Wer alleine vor seinem Text sitzt, ist von Selbstzweifeln geplagt. So ist es gerade auch bei mir. Als Autor springe ich durch den Text, kenne jedes Wort, weiß, warum ich jede Anspielung setze und glaube, das was ich schreibe, genau so - und erst recht - in dieser Abfolge geschrieben werden muss. Mein Teufelchen mag mich noch warnen, vorsicht, der Leser weiß das alles nicht. Wenn also ein Leser anfängt ein Buch zu lesen, erschließt sich für ihn die Welt Seite für Seite. Er will nicht verwirrt werden, will trotz Lücken grob einordnen können, was wohl geschehen könnte. Ich als Autor WEISS was geschehen wird. Ich als Autor kann also die Anfangsszenen lesen, und denke automatisch den Rest mit. Das kann der Leser nicht.
So gibt es einige Regeln. Springe nicht durch zu viele Köpfe am Anfang, damit der Leser eine Chance hat, in die Welt eintauchen zu können. Weiß ich, lach.
Und doch springen mich gerade Selbstzweifel an, ob folgende Szenenfolge funktionieren könnte. Wer mag, darf Bedenken äußern oder sagen, das könnte funktionieren. Meine Selbstzweifel betreffen also das Plotting, weniger die Geschichte an sich.
Einer meiner ersten Protas wird eingeführt auf Seite 36 (Normseiten) Ihm gebe ich dann Raum für ca. 80 Seiten sich entfalten zu können. Er steigt in der 5. Szene ein.
Was mute ich meinem Leser aber vorher zu.
Prolog 6 Seiten. (Perspektive: Aneas) Der Prolog spielt 3000 Jahre vor der eigentlichen Handlung. In dieser Szene erfährt der Leser, dass sich etwas ändert. Zwei Wesen opfern sich, damit es eine friedvoller Zukunft gibt. Was ihr Tod bezweckt, und was die Wesen mit ihrer Opferung erschaffen, wird nicht erklärt. Das Grundmotiv ist hier. Die Welt ist im permanenten Krieg. Die Grausamkeit wird dargestellt. Die Szene wird aus der Perspektive eines Mannes erzählt, der später regelmäßig erwähnt wird, so dass der Leser leicht wissen kann, diese Szene spielt vor 3000 Jahren. Dass diese Szene soweit in der Vergangenheit spielt, wird dem Leser auf Seite 21 gezeigt, wo namentlich Bezug genommen wird auf Aneas. Also Ziel: Grausamkeit des Krieges, ein Ritual, und Einführung zentraler Wesen (Drachen und Wolf, ist ja Fantasy :))
1. Kapitel (2970 Jahre später)
1.Szene. (Perspektive Kar in der Welt Manturien ) was der Leser nicht weiß, erst Hunderte von Seiten später, stellt sich heraus, dass dieser Kar der Gegenspieler des Helden ist. Aber, beim Lesen, wird das nicht klar. Unklar bleibt auch, dass Kar in der Welt lebt, die durch die Barriere, die im Prolog geschaffen wurde, lebt. Hier darf der geneigte Leser wieder raten, was ja auch Spass macht.
Inhalt: Kar wird durch ein Ritual zum Herrscher erhoben, weil der alte sich opfert, um eine magische Kugel zu erschaffen. Diese Kugel durchdringt etwas, was der Leser leicht als eine Barriere entziffern kann.
2. Szene (Perspektive Christian in der Welt Tikkun) Leider glaube ich, dass ich diese Szene ansatzlos streichen kann, weil sie soll nur Motive aufnehmen, die erst später eine Rolle spielen. Christian selber, spielt zur Mitte des Romans eine wichtige Rolle. Ist aber im ersten Band nur ein Nebenprota, der aber das Potential hat, zur Hauptfigur zu werden.
Inhalt: 8jähriger Dieb, der klaut, um seiner Mutter Medizin kaufen zu können. Er läuft durch die Stadt, sieht das an diesem Tag der Königswahl alles anderes ist. Die Hauptstadt, in der große Teile des ersten Bandes spielt, wird vorgestellt. Wichtig war mir hier, die verschiedenen Völker vorzustellen und das der Zirkus bereits bei dieser Königswahl eine zentrale Rolle spielt. Der Dieb ist ca. 800 m von der eigentlichen Krönung entfernt, die hinter dicken Mauern abgehalten wird.
3. Szene. (Perspektive Hochmeister Sinos in der Welt Tikkun)
Inhalt: In dieser Szene wählt Sinos den 118. König. Einiges geht aber schief, was Sinos auch spürt. Diese Szene ist zentral, weil der Konflikt hier seinen Ursprung nimmt, was sich in den folgenden Kapiteln sehr schnell zeigt. Der Schlusssatz in dieser Szene ist. "Aber das war erst 30 Jahre später."
2. Kaptitel (30 Jahre später, kurz vor der nächsten Königswahl, die alle 30 Jahre stattfinden muss!!! )
Perspektive Thot, der dann auch die Handlung trägt, der eigentliche Prota, erwacht und muss herausfinden, was seine Welt in Gefahr bringt.
Was war meine Logik? Prolog zeigt dem Leser, wie der Schutz errichtet wurde. Der mystische Ursprung, die Entstehung meiner Welt. Damit weiß der Leser, während er den ersten Band liest, mehr als alle meine Protas zusammen. Die nächste Szene zeigt, dass die andere Seite nach fast dreitausend Jahren einen Weg gefunden hat, die Barriere zu durchbrechen und sie langfristig zu schwächen. Der Plan gelingt, was in der dritten szene gezeigt wird. Was aber die Auswirkungen sind, welches Unglück an diesem Tag der Krönung seinen Ursprung nimmt, wird in den nächsten Kapiteln recht schnell deutlich.
Mein Leser weiß also, in welcher körperlichen Gestalt die Gefahr sein wird. Kar aus der zweiten Szene. Nur die Menschen in meiner Welt wissen rein gar nichts von der anderen Seite. Sie tappen im Dunkeln, und es ist eben die Aufgabe meiner Helden
a) das herauszufinden, was mein Leser schon weiß.
b) nach Wegen zu suchen, wie das Unheil abgewendet werden kann.
Prolog und die ersten drei Szenen werden aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Hier meine Frage, kann das gut gehen??? Wirkt es nicht beliebig, kaum dringt der Leser in den einen Kopf ein, springt er weiter. Ruhe kommt erst ab Seite 34.
Kennt ihr Beispiele, wo der Leser auch zunächst mit verschiedenen Perspektiven verwirrt wird, am Ende sich aber alles zusammenfügte? Gibt es Beispiele, wo der Leser mehr weiß, als der Prota, was ja von mir als Funktion beabsichtigt wird?
t.