Beiträge von aval.b.bado im Thema „Die Erwartungen des Lesers“

    Oft ist das reaistische halt nicht das was eine erzaehlenswerte Begebenheit ausmacht - weil es realistisch ist.

    Prinzipiell stimme ich dir hierzu, würde aber dennoch vermeiden, die Begriffe "realistisch" und "gewöhnliche" (bzw. "wahrscheinlich") zu vermengen. Natürlich interessieren uns aufregende Geschichten, ich will nicht lesen (oder sehen oder spielen oder ...) wie jemand morgens aufsteht, acht Stunden zur Arbeit fährt und dann feststellen, dass er/sie abends noch duscht. (Boah alter, der Plot-Twist, ich hätte gewettet, er duscht morgens!) Es ist als Leser also schon unser gutes Recht, etwas ungewöhnliches vorgesetzt zu bekommen, denn wenn Helden keine Gelegenheit bekommen sich heldenhaft zu bewähren, sind sie wohl kaum Helden.
    Dennoch kann man sich um Realismus bemühen. Dass eine Schlacht tatsächlich geführt wird, ist nicht unrealistisch, vermutlich nur wesentlich weniger geläufig, als der Laie vielleicht annimmt. Und solange eine Geschichte nicht nur aus abgebrochenen Schlachten besteht, würde ich beides begrüßen.

    Zitat von Thorsten

    Konventionen brechen ist bei mir ein bisschen ein Reizthema, denn ich hatte den Eindruck wenn ganz viel darueber geredet wird, dann hat der Autor manchmal halt schon ein Problem innerhalb einer Konvention eine solide Geschichte zu erzaehlen.

    Wir haben scheinbar einen unterschiedlichen Begriff von "Konvention". Ich hab den Begriff hier jetzt eher lose gefasst und verstehe darunter auch, dass man Fantasy-Völker oder ähnliches abwandelt oder auch das Mittelalter realistischer beschreibt (s.o ;) ), als es im üblichen Fantasy Gang und Gebe ist. Ich glaube diese Art von Konvention begreifen viele sehr schnell und versuchen eine Fantasygeschichte daher so zu gestalten, weil sie denken, es gereicht dem individuellen Ausdruck schon zur Genüge, wenn man sterbliche Elfen oä einführt.

    Zitat von Thorsten

    Ansonsten geht es bei ;Konventionen' oft mehr um Dinge die sich einfach bewaehrt haben. Ein Krieger der im Kampf ist, ist halt einfach fuer den Leser interessanter als einer der am Klo sitzt.

    Und auch hier ist die Konvention ja nicht nur, dass der Kämpfer kämpft, wie sein Name erwarten lässt, sondern dass er, in 9/10 Fantasywerken (Angabe ohne Gewähr), durch feindliche Reihen geht wie ein Mähdrescher. Auch etwas, was uns zunehmend von Hollywood verkauft wird. Die Konvention zu brechen wäre an der Stelle schon, wenn er, obwohl er als guter Kämpfer eingeführt wird, sich mit zwei Gegnern gleichzeitig schwer tut und dass wenn er eine schlichte Verletzung erleidet, dass auch tatsächlich Konsequenzen haben kann.

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    (Siehe Khal Drogo)


    Ein einzelner dieser Punkte bringt natürlich keine fundamentale Innovation mit sich und auch mehrere zusammengenommen nicht. Vermutlich lässt sich das Rad überhaupt gar nicht mehr neu erfinden, sondern alles was wir tun können, ist, uns auf möglichst individuelle Art und Weise von den gg. Klischees zu distanzieren. Das Maß dieser Distanz war so ein bisschen das, worauf ich mit dem ursprünglichen Post hinaus wollte. Natürlich kommt es auf mehr an, als nur der Grad der Bedienung bestimmter Klischees.
    Was mich zu Asnis Punkt führt

    Zitat von Asni

    Meine Vermutung ist, dass es vor allem daran hängt, ob die Geschichte insgesamt gut geschrieben ist (also von jeglichen oberflächlichen Genre-Merkmalen unabhängig)

    Ich denke, das ist natürlich die Grundvoraussetzung dafür, dass man ein Werk überhaupt näher unter die Lupe nimmt. Das Genre oder die Unkonventionalität einer Arbeit machen ja kein gutes Buch und schon gar nicht nur für sich genommen. Wobei "gut geschrieben" ja wieder komplett relativ ist, was man alleine darin sieht, dass ich (und viele andere hier sicher auch) so einige Bestseller nicht mit der Kneifzange anfassen würde. Und ich denke dieser subjektive Ausdruck bestimmt auch in gewissem Maß, inwieweit wir mit gebrochenen Konventionen umgehen können oder nicht. (Man kann sich jetzt auf die Hinterbeine stellen und sagen 50 Shades Of Grey wäre schlecht geschrieben, ich weiß nicht, ob das stimmt ?( oder man sagt das über Harry Potter und mit gewissem Recht könnte man das auch über HdR behaupten... ich würde daher sagen, 50SoG ist klischeemäßig geschrieben und vollgesogen mit der Erfüllung erwartbarer Konventionen.)
    Gängige Fantasy von Heinz oder Hohlbein sagt mir im Allgemeinen gar nicht mehr zu, weil sich auf Erfolgsrezepte gestützt wird, die Konventionen (oder auch Klischees) bedienen, was sehr sehr viele Käufer nicht zu interessieren scheint, während mir bspw Pratchett (oder häufig auch Moers) nicht zusagen, weil so ziemlich jede Erwartbarkeit in den Mixer gehauen wird, was wieder andere total daran feiern können. Wobei, wie du schon erwähnt hast, diese Überzeichnung bei Pratchett und Moers nur hinhaut, weil es Parodien auf klassische Fantasy sind. In einem ernsten Setting würde vermutlich nicht mehr alles davon so funktionieren. Dennoch sind sie ein gutes Beispiel für den Umgang/Bruch mit Konventionen.

    Die Erwartungen des Lesers
    Insgesamt würde ich, denke ich, @Eegon2 schon zustimmen, wenn er sagt, für eine gewisse Massentauglichkeit gibt es ein solides Grundrezept. Im Allgemeinen haben viele Leser nicht das Bedürfnis ihre Vorstellungen von bestehenden Roman- und auch Fantasy-Konzepten allzu arg über den Haufen geworfen zu sehen, wobei hier die Vielfalt alleine im Fantasybereich so derartig hoch ist, dass man die Nischen eigentlich wieder individuell betrachten muss und ich jetzt im weiteren Verlauf vorzüglich ausschließlich über Fantasy schwadronieren kann und alle anderen Genres mal außen vor lasse ;)
    Jemand, der ein High-Fantasy Epos (auch mir ist der Unterschied zw High- und Low nicht ganz klar. Wäre GoT jetzt high oder low?) erwartet, wünscht sich ggf. Elfen oder Zwerge in dieser Welt (und nicht nur Gnorffekker, Marquenschotenlinge und dunkle Grubelheimbolde (wobei alleine das Wort "-bold" schon wieder bestimmte Implikationen aufwerfen würde :P)) und die Darstellung dieser darf eigentlich auch nicht zuuu weit abweichen von den Vorstellungen, die Tolkien zu größten Teilen damals in unsere Köpfe gemeißelt hat (in Bezug auf Orks haben hier glaube ich auch Warhammer und Warcraft nochmal entscheidende Überarbeitungen eingebracht, die unser heutiges Verständnis von "Orks als groß, grün und wild" prägen) und die seither eine bestimmte Blaupause für die Konzeption von Fantasy-Welten setzen.
    Natürlich erwartet der Leser ein gewisses, individuelles Maß an Varianz dieser Darstellungen, das reine Klischee ist vielen dann doch zu öde, aber sie darf sich nicht zu weit von den gängigen Vorstellungen unterscheiden. (Auch das wurde mit der Vampir-Thematik schon kurz angerissen. Warum dann trotzdem das Wort "Vampir" wählen? Natürlich weil es dennoch wieder bestimmte Assoziationen mitbringt, die etwas mit dem gängigen Vampir zu tun haben. Bei "Bis(s) zum <X " bspw das Blutsaugen, die Unsterblichkeit und die übermenschliche Power. Es ist leichter zu sagen, ich habe "Vampir" mit den veränderten Eigenschaften {-x y z/ + x y z}, als ich habe "Kreatur" mit den Eigenschaften {a b c d e f g h i j k l m n o p q [etc] x y z} Ist die Abweichung von unserem Konzept aber zu groß, fragen wir uns - weshalb nennt man das Ding noch Vampir. Es weicht zu stark von unseren Vorstellungen ab und zumindest in bestimmtem Ausmaß möchte ich diese Erwartung bestätigt sehen. (Für manch einen mag es schon ein Ausschlusskriterium sein, wenn Vampire tagsüber rumlaufen (obwohl Stokers Dracula das in der Tat konnte ;) ) Das ganze funktioniert aber auch im Umkehrschluss: beschreibe ich eine Kreatur mit den Eigenschaften {Blutsaugend, nachtaktiv, fledermaustransmorph, bleich, vorwiegend adlig und unsterblich} und nenne diese dann "Grubenhorx", fragt sich der Leser, weshalb ich nicht einfach sage "Vampir" und mir eine ganze Reihe an Details und Beschreibungen spare)
    Dieses Schema trifft aber nicht nur auf einzelne Kreaturen zu, sondern auf die ganze Konzeption der Welt. Nimmt ein Leser ein Buch in die Hand, das ihm verspricht, ein "klassischer" High-Fantasy Roman zu sein, dann aber mit Flugmaschinen und christlichen Dämonen und Drachen, die nur unter Wasser leben und xyz aufwartet, mag ihn das enttäuschen.)
    Aiweh, das war jetzt ein langer Exkurs xD Okay, wie waren eigentlich bei
    "Jemand, der ein High-Fantasy Epos [...] erwartet ..." [Im Gegensatz zu...]
    Jemand[em], der ein Fan von Geschichten wie Harry Potter und Die unendliche Geschichte ist, wird darin beispielsweise die Schnittmenge finden, dass sie mit der "realen" Welt korrelieren, jemand anders wird seine Schnittmenge aber anders bestimmen und demnach etwas anderes erwarten und somit mag ihm Harry Potter von der Weltgestaltung her gefallen, DuG aber nicht.
    Dazu kommt, wie @Thorsten bereits festgestellt hat auch, dass Geschichten natürlich unterschiedlich komplex sind und Casual-Leser, die hin und wieder mal ein Buch lesen, sicherlich eher leichte, in sich abgeschlossene Kost bevorzugen. Aber auch diesen Aspekt würde ich für meine weitere Betrachtung ganz gerne erstmal außen vor lassen :P

    Allgemein muss man zwischen der Erwartung des Lesers und dem eigenen Anspruch unterscheiden und ggf. abwägen. Ich denke viele in diesem Forum wären nach Rezept in der Lage ein Buch zu schreiben, was sich ziemlich sicher gut verkaufen würde. Dafür muss man aber seine eigenen Vorstellungen, Visionen und Ansprüche mitunter zurückschrauben. An sich fasst Sensenbach das hier ganz gut zusammen:

    Zitat von Sensenbach

    Kennt und pflegt eure Zielgruppe!

    Je spezieller mein Werk ist, desto eingenischter wird meist allerdings auch meine Zielgruppe.

    Die Frage stellt sich also nach dem Maß, mit dem wir unsere eigene Welt konzeptionieren können und inwieweit wir damit noch konform mit potentiellen Leseerwartungen gehen. Und insofern ist für uns Schreiberlinge ja eigentlich interessanter: nicht, wie kann ich die Erwartungen eines Lesers erfüllen, sondern eher: inwieweit kann ich mit ihnen brechen? Daher kommen wir zum nächsten Punkt, den ich mal so formuliere:

    Die Erwartungen des Lesers brechen
    Wie weit kann ich dem geneigten Leser meine Idee meiner Welt aufzwingen und ihn dennoch begeistert zurücklassen. Die Frage ist komplexer als es vllt zunächst den Anschein hat, weil nicht nur fantastische, sondern auch historische Aspekte in dieses Spannungsverhältnis mit einfließen.

    Schreibe ich mittelalterlich angehauchte Fantasy, ist es an sich vollkommen mir überlassen, wie die technische und soziale Entwicklung meiner Welt und Geschichte vonstatten geht/gegangen ist, aber ich stütze mich im Allgemeinen schon mit der Wahl des Settings auf eine äußerst komplexe Struktur aus impliziten Vorannahmen, dass es vielen Lesern schwer fällt Abweichungen von einer vermeintlichen historischen Realität zu akzeptieren. Einige spezielle Kandidaten stören sich ja schon an der (unbegründeten?) Gleichberechtigung von Mann und Frau in Fantasy-Settings, weil das "im Mittelalter eben nicht so war". Ich würde dem mitunter zustimmen, würde ich einen historischen Roman schreiben, so aber ist das eines der wichtigsten Augenmerke, was ich mehr oder minder sofort versuche in meiner Welt "zu korrigieren" und daher berufe ich mich darauf, dass ich Fantasy schreibe und daher machen kann was ich will.
    Ich darf diesen Bogen aber nicht überspannen. Breche ich mit zu vielen mittelalterlichen Konventionen und Vorstellungen, wird mein Werk als inkonsistent wahrgenommen (zumindest solange ich es eindeutig mittelalterlich verorte) und es ensteht beim Leser eine ähnliche Frage, wie schon bei dem Vampir. Warum überhaupt noch Mittelalter (oder Antike, oder frühe Neuzeit, oä), wenn ich mit sämtlichen Vorstellungen des Lesers breche?
    Das ist umso schwieriger, wenn man bedenkt, dass in den allermeisten Köpfen (lt. historischen Betrachtungen) eine ziemlich falsche Vorstellung vom Mittelalter oder auch der Antike herrscht. In Filmen bspw wollen wir das Mittelalter immer schön dreckig und düster gemalt sehen, in ungesättigten Farben und mit ungeputzten, fauligen Zähnen ("Ah ja, der Film ist so richtig authentisch), dabei war vermutlich alles reichlich bunt (weil das modische Empfinden völlig anders war und Farben auch noch toll und was besonderes waren) und die Menschen waren nicht per se dreckig und durch die Bank weg ungepflegt, wie man das gerne mal so vorgesetzt bekommt.

    Dazu kommen wie bereits erwähnt die Vorstellungen an das jeweilige Genre und seine Finessen.

    Inwieweit kann ich also diese Grenzen eurer Meinung nach strapazieren? Ab wann, wo und in welchem Ausmaß darf ich mit den impliziten Erwartungen eines Lesers brechen? Und an welchen Stellen sollte ich möglicherweise auch mit den Erwartungen einiger Leser brechen und nicht wieder eurozentrische Kulturprägung auf meine Fantasywelt übertragen? Und natürlich auch: inwieweit muss ich mit den gängigen Erwartungen brechen, um noch für mich in Anspruch nehmen zu können, wirklich etwas individuelles entworfen zu haben?

    Genre-Technisch (wieviel Fantasy nach Klischee muss in einem Fantasy-Roman drin sein)?
    Historische oder kulturelle Implikation (in welchem Ausmaß kann ich mit impliziten Voraussetzungen brechen)?
    Klassische Erzählstruktur (hierauf bin ich jetzt nicht näher eingegangen, aber man findet Ansätze in der Diskussion weiter oben beim Thema plötzliche Tode von Charakteren)?
    Sonstige Faktoren?

    Welcher Gesamtmix aus Erfüllen und Brechen von Konventionen macht eures Erachtens nach die richtige Mischung?