Part 22
***
Gott
sei dank!“, säuselte Frank aufatmend und erhob sich von seinem
Stuhl, als er Renée das Lokal betreten sah. Zwar war 'Little
Caesars Pizza' kein Sterne-Restaurant, aber zu ihrer Arbeit konnte er
sie ja nicht ausführen. Denn 'Kosta's Lounge' war ohnehin
unübertrefflich in La Ronge.
Zielstrebig
und leicht gehetzt kam sie zu seinem Tisch hinüber und kämmte sich
unterwegs mit den Fingern das leicht zerzauste Haar zurecht. Ein
freundliches aber zaghaftes Lächeln hatte sie aufgesetzt. Sie trug
eine violette Pailletten-Bluse, dazu eine schiefergraue, wadenlange
Culotte und Chelsea Boots mit flachem Absatz.
Er
selbst sah sich nun in seinem weinroten Hemd und der hellbraunen
Jeans nicht mehr nobel genug gekleidet.
„Entschuldige,
Frank“, sagte sie völlig außer Puste und rollte weit mit den
Augen. „Grace ist heute ganz spontan krank geworden und da musste
ich natürlich extra viel rotieren!“
„Oh,
das tut mir leid.“ Verblüfft und peinlich berührt knetete er
seine Hände.
„Dann
hab ich in der Eile mein Handy auf Arbeit vergessen und -“ Sie
unterbrach ihren Satz, als ihr Blick auf das kleine violette
Schächtelchen neben Frank fiel.
„Unter
diesen Umständen sei dir verziehen“, erwiderte er knapp, merkte
aber sofort die unglückliche Formulierung. Renées schiefer Blick
unterstrich das zusätzlich.
„Ich
meine -“, setzte Frank an, aber Renée unterbrach ihn kurzerhand.
„Ich bin ja jetzt da, also …“ Dann nahm sie die Menükarte vor
sich zur Hand.
Frank
hatte sich sein Essen zuvor bereits ausgesucht und schaute nach der
Bedienung, um ihr ein Handzeichen zu geben. Renée bekam davon nichts
mit, sie war zu vertieft in die Speisekarte.
Kurz
darauf kam die Bedienung an den Tisch mit zwei Grapefruit-Limonaden.
Erst jetzt schaute Renée verdutzt auf und nahm nach einem kurzen
Blickaustausch mit Frank ihr Getränk entgegen.
Sie
bestellten ihr Essen und die Bedienung ließ sie wieder allein.
Frank
sprach einen Toast aus: „Auf einen wunderbaren Abend zu zweit!“
Mit diesen Worten hielt er sein Glas zum Anstoßen hin.
Renée
ging drauf ein, wenn auch zögerlich.
Um
die Wartezeit aufs Essen zu verkürzen nutzte Frank die Gelegenheit
und schob ihr das winzige Schächtelchen herüber, das sie bereits
ins Auge gefasst hatte.
„Ein
kleines Geschenk für dich“, meinte er, behielt aber seinen stets
nüchternen Gesichtsausdruck bei. Es war nicht so, dass er nicht
lächeln konnte. Aber er konnte Renée noch immer nicht klar genug
einschätzen. Und bevor er zu viele Gefühle von sich preisgeben
würde, brachte er lieber zu wenig rüber.
Mit
leicht zusammengekniffenen Augen und Schmunzeln nahm sie es an.
Gebannt
schaute Frank ihr zu, wie sie es öffnete.
Aber
ihr anfänglich fröhlicher Gesichtsausdruck wich einem Ernsteren.
Mit tiefen Stirnfalten und gespitztem Mund schaute sie den Inhalt
genauer an und klappte anschließend die Schachtel wieder zu.
„Danke“,
sagte sie ohne jegliche Betonung und schob das Geschenk etwas zur
Seite. „Ich hab' leider nichts für dich dabei …“
„Macht
nichts“, erwiderte er abwinkend und konnte sich doch ein Lächeln
entlocken. Wobei es eher gekünstelt als echt aussah.
Renée
griff wieder nach ihrem Glas und starrte nachdenklich auf den pinken
Inhalt. Bis auf ein kurzes Naserümpfen gab sie keine weiteren
Signale von sich, die Frank zu interpretieren wusste.
Und
daraufhin vertiefte auch er den Blick in sein Getränk. Dennoch
konnte er es nicht vermeiden, auch ein Auge auf sie zu werfen.
Er
fragte sich, was ihr gerade durch den Kopf ging.
Mochte
sie sein Geschenk nicht? Oder war es ihr zu aufdringlich?
Sicherlich,
man sagte immer, mit Blumen konnte man nichts falsch machen. Aber
Frank wollte Renée nichts geben, was vergänglich war.
Natürlich
freute er sich ungemein, dass sie da war. Aber es machte ihn auch
unsicher. Immer, wenn sie in seiner Nähe war, hatte er ein flaues
Gefühl im Magen, seine Hände begannen zu zittern und das Herz
klopfte wilder. War es ihr bezauberndes Lächeln oder das feuerrote
Haar?
Frank
nahm ihre Hand, streichelte sie leicht und blickte ihr tief in die
Augen. Wie wunderschön er das satte Grün darin fand und ihr
dezentes Make-up - wie sie es auch bei ihrer Arbeit hielt -
versteckte keineswegs ihre natürliche Schönheit. Generell war er
sehr angetan von ihrem Outfit an diesem Abend.
Die
folgenden Worte kosteten ihn viel Überwindung. „Ich weiß, ich bin
nicht der Mann deiner Träume. Auch nicht perfekt. Und auch nicht
sehr charmant. Hab' ich heut wieder bewiesen. Aber ich werd immer für
dich da sein. Ich werd dich nie im Stich lassen. Ich werd dich immer
beschützen.“
Renée
fing plötzlich an zu weinen. Mit ihrer freien Hand wischte sie sich
die Träne aus dem Auge und baute wieder intensiven Blickkontakt auf.
Das feuchte Glänzen in ihren Augen war unübersehbar.
„Nein,
Frank“, ergriff sie das Wort. „Ich bin nicht perfekt. Ich
habe Fehler gemacht. Du bist gut, so wie du bist!“
„Was
meinst du?“, fragte er und wollte ihr die nächste Träne
wegwischen. Aber Renée drückte seine Hand weg.
„Frank
… Hast du wirklich daran gezweifelt, dass ich heute herkomme?“
„Etwas
schon.“ Er nickte leicht.
Sie
schüttelte den Kopf und setzte ein fröhliches Lächeln auf. Die
zuvor traurigen Augen wandten sich nun in glückliche um. „Ich wäre
sogar noch hergekommen, wenn das Restaurant bereits geschlossen
hätte. Eben, weil ich es dir versprochen habe.“
Worte,
die ihn sofort berührten. Aber es für ihn keineswegs leichter
machten, mit dieser Situation umzugehen.
Renée
redete weiter und musste sich anstrengen, nichts ins Schluchzen zu
geraten. „Wie oft du mit mir geflirtet hast. Und ja, es war mir
auch etwas peinlich. Aber eigentlich auch wieder rührend.“
Frank
wurde rot im Gesicht und wandte seinen Blick leicht von ihr ab.
„Frank!“,
sprach sie weiter und zog seinen Arm näher zu sich. „Ich habe in
den letzten Tagen erkannt, was ich wirklich will. Und das bist du!“
„Aber
mein Geschenk …“ Er schaute zur Schachtel. „Warum freust du
dich nicht darüber?“
„Es
gefällt mir doch. Aber ich kann's nicht annehmen. Noch nicht …“
Dann
beugte sie sich zu ihm rüber und bedeutete ihm, dasselbe zu tun.
Nach kurzem Zögern beugte er sich auch zu ihr hin und bekam von ihr
einen sanften Kuss auf die Wange. Im Hintergrund sah Frank den
Kellner mit ihrem Essen kommen.
Nur
einen Sekundenbruchteil später wiederholte sich dieser Augenblick.
Renée beugte sich erneut zu ihm hin und gab ihn einen Kuss. Und der
Kellner kam wieder auf sie zu.
Dieser
Moment wiederholte sich erneut und mit jedem Mal veränderte sich das
Licht im Restaurant etwas mehr. Das strahlende Hell des Tages wich
dem intensiven Rot. Aus dem Augenwinkel konnte Frank sehen, wie die
Silhouette des Kellners sich verschleierte und immer mehr zu einem
Schatten verschwamm. Vier Lichtpunkte bildeten sich und wurden immer
greller.
Gefangen
in diesem wunderbaren Gedanken schien die bittere Realität ihn
wieder einzuholen. Das grelle Leuchten wurde einnehmender und
umhüllte ihn schnell, bis die Erinnerung gänzlich davon überflutet
war.
***
„Mein
Angebot steht noch“, meinte Frank und schenke Renée ein leichtes
Lächeln. „Hast ja meine Nummer.“
Sie
nickte angedeutet mit langsamem Augenaufschlag und räumte seinen
Teller ab. Während sie das Geschirr zur Küche brachte, erhob sich
Frank vom Platz und ging langsam zur Tür. Ein letzter Blick in
Kosta's Lounge und zu Renée rüber – er winkte ihr zum Abschied zu
– und dann verließ er das Lokal.
„Und
wirst du's machen?“, vernahm Renée die neugierige Stimme ihrer
Kollegin Grace, die sie schmunzelnd aus den Augenwinkeln anschaute.
„Was?“,
fragte sie stirnrunzelnd und schnappte sich den feuchten Wischlappen
von der Spüle.
„Ihn
anrufen“, wiederholte Grace.
Renée
zuckte nur mit den Schultern. Sie war sich noch unsicher. Wollte sie
Frank die Chance geben?
Grübelnd
ging sie zum Tisch rüber und wischte ihn ab.
Sicherlich
war Frank optisch nicht ihr Traummann. Aber er hatte Charme und einen
unvergleichbaren Humor, den nur Wenige zu schätzen wussten. Renée
musste immer schmunzeln, egal, wie schlecht der Witz auch gewesen
war.
Während
ihre Gedanken weiter um ihn kreisten, erspähte ihr Blick Isaac, der
sich kurz zuvor an einem Ecktisch gesetzt hatte.
Ihr
zweiter Verehrer, dem sie aber weitaus weniger Beachtung schenken
wollte als Frank.
Er
war schon optisch ein krasser Gegenpart zu ihm. Deutlich muskulöser
und mit seinen fast zwei Metern einen ganzen Kopf größer. Und
jünger war er. Neben ihm fühlte sogar Renée sich mit ihren 33
Jahren alt.
Er
winkte sie zu sich.
Am
liebsten hätte sie es ihrer Kollegin überlassen, aber diese lehnte
bereits ab. Renée wusste, dass Grace das extra machte, um sie
bloßzustellen.
Die
Wut unterdrückend setzte Renée ein dezentes Lächeln auf, das für
Involvierte dennoch viel Ärger in sich hatte, und ging zu Isaac
rüber.
„Willkommen
bei Kosta's Lounge! Was darf's sein?“
Aber
er ging nicht darauf ein, sondern stellte seine eigene Frage:
„Ernsthaft, Frank?“
Mit
hochgeschobener Augenbraue schaute sie ihn an. „Wie bitte?“
„Frank?“,
wiederholte er seine Frage und zeigte zum Tisch, an dem er gesessen
hatte. „Der Uhrmacher?“
Renée
wurde ungeduldig und tippte mit dem Kugelschreiber gegen den
Notizblock. „Ich wiederhole: Wie bitte?“
„Was
findest du an dem?“
„Ich
wüsste nicht, was dich das angeht.“ Augen rollend winkte sie ihm
ab. „Also, was möchtest du nun bestellen?“
„Keith's
India erst mal nur.“
Sie
steckte den Notizblock ein – für solch eine Bestellung brauchte
sie kein Blatt beschmieren – und kam seiner Bitte nach. Sie nahm
ein Bierglas aus der Vitrine und ging zum Zapfhahn.
„Ruf
ihn an“, flüsterte Grace ihr im Vorbeigehen ins Ohr, bevor sie das
Essen zu ihrem Tisch trug.
„Bla
bla“, murrte Renée und zapfte das Bier fertig.
Dass
Grace daraufhin den Kopf schüttelte bedeutete der Mittdreißigerin,
dass sie es gehört haben musste. Schon die letzten paar Tage fühlte
Renée sich von Frank genervt. Aber gesagt hatte sie es ihm nie. Ob
es sie auch wirklich störte, konnte sie nicht klar beantworten. Sie
wusste um seine Gefühle für sie und sie selbst hatte auch schon mit
diesem Gedanken gespielt.
Abgelenkt
von ihren Gefühlen wäre ihr beinahe ein Missgeschick passiert und
das Glas übergequollen. Noch rechtzeitig stoppte sie den Zapfhahn,
wischte den Boden des Glases trocken und trug es vorsichtig zu Isaac
an den Tisch. Randvoll war es und das Bier drohte bei jedem Schritt
überzuschwappen.
Mit
viel Fingerspitzengefühl stellte sie ihm das Keith's India hin und
wollte gerade wieder gehen, da hob er bittend die Hand. Um die
Höflichkeit zu wahren, ging sie darauf ein und schenkte ihm
Aufmerksamkeit.
„Meine
Frage steht noch im Raum“, meinte er, umklammerte das Bierglas und
nippte die Schaumkrone ab.
Renée
hob verwirrt die Hände. „Welche Frage?“
Und
er sagte nur: „Frank.“
„Selbe
Antwort wie vorhin …“
„Ach,
komm!“, schnaubte er. „Ist der dir nicht zu langweilig?“
„Nein!“,
erwiderte sie nun ernster, behielt aber gemäßigte Lautstärke.
„Wieso?“
„War
ja nur 'ne Frage, sonst nichts …“
Renée
war bereits im Begriff zum Tresen zurückzugehen, als seine Antwort
in ihrem Kopf Gehör fand. Sofort riss sie sich herum und ging zurück
an seinen Tisch.
„Sonst
nichts?“ Wütend griff sie nach Isaacs Bierglas und schob es von
ihm weg. „Was hast du denn gegen Frank?“
Verdutzt
schaute er sie an und zuckte mit den Schultern. „Nichts … Ich
find' halt einfach, du hast was Besseres verdient.“
„Wenn
du das meinst …“
„Ich
würd' doch noch was bestellen.“
Es
war keine große Überraschung, dass er ihre berühmten Chicken
Fingers bestellte. Viel mehr war es eine, dass er zu ihr Chicks
Fingers sagte, was sie als kleinen Angriff auffasste. Ob er sich
einfach nur versprochen hatte, oder einen schlechten Scherz machen
wollte, war ihr egal.
Renée
gab die Bestellung an die Küche weiter und stellte sich an die
Seite, um abseits vom Geschehen zu bleiben. Sie war zu aufgewühlt,
um die gute Laune im Gastraum aufrechterhalten zu können.
Grace
gesellte sich kurz zu ihr und signalisierte ihr mit den Augen
tiefstes Mitgefühl.
„Was
erlaubt der sich?!“, knurrte Renée und lehnte sich mit
verschränkten Armen am Türrahmen an.
„Lass
ihn zieh'n“, meinte Grace und zwinkerte ihr keck zu. „Ruf Frank
an.“
Renée
biss sich verlegen auf die Unterlippe. „Sicher?“
„Also
ich hätte ihn schon längst genommen“, antwortete ihre Kollegin
und nahm die Teller für ihren Tisch entgegen. „Nur meine Meinung.“
„Weiß
nicht“, säuselte Renée und blickte nachdenklich zu Boden.
Die
Teller in einer Hand balancierend ging Grace zu ihr rüber und
stupste ihre Nase hoch. „Nimm dir kurz Pause und ruf ihn an.“
Isaacs
Essen war fertig. Nun konnte sich Renée ohnehin nicht mehr
verkriechen. Schnell wischte sie sich die Augen trocken, nahm den
Teller entgegen und brachte ihn zu Isaac.
Dieser
wartete bereits freudig darauf, was an seinem fröhlichen Schmunzeln
gut zu erkennen war. Sowohl auf das Essen als auch auf Renée.
„Weißt
du was?“, meinte sie und stellte ihm den Teller hin. „Du hast
vollkommen recht. Ich hab was besseres verdient als Frank.“
Große
Augen machte Isaac daraufhin und fing an, selbstgefällig zu grinsen.
„Aber
Frank ist besser als du …“, meine Renée weiter und setzte ein
noch breiteres Grinsen auf. „Und das reicht mir! Schönen Abend
noch!“
Mit
diesen Worten ging sie an ihm vorbei und verließ das Lokal. Draußen
war alles in sattes Rot gehüllt. Renée ging zum nahegelegenen
Wassersteg, stützte sich auf das Geländer und nahm ihr Handy zur
Hand. Dann wählte sie Franks Nummer.
Während
es klingelte, sah sie, wie vier leuchtende Punkte aus dem Wasser
aufstiegen und auf sie zukamen.