Runejammer Marlin - Andere Welten

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 1.612 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (5. August 2016 um 13:58) ist von melli.

  • Kapitel 1: Ein Alien auf Island

    Der Mond rang tapfer mit den dunklen Wolken und für eine Weile behielt er die Oberhand.
    Lasse Randstrom und Brin Leifson, meine beiden Kollegen hofften, ebenso wie ich, dass es noch eine Weile so blieb. Die wenigen warmen Sommernächte auf Island wollten wir so gut es gut nutzen, immerhin war unwahrscheinlich, dass wir unsere herzliche Bekanntschaft, die sich langsam aber sicher in eine echte Freundschaft zu wandeln schien, im nächsten Semester ausgiebig pflegen konnten.
    Selbst nach den Jahren hatte ich wenige echte Bekanntschaften. Auch wenn die ruhige isländische Lebensart so langsam auch mein Verhalten beeinflusste, kam ich mir im Vergleich zu den Einheimischen immer noch wie ein Getriebener vor. Ich wurde bezahlt, also erwartete ich von mir selbst natürlich auch Leistung. Es ist nicht so, dass Isländer arbeitsscheu wären, ganz und gar nicht. Aber sie gingen sie mit einer Ruhe an, die mir, gerade zu Beginn meines Aufenthalts, geradezu provokativ vorkam, als legten sie es darauf an, dass man die Geduld mit ihnen verlor.
    Leifson und ich wohnten immerhin in derselben Stadt, da die Universität Island und die Universität Reykjavík beide in der isländischen Hauptstadt angesiedelt waren.
    Leifson, der einzige Isländer in unsrem Trio, war Professor und hatte seinen Lehrstuhl für angewandte Physik an der angesehenen Privatuniversität, während ich mich mit einem mageren Forschungsstipendium der ESA zufriedengeben musste. Natürlich wäre ich für eine Professur auch noch ein wenig jung gewesen, aber man wird doch wohl träumen dürfen?
    Das andere Problem war zudem, dass es auf Island wenig Bedarf für Astro-Physiker, Schwerpunkt Extrasolare Planeten gab. Meine Anwesenheit war durch ein Forschungsprojekt bedingt, wie bei vulkanischer Umgebung bestimmte Messwerte auf Kohlenwasserstoff oder Schwefelwasserstoff basierende Lebensformen hinweisen können. Ich will Sie nicht mit Einzelheiten langweilen, aber irgendjemand sollte schließlich schon etwas mit den Daten anfangen können, die teure Sonden nach Jahren des Hinflugs, zum Beispiel zum Saturnmond Titan, an uns schicken.
    Und wenn Island eines reichlich zu bieten hatte, dann Vulkane.
    Lasse Randstrom, um das auch noch zu erwähnen war Geologe und, nach inzwischen 12 Jahre auf der Insel, mit einer Isländerin verheiratet, die gerade zum zweiten Mal mit gemeinsamen Nachwuchs schwanger war. Er hatte sich durch einen glücklichen Zufall die Ecke Islands als Wohnort ausgesucht, in der ich meine erste »Exkursion« unternommen hatte. Seine bekanntschaft hatte mir eine Menge Zeit erspart nach entsprechend faulig stinkenden Pfützen zu suchen, die für meine Zwecke geeignet waren.
    Lasse hatte mich Brin auf einer Tagung vorgestellt und ich hatte den kauzigen Isländer schnell ins Herz geschlossen, freilich erst nachdem ich herausgefunden hatte, wie ich seinen doch recht schrägen Humor zu nehmen hatte.
    Wir drei saßen auf dem Flachdach von Randstroms Haus, feierten die gute Nachricht und beglückwünschten den gebürtigen Norweger, dass es ihm gelungen war eine solche patente Frau wie seine Ingra dazu zu bekommen ausgerechnet ihn zu heiraten. Unten im Haus verebbte langsam das Geburtstagsfest für Tore, Lasses Sohn. Die ganze Familie, also der isländische Teil, war dazu eingetroffen, zumindest schien es mir so, und solche Familienfeste dienten ausgiebiger Kontaktpflege. Auch wenn es niemand auch nur angedeutet hatte, war doch klar, dass Ingras Verwandtschaft froh war, mal frei sprechen zu können, ohne auf die Gäste Rücksicht nehmen zu müssen. Und wir waren froh, dem Trubel für eine Weile entkommen zu sein.
    »Skál«, rief uns Brin zu und beugte sich aus seinem Liegestuhl zu uns herüber und hielt uns seine Flasche Einstök hin und wir stießen an.
    Wer »Dinner for one« nicht auswendig kann, wird dennoch erraten, dass »Skál« das Gegenstück zu »Prost« darstellt. Nach drei Jahren hatte ich die meisten wichtigen Begriffe drauf und konnte mich sogar leidlich über Sport unterhalten.
    »Wo bleibt nur Sondra? Hast du ihr nicht gesagt, dass wir uns eine Weile verdrücken?«
    Ich zuckte die Schultern und zwinkerte Brin zu. »Die ist bei den Leuten unten ganz gut aufgehoben. Sie steht ohnehin mehr auf diese Menschenaufläufe wie ich.«
    »Du bist und bleibst ein seltsamer Mensch, Pat. Was so ein hübsches und kluges Mädchen ausgerechnet an Dir findet, das wissen auch nur die Götter.«
    Diese Frage hatte ich mir auch schon oft gestellt. Sondra Örndottir war im Gegensatz zu mir ein echter Hingucker, hätte wahrscheinlich ohne weiteres ein gutbezahltes Model sein können, wenn sie auch nur etwas Interesse in dieser Richtung entwickelt hätte. Stattdessen führte sie Touristen durch die Schönheit Islands, sorgte dafür, dass Anti-Naturburschen, wie ich zum Beispiel, nicht vom Pferd fielen, oder nicht geradewegs in den nächsten blubbernden Geysir ritten.
    Nebenher studierte sie Biologie und Sport und so hatten wir uns kennengelernt, als ich vom schwarzen Brett der Uni ihr Angebot, in der Semesterpause eine Führung zu den weniger bekannten Plätzen Islands, angenommen hatte.
    Ich wünschte mir wirklich sagen zu können, es hätte sofort gefunkt zwischen uns, wobei es von meiner Seite aus da nicht an Funken gemangelt hätte. Aber die geschätzten 15-18 Jahre Altersunterschied und meine bislang eher bescheidene Anziehungskraft auf den wirklich hübschen Teil der Damenwelt, hatten mich ohnehin nur etwas träumen lassen.
    Erst Monate später hatte ich sie wiedergetroffen in einer Vorlesung für Grundlagenphysik, die ich für einen erkrankten Kollegen kurzfristig übernommen hatte.
    Ihre abschließende Seminararbeit hatte mich schwer beeindruckt, so sehr, dass ich ihr das sogar bei einer zufälligen Begegnung auf dem Campus auch gesagt hatte. »Biologen sind normalerweise nicht gerade für ihr tiefes physikalisches Verständnis bekannt«, oder etwas in der Art taktvolles muss ich wohl gesagt haben und hatte sie damit so zum Lachen gebracht, dass ich ihr schließlich ein Papiertaschentuch anbot, um sich die Tränen wegzuwischen.
    Danach nahm sie, zu meinem damaligen Entsetzen, meine Einladung zu einem Kaffee an und störte sich zum meinem Glück auch nicht daran, dass ich spontan weder ein Cafe in der Nähe wusste, noch, dass ich eigentlich erst in einer Stunde Zeit hatte. Wer konnte schon ahnen, dass sie anders als mit höflicher Ablehnung reagieren würde?
    Das war vor ungefähr zwei Jahren gewesen und ja, ich bekam immer noch die ungläubigen Blicke mit, wenn wir zusammen irgendwo auftauchten. Ich will gar nicht wissen, wie viele sich im ersten Moment fragten, was ich ihr wohl dafür zahlte.

    »Paddy? Ach hier oben steckst Du!«
    Der hellen Stimme folgte ein Blondschopf, das lange Haar mit einem geflochtenen Zopf gebändigt.
    Brin und Lasse grinsten mich an. Niemand sagte sonst »Paddy« zu mir. Nur meine Großmutter hatte mich als so genannt, aber ihre irischen Wurzeln entschuldigten diesen Fauxpas hinreichend. Aber Sondra schien es zu gefallen mich so zu nennen, wie man vielleicht einen Kater nennen würde, also grinste ich einfach zurück.
    Ohne Umschweife quetschte Sondra sich zu mir in den Liegestuhl und nahm mir, ebenfalls ohne auch nur die Andeutung einer Bitte um Erlaubnis meine Flasche ab und trank den Rest aus.
    »Hey ..., hättest Dir auch selbst etwas mitbringen können, oder gleich für uns alle«, meckerte ich wenigstens um den Anschein aufrecht zu halten. In Wahrheit hatte ich nur zu bereitwillig Platz gemacht und meinen, von der Last den Bierhaltens befreiten, Arm um ihre Hüfte gelegt.
    Wie immer, wenn ich das vor anderen machte, schenkte sie mir dieses verschmitzte Lächeln. Ihr war, genauso wie mir, diese kleine, aber doch bedeutsame besitzergreifende Geste sehr bewusst und, wie immer, ließ sie es mir durchgehen.
    »Mann hat Frau, uga!
    Mann behält Frau, uga, uga!!
    Mann reißt anderem Mann den Kopf ab, wenn er auch nur ansatzweise interessiert schaut!!!
    Achso, uga, uga, uga, natürlich ...«

    Erst da wurde mir klar, dass ich wohl laut gedacht hatte. Sony verdrehte die Augen, Lasse verbarg schnell sein Grinsen hinter seiner Hand, doch der Isländer nahm kein Blatt vor den Mund, natürlich nicht. Wenn Brin jemand zum Ziel seines Spotts machen konnte, fackelte er nie lange:
    »Seid ihr Deutschen alle so ... steinzeitmäßig?«
    »Na, wo glaubst Du, kommen die Neandertaler her? Steckt alles in meinen Genen, kann ich nichts für ...«
    Das Lachen meiner beiden Freunde und das Kichern meiner Freundin ließen mich vergessen, wie weit weg von Zuhause ich war. Eigentlich war ich hier und jetzt gerade Zuhause.
    Das Alien wurde wohl langsam zum Resident.

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

    7 Mal editiert, zuletzt von Tom Stark (4. August 2016 um 10:58)

  • Kapitel 2: Lichterfestball

    »Fallegt Maid. Ég kann þori handlegg og fylgt að bera þig?«
    Sondra starrte mich mit offenem Mund an. »Das klingt ja schauderhaft!«
    Dann lachte sie schallend und hell, wie so oft, wenn ich sie zum Lachen brachte. Ihre winzigen Sommersprossen auf den Wangen tanzten und das Leuchten in ihren Augen entschädigten mich mehr als reichlich für das eventuell angeknackste Vertrauen in meine Kenntnisse der isländischen Galanterie.
    Ich selbst schmunzelte. Natürlich war mir klar gewesen, dass meine eins zu eins übersetzte Version von : »Schöne Maid, darf ich's wagen, Arm und Geleit Euch anzutragen?« wohl eher komisch als galant klang, aber wer's nicht wagt, der gewinnt auch nichts.
    Nichts desto trotz nahm sie meinen Arm, den ich ihr übertrieben galant hinhielt.
    Zum akademischen Ball des Lichterfest hatte ich mich in Schale geworfen. Natürlich hätte ich mir das auch sparen können, denn Sondra sah in ihrem roten Abendkleid so umwerfend aus, dass man mich ohnehin bestenfalls als wenig passendes Accessoire ansehen würde. Aber solange ich es war, mit dem die umwerfende Maid mit den leuchtend blauen Augen tanzte, sollten alle anderen doch denken, was sie wollten.

    Wie erwartet war die Party gut besucht und selbst nach über drei Jahren kannte ich noch nicht einmal zehn Prozent der anwesenden Kollegen, von ihren Familienangehörigen ganz zu schweigen.
    Anders als ich es aus Deutschland gewohnt war, waren hier auch bei akademischen Festlichkeiten Kinder und sogar Geschwister als Begleitung kein ungewöhnliches Bild.
    Eine Fünfköpfige Universitätskapelle spielte gerade Jazz als wir die große Aula betraten und gab ihr Bestes wie eine Big Band zu klingen. Was sie mit Eifer nicht erreichten glichen die überall mehr oder wenige diskret verborgenen Riesenlautsprecher aus.
    Leifson stand mit einigen Kollegen in der Nähe und winkte uns gleich hinzu.
    Ich verzog kurz das Gesicht, aber ich steuerte mit Sony am Arm die Gruppe an und Brin stellte uns vor. »Sondra Önsdottir in Begleitung von Dr. Patrick Erdmann.
    Mit der Rektorin Kristín Ingólfsdóttir war ich bereits bekannt und, natürlich, bekam sie sofort von mir ein Kompliment wegen ihres bezaubernden Kleides. Auch wenn ich kein häufiger Ballbesucher bin, weiß ich doch, was sich gehört. Die sonst eher mütterliche, sympathische Isländerin wirkte nun tatsächlich wie eine Grand Dame und war in der ungewohnten Kleidung so souverän, wie ich es gerne gewesen wäre.
    »Endlich lerne ich die berühmte Frau kenne, wegen der sich gerade die jüngeren Kollegen so oft den Hals verdrehen.« Sie lächelte offen und half Sony über ihre Verlegenheit rasch hinweg indem sie sich zu einem älteren Herrn drehte.
    »Prof. Dr. Ólafur Grímsson«, stellte sie ihn uns vor und der weißhaarige Mann ergriff Sondras Hand, hauchte ihr, very oldfashioned, einen Kuss auf die Oberseite. Er zwinkerte ihr weltmännisch zu und gab mir dann ebenfalls die Hand. An der Reaktion der anderen erkannte ich, dass ich wohl etwas beeindruckter hätte dreinschauen sollen, aber was soll man machen, wenn man es nicht besser weiß?

    Wir unterhielten uns eine Weile angeregt und irgendwann fiel mir auf, dass sich in unsrer Nähe stets ein oder zwei Männer aufhielten, die offenbar die Party nicht genossen. Sie sahen eher so aus, hielten sie beständig nach jemand Ausschau.
    Grímson war, wie ich inzwischen wusste, früher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Reykjavík gewesen und nach wie vor am akademischen Leben in der Hauptstadt sehr interessiert.
    »Sagen, sie mal, Professor, sind Ihnen die Männer dort bekannt? Ich kann mich täuschen, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass die gezielt uns beobachten.«
    Er drehte sich erstaunt um, hob seine Augenbrauen zunächst und wandte sich dann schmunzelnd an mich. »Oh, das sind nur meine Babysitter. Kein Grund zur Besorgnis.«
    Seine Miene blieb eisern ernst, aber ich sah an seinen Augen, dass er sich ein Lachen mit aller Mühe verkniff. Ratlos suchte ich den Blick meiner Freundin, doch die war mittlerweile durch ständiges Weiterreichen an weitere Bekanntschaften, die sie »unbedingt machen musste« von mir weggetrieben.
    Brin, der zum Glück weiterhin bei uns geblieben war, hustete nur und schüttelte den Kopf. »Du bist ein schlauer Kopf, Pat. Du kommst von selbst drauf.«
    Unwillig schnaubte ich, besonders da die beiden Professoren sich nun auch noch gegenseitig zuzwinkerten.

    »Werte Damen, werte Herren«, erlöste mich die Rektorin, die auf ein Podest gestiegen war und von der Band ein Mikrophon zugesteckt bekommen hatte.
    »Ich freue mich, dass Sie den Ball genießen. Ganz besonders begrüßen möchte ich natürlich unseren Präsidenten, Ólafur Ragnar Grímsson, aber auch alle anderen Kollegen der privaten Universität Reykjavik.
    Im aufbrandenden Applaus hallte in meinem Kopf nur ein Wort nach: Präsident. Präsident?!
    Mit aufgerissenen Augen wollte ich mich ihm zuwenden, als ich mitbekam, wie zwei Männer in grauen Anzügen, im Schutz der Menge eine Frau in einem roten Kleid durch eine der Seitentüren zerrten. Nur eine halbe Sekunde später war mir klar, wen man da gerade entführte!
    Ich ließ zwei sichtlich perplexe Männer stehen und drängte mich geradewegs zwischen den Bodyguards durch.
    »They kidnapp my girlfriend ...!«, brüllte ich einem ins Ohr, war schon vorbei und drängte mich mühsam durch die dichtstehenden Gäste. Nach endlosen Sekunden hatte ich es zur Tür geschafft und sie aufgerissen. Natürlich lag nur ein leerer Gang in die Tiefe des Universitätsgebäudes vor mir.
    »Hvar ?«, fragte mich ein Kleiderschrank im Anzug, der nur knapp hinter mir war. Der Leibwächter hatte mich tatsächlich verstanden und zu meiner Überraschung umgehend reagiert.
    Ich zuckte die Schultern, keine Ahnung wohin, aber bis zum Treppenhaus gab es ja nur den Gang, und begann loszulaufen. Er blieb knapp hinter mir und ich hörte, wie er leise über Funk mit seinen Kollegen sprach.
    Es waren nur ein Dutzend Meter, bis entweder eine Treppe nach oben, nach unten oder ein weiterer kurzer Gang zum Ausgang führte. »SONY!«, rief ich verzweifelt, aber nur Stille antwortete mir.
    »Til framleiðsla ...«,sagte der Hüne neben mir und zog mich zum Ausgang. Logisch, wenn man jemand entführt, dann würde man nicht im Gebäude bleiben!
    Atemlos erreichten wir - oder eher ich, der Typ neben mir atmete nicht einmal schneller - die Doppeltür aus Sicherheitsglas, stemmten sie auf und standen endlich vorm Gebäude.
    »PADDY!« hörte ich den Hilferuf und bevor mein Kopf wusste, woher das gekommen war, waren meine Beine schon losgelaufen. Sondras Stimme war von einem kleinen, kaum benutzen Parkplatz beim Westflügel gekommen.
    Nach wenigen Schritten wurde ich überholt und nach nicht einmal zwanzig Metern hatte der Bodyguard mich eigentlich schon abgehängt.
    »Hætta!« hörte ich ihn rufen und sah ihn eine Waffe unterm Jackett hervorholen.
    »Stöðva strax!« und dann gab er einen Warnschuss in die Luft ab.
    Als ich ankam, schnaufend wie ein altes Dampfross, sah ich nur noch, wie ein dunkler Geländewagen mit quietschenden Reifen vom Parkplatz schoss und in die zum Glück leere Straße einbog.
    Als wir selbst bei Straße ankamen, war vom Wagen nichts mehr zu sehen.
    »Austurátt«, sagte er, weniger zu mir als in sein Mikrophon und rannte ohne weitere Worte an mich zu verschwenden zum Universitätsgebäude zurück.
    »Ja, nach Osten ... tolle Information«, schimpfte ich. Mit seinen etwa hundertzwanzigtausend Einwohnern war die Hauptstadt Islands zwar weitaus kleiner als andere europäische Hauptstädte, aber nur Osten war schon etwas vage.
    Eher um etwas zu tun, als in dem Wissen was genau, rannte ich endlich zu dem alten SUV, den ich mir für die Dauer meines Aufenthalts für kleines Geld zugelegt hatte. Auch wenn ich wusste, dass es wenig Sinn machte, befand ich mich Minuten später auf derselben Straße unterwegs nach Osten.

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

    4 Mal editiert, zuletzt von Tom Stark (4. August 2016 um 10:59)

  • Kapitel 3: Auf Verfolgungsjagd

    An der nächsten Kreuzung, die ja unweigerlich kommen musste, schaute ich nach links und rechts, sah natürlich nichts Erhellendes und fuhr weiter.
    Zwei Kreuzungen weiter hatte sich die Erkenntnis der Sinnlosigkeit meines Tuns sogar bis zum Kleinhirn durchgesetzt und ich hielt auf dem Parkplatz eines Supermarkts an.
    Um mir wenigstens einen Überblick zu verschaffen, stieg ich aus und holte meinen Rucksack aus dem Kofferraum, der noch von der Exkursion vor zwei Tagen gepackt war. Aus dem, wie Sony gerne witzelte, »bombensicheren« Alu-Koffer holte ich meinen Tablet-PC, mein wichtigstes und zugleich teuerstes Allzweckswerkzeug. Auch wenn mein Salär im Dienste der ESA nicht unbedingt umwerfend war, war die gesponserte Ausrüstung dagegen erste Sahne. Ich wusste es nicht genau, aber ich war mir zumindest darüber sicher, dass man für den Gegenwert dieser Hardware locker einen Porsche bekam, von der teilweise streng geheimen Software ganz zu schweigen. Was die ESA wohl davon hielt, dass ich ihr teures Stück Technik mal eben so in einem Wagen ohne Sicherheitsanlage herumliegen ließ?
    Kaffee kochen oder meine Steuererklärung machen konnte das kleine Wunderding zwar nicht - wobei ich mir beim Letzteren nicht ganz sicher war - aber ich bekam wenigstens den detailliertesten Stadtplan, den man sich vorstellen konnte. Wenn einer in der Gegend war, konnte ich sogar auf aktuelle Satelli ... ich Trottel!
    Schnell rief ich die entsprechende Software auf und nach nervenaufreibenden zwanzig Sekunden Identifizierungsprozedur bekam ich das blinkende Symbol: Es war tatsächlich ein Satellit in der Gegend, zwar eher dazu gedacht geologische Unregelmäßigkeiten zu entdecken, aber die Live-Bilder die er lieferte waren so hochauflösend, dass man sogar eine Fliege auf einem Brot mit Kirschmarmelade erkennen konnte. Natürlich war die zweckentfremdete Nutzung streng verboten und ich übertrat damit nicht nur nationale sondern auch internationale Gesetze, aber das war mir in jenem Moment herzlich egal. Wahrscheinlich würde man ziemlich schnell merken, dass sich jemand unautorisiert an den Einstellungen zu schaffen machte, also machte ich so schnell ich konnte.
    Es dauerte noch einmal drei Minuten, doch dann hatte ich das Fahrzeug, auf jeden Fall hoffte ich, dass es kein anderer schwarzer, geländegängiger Mini-Van war, der mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit die Hafenstraße entlang donnerte.
    Ich hätte die Polizei informieren müssen oder den Sicherheitsdienst des Präsidenten oder wenigstens die Uni über meinen Kenntnisstand ins Bild setzen können. Verfolgungsjagden kannte ich nur aus dem Fernsehen und was sollte ich machen, wenn einer der Entführer mir einfach eine Knarre unter die Nase hielt. Scheiße, ein großes Messer würde schon reichen. Ich war Physiker, nicht James Bond.
    Wie es so ist im Leben, im Nachhinein kommt man leicht zum Schluss, wie viele weitaus sinnvollere Alternativen man gehabt hätte. Natürlich entschied ich mich, die Verfolgung auf eigene Faust fortzusetzen. Wie käme es jemals zu einer guten Geschichte, wenn da jeder vernünftig handeln würde?

    Keine Zehn Minuten später war ich ebenfalls am Hafen, wie gesagt, so groß ist Reykjavik nicht und ich kannte mich inzwischen ganz gut aus.
    Nun war der Hafen hingegen gar nicht klein, ganz im Gegenteil. Also fuhr ich bis zu der Stelle, wo der Satellit das Fahrzeug verloren hatte, weil er außer Reichweite gekommen war. Gerne hätte ich seine Flugbahn geändert, aber ehrlich gesagt hatte ich nicht gewusst wie. Vielleicht war es auch gut so. Ich hätte wohl nur unnötig Zeit damit verschwendet.
    Ich stieg aus und sah mich um. Private Bootshäuser gab es hier und private Anlegestellen. Es waren eher mittlere bis größere Segelboote, nicht diese Millionen Euro teuren Luxusyachten. Wie überall in der Stadt, standen hier zahllose Kerzen an Kaimauern, waren an den Relings befestigt oder hingen an gespannten Drähten an den Decks der Schiffe und ließen so, die sonst in der Dunkelheit unsichtbaren Boote, zumindest in Umrissen erkennen.
    Ratlos ging ich an mehreren Peers entlang bis mir ein besonders großes Boot auffiel, das jedoch keine einzige Kerze und kein einziges Lampion entzündet hatte. Das war ungewöhnlich, denn gerade die Eigner der großen Boote schmückten stolz ihre Schiffe.
    Eher zufällig bemerkte ich den schwarzen Kleinbus, der halb hinter einem Bootshaus versteckt parkte. Seine Seitentür war offen und ich sah einen Mann, der eine lange nicht sehr hohe Kiste herauszog und sie mit Murren auf die Schulter hievte.
    »Immer darf Tovoz die Drecksarbeit machen. Tovoz tu' dies, Tovoz tu' das. Und kein einziges Hälschen darf Tovoz hier aufreißen. Wie soll der arme Tovoz so bei Kräften bleiben?«
    Man kann sich vorstellen, dass ich nicht wenig irritiert war, aber umso sicherer war ich mir, dass ich genau die Gesuchten vor mir hatte. Was dieser Irre von Sondra wollte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, aber da er nicht besonders groß war, traute ich mir schon zu, ihn ordentlich packen zu können und mir ein paar Fragen beantworten zu lassen.
    Ich wartete, bis er mir den Rücken zudrehte und tatsächlich hielt er auf das große unbeleuchtete Boot zu. Bevor er noch zu nahe rankommen konnte, schlich ich näher. Durch sein Maulen hörte er mich nicht kommen und mein Tritt in seine Kniekehle traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Erst einmal auf dem Boden kniete ich mich in seinen Rücken und drückte seinen Kopf in den Asphalt.
    Zunächst wollte er mich abschütteln, aber in solchen Momenten zahlten sich die überschüssigen Kilos einmal aus.
    »Bleib unten, Drecksack, oder ich breche Dir das Rückgrat!«
    Er schnaufte noch einmal heftig, beruhigte sich aber schnell.
    »Was wollt Ihr mit der Frau? Los rede!« Ich legte als Ansporn noch etwas Gewicht auf mein Knie.
    Er japste, aber anstatt mir eine Antwort zu geben, wand und strampelte er, bis ich mir schließlich nicht mehr zu helfen wusste und ihn in den Schwitzkasten nahm.
    Ich war nicht mehr so kräftig wie zu meiner Zeit als Ringer in der Oberstufe, aber mangelnde Kraft wird durch Wut und ansteigende Panik manchmal mehr als ausgeglichen. Als er endlich aufhörte zu zappeln, ließ ich ihn vorsichtig los. Mit bis zum Hals pochendem Herzen suchte ich seinen Puls - Gott sei Dank, er lebte noch. Kidnapper oder nicht, einen Mord wollte ich nicht auf mein Gewissen laden.
    Die Kiste war bei meinem kleinen Überfall zu Bruch gegangen. Als ich die Trümmer beiseite räumte, traute ich meinen Augen kaum. Ihr Inhalt bestand aus Schwertern oder schwertartigen Waffen, Krummsäbel, Langmesser und was weiß ich nicht noch alles. Sogar ein martialisch aussehender Hammer und eine zweiblättrige Axt waren darunter.
    Warum weiß ich nicht genau, aber ein Geistesblitz ließ mich eines der Schwerter aufnehmen. Es hatte eine eigenartige unregelmäßige Fehlschärfe und wurde im letzten Drittel breiter, bevor es sich wie bei einem Lindenblatt zur Spitze verjüngte. Sofort lag es mir gut in der Hand, obwohl ich noch nie wirklich ein Schwert in der Hand gehabt hatte, wenn man den fünftägigen Bathlet-Kurs - die Spinnerei eines Trekkies, zugegeben - zu Studentenzeiten, mal außen vorließ.
    Den bewusstlosen Entführer verfrachtete ich ins nahe Bootshaus, knebelte und verschnürte ihn so gut ich konnte. Die Durchsuchung seiner Taschen ergab einige polierte Steine mit Zeichen drauf, Runen vielleicht und ein paar Münzen, die mir in der Fastdunkelheit mehr nach Spielgeld als nach echten Zahlungsmittel aussahen. Dennoch steckte ich mir eine Handvoll davon ein und einige der Steine gleich dazu. Er trug ein seltsames Amulett vor dem ich unwillkürlich zurückzuckte. Seit wann war ich denn abergläubisch?
    Nun, so wichtig war es wohl auch nicht. In seinem rechten Stiefel fand ich ein kleines aber sehr scharfes Messer, was ich ebenfalls an mich nahm.
    Die anderen Waffen lud ich wieder in den Van, wo noch zwei solche Kisten lagen, und musste fast laut auflachen, als ich bemerkte, dass der Schlüssel noch steckte. Schnell fuhr ich den Wagen zwei Peers weiter und versteckte ihn hinter einem LKW. So leicht würden diese Strolche jedenfalls nicht entwischen. Mit ihrem Segelboot würden sie kaum den Behörden entkommen.

    Zurück bei meinem Wagen, schnappte ich mir Tablett und meinen Rucksack und tauschte bei Gelegenheit meine Hose, Schuhe und das Jackett gegen die Kleidung, die ich sonst für meinen Wanderungen in und um die Vulkane trug. Das kleine Messer schob ich in meinen linken Wanderschuh, wo es vollständig verschwand. Ich musste kurz über mich selbst grinsen. Rambo wäre bestimmt stolz auf mich.
    Zudem hatte ich nun mein Fernglas mit Nachtsichtfunktion und konnte mich im Schatten des Bootshauses auf die Lauer legen. Durch die bessere Sicht konnte ich das Boot gut beobachten, was je länger ich es mir ansah, mir umso seltsamer vorkam. Nun bin ich ganz sicher kein Experte für Boote, aber das geteilte Deck - oder waren es zwei Decks - kam mir eher vor wie von einer römischen Galeere, zumindest die, die ich aus den Asterix-Comic-Heften kannte. Und mir war zwar klar, dass Segel sowohl längs als auch quer zum Schiffsrumpf gespannt sein konnten, aber dass sie links und rechts am Heck des Schiffs wie große Flügel sein sollten, wovon beinahe ein Drittel sogar im Wasser verschwand, das war nun wirklich kurios.
    Auf dem größeren der beiden Deckabschnitte hielten zwei Personen Wache und hätte ich die mittelalterlichen Waffen nicht gefunden, hätte ich wohl meinen Augen nicht getraut, denn der eine war mit Pfeil und Bogen, der andere mit einer Art Lanze bewaffnet. Sie trugen beide gleichaussehende graue Anzüge, was die ganze Szene noch absonderlicher machte.
    Das Schiff selbst war vielleicht dreißig Meter lang und hatte eine Art Aufbau am Heck, was ein bisschen wie eine Raumschiffsbrücke aus Star Trek aussah. Die beiden Außenteile, welche die Masten für die merkwürdigen Segel hielten, waren in einer Aluminiumfarbe gestrichen oder aus Metall, schwer zu sagen, hätten aber genausgut Turbinen eines futuristischen Fluggeräts sein können.
    Wer auch immer sich dieses Schiff hatte bauen lassen, er musste im Geld schwimmen und einen verdammt exotischen Geschmack haben. Leute mit so viel Geld könnten natürlich auch hinter schönen Frauen her sein und sie entführen lassen. Aber sie mitten aus einem Ballsaal voller Leute zu kidnappen? Das alles ergab immer weniger Sinn, je länger ich darüber grübelte.
    Jedenfalls wurde es Zeit die Polizei zu verständigen. Ich hoffte nur, dass der Besitzer dieser Segelyacht nicht auch noch diplomatischen Status hatte.
    Ich kramte in meinen Rucksack nach dem blöden Smartphone, welches ich ohnehin selten nutzte. Die meiste Zeit brauchte ich sowieso das klobige Satellitentelephon, weil selbst die optimistischsten Telekomunikationsanbieter keine Sendemasten nahe giftgasaktiver Vulkane errichten, wo sich ohnehin kein geistig gesunder Mensch herumtreibt.
    Gerade suchte ich die Nummer der Polizei heraus - ja doch, wer weiß schon die Nummer der Polizei in einem fremden Land - als mich ein Geräusch zusammenzucken ließ. Instinktiv duckte ich mich und so erwischte die seltsame Sichel nicht mich, sondern nur meinen Rucksack, der neben mir auf der Motorhaube geruht hatte.
    Der Angreifer im bekannten grauen Anzug brauchte einen Moment um sein Schwert zu befreien, was mir die Zeit ließ, vor lauter Schreck mein Smartphone fallen zu lassen und halbwegs geistesgegenwärtig das Schwert zu greifen, was an den Kotflügel gelehnt nur darauf zu warten schien.
    Es gelang mir gerade noch die Waffe hochzureißen um den nächsten Hieb zu parieren und um ein Haar wäre sie mir aus der Hand geprellt worden.
    »Nicht zu fest zupacken ...«, ermahnte ich mich, doch ich hatte keine Ahnung woher ich sowas wissen konnte. Vielleicht hatte ich bei einer Doku oder einem Eastern-Streifen mit obligatorischer Meister-Schüler-Szene gut aufgepasst.
    Der nächste Schlag kam tief, ganz gemein auf die, sagen wir mal "Körpermitte" gezielt und ich konnte nur knapp meine Hüfte zur Seite schieben. Ein Teil meiner Hose und wohl auch etwas Haut hatte der Mistkerl im grauen Anzug doch erwischt. Der folgende Schmerz war ordentlich. Wer behauptet, man spüre vor lauter Adrenalin nichts, der soll mir das mal vormachen, und solange sage ich, dass er ein dreister Dummschwätzer ist.
    Ein Gutes hatte der Schmerz aber: Meine Flight-or-Fight-Instinkte kamen endlich aus dem Ur-Echsen-Teil meines Kleinhirns geschossen und da ich schon ein Schwert in der Hand und heute schon hinreichend bewiesen hatte, dass Laufen nicht meine große Stärke ist, entschied ich mich ganz spontan dafür, meinem Gegner jetzt auch ein paar Schmerzen zuzufügen.
    Nun war ich kein Schwertkämpfer und meine Zeiten als Junior-Ringer lang vorüber, aber es gibt gewisse Dinge, die man nie verlernt. Eines davon ist zu erkennen, wann ein Gegner im Begriff ist in Aktion zu treten. Man kann sogar mit ziemlich hoher Trefferwahrscheinlichkeit vorhersagen, was er als nächstes machen will. Das bedeutet nicht, dass man eine Finte durchschaut, oder eine ganze Abfolge an Hieben, Tritten oder Stichen vorhersieht, aber es ist immerhin etwas.
    Und es ist etwas, was nicht jeder gleich gut lernen kann. Dazu ist Instinkt, Empathie und eine gute Portion Kaltschnäuzigkeit gefragt, was nicht jeder ausreichend mitbringt. Gut, Erfahrung spielt auch eine große Rolle, aber damit konnte ich in diesem Moment nicht dienen, also nimmt man was man gerade hat.
    Ich wartete also ab, auf jenes verräterische Zeichen, das Rucken des Kopfes, das Zucken der Schulter, das Verlagern des Gewichts und noch Einiges mehr, was man mehr unterbewusst als berechnend wahrnimmt. Bei ihm war es die Körperspannung, die plötzlich zunahm, die ihn verriet.
    Ich sprang wenig elegant zur Seite und sein Stich, so schnell, dass ich ihn kaum kommen sah, ging geradewegs an mir vorbei. Mit aller Kraft hieb ich nach seiner Schulter und war beinahe bestürzt, wie einfach das gelungen war. Meine Klinge fraß sich tief in sein Gelenk bis zum Schlüsselbein und beim Herausreißen nahem die breite Spitze des Schwertes den halben Rest der Schulter mit.
    Dafür war diese komische Verdickung also gut, wirklich interessant.
    Er heulte auf, wie ich es nie bei einem Menschen für möglich gehalten hätte. Seine Waffe entglitt seinem leblos herabhängenden Arm, doch anstatt aufzugeben oder wenigstens nach seiner Schulter zu greifen, zog er mit der Linken ein Messer mit einer langen krummen Klinge.
    Beinahe hätte er mich erwischt, so überrascht war ich, von meinem Erfolg einerseits, von seiner kaltblütigen Reaktion andererseits. Doch mein Schwert schwang rechtzeitig nach unten. Ich wollte seinen Dolch abwehren, ihn ihm wenn möglich aus der Hand schlagen. Aber ich war nicht plötzlich in den letzten Minuten zum Schwertmeister geworden, daher traf ich nicht den Dolch, sondern das Gelenk der Hand, die ihn hielt. Und wieder war es das Herausziehen der Waffe, was wenigstens so viel Schaden wie der Treffer selbst verursachte. Die Hand samt Waffe fiel zu Boden und mein Feind heulte noch lauter.
    Entsetzt vom ganzen Blut, meiner eigenen Brutalität und von den schweren Verletzungen meines Gegners, wich ich zurück. Ich sah, wie der Geschlagene in die Knie brach und sein Heulen leiser wurde. Er atmete zusehend flacher, meinte ich, doch nein, sein Atem wurde ruhiger, kräftiger.
    Als ich zum Armstumpf sah, musste ich ungläubig blinzeln. Es konnte unmöglich wahr sein, was ich da sah. Die Hand wuchs nach, was an sich schon unmöglich war, aber dazu in einem Tempo, dass man dabei zusehen konnte.
    Fassungslos ließ ich das Schwert fallen.
    »Unmöglich, das ist unmö ...« Ein brutaler Schlag gegen meinen Hinterkopf unterbrach mich.
    Verdammt, die Anderen. Logisch, unser Kampf war nicht zu überhören. Dieser Gedanke war der letzte, bevor mein Bewusstsein in tiefe Dunkelheit abglitt.

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

    7 Mal editiert, zuletzt von Tom Stark (4. August 2016 um 10:59)

  • Kapitel 4: Kopfkrank

    »Oh, Paddy, es tut mir ja so leid, dass Du da mit hineingezogen wurdest!«
    Ich fühlte eine sanfte, zarte Hand auf meiner Wange und ein feuchtes, kühlendes Stück Stoff, was mir auf die Stirn gelegt wurde. Wenn man mich nur nicht so anschreien würde!
    »Ahhh ...«, allein schon dieser Laut ließ mich beinahe erbrechen. Alles war so laut und dröhnte, als hätte jemand Tausendwattboxen an meinen Ohren angebracht. »Leise ... bitte ...«, jammerte ich kläglich. Auch nur der Versuch die Augen zu öffnen, jagte mir einen solchen Stich in den Kopf, dass ich beinahe das Bewusstsein verlor.
    »Den Schädelbruch habe ich geheilt, aber was das Gehirn abbekommen hat, das kann ich nicht wissen. Es ist ohnehin so wenig Magie in dieser Welt und die Segel entziehen durch das Aufladen der Umgebung jedes noch so kleine Bisschen, sobald es sich bildet. Ich musste die ganze Kraft aus mir herausnehmen und Du siehst ja, in was für einem Zustand ich bin.«
    Obwohl der Mann, der da sprach, flüsterte, wofür ich ihm wirklich, wirklich dankbar war, erzeugte seine Stimme immer noch ein Echo, wie Böller in einer hohlen Gasse, in meinem Kopf.
    »Du hast mehr getan als man verlangen konnte, ich danke Dir. Leider habe ich die in mir gesammelte Magie bei meinem sinnlosen Fluchtversuch aufgebraucht ...«
    Ich erkannte Sonys Stimme, sogar ihren Duft, aber was sie sagte ergab keinen Sinn. Genau genommen ergab gar nichts, was beide sagten, einen Sinn.
    Magie? Gut, wir waren auf Island und es gab sogar ein Ministerium, was nur damit beschäftigt war, dafür zu sorgen, dass die Elfen und Feen der Inseln nicht von menschlichen Bauvorhaben gestört wurden, aber das war doch eher ein Tribut an die Tradition. Niemand konnte ernsthaft an Elfen glauben?

    Mit einer herkulischen Willensanstrengung schaffte ich es wenigstens mein linkes Auge einen Spaltbreit zu öffnen. Obwohl es hier fast dunkel war, hatte ich keine Probleme alles zu sehen. Nicht nur, dass das Licht mir mehr als ausreichte, erkannte ich um alles, Lebewesen wie Gegenstände, ein Halo, eine Aura, ganz so, wie wenn man im Hallenbad zu viel Chlor in die Augen bekommen hat und dann alles von einem flimmernden Blau umflirrt sieht. Soweit mein Blickfeld reichte, lag ich in einer Art Lagerraum, meinen Kopf auf Sondras Oberschenkel gebettet. Überall standen Kisten und die Wände waren aus Holz, wenngleich sich jemand den Spaß erlaubt hatte, es mit einer transparenten aber wirklich nervig schimmernden Farbe zu streichen. Den unbekannten Sprecher sah ich nirgends.
    Ich suchte Sondras Blick und fand ihn endlich. Sie lächelte sanft aber auch sorgenvoll. Ihre großen Augen kamen mir irgendwie mandelförmiger, asiatischer vor, als ich sie in Erinnerung hatte. Ihn ihrem Gesicht schienen die Wangenknochen nun höher, auf jeden Fall deutlicher hervor zu treten, was es in Verbindung mit den Augen viel exotischer und auf beinahe magische Art noch reizvoller machte.
    Schon wieder dieses Wort: Magisch.
    Mein Dachschaden musste wirklich schlimm sein.
    Ich sah, wie sie ihre Lippen bewegte und lautlos die berühmtesten drei Worte jeder Sprache formte.
    »Ég elska þig!«
    Das hatte sie noch nie ausgesprochen. In all der Zeit hatten wir beide uns vor dieser Fallgrube jeder Beziehung ferngehalten, wie der Teufel vom Weihwasser.
    Ich wollte etwas erwidern, ihr sagen, dass ich genauso empfand, dass dies aber weder der richtige Zeitpunkt noch der rechte Ort war, doch ich hatte nicht einmal die leiseste Idee, wo wir gerade waren. Und was den Zeitpunkt betraf: Gab es so etwas überhaupt?
    Eigenartig erheitert merkte ich, wie meine Gedanken Galoppsprünge machten, wie Blitze in meinem Kopf wild hin und her zuckten und dann spürte ich ihren Finger auf meinen Lippen und sah diese blauen Augen in denen sich silberne Splitter wie in einem Wirbel zu drehen schienen. Magisch, irgendwie.
    Mist, war mein Kopf im Arsch!
    Irre kichernd über diese bildhafte Vorstellung, glitt ich wieder in die Dunkelheit hinüber.

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

    Einmal editiert, zuletzt von Tom Stark (4. August 2016 um 10:56)

  • Kapitel 5: Szonto, der Bordheiler

    Als ich wieder meine Augen öffnete, fiel mir als erstes auf, dass die Schmerzen im Kopf verschwunden waren. Dennoch fühlte ich mich nicht wie gewohnt. Eine Art Leuchten schien alles um mich herum zusätzlich zu erhellen, als hätte ich mein ganzes Leben eine getönte Brille getragen, besser vermag ich es nicht zu beschreiben.
    Das erste was ich sah, war die Decke einer Koje einen Meter über mir. Vorsichtig testend, ob der stechende Schmerz zurückkehren würde, drehte ich den Kopf.
    Das war mit Sicherheit nicht der Lagerraum, in dem ich das letzte Mal gelegen hatte. Vielmehr lag ich in einer Art Gemeinschaftsunterkunft mit drei Doppeldeckerkojen links und rechts eines schmalen Durchgangs, in etwa wie man es von U-Boot-Filmen kennt. Soweit ich sehen konnte, war keine der Kojen im Moment belegt. Alles war aus Holz gefertigt, an Verbundstellen oft mit Metall beschlagen und wieder mit dieser glitzernden transparenten Farbe bestrichen, die mich nicht mehr ganz so nervte, wie das letzte Mal, aber trotzdem nicht unbedingt entspannend wirkte.
    Natürlich war es nur logisch anzunehmen, dass ich mich an Bord des seltsamen Segelschiffs befand.
    Still horchte und spürte ich, doch ich vernahm weder Hafengeräusche noch Meeresrauschen. Trotzdem bildete ich mir ein, das leise Knarren von Bohlen oder einer Takelage zu hören, aber ich konnte mich auch täuschen. Auf keinen Fall hob und senkte sich das Schiff, oder rollte gar, da war ich mir sicher.
    Immer noch vorsichtig schwang ich meine Beine aus der Koje. Ich hatte meine graue Trekkinghose an, aber keine Schuhe. Mein Hemd war aus feinem ungefärbten Leinenstoff, an den Schultern mit karierten Übernähern verstärkt und bis tief auf die Brust eingeschlitzt. Die Bänder, die es ermöglichen würden das Hemd zu schließen, waren im Moment weit geöffnet und so konnte man mehr von meiner Brust sehen, als ich es für vorteilhaft hielt.
    »Wie im Mittelalter...«, brummte ich und versuchte mich daran, das Hemd etwas weniger offenherzig zu gestalten.

    »Oh, Ihr seid erwacht, Mestar Paddy.« Die Stimme erkannte ich sofort und nun sah ich auch die dazugehörige Gestalt, die sich von einem Tisch einige Meter entfernt erhob. Der Mann hatte offensichtlich gerade einen Eintrag in ein Buch gemacht und legte dazu einen Stift mit einer bunten Feder am Ende ab. Ich musste Schmunzeln: Da hatte aber jemand auf jede Einzelheit geachtet. Wenn die Lage nicht so ernst wäre, hätte ich sicher meinen Spaß daran. Zugegeben, für einen Physiker war ein Teil meiner Seele erstaunlich weltfremd, auch wenn ich ihn selbst lieber als fantasieoffen bezeichnete.
    »Wie fühlt Ihr Euch? Der lange Schlaf hat Euch sichtlich wohlgetan.«
    Ich musterte den freundlichen Herrn eingehend und was ich sah, passte auf surreale Art nahtlos in die ganze Szenerie. Er war etwas größer als ich, nicht ganz so breit und hatte ein paar Pfunde weniger vor sich herzuschieben. Wobei mir ein unsicherer Griff an den Bauch signalisierte, dass es auch bei mir nicht mehr so weit her war, mit diesen Pfunden.
    Er trug ein ähnliches Hemd wie ich, nur dass es grün gefärbt war und eine braune Hose aus Leder. Natürlich habe ich aus dramatischen Gründen die Hauptsache noch etwas hinausgezögert, aber hier kommt sie. Dort wo man gemeinhin den Kopf eines Menschen vermutet hätte, saß der pelzige Kopf einer Großkatze, nur mit deutlich menschlicheren Zügen, als man sie von vierbeinigen Tigern kennt. Das sandgelbe Fell war von weißen und schwarzen Zeichnungen durchbrochen und das beschränkte sich nicht nur auf das Gesicht, wie ein schneller Blick auf die großen Hände mit den unübersehbaren scharfen Nägeln schnell bestätigte. Seine Füße ähnelten den Händen so sehr, dass ich mir ziemlich sicher war, dass er zur Not auch mit ihnen diese Feder hätte greifen können und auf dem Boden gemütlich hätte weiterschreiben können, ohne sich zu bücken.
    Das Raubtiergebiss mochte nicht ganz so gewaltig sein, wie bei seinem tierischen Verwandten, aber ich wollte ganz sicher nicht davon gebissen werden. Als er auf einen Meter heran war, konnte ich Narben erkennen, die seine linke Wange überzogen und sich bis zu seinem Auge hinaufzogen. Auch sein linkes Ohr sah ziemlich ausgefranst aus, aber so wie es fröhlich hin und her zuckte, schien ihn das nicht zu behindern.
    Er lächelte amüsiert über meinen erstaunten Blick. »67 Jahre im Dienst der Elfenmarine haben ihren Tribut gefordert.« Seine Stimme klang angenehm, beinahe sanft und wollte auf den ersten Blick gar nicht zu diesem Bestiengesicht passen.
    »Verzeihung, ich wollte nicht starren. Aber eigentlich muss ich mich beglückwünschen, dass ich nicht vor Schreck die Beine in die Hand genommen habe und weggelaufen bin. Ihnen ist schon klar, dass man Ihresgleichen auf Island nicht sehr häufig antrifft?« Ich weiß, ich bin ein Meister der Untertreibung, Mestar Understatement, gewissermaßen.
    Er lachte und reichte mir seine Hand, die ich vorsichtig ergriff. Seine Krallen sahen scharf genug aus, um mich durch pure Ungeschicklichkeit meinerseits, daran aufschlitzen zu können.
    Sein Händedruck fiel fest, aber nicht schaubstockartig aus.
    »Wir sind schon seit Tagen nicht mehr auf Island, Mestar Paddy.«
    Ich verzog das Gesicht. Der Titel klang mir irgendwie nach einem Jedi-Meister, aber mir war schon klar, wer mir das ungeliebte Paddy eingebrockt hatte.
    »Wir sind also auf hoher See?«, wunderte ich mich.
    »Hm, nein, nicht wirklich.« Er winkte mir, ihm zu folgen und er schlug den Weg zurück zu der Nische ein, in der sein Tisch stand.
    »Ok, und wo sind wir dann, und wie lange war ich weggetreten?«
    »Wo genau, kann ich nicht sagen. Aber Ihr wart mit Unterbrechungen beinahe 12 Tage ohne Bewusstsein.«
    Kopfschüttelnd trat ich neben ihn und sah, wie er eine Abdeckung an der Wand zur Seite nach oben klappte und ein Bullauge freilegte.
    Neugierig schaute ich hinaus, sah aber nur Schlieren in allen Farben, die man sich vorstellen kann. Mit etwas Mühe konnte man eine Strömung ausmachen, die sich parallel zum Schiff abzeichnete. Ich schüttelte erneut den Kopf. So langsam bezweifelte ich ernsthaft, ob ich tatsächlich erwacht war. So sahen LSD-Träume aus, erinnerte ich mich an die Beschreibungen experimentierfreudiger Mitstudenten.
    Ich deutete auf das Bullauge. »Was ist das?«
    »Ich weiß, als Reisender auf der ersten Fahrt zwischen den Welten, muss das sehr fremd auf Euch wirken. Meress Allesondra warnte mich vor, dass Ihr vielleicht sogar an Eurem Verstand zweifeln könntet, darum hat immer einer von uns bei Euch Wache gehalten, so dass Ihr nicht allein wärt, wenn Ihr erwacht.«
    Zum Glück gab es am Tisch Stühle, denn an einem musste ich mich festhalten. Plötzlich schien das Boot heftig zu schwanken und mit der Hilfe des Tigermanns fand ich mich schließlich sitzend, den Kopf in beide Handflächen gestützt, wieder.

    Es gab in meiner Lage nur zwei Möglichkeiten, analysierte ich so kühl wie möglich.
    Erstens, ich war in einem Komatraum oder noch schlimmer, ich stand unter Drogen oder einer anderen Bewusstseinsbeeinflussung. Egal was davon zutraf, es fühlte sich unglaublich real an und solange die Wirkung anhielt, konnte ich genauso gut mitspielen.
    Möglichkeit Zwei machte mir deutlich mehr Angst: Alles was ich gerade erlebte war real.
    Nun ist es so, dass Physiker immer irgendwo damit rechnen, dass sich das Modell, nach dem sie ihr Weltbild aufgebaut haben, als fehlerhaft erwies. Um ehrlich zu sein, gieren wir geradezu danach solche Fehler zu entdecken. »Wir irren uns empor ...«, ist ein oft zitierter Satz. Aber wenn das hier wirklich real war, reichte es nicht aus, mein Weltbild an der einen oder anderen Kante etwas abzuschleifen. Vielmehr konnte ich es einfach nehmen, irre lachend darauf herum hüpfen und es dann in die Tonne treten.
    Wie dem auch sei, eines kann man einem Physiker nicht nachsagen, nämlich dass er harte fühlbare Fakten ignoriert.
    Mein Gehirn legte also eine Sicherheitskopie im hintersten Winkel an und dann, nach einem partiellen Reboot, begann es sich mit der neuen Lage der Dinge zu arrangieren.

    Ich seufzte tief und sah in die besorgten Augen meines Gegenübers.
    »Alles gut, musste nur kurz mal meine Position im Universum neu kalibrieren.« Ich grinste tapfer.
    Er schien nicht ganz zu verstehen, was ich gesagt hatte, aber den Sinn dahinter mit Erleichterung zu erkennen.
    »Mein Name ist Szonto, eigentlich Kr'far s'Zont Odan«, er grinste ebenso, »aber ich glaube außer bei der Geburt und meiner ersten Hochzeit hat mich niemand mehr so genannt.«
    »Sehr erfreut, und sehr dankbar, dass Ihr mir meinen Kopf gerichtet habt. Ich bin Pa ...«, ach was sollte ich ausgerechnet jetzt kleinlich sein, »...ddy, für meine Freunde.«
    »Gern geschehen. Es war eine ziemliche Herausforderung. Nicht nur dass Euer Menschenkörper den Elfenkörpern zwar äußerlich ähnelt, im Inneren aber doch deutliche Unterschiede aufweist. Hinzu kommt, dass Euer Körper die üblichen Veränderungen von Erstfahrern durchmacht, was das Ganze einer echten Lotterie werden ließ.«
    Ich legte den Kopf zu Seite und betrachtete Szonto mit ganz neuen Augen. »Ihr seid ein Arzt?«
    Er zuckte die Schultern. »Ich kenne das Wort Arzt nicht, aber ich bin Heiler, wenn es das ist, was Ihr damit ausdrücken wolltet. Nach über einem halben Jahrhundert, in dem ich meine Feinde in Namen meiner Dienstherren zerstückelt habe, fand ich es an der Zeit, mein erworbenes Wissen über die Zerbrechlichkeit des Lebens, dessen Erhalt und nicht dessen Vernichtung zu Gute kommen zu lassen.«
    »Da hatte ich ja echtes Glück. Aber wie kommt es, dass ein Mann mit offensichtlich so ehrbaren Werten sich einer Entführerbande anschließt?«
    Er zierte sich ein wenig, etwas was bei diesem Tigerwesen ziemlich komisch wirkte. Ich verkniff mir aber wohlweislich ein Grinsen.
    »Ich geriet vier Tage vor dem Transit in Gefangenschaft. Sie suchten dringend einen Bordheiler und ich hatte in der Taverne öffentlich nach einer Anstellung gesucht und wohl vor den falschen Leuten mit meinem Können geprahlt. Ihr müsst nämlich wissen, dass es außerhalb des Elfenvolks wenig Kundige in der Heilmagie gibt. Als ich erwachte, waren wir bereits unterwegs und wenn ich nicht auf Eurer Welt festsitzen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu fügen.«
    Verständnisvoll nickte ich. »Ihr wurdet schanghait, wie man bei uns sagt, entführt und in den Dienst gezwungen. Da sie auch Sony entführt haben, meine ich ein Muster ihrer Vorgehensweise zu erkennen.«
    »Ihr nennt Meress Allesondra ... Sony?« Er war sichtlich davor loszuprusten. »Vielleicht solltet ihr das besser ab sofort nur noch in privater Umgebung tun.« Er zuckte am ganzen Körper, verbiss sich das Lachen aber tapfer.
    Ich hatte ein Déjà-vu mit einem gewissen isländischen Präsidenten, es schien mir ewig her zu sein.
    Nun gut, ganz offensichtlich hatte ich Einiges zu lernen.
    »Schön, dann denke ich, wäre es an der Zeit mich etwas über die Lage aufzuklären. Was genau sind die Elfen, wer sind unsere Entführer, was hat es mit diesem Schiff auf sich ... und warum zur Hölle haben die mich mitgenommen?«
    Er nickte, griff in eine Truhe unterm Tisch und förderte zwei reichlich verzehrte Becher und einen Flasche mit violettem Inhalt hervor.
    »Die letzte Frage ist am Leichtesten zu beantworten. Ihr habt offenbar Tovoz getötet, den zweiten Schiffs-Maat. Der Kapitän kam zum Schluss, dass Ihr seinen Platz einnehmen sollt, oder aber man würde euch zwischen den Welten über Bord werfen, solltet Ihr nicht genesen.«
    »Nett«, gab ich zurück. »Nur verstehe ich weder etwas von der Seefahrt und schon gar nichts von ... Transit-Fahrten?«
    Er grinste, während er mir einschenkte. »Müsst Ihr auch nicht. Maat ist ein anderes Wort für Gehilfe und der zweite Maat muss noch weniger können, als der erste Maat. Der ist eigentlich nur für alle lästigen Handlangerdienste und Anpackeraufgaben zuständig.«
    »Oh«, meinte ich trocken, während ich vorsichtig einen Schluck nahm. Das Zeug war nicht schlecht, machte einen warmen Magen und erfrischte zugleich. »ich wusste ja immer, dass mir mein Studium irgendwann zu einem Traumjob verhelfen würde ...«

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

    Einmal editiert, zuletzt von Tom Stark (4. August 2016 um 10:56)

  • Kapitel 6: Allesondra

    Szonto wollte gerade beginnen, als ich leichte Schritte hört und am anderen des Ganges eine mir sehr bekannte und doch sichtlich veränderte Frau herunterkommen sah.
    Es war Sondra, eindeutig, aber war sie zuvor sportlich athletisch gewesen, war sie nun elegant wie eine Raubkatze. Ihre Beine erschienen noch etwas länger oder sie waren einfach etwas schlanker geworden, ich konnte es nicht sagen. Auch um die Schultern herum schien sie ebenso an Muskulatur verloren zu haben, im Gegenzug hatte sie jedoch die stolze Haltung einer König gewonnen. Ihr Haar war noch heller und bestimmt zehn Zentimeter gewachsen, aber ich sparte mir meine Verwunderung für das Gesicht auf.
    Ich erinnerte mich dunkel an die leichte Mandelform, die ihre Augen auf einmal angenommen hatten, doch nun lagen ihre Augen zusätzlich schräg und deutliche Spitzen von Ohren drängten sich durch ihre Mähne. Ihre Augen hatten nun vollends dieses tiefe Blau angenommen und ein silberner Kranz rotierte entlang der Iris. Das Gesicht war insgesamt schmaler geworden, die hohen Wangenknochen und die schärfer zugeschnittene Nase verliehen ihr weitere raubtierhafte Züge. Wenn man ganz genau hinsah, konnte man den Schatten einen Maserung auf der Haut erahnen, ähnlich, wie man die Leopardenflecken im Fell eines schwarzen Panters nur bei gutem Licht sehen kann.
    Es war genau die Frau, die ich nun seit drei Jahren kannte, aber eben eine Sondra, welche durch die besten Maskenbildner Hollywoods in eine Art Alien verwandelt worden war.

    Als sie sah, dass ich auf war, sprang sie mit zwei langen Sätzen bis zum Tisch.
    »Paddy!«Ich fühlt mich umarmt, vermisst und geliebt zugleich.
    Der Heiler erhob sich diskret. »Ich sage dem Kapitän Beschied, dass Mestar Paddy soweit genesen ist und nach dem Essen seinen Dienst antreten kann.«
    Sie lächelte dankbar sah aber weiterhin mich an. »Und keinen Tag zu früh. Wir erreichen heute noch den Nexus und Kapitän Kaldoon hat eindeutig klargemacht, dass er Dich über Bord wirft, wenn Du nach der Kehre immer noch zu nichts zu gebrauchen bist..«
    »Herzallerliebst ...«, lästerte ich etwas, zog die ... Elfe - daran musste ich mich wirklich noch gewöhnen - auf meinen Schoß.
    »Du musst Dir vorkommen, wie in einem Peter Jackson Film, hm?«
    Unwillkürlich dachte ich an den dritten Teil des Hobbits, den wir zusammen im Kino gesehen hatten. Und auch daran, wie sie angefangen hatte zu schluchzen, als die schöne Elfe Tauriel um ihren zwergischen Geliebten Kili trauerte.
    »Hey, ich bin nicht Kili, dass das klar ist!«
    Sie lachte, und wenn es bis dahin noch irgend einen Zweifel gegeben hätte, dann war der nun ausgeräumt. Ihr Lachen war unverkennbar und auf einmal sah ich wieder ihr altes Gesicht, die neuen Merkmale traten in den Hintergrund. Das menschliche Gehirn ist ja ein so großartiger Selbstbetrüger!

    »Also schön, in was genau bin ich hineingeraten, oder halt, zuerst einmal, was ist der Nexus?«
    Irgendwo musste ich mal anfangen und über die erstaunliche Veränderung meiner Freundin wollte ich noch nicht sofort sprechen. Auch wenn ich mich locker gab, musste ich die erst einmal verdauen.
    Sie legte den Kopf auf meine Schulter und lehnte sich mit ganzem Gewicht an mich, wie in alten Zeiten, wobei diese alten Zeiten noch gar nicht so alt waren, aber es ist klar, was ich meine, oder?
    »Du hast sicher schon begriffen, dass wir uns nicht mehr auf der Erde befinden.«
    »Szonto hat mich dahingehend schon aufgeklärt. Ich nehme an, wir sind dahin unterwegs, wo das Schiff herkam. Weiter vermute ich, dass sie gezielt wegen Dir kamen. Wenn ich mir die Bauweise ansehe, und an die Bewaffnung unsrer Entführer denke, vermute ich unser Ziel ist eine weniger hochtechnologierte Welt und mit viel mehr Magie angereichert, als meine.«
    Sie blinzelte verblüfft.
    »Ferner nehme ich mal an, dass Du irgend eine zentrale Rolle in Deiner Gesellschaftsordnung einnimmst. Thronfolgerin, Bewahrerin eines ultrawichtigen Siegels, einzige Person, die weiß, wie man Popcorn macht ... etwas in der Art.«
    »Woher ...? Hat Szonto...?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Einfache Deduktion. Für die Sekretärin des Schulleiters Eurer Bäckerschule hätten sie sicher nicht so ein Kommandounternehmen geschickt. Zudem bist du unversehrt, würde sogar sagen, Du siehst blendend aus. Also nicht gerade der Zustand, in dem man eine Gefangene erwartet, die man nicht bei Laune halten muss. Und wohin sollten wir sonst unterwegs sein? Szonto kannte Dich offensichtlich, also stammst Du aus derselben Region, wie er. Da er mir erzählt hat, wie sie ihn kurz vor der Fahrt in einer Taverne zwangsrekrutiert haben, war der Rest nicht schwer zu folgern.«
    Sie hatte mir fassungslos zugehört und gegen Ende wieder angefangen zu kichern.
    »Ist Dir eigentlich klar, dass Deine Studenten und auch ein paar Kollegen Dich genau wegen sowas Sherlock nennen?«
    Nun war ich baff: »Echt? Hatte ich keine Ahnung.«
    Sie hauchte mir einen Kuss auf die Nase. »Klar, woher auch? Weißt Du denn schon alles, oder darf ich jetzt auch mal mit meinem Wissen angeben?«
    Ihre großen Augen leuchteten und ich zuckte betont gnädig die freie Schulter. »Los, verblüffe mich, oh stolze Elfe.«
    »Oh, es gibt so viel. Gut, zuerst der Nexus. Dazu musst du wissen, dass es nicht allzu viele Schiffe wie dieses gibt. Einige davon sind höchstens hab so groß, ein paar wenige größer. Sie werden aus ganz bestimmten Hölzern gefertigt und mit Arkanium beschlagen, das ist das silbrig-weiße Metall. Das Holz und das Metall haben die Eigenschaft Magie zu speichern und durch die Runen wird sichergestellt, dass sie es auch erst auf Befehl wieder abgeben.«
    »Aha ..., das Schiff fährt also mit Magie?« Ich muss wohl sehr ungläubig ausgesehen haben.
    »Ja doch, nun ja, gewissermaßen. Also eigentlich, jein.«
    Über so viel wissenschaftliche Genauigkeit konnte ich nur die Stirn runzeln. Sie seufzte.
    »So genau weiß ich es doch auch nicht! Irgendwie macht es das alles jedoch möglich im Dazwischen zu navigieren.«
    Ich nickte langsam. Das wiederum verstand ich, denn wer weiß zum Beispiel schon genau wie ein Smartphone funktioniert? Benutzt wird es aber von Milliarden.
    »Schon gut«, winkte ich ab. »Nur weiter.«
    »Zwischen den Welten ist das Dazwischen, ok?«
    Ich nickte.
    »Und darin gibt es Strömungen die von einer Welt zum Nexus und von dem zu einer anderen Welt führen oder umgekehrt.«
    »Umgekehrt?«
    »Ganz sicher bin ich mir nicht, weil ich selbst erst zum zweiten Mal mit so einem Schiff fahre, aber von manchen Welten geht die Strömung zum Nexus hin und von manchen Welten vom Nexus zur Welt hin. Wichtiger ist aber, dass nur mithilfe dieser Strömungen ein Kurs bestimmt werden kann. Es gibt ja sonst keine Anhaltspunkte, kein Sternenhimmel oder Magnetpol oder sowas.«
    Langsam nickte ich: »Und wie viele solcher Welten gibt es?«
    Sie zuckte die Schultern. »Viele. Ein paar sind bekannt, die meisten eher unbekannt und unwichtig, weil man auf ihnen zum Beispiel gar nicht leben kann.«
    »Andere Versionen der Erde?
    »Bevor ich auf deine Welt kam, hätte ich nicht einmal gewusst, was Du meinst.« Sie grinste. »Nein, ich glaube eher eine komplett andere Welt. Zum Beispiel hat der Sternenhimmel auf der Erde kein einziges Bild, was der Nachthimmel von Tirnambeo zeigt, so heißt meine Welt, zu der wir unterwegs sind.«
    »Und bei Euch gibt es viel Magie, nehme ich an. Sie ist beinahe oder sogar vollkommen alltäglich?«
    »Hm, bei uns Elfen ja. Andere Rassen haben weniger Talent darin, oder greifen auf andere Art auf die Magie zu. Die Runen am Schiff zum Beispiel, sind nicht elfischen Ursprungs. Sie kommen sogar von einer anderen Welt, von einem Volk, welches vor Äonen unsre Welt besucht hat und gegen das Geheimnis der Spruchmagie ihre Runenmagie mit uns teilte.«
    »Gut.« Das nahm ich fürs Erste einfach mal so hin. Als eingefleischter Erdling war ich ganz tief in mir drin ein wenig verstimmt, dass man nicht auch uns besucht hatte und die "Magie-Technologie" weitergegeben hatte, andererseits zeigt sich die Menschheit schon nicht gerade aufgeschlossen, wenn es nur um Nachbarn geht, die eine andere Hautfarbe oder etwas dickere Lippen haben. Ich konnte mir also lebhaft vorstellen, wie sie mit Besuchern umgegangen wäre, die vielleicht Szonto ähnelten. Wenn einen schon die Hautfarbe eines anderen Menschen irritiert, dürfte allein der Gedanke, dass ein Fremder einem den Arm mit Leichtigkeit einfach durchbeißen könnte, unerträglich sein. Ich hatte den dringenden Verdacht, dass wir an unsrer Isolation womöglich zu einem Gutteil selbst schuld waren.
    »Und man muss also immer zum Nexus hinfahren, die neue Strömung suchen und die dann rauf oder runterfahren? Es gibt keine Möglichkeit das Neue Ziel auch anders anzuvisieren? Triangulation zum Beispiel?«
    »Du, ich habe keine Ahnung. Was ich dir sagen kann, ist dass die Reise mit der Strömung ziemlich genau zwölf Tage geht und gegen die Strömung mit Magie-Impuls auch zwölf Tage. Man ist also mehr oder weniger vierundzwanzig Tage im Transit.«
    »Kann man die Reisezeit nicht verkürzen in dem man in Strömungsrichtung auch ... naja, Gas gibt?«
    »Äh, das weiß ich nicht. Klingt logisch, aber man macht es nicht, frag mich nicht wieso.«
    Wieder winkte ich ab.
    »Das reicht erst einmal. Mir schwirrt der Kopf. Ich glaube das muss ich erst einmal sacken lassen.«
    Sie hauchte mir noch einen Kuss auf die Nase. »Gut. komm, ich stelle Dir das Schiff und die Crew vor. Aber nimm Dich in Acht, die meisten sind üble Gesellen und bis auf Szonto und Kapitän Kaldoon würde ich keinem den Rücken zuwenden.«
    »Warum ist der Kapitän vertrauenswürdiger als der Rest der Piratenbande?«, wunderte ich mich.
    Sie seufzt: »Kaldoon war früher ein Admiral in der Hochelfischen Flotte, und ...«, sie zögerte verlegen, »war auf die königliche Familie und das Reich eingeschworen. Nunja, und ich bin ...«
    Ich hob die Hand: »Verstehe schon. Nur warum ist ein Admiral zum einfachen Kapitän geworden?«
    Sie senkte den Blick und ihre Antwort war kaum mehr als ein Flüstern: »So erging es vielen, als das Reich erobert und die königliche Linie ausgelöscht wurde.«

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

    Einmal editiert, zuletzt von Tom Stark (4. August 2016 um 10:57)

  • Kapitel 7: Die Herren der Marlin

    Sie führte mich durch die Mannschaftskojen bis zur Kombüse. Der Kerl, der uns mit einem bösen Blick, aber sonst wortlos anstarrte, war mager aber schmächtig, um nicht zu sagen ein Handtuch von einem Mann. Sein Hemd schlotterte überall und dünne Arme und Beine wirkten, als würden sie gleich brechen. Im Gegensatz dazu waren seine Hände riesig und sehnig. Ein Blick auf seine Schuhe verriet mir, dass seine Füße ebenso unproportional groß waren.
    Ein Blick in seine farblos blassen Augen genügte mir, um mich mit einem gemurmelten Gruß wieder wegzudrehen und Sondra zu folgen.
    »Unheimlicher Kerl. Der würde sogar Charles Manson zum Schlottern bringen.«
    »Kein Wunder, er ist ein Scathanbhis!«
    »Na klar, das erklärt natürlich alles ...«
    Sie blieb stehen und grinste. »Du hast keine Ahnung, stimmts?«
    »Nicht die geringste, oder weißt Du, wer Charles Manson war?«
    Nun lachte sie: »Nein, auch keinen Schimmer. Ach, auch wenn ich wünschte, Du wärst nicht hier, bin ich doch froh. Wenigstens etwas zu lachen.«
    »Ja, wir Physiker sind als Clowns weltweit berühmt.«
    Sie verdrehte die Augen.
    »Also, Scathanbhis könnte man in etwa als Todesschatten übersetzen. Er ist eine Art Geist, der bei Lebewesen im Augenblick ihres Todes in deren Körper schlüpfen kann und ihn dann langsam auszehrt. Sobald der Körper fast zu einem Skelet verkommen ist, muss er dringend einen neuen Körper finden sonst stirbt er.«
    »Ja, ungefähr so gruselig hatte ich ihn eingeschätzt, na vielleicht nicht ganz. Heißt das, sie können sich irgendwen schnappen, ihn erdrosseln und wenn er seinen letzten Atemzug macht, quasi in Besitz nehmen?«
    »Genau so machen sie es in der Regel. Oft stehlen sie so nicht nur den Körper sondern gleich das ganze Leben ihres Opfers. Manchmal warten sie, bis ein Kind ihres Opfers erwachsen wird und übernehmen es dann, als ihr "Erbe". Ich weiß von mindestens einem Fall, da hat ein Todesschatten so zwölf Generationen einer Familie auf diese Weise benutzt.«
    Ich verzog angewidert den Mund. »Ich nehme an, ihr bringt sie um, sobald ihr sie findet?«
    Sie seufzte. »So leicht ist das zum Einen nicht und zum anderen gibt es durchaus ehrenhafte Todesschatten, die nur die Körper natürlich Sterbender übernehmen. Oft sind es sogar Heiler oder Priester, die Sterbende begleiten.«
    »Trotzdem eine unheimliche Art sein Leben zu fristen. Wie werden Todeschatten überhaupt geboren?«
    Sondra schüttelte schmunzelnd den Kopf: »Das weiß ich auch nicht. Du kannst ja mal Den'Tan fragen, falls er überhaupt mit Dir spricht und Dich nicht einfach umbringt.«
    »Na super, wir haben hier einen Koch, der nur jemand vergiften muss, wenn ihm den Sinn nach einem neuen Körper steht? Klingt mir nicht unbedingt klug.«
    Sie hob nur die Schultern und zog mich die Treppe aufs nächste Deck.

    »Hier sind die Kabinen«, sie wies mir eine ganz Reihe Türen links und rechts des Ganges, in dem man gerade noch, ohne sich schmal machen zu müssen, aneinander vorbei kam.
    »Das ist der Kartenraum mit einer kleinen Koje für einen Navigator, wenn man einen hat. Dort ist das kleine Lazarett mit einer winzigen Kabine für den Bordheiler.«
    »Da schläft also Szonto«, nickte ich verstehend.
    »Nein, der muss bei der Mannschaft schlafen, wie alle Gefangenen. Die Einzelbetten haben sich die ganzen Mistkerle natürlich unter den Nagel gerissen.«
    Ich blieb stehen und musterte die Türen. Recht stabil, sogar mit Schlössern versehen. Nachdenklich strich ich über das seltsame Metall und folgte dann Sony, die nach drei Schritten gewartet hatte.
    »Was ist?«
    Den Kopf schüttelnd winkte ich ab. »Und wem gehört diese Kabine?«
    »Die teilen sich normalerweise der Steuermann und sein Maat. Die daneben bewohnt der erste Offizier und gegenüber teilen sich Bootsmann und Schiffszimmermann den Raum.
    Sie hielt inne und wurde beinahe feierlich.
    Das hier ist der wichtigste Raum auf dem ganzen Schiff, die Nexogatische Runenkammer. Hier wird der Kurs im Dazwischen festgemacht, auf den das Schiff immer wieder einschwenkt, bis der Kurs gelöst wird. Hier sind auch die Runen, welche die gespeicherte Magie für die Systeme im Schiff verteilen.«
    »Verstehe, das ist quasi die Brücke.«
    »Nein, es gibt auch eine Brücke. Das hier, wenn Du so willst, ist der Maschinenraum.«
    »Können wir mal einen Blick reinwerfen?« Natürlich war ich an der Funktionsweise so eines Antriebs sehr interessiert, aber Sondra lächelte mitleidig. Da drin stehen Tag und Nacht zwei der übelsten Gesellen an Bord Wache. Vertrau mir, mit denen willst Du nichts zu tun haben.«
    Ich ersparte mir den Widerspruch. Aber ich hatte nicht umsonst Alarmstufe Rot und die meisten je gezeigten Star Trek Folgen angesehen: Wer den Maschinenraum beherrschte, der beherrschte auch das Schiff. Mir war zwar nicht klar, was und ob Sondra überhaupt etwas plante, aber ich würde nicht warten, bis ich in einem von einem Feind beherrschten Reich wäre, in dem ich ziemlich sicher nicht mehr gebraucht wurde.

    Zuletzt kamen wir zu einer Doppeltür am Ende des Ganges. Eine Treppe führte links nach oben und rechts von ihnen nach unten.
    »Lass mich raten: Kapitänskajüte?«
    Sie schüttelte den Kopf.« Nicht ganz. Die Messe, also da, wo die Offiziere essen und sich beraten. Das Quartier des Kapitäns liegt noch etwas weiter hinten.«
    »Er muss durch die Messe durchrennen, wenn er an Deck will?« Das erschien mir ziemlich unzweckmäßig.
    »Nein, nein. Vor der Tür zu seinem Raum gibt es eine Treppe zur Brücke. Dort gehen wir jetzt hin.«
    Sie führte mich durch die Messe, welche die gesamte Breite des Schiffs einnahm und die ich sogar recht gemütlich eingerichtet fand. So hingen ein paar Bilder von Landschaften an den Wänden, einzelne Kommoden beherbergten Geschirr, Gläser und Flaschen, es gab einen kleinen Sekretär (Schreibtisch, nicht Person) und sogar ein Brett mit Wurfpfeilen hing in einer Ecke. Eine Reihe Bullaugen verschaffte einem zu beiden Seiten des Raums den bekannten Ausblick auf die Strömung des Dazwischen.
    Zwei der Stühle um den großen Tisch waren besetzt. Die erste Person hatte mehr Ähnlichkeit mit einem aufrecht sitzenden struppigen Hund, als mit einem Menschen, nach Szonto aber kein Schock für mich.
    »Er hat's überlebt ...«, knurrte der Zweite in meine Richtung. Es klang einerseits erstaunt, andererseits auf eine Art erfreut, die mich gar nicht freudig stimmte. »Es hat fast zwei Tage gedauert, bis meine Hand wieder voll zu gebrauchen war. Dafür wirst Du auf jeden Fall noch zahlen!«
    Als ich den Mann betrachtete, war keinerlei Ähnlichkeit mit dem grauen Anzugträger zu erkennen, wenn von man Größe und ungefährer Schulterbreite absah. Er hatte einen kürbisrunden Kopf, anstatt der Haare aber überall beulenartige Auswüchse, manche erinnerten mich an Muscheln oder Korallen. Er sah aus, als könnte er einen Elefanten stemmen und ihn danach noch ein Dutzend Meter weit stoßen. Wie sein Gegenüber war er mit einem Schwert, oder Säbel bewaffnet, so genau kannte ich mich nicht aus. Ein schweres Messer und ein kurzer Knüppel mit einer emaillierten Spitze gehörten ebenfalls zur Ausrüstung.
    »Der Kapitän erwartet uns«, sagte Sondra schnell, doch keiner der Beiden wollte uns aufhalten. Ihrem bösen Grinsen nach wollten sie sich Zeit mit mir lassen - ich versuchte tapfer nicht bleich zu werden.
    Schnell schob mich Sondra die lange Treppe nach oben und wir betraten die Brücke.

    Die Brücke lag im Heck des Schiffes und thronte quasi über dem Oberdeck. Sie bestand zu einem Großteil aus jenem silbrig weißen Metall, was sich bei Berührung warm und wie elektrisch geladen anfühlte, nur ohne die kleinen Schläge, die man erwarten würde.
    Die Treppe war am hinteren Teil und man musste zwischen zwei langen Sitzreihen hindurch, bis man den eigentlichen Kommandostand erreichte. Vorne wurde die Brücke breiter und große Fenster erlaubten einen eindrucksvollen Ausblick nach back- und steuerbord und nach vorne natürlich.
    Das obligatorische Steuerrad befand sich ebenso hier, wie eine Reihe an seltsamen Instrumenten, deren Zweck sich mir nicht erschloss. Das Steuer war unbesetzt, wie ich erstaunt zur Kenntnis nahm, aber dann schlug mich der Anblick um das Schiff herum vollends in den Bann.
    Zum ersten Mal konnte ich sehen, wie das Boot inmitten dieses gewaltigen Strom trieb. Hatte ich bislang die Vorstellung gehabt, wird würden auf etwas schwimmen, so musste ich diese nun korrigieren. Wir fuhren nicht wie ein Schiff auf sondern vielmehr wie ein U-Boot mitten in diesem bunten Durcheinander von Farben und Linien. Wie erstarrt betrachtete ich das Spiel der Strömung, versuchte irgend eine Regelmäßigkeit oder ein Muster zu erkennen.
    Erst nach Minuten des Staunens, holte mich ein amüsiertes Räuspern in die Realität zurück.
    »Ja, beim ersten Mal, kann einen das schon in seinen Bann ziehen, mein Sohn.«
    Mein "Vater", musste der Kapitän sein. Selbst wenn wir aus völlig unterschiedlichen Kulturen kamen, war es doch sofort ersichtlich, wer der Herr des Schiffes war. Kapitän Kaldoon trug einen blauen Wams mit silbernen Verzierungen, bei denen ich einige der Runen wiedererkannte, die überall an Schiffsrumpf oder an den großen Segeln zu erkennen waren. Er trug eine Art Helm aus demselben Metall wie die Brücke - vermutete ich jedenfalls - und auch die Schnalle seines breiten Gürtel schien daraus gemacht zu sein. Sonst hatte ich noch bei keinem Schmuck oder Rüstung aus diesem Metall gesehen. Überhaupt schienen die Personen an Bord Schmuck wie Ringe oder Ketten zu meiden. Ich sollte beizeiten wohl einmal nachforschen warum das so war. Bewaffnet war der Kapitän aber auch nicht, was ich auf jeden Fall im Hinterkopf behalten wollte.
    »Freut mich, Euch kennenzulernen, Kapitän.« Ich salutierte so zackig wie ich konnte und hielt mich kerzengerade dabei.
    Der weißhaarige Elf, dessen buschige Brauen über einem beinahe jugendliches Gesicht mit unverkennbaren Merkmalen eines Falken wie Wolken schwebten, nickte mit einem Lächeln und erwiderte die Geste mit einem traurigen Blick. Während ich die Hand flach zum Kopf gehoben hatte, hielt er seine Rechte aufrecht vor die Brust, wobei ich allerdings bemerkte, dass er weit mehr Sondra als mich, mit der Ehrenbezeugung bedachte.
    Ein unwilliges Fauchen ließ mich zusammenfahren. Ich hätte geschworen, dass sonst niemand auf der Brücke gewesen war, aber nun trat ein hochgewachsener Elf auf mich zu, dessen gelbe Augen gar nicht dämonischer hätten leuchten können. Er schien keine Kleidung aus Stoff, sondern aus Schatten zu tragen, die beständig um ihn herum floss. Es hätte Sondras warnenden Blicks nicht bedurft um mich zu warnen, ihm nicht zu nah zu kommen.
    Die nachtschwarzen langen Haare schienen kaum feststofflicher zu sein, als die Kleidung, passten aber hervorragend zu den blassen Haut, durch die man pulsierende blaue Adern deutlich erkennen konnte.
    »Genug gesehen. Er soll verschwinden und sich das Recht auf Leben mit Arbeit verdienen! Und Prinzessin?« , seine Stimme war wie das Rascheln von Laub, lange verfaulten Laub. »Euch will ich gleich beim Abendmahl neben mir begrüßen dürfen. Es wird Zeit, dass Ihr Euch an die Art der neuen Herrscher gewöhnt. Mein Herr ist nämlich weit weniger nachsichtig und ob Ihr freiwillig oder unter dem Sklavenband seine Gemahlin werdet, ist ihm völlig gleich.«
    Ich sah meine Freundin so blass werden, dass sie beinahe der Haut dieses unheimlichen Mannes glich. Schützend wollte ich mich vor sie stellen - ja, ich weiß, lebensmüder, testosteroninduzierter Mut, uga, uga - aber sie ergriff meinen Arm und hielt mich mit einer Kraft fest, die ich eher von einem Terminator, als von ihr erwartet hätte.
    Böse grinste mich der Unheimliche an: »Ein Held also? Wir werden viel Spaß miteinander haben.«
    Er hob, ich muss leider sagen, mit beiläufiger Geste, seine Hand und etwas trieb mich unbarmherzig bis zur Treppe und hätte mich hinuntergestoßen, wäre ich nicht von selbst einige Stufen hinuntergesprungen.
    Selbsterhaltungstreib ist vielleicht wenig heldenhaft, aber es rettet einem manchmal den Hintern, so dass man später noch einen Versuch hat.

    Unten angekommen hieß mich spöttisches Gelächter willkommen.
    »Du hast also unsren Herrn getroffen. Wie hat dir der Anblick wahrer Macht geschmeckt?«
    Ich schüttelte zitternd den Kopf.
    »Mach Dir nichts draus. Du wirst ihn so bald nicht wiedersehen. Deine Arbeit wird das nicht zulassen. Und nun los, nichtsnutziger Faulpelz!«
    Ehe ich mich versah, schlug Beulenkopf mit seinem Knüppel nach mir und ich brach zusammen, so heftig traf mich der Schmerz. Mit schwarzen Flecken vor den Augen sah ich, wie die emaillierte Stelle des Knüppels wieder weiß wurde. Zuvor war sie gleisend silbrig gewesen.
    Dafür war das also gut ... , ich beeilte mich jedenfalls auf die Beine zu kommen und lernte meinen ersten Arbeitsplatz kennen: Die Latrinen.

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    Tom Stark
    zum Lesen geeignet

  • Spoiler anzeigen

    Lasse Randstrom und Brin Leifson, meine beiden Kollegen(Komma) hofften, ebenso wie ich, dass es noch eine Weile so blieb.

    Die wenigen warmen Sommernächte auf Island wollten wir so gut es gut nutzen,

    Seine bekanntschaft hatte mir eine Menge Zeit erspart nach entsprechend faulig stinkenden Pfützen zu suchen

    groß und iwie hört sich der Bezug komisch an - hatte mir die Zeit erspart, nach faulig stinkenden....?

    Lasse hatte mich Brin auf einer Tagung vorgestellt und ich hatte den kauzigen Isländer schnell ins Herz geschlossen, freilich erst nachdem ich herausgefunden hatte, wie ich seinen doch recht schrägen Humor zu nehmen hatte.

    Wir drei saßen auf dem Flachdach von Randstroms Haus, feierten die gute Nachricht und beglückwünschten den gebürtigen Norweger, dass es ihm gelungen war (Komma)eine solche patente Frau wie seine Ingra dazu zu bekommen (Komma)ausgerechnet ihn zu heiraten.


    Das hier noch kein Kommi zu finden ist, liegt wohl daran, dass du am ersten Tag gleich 4 lange Posts eingestellt hast. Ich hab jetzt erst den ersten davon gelesen und kommentiert, der Rest folgt später ;) .
    Gib mir Zeit, aufzuholen. :D

    Manchmal hast du sehr lange, verschachtelte Sätze im ersten Post, die sich nicht so schön lesen. Ansonsten ist dir die Mischung aus Info und Gegenwart gut gelungen :thumbsup: .

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker