Beiträge von Tariq im Thema „Weird Tales (Thread zum Mitmachen)“

    Hallo, Der Wanderer

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    So liest sich das beim ersten Mal sehr gruselig (und bleibt es auch)

    Das nehm ich mal als Kompliment, danke. ^^ So sollte es auch wirken.

    aber danach habe ich mehr Fragen als Antworten.

    Dass das passieren wird bei dem einen oder anderen Leser, war mir schon klar, als ich den Punkt hinter dem letzten Satz setzte. :rofl: Kurz überlegte ich, weiterzuschreiben, hab mich aber dann dagegen entschieden. Es ist eine Kurzgeschichte und sie enstand aus einem einzigen vorgegebenen Satz, auf den ich auf der Suche nach Ideen gestoßen bin. Ich mochte deshalb den Gedanken, den Leser am Ende mit seinen Fragen alleinlassen. Oder ihn zu einer Forsetzung animieren. =O

    Und: ICH sage vielen Dank, für's Lesen nämlich :thumbsup:

    Es ist Oktober! herbst-blaetter-smilie_025.gifDer spooky Monat! halloween-smiley-71.gif

    Zeit für neue "Weird Tales"! Und ich würde deshalb mal eine neue Kurz-Story hier abladen. :evil:
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    Zoe

    „Und deshalb, bitte: Wenn Sie unsere Tochter bei sich haben, geben Sie sie uns zurück. Die Bitte kommt aus den unendlich verzweifelten Herzen ihrer Eltern. Haben Sie Mitleid, lassen Sie unsere Zoe frei. Wir vermissen sie und wollen sie wieder bei uns haben. Geben Sie uns unser Kind zurück. Bitte ...“
    Der Satz endet mit einem Schluchzen und dann bricht die Stimme. Zitternd krallen sich die Finger der weinenden Frau in ein weißes Taschentuch.
    Ihr Mann zieht sie sanft zur Seite. Weg vom Mikrofon, von den laufenden Kameras, von den neugierigen Augen der Reporter. Er legt den Arm um ihre bebenden Schultern und murmelt beruhigende Worte neben ihrem Ohr.
    An dem Platz, an dem die Frau bis eben stand, hat sich ein Kriminalbeamter aufgebaut.
    „Wir bitten die Bevölkerung dringend um Mithilfe“, verkündet er. „Die zehnjährige Zoe Gerber wird seit drei Tagen vermisst. Zuletzt hielt sie sich mittags an der Haltestelle des Schulbusses am Kirchhof auf. Wenn Sie das Mädchen später noch gesehen oder verdächtige Aktivitäten bemerkt haben, wenden Sie sich bitte umgehend an die nächste Polizeidienststelle. Die Beschreibung des Kindes ist online unter http://www.missedchildren-zoe.com einzusehen. Jeder kleine Hinweis ist wichtig. Helfen Sie uns, das Mädchen zu finden. Vielen Dank.“
    Der Mann tritt zurück. Murmelnd packt die Reportermeute ihr Equipment zusammen und verstaut es in den Fahrzeugen der Sender.

    „Wie oft willst du dir das noch anschauen, Monika?“
    Die Stimme, die das gesagt hat, lässt eine schlecht verhohlene Ungeduld und auch Unverständnis erkennen.
    Monika Gerber, die auf dem Sofa sitzt, drückt die Pausentaste auf der Fernbedienung und wendet sich um. „Ich weiß es nicht, Hartmut“, antwortet sie leise. „Aber heute musste ich einfach ...“ Sie hebt den Kopf und schaut ihn an. „Morgen wird -“
    „Ich weiß!“ Die zwei Worte zerschneiden das, was Monika Gerber sagen will, wie ein scharfes Schwert. Gleich darauf seufzt ihr Mann. „Ich weiß, dass Zoe morgen für tot erklärt wird. Tut mir leid, Schatz, ich wollte dich nicht anschreien.“
    Sie nickt. Wie damals auf der Pressekonferenz kneten ihre Hände ein weißes Taschentuch. „Fünfzehn Jahre und mir ist, als wäre es gestern gewesen. Ich denke jeden Tag daran. Und die Schuldgefühle schlagen dann über meinem Kopf zusammen wie eine große Woge.“
    „Hör auf, dich zu quälen. Wir waren uns doch einig, nicht mehr darüber zu sprechen. Den Tag morgen überstehen wir auch noch und dann lassen wir sie in Frieden ruhen. Also gönn auch dir endlich Frieden. Wenn es dir hilft, gehen wir morgen zusammen zur Bushaltestelle zum Gedenkstein.“
    Monika Gerber nickt.
    Das Telefon klingelt. Hartmut hebt ab, lauscht kurz und reicht den Hörer seiner Frau. „Deine Mutter“, meint er leise.
    Monika erhebt sich und geht mit dem Telefon in die Küche.
    „Hallo, Mama“, hört er noch, dann schließt sie die Tür. Er vermutet, dass seine Frau wieder weinen wird. Ihre Mutter ruft jedes Jahr am Tag von Zoes Verschwinden an und versucht zu trösten. Und natürlich weiß sie auch, was für morgen ansteht.
    Er selbst benötigt keinen Trost. Die Worte des Predigers haben ihm damals gereicht und er hat Frieden finden können. Doch Monika fühlt sich schlecht, das weiß er. Diese verdammte Pressekonferenz hat ihren Zusammenbruch zur Folge gehabt, obwohl sie vorher so stark und gefasst gewesen ist und ihre kurze Rede wirklich gut über die Bühne gebracht hat. Und sie erholt sich nicht davon. Bei den kleinsten Gelegenheiten kommen die Erinnerungen an den letzten Tag mit Zoe mit voller Wucht und werfen sie buchstäblich zu Boden. So wie heute.
    Seine Frau tritt aus der Küche, ein gequältes Lächeln auf den Lippen. „Sie hat es kurz gemacht diesmal“, meint sie entschuldigend, „wahrscheinlich, weil sie selber geweint hat.“
    Er nickt. Seine Schwiegermutter ist Monikas Fels gewesen in der Zeit nach der Pressekonferenz.
    Das Telefon klingelt erneut. Er zieht fast verärgert die Brauen zusammen. Noch jemand, der ihnen mitteilen will, wie sehr er mit ihnen fühlt? Das kann keiner. Niemand ist in der Lage, auch nur zu ahnen, was er empfindet. Und was er damals empfunden hat, in den Tagen, als Zoe noch bei ihnen gewesen ist.
    Mit einer raschen Bewegung bedeutet er Monika, sitzenzubleiben, und geht mit steifen Schritten zum Telefon.
    „Gerber“, meldet er sich knapp.
    Es rauscht in der Leitung.
    „Wer ist da?“, verlangt er zu wissen.
    „Hier ist Zoe.“
    Er fährt zusammen. „Das ist ein schlechter Scherz“, zischt er mit mühsam unterdrückter Wut in der Stimme und die Knöchel der Hand, die den Telefonhörer hält, werden weiß, so fest krampfen sich seine Finger darum. „Und ich verbitte mir diese Geschmacklosigkeit! Zeigen Sie gefälligst etwas Respekt! Unsere Tochter wird morgen für tot erklärt.“
    „Hier ist Zoe.“
    „Hören Sie auf damit!“, schreit Hartmut in den Apparat. „Unsere Tochter hieß Zoe, das ist richtig. Aber so haben wir sie nie genannt. Also: wie war Zoes Kosename?“
    Eine Weile bleibt es still am anderen Ende.
    „Hier ist Zozo.“
    Der Hörer poltert zu Boden. Mit schreckensbleichem Gesicht starrt Hartmut Gerber seine Frau an.
    „Was ist?“, fragt sie verständnislos. „Wer war das?“

    Zwei Minuten später sitzen beide im Auto. In wahnwitzigem Tempo setzt Hartmut rückwärts aus der Garageneinfahrt und lässt dann den Wagen mit kreischenden Reifen davonschießen. Die Fahrt durch die abendliche Stadt scheint kein Ende zu nehmen. Irgendwann bleiben die letzten Häuser der Vorstadt hinter ihnen zurück und das Auto verlässt ein paar Kilometer weiter die Hauptstraße.
    Sie sprechen kein Wort miteinander. Stumm starren sie durch die Frontscheibe, während Hartmut den Wagen über den halb zugewachsenen Waldweg quält. Auf einer winzigen Lichtung hält er, schaltet den Motor ab und sieht Monika kurz an, bevor er die Fahrertür öffnet und aussteigt.
    Die letzten Meter gehen sie zu Fuß. Nebeneinander, Hand in Hand, erreichen sie die Stelle, an der sie vor fünfzehn Jahren ihre Tochter getötet und begraben haben.

    Uuuuh, wie fies ^^

    Das eigentliche Monster lag also im Bett im Elternschlafzimmer. :rofl:

    Muss eine herbe Überraschung gewesen sein, als sich der gedungene und im Schrank eingeschmuggelte, schleimende Assassine plötzlich gegen einen wendet, weil ein anderer Auftraggeber mehr Durchsetzungsvermögen hatte. Sehr schön, danke für den kurzweiligen Lesespaß.

    Es ist wieder Oktober und ich hätte einen Betrag zum Thread. Vielleicht findet sich ja noch jemand? ^^


    Die Jagd

    Ein Knacken kündigte es an.

    Er schloss die Augen, um sich ganz auf sein Gehör zu konzentrieren. Vögel zwitscherten und in den Baumkronen säuselte der Wind. Fast glaubte er, sich geirrt zu haben, da vernahm er es wieder. Schlurfen und Rascheln.

    Es kam.

    Seine schweißfeuchten Hände umklammerten Griff und Lauf der Schrotflinte fester. Ruhig, ermahnte er sich, warte, bis es da ist. Übereile nichts!

    Seine Augen tränten, weil er so angestrengt in die Richtung starrte, aus der er das Geräusch gehört hatte. Dieselbe Stelle wie beim letzten Mal. Hier war es gewesen, als er es erstmals erblickt hatte.

    Eine seiner Fallen war ausgelöst worden und er hatte sie wieder aufstellen müssen. Über die Schlinge gebeugt war er erst aufmerksam geworden, als der Wald plötzlich geschwiegen hatte. Er erinnerte sich, alarmiert aufgesehen und sich umgeblickt zu haben.

    Und da war es gewesen.

    Später hätte er nicht mehr sagen können, was er bei dem Anblick empfunden hatte, doch ihm war jede Sekunde und jedes Detail davon im Gedächtnis geblieben:

    Wie paralysiert hockte er über die Falle gebeugt, den Kopf halb nach hinten gewendet, um über die Schulter sehen zu können, und die Hände mit der Drahtschlinge regungslos in der Luft verharrend. Die Augen waren weit aufgerissen und auch sein Mund hatte offen gestanden, während sein Herz vor Aufregung wie rasend hämmerte.

    Nie zuvor war ihm etwas Derartiges vor Augen gekommen. Etwa zwanzig Meter seitlich hinter ihm stand ein Wesen. Kein Mensch, das konnte er auf den ersten Blick sehen. Es war zu groß und hatte Beine, dick wie Baumstämme und mit Rinde umkleidet. Nicht nur sie – den ganzen Körper bedeckte raue, braune Borke, teilweise bewachsen mit dunkelgrünem Moos. Und überall sprossen dünne Zweige heraus, die junge, zartgrüne Blätter trugen.

    Jetzt bewegte sich das Baumwesen. Schwerfällig bückte es sich und sank auf die Knie. Es hatte ihn nicht bemerkt und wenn doch, schenkte es ihm keinen Blick.

    Sein Hals begann zu schmerzen von der unbequemen Haltung, denn er wagte nicht, sich zu bewegen und konnte die Augen doch nicht abwenden. Wie festgeklebt verfolgten sie das Tun des lebendigen Baumes. Gebannt beobachtete er, wie dieser langsam seine Hände hob und sie über etwas im Gras breitete. Eine Weile geschah nichts, dann öffneten sich in der rindenbedeckten Brust des Wesens schmale Risse, durch die ein sanftes, hellgrünes Leuchten nach draußen drang. Es wurde größer und wanderte über dessen Schultern und Arme abwärts, bis es die Handflächen erreichte und von dort aus auf die Wiese übersprang.

    Nein, nicht die ganze Wiese, sondern nur auf eine verwelkte Pflanze. Einen kleinen Busch, dessen Zweige verdorrt und dessen Blätter braun oder bereits abgefallen waren. Und unter dem leuchtenden, grünlichen Schimmer sprossen helle Spitzen aus den dürren Ästchen, die sich zu kräftigen Knospen vergrößerten. Sekunden später entfalteten sich junge Blätter, deren helles Grün in das dunkle des Sommerlaubs wechselte. Der kleine, tote Busch war zu neuem Leben erwacht.

    Er konnte das sattgrün schimmernde Leuchten in der borkenbedeckten Brust des Baumwesens noch immer sehen, doch mit jeder Sekunde wurde es matter und verschwand schließlich hinter den sich wieder schließenden Rissen.

    Der lebendige Baum erhob sich langsam, wandte den Kopf und sah genau in seine Richtung. Ihre Blicke trafen einander und keiner rührte sich. Große, braungrüne Augen musterten ihn und er empfand keine Furcht, weil in ihnen eine nie vorher gesehene Sanftheit lag. Noch einen Augenblick währte der Moment, dann drehte sich das Baumwesen um und stampfte auf seinen stammartigen Beinen in den Wald zurück.

    Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis er sich wieder rühren konnte. Zu unglaublich war, was er da gesehen hatte. Dieses … Ding hatte etwas Totes lebendig gemacht! Mit etwas, das es in seiner Brust trug. Es konnte Leben schenken!

    Seit dieser Begegnung hatte ihn ein Gedanke nicht mehr losgelassen: Er musste es haben! Das Herz dieses Wesens, dieses grüne Leuchten wollte er unbedingt besitzen. Es würde ihm unsagbare Macht verleihen. Wie viel, das wagte er sich nicht vorzustellen. In Gedanken sah er schon Könige und Präsidenten an seine Tür klopfen. Er würde nie wieder Geldsorgen haben.

    Der Plan war schnell gefasst. Das lebensspendende Herz dieses Baumwesens würde ihm gehören. Ihm allein.

    Und er wusste auch schon, wie er es erlangen konnte.

    Heute Morgen war es so weit gewesen. Er hatte seine Schrotflinte aus dem Schrank genommen, war in den Wagen gestiegen und in den Wald gefahren. Mehr Vorbereitungen hatte es nicht gebraucht. Und nun stand er hier und starrte auf den kleinen Busch, den er umgeknickt, und auf den Trieb, den er aus dem weichen Waldboden gerissen hatte. Er wartete. Es war bereits Mittag, doch das störte ihn nicht. Als Jäger war er es gewohnt, viele Stunden im Ansitz auszuharren.

    Bewusst hatte er den Ort gewählt, an dem er seinem potentiellen Opfer damals staunend zugesehen hatte. Die winzige Lichtung. Dort drüben stand der kleine, ehemals tote Busch. Er strotzte vor Leben, trug eine Unzahl gesunder, kräftig grüner Blätter.

    Direkt daneben fand sich das Ergebnis seiner Zerstörung. Würde das Baumwesen kommen und auch diesen Schaden wieder gutmachen? Heilen, wo er getötet hatte? Leben schenken, wo keines mehr möglich war?

    Er bemerkte es erst, als es auf die Lichtung trat. Es blieb vor der herausgerissenen Pflanze stehen und er meinte, so etwas wie Trauer über das borkenbedeckte Gesicht huschen zu sehen. Wie erwartet bückte es sich und genau wie beim letzten Mal begann es unter der Rinde auf seiner Brust zwischen den sich öffnenden Rissen grün zu schimmern.

    Er hielt den Atem an. Sein Finger lag am Abzug, doch es war fast wie ein Zwang: Er musste es noch einmal sehen, dieses Wunder. Danach würde er schießen. Er hatte Zeit.

    Wie durch Zauberhand hob sich der abgeknickte Trieb des kleinen Busches. Die verwelkten Blätter erstarkten und wurden wieder frisch. Als das Wesen seine leuchtenden Hände zurücknahm, war die Pflanze gesund wie vorher.

    Der Zauber war vorüber.

    Langsam richtete er sich auf, die Finger fest um die Waffe geschlossen. Ein Zweig knackte unter seinen Füßen.

    Der lebende Baum hörte es und hob den Kopf. Wie beim letzten Mal trafen sich ihre Blicke, doch diesmal war etwas anders.

    Das Baumwesen erhob sich zögernd, die sanften, braungrünen Augen unverwandt auf ihn gerichtet. Argwohn sprach aus der Körperhaltung … Furcht. Wie in Zeitlupe trat es zwei Schritte zurück, einen dritten und noch einen, bis es sich umwandte und wie gehetzt davonstürzte.

    Einen Fluch ausstoßend jagte er ihm nach. Die Gelegenheit für einen sicheren Schuss hatte er verpasst und es war fraglich, ob er eine zweite erhielt. Wie konnte sich dieses plumpe, stämmige Ding so gewandt bewegen? Ihm zu folgen erwies sich als schwierig. Es hatte die gleiche Färbung und Musterung wie die Bäume und rannte in einem Tempo, das ein Aufholen unmöglich machte.

    Der Wald wurde dichter. Zweige streiften sein Gesicht und er musste während seiner Hetzjagd die Waffe mit einer Hand halten und mit der zweiten den Weg freimachen. Manchmal verlor er sein Opfer kurz aus dem Blick, dann sah er es wieder zwischen den Stämmen rennen.

    Ein Ruck an seinem Fuß ließ ihn straucheln. Verdammte Brombeerranken! Sie wurden immer dichter und ihre winzigen Dornen hängten sich an seine Jeans. Er hatte die Stiefel heute nicht angezogen, das rächte sich jetzt. An denen hätte das Grünzeugs keinen Halt gefunden!

    Eine neue Ranke brachte ihn nicht nur ins Straucheln, sondern ließ ihn stürzen. Heftiges Brennen im Gesicht und an der freien Hand verriet, dass er sich etliche Kratzer dabei zugezogen hatte.

    Erneut fluchend wollte er sich aufrappeln. Doch es schien, als würden die Ranken ihn festhalten. So sehr er sich mühte, sie von den Hosenbeinen zu lösen – sie widerstanden, zogen sich nur noch fester zusammen. Ein starker Druck auf der Brust ließ ihn an sich hinabsehen. Neue Triebe hatten den Weg unter seinen Armen hindurch gefunden und wanden sich langsam, aber unerbittlich um seine Allwetterjacke. Sie wurden stärker, wuchsen auf die Dicke von Fingern und verzweigten sich dabei.

    Als er jetzt auch Brennen an seinem Hals wahrnahm, packte ihn das Grauen. Was passierte hier? Dieses Grünzeug fesselte ihn! Er spürte, wie es an seiner Kleidung zerrte, hörte die Dornen über den derben Stoff kratzen. Der Trieb, der seinen Hals umschlang, zog ihn unerbittlich zu Boden und alle anderen Ranken strafften sich ebenfalls. Inzwischen lag er wie ein Käfer auf dem Rücken und konnte sich kaum mehr bewegen. Längst hatte er die Waffe losgelassen und seine Rechte tastete fahrig nach dem Jagdmesser, das er immer im Stiefel trug. Heute war es nicht dort, sondern in seiner Lederscheide am Gürtel.

    Etwas kratzte über seine suchende Hand und er zischte schmerzerfüllt, um gleich darauf ungläubig die Augen aufzureißen. In seinem Blickfeld erschien eine fingerdicke Brombeerranke, die sich um seinen Messergriff gewunden hatte. Fast triumphierend hielt sie ihm die Waffe vor das Gesicht, die gleich darauf unter unzähligen weiteren wie aus dem nichts hervorschießenden Ranken verschwand. Er hörte das Brechen des Holzgriffes …

    Längst hatte er angefangen zu schreien. Die Dornenranken hatten seinen Kopf umwickelt und fixierten ihn am Boden, zerrten ihn förmlich in den weichen Waldgrund. Er konnte ihn nicht mehr bewegen. Auch seine Brust war so zusammengeschnürt, dass er kaum noch zu atmen vermochte. Wie zum Hohn tauchte jetzt die von dornenbesetzten Trieben umschlungene Schrotflinte in seinem Sichtfeld auf. Aus fingerdicken Ranken wurden armstarke, die die Waffe erst verbogen und dann wie ein Streichholz in der Mitte knickten. Brombeerblätter huschten über sein Gesicht, während die Dornen sich noch straffer zogen und dabei blutige Striemen auf seiner Haut hinterließen. Er kniff gepeinigt die Augen zu.

    Immer fester wurde sein Körper auf den Boden gepresst, immer weicher wurde der Grund unter ihm. Sein anfangs entsetztes Kreischen erstarb und nur noch ab und zu hallte ein ersticktes, gekeuchtes Brüllen durch den sonst totenstillen Forst. Kühle Erde schmiegte sich an seine Wangen, feuchtes Moos an die Schläfen. Als die ersten Krumen Waldboden in seinen Mund drangen, verstummte seine Schreie. Noch einmal riss er die Augen auf und sein panischer Blick hetzte zwischen den Baumkronen umher. Es wirkte, als würden die Bäume um ihn herumstehen und schweigend zusehen, wie er für sein frevelhaftes Verhalten bestraft wurde.

    Seine Augenlider zwinkerten gegen die Erdbrocken an, die auf sie herabrieselten. Immer kleiner wurde der Bereich, den er noch sehen konnte. Das Letzte, was er wahrnahm, war ein rindenbedecktes Gesicht, das sich über ihn beugte, mit sanften, braungrünen Augen, in denen eine unendliche Trauer lag.

    Inspirationsquelle: YouTube

    @Myrtana222

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    Gänsehautmachende Geschichte, Myrti!! Dass der Junge seltsam ist, dringt dabei aus jeder Pore des Textes. Ich hatte erst auf einen Autisten oder so getippt. :hmm:
    Aber es ist ja noch viel schlimmer. Ein Kind, das man wegsperren muss. Doch, ich habe schon verstanden, dass Jimmy die Löcher in die Wand gekratzt hat, um Schwester und vor allem Mutter zu sehen. Aber erst, als er sein Frühstück abgelehnt hat. Da hatte ich mich gewundert, warum die Kinder wohl in einem anderen Raum sitzen. Und warum er sein Essen kleingeschnitten braucht ...
    Bei der Stelle, die Rainbow angemerkt hat, habe ich auch gedacht, er steht am Bett der Mutter oder zumindest in der Tür. Hat er sein Zimmer da verlassen? Sie schickt ihn ja zurück in sein Zimmer.
    Auch der Schluss ist zwar sehr dramatisch und hektisch, lässt mich aber mit Fragezeichen zurück. Hat er durch ein Loch in der Wand gegriffen und seine Schwester am Arm gepackt? Wenn ja - warum?
    Auch schreibst du am Anfang, dass die Mutter weiß, dass er mit seinem Verhalten (Löcher in die Wände machen) nur nach Aufmerksamkeit sucht und alles nur schlimmer werden würde, wenn er durch sein Verhalten mit Aufmerksamkeit belohnt würde. So ziemlich am Schluss aber schreibst du, dass er die Löcher gemacht hat, um seine Mutter zu beobachten.
    Naja, vielleicht bin ich auch zu pingelig. Rundum war die Geschichte mal echt weird, und ich find sie wirklich beklemmend. Gerne mehr von der Art, Myrti! :thumbup:

    @Xarrot

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    Also der Like ist ... für ... also für den leicht lesbaren und gut erfassbaren Text, die klar ersichtliche Botschaft und die leicht verständlichen Dialoge ... NICHT!
    Der Like ist für eine geniale Aneinanderreihung von Wörtern, die (für mich) keinen Sinn ergeben und den Leser sich wahrscheinlich fragen lassen, ob er vielleicht einen Sprung in der Schüssel hat. :rofl:
    Und der Like ist für deinen Schreibstil. Und den Mut, dich an sowas ranzuwagen. Das aufzuschreiben.
    Ich hab keine Ahnung, worum es da ging. Aber es war toll zu lesen. Von daher - Like!! :thumbup:

    Ach und danke für deinen netten Worte zu meiner Geschichte. Der Junge (und die dazugehörige schwarzgekleidete Dame) gehören zur gehobenen Gesellschaftsschicht und sind wahrscheinlich einem Buch aus der von dir geschätzten Zeit entsprungen. So genau werden wir das wohl nie erfahren. :rofl:

    So, zu später (oder früher?) Stunde, also genauer gesagt zur Geisterstunde ist mir auch noch eine kurze Geschichte für diesen Thread eingefallen. Nicht groß überarbeitet, nicht ausgefeilt. Einfach nur so.

    Die Putzfrau

    Sie hörte den Lärm schon, als sie die Treppe heraufstieg. Jedes Mal dasselbe. Und Tim war natürlich wieder der Lauteste. Hatte der Junge denn gar kein Benehmen? Er war immer so ruppig. Nicht wirklich böse, aber manchmal einfach ein wenig gefühllos. Die Mädchen konnten ein Lied davon singen. Wenn er es gar zu schlimm trieb, rannten sie zu der alten Blumenfrau oder zum Knochenkarl. Bei den beiden traute sich Tim nicht, die große Klappe zu haben.
    Sie hatte den oberen Treppenabsatz erreicht und bog nach rechts ab. Am Ende des Ganges lag die kleine Kammer, in der sie ihr Putzzeug aufbewahrte. Das versprach heute wieder anstrengend zu werden. Mit dem Besen unter dem Arm und dem langen Staubwedel und ihrer Tasche in den Händen, gab sie der Tür zur Besenkammer einen Fußtritt und hörte sie ins Schloss fallen. Seufzend lief sie zurück und setzte ihre Sachen ab. Als sie die breite Doppeltür öffnete, brandete ihr der Lärm wie eine Welle entgegen.
    „Guten Morgen!“ Ihr Gruß verhallte, chancenlos, gehört zu werden. Er ging einfach im Füßetrappeln und Poltern unter.
    „Guten Morgen, Brigitte.“ Das kleine Mädchen im geblümten Kleidchen mit schneeweißer Schürze darüber, das jetzt mit auf den Rücken gelegten Händen neben ihr stand, lächelte sie schüchtern an. „Darf ich dir wieder helfen?“
    „Aber ja, Liebes“, gab sie lächelnd zurück und holte einen Staublappen aus der Tasche ihrer geblümten Schürze. „Wie letzte Woche, Emma?“
    Eifrig nickte die Kleine und nahm ihr den Lappen ab. „Wie letzte Woche.“ Und damit rannte sie zu einem der großen Fenster und begann, die Fensterbank abzuwischen.
    Neben Brigitte kamen zwei Jungen schlitternd zum Stehen. Sie rangelten um den Platz direkt vor ihr. „Ich bin heute dran mit kehren!“, knurrte der eine und schob den anderen mit dem Ellenbogen zurück.
    „Ich muss doch sehr bitten“, protestierte der andere. „Diese Aufgabe fällt am heutigen Tage mir zu.“
    „Adrian, du sollst dich doch nicht mit dem Jungen abgeben!“ Eine Dame mit einem strengen Dutt und Goldrandbrille, die in einem bodenlangen und hochgeschlossenen schwarzen Kleid steckte wie ein Schirm in seinem Futteral, war den Jungen gefolgt. Erbost nahm sie den zweiten am Arm beiseite. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass dieser Gossenbengel kein Umgang für dich ist? Und du machst dich ganz schmutzig. Schau dir deinen Anzug an!“ Sie begann, Stäubchen von seiner Schulter zu streichen.
    „Beim Klabautermann, du hässliche schwarze Bohnenstange, lass endlich den Jungen zufrieden! Er will doch nur helfen!“ Der Mann, der sich jetzt zu ihnen gesellte und dessen Worte der strengen Dame ein entrüstetes Schnaufen entlockt hatten, war abenteuerlich gekleidet und trug eine verwaschene blaue Schirmmütze. Seine Haare waren fettig und strähnig und die Haut braun und wettergegerbt. Er nahm eine kalte Pfeife aus dem Mundwinkel und stopfte sie in die Tasche seiner vielfach geflickten Weste. „So, Brigitte, denn will ich mal in die Takelage entern und die Positionslichter wieder zum Leuchten bringen.“
    Sie lachte, während sie aus der mitgebrachten Tasche zwei Glühbirnen hervorholte. „Danke, Piet, da muss ich nicht hochsteigen. Die Leiter ist hinten an dem großen Bücherregal.“
    „Keine Sorge, Mädchen“, grinste er mit zahnlosem Mund, während seine Augen in Lachfältchen verschwanden, „wär ja noch schöner, wenn wir jetzt schon Weibervolk in die Wanten ließen.“ Er tätschelte ihren Arm und trollte sich, um die Leiter zu holen.
    Noch mehr kamen, um ihre Hilfe anzubieten. Sogar Tim war dabei. Sie hatte nicht für jeden etwas zu tun, vertröstete dann auf übermorgen, wenn sie wieder hier sein würde.
    Eine Stunde später war die Arbeit getan. Alles war sauber, kein Stäubchen war mehr zu sehen. Die Stühle standen gerade ausgerichtet um die Tische, die Kissen in den plüschigen Sesseln waren aufgeschüttelt.
    Ein letzter Blick durch den Raum ließ sie zufrieden aufatmen. Noch immer herrschte ziemlicher Lärm, weil besonders die Kinder sich gegenseitig überschrien.
    Ein Blick auf die Armbanduhr zeigte ihr, dass nur noch fünf Minuten blieben. Es wurde höchste Zeit! Brigitte klatschte laut in die Hände.
    „So, Schluss für heute. Es ist fast neun, ihr Lieben. Die Bibliothek öffnet gleich. Jetzt herrscht wieder Ruhe hier! Also ab mit euch, hopp hopp zurück in eure Bücher.“