Riesentöterin
von @Rika
Wie sollte sie ihn nur töten? Den Speer ins Herz, kurz und schmerzlos? Oder sollte sie ihn mit dem Schwert schneiden? Immer und immer wieder. Mit ihm tanzen, bis er irgendwann den Dreck zu ihren Füßen fressen würde?
Ebenso kreisten ihre Gedanken darum, mit welcher Trophäe sie, als Beweis ihrer erfolgreichen Mission, in das Dorf zurückkehren sollte. Der Kopf des Ungeheuers würde vermutlich mehrere Pfund an Gewicht auf die Waage bringen und sie hatte wahrlich keine Lust darauf zwei Tage lang diese, angeblich überaus hässliche, Rübe durch die Wildnis zu schleppen.
Einige Dorfbewohner, die den ‚bergischen Schrecken’ bereits gesehen, ihm vielmehr nicht in die Quere ge- oder gar entkommen waren, berichteten von grausigen Stoßzähnen und spiralförmigen Hörnern, welche ihm aus dem Kopf wachsen sollen. Ob das Mitbringen eines jener Auswüchse die Menschen überzeugen würde? Wohl kaum. Schließlich hätte sie sich dafür auch einfach bei einem der, zumeist friedlichen, Tiere bedienen können, die die grauen Berge zuhauf bevölkerten und deren Bestimmung als Jagdbeute der Dörfler, ein gewisser Riese in schöner Regelmäßigkeit zu verhindern wusste.
Oder sollte sie diesem vielleicht doch einfach, so wie sie es sich vergangene Nacht an ihrem kleinen, gemütlichen Lagerfeuer ausgemalt hatte, den Pimmel abschneiden und letztlich diesen als Nachweis ihres Triumphes ihren Auftraggebern präsentieren? Es amüsierte sie der Gedanke, in welchem sie sich die Reaktionen der Männer Bergens, auf das riesenhafte Gemächt ausmalte. Beschämte Blicke, selbst hinter Männlichkeit vortäuschendem Bartwuchs nicht zu verbergen, sah sie dabei immer wieder vor Augen. Kerle, zu kleinen Jünglingen verkommen, die sich der eigenen Kümmerlichkeit ihrer winzigen, rosafarbenen Zipfel bewusst werden würden. Aber war es denn nicht schon genug, dass deren Mannhaftigkeit gegenwärtig bereits darunter litt, dass ausgerechnet Henricca aus den, oftmals verspotteten, da ‚verweichlichten’ grünen Landen, den bösen, bösen Riesen für sie töten sollte?
Mochte ihre Wertschätzung für die Bergischen noch so gering ausfallen, für die horrende Belohnung, die man ihr in Aussicht stellte, sollte sie sich ihnen gegenüber zumindest nicht allzu provokant gebaren.
Ihr Weg hinauf zu den Gipfeln gestaltete sich beschwerlich. Gab es zu Anfang noch Straßen, die als solche erkennbar waren und denen sie folgen konnte, verkümmerten diese nun immer mehr zu steinigen, schmalen Pfaden, auf denen man nicht einmal mehr einen Handkarren hätte mit sich führen können. Mochte sich hier, aufgrund der Wildheit der Natur, kein Anzeichen menschlicher Bestrebungen finden lassen, ebendiese in ein Korsett zu zwängen, so waren doch die Spuren, die augenscheinlich einem Riesen zuzuordnen waren, unübersehbar. Umgeknickte Bäume, förmlich niedergemähte Hecken und Sträucher und natürlich die riesigen Spuren in den getrockneten Schlammpfützen. Fußabdrücke, die fast zwanzig Zoll an Länge maßen und sich etwa zwei Hand breit ausdehnten. Sie wirkten wie, in den Boden gezeichnete, Warnungen.
„Dreh um und geh’ nach Hause“, schienen sie ihr förmlich entgegen zu rufen. Und um ein Haar hätte sie wirklich zu zweifeln begonnen und am Ende womöglich gar auf die versprochene Belohnung geschissen. Doch solche Gedanken waren nur einmal mehr ein Anzeichen dafür, dass es wieder an der Zeit für einen Schluck Verwegenheit war.
Es schmeckte erneut fürchterlich. Wie jedes Mal, wenn sie sich einen Mundvoll des dickflüssigen Gesöffs in den Rachen goss. Gerade genug, um keinen Brechreiz auszulösen und den kostbaren Tropfen ja bei sich zu behalten.
„Wie vergorene Milch, welche aus einem faulenden Fischkadaver gepresst wurde“, lautete die überaus treffende Geschmacksbeschreibung.
Ausgesprochen hatte sie ein, in bunte Stoffe gekleideter, brauner Mann aus dem Inselring, dessen Handelsschiff, in Folge eines Sturms, unplanmäßig vor der Küste ihres Heimatdorfs ankern musste, damit man sich um dessen beschädigte Segel kümmern konnte.
‚Riesenmilch’ nannte er das stinkende Gesöff. Von mutigen Männern direkt aus den Zitzen der Riesinnen der fernen Insel Talak’i gesaugt. Angeblich würden sich die Milchjäger dafür in die seltenen Riesenwürfe schmuggeln, um schließlich, mit ihren vorübergehenden Brüdern und Schwestern, um den ‚weißen Nektar’ wettzueifern.
Henricca kannte viele Geschichten von den kupferfarbenen Menschen des Inselringes, welcher Talak’i umgab. Selbst wenn man nur wohlwollend der Hälfte aller Erzählungen Glauben schenken mochte, so gehörte jene von der Riesenmilchgewinnung zweifelsohne noch zu der glaubwürdigeren Sorte. Ein von Gold durchsetztes Lächeln zeigte sich ihr, als sie dem Insulaner die feilgebotene, in den Farben des Regenbogens strahlende, Karaffe abkaufte, währenddessen das Meer in der Ferne eine vertraute Melodie sang.
Ein Schluck und man spürte keine Erschöpfung mehr. Gleichzeitig drehte die Milch ihre Sinne auf Anschlag. Kein Geräusch war mehr zu leise, kein Windstoß zu sanft, kein Geruch zu unscheinbar und kein optisches Detail zu klein, um nicht wahrgenommen zu werden. Die Kraft in ihren Armen und Beinen schien sich zu verdoppeln, wenn nicht gar zu verdreifachen. Jetzt wirkten ihre leisen Zweifel, die sich immer wieder hinter ihre Stirn zu drängen versuchten, gänzlich unbegründet. Sie spürte das Schwert an ihrem Gurt, den zum Wanderstab umfunktionierten Speer in ihrer linken Hand. Unlängst war sie mit ihren Waffen verschmolzen, waren diese zu weiteren Körperteilen geworden. Sie war das tödlichste, gefährlichste Wesen auf diesen Wegen. Das künftige Verderben eines Riesen, des bergischen Schreckens, der die Menschen in seiner Umgebung schon viel zu lange drangsaliert hatte.
Henricca, die Riesentöterin. Ein Name gedacht dazu, künftige Generationen zu überdauern.
Mittlerweile schien das grüne Plateau vor dem Gipfel, dort wo das Ungeheuer angeblich wie ein König über der Welt thronte, zum Greifen nahe. Wenn sie ihre Schritte nur ein wenig beschleunigte, würde sie noch vor Einbruch der Dämmerung ihr Ziel erreichen und ‘Ihre Majestät von Fels und Vogelscheiße‘ aus dieser Welt befördern.
Seit einiger Zeit schon vernahm sie zunehmendes Getrappel um sich herum. Kleines Getier, welches sich offenkundig durch das schützend hohe Gras und zwischen den grünen Tannen bewegte, ihr auf Schritt und Tritt folgend. Sie erhaschte Blicke auf einen Fuchs, mehrere Hasen und sogar Reh und Hirsch waren zugegen. Auch das Gezwitscher und Gekrächze der Bewohner der Lüfte mehrte sich scheinbar im Minutentakt. Ein Blick gen Himmel offenbarte ihr bald schon ganze Schwärme der verschiedensten Vogelarten aller Größen und Farben. Aus welchen Gründen auch immer sie ihr folgten, sollten sie doch allesamt, in der Luft wie am Boden, ihre Zuschauer sein. Mochten sie bezeugen und schließlich verkünden, wie die Riesentöterin die grauen Berge, immerhin auch ihre Heimat, von diesem zu groß geratenen Usurpator befreite.
Die letzten Schritte unter wachsamen Augen und da erreichte sie auch schon ihr Ziel. Sofort fiel ihr Blick auf den, gut sechzig, vielleicht siebzig Schritt entfernten, schwarzen Schlund der Riesenhöhle, die da inmitten des Felsens klaffte. Wenn man dessen Bewohner ernsthaft als Herrscher der grauen Berge betrachten mochte, so besaß dieser doch den erbärmlichsten Herrschaftssitz, den man sich nur ausmalen konnte.
Nur an seinen Randbereichen wurde das grüne Plateau seinem Namen gerecht.
Um den Eingang des Lochs im Felsen herum, hatte sich ein braun-grauer Schleier über das Leben gelegt. Die Bäume trugen keine Blätter mehr, dafür nun den Großteil der geflügelten Zuschauer. Und dort wo einst das Gras aus dem Boden spross, waren tiefe Wunden in die nunmehr graue Erde geschlagen. „Geh da weg“ und „Lauf zurück“, drang leise an ihre Ohren, doch auch Geister im Winde würden sie nun nicht mehr zurückhalten.
Ein tiefes, undefinierbares Grollen, weder menschlich, noch tierischen Ursprungs ertönte aus dem Dunkel. Ein durchdringender Laut, welcher dafür sorgte, dass sich ihre Hand prompt fester um den Speer schloss, dieser von einer Gehhilfe wieder zu einer Waffe wurde.
Immerhin war sie jetzt auch zu einer Entscheidung gelangt, wie genau sie ihn töten würde.
Er zeigte sich. Ein grauhäutiges Biest mit breiter, entstellter Fratze. Keine Hörner oder Stoßzähne, dafür aber schwarze Haare, die überall wie glänzendes Gestrüpp aus seinem massigen Körper wuchsen, der letztlich mehr einem Felsen glich, der mit pechfarben Moos überzogen war. Seine Augen leuchteten gelb und hell.
Kaum das der wuchtig geworfene, zielgenau einschlagende Speer wirkungslos an dem Ungetüm abprallte, war dessen Zorn auch schon geweckt. Einen ohrenbetäubenden Schrei ausstoßend stürmte er in ihre Richtung.
„Dann also das Schwert“, malte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Insgeheim erfüllte sich somit ihre leise gehegte Hoffnung, zum tödlichen Tanz gebeten zu werden. Sie hob ihre Klinge über Kopf. Als er ihr schließlich nahe genug war, sprang sie ihm entgegen und ließ die scharfe Schneide, begleitet von einem lauten Kampfschrei, niedersausen.
Und als auch dieser Angriff verpuffte, sie sich daraufhin im freien Fall befand, da konnte sie das Gelächter hören. Ihre Zuschauer verspotteten sie lauthals aus ihren Mäulern und Schnäbeln.
Unsanft prallte sie wogegen und die Welt vor ihren Augen wurde so schwarz, wie der Riese, der sie soeben mit einem einzigen Hieb durch die Luft gewirbelt hatte, als ob er eine lästige Fliege verscheuchen wollte.
War das das Ende? Nein! Obwohl es sich anfühlte, als hätte nicht viel gefehlt um das Tor zur Hölle aufzustoßen, so war dies nicht die Anderwelt.
Ihr Kopf schmerzte und ihre Zunge lag pelzig in ihrem Mund, als hätte sie seit Tagen keinen Schluck Wasser zu sich genommen.
Sie kannte diesen Ort. Nicht zum ersten Mal, dass sie in einem dieser Betten lag. Sie erkannte die Schläuche um sich herum, den unverkennbaren Duft nach Desinfektionsmittel.
Sie fühlte sich elend. Würde sich ein überfahrener Hund zu seinem Zustand äußern, mit großer Sicherheit könnte man jene Beschreibung Eins zu Eins auf den ihrigen übertragen.
Bruchstückhaft erinnerte sie sich an ihren letzten Traum. An Riesen und Schwerter. An Musik und Scheinwerfer. Und natürlich an die Riesenmilch.
Letzte Nacht war es Henricca, die Riesentöterin, die aus jenem weißen Nektar erwuchs. Er hasste ihre Arroganz. Es erinnerte ihn an unschöne Dinge aus seiner Vergangenheit.
„Ach Henrik“, sagte er schließlich leise zu sich, „so kann es nicht weitergehen. Nie wieder Drogen, mein Freund. Sie werden sonst noch dein Tod sein!“