Ich dachte, ich fange mal an, einer meiner anderen Geschichten hochzuladen. Die ersten drei Kapitel sind fertig, obgleich es hier sonst nur langsam vorrangehen wird. Nicht das es mir an Ideen mangelt, sondern schlichtweg, weil ich im Moment keine Zeit (und Ruhe) zum schreiben finde.
Hinweis an alle alten Hasen: Die Geschichte wurde vor allen im Kapitel 3 und 4 umfangreich überarbeitet.
Prolog - Der Erzähler
Das ländliche Dörfchen Sandweiler in der Grafschaft Langmark war so klein, dass es auf den allermeisten Karten gar nicht verzeichnet war. Es bestand nur aus einer Handvoll Lehmhütten sowie einer Schenke. Der niedrige, strohgedeckte Bau musste zudem auch als Markthaus und Gemeindesaal herhalten. Sandweiler war wahrlich nicht reich.
Dennoch waren die Einwohner zufrieden. Es war ein friedliches Jahr gewesen, die Ernte war gut und niemand war gestorben oder gar schwer verletzt worden. Nur die Gerüchte, die Wanderer aus der Ferne mitbrachten, schienen besorgniserregend. Man erzählte von wilden Bestien, grausigen Ritualen, blutigen Kriegen, Abtrünnigen und marodierenden Söldnerhorden. Aber das waren nur wilde Geschichten und solange ihr Lehnsherr nicht auftauchte und den Zehnt einforderte, war es für die Bauern in Sandweiler eine gute Zeit.
In der Schenke sollte am Abend ein Erzähler auftreten, der eine Geschichte zum Besten geben wollte. Niemand kannte ihn, es sollte sich nur um einen Herumtreiber handeln, der sich damit eine Nacht in der Herberge erschnorren wollte. Aber auch das freute die Bauern und den Wirt, dessen Haus etwas voller würde als sonst. Denn Zerstreuung war rar und so mancher lechzte nach Abwechslung, ganz gleich ob der Erzähler nun gut war oder nicht.
Tatsächlich trat in den späten Mittagsstunden ein gebeugter Greis in den niedrigen Schankraum, stampfte die beiden staubigen Stufen herunter und setzte sich an einen Tisch am Eingang. Die Kapuze seines schmuddeligen Umhangs hatte er tief ins Gesicht gezogen. Nur seine eingefallenen Wangen und sein struppiger Bart mit den grauen Strähnen waren darunter deutlich zu erkennen. Seine Augen und Stirn blieben im Schatten verborgen.
Natürlich blieb seine Anwesenheit nicht unbemerkt. Der untersetzte Wirt hinter dem kerbenübersäten Tresen winkte ein junges Mädchen, nicht viel älter als vierzehn Sommer, zu dem Neuankömmling rüber. Diese ließ den Schrubber fallen, mit dem sie soeben noch den Boden gewischt hatte und näherte sich dem Greis fröhlich hüpfend.
„Ihr seid doch der Erzähler, nicht wahr?“, fragte sie ihn munter. Der alte Mann blickte sie mürrisch an, beinahe erbost darüber, dass man ihn beim Nachdenken gestört hatte. Doch dann schlich sich ein freundlicher Zug in seine Mundwinkel.
„Ja, der bin ich, mein Kind. Ich habe mit eurem Wirt eine Abmachung getroffen. Könntest du mir daher ein heißes Kräuterwasser bringen?“
„Wünscht Ihr auch Honig dazu?“, fragte das Mädchen ihn freudestrahlend. Dieser schien einen Augenblick zu überlegen, bevor er langsam sagte: „Ja, das wäre sehr nett, danke.“
Das Schankmädchen lief munter hinter die Theke und verschwand in der anliegenden Küche. Der Erzähler blickte ihr hinterher und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, dessen Bedeutung keiner der anderen Gäste zu entschlüsseln vermochte. Anschließend blickte der Alte sich kurz, aber sehr gründlich im Schankraum um. Seinen wachen Augen schien nichts zu entgehen, weder die rohen Deckenbalken, zwischen dessen Bohlen überall Stroh durchstach, noch die zahlreichen Wasserflecken an der Decke. Genauso kritisch beäugte er den Kamin, der windschief gebaut, aber stabil wirkte. Zu dieser Jahreszeit brannte natürlich kein Feuer darin. Vielleicht würde der Wirt dennoch am Abend einige Scheite anzünden lassen, um die Stimmung aufzuhellen, oder die kühle Nachtluft etwas erträglicher zu machen.
Sofern natürlich die Geschichte des Erzählers annehmbar wäre. Dieser hingegen hatte vom Haus genug gesehen und ließ seinen Blick abwägend über die Anwesenden schweifen. Keiner der Bauern blieb verschont. Was er sah, schien ihn beinahe zu einem verächtlichen Schnauben zu veranlassen, aber zugleich auch zu beruhigen. Er entspannte sich sichtbar.
„Euer Kräuterwasser, bitte“, sprach das Schankmädchen munter, und balancierte einen Tonbecher auf einem kleinen Holztablett. Der Inhalt dampfte und ein angenehmer Geruch erfüllte den Schankraum, der ansonsten nur nach kalten Rauch und schalen Bier zu riechen schien.
„Danke, mein Kind“, sagte der Greis mit brüchiger Stimme und griff vorsichtig nach den heißen Becher. Seine Hände und Unterarme waren überraschend kräftig und sehnig. Er war sichtbar kein Mann, der harte Arbeit scheute, wobei das auch keiner der anderen Bauern angenommen hätte. Ein alter Greis, der seinen Lebensunterhalt dadurch bestreiten musste, indem er einen Wirt um ein Nachtlager anbetteln musste, nahm sicher jede Arbeit an. Das war etwas, was den Bauern gefiel. Nur arbeitsscheue Herumtreiber konnten sie nicht leiden. Zufrieden ließen sie ihre Blicke von dem Greis wegschweifen und beschäftigten sich wieder mit ihren Alltagsgesprächen oder ihrem kühlen Bier.
Langsam füllte sich die kleine Gaststube. Nicht nur Bauern, sondern auch Mütter und ihre Kinder kamen in größerer Zahl in den niedrigen Raum. Der Wirt war zufrieden, aber auch nicht besonders glücklich, da für jedermann sichtbar war, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung von Sandweiler gekommen war. Ungeduldig gab er dem Erzähler einen Wink. Dieser nickte, trank sein zweites Kräuterwasser in einem Zug aus und erhob sich.
„Ich grüße euch alle. Ich bin der Erzähler, von dem ihr alle gehört habt. Man nennt mich den alten Will, aber das war nicht immer mein Name. Ich werde euch heute eine Geschichte erzählen. Ob ihr sie glaubt, bleibt euch überlassen. Ob ihr sie als wahr empfindet, ist auch eure Entscheidung. Aber ich kann euch versichern, dass ihr gut unterhalten werdet.“ ~