Beiträge von Thorsten im Thema „Anfang!?!“

    Beim Schreiben versuche ich natürlich schon, einen guten Anfang hinzukriegen, aber ob der erste Satz da jetzt ein Eyecatcher ist oder nicht, ist mir relativ unwichtig - schön, wenn er es (auf "natürliche", nicht konstruierte Art) ist, aber wenn nicht ist es auch ok, solange das Kapitel den Zweck erfüllt und Interesse weckt


    Hm, ich hab' den Verdacht wir meinen was aehnliches, aber ich kann mit der Unterscheidung zwischen 'natuerlich' und 'konstruiert' nichts anfangen - sobald ich irgendwas zu Papier bringe, ist es nicht mehr so wie ich es natuerlich einem Gegenueber im Gespraech erzaehlen wuerde, sondern ich konstruiere an den Saetzen, verwende Synonyme um Wiederholungen zu vermeiden, variiere Satzbau, glaette die Wortwahl zu einer einheitlichen Stilebene...

    Also, ich wuerde es vielleicht so sagen - der Prolog gibt ein Versprechen fuer die Geschichte ab, der erste Satz ein Versprechen fuer den Prolog - daher sollten die idealerweise zu dem Besten gehoeren was die Geschichte zu bieten hat - aber trotzdem zu der Geschichte gehoeren, wenn der Prolog einsam weit ueber der Qualitaet der Geschichte thront und stilistisch ganz anders ist, oder der erste Satz einen brillianten Gedanken ausdrueckt der nie wieder in der Geschichte erreicht wird, dann ist das fatal - ich setze dann typischerweise den Autor wegen 'Etikettenschwindel' auf die 'Never again' Liste.

    (Im Internet gibt's ja diese systematisch als Clickbait designten 'Die 10 tollsten XY' oder '... aber dann geschah etwas ueberraschendes!' - deren Problem ist, dass der geklickte Artikel das dann aber nie hergibt - merkt der Leser auch irgendwann und zieht die Augenbrauen hoch).

    Aber - es kann sein dass der erste Satz so richtig brilliant gefeilt ist - und die Geschichte kann das nachher auch einloesen - die bleibt von Ideen und Tempo so - das funktioniert.

    Bei euch (wenn ich mal aus Zwischen Leben und Tod I zitieren darf):

    Ein eisiger Wind blies Halvar ins Gesicht, während das kleine Beiboot heimlich vom Heck der Aurora zu Wasser gelassen wurde.

    Egal wie Du den geplant hast - das ist ein starker erster Satz. Die Kombination aus 'eisiger Wind', Schiff und 'Wasser' fuehrt sofort zu einem Bild von rauhem Seegang, tiefen, schnell ziehenden Wolken, vielleicht nach einem Sturm, dem Gefuehl von Schaukeln - das setzt die Szene ganz schnell durch eine Assoziationskette. Das 'kleine' Beiboot bringt das Thema von Ausgeliefertsein sein (der geht ja damit in die rauhe See), und das 'heimlich' bringt sofort die Idee von einer gefaehrlichen Aktion - Schmuggel vielleicht, oder etwas aehnliches.

    Die ganze Stimmung ist schon mit dem Satz gesetzt, und den Gegenwind im Gesicht kann man, wenn man mag, auch metaphorisch nehmen. Da sind schon die Haelfte der Themen des Prologs in dem Satz angerissen - ein langsamer Einstieg schaut anders aus :D

    Und - es passt zun Stil des Prologs - es geht so weiter, die Stimmung ist gedrueckt, die Lage unsicher, es ist keine Zeit fuer Brillianz oder Heldentum - insofern loest der Prolog das Versprechen seines ersten Satzes durchaus ein, das passt zusammen und ergibt ein Ganzes.