Hey, Leute
Hier eine neue Geschichte von mir
Die Dame im Turm
Bennot bekam Gänsehaut auf den Armen als ihm das Messer an den Hals gesetzt wurde. Die stumpfe Klinge, mit der man nicht mal einen Ast hätte durchschneiden können, drückte schwer auf seinen Kehlkopf. Der Grauhaarige fühlte sich unwohl, das harte Holz des Stuhls, auf dem er saß, drückte durch seine Hose.
"Jetzt stillhalten", kam die tiefe Stimme des Barbiers von hinten und er zog das Messer langsam an Bennot Hals hinauf, ging erst zur linken, dann zur rechten Seite. Immer wieder wischte er das Gemisch aus Rasierseife und den grauen Barthaaren Bennots am Rande der Wasserschale ab.
Dem Seher war nicht klar, warum er zum Baron musste, und noch viel weniger war ihm klar, warum die Gefolgsleute des Herzogs ihn so herausputzten.
Während der Barbier weiter die Barthaare entfernte, klopfte es an der dicken Holztür und der Kastellan, dessen Name Bennot bereits erfahren hatte, der kleine, stämmige Mann hieß Dertix, trat in den mit Kerzen beleuchteten Raum. Auf den vor dem Rumpf verhakten Arm hatte er Kleidungsstücke gelegt. Er guckte den barschen Mann an und sagte höflich zu ihm: "Das ist für Euch."
Bennot hob seine rechte Augenbraue und gab ein Knurren von sich, was wohl etwas wie "Soso" bedeutete, um den Barbier nicht zu stören.
Dertix legte die Kleider auf einen Stuhl, der in einer Ecke des kleinen, quadratischen Raumes stand, und verließ wieder das Zimmer. Jedoch, hörte Bennot ihn nicht weggehen, anscheinend stand der Kastellan wartend vor der Tür.
Dem Barbier schien die Stille im Raum unangenehm zu sein und so begann er zu plappern: "Ihr seid also ein Seher?"
Bennot nickte vorsichtig und gab ein zustimmendes Murmeln von sich.
"Stimmt es, dass Seher Monster töten, die Menschen bedrohen?", der Barbier rasierte weiter.
"Mhm."
"Habt ihr schon viele Monster getötet?"
"Mhm."
"Wie viele?", die Frage schien den Mann brennend zu interessieren, denn er unterbrach seine Arbeit und sah dem Seher in die unwirklichen, tiefblauen Augen.
"Ich habe aufgehört zu zählen", antwortete Bennot geduldig, ohne die Lippen weit zu bewegen.
"Soso", der Barbier fuhr mit seiner Arbeit fort.
Bennot verlor sich wieder in Gedanken. Was wollte Herzog Huvvengald von einem Seher, von einem Monsterjäger? Es konnte ja nur ein Auftrag sein ...
Bennot hatte schulterlange, graue Haare, die jetzt bereits gereinigt worden waren, buschige, fast weiße Augenbrauen, unter denen seine tiefblauen Augen hervorblitzten, mit welchen er jede noch so kleine Bewegung erfassen konnte. Unter seinen Haaren lagen die Ohren mit den kleinen, angewachsenen Ohrläppchen eng am Schädel, quer über die linke Hälfte des kantigen Gesichts zog sich eine lange, bleiche Narbe, die ihm ein räudiger Bissigein vor vielen Jahren verpasst hatte. Normalerweise steckte der drahtige Körper in einem Lederwams, darunter ein Leinenhemd, einer Leinenhose und hohen Stiefeln aus Wildschweinsleder. Darüber trug er für gewöhnlich noch einen langen, schwarzen Filzmantel, und auf dem Rücken, an einem quer über den Oberkörper führenden Ledergurt befestigt, trug er ein Langschwert und rechts davon ein kürzeres Krummschwert, deren Griffe über Bennots linker Schulter lagen. Der Mann war Linkshänder. Außerdem war er mit einem übernatürlichen Geruchs- und Gehörsinn ausgestattet, denn er war ein Seher. Seher ähnelten sehr den Waldläufern, nur dass sie sich ihr Gold mit der Monsterjagd und anderen Arten, Menschen zu helfen, verdienten - nur eins taten Seher im Allgemeinen nicht: Morden.
Plötzlich riss der Barbier den Seher aus den Gedanken: "Fertig, Herr!" Er wischte Bennot kurz mit einem Tuch über die untere Gesichtshälfte und ließ den Mann dann aufstehen. Bennot fuhr sich mit einer Hand über die Wangen und den Hals nachdem er aufgestanden war. So rasiert zu sein hatte auch etwas.
Während der Barbier sein Werkzeug zusammenpackte, fiel der Blick Bennots auf die auf dem Stuhl liegenden Kleider.
"Was soll das noch gleich?", rief er mit sarkastischem Unterton.
Die Tür schwang auf und Dertix eilte hinein: "Was gibt es, Seher?"
"Wo sind meine Klamotten und meine Schwerter?", knurrte er auf seine barsche Art.
"Ähm ... die sind sicher verwahrt. Ihr solltet das da" - der Kastellan wies auf die Kleidung auf dem Stuhl - "tragen, wenn ihr vor den Baron tretet."
"Euer Ernst?"
"Der des Barons, ja."
"Und warum bekomm ich nicht meine Schwerter?"
"Ihr dürft keine Waffen tragen, wenn ihr vor Baron Huvvengald tretet."
"Na sowas. Nette Umgangsformen", knurrte Bennot und warf einen weiteren Blick auf die Kleidung, "das zieh ich nicht an."
"Das müsst ihr aber. Bitte, tut das einfach", flehte Dertix schon fast.
"Nur für Euren Herrn", knurrte er und zog sich sein Leinenhemd aus und streifte das steife Oberteil des höfischen Gewandes über. Es war etwas eng und kratzte.
Der Kastellan war offensichtlich erleichtert, dass der Seher nachgegeben hatte, er stellte sich wieder vor die Tür.
Im Zimmer zog Bennot sich die Stiefel und und seine Hosen aus und schlüpfte in die türkisblaue Hose und die Schuhe, die ebenfalls auf dem Stuhl lagen.
Dann fiel sein Blick auf seine ausgezogenen Stiefel und das etwas aus dem linken herausgerutschte Stilett. Nach kurzem Abwiegen der Argumente zog der das dünne Messer samt Scheide aus dem Stiefel und befestigte an der Innenseite der Hose, denn die Schuhe, die er jetzt trug, hatten keinen Schaft und gingen nur zu den Knöcheln.
Dann verließ er das Zimmer.
Das war es fürs Erste
Ich hoffe, es gefällt euch
LG
Thráin