Beiträge von Asni im Thema „Die Erwartungen des Lesers“

    Klar, in unserer Welt geht das nicht, aber in einer Fantasy-Welt kann ja die Physik ausser Kraft sein (Discworld mit Licht als Fluessigkeit (*) - und vielleicht gibt's ein alchemistisches Pulver das Hemden frisch haelt...

    Cooles Bild! Ja, wenn mir der Autor erkärt, dass das anders ist, dann akzeptiere ich das.

    Eigentlich kann ich in einem Fantasy-Setting nur die Widersprueche die der Autor mit seinen eigenen Angaben so hat ankreiden, aber nicht wie sehr seine Welt von unserer divergiert

    Mir geht es nicht darum, einem Autor etwas anzukreiden, sondern darum, dass eine Geschichte, die sich mit einer ähnlichen Realität wie der unseren auseinandersetzt, als ein Abbild dieser Realität verstanden werden kann, das bestimmte Aspekte berücksichtigt, nicht berücksichtig oder sogar noch etwas hinzufügt. Daher die Charakterisierung in "realistische Literatur - fantastische Literatur". Diese Idee ist nicht auf meinen Mist gewachsen (ich würde da nämlich nicht fantastische Literatur hinschreiben), sondern kommt aus der Literaturwissenschaft. Genauere Quelle kann ich mal nachgucken, wenn ich wieder zuhause bin und Zeit dafür habe. Diese Einteilung hat zunächst mal aber keine Wertung, also ein realistischer Roman ist nicht "besser" als ein fantastischer Roman, auch wenn der fantastische Roman "unrealistischer" ist. Das ist überhaupt nicht der Punkt, sondern lediglich das Sich-Bewusst-Machen, dass auch ein vermeintlich realistischer Roman notwendigerweise die Realität nicht 100 % abbilden kann. Das ist einfach ein anderes, weiteres Verständnis von "Realismus" bezogen auf Geschichten.

    @Sensenbach: Ich versuche anhand von Beispielen nochmal genauer zu erläutern, was ich meine. Eine Geschichte erzählt immer zum Teil auch etwas über unsere Realität, z.B. das menschenähnliche Wesen etwas trinken und essen müssen. Zwergenbier, Lembasbrot, etc. kommt z.B. in Der Herr der Ringe vor. Über die Toiletten von Moria hat Tolkien aber kein Wort verloren (oder ich hab's überlesen). An dieser Stelle lässt er also einen Teil der Realität weg. Das ist erstmal nur ein Beobachtung, keine Wertung.
    In Bezug auf die Darstellung von Gewalt kann man auch ein ganzes Spektrum bedienen: In Star Wars bekommen Storm Trooper Rüstungen, die sie weniger menschlich wirken lassen, und durch die Blasterpistolen etc. werden auch alle Wunden sofort versiegelt, so dass die zwar sterben, aber nicht bluten. Das mag an dieser Stelle physikalisch realistisch sein (Hab ich aber keine Ahnung, wie das theoretisch wäre, ist mir auch egal), aber die emotionale Seite des Tötens von Menschen wird ebenfalls ausgeblendet. Hat mal jemand mitgezählt, wie viele Stormtrooper durch unsere Star Wars Helden getötet werden? Haben sie je einen Gedanken darauf verschwendet?
    Auch Legolas und Gimli haben keine Hemmungen Orks (ok, vielleicht verständlich) oder Haradrim (Menschen aus dem Süden) zu töten. Der Herr der Ringe blendet aus, dass das Töten von Feinden einen vielleicht ein Leben lang emotional beschäftigen kann.
    Manche "neuere" Fantasy bezieht diese bisher traditionell ausgeblendeten Aspekte mit ein: In Ein Lied von Eis und Feuer wird ein Charakter mit einer Armbrust erschossen, während er nachts auf dem Abbort sitzt. Tyrion verliert seine halbe Nase, weil eine Schlacht eben nicht so ist, dass die Guten ihre Feinde in einem heldenhaften Angriff (mit erhobenem, leuchtendem Zauberstab - wer sich Die Zwei Türme nochmal angucken möchte) vor sich hertreiben und unverwundbar scheinen, sondern eine dreckige, unkontrollierbare Angelegenheit.
    Das ist eine andere Art der Abbildung der Realität. Natürlich blendet auch diese Teile der Realität aus. Ich möchte auch nochmal betonen, dass damit kein Urteil über besser oder schlechter oder "so müsste es eigentlich gemacht werden" verbunden ist. Es sind einfach Entscheidungen, die ein Autor trifft. Für mich wird da was Hilfreiches draus, wenn ich als Autor diese Entscheidungen bewusst treffe.
    Macht es das leichter verständlich?

    Realismus ist ein Mass fuer die Menge an (unglaublichen) Zufaellen, die eine Geschichte braucht und vorwaerts zu gehen.

    Als ich das zuerst gelesen habe, hab ich nicht verstanden, was du damit meinst und hielt es daher für völligen Quatsch. Dein Beispiel erklärt was du meinst, aber ich würde Realismus nicht darauf reduzieren. Sicherlich gehört zu einem realistischen Werk, dass die Art und Weise, in der Dinge passieren, nicht unglaubwürdig sind.
    Man kann Realismus (und Fantasy als Gegenpol) auch als Maß dafür verstehen, wie genau unsere Realität bzw. ihre Regeln in einem fiktionale Werk abgebildet werden.
    Magie überwindet z.B. meistens eine Einschränkung, der wir in der Realität unterworfen sind. D.h. wenn jemand mit einem Fingerschnippen einen Feuerstrahl aus seinem Finger schießen kann, dann ist das unrealistisch. Andersherum: Wenn ein Charakter auf eine fünfmonatige Reise aufbricht, allerlei Abenteuer erlebt, dabei kämpft, schwitzt, durch Dornenhecken und andere Gestrüppe flieht und dann aber immer noch in dem gleichen weißen Hemd, das irgendwie immer noch nicht in Mitleidenschaft gezogen worden ist, an seinem Ziel ankommt, dann ist das auch unrealistisch. Aber auf eine mMn andere Weise als du oben beschrieben hast.

    Warum ich das schreibe: Häufig werden in vielen Büchern viele Dinge der Realität ausgeblendet, d.h. nach diesem Verständnis wird unrealistisch geschrieben. Bei vielem ist das kein Problem, weil es keine Relevanz für die Geschichte hat und auch nicht von den Lesern erwartet wird. Allerdings gibt es auch LeserInnen, die gerne Realistisches lesen. Genauso, wie es LeserInnen gibt, die gerne Unrealistisches lesen. Beides ist meiner Ansicht nach in einem gewissen Maß in Ordnung.

    Inwieweit kann ich also diese Grenzen eurer Meinung nach strapazieren?

    Leider hab ich gerade nicht so viel Zeit, daher nur eine sehr kurze Antwort: Meine Vermutung ist, dass es vor allem daran hängt, ob die Geschichte insgesamt gut geschrieben ist (also von jeglichen oberflächlichen Genre-Merkmalen unabhängig) und die Leser durch interessante Erzählungen / Darstellungen / Handlungen bei der Stange hält. Dann denke ich mal kann ich ziemlich alles machen, wenn dadurch nicht eine gewisse innere Logik verletzt wird. Für den Autor heißt es dann aber auch, den passenden Stil zu seinen verrückten Ideen zu finden, beispielsweise erlaubt Pratchetts humorvoller, ironischer Stil mindestens theoretisch viel mehr völlig verrückte und abstruse Ideen. Ein Zauberer, der von einem einzigen Zauberspruch "besessen" ist und daher eigentlich nicht zaubern kann, klingt nicht nach der typischen Vorstellung eines klischeemäßigen Zauberers, aber es funktioniert, weil Rincewind hervorragend in den Stil der Erzählung passt. Ob das in einem eher ernst(er) gemeintem Herr-Der-Ringe-Setting funktionieren würde, ist fraglich, denn da würde die Gestalt eher äußerst tragisch wirken, ohne das die Tragik humorvoll gebrochen wird. Das könnte Leser frustrieren.
    Bezogen auf Charaktere heißt das für mich auch: Wenn ich mich als Leser mit den Charakteren identifizieren kann und gerne über sie lese, dann erlaube ich eine größere Bandbreite an Abweichungen. Letztlich muss es einfach etwas geben, was es mir Wert ist, an einer Geschichte dran zu bleiben, auch wenn sie nicht meinen Erwartungen und Wünschen entspricht.
    Aber vielleicht bin ich in dieser Hinsicht auch einfach ein sehr tolleranter Leser ^^ .
    [to be continued]

    Spannende Diskussion!

    Also bei mir würde ich das in zwei Phasen aufteilen: früher und heute.

    Früher, d.h. als Fantasy-Leser im Alter von 8 (?) bis ca. 23 Jahren, da galt für mich irgendwie schon dieses "immer das Gleiche lesen wollen". Deswegen habe ich da viel von Wolfgang Hohlbein, die ganzen Völkerfantasybücher, ziemlich alles von Tolkien etc., aber auch Lukjanenko (Die Wächter der Nacht, etc.) gelesen. Meine Erwartungen kann ich schwer formulieren. Action sollte dabei sein, Spannung und natürlich Magie. Terry Pratchett hab ich da auch schon gelesen. Einerseits habe ich da auch schon relativ breit gefächert gelesen, also auch (Teenie) Urban Fantasy wie Die Vampirtagebücher (die damals schon ziemlich cool waren. Heute... naja, dazu später.). Ich würde rückblickend sagen, dass ich damals Genrekonformes lesen wollte und mich mit Experimentellem eher schwer getan hätte.

    Das ist mir deshalb noch so bewusst, weil ich dann im Studium nach ein paar Jahren, in denen ich nur wenig gelesen habe, in einem Seminar über Fantasy-Literatur mit Joe Abercrombie's The First Law konfrontiert wurde und es eben lesen musste. Bei den ersten beiden Anläufen habe ich das Buch noch während des ersten Kapitels abgebrochen, weil ich es so scheiße fand, dass der Erzählcharakter, der nach meiner Erwartung ein Held sein sollte, so absolut unheldenhaft da steht. Damit meine ich nicht wie ein Antiheld, sondern barfuß im Schnee, von seltsamen Shanka überfallen, als er mit seiner Truppe am Lagerfeuer sitzt und - wenn ich mich richtig erinnere - seine Fußnägel mit einem Messer schneidet bzw. sauberkratzt. Meine Reaktion darauf war: So etwas habe ich noch nie gesehen, so etwas sollte in Fantasy-Büchern doch nicht vorkommen, das will ich gar nicht lesen.
    Mittlerweile ist die Trilogie The First Law mein absolutes Lieblingsbuch und ich freu mich schon wie ein Schnitzel, wenn ich nur daran denke, das wiedereinmal zu lesen. Was Abercrombie letztlich tut ist: er nimmt die Archetypen und Klischeestoryelemente, die in gefühlt jedem High-Fantasy-Buch seit Tolkien vorkommen und verleiht ihnen einen Twist. Wenn man also gerne diese Archetypen hätte, dann wird man wohl enttäuscht sein. Für mich war das Buch aber wichtig, um meine Erwartungen zu überdenken und mir darüber klar zu werden, dass Fantasy mehr ist als tolkienhafte Fantasy-Welten.
    [kleiner Einwurf: Joe Abercrombie zählt wohl zur "new wave of dark, gritty, realistic contemporary fantasy", daher gibt es viel Gewalt, viel dreckiges Zeug und viele menschliche Charaktere, die an ihren eigenen Schwächen oder an der Ungerechtigkeit der Welt scheitern, obwohl sie irgendwie alle nur versuchen, das Richtige zu tun.]

    Seit diesem Seminar lese ich viel lieber Romane, die mir etwas für mich Neues zeigen, die anders sind, Konventionen sprengen, aus den alten Mustern ausbrechen und dabei coole Geschichten erzählen. Trotzdem lese ich ab und an auch gerne eine Geschichte in einem eher traditionellen Stil. Also letztlich alles, solange es mir gefällt ^^
    Womit ich mich schwer tue sind jugendliche Helden, die ausziehen, um die Welt vor dem Bösen zu retten und dabei natürlich alles und jeden irgendwie übertrumpfen. Außer es kommt auch eine unfassbar störrische Ziege mit dabei vor, dann bin ich da offener. xD


    Für mein eigenes Schreiben ist es immer der Effekt, den ich erzielen will, der für mich im Vordergrund steht. Dabei ignoriere ich einerseits (manchmal) die Erwartungen der Leser, aber erfülle sie andererseits auch gezielt. Zumindest stelle ich mir das so vor :hmm:
    Beispiel: Bei Elfenbier und Zwergensang wollte ich eine Geschichte schreiben, die den Schreibwettbewerb gewinnen kann. Ideen hatte ich noch ein paar weitere, aber ich wollte da etwas schreiben, was humorvoll ist, weil ich dachte, dass eine humorvolle Geschichte eine größere Chance hat, zu gewinnen. Und zu diesem Zweck habe ich auch versucht, möglicht viele überzogene Klischees einzubauen und diese humorvoll zu nutzen. Diesen Effekt habe ich, glaube ich, ganz gut erreicht. :hmm:
    Falls nicht, ist es mir gerade auch egal ^^ ... ich hab die Geschichte nochmal gelesen und feiere meine Idee einfach selbst :rofl: Überhaupt würde ich eigentlich nicht versuchen wollen, nach anderer Leute Geschmack etwas zu schreiben, was mir selbst keinen Spaß zu schreiben macht. :hmm: