Kampf ums Überleben
by Sabrina
Um Yana herum herrschte absolute Dunkelheit. Finsternis, die sie selbst gewählt hatte. Ohne Schmerz und Angst. Ohne jegliche Emotionen. Das war es woraus Wara ihre Kraft schöpfte. Also musste Yana alles tun um ihren Geist zu leeren, ihr Platz und Raum zu geben. Es viel ihr nicht leicht das zu tun, doch Allias hatte sie darum gebeten. Ihr Vater! Der Gedanke blitzte auf und löste eine Vielzahl an Emotionen aus. Sofort unterdrückte sie diese. Später war noch genug Zeit sich dieser Tatsache bewusst zu werden. Später? Würde es ein später überhaupt geben? War nicht der Teil ihrer Mutter der jetzt die Kontrolle übernahm viel stärker als sie? Zu leicht war es Wara gefallen Yanas Geist zu verdrängen. Beinahe so, als wäre nicht Wara der Parasit, sondern vielmehr Julia in Waras Körper? Diese Vorstellung machte ihr zunehmend Angst. Wieder unterdrückte sie die Emotion. Ihre Mutter war eine mächtige Hexe mit außergewöhnlichen Fähigkeiten gewesen, doch auch das hatte sie nicht vor dem Tod bewahrt. Ein Teil ihres Geistes hatte in Yanas überlebt, auf Rache sinnend. Durch ein Ritual der dunklen Seite war dieser Teil nun wieder erwacht. Bisher war es Yana gelungen sich dagegen zu stemmen, doch Waras Macht nahm mit jedem Tag zu. Allias, Yanas Vater würde ihr dabei helfen Wara zu vernichten um seine wiedergefundene Tochter zu retten. Also tat sie was er wollte und überließ sich immer mehr Wara Macht, die die Kontrolle über ihren Körper übernahm. Der Vergleich einer Marionette die sich an Fäden bewegte, drängte sich ihr auf. Es war ein seltsames Gefühl. Angst einflößend. Wenn sie sich auf den Geist ihrer Mutter konzentrierte, war es ihr sogar möglich verschiedene Emotionen von ihr aufzufangen. Sie war wütend. Unsagbar wütend. Auf wen sich ihre Wut konzentrierte sah Yana nicht. Es war mehr ein Kribbeln, ein Zittern, das durch ihren Körper lief. Neue Fassetten des Specktrums an Gefühlen kamen hinzu. Jemanden oder mehreren brachte ihre Mutter glühenden Hass entgegen und Verachtung! Die Wut ihrer Mutter nahm neue Formen an. Ballte sich zusammen wie ein Knoten der sie noch weiter zurück drängte. Julia versuchte die Panik zu unterdrücken, die sich in ihr breit machte. Das gehörte alles zum Plan ihres Vaters. Sie konnte fühlen, das Wara sich bewegte, mit jemand redete und dann explodierte Waras Macht in ihrem Geist. Wie ein Fieber brach es herein setzte ihren Körper in Brand, löschte jegliche Gedanken von ihr aus. Für Sekundenbruchteile war sie nicht mehr da. Ausgelöscht nicht mehr existent, es gab nur noch diese Kräfte, Waras glühenden Hass der sich zentrierte, ehe sie auf diesen einen Punkt ihre Kräfte schleuderte. Was wenn sie Allias als Ziel gewählt hatte? Wenn er nicht mehr ausgewichen war? In diesem Zustand war sie blind und taub, hilflos ihrer Angst ausgeliefert. Ihr Körper von Wara gesteuert bewegte sich schnell, dass konnte sie fühlen. Aber nicht schnell genug. Etwas traf sie mit voller Wucht. Ihr Brustkorb explodierte, so fühlte es sich an. Gleichzeitig waren auf einen Schlag alle Geräusche klar zu verstehen. Als hätte man ihr ein eine Mütze vom Kopf gerissen. Ein Sog schleuderte ihren Geist an die angestammte Stelle und augenblicklich fühlte sie, Schmerz. Sie bekam keine Luft! Zentnerlasten pressten ihre Lunge zusammen. Jede noch so kleine Bewegung bereitete ihr höllische Schmerzen. Die Kontrolle über ihren Körper hatte sie zurück, doch im Moment sehnte sie sich eher nach der Taubheit zurück. Glühende Nadeln malträtierten sie bei jeder Bewegung. Sie riss die Augen auf, versuchte etwas in der gleißenden Helligkeit zu erkennen. „Allias“, schrie ihr Geist. Ein Schatten viel über sie. Yara konnte nur hoffen, das er es war, ehe die Bewusstlosigkeit sie erlöste. Sie erwachte von lauten Stimmen ganz in ihrer Nähe. Die Stimmen waren vertraut aber Yara konnte sie nicht einem Gesicht zuordnen. Allgemein viel ihr das Denken schwer. Die Gedanken waren wie ein träge dahin fließendes Rinnsal, das sich irgendwann in dem trockenen Flussbett verlor. Wie eine Quelle die versiegt. Sie empfand keine Schmerzen. Die letzten Eindrücke ehe sie Bewusstsein verlor wurde kamen ihr als verblassende Erinnerung in den Sinn. Wie ein durchsichtiger Schleier den man gütiger weise darüber ausgebreitet hatte. Die Erinnerung an das Gesicht ihres Vaters zerriss mit brutaler Gewalt das feine Gespinst. Wie ging es ihm, wo war er? Was war geschehen? Yana versuchte die Augen zu öffnen. Nichts! Nicht mal der kleinste Spalt. Egal wie sehr sie sich auch anstrengte. Um sie herum bleib tiefschwarze Nacht. Ihre Panik und Angst nahm mit jedem Augenblick zu. Hier stimmte etwas nicht! Dieses Mal versuchte Yana die Hand zu heben. Nichts! Nicht einmal das kleinste Zucken brachte sie zustande. Die Finger gehorchten ihr nicht. Wie eine Marionette mit durchschnittenen Fäden! Waras Marionette! Der Gedanke löste eine ganze Flutwelle an Emotionen aus. All die Emotionen, die sie zuvor unterdrückt hatte waren mit einem Mal da, Angst, Schmerz, Hass, Wut, Verzweiflung und Panik. Die Stimmen ganz in der Nähe kamen näher. „Allias, quäl dich nicht. Du hast alles getan um sie zu retten. Niemand konnte es ahnen. Sie musste nicht lange leiden.“ Yana erkannte die Stimme von Menda, eine der Hohepriesterinnen der Stadt. „Nein, ich bin nicht Tod! Was redest du da? Ich lebe, seht ihr das den nicht?“ Sie kämpfte verbissen gegen die körperliche Hülle an, die ihr nicht gehorchen wollte. „Allias, Vater! Du musst mich doch hören!“ Sie hielt inne und lauschte aber da waren nur die Atemgeräusche zweier Menschen. Die einen abgehackt von Schluchzern unterbrochen, die anderen ruhig. Erst jetzt viel ihr auf, das ihre eigenen Atemgeräusche fehlten. Voller Panik lauschte sie auf ihren Herzschlag. Nichts! Wie konnte das sein? Wie war es möglich weiter zu existieren? „Ich habe wirklich geglaubt ich könnte es schaffen. Waras Kräfte waren einfach zu stark. Es hat Sie beide vernichtet! Dabei hatte ich meine Tochter erst gefunden!“ „Kommt Herr, die Frauen werden sie für die Zeremonie bereit machen.“ Voller Panik mobilisierte Yana noch einmal alle verbliebenen Kräfte, doch die Schritte wurden immer leiser bis sie endgültig verstummten. Sie hatte es nicht verhindern können das sie gingen. Die Verzweiflung schlug wie eine Welle über ihr zusammen. Das Aufbäumen hatte ihr die letzten Kraftreserven geraubt. Was brachte es noch zu kämpfen? Wenn selbst ihr Vater nicht erkannte, das sie noch immer existierte, wer dann? Wie konnte sie dieser Hülle entkommen? Der Gedanke war so abwegig, dass sie davor zurück schreckte. Andererseits wusste sie, was die Hohepriesterin mit der Zeremonie gemeint hatte. Eine Feuerbestattung in allen Ehren. Nein! Yana du bist die Tochter einer mächtigen Hexe und eines noch mächtigeren Hexenmeisters, wenn du keinen Weg findest, wer dann? Sie rief sich alle Beschwörungsformeln in Erinnerung, die man bei dem Ritual verwendet hatte, um die Kräfte ihrer Mutter zu erwecken. Was würde passieren wenn sie selbst die Worte sprach? Alles war besser, als darauf zu warten, dass man ihren Körper auf dem aufgehäuften Reisig legte und entzündete. Sie konzentrierte sich auf den Wortlaut, jede Silbe, jede Betonung war wichtig, besaß eine eigene Bedeutung. Woher sie das alles plötzlich wusste war Yana ein Rätsel. Es hatte wohl schon immer in ihr geschlummert. Ein Erbe ihrer Eltern an sie. Jetzt kam ihr Waras Wissen zu Gute. Noch während sie die Worte im Geiste wiederholte, fühlte sie die Veränderung. Die Leichtigkeit mit der sie sich wieder bewegen konnte. Sie war nicht länger eingeschränkt. Nein, sie schwebte! Sie konnte ihren Körper unter sich liegen sehen. Man hatte sie auf eine Liege gebettet. Nur ihr Gesicht war nicht von dem weißen Leinen bedeckt. Sie sah so friedlich aus, als würde sie schlafen, die Lider geschlossen. Yana wusste das dem nicht so war. Sie murmelte weiter die Beschwörungsformeln spürte, wie die Kraft stärker und stärker in ihr zunahm. Schwerelos schwebte sie über ihrem Körper. Eine lichtdurchflutete Gestalt. Los gelöst von ihrer menschlichen Hülle. Jetzt waren ihre keine Grenzen mehr gesetzt. Doch die anfängliche Euphorie verflüchtigte sich schnell. Je mehr ihre Kräfte zunahmen, umso mehr spürte sie, wie sie etwas von diesem Ort weg zog. Es war wie eine Anziehungskraft, ein Sog, der sie erfasst hatte. Yana versuchte dagegen anzukämpfen, vergeblich. Sie hatte dieser Kraft nichts entgegen zu setzen, da sie den Ursprung nicht kannte. Also ließ sie sich von dieser unbekannten Macht davon ziehen. Aus der Kammer, wo ihre sterbliche Hülle lag. Durch die engen, langen Flure, die ihr so vertraut waren. Nirgends begegnete sie jemand. Die Türen des großen Saals waren weit geöffnet. So als hätte man ihr Kommen bereits erwartet. Noch immer murmelte Yana die Beschwörungsformeln immer und immer wieder, aus Angst dass wenn sie es ließ, sie wieder in die menschliche Hülle zurückkehren musste. Ihr Vater hatte als Hexenmeister der Bruderschaft seinen erhöhten Platz am Tisch eingenommen. Seine vertrauten Züge waren gezeichnet von den letzten Ereignissen. Er war in den vergangenen Stunden um Jahre gealtert. Seine konzentrierte Miene und die der anderen Männer des Rates ließen Yana innehalten. Was hatte dies alles zu bedeuten? Sie spürte deutlich, dass die Anziehungskraft von der Gruppe ausging. „Allias, Vater?“ Yana unterbrach die Formel in der Hoffnung, dass er sie jetzt hörte. Sie richtete dabei all ihre neu erwachten Kräfte auf ihn. Ihr Vater riss die Augen auf. „Sie ist hier!“ Yana jubelte. Er hatte sie erkannt! Jetzt würde alles gut werden. „Dann bündeln wir unsere Kräfte!“ Ein anderer Mann am Tisch war aufgestanden. „Ich wollte es anfangs nicht glauben, das Sie es überlebt hat aber nun? Wara, du wirst nie wieder jemanden Schaden zufügen!“ „Nein, Vater! Ich bin es Yana, dein eigen Fleisch und Blut. Nicht Wara hat überlebt, sondern ich!“ Hilflos sah sie zu, wie einer nach dem anderen, der alten Herrn aufstand und mit ihrem Vater die Kräfte vereinte. Yana denk nach! Finde einen Weg! Der Sog hielt sie weiterhin gefangen. Sie konnte sich in dieser Dunstglocke der Macht bewegen aber nicht weit. Zum ersten Mal in ihrem Leben fragte sie sich, was wohl ihre Mutter in dieser Situation getan hätte. So abwegig wie der Gedanke auch war, vielleicht war es der einzige Ausweg, der ihr blieb. Ihre Mutter hatte dadurch überlebt, in dem sie einen anderen Körper als Wirt benutzte. Es war schwierig jemand geeigneten zu finden, da man bei ihrem Volk dem vorsorgte. Schon die Neugeborenen wurden durch Zauber dagegen geschützt. Trotzdem musste Yana es versuchen. Sie richtete ihre Kräfte auf den Tisch, wo ihr Vater und der Rat saßen. Die Macht explodierte in ihrem Geist und ein glühender Feuerball traf sein Ziel. Der Sog riss ab und sie war frei. Yana sah nicht zurück auf das Chaos im Saal. Sie flog so schnell sie konnte, achtete kaum auf ihre Umgebung. Flog durch eines der Bogenfenster ins Freie. Suchte mit ihren Sinnen den Wirt den sie brauchte und fand ihn. Seine Mutter hielt ihn im Arm. Gezeichnet von den Anstrengungen der Geburt hielt sie den blutigen Säugling dem Vater des Kindes entgegen. Der Junge war gesund, das erkannte Yana und nur das war wichtig. In ihm würde sie überleben, bis sie eines Tages einen anderen Weg zum Überleben finden würde…
Ende