Beiträge von TiKa444 im Thema „Dunedin“

    Jerim trieb seinen Hengst durch das Tor. Der Rappe schnaubte und wieherte leise, er spürte die sehnigen Muskeln unter seinen Beinen arbeiten. Er würde ihm gut dienen. Nur leider nicht bis zum Schluss. Bald schon verfielen sie in einen schnellen Trab und dann in einen ausdauernden Galopp. Automatisch glich er die Bewegungen aus und hielt sich davon ab dem Pferd die Beine in den Bauch zu drücken. Eine schnellere Gangart würde ihn bloß vor dem Ziel ans Ende der Kräfte treiben. Und damit wäre niemandem gedient. Sie ritten den ganzem Tag lang. Wechselten immer wieder zwischen Schritt und Trab. Ein leichter Schweißfilm überzog das Fell der Tiere, doch ihr Atem ging regelmäßig. Erst am Abend stoppten sie am Rand eines Waldes und errichteten ein Behelfsmäßig es Lager. Cifer und Noal würden Holz sammeln. Alle außer ihm jagen. Und er, Jerim, würde bei den Pferden bleiben und sie bewachen.

    Serin strich allein durch den Wald. Das Mondlicht spielte auf dem Gras, irgendwo plätscherte Wasser. Er lauschte in den Wald hinein. Der Ruf eines Wolfes. Vielleicht auf der Jagd wie er. Doch er suchte etwas kleineres. Ein Kaninchen oder so. Etwas, dass sie schnell zubereiten konnten. Geräuschlos schlich er durch den Wald. Bis er ein rascheln aus einem Busch hörte. Er fuhr herum. Den Dolch gezückt. Doch da war nichts. Vorsichtig schlich er in die Richtung, aus der es gekommen war. Er schob Äste und Blätter zur Seite und stand am Rand einer Lichtung. In ihrer Mitte kniehte Lynn. Tastete mit den Händen über den Boden auf der Suche nach Spuren. Serin stockte der Atem. Sie sah so schön aus. Einen Moment überlegte er wieder sich davon zu schleichen, um sie nicht denken zu lassen er wäre ihr gefolgt, doch dann wandte sie sich um und sah ihm in die Augen. Er trat auf die Lichtung, sie erhob sich. Ihre Haare glänzten im Mondlicht. Zwischen ihnen lag eine Spannung, so stark, das man sie mit den Händen zu fassen glaubte. Sie taten noch einen Schritt aufeinander zu und standen nah beieinander. Keiner sprach ein Wort. Serin atmete aus und dann trafen sich ihre Lippen. Einen Moment lang schien die Welt zu explodieren. Serin umfasste ihre Hüften, drückte sie an sich. In seinem Kopf war kein Platz für Gedanken, oder Zweifel. Nur für sie. Einen Moment lang gab es nichts in seinem Universum, außer sie. Dann spürte er plötzlich einen Schmerz an der Schulter.

    Reflexartig stieß er sie von sich, brachte sie aus der Schusslinie. Zog einen der viel zu schweren Silberdolche und warf. Ein Aufschrei, dann kippte eine Gestalt in weißem Mantel aus dem Gebüsch und blieb bewegungslos liegen. Serin verharrte, lauschte, doch es schien der einzige. Dann fiel ihm der Schmerz an der Schulter wieder ein. Schnell betastete er die Haut und atmete erleichtert auf. Nur ein flacher Schnitt. Er wollte schon die Hand runter nehmen und nachsehen wer der Tote war, doch dann taumelte er. Seine Sicht verschwamm. "Gift", dachte er entsetzt. Es war Gift. Es hatte ihn nur gestreift. Vielleicht nicht genug zum töten. Doch tödlich oder nicht, er verlor den Boden unter den Füßen. Fiel. Die Welt wurde schwarz. Das letzte was er spürte bevor er das Bewusstsein verlor, war das weiche Gras unter seinem Rücken. Das letzte was er hörte war Lynn's Stimme, die seinen Namen rief.

    -->Wildnis

    "Ein Spaß", dachte Jerim zweifelnd und betrachtete das Schwert in seinen Händen. Thorans Schwert. Es war leichter als es aussah. Er warf seinem Freund einen Blick zu. Er schien wie tot. Er hätte tot sein müssen. Und doch sagte der König, dass er noch lebte. "Kämpfe mein Freund", dachte er, "Wir werden dich retten." Dann wandte er sich ab und verließ den Raum.

    Serin saß schweigend auf dem Bett in dem Zimmer, dass ihm zugeteilt wurde. Er hatte nichts mehr zu klären, keine Reisevorbereitungen zu treffen. Der König hatte ihm Dolche und Shruikens in Silber versprochen. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er einen Schmied aufgesucht, doch dazu war die Zeit zu knapp. Er hatte einmal von Klingen gehört, die man am Unterarm befestigte und die nach bedarf hervorschnellten und wieder zurückglitten. So etwas hätte er gebraucht. Doch jetzt zog er mit einer handvoll Brotmesser in eine Schlacht. Eine Schlacht um die Welt. "Was ist aus dir geworden", fragte er sich. Noch vor Wochen war er auf sich allein gestellt gewesen. Keine Pflicht außer der die er sich selbst zugemessen hatte. Keine Gefühle, keine Verwirrung, keine Dämonen. Und dann kam diese Gruppe zu ihm und mit ihr Lynn und mit ihr die Gefühle und mit den Gefühlen die Verwirrung und mit alledem auch die Dämonen und mit den Dämonen die Pflicht. Und trotzallem musste er in Gedanken an Lynn lächeln. "War es nicht das, was du wolltest, als du aus dem Orden ausgetreten bist", fragte eine Stimme in seinem Kopf. Keine unschuldigen für Geld töten. Sie beschützen.
    Oh er würde kämpfen. Für Lynn, für die ganze Welt und letzendlich auch für sich. Um diese Wahl zu haben, hatte er den Orden verlassen. Doch damals hatte er ja keine Ahnung gehabt.

    Serin lag auf seinem Bett und starrte an die Decke. War das eben wirklich passiert. Und vor allem. Was war DAS überhaupt. Seine Gedanken strickten sich in Geweben ohne jede Ordnung. Lynn vor ihm, sein Hände an ihren Hüften, ihre Lippen auf seinen. Ihre Lippen auf seinen! Was war nur in ihn gefahren. Als wäre es nicht mehr sein Geist gewesen, der über seinen Körper herrschte, sondern etwas anderes. "Sie dürfen es nicht erfahren", dachte er, "Sie dürfen sie nicht bekommen." Wenn Rin Shidin sah, was sie ihm bedeutete, würden sie sie jagen, wie sie ihn jagten. Er hatte sie in Gefahr gebracht. Er hatte sie beide in Gefahr gebracht. Doch all diese Argumente waren nichts. Nichts im Vergleich zu der in ihm aufkeimenden Sehnsucht, die ihn in jeder Sekunde ihrer Abwesenheit überkam. Selbst jetzt würde er nichts lieber sein als bei ihr. Nur um sie anzusehen. In ihrer Nähe zu sein. Unvernünftig, irrational. Das alles ergab keinen Sinn. "Was hat sie bloß mit mir gemacht", fragte er sich und erneut wusste er keine Antwort. Erneut stieß er bei ihr auf ein Rätsel. Würde er diese Rätsel je lösen können? Er drehte sich wie aus Gewohnheit zur Tür und schloss die Augen. Die Weiche des Bettes umfing ihn, wie lange hatte er eigentlich nicht mehr in einem Bett geschlafen, und schloss seine Augen. Vor ihm sah er ihr Lächeln und spürte wieder ihre weichen Lippen auf seinen.

    Jerim wurde von den ersten Sonnenstrahlen geweckt, die durch das Fenster in das luxuriöse Zimmer fielen. Er hatte schon lange nicht mehr so gut geschlafen wie heute. Ein Lächeln erschien in seinem Gesicht, bis es der Gedanke an Dämonen, lebende Steine und die bevorstehende Reise vertrieb. Nie hätte er damals daran gedacht, als er noch Seite an Seite mit Thoran in einer Gasse von Arton gekämpft hatte. Thoran. Die einzige positive Nachricht des gestrigen Abends. Vielleicht konnte er ihm helfen. Seine Magie war in vielerlei Hinsicht einzigartig, jedoch auch in anderen unnütz. Die Frage war nur um was es sich in diesem Fall handelte. Er würde den König danach Fragen müssen. Er verbarg Wissen, dort wo er es bei einem König nicht vermutet hätte. Was er wohl davor gewesen war. Bestimmt kein Prinz, das hätte man bemerkt. Er musste auf eine andere Art und weise aufgewachsen sein. Jerim stand auf und verließ den Raum in Erwartung eines Frühstücks, wobei er diese Gedanken in einen fernen Winkel seines Geistes verschob. Zuerst musste er sich auf die nächsten Tage konzentrieren. Danach würde noch genug Zeit für Fragen sein. Sofern sie erfolgreich waren. Wenn nicht blieben am Ende nicht einmal Fragen.

    Serin stand an die Wand gelehnt und betrachtete den König misstrauisch. Woher sollten sie wissen ob das was er sagte wahr war. Wie zum Teufel war er nur von seinem persönlichen Feldzug gegen die Assassinen in den um die ganze Welt hineingeraten. Schon die Assassinen waren mehr als übermächtig, aber jetzt.... Jedoch, sein Blick fiel auf Lynn, die auf einem der Stühle am Tisch saß, hätte er die vergangenen Tage um nichts in der Welt rückgängig machen wollen, auch wenn er selbst nicht wusste warum. In diesem Moment hob der König seinen Blick und sah ihn an. Ein kühler berechnender Blick. "Und ihr", fragte er direkt, "Wer seid ihr. Meine Kundschafter habe über jeden von euch etwas herausgefunden, nur über dich gibt es keinerlei Aufzeichnung, keine die dich kennen und noch nicht mal welche die eure Beschreibung erkennen." Serin starrte unbewegt zurück. Mochten die anderem dem König ihre Geschichten erzählen. Ihm hatte er sich nie bewiesen, warum sollte er ihm vertrauen. Die meisten seines Standes nahmen sogar die Dienste von Rin Shidin in Anspruch, wer sagte ihm das dieser nicht dazu gehörte. Schließlich wandte der König sich von ihm ab und beachtete ihn nicht weiter. Ein harter Mann, doch hart musste man sein wenn man sich in die Wirren der Politik verstrickte. Er würde nicht aufgeben, noch lange nicht. Der König war nicht der einzige der ihm Blicke zuwarf. Seine Wachen, insbesondere der Mann den er vor der Tür niedergeschlagen hatte, sahen immer wieder Böse zu ihm herüber. Wenn es nach ihnen ging wäre er umgebracht geworden. Aber das war alles nicht wichtig. Die Frage war sollte er bei der Gruppe bleiben. Sagte der König die Wahrheit, wäre die ganze Welt in Gefahr. War es nur eine seiner Intrigen, nur sie. Sein Blick fiel wieder auf Lynn. Sie würde gehen, da war er sich sicher. Und in diesem Moment entschied er sich.

    Jerim saß sein Kinn auf den Arm gestützt am Tisch und betrachtete die Karte vor ihnen auf dem Tisch. Die Elfen, die Zwerge und die Lebendsteine. Und das alles nur in 30 Tagen. Zudem, wenn der Auftrag getan war, winkte der Krieg und dann wären sie alle an der Schwelle des Todes. Er wagte es nicht es auszusprechen, doch er wusste nicht ob die Elfen helfen würden. Die Wälder in denen ihre Städte lagen, waren von unzähligen und mächtigen Schutzzauber umgeben. Es würde auch sie letzendlich nicht retten können, wenn der König mit dem Dunklen Gott recht behielt, aber er konnte die Verheißung verstehen. Erneut sah er auf die Karte. Grün, Blau und Braun wechselten, aber die Entfernung blieb gewaltig. "Wir werden schnell reisen müssen, ohne Begleitung und mit wenig Gepäck", stellte er fest. Niemand antwortete ihm. Und sie würden die Stellen mit den schwarzen Steinen kaum umgehen, wenn sie hoffen wollten überhaupt Erfolg zu haben.

    Der Soldat keuchte als sich eine Hand um den Hals legte, doch kein Laut kam aus seinem Mund. Schließlich winkte Serin Lynn, die um eine Ecke gewartet hatte, ihm zu folgen. Sie ließen den bewusstlosen Soldaten zurück und schlichen den Gang weiter entlang. Immer tiefer in die Burg hinein. Sie hatten erstaunlich wenige Soldaten auf dem Weg getroffen. Kaum ein Dutzend. Er warf erneut einen Blick zurück zu Lynn. Sie hatte sich gut gehalten. Er hatte zwar darauf verzichtet längere Passagen zu klettern, aber mehr aus seiner Angst um sie, als dass er es ihr nicht zugetraut hätte. Sie bemerkte seinen Blick und lächelte ihm zu. Er wusste nicht warum, aber in diesem Moment begann seine Anspannung zu schmelzen wie Schnee im Sommer. Für einen wundervollem Moment hielten ihre Augen seinen Blick gefangen, dann wandte er sich ab. "Du musst dich konzentrieren", sagte er sich selbst, "Dies ist nicht der Zeitpunkt um abgelenkt zu sein." Und doch fiel es ihm schwer nicht erneut über die Schulter zu blicken. Er wusste selbst nicht genau was überhaupt mit ihm los war. Noch nie hatte er sich jemandem so verbunden gefühlt wie ihr und das obwohl er sie erst kurze Zeit kannte. Trotzdem wehrte er sich noch immer gegen diese Gefühle. Gefährlich, Schwäche. Doch tief innen wusste er das der Kampf bereits verloren war. Einige Minuten später hob Serin die Hand und stoppte. In seinen Ohren Klang das leise Geräusch von weit entferntem Klirren von Schwert auf Stein und das nicht ganz so weite von schweren Stiefeln. Beide aus der selben Richtung. Er bedeutete Lynn zu warten und näherte sich vorsichtig der Biegung des Ganges. Ein kurzer Blick bestätigte ihm was er gehört hatte. Zwei Soldaten kamen langsam auf sie zu. Er überlegte kurz, doch eigentlich hatte er keine Wahl. Das Schwerterklingen, von den unaufmerksamen Soldaten natürlich ungehört, konnte nur von Neretvan kommen. Sie hatten keine Zeit mehr. Er wartete noch ein, zwei Sekunden bis die Männer nahe genug waren. Dann sprintete er los. Die Soldaten rissen die Augen auf und griffen reflexartig nach ihren Schwertern, doch es war zu spät. Serin breitete die Arme aus und riss beide, die Hände an ihren Kehlen, zu Boden. Die Köpfe krachten auf den Steinboden. Die beiden würden Morgen gewaltige Kopfschmerzen haben. Sie ließen auch sie zurück und folgten dem Fernen Geräusch. Als sie der mutmaßlichen Quelle ganz nahe waren, versperrte ihnen ein Bulle von einem Mann in einer durchgehenden Rüstung den Weg. Serin nahm einen Umweg und pirschte sich, begünstigt von dem schmalen Sichtfeld des Visiers des Soldaten, an ihn heran. Als er unbemerkt seitlich hinter ihm stand griff er mit der Hand nach dem Helm und schlug diesen, samt Kopf gegen die Felswand. Es gab einen lauten Schlag, der die halbe Festung geweckt haben musste, doch der Helm fing den größten Teil des Aufpralls auf. Serin riss das Visier hoch, noch bevor der Mann sich wieder gefangen hatte, und schlug ihm ins Gesicht. Der Soldat sackte zu Boden ohne einen Warnschrei abgegeben zu haben, doch dies war nun auch vergebens. Die Tür hinter ihm öffnete sich und eine Meute weiterer Soldaten in Rüstung stürmte heraus. Serin fluchte und rollte sich zur Seite ab um einem Axthieb nur knapp zu entgehen. Er kam wieder auf die Beine, trat einem Mann in die Kniekehle und stieß dem auf die Knie gesunkenem Mann gegen die Brust. Der Mann stürzte zu Boden und versuchte sich hin und her rollend wieder zu erheben. Das Gewicht der Rüstung machte es ihm schwer, wenn auch nicht halb so schwer wie Serin gedacht hätte. Er zog zwei Dolche, hier war keine Zurückhaltung angebracht, wich einem weiterem Hieb aus und ein Pfeil schlug und zerbrach vor seinen Augen an der Rüstung eines Gegners. Lynn musste sich in den Kampf eingemischt haben. Er wollte ihr zurufen zu verschwinden, doch dann erklang eine andere Stimme. "Serin", fragte Neretvan mehr als das er es sagte. Serin hielt inne, die Hand erhoben, einen Dolch in der Hand um ihn in die Ritzen eines Visiers zu stoßen, und drehte seinen Kopf verwundert in die Richtung aus der die Stimme gekommen war. Dann ertönte eine weitere Stimme eines anderen Mannes. Laut und gebietend. "Stopp", sagte die Stimme und die Soldaten gehorchten.

    Jerim stand mit den anderen in der Schlange der wartenden Schaulustigen. Das Gesicht einer Kapuze verborgen. Überall waren Soldaten. "Wir hätten nicht herkommen sollen", dachte er, "Hier kommen wir weder vor noch zurück.". Dann verstummten die Glocken.

    Jerim saß etwas abseits von der Gruppe und betrachtete wehmütig das schimmernde Amulett. Es hätte um Thorans Hals hängen sollen, wenn sie ihn beerdigten, doch leider war keines von diesen beiden Dingen möglich. Thorans Leiche war in der Schlucht in der Höhle verloren und sie würden ihn nie beerdigen können. Entschlossen legte er es sich um den Hals und ging dann zurück zu den anderen, wo er sich hinlegte. Jemand schloss die Tür vollkommen und Dunkelheit erfüllte den Raum. Er würde das Amulett tragen, als Erinnerung an Thoran und er würde es in Ehren halten. Dies schwor er sich, genauso wie dass er Thorans Auftrag mit den Steinen zu Ende bringen würde. Koste es was es wolle.

    Serin lauschte auf das gleichmäßige Tropfen von Wasser, das sich irgendwo im Dach gebildet haben musste. Es war das einzige Geräusch außer dem Atem der anderen. Er hatte sich freiwillig für die erste Wache gemeldet, auch wenn er selbst gut etwas Schlaf abbekommen könnte.Er dachte über das vergangene nach. Über Lynns Geschichte, die so ähnlich der seinen war. Über ihre Abstammung, die ihre Anmut erklärte. Über die Flucht aus der Höhle und den Tagtraum, der ihn abgelenkt hatte. Über die vorangegangenen Kämpfe, die sie alle erschüttert hatten. Über das Gefühl einen Freund zu verlieren. Das war etwas was er überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Einen Freund. Er hatte noch nie einen gehabt und wenn dann nur im Kindesalter. Sein Meister war ihm mehr ein Vater gewesen. Ein lügnerischer, verräterischer Vater. Mit anderen Personen hatte er nie mehr als die Anzahl der Worte geredet, die ausreichten ihm zu sagen was er wissen wollte. Das hieß bis vor kurzem. Er fragte sich ob er diese Leute als Freunde bezeichnen konnte. Vermutlich nicht. Auch wenn er sich auf diesen Gebiet nicht auskannte bezweifelte er, dass eine Entführung als Freundschaftsbekundung galt. Plötzlich drang ein schwacher Laut zu seinen Ohren. Das Rascheln von Kleidung und muffigen jahrealten Decken. Vor ihm bewegte sich jemand. Serin lauschte in die Dunkelheit. Vermutlich hatte sich nur jemand umgedreht. Doch da war es wieder. Irgendjemand bewegte sich immer wieder in kurzen Abständen und wartete dann auf eine Reaktion seinerseits. Er ließ denjenigen in dem Glauben und wartete ab, welche Richtung die Geräusche nahmen. Es musste einer von ihnen sein, denn eine Tür war nicht aufgegangen.

    Die Gruppe stand am Waldrand und sah schweigend auf die dicke Mauer aus Stein. Es war früher Morgen und die Sonne hatte sich noch nicht vom Horizont gelöst. Doch egal wie hell es war, die Mauer schien unüberwindlich. "Thoran hätte einen Weg gefunden", dachte Jerim wehmütig in Gedanken an seinen Freund. Das Medaillon hing schwer von seinem Hals. "Ich könnte drüber klettern", bot Serin an. "Und was ist mit dem Rest von uns", fragte Jerim genervt, "Neretvan kann in seinem Zustand wohl kaum klettern. Der Mann hing blass und keuchend über Noals Schulter. Er musste sich dringend hinlegen. "Können wir uns nicht zwischen den Menschen verstecken, die eines der großen Tore durchqueren", fragte Lynn. "Unwahrscheinlich", erwiderte Jerim, "Sie suchen nach einer Gruppe, die sich versteckt." "Dann eben ein kleines Tor", meldete sich Noal zu Wort. "Man hätte Hilfe gerufen, bevor wir da wären", antwortete Jerim. Einen Moment lang sahen sie sich schweigend an. "Wir könnten auch einfach weg hier ziehen", schlug Cifer vor. Er lehnte an einem Baum und war bis eben tief in seinen eigenen Gedanken verloren. "Aber dann gelten wir unser Leben lang als gesuchte Verbrecher", warf Jerim ein. "Ich hätte eine Idee", sagte Serin plötzlich mit einem schwachen Lächeln und die Gruppe wandte sich ihm zu.

    Nebelschwaden erhoben sich und waberten die Mauer herauf, auf deren Krone Serin lag. Der Stein war brüchig und bot guten Halt für seine Finger. liegend robbte er auf dem Bauch voran. Rechts von ihm breitete sich das Dächermeer von Dunedin aus, links von ihm erhoben sich mächtige Eichen. Sein Ziel war ein kleines Tor, kaum breit genug für einen Menschen. Kaum einer würde es durchqueren, trotzdem standen drei Wachen vor dem schmalen Spalt. Ohne einen Laut von sich zu geben, robbte er weiter bis er genau über ihnen war, dann winkte er unauffällig in Richtung des Waldes. Die Blätter raschelten und eine Gestalt trat zwischen den Büschen hervor. Die Wachen griffen panisch nach ihren Waffen, aber als sie die schmale Gestalt erkannten entspannten sie sich wieder. Serin atmete flach. Ein einziger Laut könnte ihn verraten. Lynn lief ihnen geradewegs entgegen. Das Kleid war schmutzbedeckt, in ihren Haaren waren Äste und Blätter gefangen und sie lief gebückt wie unter Erschöpfung. Die Wachen schienen besorgt, verließen jedoch nicht ihren Posten. "Was hast du Kind", fragte ein Mann, der gut ihr Vater hätte sein könnte. "Hast du dich verlaufen", fragte ein anderer und schien weniger besorgt als abschätzend. Lynn sagte nichts, zitterte nur und nickte. Sie spielte wirklich gut. "Wohin musst du denn", fragte der ältere Mann wieder, "Wir können dir den Weg weisen." "Bist du verrückt", fuhr der dritte der bisher geschwiegen hatte den Mann an, "Du willst sie durchlassen nur weil sie ein erschöpftes Mädchen ist. Sie soll gefälligst zu einem der großen Tore wie das übrige Gesindel." In diesem Moment gab Lynn ihre verletzliche Haltung auf und schlug dem Soldaten, der sie Gesindel genannt hatte, mit geballter Faust gegen die Schläfe. In diesem Moment glitt Serin lautlos von oben auf die Männer hinab. Er landete auf dem älteren Mann und riss ihn zu Boden. Zwei Schläge mit den Handkanten auf beide Seiten des Halses und der Mann fiel in Ohnmacht. Der dritte zog gerade sein Schwert aus der Scheide als ihn Serin´s tritt gegen die Brust traf. Er stolperte zurück und erhob dabei die Hände, wobei er die halb gezogene Klinge losließ. Das Schwert legte den Rest des Weges aus der Scheide von alleine zurück und fiel zu Boden. Ein weiterer tritt und ein Schlag ließ den Mann folgen. Serin hörte rascheln und fuhr herum, doch es waren nur die anderen die aus ihrem Versteck kamen. Ein Schrei aus der Luft kündete Aly an, der hinabglitt und sich auf Lynns Schulter setzte. Serin betrachtete ihn und erntete nur einen misstrauischen Blick. Vorsichtig hob er eine Hand und berührte das Tier am Hals. Zuerst versteifte sich der Adler unter, dann jedoch entspannte er sich und ließ sich streicheln. "Ein schöner Vogel", sagte er zu Lynn und drehte sich dann um. "Und jetzt kommt", rief er zu allen, "Die schlafen nicht ewig." Er deutete mit den Kopf auf die Männer am Boden und ging er vorraus. "Du kennst meine Geschichte", sagte er nach einiger Zeit des schweigens zu Lynn, "Aber was ist eigentlich deine. Wer bist du wirklich." Er hatte vor diese Frage jedem einzelnen von ihnen zu stellen, aber ihre Antwort interessierte ihn am meisten. Sie hatte ihm bereits Teile der Wahrheit erzählt, doch zum ganzen waren immer noch so viele Fragen offen.

    Serin ging mit den anderen den Gang hinab. Es war seltsam gewesen von seiner Vergangenheit zu erzählen und sie hielt ihn noch immer gefangen. Die Erinnerung an seinen Meister schob sich vor das Bild des steinernen Gangs, Vogelzwitschern, Blätterrascheln und Schläge von Holz auf Holz vor die wiederhallenden Schritte ihrer Stiefel. Er stand wieder im Wald, leicht gebückt, mit einem Übungsschwert in der Hand. Vor ihm sein Meister, halb von einem Baum verborgen. "Sei eins mit deiner Umwelt", hallte die tiefe Stimme wieder durch seinen Kopf, "Schließe die Augen, spüre den Boden, die Bäume, die Tiere." Und er tat es, hörte einen Elch mit den Hufen scharren, spürte das erzittern des Bodens durch die Schritte eines Büffels, roch den Geruch von Gras und Harz. Plötzlich packte ihn eine Hand am Arm und mit einem Mal waren die Eindrücke verschwunden. "Serin", sagte eine Stimme. Er stand wieder in dem Gang doch der stieg jetzt leicht an. Ein schwacher Windhauch brachte den Geruch von Gras und Harz mit sich und für einen Moment dachte er er sei wieder im Wald. Dann wurde er sich gewahr, dass sie stehen geblieben waren um Neretvan verschnaufen zu lassen. Vor sich sah er das Gesicht Lynn´s die ihn fast besorgt ansah. Sie hatte die Hand auf seinen Arm gelegt um ihn aus seinem Tagtraum zu reißen. Er musste sehr abwesend gewesen sein. "Alles Ok", fragte sie. Er konnte den Ton ihrer Stimme nicht einschätzen. Normalerweise waren die Stimmen die Spiegel der Gefühle und normalerweise war er auch in der Lage sie zu lesen wie ein Buch, doch den Ton in ihrer Stimme erkannte er nicht. "Ja, alles gut", erwiderte er und schüttelte den Kopf um diesen wieder zu klären, "Ich war nur in Gedanken." "Dann können wir jetzt ja weiter", sagte Jerim ungeduldig, den Blick hinter sich gerichtet. Noch konnte man keine Verfolger sehen. Noch. Und so fingen sie wieder an zu laufen. Den Gang hinauf. Entgegen dem Geruch nach Freiheit.

    Jerim führte die Gruppe aus dem Fels hinaus. Das Echo ihrer Schritte wurde immer schwächer, bis es schließlich ganz verklang. Die Fakeln wurden von Sonnenlicht abgelöst und dann erschien eine leuchtende Öffnung vor ihnen. Schließlich kamen sie endlich am Ende des Gang an und stolperten erschöpft ins hohe Gras. Sie befanden sich inmitten eines Waldes außerhalb von Dunedin. Ein Stück gingen sie noch um nicht an der Öffnung des Tunnels zu hocken, wenn die Soldaten kamen, dann ließen sie sich ins Gras fallen. Keinen hatte dieser Tag kaltgelassen. "Was wird jetzt aus diesen Maschinen, fragte Noal in die Runde. Jerim zuckte mit den Schultern. "Vermutlich werden uns die Soldaten, die Arbeit abnehmen und sie zerstören", sagte er, "Wahrscheinlich denken sie, wir hätten etwas mit der Sache zu tun und selbst wenn nicht, auch hier ist es verboten Menschen zu Sklaven zu machen." Er hoffte, dass das wahr war. Es sein denn, die Soldaten wären in die Sache verwickelt und dann. Dann wusste er auch nicht.

    Serin stoppte bei der Frage kurz der Atem. Er hatte diese Geschichte noch nie jemandem erzählt und es fühlte sich seltsam an davon zu sprechen. "Als ich ein Junge war", begann er zögerlich, "Lebte ich in einem Dorf in der Wüste. Es war kein leichtes Leben dort, aber es war mein Zuhause." An dieser Stelle stoppte er kurz und atmete tief durch. Es tat weh daran zu denken. Auch nach so einer langen Zeit. " Eines Tages kamen Räuber und überfielen es", fuhr er fort, "Die, die Überlebten mussten sich auf dem Weg in die Steppe machen um zu überleben. Mein Vater starb schon bei dem Überfall und meine Mutter erlag kurz danach an einer entzündeten Schwertwunde. Ich lief alleine in die Wüste, hatte alles verloren, war verzweifelt. Ein paar Tage später fand mich ein Mann. Ein Einsiedler. Ich war halb verdurstet und er nahm mich auf. In den folgenden Jahren brachte er mir alles bei was er wusste, alles was ich heute kann habe ich von ihm. Er erzählte mir er kämpfe für die Schwachen und gegen die Ungerechtigkeit und würde mich ausbilden, damit ich ihm helfen könnte", an dieser Stelle wurde seine Stimme bitter, "In meiner Naivität glaubte ich ihm und sog alles auf was er mich lehrte. Gelegentlich kamen andere vorbei. Seine Kameraden. Ich kenne keinen ihrer Namen. Dann eines Tages stand ich vor der Tür des Wohnraumes und wollte den Raum gerade betreten, als ich im inneren ein Gespräch hörte. Erst wollte ich wieder gehen, doch dann sagte der Besucher etwas was meine Neugierde weckte. Mein Meister lachte, und sagte, dass der Junge immer noch an die Märchen glaube, die er ihm erzählt hatte und er die Wahrheit bald erfahren müsste, bevor er in den Orden aufgenommen werden könnte. Die Wahrheit war, dass sie für Geld töten, nichts weiter als einfache Auftragskiller. Ich lief weg und schwor mir sie zu jagen und zu töten. Sie alle. Das ist meine Geschichte. Der Orden von dem ich erzählt habe, der von dem der Assassine in der Stadt gesprochen hat, ist Rin Shidin. Die besten Mörder und Verbrecher. Keiner der nicht eingeweiht wurde weiß davon. Sie agieren im Schatten. Wollen sie dich töten bist du tot. Schon ganze Nationen sind durch sie gefallen. Wenn man sie hinter sich weiß braucht man keine Armee, keinen Krieg. Solange das Geld stimmt, jagen sie jeden, bis er tot ist und sie versagen nie."

    Jerim sah sich gehetzt um Hinter ihnen drangen Rufe und Schreie hervor als die Soldaten in die Höhle liefen. Hoffentlich würden sie diese armen Männer dort befreien. Sie waren schließlich wegen ihnen hier und es war gegen das Gesetz unschuldige anzuketten. Dann bogen sie um eine Ecke und die Laute wurden leiser. Vor ihnen führte ein gang in die Felsen. Tief unter der Stadt Dunedin.

    Sein Gegner war jünger als der vorherige, aber nicht minder gefährlich. Die Ketten war er schnell losgeworden und jetzt hielt er ein gebogenes Kurzschwert in der einen und einen Dolch in der anderen Hand. Die Hand warf, die Klinge flog. Serin duckte sich und der Dolch flog über seinen Kopf hinweg. Der Anfangsschlag war getan. In schneller Abfolge warf er vier Dolche im Lauf, sprang, warf eine Shruiken. Die geschliffene Klinge flog durch die Luft. Sein Gegner hatte sich zur Seite geworfen um den Klingen zu entkommen, doch der Shruiken konnte er nur mit Mühe ausweichen. Dann kam Serin auf dem Boden auf, rollte sich ab und kam vor seinem Gegner auf die Beine. Bevor er reagieren konnte packte er die Schwerthand seinen Gegners und drehte sie bis die Klinge zu Boden fiel. Ein Stoß befreite seinen Gegner, doch sofort setzte Serin nach. Sie tauschten in schwindelerregnder Schnelligkeit Abfolgen von Tritten und Schlägen aus, doch keiner konnte die Oberhand gewinnen. Dann plötzlich machte der Mann einen Sprung nach vorne und beide gingen zu Boden. Serin rammte ihm den Arm ins Gesicht rollte sich zur Seite und wollte einen Dolch ziehen, doch da stand schon wieder sein Gegner vor ihm und eine Hand mit einer Klinge raste auf ihn zu. Serin riss den Arm hinauf um die Hand zu blockieren, doch in diesem Moment wusste er schon, dass sie zu spät kommen würde. Die Zeit schien sich zu verlangsamen, doch die Klinge kam immer näher. Doch dann riss der Mann die Augen auf und die Klinge stoppte. Er fiel auf die Knie, öffnete den Mund doch nur Blut fand den Weg ans Licht. Mit einem Röcheln kippte er zur Seite, in seinem Rücken steckte ein Pfeil. Einige Meter weiter stand Lynn wie versteinert den Bogen noch immer erhoben und sah ihn an. Serin fasste sich wieder. Ließ die zur Abwehr erhobenen Arme wieder sinken und nickte ihr zu.

    Jerim konnte dem Kampf nur folgen. Zu schnell bewegten sich die Kontrahenten und ein Eingreifen seinerseits würde vielleicht Serin verletzen. Dann gingen beide zu Boden, rollten voneinander weg und kamen wieder auf die Beine. Sofort stürzte sich der eine wieder auf den anderen, nun einen Dolch hoch erhoben. Jerim hielt den Atem an, Serin schien es einen Moment zu spät bemerkt zu haben. Dann flog plötzlich ein Pfeil und traf den Mann, der sterbend zu Boden ging. Er wollte gerade die Luft wieder ausstoßen, als er plötzlich von oben neue Geräusche hörte. Stiefel, Pferdewiehern, Waffenklirren, der Brunnen war für sie kein Weg zurück mehr. Wenigstens würden sie bevor sie hierherkamen an Reißer vorbei müssen und nach dem was er mit den anderen Wachen gemacht hatte, wäre vermutlich keiner scharf darauf. Wahrscheinlich würden sie einfach dort oben hocken bleiben und darauf warten, dass sie von allein zu ihnen kamen.

    Jerim lief wie im Traum durch die Höhle. Er konnte nicht klar denken. Nur unscharf nahm er die unzähligen Männer in den Höhlen war. Kessel standen an den Seiten und Dampf quoll aus ihnen hervor. Es dämmerte ihm, dass dies die Maschinen waren, von denen der alte Mann in der Taverne gesprochen hatte. Hinter ihm hörte man Kampfeslaute und das Knurren eines Wolfes. Niemand folgte ihnen. Schließlich drangen gedämpft wie unter Wasser Laute zu ihm hervor. "Jerim", rief eine Stimme aus der Ferne, "Jerim." Er atmete tief ein und schüttelte den Kopf. Thoran hätte nicht gewollt, dass er sich so verhielt. So groß die Trauer auch war, sie waren in Gefahr. Die Geräusche wurden lauter und die Welt klärte auf. Sie standen im Mittelpunkt der Höhle und auch der Aufmerksamkeit. Arbeiter mit nackten Oberkörpern, hatten mit dem was auch immer sie taten innegehalten und starrten sie an. Sie waren in Ketten gelegt und schienen eher verwirrt als alarmiert. Keine Waffen waren zu sehen. Er ließ den Stein in den Tiefen seines Umhangs verschwinden, dort wo er sicher war und legte das Amulett um seinen Hals. Es war an der Zeit, dass sie die Aufgabe, wegen der sie hergekommen waren, vollendeten.

    Serin blickte sich stirnrunzelnd um. Etwas war falsch. Wer auch immer diese Maschinen hatte bauen lassen, hatte eine Mitglied von Rin Shidin angeheuert um sie zu schützen, aber keine einzige Wache in der Höhle abgestellt. Und wer trieb diese armen Männer an zu arbeiten. Dass sie nicht freiwillig hier waren, sah selbst ein Blinder. In diesem Moment vernahm er ein tiefes Dröhnen.

    Serin kam röchelnd auf dem Boden auf. Wer oder was dieses Wesen auch war, es war verdammt schnell. Es ließ ihn liegen und machte einen Schritt über ihn hinweg. Die anderen redeten auf es ein, doch es schien sich nicht um sie zu kümmern. Jerim vertrat ihm den Weg, er wischte ihn beinahe beiläufig beiseite. Dann trat er auf Lynn zu. Serin stoppte der ohnehin schon knappe Atem. Es wollte sie töten und niemand in dieser Höhle schien es aufhalten zu können. Er sah wie ihre Finger sich um den Dolch in ihrer Hand verkrampfte. Hörte den Atem der zitternd ihre Kehle verließ. In diesem Moment schossen ihm hunderte von Gedanken durch den Kopf. Doch alle handelten ausschließlich von der Suche nach einem Ausweg. Es hob das Schwert und er fasste grimmig einen Entschluss. Unauffällig zog er einen Dolch. Zwei weitere warteten bereits in Scheiden an seinen Unterarmen. Als er noch ein Kind war hatte sein Meister eine Handvoll Stöcke in die Luft geworfen und ihn Dolche auf sie werfen lassen. Er hatte alle treffen müssen bevor einer den Boden berührte. Heute brauchte er keine Handvoll Dolche. Heute brauchte er nur drei. Einen für die Klaue, die das Schwert hielt, einen für die schwarze Haut, die sich über die Hüfte spannte und einen für eines der Augen, die Lynn anvisierten. Die Klingen würden es nicht töten, aber es wütend machen und mit etwas Glück von Lynn ablenken. So viel war er ihr schuldig. Daran was danach passierte wollte er nicht denken. Doch bevor er werfen konnte hielt das Wesen plötzlich inne. Etwas Zeit verstrich in der die Welt selbst den Atem anzuhalten schien. Dann flüsterte es "Töte mich."

    Jerim blickte entsetzt auf den Leichnam seines toten Freundes. Seines Bruders. Sein Kopf war überlagert mit Gedanken und Empfindungen. Wer sollte den Orden der Hexer jetzt wieder aufbauen, wie sollten sie den Leichnam nach oben bringen und durch die Stadt tragen um ihn zu begraben. Über all dem trohnte die eisige Trauer wie ein dunkler Schatten und der Schmerz des Verlustes überwog den der Prellungen seines Aufpralls gegen die Steinwand. Einzelne Tränen sammelten sich in seinen Augen und er blinzelte sie weg um wieder klar zu sehen. Seine Hand ballte sich um den Kristall und das Amulett, die warm auf seiner Haut lagen und er löste den Blick von dem entstelltem Gesicht, das einst seinem Freund gehört hatte. Ein Dämon hatte ihn zu dem gemacht was dort vor ihm lag, doch letztendlich hatte Thoran ihn besiegt. "Leb wohl mein Bruder", flüsterte er leise in der Sprache der Elfen und hoffte, dass dessen letzter Wunsch wirklich in Erfüllung ginge und Thoran Geralt im Jenseits wieder traf.

    Serin schnappte immer noch nach Luft, doch das Atmen fiel ihm wieder leichter. Schließlich war es Lynn die ihm die Hand reichte und ihm aufhalf. Die anderen standen betreten um den Toten herum. Serin teilte ihre Trauer, doch gekannt hatte er Thoran nie. Darauf konzentrieren konnte er sich sowieso nicht, denn der Kampf hatte Zuschauer gehabt, die sich jetzt um die Gruppe versammelten. Irgendwo im der Ferne, gedämpft von dem Schacht des Brunnens hörte man einen Wolf heulen. Ein Heulen erfüllt von Trauer, Wut und tiefsten Schmerz.

    Jerim atmete erleichtert aus. Die Soldaten waren weg. Er bedeutete Lynn ihm zu folgen und sie und der keuchende Neretvan schlossen sich ihm an. Der Weg war nur spärlich beleuchtet, einzig der Mond diente als Lichtquelle. Der Weg zu dem sogenannten Eingang, zu was auch immer, war weit und sie kamen nur langsam voran. Gelegentliche Patrouillen und nächtliche Spaziergänger hielten sie ständig auf und so warteten bereits Serin und Noah auf sie, als sie den Brunnen endlich erreichten, der auf Serins Karte so optimistisch als Eingang verzeichnet war. Für Jerim sah es eher aus wie ein völlig normaler Brunnen, aber wenn es etwas gab, was ihn die Erfahrung gelehrt hatte, dann war das, dass Schein nicht gleichbedeutend mit sein war.

    Serin ging neben Noah her. Äußerlich ruhig aber innerlich so ruhig wie eine gespannte Feder. Keine Bewegung, kein Geräusch entging ihm. Er hasste es an die Straßen gebunden zu sein. Hier unten fühlte er sich wie auf dem Präsentierteller. Er fragte sich ob es richtig geweses war sich zu trennen. Vielleicht wurden die anderen von einer Patrouillie erwischt oder sie trafen auf schlimmeres. Er hatte nichts davon gehört, dass dieses Ungeheuer, das in die Hinrichtung geplatzt war, noch einmal gesichtet worden wäre. Neretvan war verletzt, er wusste nicht wie gut Jerim kämpfte und selbst Lynn würde diesen Krallen nicht trotzen können. Er wünschte er könnte sie von den Dächern aus beobachten, wie er es am Morgen noch getan hatte. Seine Unruhe stieg noch als sie den Platz als erste erreichten. Sie setzten sich schweigend auf die Steine des Brunnens. Beide waren nicht in der Laune zu reden. Die Nacht war wolkenlos und der Mond sah auf sie herab. Vor kurzem war Vollmond gewesen und noch war er nur wenig kleiner geworden. "Mir wurde erzählt du hättest Lynn entführt", durchbrach Noah plötzlich die Stille. "Ja", antwortete Serin, "Ich hoffte etwas zu finden." Ein Vogel flog über ihnen hinweg und sein Schatten gesellte sich zu den anderen. "Hast du etwas gefunden", fragte Noah. "Ja", sagte er und lächelte eines seiner seltenen lächeln, als Jerim, Neretvan und Lynn auf den Platz traten, "Wenn auch etwas gänzlich anderes als erwartet." In diesem Moment gesellte sich das Geräusch eines weiteren Paares Stiefel zu den anderen.

    Jerim hockte auf dem kalten Boden des Lagerhauses. Kalt und dreckig. Der Lohn für ihre Taten. "Was machen wir jetzt", fragte er in die Runde. Sie alle waren irgendwo im Raum verteilt. Ihre ganze Welt war in sich zusammengeschrumpft und nur die Lichtstrahlen, die durch das rissige Holz fielen, zeugten von dem Rest. Eine süße Verheißung. Und doch ein Wagnis, was sie nicht eingehen durften. "Wir müssen warten bis es ihm besser geht", sagte Lynn mit Blick auf Neretvan. Neretvan. Der Grund für ihre Lage, der Grund für Thorans Opfer und vielleicht auch der Grund für ihren Tod. Er riss sich zusammen. Es war nicht seine Schuld. Sie hatten entschieden und sie mussten bezahlen. Ebensogut hätten sie ihn dort hängen lassen können. Er schnaufte. Hätten sie nicht. Keiner von ihnen hätte danach noch in den Spiegel sehen können. Lynn hatte wie versprochen Medizin für Neretvan besorgt und ihren Worten nach ging es ihm besser. Sie sagte er würde bald wieder vollauf gesund sein. Er hoffte, dass dieses "Bald" nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Er würde es vorziehen hier wegzukommen bevor irgendein stumpfsinniger Bürger, Lynn hatte von der Stimmung in der Stadt erzählt, auf die Idee kam alle Lagerhäuser in der Stadt zu durchsuchen. "Und was wenn er wieder gesund ist", fragte er, "Wie wollen wir Thoran finden und was kommt danach." "Betretenes Schweigen breitete sich aus. An ihnen allen nagte der Zweifel, ob Thoran noch am Leben war. Einerseits hatte noch keiner etwas von dem Fund einer der Verbrecher, die die Hinrichtung gestürmt hatten, gehört, und die Wachen würden so etwas gewiss nicht verschweigen, wenn man bedachte wie die Stadt kochte, andererseits würden sie so etwas in diesem Loch hier vermutlich sowieso nicht mitbekommen. Wenigstens hatte Lynn von einem Suchplakat erzählt auf dem eine undeutliche Zeichnung von Thoran prangte. Also hatte er vermutlich wenigstens die Nacht der Flucht überlebt."Ich hätte eine Idee", meldete sich plötzlich Serin zu Wort und alle Augen richteten sich auf den Mann. Selbst hier drinnen trug er noch den langen Mantel, nur die Kapuze hatte er zurückgeschlagen. "Ich weiß zwar nicht wie wir Thoran finden", sagte er, "Aber zumindest könnte ich euch bei einer anderen Sache weiterhelfen."

    Serin erhob sich von dem Steinboden und holte ein Pergament aus der Tasche. "Der Assassine erwähnte etwas von Maschinen, die ihr suchen würdet", erinnerte er, "Bevor ich ihn getötet habe, habe ich ihm das hier abgenommen." Er hob das Blatt Pergament und faltete es auseinander. Auf dem rauen Papier zeigte sich Dunedin mit all seinen Straßen und Gassen und an einer Stelle Stand war mit schwarzer Tinte das Wort Eingang gekrizelt und daneben das Bild eines kleinen Brunnens gemahlt. "ich weiß nicht ob ihr mir Traut", fuhr er fort, "Vermutlich nicht und das ist euer gutes Recht. Aber wenn ihr mir die Wahrheit sagt, was es mit diesen Maschinen auf sich hat und mit dem Rest eurer Geschichte, dann werde ich euch helfen. Ich will die Stadt verlassen, ebenso wie ihr. Nicht weil ich muss, die Dächer sind frei von Wachen und in ein paar Monaten ist die Sache vergessen, sondern weil es hier nichts mehr für mich gibt. Ich habe den Mann gefunden, den ich gesucht habe und werde auch den Rest meiner Feinde jagen, aber bis ich den nächsten gefunden habe, kann ich euch helfen." Er wusste nicht wieso er sich dessen so sicher war, aber aus irgendeinem Grund wollte er die Gruppe nicht verlassen. Er sah jedem einzelnen von ihnen in die Augen. Cifer, der sich schnell abwandte, Noah, der es kaum zu bemerken schien, Jerim dessen Stirn sich Nachdenklich wölbte und Lynn, die zum ersten Mal, seitdem er sie kennen gelernt hatte, seinen Blick erwiderte. Er lächelte ihr zu und in diesem Moment wusste er, dass er sich richtig entschieden hatte.

    Jerim betrachtete den Neuen seltsam. Serin. Ob das überhaupt sein richtiger Name. Sie wussten nichts über ihn. Außer das er Lynn entführt hatte. Schöner Vertrauensbeweis. Als er den dreien viel Glück wünschte, versuchte er jedoch sein Misstrauen zu verdrängen. Serin und Noah waren möglicherweise Lynns letzte Hoffnung, wenn ihre Tarnung aufflog. Und selbst er musste zugeben, dass Serin mehr als einmal hilfreich war. Er hoffte nur, dass sich Serin nicht als der Mann erwies, für den er ihn Anfangs gehalten hatte.

    Serin folgte Lynn von den Dächern aus. Es war früher Morgen und die Leute traten auf die Straßen. Kein schlechter Zeitpunkt um einkaufen zu gehen. Große Poster zeigten ungenaue Zeichnungen ihrer Gesichter. Nur die Beschreibung ihrer Kleidung war hilfreich. Gut das sie keiner von den anderen begleitete. Jerims Rüstung und sein Umhang, sowie Cifers zerschlissene Kleidung wären sofort aufgefallen. Mit dem wachsen der Menschenmasse fiel es ihm immer schwerer Lynn inmitten dieser auszumachen. Doch er ließ nicht zu, dass er sie verlor. Ein einziger Mann nur, eine Wache oder einer der Zuschauer, der sie erkannte und schon wäre sie von Stadtwachen umringt. Man gab ihnen die Schuld für das Blutbad, was die Bestie aus der Kanalisation angerichtet hatte. Wenn sie entdeckt werden sollte, blieb ihm nur der Angriff und er hatte keine Ahnung ob er er wieder schnell genug bei ihr sein konnte. Wie verlässlich der Mann Noah war, wusste er nicht. Er war weder bei dem Massaker auf dem Platz noch bei der anschließenden Flucht dabei gewesen. Plötzlich trennte eine Patroullie die Menschen und hielt direkt neben Lynn an. Scheinbar nur Zufall, doch Serin schlug das Herz bis zum Hals. Ein groß gewachsener Soldat sprach sie an und Serin ließ einen Dolch aus seinem Ärmel gleiten. Der Mann wäre sein erstes Ziel, wenn es soweit kommen würde. Seine Sinne schärften sich. Er sah die Lücke zwischen Helm und Brustharnisch, die Schweißtropfen auf Lynns Stirn und ihre Hand, die unauffällig nach dem Dolch an ihrem Gürtel tastete.
    Doch dann wandte sich der Soldat wieder ab und die Patroullie zog weiter. Erleichterung machte sich in Serin breit und er ließ den Dolch wieder zurück in den Ärmel gleiten.

    Serin führte die Gruppe, durch die Straßen und Gassen der Stadt. Normalerweise war er es gewohnt allein zu reisen und es war seltsam auf andere Rücksicht nehmen zu müssen. Wäre er allein würde er über die Dächer gehen, aber das war mit Neretvan auf der Trage nicht möglich. 5-Mal mussten sie anhalten um Stadtpatroullien auszuweichen. Andere Male versperrten ihnen feste Wachposten den Weg. Dann ließ Serin die anderen zurück und beseitigte aus den Schatten heraus mit Shuriken und Messern. Die giftige Substanz auf den Klingen ließ die Wachen in einen tiefen Schlaf fallen. Die tödlichen Klingen bewahrte er für andere auf. Vor seinem Inneren Auge schlich er wieder durch die nächtliche Steppe und zielte vor den Augen seines Meisters auf in Schatten verborgene Stoffpuppen. Der Verrat dieses Meisters war die zweite große Enttäuschung in seinem Leben gewesen. Er hoffte das Schicksal hielt keine dritte für ihn bereit. Als sie schließlich alle in seinem Versteck angekommen waren, einem verlassenen Lagerhaus, dessen Besitzer vermutlich auf dem Grund irgendeines Meeres lag, war Neretvan schon nahe am Delirium. Ihm hatte die Reise nicht gut getan, abe rer würde auch das letzendlich verschmerzen. Lynn kümmerte sich um ihn während Serin Wasser schöpfte. Sie teilten zwei Wachen ein. Eine für die Tür und eine für Neretvan. Serin erbot sich für die erstere und der Rest ging, von Müdigkeit und Trauer gezeichnet schlafen. Er selbst setzte sich in die Mitte des Raums und schloss die Augen. Lauschte auf die Geräusche der Nacht, das leise Atmen, den Herzschlag der Anderen. Eine Eule heulte in der Gasse. Schwere Tritte von Gardisten die den Platz vor dem Versteck überquerten. Dann wurden die Schritte wieder leiser, bis sie schließlich in der Nacht verklangen.

    Jerim lag inmitten der anderen auf dem Boden der Halle. Es behagte ihn nicht, dass ausgerechnet der Neue wach war, während die anderen schliefen, aber wenigstens war da noch Lynn, die sich um Neretvan kümmerte. Und in wenigen Stunden würden die beiden von Noah und ihm abgelöst werden, also sollten er lieber schlafen. Er fragte sich ob Thoran den Angriff der Wachen überlebt hatte, aber er wagte kaum zu hoffen. Trotzdem würde er ihn nicht aufgeben, bis sie entweder ihn oder seinen Leichnam gefunden hatten. Mit diesem Gedanken schloss er die Augen und sein Atem wurde langsamer und gleichmäßiger. Nur ein Laut von vielen.

    Serin beobachtete den Tumult von den Dächern aus. Als er sah wie diese Bestie in Richtung Lynn und Cifer ging, ahnte er schlimmes. Mit einem Satz sprang er vom Dach und kletterte so schnell er konnte die Holzwand hinab. Wenige Sekunden später berührten seine Füße wieder festen Boden unter sich und er drehte sich in Richtung des Podestes. Cifer hatte es mit einem Sprung verlassen, doch Lynn war noch immer dort oben. Nur wenige Schritte trennten sie von dieser Bestie. Ohne nachzudenken sprintete er los, vorbei an schreienden Menschen und umgestürzten Marktständen und sprang auf das Podest. Lynn versuchte noch den Rand des Podestes zu erreichen, doch die Bestie war dicht hinter ihr. Serin verdrängte seinen Instinkt, der ihm riet sich so weit wie möglich von diesem Ding fernzuhalten und überwand die Entfernung mit wenigen Schritten. Frontal krachte er in Lynn und riss sie so zu Boden, gerade als eine Kralle ins Leere schlug. Gelbe Augen fixierten die beiden. Serin griff nach einem seiner Dolche, doch in diesem Moment, flog ein Speer aus der Menge der Stadtwachen, die sich am Fuß des Podestes formierten und traf das Wesen in die Schulter. Mit einem schmerzerfüllten Heulen wandte es sich ab und hetzte auf die verängstigen Wachen zu, die Augenblicklich auseinanderstieben. Serin richtete sich auf und hielt Lynn eine Hand hin. Etwas verlegen nahm sie sie an. "Wir dürfen keine Zeit verlieren", sagte er nur um den Moment zu beenden. Wer dankte schon gerne seinem Entführer und er wollte es für sie nicht noch schwerer machen. Er machte Neretvan los der sich vor Schmerzen wand und half ihm auf die Beine. Dann war auch Cifer wieder da und half ihm und Lynn Neretvan zu stützen. "Kommt mit", winkte sie Jerim zu sich und bedeutete ihnen ihm und Thoran in eine Gasse zu folgen. "Wir müssen Richtung Hafen", schrie jemand. Serin blickte sich im rennen um und sah hinter sich nichts als Wachen, die ihnen mit gezogenen Schwertern folgten

    Jerim sah Thoran verzweifelt an. Dann wandte er sich ab und lief den anderen Hinterher. "Verflucht sei dein Starrsinn", sagte er noch gut hörbar, dann verschwand er um die Ecke. Noch im laufen merkte er wie seine Wut anschwoll. Wut auf Thoran, Wut auf diese Wachen und Wut auf diese ganze verdammte Stadt. "Verzeih mir, alter Freund", murmelte er leise, doch er drehte sich nicht um.

    Jerim blickte sich um und sah die Wachen. Es waren viele. Zu viele. "Wenn wir ihn befreien, geht das nicht unbemerkt. Dann sind wir selbst Verbrecher und werden gesucht." "Nicht nur das", meinte Cifer, "Die Schützen auf dem Dach werden uns erledigen bevor wir Neretvan überhaupt erreichen. "Lasst das meine Sorge sein", hörte er plötzlich Serin´s Stimme hinter ihnen. Er hatte nicht bemerkt, dass er ihnen durch die Menge gefolgt war. "Sagt mir nur ob Neretvan für Geld getötet hat", verlangte er. "Jerim sah ihn verwundert an. Dieser Mann war doch selbst ein Assassine, was kümmerte ihn dann was Neretvan war. "Soweit ich weiß tötete er um seine Frau zu retten", antwortete Thoran. Serin blickte ihn kurz mit gerunzelter Stirn an, als verstehe er nicht was Thoran meinte. "Das genügt", sagte er dann und wandte sich ab. "Wartet Assassine ", rief Jerim ihm nach, "Wohin willst du und wieso willst du wissen was Neretvan für Gründe hatte." Serin drehte sich um. "Ich bin kein Assassine", antwortete er nur, "Und solange Neretvan kein Mitglied von rin shedir ist, ist er es auch nicht."

    Serin ging weiter und ließ den verwirrten Jerim hinter sich. Als er den Rand der Menge erreicht hatte begann er zu laufen. In einer Gasse zwischen zwei Häusern sprang er in die Luft, bekam einen Herausragenden Balken zu fassen, der wohl zum aufhängen von Laternen gedacht war, und nutzte seinen Schwung um sich auf einen Balkon zu schwingen. Von dort aus war es ein leichtes auf das Dach zu gelangen. Unter ihm tobte die Menge um den schreienden Neretvan herum. Er bewegte sich leise auf der dem Schauspiel abgewandten Seite des Daches und näherte sich der ersten Wache. Der Mann stand mit eingelegtem Pfeil da, die Menge wachsam überblickend. Er sah die Hand, die sich vor seinen Mund legte, nicht kommen und auch den Schlag gegen die Schläfe nicht, die ihm das Bewusstsein raubte. Auf diese Art erledigte Serin Wache für Wache rundherum um den ganzen Platz. Er übersprang Häuserschluchten, kletterte an Giebeln entlang und duckte sich hinter Schornsteinen. Als er den Platz einmal umrundet hatte und keine Wache mehr übrig war, die er beseitigen könnte, überlegte er wie er den anderen ein Zeichen geben konnte. Auf dem Platz war niemandem das Fehlen der Wachen aufgefallen, zu gebannt waren alle von der Grausamkeit in ihrer Mitte. Aber wie gewann er die Aufmerksamkeit der anderen ohne die Aufmerksamkeit aller zu gewinnen. Er hätte Lynn bitten sollen ihren Adler kreisen zu lassen. Er war intelligent genug um ein Zeichen seinerseits zu verstehen und sie zu allamieren. Andererseit bezweifelte er, dass Lynn ihm diese Bitte gewährt hätte, angesichts dessen was er ihr angetan hatte. Kein Wunder eigentlich. Also tat er das einzige was ihm einfiel und formte die Hände zu einem Trichter. So gut er konnte ahmte er den Schrei eines Adlers nach.

    Auf dem Platz drängten sich die Menschen dicht an dicht und versperrten jede Sicht auf Neretvan. Jerim konnte nur dastehen und überlegen, ohne zu hoffen eine Lösung zu finden. Sie durften Neretvan nicht im Stich lassen. Plötzlich erklang etwas zwischen den Rufen und Schreien. Ein leiser Schrei wie der von Aly. Verwundert blickte er sich zu Lynn um aber der Adler saß auf Lynns Schulter. "Was war das", fragte er und in diesem Moment erklang ein markerschütterndes Brüllen. Es klang hallend, als käme es aus einem Rohr und es klang als wäre der Verursacher dieses Brüllens unter ihnen. Schlagartig kehrte Ruhe ein. Dann löste sich ein Kanaldeckel nicht weit von ihnen aus seiner Verankerung und wurde in die Luft geschleudert.

    Jerim eilte seinen Freunden hinterher, die ihrerseits dem Vogel hinterher eilten. Der Adler flog immer wieder ein Stück voraus und wartete dann wieder auf Gruppe. Er führte sie durch verlassene Gassen und Wege bis sie plötzlich in Thoran hinein liefen. "Was macht ihr hier", fragte er verwirrt und sie erklärten ihm alles. "Neretvan, wie", fragte er bedrückt, "Ich hätte wirklich gedacht er würde bei uns bleiben." Er drehte sich zu Aly. "Na dann lass uns nach Lynn sehen", sagte er und stapfte los.

    Serin lehnte sich an die Wand und starrte in den Himmel. Sein Versteck lag in einem verlassenen Gebäude in einer verlassenen Gasse. Die Decke war schon seit langem eingestürzt und so konnte man nicht nur den Nachthimmel sondern auch die umliegenden Dächer sehen. „Wie heißt du eigentlich“, fragte er die Frau vor ihm. Sie saß zusammengekauert an einer der Wände. Sie wirkte so hilflos auch wenn er bezweifelte, dass sie tatsächlich aufgegeben hatte. Auf seine Frage hin hob sie ihr Gesicht. „Lynn“, antwortete sie schließlich zögernd, als erwarte sie irgendeine Falle. „Ein schöner Name“, dachte Serin und wandte den Blick wieder gen Nachthimmel. Wie sollte er weiter vorgehen. Die Nacht würde bald enden und er wollte Lynn nicht noch länger leiden lassen. Er wusste, dass sie dachte er würde sie töten, aber das könnte er niemals tun. Plötzlich sprang diese von ihrem Platz auf, um Ihre Handgelenke baumelten die Enden der Fesseln, und sprang auf die Tür zu. Nur durch einen Sprung konnte er sie noch gerade so erreichen. Sie schlug und trat um sich und er schaffte es nur mit Mühe sie zu halten. „Ich könnte sie jetzt einfach laufen lassen“, dachte er, „Dann wäre die Sache vorbei und sie wäre wieder in Sicherheit.“ Schade nur, dass sie ihn auf diese Weise kennenlernen musste. Er wusste nicht warum aber seltsamerweise störte es ihn. Das ließ sich jedoch wohl kaum rückgängig machen und im Grunde genommen war es auch seine eigene Schuld. Plötzlich hörte er ein Kreischen und ein Vogel flatterte durch das fehlende Dach in den Raum und im selben Moment stürmte die Gruppe aus dem Gasthaus durch die Tür.

    „Lass sie los“, brüllte Thoran und richtete sein Schwert auf ihn. Serin unterdrückte ein Fluchen. Wie hatten sie ihn gefunden. Schnell machte er sich ein Blick von der Lage. Alle Männer aus dem Gasthaus waren hier, außer zwei. Besorgt ließ er seinen Blick über die Dächer schweifen auf der Suche nach den beiden. Vermutlich als Scharfschützen aufgestellt. Kurz blieb sein Blick auf metallischem Schimmern am Rande eines Kamins hängen. Wohl ein Messer oder Schwert. „Sag deinen Männern sie sollen vom Dach kommen, damit wir friedlich reden können“, richtete er sein Wort an Thoran. „Männer auf dem Dach“, fragte Thoran erstaunt, „Da sind keine Män…“ In diesem Moment ließ Serin Ardwinna los, stürzte auf Thoran zu, tauchte unter einem hastigen Schwerthieb hinweg und riss ihn zu Boden. Entsetzt starrte Thoran auf ein Messer, das neben ihm noch zitternd im Boden steckte. Dort wo Thoran eben noch gestanden hatte. Eine laute Stimme drang vom Dach zu ihnen herab. „Gut gemacht mein Junge, gut gemacht“, rief eine Stimme, die zweifellos dem Besitzer dieses Messers gehörte, „Zwecklos, aber Gut.“ Serin hob den Blick und sah einen Mann neben dem Kamin, der ihm aufgefallen war, stehen. Er trug einen Bart und einen grauen Mantel. Ebenso Grau wie der seine. „Seltsam“, sagte er laut, „Erst suche ich euch und dann kommt ihr zu mir. Ein seltener Glücksfall. Nicht.“ Der Mann lachte auf. „Ich beobachte dich schon seit langem“, antwortete er und wurde schlagartig wieder ernst, „So lange, dass ich dachte ich lass meinen jetzigen Auftrag ruhen und fang den weggelaufen Jungen wieder ein.“ „Der Auftrag“, fuhr er fort und lächelte, „Ist es übrigens die Maschinen zu bewachen, die ihr so dringend sucht, Thoran.“ Dieser richtete sich mit unglaube im Blick auf. „Seid ihr verrückt“, sagte er, „Wisst ihr nicht was diese Maschinen bewirken.“ „Doch“, antwortete der Mann und grinste noch breiter, „Und es ist mir egal. Es gibt viel Geld.“ Diesen Moment nutzte Jerim und ein Ball aus weißglühender Energie stahl sich aus seiner Hand und fuhr auf den Mann zu. Ein Fehler zu glauben, ein Mitglied des Ordens würden nicht damit rechnen. Der Mann rollte sich auf den Dachziegeln ab und ließ sich zu Boden fallen. Federnd kam er auf der Straße auf und dort wo einmal der Kamin gestanden hatte klaffte jetzt nur noch ein Loch. Serin ließ den immer noch schockierten Thoran zurück und rannte auf den Assassinen zu. Zwei Messer verließen seine Hände, doch Serin glitt an ihnen vorbei. Der Mann zog ein weiteres Messer und erwartete ihn, doch Serin blockte den Schlag, drehte ihm das Messer aus seiner Hand und ließ es zu Boden fallen. Doch der Mann, fasste sich und nur mit Mühe konnte Serin die Tritte und Schläge abwehren. Immer weiter wurde er zurückgetrieben und keiner seiner eigenen Angriffe kam zu seinem Gegner durch. Plötzlich traf ihn ein Schlag gegen die Brust und der Fremde zog ihn mit einem Tritt die Beine weg. Der Aufschlag auf dem hartem Boden presste die Luft aus seiner Lunge. Der Assassine fixierte Serins Arme mit den Beinen am Boden und plötzlich spürte er das kalte Stahl eines Messers an der Kehle. Das Gesicht des Mannes schob sich über seines und er konnte den warmen Hauch des Atems auf seiner der Wange spüren. "Ihr hättet den Orden nie verlassen sollen", sagte der Mann leise. Was hätte aus dir werden können. Mit dem Geld was du dem Orden eingebracht hättest, hätte man jedes Haus in dieser vermaledeiten Stadt hier kaufen können und auch du hättest ein leben im Luxus geführt." Serin atmete schwer ein und aus. Das Messer schnitt flache Furchen in seine Haut. Flach noch, aber die winzigste Bewegung könnte tiefe Gräben daraus machen. "Nicht wir alle machen uns so viel aus Geld wie du", sagte er gepresst, die Last des Körpers auf seiner Brust machte es ihm nicht leichter. "Nicht alle sind so dumm wie du", erwiderte der Mann und setzte zum tödlichen Schnitt an. Verzweifelt drückte Serin die Zehen durch, was eine Klinge an der Spitze seines Stiefels hervorschnellen ließ und rammte diese dem Mann mit letzter Kraft in die Seite. Der Körper über ihm zuckte zusammen und dieser kurze Moment genügte Serin. Er packte die Hand seines Gegners, wand ihm das Messer aus der Hand und rollte sich über ihn. "Gut gemacht", presste der Mann unter Schmerzen hervor. Jetzt lag ihm kalter Stahl am Hals. "Dein Meister wäre stolz auf dich, wenn du ihn nicht so schändlich verraten hättest", sagte er mit einem gequälten Lächeln. "Er hat mich verraten", widersprach Serin, "Wo sind die Maschinen die diese Menschen suchen." Dabei deutete er mit dem Kopf auf die anderen, die um ihn herum standen. Nun lachte der Mann auf. "Wieso sollte ich dir das erzählen", fragte er, "Als würdest du mich so am leben lassen." "Vielleicht brauchst du es mir gar nicht erzählen", Serin's Hand tastete über den Mantel des Assassinen, während er sprach, "Die Maschinen werden gut versteckt sein und da kann eine Karte doch nicht schaden." Nach kurzer Zeit hatte er gefunden, was er gesucht hatte. Ob Bauernhemd oder Assassinenmantel die Wertsachen waren überall an derselben Stelle. Und tatsächlich. Zwischen einem Geldbeutel und einem kleinem Fläschchen ertastete er das raschelnde Papier einer Schriftrolle. "Es wird dir nichts nützen", behauptete der Mann, "Die Maschinen sind schwer bewacht. "Wir werden sehen", erwiderte Serin. Der Mann lächelte schon wieder. "Ahh, das Vertrauen der Jugend. Was dir fehlt ist Erfahrung mein Junge", sagte er, doch dieses Mal erwiderte Serin das Lächeln. "Es gibt eins was Erfahrung und Tot gemeinsam haben. Alter vor Schönheit", und mit diesen Worten schnitt er mit der Klinge des Messers durch den Hals des Meuchelmörders. Langsam stand er auf und wandte sich zu den anderen, während sein Feind röchelnd starb. "Ich glaube ihr schuldet mit noch eine Zeche", behauptete er und zum ersten Mal seit langen lag kein aufgesetztes oder erzwungenes Lächeln auf seinen Lippen, sondern ein ehrliches.

    Serin brachte die Frau wieder zurück zu ihrem Platz, und Band ihre Hände mit einem für alle Fälle bereitliegenden Seil zusammen. Dabei achtete er darauf sie trotz ihrer Schläge und Tritte nicht zu verletzen. Damit war schließlich zu rechnen gewesen. "Ich hätte gehofft, dass vermeiden zu können", sagte er traurig.