Storm Lord von Tanith Lee
Ich hatte hier schon mal ueber den dritten Band der Reihe (Aztira) und meine Lesegeschichte dazu geschrieben - nachdem ich ein paar Rezensionen zum ersten gelesen hatte und mich an praktisch nichts an Handlung aus meinem ersten Mal Durchlesen erinnern konnte (das muss ein Buch erst mal schaffen, das ist selten,..) also mal danach gekramt und begonnen.
Der Ballast den das Buch vor den Start bekommt ist heftig - die Rezensionen beklagen Rassismus, einer nennt die Geschichte 'very rapey' (muss man zugeben, in weniger als der Haelfte der Faelle ist geschilderter Sex einvernehmlich, und es kommt viel Sex vor) zwei Rezensenten beklagen sich wie Lee so danebenlangen kann, einer raet gleich bei Band 2 zu beginnen.
WTF - was hat sie da gemacht?
Nach gut ueber der Haelfte des Textes, ich denke es ist eine sehr erwachsene Geschichte, und ihr primaeres Thema ist Leidenschaft. Und ja, man fuehlt sich nach dem Lesen immer ein bisschen dreckig und wuenscht sich eine Dusche.
Die zentrale Praemisse der Welt ist, dass eines der beiden Voelker, die dunklen Visianer, Leidenschaften sehr stark spueren - sie sind etwa dem 'Stern' Zastis unterworfen der periodisch am Himmel steht, und dann steigt ihr sexueller Appetit dramatisch an. Aber generell verwenden sie den Verstand nie, um ein Ziel zu hinterfragen, sondern hoechstens um es zu erreichen. Wenn sich jemand in die Frau des Nachbarn veguckt, ueberlegt er nicht ob er sich ihr naehern soll oder es besser lassen soll, sondern nur wie er es machen kann.
Die hellen, telepathiebegabten Tielflaender hingegen sind eher buddhistisch angehaucht - was kommt, das kommt, sie nehmen ihr Schicksal an und versuchen nicht dagegen anukaempfen, sondern sitzen es leidenschaftslos aus. Und natuerlich regieren in so einem Setting die Visianer die Welt.
Das macht die visianischen Protagonisten vom Inneleben subtil anders als uns, und zwingt dem Leser die Wahl auf sich auf die Praemisse einzulassen - oder eben nicht.
Konkret gibt das der Handlung staendig unterschwellige Spannung die sich immer wieder ploetzlich entlaed, und einen Hang zu dramatischen Entwicklungen, riskanten Manoevern und konfrontativen Begegnungen. Ein zentrales Ding ist, dass hier ganz andere Plots funktionieren als wir gewohnt sind.
Am Anfang jagt Sturmherr Rehdon in den Tieflanden, und nachdem Zastis am Himmel steht braucht er eine Frau im Zelt - also wird die schoenste aus dem Dorf in der Naehe geholt - grade die Priesterin - und von ihm vergewaltigt. Am naechsten Moegen aber ist er tot (und sie schwanger) - durch ihre Magie wie jeder denkt, inklusive (bizarrerweise) die Mehrheit der Rezensenten, aber wir erfahren spaeter dass ihn seine Rechte Hand vergiftet hat - Amnorh - auf Geheiss seiner Koenigin mit der er eine Affaere hat. Und schon haben wir ein Koenigskind im Bauch der Tieflandfrau mit Anspruch - und Raldnor folgt dann der Rest der Geschichte.
Raldnor waechst in den Tieflanden auf, lernt dort die scheue Anici kennen und lieben - und wir lesen spaeter wie er sie vergewaltigt weil Zastis am Himmel steht und er einfach nicht die Geduld aufbringen kann sie zu verfuehren. Er bereut das dann so halbschaurig, aber doch primaer weil es ihm nicht das Gefuehl von Naehe verschafft hat das er sich erhofft hatte. Passt zur oben erwaehnten Praemisse, aber durch sowas muss man in der Geschichte durch wenn man mit dem Protagonisten mitgehen will.
Spaeter in der Geschichte, als Raldnor sich schon als Visianer ausgibt und in der Armee ist, sieht er wie in einer Taverne eine andere Tieflaenderin von der Drachengarde angegangen wird - gegen die auf Befehl des Koenigs niemand die Hand erheben darf - und sofort faengt er eine Schlaegerei an, bei der sein Kumpel Yannul mitmacht. Als er danach aus politischen Gruenden vom Haken kommt aber Yannul oeffentlich gepruegelt wird und sein rechter Arm zermatscht wird schneidet er dem Drillmaster aus Rache die rechte Hand ab.
Er muss fliehen, und flieht mitten in den koeniglichen Palast - wo er eine Dame trifft - und sie nett anlaechelt (mit dem Versprechen auf Sex) und sie bittet ihn zu verstecken. Dieser Twist, der von einigen Rezensenten als 'sehr unrealistisch' bezeichnet wurde, geht aber auf (visianische Frauen handeln auch im Einklang mit der Praemisse impulsiv, risikobereit und ohne das Ziel verstandesmaessig zu ueberlegen - es ist in dieser Welt daher tatsaechlich sinnvoll so einen Plot zu spinnen) - und kommt so in Kontakt mit dem Koenig Amrek. Der konfrontiert ihn mit den laedierten Soldaten und dem verstuemmelten Drillmeister, und Raldnor Antwort ist mehr oder weniger 'ich bin hier und unverletzt - ist das nicht Grund genug mich in den Dienst zu nehmen?'
Tatsaechlich freunden sich die beiden (Halbbrueder, ohne es Anfangs zu wissen) an, und Amrek der eine schwere Kindheit hatte und eine verkrueppelte Hand sein Eigen nennt, hat Anwandlungen sich tatsaechlich von seiner dominanten, Tieflaender-hassenden Mutter zu loesen, grade als er sich verlobt und in seiner Zukuenftigen Astaris.. etwas entdeckt.
Aber Raldnor und Astaris ploetzlich zueinanderfinden... da wendet sich Amrek zurueck zu seiner Mutter und ruft den Genozid an den Tieflaendern aus den sie schon lange will.
Ja, es knallt, im Buch gibt es Erdbeben, einen Vulkanausbruch, die Natur steht den Emotionen in nichts nach.
Aber so ganz einfach macht es sich Lee auch nicht, eine der staerksten Szenen ist zwischen Amrek und Astaris nachdem er von der Untreue weiss - wir glauben alle er kommt als rasendes Monster zu ihr und zerstueckelt sie persoenlich, aber statt dessen hoeren wir ihn duester 'Ich kann nichts mehr machen - sie warten vor dem Tor, sie wuerden dich zerreissen. Du musst fliehen, jetzt, mit zwei vertrauten, und ich werde ihnen sagen du hast Gift genommen, Das ist alles was ich tun kann'.
Ausgerechnet der Endgegner und Erzboese der Geschichte erweist sich als jemand der tatsaechlich zu Verzeihung und Groesse faehig ist, auch wenn er daran am Ende zerbricht.
Es ist ein wilder, faszinierender, gewaltiger Ritt, den man serviert bekommt wenn man sich drauf einlaesst und die Protagonisten tatsaechlich an sich ran laesst (und - wie schon gesagt - man will danach duschen, die Geschichte hat ein ekeliges Etwas). Oder man betrachtet es distanziert, und dann ist es nur eine sinnfreie Kakophonie aus Sex, Gewalt und mehr davon.
Ich hab' versucht das jetzt so lange zu schildern, weil die Sache fuer mich ein bisschen ein 'Aha'-Erlebnis war - so kann man also auch schreiben?! So ein Plot geht tatsaechlich auch?
(Ueberfluessig zu sagen dass ein Sensitivity-Reader keine 5 Zeilen schafft ohne Alarm zu schlagen...)