Thema 11. Märchen
Vynarian
Reichtum
Es war einmal eine Schatztruhe, voller Reichtümer aus aller Welt. Sie zu finden war für lange Zeit das Ziel eines jungen Mannes namens Hans. Er stammte aus einer Familie mit einer langen Tradition, denn sie betrieben schon seit vielen Generationen ein Verkaufsgeschäft für Wurstspezialitäten verschiedenster Art. Er führte ein sorgloses Leben und auch wenn er stets ein viel zu neugieriges Kind und immer leicht zu beeinflussen war, wurde aus ihm doch ein respektabler junger Mann. Dennoch hatte Hans noch viel zu lernen und wie diese Lektionen aussehen würden, erahnte er noch nicht.
Immerzu befürchtete Hans, er würde ein langweiliges Leben führen und die Tradition seiner Familie fortführen müssen. Dabei wollte er doch immer die Welt entdecken, Schätze finden und ein Abenteurer sein, so wie sein Ur-Ur-Urgroßvater. Ganz besonders der uralte Schatz aus den Geschichten seiner Kindheit hatte es ihm angetan und angeblich war sein Ur-Ur-Urgroßvater seinerzeit auch hinter ihm her gewesen. Eines Tages entschied er sich seine sieben Sachen zu packen, hinterließ seiner Familie einen Abschiedsbrief und zog von dannen, hinaus aus der Großstadt, die ihm sowieso nicht sonderlich gefiel. Und so begannen die Abenteuer von Hans Wurst.
Seine Reise führte Hans durch ein sehr sumpfiges Land und nach einigen Tagen erreichte er eine kleine Hütte, die auf einem großen Holzpodest stand. Das Haus war schön bunt dekoriert, was so gar nicht zu dieser Gegend passte, und aus dem Inneren drang ein herrlicher Duft hinaus. Hans wusste, dass man nicht einfach Fremde in ihrem Haus stören durfte, doch er war viel zu neugierig und schlich sich an eines der Fenster heran, um hinein zu sehen. Es war eine gemütliche Stube zu sehen, im Kamin brannte ein Feuer und auf einem kleinen Tisch stand ein Teller mit Spekulatius, die Hans zuvor bereits riechen konnte. Vor dem Kaminfeuer stand ein großer Sessel und Hans hätte schwören können, dass dort eben noch eine verhüllte Gestalt saß.
"Wer schleicht sich da auf meiner Terrasse herum? Sei gewarnt Fremdling, ich bin Sinya, die mächtige Hexe.", sagte plötzlich eine alte Frauenstimme und anschließend war ein grausiges Lachen zu vernehmen. Hans stotterte und versuchte verzweifelt sich herauszureden, doch die Hexe ließ sich nicht besänftigen. "Ich werde dich in eine fürchterlich hässliche Kröte verwandeln, dann kannst du dein restliches Dasein damit verbringen, darüber nachzudenken, wie deine unersättliche Neugier dich in diese missliche Lage gebracht hat", sagte sie kichernd und rieb die Warze auf ihrer grünen Hakennase.
Plötzlich kam ein Mann in glänzender Rüstung mit einem gezwirbelten Bart wie aus dem Nichts angerannt, stellte sich vor Hans und rief: "Haltet ein ihr fieser Bösewicht. Ich bin der Ritter Zwiebelbart vom heiligen Orden der Zwiebelringe und ich beschütze die Schwachen vor den Hexen und sonstigen Viechern dieser Welt." Sichtlich verärgert, denn einen heiligen Ritter konnte sie mit ihrer Magie weder bezirzen noch verwandeln, zog sich die Hexe grummelnd in ihre Hütte zurück. Zwiebelbart, der Hans nun half aus dem Sumpf heraus zu gelangen, sagte zu ihm: "Ich hoffe du hast gelernt, dass es schlimm ausgehen kann, wenn man Fremden begegnet, besonders wenn es Hexen oder andere Fieslinge sind. Du solltest deine Neugier besser zügeln, Bursche." Hans nickte, bedankte sich und schon nach kurzer Zeit trennten sich ihre Wege wieder.
Nach einer Weile kam Hans in einen tiefen dunklen Wald. Er fand dort nach einigen Stunden des Herumirrens einen Baum, der weit abseits von allen anderen Bäumen stand und etwas Mysteriöses und Uraltes ausstrahlte.
Dort hing eine orange-rote Frucht, die die Größe seines Kopfes hatte. "Wow! Wie die wohl schmeckt?", ging es Hans, der nicht mehr aus dem Staunen heraus kam, durch den Kopf. Zuerst wagte er es nicht jene Frucht zu pflücken, doch ein Stimme flüsterte ihm zu und versuchte ihn dazu zu verleiten. Er ging langsam auf den Baum zu und war wie verzaubert von der mächtigen Präsenz dieser Frucht. Die zarte Hand einer elfischen Maid packte ihn am Arm, sanft aber bestimmt. "Du würdest es nur bereuen", sagte diese wunderschöne Elfin, die goldenes Haar hatte. Er schaute sie verwirrt an und sie fügte hinzu: "Ich spreche von der Frucht. Sie ist uralt und hier in meiner Heimat bekannt als die Frucht der Teufel. Es heißt, dass sie selbst die Willensstärksten verführen könne. Scheinbar konnte ich ihre Macht über dich brechen." Sie lächelte ihn an und er bedankte sich bei ihr.
Die Elfin nahm Hans' Hand und führte ihn durch den Wald, zu einer kleinen Höhle, wo sie zu leben schien. Er erzählte ihr von seiner Reise, was er bisher erlebt hatte und wo es ihn noch hinzog. Die beiden verstanden sich gut und verbrachten eine wunderschöne Nacht miteinander. Am nächsten Morgen, als die Elfin noch schlief, schnappte sich Hans seine Sachen und zog davon. Er würde diese Nacht niemals vergessen und auch wenn er sie ein wenig vermissen würde, so war er doch nicht ihrem Zauber erlegen.
Er erreichte schließlich das Schloss des alten Zauberers Pepperonius Abrakadabrus Chilibus Alakasam, in dessen Bibliothek sich die Karte befinden soll, die zu dem Schatz führt, den Hans schon so lange begehrt.
Hans öffnete das Tor und ging durch den Garten. "Pass doch auf, wo du hintrittst!", hörte er zwei Stimmen hinter sich im Einklang krächzen. Er sah eine Tomate, so groß wie ein Kopf und eine Lauchstange, so lang wie ein Bein. "Wer seid ihr? Und wieso könnt ihr sprechen?", fragte Hans verwundert. Wieder ertönten die zwei Stimmen im Einklang und Hans sah wie sich ihre scharfkantigen Münder dabei bewegten:"Wieso sollten wir nicht sprechen können? Wir sind die Wächter von Alakasam's Grund und Boden. Hinfort mit dir, sonst müssen wir dich davon jagen!" Hans rannte zum Schloss, während die Wächter hinter ihm her hüpften und dabei quietschende Geräusche von sich gaben. Er öffnete das Tor, sprang hinein und schloss es von innen. Draußen konnte er hören, wie die beiden Wächter gegen die Tür knallten und sich unter wütenden Schmerzensschreien zurückzogen. Hans eilte durch die vielen unübersichtlichen Gänge des Schlosses und erkundete die Räumlichkeiten.
Er kam an einer Tür vorbei und hörte einen alten Mann, vermutlich der Zauberer persönlich, unter der Dusche singen: "Und diese Summse, die ich bumse, nennt sich Maja!"
Schnell holte Hans einen großen Spiegel aus einem der anderen Zimmer und stellte ihn direkt vor die Eingangstür zum Bad. Für den Fall, dass der Zauberer fertig ist, bevor Hans wieder weg war, würde ihn das für eine Weile ruhig stellen. Denn wie wir alle wissen, können alte seltsame Zauberer den plötzlichen Anblick ihrer Selbst nicht ertragen und werden davon für geraume Zeit ohnmächtig. Manch einer behauptet, auch Knoblauch könne diese Ohnmacht herbei führen, doch das funktioniert nur bei den seltenen Exemplaren, die kein Spiegelbild besitzen. Im ganzen Land war bekannt, dass Pepperonius Abrakadabrus Chilibus Alakasam kein solcher war. Ironischerweise stammt er jedoch aus einer Zeit, in der Spiegel noch nicht erfunden waren. Aber zurück zu Hans:
Er lief weiter durch die verzweigten und verwirrenden Gänge, doch dann konnte er tatsächlich das Arbeitszimmer finden und nach kurzer Zeit des Suchens hielt er endlich die Schatzkarte in den Händen. Bei dem Versuch einen Weg aus dem Schloss heraus zu finden, gelangte Hans ins Gefängnis, tief im Keller des Gebäudes. Dort begegnete er einem Mann mit Hut, Augenklappe und einer Hakenhand, der sich als "Kapitän Arnold Adalbart mit dem schwarzen Bart" vorstellte. Hans befreite den armen Mann, der schon seit Jahren hier im Verlies des bösen Zauberers fest saß. "Bursche, hab vielen Dank. Dafür, dass du mich befreit hast bevor der alte Knacker an mir herum experimentieren konnte, schulde ich dir etwas. Meine Crew, mein Schiff und natürlich auch ich selbst stehen dir jederzeit zur Verfügung." Hans nahm das Angebot dankend an und zeigte Arnold die Karte. Arnold, der wusste wo die Schatzinsel war, antwortete: "Ay, wir werden dich dort hin bringen, Bursche."
Nach einigen Tagen auf hoher See, die von schlechtem Wetter geprägt waren, erreichten sie die kleine Insel. Hans lief ein paar Schritte am Ufer entlang, zu der Stelle, die auf der Karte markiert war, und begann zu graben. Schließlich fand er die Truhe und als er sie öffnete, in Erwartung großer Reichtümer, stellte er fest, dass sie vollkommen leer war.
Kapitän Arnold klopfte dem jungen Mann aufmunternd auf die Schulter und sprach: "Weißt du Bursche, der wahre Schatz sind die Erfahrungen, die du unterwegs gemacht und die Gefährten, die du gefunden hast." Hans nickte lächelnd und erwiderte: "Lasst und auf diese großartige Reise anstoßen. Setzt die Segel, wir müssen eine Taverne finden!"
Dann segelten sie in den Sonnenuntergang und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.