte diese nur ebenso ratlos die Schultern.
    "Taschen leeren!", brüllte ihre eine lästige Stimme ins Ohr und als sie sich umdrehte, stand ein großer hagerer Mann mit Hackennase vor ihr. Eine Nase, die man sogar unter seinem Tuch erkennen konnte.
    "Du hast wohl zu lang in der Sonne gestanden", gab Aljin kühl von sich. "Von dir lasse ich mir keine Befehle geben."
    Im ersten Moment schien der Bandit überrascht, ob dem Gegenwind, doch dann blickte Aljin direkt auf die schartige Klinge eines Säbels.
    "Ich wiederhole mich nicht noch einmal", gab er von sich. Zorn schimmerte in seinen Augen.
    "Werde ich auch nicht." Aljin versuchte die Ruhe zu bewahren. Mit ihrer Magie war sie diesen Typen weit überlegen. Allerdings waren es nicht nur zwei oder drei, sondern eine Zahl, die auf den ersten Blick kaum zu überblicken war. Konnte sie auf die Hilfe der anderen bauen, wenn sie diejenige war, die provozierte? Im Grunde gab es für die drei keine Motivation ihr zu helfen. Auf der anderen Seite gab es auch keinen vernünftigen Grund dafür, dass sie sie überhaupt begleiteten. Und es juckte sie in den Fingern herauszufinden, wie weit sie gehen konnte. Davon abgesehen, nichts in der Welt würde sie dazu bringen, diesem Intelligenzallergiker ihre Flasche zu geben.
    Die Klinge des Mannes begann gefährlich zu wackeln, dann grinste er dreckig und ebenso dreckig schimmerte auch der erbärmliche Rest seiner Kauwerkzeuge. "Du bist nicht von hier", stellte er geistreich fest. "Du bist aus der Wüste." Erkenntnis legte sich in seine verschmutzen Züge. "Du bringst sicherlich eine Menge Gold ein." Ein eindeutiger Glanz blitzte in seinen Augen auf.
    Wenn du wüsstest ...
    Aljin musterte den Mann geringschätzig, ehe sie ihm grinsend und ohne Vorwarnung gegen das Schienbein trat und anschließend das Knie in den Magen rammte. Völlig überrascht, ließ der Dieb seine Klinge fallen. Zeitgleich kam Jaki aus ihrem Ärmel und zischte den zu Boden sinkenden Mann warnend an. Stöhnend wich dieser etwas zurück und funkelte Aljin finster an.
    "Miststück."
    Immerhin bin ich es nicht, die danach riecht ... Sie musste sich beherrschen, ihm nicht vor die Füße zu brechen.
    "Du hast da was verloren", ignorierte Aljin die Beleidigung und hob den Säbel auf. Als würde sie sich von einem dieser Lumpensäcke Angst machen lassen. Dass es jedoch funktioniert hatte, hatte auch sie nicht erwartet.
    "Helden gibt es hier nicht, nein", gab sie mit einem letzten Blick auf den Mann von sich, "ich sehe nur einen Haufen maskierter Hohlköpfe." Den Teil verkündete Aljin laut genug, dass auch der vermeintliche Anführer der Banditen es hören musste. Derweil betrachtete sie die Klinge der Waffe, die deutlich bessere Tage gesehen hatte, ehe sie ihre Aufmerksamkeit bewusst auf den Anführer der Banditen lenkte. "Also geht ihr besser uns aus dem Weg und lasst uns weiterfahren, sonst seid ihr diejenigen, die den Kopf zukünftig unter dem Arm tragen." Ein Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht. "Achja, falls das einige von euch nicht kapiert haben sollten: Der Überfall ist beendet!“
    Weglaufen wäre sicherlich weniger anstrengend gewesen ...

    Aljin hob die Augenbrauen und sah noch einen Moment zwischen Jack und Salem hin und her. Sie war eine Frau und so schnell machte man ihr nichts vor.
    Ja, klar, gestolpert ..., dachte sie, sagte aber nichts zu der Situation und grinste lediglich in sich hinein. Sollten die Kerle doch machen, was sie wollten. Am Ende war es ihr gleich, Hauptsache, sie musste nicht allein reisen und das schien ihr ja nun erspart zu bleiben. Zumindest Salem hatte dem ganzen zugestimmt und da sich sowohl Jack als auch Esme noch immer in dem Wirtshaus befanden, konnte man das doch auch als stumme Zustimmung bezeichnen. Oder? Sollte sie nachfragen? So weit kam es noch! Entweder sie kamen mit, oder nicht. aber sie würde sich nicht die blöße geben und darum betteln.
    Einen letzten Blick warf sie zu Jack und Salem. Wenn der Magier mit ihr kam, stand es eigentlich außer Frage, dass auch Jack mitgehen würde. Oder?
    Nur hoffentlich veranstalten sie zukünftig, was auch immer sie veranstalten, leise... Ein wenig Schlaf hin und wieder, brauchte auch sie. Obwohl sie sowieso wachgelegen und sich ausgemalt hatte, was sie in Akrabira erwarten würde. Worauf mussten sie sich vorbereiten? Schon damals hatte niemand gewusst, was in den Tiefen der Stadt vor sich ging. Nicht umsonst lag eine Stadt mitten in der Wüste, abseits aller Oasen. Wenn es nichts zu verbergen gab.
    "Klingt nach einer guten Idee", gab sie schließlich von sich, nachdem sie von drei Seiten schon schief angeschaut wurde. In der Wüste würden sie am Ende sowieso Kamele benötigen. Oder andere Tiere, die lang ohne Wasser auskamen. Es brachte niemandem etwas, wenn sie ihre knappen Vorräte auch noch an die Tiere abgeben mussten.
    Sie gähnte gespielt und wandte sich um, um in ihrem Zimmer zu verschwinden. Mehr gab es für sie zu diesem Thema nicht zu sagen.

    Es war nicht sonderlich schwer gewesen, einen Händler zu finden, der bereit war, sie bis in die nächste Stadt mitzunehmen. Wüstenrand lag wie der Name schon sagte am Rand der Wüste und war somit der beste Ort, um sich nochmal einzudecken, ehe es dann langsam in die immer weniger besiedelten und immer weniger bewachsenen Ebenen ging. Zwar kam laut Aljins Karte noch ein kleineres Dorf, aber um Tiere zu kaufen, war eine Stadt deutlich besser, wenn auch teurer. Aber Wenn ihre Gruppe irgendwas konnte, dann billig an Sachen kommen.
    Aljin ließ die Beine vom Wagen baumeln und betrachtete die Karte auf ihren Oberschenkeln. Sie war noch nie gut darin gewesen, Entfernungen zu schätzen, aber einige Tage, wenn nicht sogar Wochen würde die Reise dauern. Hoffentlich gerieten sie in keinen Sandsturm.
    Ein Blick in die grüne Landschaft rief in ihr Sehnsucht nach der Unendlichkeit der Sandmeere hervor. Ein Flaschengeist gehörte in die Wüste und nicht in bewaldete Gebiete. Auf der anderen Seite gehörte ein Flaschengeist aber auch in seine Flasche.
    Aljin fuhr mit der Hand über den schmucklosen Körper des Gefäßes. Hoffentlich erwies sich diese dünne Spur nicht auch als Fehlschlag. Wenn sie schon nicht die Lösung ihres Problemes brachte, dann doch wenigstens einen weiteren Hinweis.
    Sie musste grinsen. Immerhin ging sie den Weg diesmal nicht allein - oder lediglich mit einer Schlange als Begleitung.

    Aljin betrachtete die Karte nachdenklich. Akrabria war vor vielen Jahrhunderten eine blühende Stadt gewesen, allerdings schon vor mehreren Generationen komplett der Wüste verfallen. Sie hatte nicht geglaubt, dass es dort noch Schätze gab, welche man stehlen konnte. Geschweige denn, dass Menschen so blöd waren und dorthin gingen und dann auch noch die Flasche eines Flaschengeistes ausgruben?
    Kritisch beäugte sie den Händler. Oder erzählte er ihr nur Märchen? Oder interpretierte sie zu viel hinein. Es gab sicherlich noch andere Gründe, warum sich eine Flasche nicht öffnen ließ, oder sie unzerbrechlich war. Es musste sich nicht unbedingt um einen Flaschengeist handeln. Was wusste der Kerl?
    Sie runzelte die Stirn und legte die Hand auf ihre Flasche. Was war, wenn es doch stimmte? Die Ruinen von Akrabria mussten mittlerweile unter einer Sandschicht begraben sein. Aber die Stadt war alt und konnte vielleicht noch immer Geschichten erzählen und vielleicht einen Hinweis für sie verbergen. Und selbst wenn nicht: Wenn es dort wirklich noch Schätze gab, wäre es die Reise sicherlich wert. Konnte man dem Mann trauen? Leider gab es nicht viele Möglichkeiten das herauszufinden, ohne einen Aufstand mitten in einer fremden Stadt anzuzetteln - schon wieder.
    Aljin warf einen letzten Blick auf die Karte und versuchte sich die Lage der Stadt zu merken, dann wandte sie sich um und entfernte sich schnell. Die widerwilligen Rufe des Händlers ignorierte sie. Er wollte ihr die Karte im Tausch für ihre Flasche geben.
    Sicherlich nicht, du Wicht.
    Irgendwo würde sie eine Karte sicherlich für einen deutlich besseres Preis finden.
    "Ich weiß nicht, was ihr macht", antwortete sie schließlich auf Jacks Frage, als sie merkte, dass er und Esme ihr folgten, "aber ich werde nach Akrabria gehen." Grinsend wandte sie sich um. "Ich bin neugierig, ob der Kerl recht hat und es dort wirklich so viele Schätze gibt. Stellt euch vor, was man damit machen könnte."

    Aljin lehnte sich an den Stein zurück, neben welchen sie saß und legte den Kopf in den Nacken. Einige Wolken verwährten ihr die freie Sicht in den Himmel. Wie sie die sternenklaren Nächte in der Wüste doch vermisste.
    Schweigend lauschte sie dem Prasseln eines kleinen Feuers, das zwischen ihnen brannte und die Umgebung der Bauernhausruine in ein düsteres Licht tauchte. Keiner von ihnen schien ein großer Redner zu sein. Ein dicker Pluspunkt der Gruppe und auch wenn es Aljin nur ungern zugab, sie hatte sich an die Anwesenheit der anderen gewöhnt.
    Jahrelang war sie allein umher gezogen, Jahrzehnte ohne Freunde und Jahrhunderte allein in ihrer Flasche gefangen gewesen. Über all die Zeit hatte sie immer nur flüchtige Bekannte gehabt. Leute, die sie getrost aus ihrem Leben streichen konnte, ohne, dass es ihr etwas ausgemacht hätte - hatte sie die meisten von denen sowieso schon lange überlebt - und wenn einem die Leute egal waren, tat deren Verlust nicht einmal halb so sehr weh.
    Nun hatte sie zum ersten Mal seit einer schieren Unendlichkeit etwas, das sie als Schwermut bezeichnen würde, wenn sie nur daran dachte, in naher Zukunft wieder allein unterwegs zu sein.
    Laut sagen, würde sie es jedoch nicht. Sie war immer allein zurecht gekommen und war nie auf Hilfe angewiesen.
    "Wie geht es nun weiter?", fragte sie in die Runde. "Das Problem mit Salems Arm hat sich ja wohl geklärt." Prüfend blickte sie den verhüllten Arm des Magiers an. "Es gibt nun keinen Grund mehr für uns, weiter gemeinsam zu reisen." Fühlte sich so Bedauern an?
    Nachdenklich sahen sich die Anwesenden an, als hätte Aljin die dümmste Bemerkung ihres Lebens gemacht.
    Bitte, sagt was, flehte sie innerlich. Ich mag euch und will nicht allein weiterreisen.
    "Was glotzt ihr mich so an?", brummelte sie jedoch nur. "Die Heilung seines Armes hat uns doch zusammengeführt. Zumindest für Esme und mich gibt es keinen Grund mehr, länger zusammenzubleiben. Wir haben alle ein eigenes Leben und eigene Ziele."
    Wieder herrschte kurz Schweigen. Dann war Jack schließlich der erste, der jenes unterbrach.
    "Ich habe nichts Wichtiges vor." Er zuckte die Schultern und Aljin entging der Blick nicht, den der Werwolf Salem zuwarf. Der Verhüllte nickte nur zustimmend.
    "Also ich schon", hörte Aljin sich sagen, ehe sie es hätte verhindern können. Innerlich ohrfeigte sie sich. Wann war sie so schlecht darin geworden, ihre ehrliche Meinung zu sagen? In allen anderen Lebenssituationen klappte es doch auch.
    "Dann sollten wir die letzten Stunden nochmal genießen", meinte Esme. Die Alte Frau stocherte etwas mit einem Ast im Feuer herum. Sie lächelte etwas. "Aber du brauchst doch sicherlich auch Vorräte für die Reise, oder? Also wirst du sicherlich bis zur nächsten Stadt noch bei uns bleiben. Das dürfte ja nicht mehr weit sein."
    Aljin versuchte sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Hatte die Alte etwa erraten, was ihr im Kopf vorging? Konnte man es ihr etwa ansehen?
    Sie bemühte sich um eine ausdruckslose Miene.
    "Ja, ich denke schon", versuchte sie gleichgültig von sich zu geben.
    Danke, alte Frau!

    Die Zwerge nahmen die Nachricht mit dem zu Asche zerfallenen Argentusia deutlich besser auf als der Stadthalter. Wobei sich Aljin nicht sicher war, ob es ihnen einfach nur völlig egal war, wer nun abgefackelt wurde und wer nicht. Tatsächlich glaubte sie in den Augen der Zwerge so etwas wie Anerkennung zu sehen, weil sie die ganze Sache nicht gerade unauffällig gelöst hatten. Oder vielleicht wollten sie ihre Freude auch einfach nicht zum Ausdruck bringen. Wie dem auch war. Sie gaben ihnen das erbetene Silber zu einem abnorm hohen Preis und schickten sie dann zum Teufel.
    "Wird das reichen?", Aljin betrachtete das lächerlich kleine Stückchen Silber, das in Salems mächtigen Pranken aussah wie ein Kieselsteinchen.
    "Der Kerl meinte nicht, dass wir viel davon brauchen", gab Jack von sich, hob aber ebenfalls die Augenbrauen und musterte das Silber skeptisch. "Hoffentlich", setzte er dann mit einem Seitenblick in das vermummte Gesicht des Magiers nach.
    Gemeinsam standen die vier Gefährten eine Weile einfach nur da und betrachteten das Steinchen, während scheinbar jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Dieses kleine Stückchen Metall sollte Salems Verletzung heilen können? Zugegeben nicht nur dieses Silber, aber Aljin blieb skeptisch. Der Mann hatte sowieso nicht sonderlich vertrauenswürdig gewirkt. Am Ende hatte er ihnen doch noch die Taschen vollgelogen.
    Aljin zuckte schließlich die Schultern. Einen Versuch war es wert und einen besseren Anhaltspunkt hatten sie nicht.
    "Also brauchen wir nur noch die Haare von dem Werwolf, der dich gebissen hat?" Frech grinste sie die beiden Männer an, ehe sie kurzerhand Jack einige Strähnen seiner Haare ausriss.
    "Hey!", protestierte dieser leidend.
    "Werwolf ... ", kommentierte Aljin das Wimmern und legte dann die Haare ebenfalls in Salems Hand. "Gefunden."
    "Dann müssen wir daraus nur noch einen Sud brauen", meinte Esme.

    Aljin wippte ungeduldig mit ihrem Fuß auf und ab und verschränkte genervt ihre Arme. Die Welt hatte sich in den letzten 500 Jahren kein bisschen verändert. Warum anderen auch einfach mal entgegenkommen? Sie hatten höflich nachgefragt, aber wie es schien, kamen sie an dieser Stelle mit Höflichkeiten einfach nicht weiter und Aljin verstand, dass Salem nicht darauf erpicht war, Freundlichkeiten auszutauschen und dabei auf taube Ohren zu stoßen. Seine Reaktion überraschte sie also nicht sonderlich.
    War es eigentlich sehr eigensinnig, was sie hier taten? Immerhin ging es nur um Salems Arm und keinesfalls darum, irgendeiner Stadt zu helfen. Was hatten die je für sie getan, dass es die Schinderei wert wäre?
    Aljin zuckte die Schultern. Sie hatten es versucht.
    "Jetzt steht hier nicht herum als hätte man euch in Stein gemeißelt", mischte sie sich ein. Unbeeindruckt von den Soldaten, die um sie herumstanden, trat sie an den Stadthalter heran und positionierte sich neben Salem. Nicht jedoch, ohne den nötigen Abstand zu dem Feuermagier zu wahren. "So viel Aufstand wegen einem Klumpen Silber", knirschte sie mit den Zähnen. Wütend funkelte sie den Mann vor sich an, der aussah, als würde er schon sein ganzes Leben im Luxus leben. Entfernt erinnerte sie dieser Fettberg an ihren alten Sultan. "Wir hatten vor, die Sache für beide Seiten friedlich zu klären. Wir hätten auch einfach in die Stadt kommen, dem erstbesten Soldaten um seine Habe erleichtern und wieder verschwinden können, aber wir haben uns für den friedlichen Weg entschieden, also erwarte ich von Euch ein Entgegenkommen!"
    Aljin war erstaunt, dass der Kerl mit der großen Fresse sie tatsächlich hatte ausreden lassen. Ein Magier, der mit Feuer in den Händen vor ihm stand, schien ihn deutlich einzuschüchtern. Dennoch wandelte sich der Ausdruck in seinen Augen keinesfalls zu ihren Gunsten.
    Ein überhebliches Lachen verklang seiner Kehle.
    "Ich habe keine Angst vor euch." Er zischte und schnippte mit seinen Fingern. Augenblicklich zogen die Soldaten, die sich zuvor nicht gezuckt hatten, ihre Waffen und richteten sie auf die kleine Gruppe. "Meine Männer sind gegen Angriffe von Magiern gerüstet." Ein widerliches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Ein Grinsen, das Aljin ihm am liebsten mit einem saftigen Schlag eingedrückt hätte. Stattdessen seufzte sie jedoch nur und gab so ihrem Zorn ein anderes Ventil.
    "Tja, ich habe es versucht." Mit diesen Worten zuckte sie die Schultern und ließ dann Salem den Vortritt, öffnete in der gleichen Bewegung aber auch ihr Sandglas. Sicher war sicher.
    "Idiot", warf sie dem Stadthalter noch mit einem frechen Grinsen an den Kopf.

    Aljin sah sich um, lehnte sich aber aufgrund von mangelnden Sitzgelegenheiten einfach gegen ein Regal, das jedoch reichlich unter ihrem Gewicht wegkippelte. Offensichtlich war der Holzschrank beinahe leer und als sie dich das Möbelstück genauer ansah, erkannte sie sogar, dass die Griffe fehlten, um die Schubladen zu öffnen. So schnell fielen ihr gar keine Worte ein, mit denen sie diese Situation beschreiben sollte. Was war das für ein Stadthalter, der leere Möbel ohne Griffe besaß? Da war ihre Lampe ja besser eingerichtet...
    Der Stadthalter wartete, bis es sich jeder von ihnen gemütlich gemacht hatte - mehr oder weniger. Esme blieb stehen, wo sie war, genauso wie Salem, während Jack auf dem Hocker Platz nahm. Erst wollte sich Aljin beschweren, dass der Kerl die scheinbar einzige Sitzmöglichkeit vor den Hintern der Frauen wegschnappte. Aber so lächerlich der große Mann auf dem kleinen Hocker aussah, entschied der Flaschengeist in ihr, dass es bequemer war, wenn sie einfach stehen blieb.
    "Unsere Stadt ist für ihr Silber bekannt", begann der alte Herr schließlich zu sprechen. "Und die Wirtschaft florierte. Aber Pugna, eine Nachbarstadt, wollte immer mehr und mehr und ich war gezwungen, ihnen immer mehr von dem Silber zu geben. Argentusia ist keine Kämpferstadt, im Gegensatz zu Pugna. Ich musste mir den Frieden erkaufen, ihnen geben, was sie wollten, damit sie es nicht mit Gewalt machen." Er ließ sich auf seinen klapprigen Stuhl fallen und strich sich durch das faltige Gesicht. Es fiel schwer sein Alter zu schätzen. Er konnte noch relativ jung sein, was seine schnelle Reizbarkeit vermuten ließ, aber irgendwas an ihm wirkte unglaublich verbraucht. "Ich habe den Zwergen zu viel zugemutet. Es war klar, dass es so weit kommt und gern würde ich ihnen mehr geben, aber dann würde für Pugna nicht mehr genug übrig bleiben." Er strich sich durch das Haar. "Aber das spielt wohl auch keine Rolle mehr. In den nächsten Tagen geht die letzte Lieferung nach Pugna ... dann war es das. Dann ist nichts mehr übrig."
    Aljin runzelte die Stirn. Sie wusste nicht so recht, ob sie mit diesem Spinner Mitleid empfinden, oder ob sie laut auflachen sollte. Es drehte sich immer alles um Reichtum. Ob Gold oder Silber schien egal zu sein, der Mensch strebte danach. Nachdenklich strich sie über die Armreife, die an ihren Handgelenken klimperten. Sicherlich war das Metall schön und wertvoll, aber die Gier danach hatte sie nie recht verstanden und das in all den Jahrhunderten, die sie nun schon lebte.
    "Habt Ihr nie daran gedacht, mit den Zwergen mal darüber zu sprechen?", warf sie in den Raum. "Weil zukünftig bekommt ihr auf jeden Fall in die Fresse, ob nun von dieser Stadt Pugna oder von den Zwergen." An ihrem Hals kroch Jaki ans Tageslicht und züngelte leicht in die Richtung des Stadthalters. "Statt an zwei Fronten zu kämpfen, würde es Argentusia vielleicht gut tun, sich mit einer der Seiten zu verbünden."
    "Niemand legt sich mit Pugna und ihren Magiern an", hielt der Stadthalter schwach dazwischen.

    "Toll, und jetzt?" Aljin warf die Arme in die Luft, als Salem und Jack ihr erzählten, was sie von dem Hauptmann der Stadtwache erfahren hatten. Die Zwerge befanden sich im Streik, weil sie ebenfalls etwas vom Kuchen abhaben wollten. Es war doch überall das Gleiche. Dem einen fiel das Geld in die Taschen, während die anderen nur dumm in die Röhre schauen konnten. "Ziehen wir weiter und hoffen, dass es in der nächsten Stadt besser aussieht, oder versuchen wir unser Glück bei den Zwergen direkt?"
    Sie saßen an einem der Tische einer Taverne. Vorerst wollten sie die Nacht hier verbringen und Aljin hatte die Gelegenheit genug, sich zu waschen und in neue Kleider zu hüllen.
    Zuerst blickte sie in ratlose Gesichter, dann war es Salem, der sich zuerst meldete.
    "Vermutlich sieht es in anderen Städten im Umkreis nicht besser aus. Wenn die Zwerge ihren Abbau eingestellt haben, gibt es auch hier nichts mehr, was sie weiterverkaufen können."
    Nachdenklich stütze Aljin ihren Kopf auf dem Tisch ab. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich um ihre eigenen Sorgen zu kümmern, aber mittlerweile stellte sie dieses Ziel hinten an. Sie wollte Salem wirklich helfen, aber nachdem, was sie von ihm und Jack über die Zwerge gehört hatte, waren die nicht unbedingt bester Laune. Und nach allem, was sie bisher über Zwerge gehört hatte, konnten diese verdammt stur sein.
    "Dann sollten wir es einfach mal direkt bei den Zwergen versuchen. Wenn die ihr Silber nicht mehr an die Stadt abgeben wollen, weil zu wenig für sie abfällt, dann vielleicht direkt an Käufer." Außerdem war es ein altes Volk, das selbst über eine Menge Wissen verfügte. Sie konnten ihr eventuell auch ein paar Fragen beantworten, was ihr eigenes Problem betraf. Dann müsste sie ihre eigenen Pläne vielleicht gar nicht hinten anstellen, sondern schlug zwei Fliegen mit einer Klappe.

    Unter der Führung von Esme kamen sie schnell voran und Aljin freute sich schon auf den Moment, wo ihre Füße endlich wieder richtigen Boden betraten und nicht mit jedem Schritt in einem Tümpel, einer Pfütze oder in stinkendem Matsch, von dem sie immer wieder hoffte, dass es nur Erde war, versanken. Zwar lag ihr nächstes Ziel erneut am Meer, aber immerhin nicht mehr in diesem ungemütlichen Schlammloch. Wie konnten Leute hier nur leben? Im Nachhinein konnte sie sich nicht mehr erklären, warum sie so scharf darauf gewesen war, einmal einen Sumpf zu sehen. Sie Luftfeuchtigkeit war kaum auszuhalten und es roch einfach nur ...
    Neben ihr tauchte aus heiterem Himmel ein halb versunkener Wiedergänger aus einem Schlammloch auf und schnappte mit seinen dürren Fingern nach ihren Füßen. Gerade rechtzeitig konnte sie noch zur Seite stolpern. Allerdings versank dabei ihr rechter Fuß in einem wässrigen Loch, weshalb sie mit einem schrillen Schrei der Länge nach im Matsch landete.
    Eine gefühlte Ewigkeit blieb sie so liegen, während sie alles und jeden verfluchte, der an ihrer momentanen Situation Schuld trug. Den Sultan eingeschlossen, der sie einst hintergangen hatte.
    "Geht es dir gut?", vernahm sie die Stimme der alten Hexe.
    "Ich ruh mich nur aus", knurrte Aljin, nachdem sie den Kopf gehoben hatte. Sie hockte sich zurück und wischte sich notdürftig den nassen Dreck aus dem Gesicht, von den Armen und behelfsmäßig von ihrer Kleidung. Sie wollte gar nicht wissen, wie sie nun aussah. Mit einer hübschen südländischen Tänzerin hatte sie jedenfalls nichts mehr gemein. "Verdammter Sumpf!"
    Auf der anderen Seite hatte sie nun einen guten Grund, sich neue Kleidung zu kaufen. Peinlich war es ihr dennoch.
    Sie ignorierte die Blicke der anderen und stampfte stur weiter und hielt erst wieder an, als sie eine gute Stunde später endlich den Rand des Sumpfes erreicht hatten.
    "Jetzt heißt es wohl Abschied nehmen, oder?", fragte Jack an Esme gewandt. Erst wollte Aljin protestieren, dass sie sich mit so etwas nicht die Zeit verschwenden sollten, allerdings interessierte sie die Antwort doch. Wenn die alte Hexe mit in die Stadt kam, dann wäre sie zumindest nicht die einzige, die man anstarren würde. Momentan sah sie immerhin fast mehr aus wie eine alte Kräuterhexe.

    Aljin hob eine Augenbraue, musterte den Wolf, musterte Salem, musterte dessen Arm.
    "Werwolfbiss...", grummelte sie vor sich hin, während sie sich umwandte und die Arme vor dem Körper verschränkte. "Das erklärt so einiges." Deshalb also lief sie sich die Füße in einem Sumpf dreckig.
    Ihr Mundwinkel zuckte für einen winzigen Moment nach oben. Ihre Gruppe war schon seltsam. Ein Magier, dessen Arm schlimmer aussah, als die Visagen der Wiedergänger und der einen Werwolfbiss einfach wegsteckte, als wäre es ganz normal. Ein Typ, der ganz offensichtlich für den genannten Werwolfbiss verantwortlich war und ein Flaschengeist, der seine Flasche nur nutzlos herumschleppen konnte. Von dieser seltsamen Hexe einmal abgesehen.
    Aljin strich über ihre Tasche, in der sich ihr wertvollster Besitz befand. Vielleicht würde auch sie irgendwann ihr kleines Geheimnis lüften, aber bis dahin, war es sicherlich interessant zu sehen, wohin sich die Sache noch entwickelte.