Beiträge von Voluptuous Mayday im Thema „Weird Tales (Thread zum Mitmachen)“

    Danke @Xarrot, @Cory Thain, @Chaos Rising, @Myrtana222 ^^

    @Xarrot Ich würde die skadilösen Bücher nicht mit einer Kurzgeschichte vergleichen :hmm: Die skadilösen Bücher schreibe ich runter, wie es mir in den Sinn kommt und achte gar nicht auf Spannungsbögen, Ausdruck und Charakterdarstellung. Muss ich zum Glück auch nicht (tun die Autorinnen ja meistens auch nicht :rofl: ).

    Auf jeden Fall merkt man, dass du dich in dem Künstler ... wesen? auskennst und weisst wovon du sprichst

    Ja, meine eigenen Erfahrungen waren in der Hinsicht von Vorteil. Das meinte ich btw. damit, als ich meinte, das Thema wäre für mich naheliegend :rofl:

    Der Selbsthass, den der Künstler so auf sein Bildnis projiziert, hat sogar etwas literarisches

    Sehr schön, das wollte ich erreichen ^^ Ich mag Geschichten, die man interpretieren und richtig auseinandernehmen kann :D Ich glaube, ich bin da etwas von Poe geprägt, hihi.

    Jedenfalls freut es mich, dass meine Geschichte gut ankommt :)

    Ich bin Anfänger, bitte seid lieb zu mir :saint:


    Selbstporträt

    Der vertraute Geruch von Leinöl und Terpentin liegt in der Luft und gräbt sich wie ein Egel durch meine Luftwege. In fleckigen Einmachgläsern stehen meine benutzten Pinsel. Der Fußboden ist mit schmutzigen Farbklecksen verdreckt, von denen aus meine eigenen Fußspuren wie die eines ungebetenen Gastes durch das Atelier führen. Der Raum ist hell und dennoch trostlos. Er ist das Zentrum meines Daseins, hier verbringe ich den Großteil meiner Lebenszeit.
    In einer Ecke des Raumes stehen dutzende Leinwände. Fertige Werke, die in keiner Galerie hängen und die kein Sammler erstanden hat. Inzwischen habe ich mich an den Anblick gewöhnt, mein beinahe ganzes künstlerisches Schaffen vor meiner Nase verstauben zu sehen. Es ist mir gleichgültig geworden, dass meine Bilder niemanden erreichen. Ich habe daher nicht mehr als einen flüchtigen Blick für sie übrig, während ich an ihnen vorbei gehe und vor meine Staffelei trete. Ein helles Tuch liegt darüber und verdeckt mein neustes Werk, damit kein Staub darauf liegen bleibt. Das Gebilde sieht aus, wie ein Gespenst.
    Als ich das Tuch herunterziehe, sieht mir mein eigenes Gesicht entgegen. Nun, nicht ganz. Es sind meine Augen. Es ist mein Mund. Die Stirn erkenne ich als meine wieder und genau so das Kinn. Jeder, der es betrachtet, wird es zweifelsfrei als mein Selbstporträt erkennen. Aber mir fehlt das ehrliche Lächeln, dass die Visage auf der Leinwand präsentiert. Neben der Staffelei steht ein kleiner Spiegel, den ich als Hilfsmittel bereitgestellt habe. Ich schaue hinein und versuche, den freundlichen Ausdruck meines gemalten Selbst zu imitieren. Dabei scheitere ich kläglich, denn meine Mimik sieht künstlich und erzwungen aus. 'Das letzte Geheimnis der Kunst wird denen immer verborgen bleiben, die die Wahrheit mehr lieben, als die Schönheit', Oscar Wilde. Das Zitat kommt mir spontan in den Sinn und ich wende mich vom Spiegel und der Staffelei ab.
    Obwohl ich keinen Hunger habe, gehe ich zurück zu meinem Zeichentisch, auf dem mein Mittagessen steht: Eine dünne Brühe, zusammengekocht aus ein paar Gemüseresten. Auf dem Weg durch den Raum passiere ich abermals die unverkauften Werke in der Ecke und abermals kann ich keine Enttäuschung empfinden. Desinteressiert stelle ich fest, dass meine Brühe dieselbe brackige, grünliche Färbung hat, wie die verfärbten Lösungsmittelreste in den Gläsern, in denen ich meine Pinsel gereinigt habe.
    Die Brühe ist dünn und geschmacklos. Nicht mal einen pelzigen Belag hinterlässt sie auf meiner Zunge und sie fließt meine Speiseröhre hinab, wie abgestandenes, lauwarmes Wasser. Löffel für Löffel nehme ich sie zu mir und komme mir dabei auf einmal ungewohnt merkwürdig vor. Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich zur Staffelei herüber und bemerke, dass mich mein gemaltes Pendant anstarrt. Immer noch lächelnd, hält es mich mit seinem Blick fixiert. Ich versuche, mich auf mein Essen zu konzentrieren. Doch die ganze Zeit über spüre ich die Blicke und komme mir beobachtet vor. Noch einmal sehe ich herüber, fast schon in der Erwartung, das Porträt würde wie ein Mensch unbeteiligt wegschauen. Aber nein. Dreist starrt es mich weiter an. In seinem Lächeln meine ich Spott herauszulesen. Spott über mein erbärmliches Mahl und über den offensichtlichen Beweis meines Misserfolges in jener zugestellten Ecke zwischen uns. Verstimmt lege ich meinen Löffel auf die Tischplatte. Hätte ich Appetit verspürt, wäre er mir nun vergangen.
    Während ich zum inzwischen dritten Mal das Atelier durchquere, bemerke ich, wie mich die Augen meines Bildes verfolgen. Mir ist bewusst, dass dieser Eindruck normal ist und auf genau die gleiche Weise bei jedem zweiten Werbeplakat eintritt, auf dem die abgebildete Person direkt in die Kamera sieht. Trotzdem fühle ich mich provoziert. Das Porträt scheint sich über mich lustig zu machen und zeigt offen seinen Hohn. Das dümmliche Lächeln verharrt wie in Stein gemeißelt in seinem Gesicht. Unweigerlich frage ich mich, ob sich mein gemaltes Ich über mein Versagen amüsiert, oder mich wegen meiner zum scheitern verurteilten Versuche auslacht. Allein das Wissen, dass es nur ein Gemälde ist, hält meine Emotionen im Zaum.
    Indem ich frische Farben mische, versuche ich mich auf meine bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Einige letzte Details müssen dem Porträt hinzugefügt werden, bevor es in der Ecke zwischen den anderen unbeachteten Bildern landet. Selbst jetzt fühle ich mich beobachtet. Viele Minuten lang kann ich den Drang unterdrücken, mich zur Staffelei umzudrehen. Schließlich halte ich es nicht mehr aus. Zwar sehe ich das Bild dieses Mal aus einem schrägen Winkel, nichtsdestotrotz trifft mich der Blick tief ins Mark. Mit der einen Gesichtshälfte schaut mich mein Bildnis an, mit der anderen deutet es auf die Ecke mit den ungewollten Gemälden. Es ist, als würde es mir damit etwas sagen wollen: 'Auch dieses Bild wird dort landen. Dieses und jedes weitere'.
    Ich muss schlucken, weil ich weiß, dass es Recht hat.
    Mit meinen Farben gehe ich zurück zur Staffelei und lege meine vorbereitete Palette auf dem Hocker ab, auf dem auch der kleine Spiegel steht. Dann hole ich mir einen Überblick über das, was ich an dem Porträt noch ergänzen muss. Ich will es nicht und wehre mich dagegen. Schlussendlich sehe ich dem Bild doch in die Augen. Es ist wie ein Zwang, in die Pupillen aus Farbe zu starren. Ich will mich losreißen, kann es aber nicht. Mein irrationaler Verstand sucht darin Antworten und Emotionen, wo nichts sein kann. 'Was willst du von mir?', will er wissen. 'Was ist dein Problem?', konfrontiert er meinen leblosen Gegenüber. Niemand antwortet. Wie auch? Trotzdem werde ich wütend. Ich spüre den Druck in meiner Brust und die Hitze in meinen Wangen. Für wen hält er sich, mich mit seinen Blicken zu verspotten? Und dieses Lächeln. Dieses unveränderliche, permanente Lächeln. Es beleidigt mich. Es verhöhnt mich! Mich übermannt die Wut und ich hole aus. Ich will ihm das Grinsen aus dem Gesicht schlagen, doch stattdessen schaben meine Fingernägel die Farbe von der Leinwand. Wo eben noch hochgezogene Mundwinkel und amüsierte Lachfältchen zu sehen waren, prangt nun ein verschmierter Streifen aus Braun, Beige und Rosa.
    Ich fühle mich nicht besser. Im Gegenteil. Die Farbe an meinen Fingern ist kalt schmierig. Mir kommt sie allerdings warm vor und feucht. Eine brennende Übelkeit klettert wie mit tausend spitzen Widerhaken an den Füßen das Innere meines Halses hinauf. Meine Vernunft schreit vergeblich, es sei nur Farbe, die mir an den Händen klebt. Der Rest meines Verstands übertönt ihn mit seinem Gebrüll, und macht Blut und Gewebe daraus.
    Erschrocken schaue ich auf. Sogleich werde ich wieder wütend, denn auch wenn dem Widerling die Lippen fehlen, so zeugt der Rest seines Gesichts von dem hämischen Lächeln: Die Augenbrauen freudig hochgezogen, Lachfalten in den Augenwinkeln und eine angehobene Nasenspitze. Das Würgegefühl in meinem Brustkorb verschwindet augenblicklich und wird durch rasenden Zorn ersetzt. Wie kann er es wagen, mich noch immer auszulachen? Plötzlich existiert in mir der Entschluss, dieses abartige Gesicht ein für alle mal aus der Welt zu schaffen. Ich kann nicht erklären, woher diese Entschlossenheit plötzlich kommt und welcher Teil meines Körpers sie aus dem nichts ausgespuckt hat. Im nächsten Moment spüre ich das Metall eines Terpentinkanisters in meiner Hand. Ich drehe den Verschluss auf und lasse ihn achtlos auf den Boden fallen. Dann hole ich aus und verteile den ganzen Inhalt über die Wangen, über die Augen, die Nase und Haar. Von oben bis unten trieft das verhasste Antlitz in Terpentin und auf dem Fußboden bilden sich dunkle, feuchte Flecken. Wie von selbst halten meine Finger plötzlich ein Feuerzeug. Das Zündrad krächzt zwei Mal. Eine Flamme züngelt empor und ich halte sie ohne zu zögern an das in Terpentin getränkte Gesicht. Im nächsten Moment fühle ich die Hitze des Feuers, das sich unbarmherzig durch die vertrauten Gesichtszüge frisst. Gierig leckt es die Terpentintropfen vom Kinn und jagt als Stichflamme über die Haut nach oben, ergreift von den Wangenknochen Besitz und ich verspüre Genugtuung, als sie über den Nasenrücken hinweg nach den Augen giert. Diese verfluchten Augen! Niemals wieder werden sie mich verurteilen können, triumphieren meine Gedanken, während mein Porträt stumm und unversehrt zusieht.