"Das gibt's nicht - die springen echt durchs Feuer!", murmelte Rathnait halblaut.
Es war ein klarer Abend, kühl aber nicht mehr frostig, und die ersten Sterne schimmerten am Himmel. Die letzten Dorfbewohner saßen noch zu Tisch, und der Wein und das Bier flossen reichlich, aber die meisten waren schon aufgestanden, standen in Grüppchen beieinander, sahen den Tänzern zu, die sich im Takt der Musik auf der Wiese bewegten oder umringten das Beltainefeuer wo der König des Festes schon Platz genommen hatte und mit einem undeutbaren Ausdruck auf die Tänzer blickte.
Lautes Rufen erklang, als Líadan und Bregon ein zweites Mal Hand in Hand Anlauf nahmen und durch die Flammen sprangen.
"Ich hab's euch doch gesagt!", erklärte Treasa triumphierend. "Ja, aber ganz sicher warst du dir auch nicht!", konterte Rathnait.
"Solltet ihr nicht im Bett sein?", fragte eine Stimme hinter ihnen. Die drei Mädchen fuhren herum und sahen schuldbewußt unter dem Tisch hervor, der ihnen Deckung gegeben hatte. Caoimhe's leerer Blick sah an ihnen vorbei, aber aus Erfahrung wußten sie, daß die Blinde schon längst alles gehört hatte.
"Wir wollten das Feuer sehen!", krähte Úna treuherzig. Die anderen beiden nickten - in Schwierigkeiten waren sie ohnehin schon, aber vielleicht war die Jüngste süß genug um sie davor zu bewahren, gleich vor die Eltern gezerrt zu werden.
Caoimhe beugte sich zu den Kindern herunter. "Wißt ihr, was wir heute feiern?", fragte sie. Die Mädchen sahen sich an. "Beltaine?", fragte Rathnait unsicher. "Ja - aber was feiern wir da? Warum zünden wir ein Feuer an?" - "Weil es kalt ist?", schlug Treasa vor. Die anderen beiden kicherten. Die Blinde kniete sich neben die Kinder auf den Boden und versuchte eine bequeme Position zu finden.
"Wir feiern die Wiederkehr der Sonne, Kinder.", begann sie. "Wir feiern, daß die Sonne uns nach dem kalten Winter wieder Wärme schenkt - das Licht kommt schon zu Imbolc zurück, aber jetzt kommt die Wärme und das Leben zurück. Und dafür steht das Feuer. Und wenn das Leben zurückkehrt und alles grün wird, dann werden auch die jungen Tiere geboren. Der Winter ist eine Zeit des Sterbens - zu Samhain denken wir an die Verstorbenen und sind ihnen nahe, wir nehmen Abschied - aber jetzt ist die Zeit des Lebens. Wir springen durch das Feuer, um die Wärme und das Leben zu spüren - und um uns zu beweisen, daß wir uns nicht fürchten."
Einen Moment lang lächelte sie versonnen, wie in Gedanken, dann fuhr sie fort: "Und wie das Leben so ist wenn es frisch und jung ist und sich Bahn bricht - in dieser Nacht sind manche Regeln außer Kraft, die sonst gelten. Und deshalb werde ich euren Eltern auch nichts davon erzählen, daß ihr hier noch das Beltainefeuer angesehen habt - wenn ihr versprecht, nachher ins Bett zu gehen."
Alle drei nickten, aber dann erinnerte sich Rathnait daran daß Caoimhe das wohl nicht mitbekommen würde und sagte: "Ja, versprechen wir." - "Dann ist ja gut. Wißt ihr auch, warum wir dann morgen die Asche des Beltainefeuers auf den Feldern verstreuen?"
Treasa, die eine plötzliche Eingebung hatte, begann Caoimhe eine Grimasse zu schneiden und Úna kicherte leise. Rathnait sah ihre Freundinnen zornig an und machte eine entschlossene Handbewegung bevor sie antwortete: "Weil die Asche auch das Leben in die Felder bringt?" - "Genau."
"Und was macht der Beltainekönig dann mit der Hexe?", fragte Treasa. "Nur zusammen können Mann und Frau Leben bringen, Treasa.", erklärte Caoimhe. "Sie stehen für den Gott und die Göttin in dieser Nacht - der Gott gibt seine Kraft, die Göttin empfängt sie und läßt sie reifen, und zusammen schenken sie dem Land neue Fruchtbarkeit." - "Echt? Clíodhna verzaubert das ganze Land?", setzte Treasa nach. - "Nicht unsere Hexe - in dieser Nacht wirkt die Göttin durch sie.", antwortete Caoimhe.
Die drei Kinder starrten sie mit großen Augen an. "Können wir die Göttin sehen?", fragte Úna schließlich. "Nein - ihr geht jetzt wirklich ins Bett.", sagte Caoimhe bestimmt.
***
Das Feuer war heruntergebrannt, nur noch Glut funkelte geheimnisvoll inmitten der dunklen Wiese, und die Lichtpunkte einzelner Laternen erhellten Teile der Tische wo noch Dorfbewohner zusammensaßen, aber die Musik war verstummt. Statt dessen konnte man ab und an Kichern aus der Dunkelheit vom Rand der Wiese her hören. Hand in Hand verließen Paare die Wiese - manche auf dem Weg ins Dorf, andere - die jüngeren besonders - in Richtung der Felder. Die Tradition sagte, daß es die Felder fruchtbar machte, in der Beltainenacht auf ihnen das Lager zu teilen, aber Rórdán wußte aus eigener Erfahrung, daß die Nächte selbst um diese Zeit noch sehr feucht und kühl sein konnten.
Er zog sich seinen Umhang fester um die Schultern und sah sinnend in die Nacht, in Gedanken verloren, den jungen Paaren nach, die lachend in der Dunkelheit verschwanden, um am nächsten Tag mit einem ganz eigenen Gesichtsausdruck wieder im Dorf aufzutauchen - und dann über die Nacht zu schweigen. Zu Beltaine galt das Gesetz der Göttin - wenn ein Mann und eine Frau in dieser Nacht das Ritual zusammen begingen, dann war es in den Augen der Göttin heilig. Egal welche Bindungen und Traditionen und Verpflichtungen über ihr Leben den Rest des Jahres über bestimmten.
Für die, die zusammen in der Nacht verschwanden, war es ein wundervolles Erlebnis. Für die, die gehofft hatten und sich alleine fanden wenn das Feuer erloschen war und die Laternen gelöscht wurden... für die gab es auch schmerzhafte Erinnerungen. Als er jünger gewesen war... ein warmer, weicher Körper in seinen Armen der ihn die feuchte Kühle des gepflügten Felds vergessen ließ. Seidiges Haar an seiner Wange, der Duft von Rauch und vor allem der frischen Erde in seiner Nase.
Später dann die Hoffnung, daß Siofra sich für eine Nacht wenigstens eingestehen konnte daß sie mit ihrer Hochzeit einen Fehler gemacht hatte. Für eine einzige Nacht wenigstens... Er lachte kurz und bitter auf. Eigentlich hätte er sie so gut kennen können, nach all den Jahren, um zu wissen daß es nicht ihre Art war - sie biß die Zähne zusammen und kämpfte sich durch ihr Leben. Egal wie viel Steine ihr ihr Mann in den Weg legen mochte.
Er sah auf. Es war so weit. Die Mitglieder des inneren Kreises, die Dorfbewohner die Clíodhna bei ihren Ritualen unterstützten, kamen aus dem Wald, in ihren rituellen Gewändern, mit Fackeln in den Händen. Mit einem schnellen Griff tastete er nach seinem Dolch - den am Höhepunkt des Rituals nicht zu haben wäre vermutlich die Krönung dieser Nacht...
"Bist du bereit?", fragte Caoimhe ihn, als sie ihn erreicht hatten.
War er bereit? Wie ein Gott fühlte er sich sicher nicht, eigentlich nicht mal wie ein König. Aber das Ritual war wichtig für das Dorf, für das Gleichgewicht zwischen dieser und der Anderswelt, das hatte Caoimhe ihm weiß die Göttin oft genug erklärt.
"Ja, ich bin bereit."
Obwohl man für manche Dinge wohl nie bereit war.
***
Sie gingen zusammen durch den Wald bis sie an eine Lichtung kamen die im Mondschein lag. Auf ihr wartete eine Gestalt. Caoimhe machte eine schweigende, auffordernde Geste und Rórdán trat auf die Lichtung - und sah direkt ins Gesicht der Göttin!
Für einen Augenblick stockte ihm der Atem. Es war Clíodhna und doch nicht Clíodhna. Zeichen schmückten ihr Gesicht, Spiralen, Sonnen und Schlangenlinien deren Bedeutung er nicht erraten konnte, aber das war es nicht - durch die Gesichtszüge die er so gut kannte schimmerte etwas ganz anderes hindurch, in ein silbriges Licht gebadet wie der Mond selbst. Für eine halbe Ewigkeit starrte er sie einfach nur gebannt an.
Schließlich war sie es, die den Bann brach - sie kniete kurz nieder um eine Schale aufzuheben und streckte sie ihm dann hin. "Trink.", sagte sie ruhig.
Tausend Fragen schossen ihm durch den Kopf, aber er wagte keine davon zu stellen. Statt dessen griff er nach der Schale, hob sie an seine Lippen und trank. Die Flüssigkeit schmeckte bitter, nach einer Kräuteressenz, aber er hätte nicht sagen können was es war. Einen Augenblick lang hielt er die leere Schale unschlüssig in den Händen, aber fast sofort trat eine der Gestalten aus dem inneren Kreis vor und nahm sie ihm ab, so daß er nie den Blick von Clíodhna wenden mußte.
In ihren Augen lag etwas - eine Macht, ein Glanz, ein uraltes Wissen, das er da noch nie vorher gesehen hatte. Dann trat sie einen Schritt zurück, breitete die Arme aus und begann zu sprechen:
Die Göttin ruft nach ihrem Gefährten,
Er, der das Feuer ist, die sie entflammt.
Auf daß sie nach den silbernen Zügeln greifen,
Und wie Eines den Wagen über den Himmel reiten.
Möge der Hammer den Amboß treffen!
Möge der Blitzstrahl in die Erde fahren!
Möge der Speer den Kelch segnen!
Möge die Magie geboren werden.
Die Welt um ihn verstummte und verschwand im Schatten, nur ihre Augen hielten seinen Blick gefangen, Augen, in denen er die Ewigkeit sehen konnte. Langsam rauschte das Blut in seinen Ohren, kräftig konnte er seinen Pulsschlag fühlen, der der Pulsschlag der Erde selbst war - fest verwurzelt stand er im Wald, wie ein Teil der Bäume, und blickte regungslos auf die Göttin.
Sie trat vor, ihre rechte Hand ausgestreckt, und goldene Funken tanzten auf ihren Fingerspitzen. Langsam berührte sie seine Kehle, dann einen Oberkörper und seine Hüften, und jedesmal ging ein Schauer von ihrer Berührung aus. Rórdán fühlte, wie etwas von allen Seiten auf ihn zuströmte, wie sich für einen Moment ein unglaublicher Druck aufbaute, und die Kraft sich dann über ihm sammelte.
Und während sie immer noch seinen Blick hielt, trat Clíodhna zurück und sprach:
In ihren Namen rufe ich Dich!
Lugh, Belin, Cerumnos!
Komm und antworte auf meinen Ruf!
Etwas, wie ein Sonnenstrahl, traf ihn und wärmte jede Faser seiner Seele. Die Nacht öffnete sich vor ihm, wo vorher ein enger Raum aus Dunkelheit gewesen war, den das Mondlicht gegen die Schwärze des Waldes erkämpft hatte, da sah er jetzt Weite. Tiefe Ruhe legte sich in seine Seele, und gelassen wandte er den Blick von der Hexe, sah auf sich selbst, sah das goldene Feuer das über seine Arme tanzte, hob den Blick wieder und bewunderte den silbernen Glanz, in dem Clíodhna gebadet war.
"Sonne und Mond.", sagte er leise, fast staunend. "Tag und Nacht.", erwiderte Clíodhna. "Spüre die Gezeiten, die deine Seele bewegen."
Und er konnte sie spüren, wie die magische Kraft des Mondes über das Wasser, so konnte er spüren wie sie, die Göttin, sein tiefstes Inneres berührte und lenkte. "Spüre die Kraft, die dir immer wieder Stärke schenken kann.", erwiderte er, ohne zu wissen woher die Worte kamen.
Clíodhna streckte ihre Hand aus. "Komm.", sagte sie.